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NATURWISSENSCHAFTEN

TEILCHEN-
PHYSIK
UNTERRICHTS­MATERIAL AB KLASSE 10
Erstellt in Kooperation mit Netzwerk Teilchenwelt

LADUNGEN,
WECHSEL­
WIRKUNGEN
UND TEILCHEN
LIEBE LEHRKRÄFTE,
spätestens seit Juli 2012, als der Nachweis des HINWEISE
Higgs-Teilchens am CERN verkündet wurde, ZUR ARBEIT MIT
bekam die Teilchenphysik so viel öffentliche DEN MATERIALIEN
Aufmerksamkeit wie nie zuvor.

Dieses Interesse macht selbstverständlich auch


vor der Schule nicht halt, die meisten von Ihnen
kennen entsprechende Schülerfragen, viele von
Ihnen haben versucht, Aspekte der Teilchenphysik Die Frage, welche fundamentalen Prinzi­
in den Unterricht zu integrieren. Oft fehlte es bisher pien den Aufbau der Materie unseres
an passenden Materialien. Über zwei Jahre haben Universums bestimmen und was sie
das Netzwerk Teilchenwelt und die Joachim Herz „im Innersten zusammenhält“, ist seit
Stiftung in einer Reihe von Workshops mit Lehr­ jeher Gegenstand der Neugier und des
kräften und Wissenschaftlern* daran gearbeitet, Forschungsdrangs der Menschen. Das
Unterrichtsmaterial zu entwickeln, das Lehrkräften vorliegende Unterrichtsmaterial möchte
Ideen, Anregungen und Hintergrundinformationen Sie und Ihre Schüler in die faszinierende
zur Vermittlung der Teilchen- und der Astroteilchen- Welt der Teilchenphysik mitnehmen,
physik geben soll: fachlich korrekt und gleichzeitig um einige Antworten auf diese Frage
praktisch einsetzbar. zu finden.
Impressum
Ich bedanke mich ganz herzlich bei Michael Kobel, Die Inhalte lassen sich in Form eines
Herausgeber: Joachim Herz Stiftung, dem Hauptautor dieses Bandes. Ohne sein Spiralcurriculums behandeln, so dass eine
Langenhorner Chaussee 384, 22419 Hamburg unermüdliches Engagement würde es diese Reihe wiederkehrende Beschäftigung mit den
Autor: M. Kobel, U. Bilow, P. Lindenau, B. Schorn mit Unterrichtsmaterialen nicht geben. Mein Dank grundlegenden Konzepten der Elemen­
Layout und Gestaltung: Annett Schuft, Nicole Keller, Kristina Düllmann gilt weiter seinem Team vom Netzwerk Teilchenwelt, tarteilchenphysik im Physikunterricht
Druck und Verarbeitung: addprint AG, Bannewitz für diesen Band insbesondere Uta Bilow, Philipp in differenzierter Form und Tiefe, in
3. Auflage 2018 Lindenau und Bernadette Schorn. Dank gebührt unterschiedlichem Umfang, auf sich
Der Inhalt ist urheberrechtlich geschützt. ferner den vielen Lehrkräften, die in den Workshops steigerndem Niveau und auf der Grund-
und an den Materialien mitgearbeitet haben. lage unterschiedlicher Vorkenntnisse
Gemeinsam mit Thomas Unkelbach wurde dieses möglich ist. So können wesentliche Inhalte
Das vorliegende Heft wurde im Rahmen des Kooperationsprojektes Material für LEIFIphysik.de aufbereitet. Meine zu den zentralen Begriffen „Ladungen,
„Unterrichtsmaterial Teilchenphysik“ der Joachim Herz Stiftung und von Kollegin Jenny Meßinger-Koppelt hat die Fäden Wechselwirkungen und Elementarteilchen“
Netzwerk Teilchenwelt erstellt. Das Material wurde federführend vom zwischen Dresden, Genf, Hamburg, Köln und vermittelt werden.
Netzwerk Teilchenwelt unter Leitung von Prof. Dr. Michael Kobel erarbeitet. Zeuthen in der Hand gehalten. Wir hoffen mit dem
Material Impulse zur stärkeren Verankerung der Der Band wird durch Informationen für
Teilchenphysik in der Schule zu setzen und freuen Lehrkräfte und Aufgaben mit Lösungen
uns über Ihre Rückmeldungen. abgerundet.

* Zur
besseren Lesbarkeit der Unterrichtsmaterialien verwenden wir das
Jörg Maxton-Küchenmeister
generische Maskulinum. Selbstverständlich sind dabei stets alle Geschlechter
gleichermaßen gemeint.
Bereichsleiter Naturwissenschaften,
Joachim Herz Stiftung
www.joachim-herz-stiftung.de I www.teilchenwelt.de

3
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INHALT
SEITE 6 1 EINLEITUNG

SEITE 10 2 DAS STANDARDMODELL DER TEILCHENPHYSIK – Seite 54 2.5.8 Reaktionswahrscheinlichkeiten


EINE THEORIE DER LADUNGEN Seite 55 2.5.9 Beispielprozesse
UND WECHSELWIRKUNGEN Seite 61 2.6 Das vollständige Ordnungsschema der Materieteilchen
Seite 10 2.1 Einleitung Seite 62 2.6.1 Die drei Generationen der Materie- und Anti-Materieteilchen
Seite 12 2.2 Aufbau der Materie und Wechselwirkungen Seite 66 2.6.2 Übersicht über alle Teilchenladungen
Seite 13 2.2.1 Himmelsmechanik und gravitative Wechselwirkung Seite 68 2.7 Das Brout-Englert-Higgs-Feld
Seite 15 2.2.2 Atome und elektromagnetische Wechselwirkung Seite 69 2.7.1 Das Higgs-Teilchen und die Teilchenmassen
Seite 17 2.2.3 Atomkerne und starke Wechselwirkung Seite 71 2.7.2 Notwendigkeit und Entstehung des BEH-Feldes
Seite 20 2.2.4 Kernfusion und schwache Wechselwirkung Seite 76 2.8 Hypothetische Teilchen (Exkurs)
Seite 23 2.2.5 Kräfte und Wechselwirkungen 
Seite 27 2.3 Ladungen als charakteristische Teilcheneigenschaften SEITE 78 3 INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE
Seite 27 2.3.1 Die elektrische Ladung Seite 78 3.1 Inhaltliche Anknüpfungspunkte im Lehrplan 
Seite 29 2.3.2 Die schwache Ladung Seite 78 3.2 Vorkenntnisse
Seite 31 2.3.3 Die starke Ladung Seite 79 3.3 Lernziele
Seite 37 2.3.4 Zusammenfassung: Die Ladungen der elementaren Anti-/Materieteilchen Seite 87 3.4 Didaktische Hinweise
Seite 37 2.4 Die vier fundamentalen Wechselwirkungen Seite 92 3.5 Fachliche Hinweise
Seite 38 2.4.1 Felder und Botenteilchen
Seite 39 2.4.2 Elektromagnetische Wechselwirkung: Photon SEITE 102 4 AUFGABEN
Seite 41 2.4.3 Schwache Wechselwirkung: W+-, W –- und Z-Teilchen
Seite 45 2.4.4 Starke Wechselwirkung: Gluonen SEITE 106 5 LÖSUNGEN
Seite 49 2.4.5 Gravitative Wechselwirkung
Seite 49 2.5 Feynman-Diagramme
SEITE 111 6 ERGÄNZENDE MATERIALIEN
Seite 50 2.5.1 Vertices
Seite 51 2.5.2 Emission eines Botenteilchens
Seite 51 2.5.3 Absorption eines Botenteilchens
Seite 52 2.5.4 Paarvernichtung
Seite 52 2.5.5 Paarerzeugung
Seite 53 2.5.6 Energie-Impuls-Erhaltung und virtuelle Teilchen
Seite 54 2.5.7 Ladungserhaltung

4 5
Download der Materialien unter www.leifiphysik.de/tp und www.teilchenwelt.de 1 Einleitung

1 EINLEITUNG
Welche fundamentalen Prinzipien den Aufbau der welche Botenteilchen diese Wechselwirkungen fende Erkenntnis der Ladungen und Wechselwir­ Die vorliegenden Materialien liefern einen Einblick
Materie unseres Universums bestimmen und vermitteln. Welche und wie viele Materiebausteine kungen, die in faszinierender Weise zeigt, wie sich in die folgenden – bei weitem nicht vollständigen
was sie „im Innersten zusammenhält“, ist seit jeher existieren, ist dagegen kein Teil des Theoriege­bäu­ völlig unterschiedliche Phänomene und Prozesse und sicher auch in der Rangfolge ihrer Wichtigkeit
Gegenstand der Neugier und des Forschungsdrangs des, sondern eine experimentelle Erkenntnis, die auf gemeinsame physikalische Prinzipien zurück­ vom individuellen Blickwinkel abhängigen – wichtig­
der Menschen. Ein enormer Erkenntnisfortschritt in das Standardmodell aufgenommen wurde. Das führen lassen, gerät dabei in den Hintergrund, sten Erkenntnisse der Teilchenphysik:
fand vor ca. 50 Jahren zwischen 1961 und 1973 Standardmodell ist daher insbesondere eine Theorie obwohl gerade die Reduktion der Naturbeschrei-
statt, als das Theoriegebäude der Teilchenphysik der Ladungen und Wechselwirkungen, und weniger bung auf wenige Prinzipen das Wesen der Physik • A
 lle bekannten Vorgänge im Universum lassen
entwickelt wurde. Damals musste es sich jedoch eine Theorie der Teilchen. Dies tritt in den meisten und ihre Faszination ausmacht. sich auf vier fundamentale Wechselwirkungen
noch gegenüber anderen Modellen experimentell – vor allem in den populärwissenschaftlichen – Dar- zurückführen, die jeweils verschiedene Phäno-
behaupten und wurde daher vorsichtig als „Stan- stellungen des Standardmodells in den Hintergrund. Die folgenden Materialien verlangen daher die mene unter dem Begriff einer Wechselwirkung
dardmodell der Teilchenphysik“ bezeichnet. Bereitschaft, sich auf eine Sichtweise der Teilchen- vereinigen. Diese Phänomene umfassen u. a.
Diesen Namen hat es bis heute behalten, obwohl Am Beispiel des Fußballspiels lässt sich dazu physik einzulassen, die sich in der populärwissen- die Entstehung und Umwandlung von Teilchen,
inzwischen klar geworden ist, dass diese nur auf folgende Analogie bilden: Das Charakteristische schaftlichen Literatur oder in Schulbüchern bisher den Aufbau von Materie sowie alle Kräfte
drei Symmetrien und einer Symmetriebrechung für das Fußballspiel sind die Spielregeln, d. h. die kaum widerspiegelt. Wir sind jedoch der Meinung, zwischen Teilchen oder Systemen aus mehreren
basierende Quantenfeldtheorie die tiefstgehende erlaubten und verbotenen Wechselwirkungen der dass es sehr lohnend ist, sich den Erkenntnissen Teilchen (Kerne, Atome, Moleküle, makroskopi-
und umfassendste physikalische Erkenntnis ist, Spieler untereinander und mit dem Ball, sowie des Standardmodells mithilfe eines übergreifenden sche Körper).
die die Menschheit bisher über unser Universum die Ordnungsprinzipien der Spieler von Torhüter Ladungsbegriffes und dem Prinzip der Ladungs­
gewinnen konnte. Das Standardmodell selbst ist über Abwehr-, Mittelfeld- und Sturmspieler. erhaltung von elektrischen, schwachen und starken • D
 rei dieser Wechselwirkungen werden im
jedoch auch 50 Jahre später nicht in allen deutschen Wie viele Spieler insgesamt auf dem Feld stehen, Ladungen anzunähern. Der Ladungsbegriff hat Standardmodell der Teilchenphysik beschrieben
Bundesländern ein fester Bestandteil des Physik­ ob sie in 4-4-2 oder 4-3-3 oder irgendeiner anderen dabei für die Teilchenphysik eine ähnlich heraus­ und besitzen sehr ähnliche Grundprinzipien.
unterrichts an Schulen. Wenn eine Auseinander­ Aufstellung spielen oder gar wie sie heißen, ist ragende Bedeutung, wie z. B. die verschiedenen Sie sind untrennbar jeweils mit einer für diese
setzung damit vorgesehen ist, wird das Standard­ von Mannschaft zu Mannschaft und zwischen Feld-, Energieformen und die Energieerhaltung für die Wechselwirkung charakteristischen Ladung
modell zumeist auf die fundamentalen Bausteine Hallen- und Freizeitfußball verschieden und daher gesamte Physik. verbunden.
der Materie und die daraus zusammensetzbaren keine wesentliche Eigenschaft des Fußballspiels.
Systeme reduziert. Dies kann dazu führen, dass In diesem Band unserer Unterrichtsmaterialien zur • F ür jede dieser Ladungen gelten Erhaltungssätze,
die eigentlichen Erkenntnisse außen vor bleiben. Eine Einführung des Standardmodells über die Teilchenphysik wird gezeigt, wie theoretisch mithilfe die es erlauben, zusammen mit Energie- und
vollständige Liste der Elementarteilchen geht daher des Konzepts von Ladungen und Wechselwirkungen Impulserhaltung vorherzusagen, welche Prozesse
Das Standardmodell der Teilchenphysik besteht nicht nur an den wesentlichen Erkenntnissen des Prozesse beschrieben und vorhergesagt werden in unserem Universum erlaubt und welche
aus einem eleganten Theoriegebäude mit großer Standardmodells vorbei, sondern hat außerdem können. Im Band „Forschungsmethoden“ dieser unmöglich sind.
Vorhersagekraft. Dieses wird ergänzt von unent­ die Konsequenz, dass dabei Namen von Elementar­ Heftreihe werden experimentelle Methoden des
behrlichen experimentellen Erkenntnissen, welche teilchen oder gar zusammengesetzten Systemen Teilchennachweises und der Teilchenidentifikation • D
 ie Ladungen ermöglichen es außerdem, die
von der Theorie nicht a priori festgelegt werden präsentiert werden, die wenig Erkenntniswert für diskutiert, wie sie die moderne Forschung mit Elementarteilchen in einem Ordnungsschema in
können. Das Theoriegebäude basiert auf Ladungen unsere Alltagswelt besitzen. Die wirklich übergrei- Teilchenbeschleunigern oder kosmischen Teilchen Multipletts anzuordnen, wobei die Theorie
als Ordnungsprinzip der Elementarteilchen, anwendet. Aus dieser Kombination von Theorie und nicht vorhersagen kann, welche der möglichen
beschreibt die Wechselwirkungen zwischen ihnen Experiment ergibt sich ein umfassendes Bild der Multipletts die Natur realisiert hat. Dies muss das
über Symmetrieprinzipien und sagt daraus vorher, modernen Forschung der Teilchen- und Astroteil- Experiment feststellen.
chenphysik, das auf verschiedenen Niveaustufen
der Schulphysik zugänglich ist.

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• N
 ur Teilchen, die die entsprechende Ladung be- Z ur Erzeugung der Massen von Elementarteilchen ist
sitzen, unterliegen der jeweiligen Wechselwirkung. es notwendig, dass eine der Symmetrien durch das
Brout-Englert-Higgs-Feld gebrochen („versteckt“)
• B
 ei sehr kleinen Abständen können die zu allen wird. Das BEH-Feld verursacht die kurze Reichweite
vier Wechselwirkungen gehörigen Kräfte der schwachen Wechselwirkung und verlangsamt
einheitlich mithilfe der jeweiligen Ladungen damit die Kernfusion in Sternen wie unserer Sonne
beschrieben werden: Ihre Stärke ist umgekehrt so sehr, dass sie Milliarden von Jahren brennen.
proportional zum Quadrat des Abstands der Außerdem wären ohne dieses Feld z. B. Elektronen
wechselwirkenden Teilchen. masselos und damit keine Bildung von Atomen,
Molekülen und Materie möglich.
• Z wischen der klassischen Beschreibung der
Kräfte durch Feldlinien bzw. Äquipotenziallinien In diese Liste wurden vor allem Forschungsergeb­
und der quantenfeldtheoretischen Beschreibung nisse aufgenommen, die für die Phänomenologie
durch die Emission bzw. Absorption von unserer Erfahrungswelt wichtig sind, oder die die
sogenannten Botenteilchen besteht bei kleinen Reduktion auf wenige Prinzipien als das Ziel der
Abständen eine enge Analogie. physikalischen Erkenntnis deutlich machen. Sicher
lassen sich nicht alle diese Erkenntnisse auf jedem
• D
 ie Phänomenologie unserer Alltagswelt ist sehr Niveau und im Rahmen jeder Unterrichtsreihe zur
stark davon geprägt, dass nur zwei der funda- Teilchenphysik an der Schule vermitteln, und sie
mentalen Wechselwirkungen eine unendliche können in der Schule auch nur in sehr unterschied­
Reichweite besitzen, während die beiden licher Tiefe behandelt werden. Wir hoffen aber,
anderen auf subatomare (sogar „subnukleare“) dass die folgenden Materialien es Lehrkräften
Abstände beschränkt sind. Diese endlichen ermöglichen, sich in die Ergebnisse und Methoden
Reichweiten haben unterschiedliche Ursachen. der Teilchen- und Astroteilchenphysik einzuarbeiten,
um dann nach eigener Auswahl, Schwerpunkt­
• D
 ie Anordnung der Elementarteilchen in setzung und Anknüpfung an Unterrichtseinheiten
Multipletts bezüglich der Ladungen besitzt und Curricula die Faszination der physikalischen
bestimmte Symmetrieeigenschaften. Diese Grundlagenforschung weiterzutragen.
Symmetrien bilden die Grundlage der theo­
retischen Beschreibung der drei Wechsel­
wirkungen der Teilchenphysik.

8 9
Download der Materialien unter www.leifiphysik.de/tp und www.teilchenwelt.de 2 Das Standardmodell der Teilchenphysik – eine Theorie der Ladungen und Wechselwirkungen

2 DAS STANDARDMODELL DER Prinzip der Vereinfachung in der Physikgeschichte

TEILCHENPHYSIK – EINE THEORIE DER Galilei

heute
LADUNGEN UND WECHSELWIRKUNGEN Fallgesetze
auf der Erde Newton, Einstein
Universelle
Kepler Gravitation
Bewegung Standardmodell
2.1 EINLEITUNG Wechselwirkung. Eine weitere Vereinheitlichung von der Planeten der Teilchenphysik
bis dahin als unterschiedlich betrachteten physika­
Die Elementarteilchenphysik (kurz: Teilchenphysik) lischen Prozessen gelang James Clerk Maxwell 1864: Oerstedt, Faraday, Weltformel
ist ein Teilbereich der modernen Physik und stellt Er formulierte die Theorie des Elektromagnetismus, Magnetismus Maxwell
(„Theory of
ein vergleichsweise junges Forschungsgebiet dar, welche in der Lage ist, sowohl das Phänomen des Elektro- Salam, Glashow,
everything“)
das sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhun- Magnetismus als auch das der Elektrizität gemein- magnetismus Weinberg
derts entwickelt hat. Wie alle Naturwissenschaften sam zu beschreiben. Newton und auch Maxwell Elektrizität Theorie der
entwickelt sich die Teilchenphysik im Wechselspiel trugen somit dazu bei, die Anzahl der zur Beschrei- elektroschwachen
Wechselwirkung
zwischen Theorie und Experiment. Den Forschern, bung der Natur aufgestellten Gesetzmäßigkeiten zu Theorie der schwachen
Große
reduzieren, was sowohl zu einer Vereinfachung als vereinheitlichte
die auf diesem Gebiet arbeiten, verdanken wir eine Wechselwirkung
Theorie
ganze Reihe grundlegender Beiträge zur modernen auch zu einem besseren Verständnis der Naturgeset-
wissenschaftlichen Sicht auf die Welt: Denn die ze führte. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Theorie der starken
Wechselwirkung
Teilchenphysik untersucht, aus welchen Bestand­ gelang ein weiterer Schritt in Richtung Vereinheit­
teilen Materie zusammengesetzt ist, welche Eigen- lichung: die Beschreibung der elektromagnetischen
Abb. 1: Zeitlicher Fortschritt der Physik bei der Vereinheitlichung der Wechselwirkungen und Phänomene
schaften diese Grundbausteine haben und wie sie und der schwachen Wechselwirkung als „Theorie der Natur
miteinander wechselwirken. der elektroschwachen Wechselwirkung“ durch Abdus
Salam, Sheldon Glashow und Steven Weinberg, die
Eines der Ziele der modernen Teilchenphysik ist die hierfür 1979 den Nobelpreis für Physik erhielten. Im Folgenden wird das Theoriegerüst, mit dem Die nachfolgenden Kapitel befassen sich mit einer
Beschreibung aller im Universum ablaufenden Die Theorie der elektroschwachen Wechselwirkung sich der Inhalt der Teilchenphysik beschreiben lässt, Einführung in die drei Basiskonzepte des Standard-
Prozesse mit einer vereinheitlichten Theorie. Diese stellt jedoch keine vollkommene Vereinigung der vorgestellt: das „Standardmodell der Teilchenphysik“. modells und der Beantwortung der folgenden
Theorie sollte alle Elementarteilchen und alle der elektromagnetischen und der schwachen Wechsel- Der Name „Standardmodell“ ist aus Sicht eines Fragestellungen:
zwischen ihnen ablaufenden Wechselwirkungen wirkung zu einer einzigen Wechselwirkung dar, Teilchenphysikers etwas profan, denn es handelt
beschreiben. Man vermutet, dass es unmittelbar sondern sie beschreibt vielmehr die Beziehung sich um eine herausragende Theorie, die seit Anfang • W
 elche fundamentalen Wechselwirkungen
nach dem Urknall möglicherweise nur eine einzige beider Wechselwirkungen zueinander. Die Theorie der 1970er Jahre in zahlreichen Versuchen von werden benötigt, um den Aufbau der Materie
Art von Wechselwirkung zwischen Teilchen gab. der elektroschwachen Wechselwirkung und die Wissenschaftlern überprüft wird. Bei all diesen und die Vorgänge im Universum zu beschreiben?
In der Geschichte der Physik ist es bereits mehrfach starke Wechselwirkung bilden gemeinsam das Experimenten wurde die Theorie immer wieder Worin liegen ihre Gemeinsamkeiten und worin
gelungen, verschiedene Wechselwirkungen inner- sogenannte „Standardmodell der Teilchenphysik“. bestätigt. ihre Unterschiede?
halb vereinheitlichter Theorien zu beschreiben Die Formulierung einer „Großen vereinheitlichten
(siehe Abb. 1). Theorie“, die diese drei Wechselwirkungen durch Das Standardmodell basiert auf drei Begriffen, die • Inwiefern liegen diesen Wechselwirkungen
eine einzige fundamentale Wechselwirkung sich gegenseitig bedingen und daher untrennbar Ladungen zugrunde und welche Rolle spielen
Ein Beispiel hierfür ist die Theorie der Gravitation beschreibt, ist bisher noch nicht gelungen und miteinander verbunden sind: Ladungen, Wechsel- diese bei der Charakterisierung der Elemen­
(im Folgenden: gravitative Wechselwirkung): Isaac Gegenstand aktueller Forschung. Eine sogenannte wirkungen und Elementarteilchen. Zu den Element- tarteilchen und bei der Vorhersage möglicher
Newton erkannte, dass sich die Fallbewegung von Weltformel würde die Vereinheitlichung aller vier arteilchen zählen beispielsweise Elektronen, die Prozesse?
Körpern auf der Erde (beschrieben durch die bekannten Wechselwirkungen beinhalten und die Hülle von Atomen bilden. Elektronen besitzen
Fallgesetze von Galilei) und die Bewegung der könnte beschreiben, was zum Zeitpunkt des Urknalls eine elektrische Ladung, weshalb sie sich über die • W
 ie kann man die bekannten Elementarteilchen
Planeten auf Bahnen um die Sonne (beschrieben geschah, als diese – so die Vermutung – zu einer elektromagnetische Wechselwirkung gegenseitig ordnen, und welche Rollen spielen sie jeweils
durch die drei Keplerschen Gesetze) auf die gleiche einzigen Wechselwirkung vereinigt waren. abstoßen. bei den Wechselwirkungen und beim Aufbau der
Ursache zurückführen lassen: die gravitative Materie?

10 11
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2.2 AUFBAU DER MATERIE UND Man kann sich jedoch fragen: Wie sind diese
WECHSELWIRKUNGEN Galaxien entstanden, warum leuchten die Sterne,
woraus besteht alle Materie, was hält die Bestand- u
u
Könnte man mit dem Auge in einer dunklen Nacht teile zusammen? Sterne wie unsere Sonne bestehen d
so gut und weit sehen, wie es das Hubble Space aus ionisiertem Gas, Planeten unseres und anderer
Teleskop in seiner „Hubble Deep Field“ Aufnahme1 Sonnensysteme aus festen, flüssigen und gasförmi-
Kristall Molekül Atom Atomkern Proton Elektron, Quark
tat, erschiene der Himmel voll von Galaxien – Gebil- gen Substanzen. Diese wiederum sind aus Atomen ~0,01 m 10–9 m 10–10 m 10–14 m 10–15 m <10–18 m
den aus Milliarden von Sternen, ähnlich wie unsere wie Wasserstoff H, Kohlenstoff C oder Sauerstoff O
eigene Heimatgalaxie, die Milchstraße. Das Licht aufgebaut, die sich zu Molekülen wie Wasser H2O
1/10.000.000 1/10 1/10.000 1/10 1/1.000
von den am weitesten entfernten Galaxien dieser oder Kohlendioxid CO2 gruppieren können.
Aufnahme benötigte über 13 Milliarden Jahre, um zu Atome bestehen wiederum aus einem Atomkern Abb. 3: Vom Kristall zu den Elementarteilchen
uns zu gelangen. Wie groß das Universum tatsäch- und Elektronen, die diesen umgeben. Bei dieser (Quelle: DESY, verändert)
lich ist, wissen wir nicht: Licht aus noch größeren Betrachtung stellt man sich fast automatisch die
Entfernungen, das zu uns länger als 13,8 Milliarden Frage: Geht diese Unterstruktur immer weiter, je
Jahre (Alter des Universums) benötigen würde, hat genauer man nachsieht? Oder findet man irgend- Warum bewegen sich die Planeten um die Sonne wirkt. Diese Kraft hängt von den Massen m 1 und m 2
uns noch nicht erreicht. Die Grenzen des Univer- wann sogenannte Elementarteilchen, also unteilbare und fliegen nicht einfach davon? Warum bilden sich der Körper und ihrem Abstand r zueinander ab und
sums können wir daher noch lange nicht sehen, wir Objekte ohne Unterstruktur, aus denen unsere Welt Atome aus Atomkernen und Elektronen? Warum hat entlang des Verbindungsvektors r⃗ der Massen
wissen nicht einmal, ob es überhaupt welche besitzt. schlussendlich besteht? Was bindet diese Elementar­ können mehrere Protonen mit Neutronen Atom­ den Wert:
teilchen dann aneinander und wie? Diesen Fragen kerne bilden, obwohl die Protonen sich aufgrund (Newtonsches
wird in den folgenden Kapiteln nachgegangen. der gleichen elektrischen Ladungen gegenseitig Gravitationsgesetz)
abstoßen? Wie bilden Quarks Protonen und
Experimentell hat man mit „Supermikroskopen“, den Neutronen? Einzig verantwortlich für all diese ist dabei die Gravitations­
Teilchenbeschleunigern2, herausgefunden, dass ein Phänomene sind die vier fundamentalen Wechsel- konstante. Das Minuszeichen bedeutet, dass der
Elektron viel kleiner als 10-18 m sein muss, und damit wirkungen der Natur: Die gravitative Wechselwir- Kraftvektor auf den jeweils anderen
mehr als tausendmal kleiner als ein Proton (ca. 10-15 kung, die elektromagnetische Wechselwirkung, Körper immer entgegengesetzt zum Richtungsvektor
m). Würde man ein Wasserstoffatom auf die Größe die starke Wechselwirkung und die schwache gerichtet ist, welcher zu diesem Körper zeigt.
der Erde aufblähen, so wäre ein Proton etwa so Wechselwirkung. Mithilfe des Basiskonzepts der Die Gravitationskraft ist also stets anziehend und
groß wie ein Fußballstadion und ein Elektron sicher fundamentalen Wechselwirkungen können dabei niemals abstoßend.
kleiner als ein Tennisball. Man ist sich daher heute nicht nur Kräfte zwischen Teilchen, sondern auch
sehr sicher, dass das Elektron ein Elementarteilchen Entstehung, Umwandlung und Vernichtung von Das Gravitationsgesetz war allerdings nicht die
ist, d. h. es besitzt keine Substruktur und ist nicht Teilchen beschrieben werden. Alle bekannten einzige Erkenntnis von Sir Isaac Newton. In seiner
teilbar. Atomkerne sind keine Elementarteilchen, Vorgänge in der Natur lassen sich auf diese vier berühmten Schrift „Philosophiae naturalis Principia
denn sie bestehen im Allgemeinen aus mehreren Wechselwirkungen zurückführen, die in den mathematica“ veröffentlichte Newton im Jahre
Protonen und Neutronen. Und auch Protonen folgenden Abschnitten genauer vorgestellt werden. 1687 die drei wichtigen Axiome der Mechanik: das
und Neutronen sind keine Elementarteilchen, denn Trägheitsgesetz, das Kraftgesetz und das Wechsel-
sie sind aus weiteren Teilchen zusammengesetzt, 2.2.1 Himmelsmechanik und gravitative wirkungsgesetz. Das Wechselwirkungsgesetz besagt
Abb. 2: Hubble Deep Field Aufnahme von tausenden sogenannten Quarks. Die Quarks im Proton und Wechselwirkung wörtlich übersetzt:
Galaxien Neutron sind nur vier- bis zehnmal schwerer
(Quelle: NASA/ESA/S. Beckwith (STScI) and the HUDF Team) als Elektronen und genauso klein. Quarks sind Warum bewegen sich die Planeten um die Sonne, Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung entgegen­
Elementarteilchen, d. h. sie besitzen wie das und warum bleiben die Luftmoleküle in der gesetzt gleich, oder die Wirkungen zweier Körper
Elektron keine Substruktur und sind nicht teilbar. Atmosphäre um die Erde und fliegen nicht einfach aufeinander sind stets gleich und von entgegen­
davon? Verantwortlich dafür ist die anziehende gesetzter Richtung.
Gravitationskraft F G, die zwischen der Sonne und
den Planeten oder der Erde und den Molekülen

1 Eine 3D Animation der Aufnahme findet man auf http://hubblesite.org/video/445/news_release/2004-28 .


12 2 Siehe auch Band 2 „Forschungsmethoden“ dieser Heftreihe. 13
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Das bedeutet beispielsweise, dass zum einen die aus der Kraft herleiten. Die potenzielle Energie ist 2.2.2 Atome und elektromagnetische a)
Abstand r / nm
Sonne auf die Erde eine anziehende Kraft ausübt also aus mathematischer Sicht die Stammfunktion Wechselwirkung
0
und zum anderen die Erde auf die Sonne eine der Kraft. Das Minuszeichen berücksichtigt, dass 0,05 0,1 0,15 0,2
betragsmäßig gleich große sogenannte Gegenkraft die für eine Erhöhung der potenziellen Energie Was bindet in Atomen die Elektronen an den –10
ausübt. Zwischen Erde und Sonne besteht somit nötige Arbeit mit Hilfe einer äußeren Krafteinwir- Atomkern? Die elektrische Ladung eines Teilchens

Epot (r) / eV
eine gravitative Wechselwirkung. kung verrichtet werden muss, die entgegengesetzt ergibt sich allgemein aus dem Produkt Q = Z · e. –20
zur jeweils betrachteten Kraft zeigt. Dabei ist e die Elementarladung4 und Z die
–30
Da die Kraft nur vom Abstand der Körper abhängt, elektrische Ladungszahl. Die elektrische Ladungs-
kann man für jeden Abstand eine potenzielle Als quantitatives Beispiel kann die potenzielle zahl ist eine charakteristische Teilcheneigenschaft. –40
Energie definieren. Mathematisch lässt sich dies wie Energie eines einzelnen Sauerstoff-Moleküls der Bei zwei elektrisch geladenen Teilchen entscheiden
folgt ausdrücken: Legt man fest, dass die potenzielle Luft im Gravitationsfeld der Erde betrachtet werden. die Vorzeichen ihrer elektrischen Ladungen –50
Energie zweier massebehafteter Objekte bei Soll der Abstand des Moleküls zur Erde vergrößert Q 1 = Z 1 · e und Q 2 = Z 2 · e darüber, ob sie sich
unendlicher Entfernung voneinander gleich Null ist, werden, muss Arbeit verrichtet werden, was zu einer aufgrund ihrer elektrischen Ladungen anziehen
b)
so nimmt bei Annäherung der beiden Objekte Zunahme der potenziellen Energie führt. Wie sich oder abstoßen. Ein Atomkern besteht aus elektrisch 50
ihre potenzielle Energie umgekehrt proportional die potenzielle Energie des Systems aus Sauerstoff- positiv geladenen Protonen (p) und elektrisch
zum Abstand r wie folgt ab: molekül und Erde in Abhängigkeit von deren ungeladenen Neutronen (n). Jedes Proton besitzt 40
Abstand verändert, ist in Abb. 4 dargestellt3 . die elektrische Ladungszahl Z p = +1. Die elektrische
30

Epot (r) / eV
Ladungszahl des Atomkerns entspricht also der
Anzahl der Protonen im Kern und wird auch als 20
Die Gravitationskraft lässt sich aus dieser potenziel- r1 r2 Abstand r / km (elektrische) Kernladungszahl Z Kern bezeichnet5 .
len Energie mithilfe einer Ableitung nach r ermitteln. 0 Für die elektrische Ladung eines Atomkerns gilt 10
10000 20000 30000 40000
demnach Q Kern = Z Kern · e. Jedes Elektron in der
–5 0
Werden zwei Objekte mit einem Abstand r 1 um eine Atomhülle besitzt die elektrische Ladungszahl
Epot (r) / eV

0,05 0,1 0,15 0,2


kleine Strecke ∆r = r 2- r 1 auf den Abstand r 2 –10 ∆Epot Ze- = –1 und somit eine negative elektrische Ladung Abstand r / nm
voneinander entfernt, muss gegen die Gravitations- von Qe- = –1 · e. Teilchen, deren elektrische
kraft FG die Arbeit –15 Ladungszahlen unterschiedliche Vorzeichen Abb. 5: Abhängigkeit der potenziellen Energie vom
besitzen, wie der Atomkern und Elektronen, ziehen Abstand zwischen zwei Teilchen, die jeweils eine
–20
sich gegenseitig an. Teilchen mit gleichem Vor­ elektrische Ladungszahl mit Betrag |Z|=1 besitzen:
–25 zeichen, wie etwa zwei Elektronen, stoßen sich a) bei unterschiedlichen Vorzeichen der elektrischen
verrichtet werden. An jedem Ort lässt sich also über gegenseitig ab. Soll der Abstand zwischen zwei Ladungszahlen und b) bei gleichen Vorzeichen
die Umformung die Kraft aus der Abb. 4: Abhängigkeit der potenziellen Energie elektrisch geladenen Teilchen mit den elektrischen der elektrischen Ladungszahlen. Die Festlegung des
potenziellen Energie über eine Ableitung ermitteln: eines Sauerstoffmoleküls vom Abstand zum Ladungszahlen Z 1 und Z 2 vergrößert werden, so Nullpunkts erfolgte für unendlichen Abstand.
Erdmittelpunkt, wenn man den Nullpunkt der hat dies wie bei der gravitativen Wechselwirkung
potenziellen Energie in einen unendlich weit eine Änderung der entsprechenden potenziellen
entfernten Punkt legt. Energie zur Folge. Dabei müssen zwei Fälle Für die potenzielle Energie zweier elektrisch
Diese Beziehung gilt nicht nur für die gravitative unterschieden werden: Besitzen beide Teilchen geladener Teilchen im Abstand r voneinander findet
Wechselwirkung, sondern für alle Kräfte, die im Ladungszahlen mit verschiedenen Vorzeichen, so man genau wie bei der gravitativen Wechselwirkung,
Folgenden diskutiert werden. Umgekehrt lässt vergrößert sich die potenzielle Energie der beiden dass sich ihre potenzielle Energie umgekehrt
sich die Differenz der potenziellen Energien bei Teilchen bei wachsendem Abstand (siehe Abb. 5a). proportional zum Abstand r wie folgt verändert:
verschiedenen Abständen über das Integral Sind die Vorzeichen der Ladungszahlen hingegen
gleich, so verringert sich ihre potenzielle Energie
(siehe Abb. 5b).

3 Sauerstoffmoleküle, die sich in der Erdatmosphäre im Abstand r = 6400 km vom Erdmittelpunkt befinden, müssten eine Differenz in der
potenziellen Energie von ΔEpot = 20 eV überwinden, um sich vollständig von der Erde zu lösen. Glücklicherweise besitzen sie selbst an heißen
2 4 Der Begriff „Elementarladung“ ist aus heutiger Sicht unglücklich gewählt, da mittlerweile Elementarteilchen entdeckt wurden (die Quarks),
Tagen nur eine mittlere kinetische Energie von Ekin = 3 kB T = 0,04 eV, mit der sie nur in einige wenige km Höhe oberhalb der Erdoberfläche
gelangen, aber die Erdatmosphäre nicht verlassen können. Die Boltzmannkonstante kB = 86 μeV K
stellt dabei den Zusammenhang zwischen deren elektrische Ladung betragsmäßig kleiner sind als e.
14 Temperatur und kinetischer Energie her. 5 Die elektrische Kernladungszahl ZKern wird häufig einfach nur mit Z bezeichnet. 15
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INFOKASTEN: elektrischen Ladungszahlen Z 1 und Z 2 ein entgegen- tischen Kopplungsparameters und des Kopplungs­
KOPPLUNGSPARAMETER gesetztes Vorzeichen, so ist F C negativ und die parameters der gravitativen Wechselwirkung
Coulombkraft anziehend. Besitzen die elektrischen zwischen zwei Protonen immer noch
Ladungszahlen Z 1 und Z 2 hingegen das gleiche so groß, dass die gravitative Wechselwirkung für die
Vorzeichen, so ist F C positiv und die Coulombkraft Teilchenphysik bei den heute erreichbaren Energien
mit (elektrische Feldkonstante). abstoßend. völlig vernachlässigbar ist.
Zu jeder heute bekannten fundamentalen
Wechselwirkung gehört ein universeller Der Ausdruck auf der rechten Seite wird im Dabei gilt wie bei der gravitativen Wechselwir- 2.2.3 Atomkerne und starke
Kopplungsparameter α i. Dieser Parameter Folgenden dabei helfen, zunächst die gravitative kung, entsprechend dem Newtonschen Wechsel- Wechselwirkung
ist charakteristisch für die jeweilige Wechselwirkung und die elektromagnetische wirkungsgesetz, dass die Kraft des ersten Teilchens
Wechselwirkung und ein Maß für ihre Wechselwirkung, später sogar alle vier fundamenta- auf das zweite Teilchen entgegengesetzt gleich Der Atomkern eines Sauerstoffatoms (16O) besteht
„Stärke“, also z. B. dafür, wie groß die Kraft len Wechselwirkungen zu vergleichen. Dazu wurde der Kraft des zweiten Teilchens auf das erste aus acht Protonen und acht Neutronen. Aufgrund
auf die Teilchen ist, die der Wechselwir­ als Vorfaktor das Produkt Teilchen ist. Die beiden Teilchen stehen also der elektromagnetischen Wechselwirkung stoßen
kung unterliegen. Der Kopplungsparameter eingeführt (mit dem Planckschen Wirkungsquantum miteinander in Wechselwirkung. sich die elektrisch positiv geladenen Protonen
wird auch „Kopplungskonstante“ genannt. und der Lichtgeschwin­ gegenseitig ab. Warum ist der Atomkern des
Im vorliegenden Material wird der Begriff digkeit . Da das Produkt ħ · c Die Coulombkraft F C besitzt eine ähnliche Struktur Sauerstoffatoms dennoch stabil und zerfällt nicht
Kopplungsparameter bevorzugt, weil α i bei 1
multipliziert mit r bereits die richtige Einheit (MeV) wie die Gravitationskraft F G : Der Betrag beider in einzelne Protonen und Neutronen? Eine ähnliche
allen fundamentalen Wechselwirkungen für die potenzielle Energie liefert, muss die neu Kräfte nimmt mit zunehmendem Abstand zwischen Frage stellt sich hinsichtlich der Nukleonen, d. h.
leicht (logarithmisch) vom Abstand der definierte Größe den betrachteten Körpern mit dem Quadrat des Protonen und Neutronen: Ein Proton beispielsweise
wechselwirkenden Teilchen abhängt und eine einfache Zahl ohne Einheit sein6 . Man nennt Abstands ab. Um die Stärke der elektromagne­ besteht aus zwei elektrisch positiv geladenen
somit nicht wirklich konstant ist. sie den elektromagnetischen Kopplungsparameter. tischen Wechselwirkung und der gravitativen Up-Quarks u mit Z u = + 32 und einem elektrisch
Sie ist eine der wichtigsten und am genauesten Wechselwirkung, z. B. im Wasserstoffatom, verglei- negativ geladenen Down-Quark d mit Z d = – 31 .
Jeder Kopplungsparameter ist über die gemessenen Zahlen in unserem Universum, und chen zu können, muss man analog zu den Ladungs- Die beiden Up-Quarks stoßen sich aufgrund der
Beziehung mit einer sogenannten es haben sich schon sehr viele Forscher (bisher zahlen auch das Produkt der Massen m p · m e- in elektromagnetischen Wechselwirkung ab. Warum
Kopplungsstärke g i verknüpft, die ebenfalls vergeblich) ihre Köpfe zerbrochen, warum sie ein Produkt einheitenloser „Massenzahlen“ und ist das Proton dennoch stabil und zerfällt nicht in
ein Maß für die „Stärke“ der jeweiligen gerade diesen Wert hat. einheitenbehafteter „Elementarmassen“ umformen. einzelne Quarks? Die Anziehung sowohl zwischen
Wechselwirkung ist. Im Falle der elektro­ Da es im Gegensatz zur Elementarladung e bei der Protonen und Neutronen als auch zwischen Quarks
magnetischen Wechselwirkung ist die Der Betrag der anziehenden bzw. abstoßenden gravitativen Wechselwirkung jedoch keine „Elemen- aufgrund der gravitativen Wechselwirkung ist zu
Kopplungsstärke g em gegeben durch Coulombkraft zwischen zwei Teilchen hängt von tarmasse“ für die Definition einer „Massenzahl“ gibt, schwach, um die Protonen und Neutronen im
mit e: Elementarladung. ihren elektrischen Ladungszahlen Z 1 und Z 2 und setzt man für jedes System der Einfachheit halber Atomkern bzw. die Quarks im Proton aneinander zu
dem Abstand r zwischen ihnen ab und hat entlang die Massenzahl gleich 1 und erhält so z. B. für die binden. Der Grund dafür, dass bestimmte Atom­
des Verbindungsvektors ⃗r der elektrischen Gravitationskraft im Wasserstoffatom kerne oder Protonen und Neutronen stabil sind, ist
Ladungen den Wert: die sogenannte starke Wechselwirkung.

mit dem Kopplungsparameter der gravitativen Wech-


(Coulombsches Gesetz). selwirkung zwischen Proton (p) und Elektron (e–)
. Im Wasserstoffatom ist
Genau wie bei der gravitativen Wechselwirkung die elektromagnetische Anziehung zwischen Proton
erhält man die vektorielle Kraft auf und Elektron also mal stärker als die
das jeweils andere Teilchen über den Richtungs­ Anziehung durch die gravitative Wechselwirkung.
vektor . Die Coulombkraft in Richtung des Dieses Verhältnis hängt von den Massen der
Verbindungsvektors der beiden Teilchen ergibt sich wechselwirkenden Teilchen ab, weil der Kopplungs-
aus der potenziellen Energie über die Ableitung parameter α grav nicht eindeutig definierbar ist. So
(siehe Kapitel 2.2.1). Besitzen die ist zum Beispiel das Verhältnis des elektromagne­

16 6 α
em ist energie- bzw. abstandsabhängig, da die Elementarladung eine energieabhängige Größe ist. 17
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Im vorausgegangenen Kapitel wurde erläutert, dass Aufgrund der starken Ladung bewirkt die starke Für die Wechselwirkung zwischen einem Quark
die elektromagnetische Wechselwirkung nur Wechselwirkung sowohl eine Anziehung der Quarks und einem Anti-Quark, deren starke Ladungen sich
zwischen Teilchen wirkt, die eine elektrische Ladung untereinander als auch eine Anziehung der Quarks Quark zu Null addieren, ergibt sich C⃗1⋅C⃗2 = – 43 und
besitzen. Entsprechend muss es eine Teilcheneigen- verschiedener Nukleonen. Analog zur elektromagne- damit erhält man, genau wie bei entgegengesetzt
schaft geben, die dafür verantwortlich ist, dass tischen und zur gravitativen Wechselwirkung gibt elektrisch geladenen Teilchen, aus der potenziellen
bestimmte Teilchen (u. a. Quarks) der starken es auch für die starke Wechselwirkung einen Kopp- Energie
Wechselwirkung unterliegen. Diese Eigenschaft ist lungsparameter (α s), der ein Maß dafür ist, wie stark
ebenfalls eine Ladung, die sogenannte starke die Wechselwirkung der Quarks untereinander ist.
Ladung oder auch Farbladung C⃗. Der Begriff Farbe Sie liegt – je nach Abstand der Quarks – bei Werten
hat dabei nichts mit optischen Farben zu tun, liefert im Bereich Nukleon Nukleon über die Ableitung eine anziehende
aber, wie später noch deutlich werden wird, hilf- (siehe Abb. 6). Da der Kopplungsparameter α s starke Kraft10:
reiche Vorstellungen um das Konzept der starken größer als der elektromagnetische Kopplungspara- Abb. 7: Zwei Nukleonen mit jeweils drei Quarks im
Ladung und ihren vektoriellen Charakter zu erfassen. meter ist, überwiegt die Anziehung Bild der „kovalenten“ Quarkpaarbindung
der Quarks aufgrund der starken Wechselwirkung In Abb. 8 ist die potenzielle Energie eines Quarks
gegenüber der Abstoßung aufgrund der elektro­ Genau wie der tiefere Grund der Molekülbindung und eines Anti-Quarks aufgrund der starken
0,4 magnetischen Wechselwirkung. ist, dass in Atomen durch die Coulombkraft gebun- Wechselwirkung in Abhängigkeit von ihrem Abstand
Nukleonen-
radius

dene Elektronen vorhanden sind, ist der Grund abgebildet. Bei kleinem Abstand weist sie genau
0,2 Warum sind nun bestimmte Atomkerne wie etwa 16O der Bindung von Atomkernen das Vorhandensein wie bei der gravitativen und der elektromagnetischen
stabil? In einem Wassermolekül H2O verbinden sich von Quarks, welche der starken Wechselwirkung Wechselwirkung eine r1 -Abhängigkeit auf.
10 –18 10 –17 10 –16 10 –15 Sauerstoff- und Wasserstoffatome miteinander. unterliegen.
Abstand/m Wir wissen, dass die Atome eine Unterstruktur
haben und aus elektrisch geladenen Teilchen Die durch diese Wechselwirkung hervorgerufenen 0,5
Abb. 6: Der starke Kopplungsparameter α s hängt bestehen – auch wenn jedes Atom nach außen hin Kräfte können nicht nur jeweils Nukleonen bzw.
0
vom Abstand der miteinander wechselwirkenden neutral erscheint. Wenn nun die Atome einander Quarks aneinander binden, sondern auch Quarks 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5

Epot (r) / GeV


Quarks ab. Die Abbildung zeigt, dass die theo­re­ sehr nahe kommen, überlagern sich ihre Elektronen- und ihre Anti-Teilchen8, die sogenannten Anti- –0,5 Abstand r / fm
tische Berechnung (rote Kurve) und die experi­men­ hüllen, und es kommt zur Elektronenpaarbindung, Quarks. Analog zur Gravitationskraft und zur
tellen Messwerte (schwarze Punkte) darin über- die eine Bindung zwischen den Atomen bewirkt. Coulombkraft beschreibt man die starke Kraft durch –1,0
einstimmen, dass α s bei Verkleinerung des Ähnliches passiert zwischen Nukleonen, die einen die potenzielle Energie von Quarks9. Mathematisch
Abstands kleiner wird. Bei Vergrößerung des stabilen Atomkern bilden. Hier besteht die Unter- findet man für die potenzielle Energie als Funktion –1,5
Abstands jenseits von 0,2 fm (gestrichelte Linie) struktur aus Quarks (Proton p (uud), Neutron des Abstands r:
–2,0
ist der Kopplungsparameter innerhalb der „Theorie n (udd)). Wie in Abb. 7 dargestellt, lässt sich die
der starken Wechselwirkung“ (Quanten-Chromo- Bindung zwischen den Nukleonen mit einem Bild Abb. 8: Potenzielle Energie eines Quarks und eines
Dynamik (QCD)) nicht mehr genau berechenbar. beschreiben, das analog zur Elektronenpaarbindung Dabei steht C⃗1⋅C⃗2 symbolisch für das Skalarprodukt Anti-Quarks in Abhängigkeit ihres Abstandes:
Es wird jedoch angenommen, dass er etwa wie ist: Ähnlich wie elektrisch neutrale Atome sich zu der starken Ladungen, das in spezieller Weise nach Im Unterschied zur potenziellen Energie der
skizziert verläuft. Molekülen binden können, indem sie einige Regeln der Quantenmechanik ausgewertet werden gravita­tiven Wechselwirkung und der elektromag­
(Quelle: BESIII Collaboration, https://inspirehep.net/record/1240091/plots , Elektronen „kovalent“ gemeinsam besitzen oder muss. Mit k = 930 MeVfm
tritt neben α s ein zweiter netischen Wechselwirkung erreicht sie keinen
verändert) austauschen, kann man die Bindung von farbneu­ charakteristischer Parameter für die starke Wechsel- maximalen Wert, sondern steigt für große Abstände
tralen (also nach außen hin nicht stark geladenen) wirkung auf, der gleich diskutiert wird. immer weiter an.
Protonen und Neutronen zu Atomkernen dadurch
verstehen, dass auch sie kurzzeitig gemeinsame
Teilchen besitzen oder austauschen, nämlich
Quarks7. Diese Quarkpaarbindung ist bei bestimm-
ten Abständen stärker als die elektrische Abstoßung
der Protonen im Kern.
8 Was ein Anti-Teilchen ist, wird in Kapitel 2.3.4 genauer diskutieren.
9 D
 ie angegebenen Gleichungen für die potenzielle Energie und die starke Kraft gelten prinzipiell nur für Teilchen,
die eine Farbladung besitzen. Der lineare Term k · r in der Gleichung der potenziellen Energie (und damit der Summand k im Kraftgesetz) ist
an die Existenz von Farbladungen gekoppelt, bleibt also im Falle von farbneutralen Teilchen nicht als farbladungsunabhängiger Term stehen.
10 Bei dieser Ableitung wurde α (r) als konstant angenommen, da es sich im Vergleich zu den anderen r-Abhängigkeiten der potenziellen
s
Energie wesentlich langsamer ändert. Wie man an sieht, vermindert sich α s (r) nur um einen Faktor 5
18 7 Siehe Fachliche Hinweise: Kovalente Quarkpaarbindung. bei einer Verringerung des Abstands um einen Faktor 200, also viel langsamer als proportional zu r. 19
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Das besondere Merkmal der starken Wechselwir- Diese Umwandlung nennt man β +-Umwandlung. INFOKASTEN:
kung ist jedoch, dass die Steigung der potenziellen Da die Masse von Neutronen etwas größer ist als β--UMWANDLUNG
Energie zweier Quarks für sich vergrößernde die von Protonen, wird für diesen Prozess zusätz­
Abstände nicht gegen Null strebt, wie es bei der liche Energie benötigt. Diese Energie stammt aus
potenziellen Energie, der gravitativen und der der gewonnenen Bindungsenergie des Heliums.
elektromagnetischen Wechselwirkung der Fall ist11 .
Stattdessen steigt die potenzielle Energie der Quarks Und woher kommt nun das Licht, also die Photo- Die schwache Wechselwirkung ermöglicht
ab r ≈ 0,2 fm linear an12, besitzt also eine konstante nen? Die Positronen, die bei den Kernfusionen auch den umgekehrten Prozess zur
Steigung. Die anziehende Kraft erreicht dort einen entstehen, treffen in der Sonne jeweils auf ein freies Kernfusion in der Sonne, die sogenannte
konstanten Wert von , Elektron und vernichten sich mit diesem in einem β--Umwandlung. Dabei wird ein Neutron
einen Betrag, mit dem man auf der Erde eine Masse Prozess, der Paarvernichtung oder Annihilation in ein Proton umgewandelt, wobei
von 15 t anheben könnte! genannt wird. Dabei entsteht ein neues Teilchen- ein Elektron und ein Anti-Neutrino –ν e
Abb. 9: Quarks lassen sich räumlich nicht beliebig paar15, nämlich zwei Photonen γ: entstehen:
Der Term k · r in der potenziellen Energie hat also weit voneinander trennen. Stattdessen entsteht Die schwache Wechselwirkung ist damit
zur Folge, dass bei zwei Teilchen, die sich aufgrund ein Paar aus einem Quark und einem Anti-Quark. Die Photonen und die Neutrinos verlassen schließ- auch für das Phänomen der Radioaktivität
der starken Kraft anziehen – im Gegensatz zur Diese Teilchen bilden mit den ursprünglichen lich die Sonne. Die Umwandlung von Protonen in verantwortlich.
elektrischen oder gravitativen Anziehung – ab einem Quarks wieder gebundene Zustände (die Farbge­ Neutronen findet sehr selten statt. Weil es in der
Abstand von etwa r = 1 fm für jede weiter Vergröße- bung der Quarks steht in keinem Zusammenhang Sonne jedoch eine riesige Anzahl von Protonen gibt,
rung ihres Abstands um ∆r immer die gleiche Arbeit mit deren Farbladung). entstehen seit über vier Milliarden Jahren ununter-
ΔW = k · ∆r verrichtet werden müsste. Die not­ (Quelle: GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung) brochen genügend Photonen, sodass Leben auf der Genauso wie die elektrische Ladung die Ursache
wendige Energie für eine vollständige Trennung Erde entstehen konnte und immer noch möglich ist. der elektromagnetischen Wechselwirkung und die
wäre also unendlich hoch, so dass es unmöglich starke Ladung die Ursache der starken Wechselwir-
ist, Quarks oder Anti-Quarks räumlich vollständig 2.2.4 Kernfusion und schwache Wechselwirkung Doch wie geschieht die Umwandlung kung ist, hat auch die schwache Wechselwirkung
voneinander zu isolieren. Einzelne (Anti-)Quarks eines Protons in ein Neutron? ihre Ursache in einer korrespondierenden Ladung.
treten somit nie auf! Würde man dennoch auf Das Leben auf der Erde wäre ohne das Licht, das Die elektromagnetische Wechselwirkung kann für Diese nennt man schwache Ladung. Die zugehörige
irgendeine Weise versuchen, Quarks voneinander die Sonne aussendet, nicht möglich. Warum aber diese Umwandlung nicht verantwortlich sein, schwache Ladungszahl wird mit I bezeichnet16 .
zu separieren, so genügt eine Arbeit von scheint die Sonne seit nunmehr über vier Milliarden weil sie nur zwischen elektrisch geladenen Teilchen Protonen, Neutronen, Positronen und Neutrinos
, um neue Jahren? Im Inneren der Sonne finden Kernfusionen wirkt, bei dem obigen Prozess jedoch auch ein besitzen alle eine schwache Ladung und können
Quark-Anti-Quark-Paare zu erzeugen13, die zusam- statt, bei denen jeweils vier Protonen zu einem elektrisch neutrales Elementarteilchen, das entsprechend an Prozessen der schwachen
men mit den separierten Quarks neue gebundene Heliumkern fusionieren, der aus zwei Protonen Elektron-Neutrino ν e, entsteht. Genauso wenig Wechselwirkung (hier der β +-Umwandlung)
Systeme bilden (Abb. 9). und zwei Neutronen besteht. Bei dieser Kernfusion kann die starke Wechselwirkung die Ursache für teilnehmen. Anhand seiner Masse, seiner elektri-
entsteht nicht nur das Licht (Photonen), sondern die Umwandlung eines Protons in ein Neutron sein, schen und der schwachen Ladungszahlen sowie
Dieses Phänomen nennt man Confinement (engl. auch weitere Teilchen. Dabei handelt es sich um denn es entstehen Elementarteilchen, die keine seiner Farbladungsvektoren lässt sich ein Teilchen
für Gefangenschaft). Das Confinement hat zur Positronen e +, die Anti-Teilchen der Elektronen starke Ladung besitzen (Positron e + und Elekt- eindeutig charakterisieren.
Folge, dass Teilchen mit Farbladung nur in gebun­ mit positiver elektrischer Ladung sowie um die ron-Neutrino ν e). Verantwortlich für die Umwand-
denen Systemen und niemals isoliert vorkommen. elektrisch neutralen „Partner“ der Elektronen, die lung muss also eine weitere fundamentale Wechsel- Analog zur elektromagnetischen Wechselwirkung
Bereits bei einer zusätzlichen Separation eines sogenannten Elektron-Neutrinos ν e. wirkung sein, die man schwache Wechselwirkung und zur gravitativen Wechselwirkung existiert
(Anti-)Quarks von ∆r = 0,7 fm über den typischen nennt. Sie wird u. a. deswegen „schwache Wech­ für die schwache Wechselwirkung ebenfalls ein
Bindungsabstand von r ≈ 0,3 - 1,3 fm hinaus Damit dieser Prozess stattfinden kann, müssen sich selwirkung“ genannt, weil die aufgrund dieser Kopplungsparameter (α w), der ein Maß für die
entstehen neue Quark-Anti-Quark-Paare14 . Die zwei Protonen in zwei Neutronen umwandeln: Wechselwirkung stattfindenden Prozesse im Stärke der Wechselwirkung ist. Dieser Kopplungs­
1
Reichweite der starken Wechselwirkung zwischen heutigen Universum vergleichsweise sehr selten parameter besitzt den Wert α w ≈ 30 und liegt
Quarks ist damit effektiv auf unter 1- 2 fm beschränkt. ablaufen. damit zwischen dem starken Kopplungsparameter

11 Wenn hier und im Folgenden von der potenziellen Energie einer Wechselwirkung gesprochen wird, ist dies eine sprachliche Vereinfachung.
Dabei ist wie gewohnt stets die potenzielle Energie von Teilchen gemeint, die dieser Wechselwirkung unterliegen. 15 Es kann kein einzelnes Photon entstehen, da dann je nach Bezugssystem der Energie- und/oder Impulserhaltungssatz verletzt wäre.
12 Genau genommen ist der Anstieg nicht exakt linear. Allerdings kann der 1 -abhängige Term ab diesem Abstand vernachlässigt werden. 16 Die schwache Ladung (auch: schwache Isospinladung) besitzt, wie die Farbladung, ebenfalls einen Vektorcharakter. Dabei hat die schwache
r
13 Weshalb genau diese Energie notwendig ist, wird in den Fachlichen Hinweisen: Massen von Quarks als Konstituenten in gebundenen Ladung eine ähnliche Struktur wie der Spin: Von ihren drei Komponenten (I (1), I (2), I (3)), ist quantenmechanisch nur eine festgelegt. Hierfür
Zuständen erläutert. wird üblicherweise die Komponente I (3) gewählt, die im Folgenden als schwache Ladungszahl I bezeichnet wird (siehe Fachliche Hinweise:
14 Derartige Prozesse finden permanent bei der Wechselwirkung der extrem energiereichen kosmischen Strahlung mit Teilchen der Erdatmo- Schwache Ladung). Für das Produkt zweier schwacher Ladungen wird kurz I 1 · I 2 geschrieben, obwohl dieses Produkt eigentlich quantenme-
20 sphäre sowie bei Experimenten an Teilchenbeschleunigern wie dem LHC am CERN statt. chanisch als Skalarprodukt I⃗1⋅I⃗2 ausgewertet werden muss (siehe Fachliche Hinweise: Ladungsprodukt). 21
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α s (0,2 fm) ≈ 21 ,… , α s (0,001 fm) ≈ 101 und dem Dieser Zusammenhang findet jedoch kaum tische Längenskala von 0,2 fm, unterhalb und
1
elektromagnetischen Kopplungsparameter α em ≈ 137 . Verwendung, da sich aufgrund der kurzen Reichwei- oberhalb derer sie sich unterschiedlich als Funktion
0,1
te der schwachen Wechselwirkung keine gebunde- 0,05 0,1 0,15 0,2 0,25 des Abstands verhält.
Für die potenzielle Energie von schwach geladenen nen Zustände bilden. Dies ist eine Besonderheit, 0

Epot (r) / GeV


Abstand r / fm
Teilchen als Funktion ihres Abstands r gilt ein die nur die schwache Wechselwirkung besitzt. –0,1 Der Kurvenverlauf der potenziellen Energie der
ähnliches Gesetz wie bei den anderen Wechsel­ schwachen Wechselwirkung ähnelt für Abstände
–0,2
wirkungen: In Abb. 11 sind noch einmal die potenziellen Energien unterhalb von 0,002 fm ebenfalls dem Verlauf der
der elektromagnetischen, der starken und der –0,3 potenziellen Energie der elektromagnetischen
schwachen Wechselwirkung als Funktion des –0,4
Wechselwirkung mit der typischen 1r -Abhängigkeit
Aufgrund des exponentiellen Faktors mit dem Abstands der wechselwirkenden Teilchen mit zwei (unten). Allerdings strebt die Kurve für sich
Reichweiteparameter λ w = 0,002 fm, dessen verschiedenen Skalen abgebildet. Diese Abbildung –0,5 vergrößernde Abstände viel schneller gegen Null
Ursprung später noch geklärt wird, strebt die lässt sowohl einen Vergleich des Betrages der (oben). Dies ist durch den exponentiellen Term in
potenzielle Energie für sich vergrößernde Abstände potenziellen Energien der verschiedenen Wechsel- der potenziellen Energie der schwachen Wechsel­
2,5
sehr schnell gegen Null (siehe Abb. 10). wirkungen als auch einen Vergleich des Verhaltens 0,002 0,004 0,006 0,008 0,01 wirkung begründet. Die schwache Wechselwirkung
der Funktionen der potenziellen Energie zu. So 0 besitzt also ebenfalls eine charakteristische

Epot (r) / GeV


entsteht der Verlauf der potenziellen Energie der Abstand r / fm Längen­skala, die man als endliche Reichweite
–2,5
0,002 0,004 0,006 0,008 elektromagnetischen Wechselwirkung aus einer λ w = 0,002 fm bezeichnet.
–5
0 Funktion, die ~ 1r als einzige Abhängigkeit vom
Abstand r / fm
Abstand r besitzt. Wie ein Vergleich der linken und –7,5 2.2.5 Kräfte und Wechselwirkungen
rechten Darstellung in Abb. 11 zeigt, ändert sich
Epot (r) / GeV

–0,5 –10
die Kurvenform daher nicht, wenn man die Achsen Nachdem die vier fundamentalen Wechselwir­
jeweils mit demselben Faktor umgekehrt skaliert –12,5 kungen im Detail erläutert wurden, werden im
–1,0
(in Abb. 11 wurde unten im Vergleich zu oben die Folgenden die zugrundeliegenden Kraftgesetze,
elektromagnetisch
r-Achsenskala durch 25 geteilt und die E-Achsenskala stark die Reichweiten und Kopplungsparameter mit­
–1,5 mit 25 multipliziert). Die elektromagnetische schwach einander verglichen.
Wechselwirkung und damit auch die gravitative
–2,0 Wechselwirkung sehen also bei allen Abständen Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede aller
gleich aus. Man sagt, sie besitzen keine charakteris­ Abb. 11: Potenzielle Energien als Funktion des Wechselwirkungen erkennt man, wenn man die
Abb. 10: Potenzielle Energie zweier schwach tische Längenskala17 und haben unendliche Abstands der wechselwirkenden Teilchen für zwei Kraftgesetze miteinander vergleicht: Bei allen vier
wechselwirkender Teilchen mit der schwachen Reichweite. um den Faktor 25 unterschiedliche Skalen. Für die Kraftgesetzen ist der Betrag der Kraft zwischen
Ladung | I | = 21 in Abhängigkeit ihres Abstandes. potenziellen Energien der elektromagnetischen und den miteinander wechselwirkenden Teilchen im
Die Festlegung des Nullpunkts der potenziellen Für kleine Abstände (unten) zeigt die Kurve der der schwachen Wechselwirkung wurden die Kurven Falle kleiner Abstände (r < 0,001 fm) stets umge-
Energie erfolgte für unendlichen Abstand. potenziellen Energie der starken Wechselwirkung für die Wechselwirkung zwischen einem Elektron kehrt proportional zum Quadrat des Abstandes
genau wie die der elektromagnetischen Wechselwir- und einem Positron berechnet, für die potentielle (siehe Tabelle 1). Dies ist, wie in Kapitel 2.4.1 noch
Zwischen Teilchen, deren Abstand groß im Vergleich kung eine 1r -Abhängigkeit, da dort der lineare Term Energie der starken Wechselwirkung für ein Quark ausführlicher diskutiert wird, darauf zurückzuführen,
zu 0,002 fm ist, wirkt die schwache Wechsel- k · r noch sehr klein ist. Bei größeren Abständen und ein Anti-Quark. dass unser Universum drei-dimensional ist: Die
wirkung daher praktisch nicht. Über die Ableitung hat sie einen anderen Verlauf. Die Kurve nähert sich Feldlinien verteilen sich mit wachsendem Abstand
lässt sich ein Ausdruck für die nicht der horizontalen Achse an, sondern steigt über eine gemäß 4πr 2 wachsende Kugeloberfläche,
schwache Kraft angeben: wegen des nun dominierenden linearen Terms ab wodurch die Feldliniendichte und somit auch die
1
r ≈ 0,2 fm mit konstanter Steigung immer weiter an. Kraft proportional zu r 2 abnimmt.
Deshalb sieht sie nicht bei allen Abständen gleich
aus, wie der Vergleich von unterer und oberer
Darstellung zeigt. Man sagt, sie hat eine charakteris-

17 Eine charakteristische Längenskala λ einer Funktion der Ortes r liegt z. B. dann vor, wenn die Funktion explizit einen Parameter mit der Dimen-
sion „Länge“ besitzt, wie z. B. die Wellenlänge bei einer Sinusfunktion sin 2πr oder den Längenparameter im Exponenten einer Exponential-
λ
funktion e- λ . Sie bewirkt bei Abständen von r = λ eine besonders prägnante Formänderung. Auch wenn die Funktion aus einer Summe zweier
r

Terme unterschiedlicher r-Abhängigkeit besteht, die nur bei einem bestimmten Wert r = λ die gleiche Größenordnung haben und sonst jeweils
22 der eine oder der andere stark überwiegt, ergibt sich bei dieser charakteristischen Skala eine besonders deutliche Formänderung. 23
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WECHSEL­ KRAFTGESETZ REICH­ KOPPLUNGS- ist, ergeben in einer solchen Auftragung Geraden Universum zusätzliche, nur winzig ausgedehnte
WIRKUNG FÜR r < 0,001 fm WEITE PARAMETER α 18 mit festgelegter negativer Steigung. Raumdimensionen, in die nur die Feldlinien der
gravitativen Wechselwirkung eindringen können.
gravitativ unendlich Man erkennt, dass alle Kraftgesetze für kleine Unterhalb der maximalen Ausdehnung der
Abstände genau diese Steigung besitzen. Für die zusätzlichen Dimensionen würde die Gravitations-
elektro­ Gravitationskraft und die Coulombkraft gilt die kraft bei n zusätzlichen Dimensionen einer
unendlich 1 1
magnetisch r 2 -Abhängigkeit auch für beliebig große Abstände r 2+n -Abhängigkeit folgen, da sich die Feldlinien viel
(r → ∞), was man als unendliche Reichweite schneller in diese weiteren Dimensionen verteilen
stark bezeichnet. Die Kraft der starken Wechselwirkung könnten. In Abb. 12 ist ein willkürliches Beispiel
bleibt ab einem Abstand von etwa 0,2 fm jedoch für vier zusätzliche Dimensionen mit Ausdehnung
ungefähr konstant, was bei einer versuchten von 10 fm eingezeichnet, das die Gravitationskraft
schwach
räumlichen Trennung von Quark und Anti-Quark so modifizieren würde, dass sie bei Abständen
Tabelle 1: Die Kraftgesetze für sehr kleine Abstände, die zugehörigen Reichweiten sowie die Kopplungs­ über diesen Abstand hinaus rasch zur Bildung neuer von ca. 10-10 fm, ein Stück außerhalb des linken
parameter der vier fundamentalen Wechselwirkungen. Die gravitativen Kopplungsparameter Quark–Anti-Quark-Paare führt (Confinement). Sie Bildrandes, ähnlich stark wäre wie die anderen
gelten für Massen zwischen Elektron- und Protonmasse, die starken für Abstände bis zu ~ 0,001 fm. besitzt daher effektiv eine begrenzte Reichweite von Kräfte. Eine interessante Spekulation, die z. B. in so
einigen fm. Die schwache Kraft strebt bereits bei genannten String-Theorien verfolgt wird!
subnuklearen Distanzen mit wachsendem Abstand
Wie man Tabelle 1 entnehmen kann, unter- exponentiell gegen Null und besitzt daher eine noch Alle aus dem Alltag bekannten Kräfte – und damit
scheiden sich die Kräfte für sehr kleine Abstände viel kleinere endliche Reichweite von ca. 2 · 10-18 m. auch Phänomene – lassen sich auf die vier funda-
1010
(r < 0,001 fm) nur noch darin, wie groß die mentalen Wechselwirkungen zurückführen:
10 0 1
zugehörigen Kopplungsparameter sind und welche Die r 2 -Abhängigkeit der Gravitationskraft ist die gravitative, elektromagnetische, starke und
10 –10 Ladungen die wechselwirkenden Teilchen besitzen. experimentell allerdings nur für Abstände r > 50 µm schwache Wechselwirkung. In Tabelle 2 sind für
Kraft/N

Die Ausnahme bildet die gravitative Wechselwir- überprüft. Möglicherweise gibt es in unserem jede Wechselwirkungen einige Beispiele aufgelistet.
10 –20 kung, für die man bisher keine Größe definieren
10 –30 kann, die der Ladung entspricht und die im
FUNDAMENTALE BEISPIELE FÜR KRÄFTE UND
Gegensatz zu den anderen Kräften immer anziehend
10 –40 WECHSELWIRKUNG PHÄNOMENE AUS ALLTAG UND NATUR
ist. Dies ist in der Tabelle dadurch symbolisiert, dass
10 –4 10 –3 10 –2 10 –1 10 0 10 1 10 2 10 3 in dem Zähler des Gravitationsgesetzes „-1“ statt gravitative Wechselwirkung Schwerkraft, Hangabtriebskraft, Planetenbahnen, Luftdruck,
Abstand/fm eines Produktes zweier Ladungen geschrieben steht. Auftrieb
Die Massen der wechselwirkenden Teilchen bzw. elektromagnetische Reibungskraft, Muskelkraft, Motorkraft, Molekülbindungskraft,
Gravitationskraft starke Kraft Körper wurden, wie in Kapitel 2.2.1 beschrieben, Wechselwirkung Adhäsionskraft, Bremskraft, elektrischer Strom, Radiowellen,
Gravitationskraft für (zwischen Quarks)
im Kopplungsparameter α grav berücksichtigt. Ausrichten einer Kompassnadel, elastischer Stoß zweier Körper,
4 zusätzliche Raum- starke Kraft
dimensionen ab 10 fm (zwischen Nukleonen) Explosion von Dynamit, optische Phänomene, gebundene
schwache Kraft elektromagnetische In Abb. 12 sind alle bisher diskutierten Kräfte als Zustände aus Protonen und Elektronen (Atome), Gasdruck,
Kraft Funktion des Abstands der wechselwirkenden Umwandlung eines Elektrons und eines Positrons in zwei
Teilchen abgebildet. Man beachte, dass das Bild so Photonen (Paarvernichtung)
Abb. 12: Kräfte als Funktion des Abstands der gezeichnet ist, dass sich zwischen jedem Teilstrich starke Wechselwirkung Bindung von Quarks in Protonen und Neutronen, Kernkraft (Kraft
wechselwirkenden Teilchen. Für die elektromagneti­ auf den Achsen der zugehörige Wert um einen zwischen Protonen und Neutronen), Radioaktiver α-Zerfall,
sche Kraft, die schwache Kraft und die Gravitations­ Faktor 10 ändert (doppelt logarithmische Skalie- Kernspaltung, Kernkraftwerke
kraft ist jeweils die Kraft zwischen einem Elektron rung). Für eine Vergrößerung des Abstands auf der
schwache Wechselwirkung Radioaktive β-Umwandlung, Umwandlung eines Protons in ein
und einem Positron dargestellt. Für die starke Kraft Abszisse um einen Teilstrich (also um einen Faktor
Neutron bei der Kernfusion in der Sonne und in einer Wasserstoff-
wurde als Beispiel die anziehende Kraft zwischen 10) verkleinert sich sowohl die elektromagnetische
bombe, Instabilität von Neutronen und Myonen
Quark und Anti-Quark bzw. die Kraft zwischen zwei Kraft als auch die Gravitationskraft auf der Ordinate
Nukleonen aufgrund der „kovalenten“ Quarkpaar­ um zwei Teilstriche (also um einen Faktor 10² = 100). Tabelle 2: Die vier fundamentalen Wechselwirkungen und die auf sie zurückführbaren Phänomene und
1
bindung gewählt. Kraftgesetze, bei denen die Kraft proportional zu r 2 Kräfte aus der Natur und dem Alltag

24 18 Siehe auch Fachliche Hinweise: Abstandsabhängigkeit der Kopplungsparameter. 25


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INFOKASTEN: 2.3 Ladungen als charakteristische Das grundlegende Basiskonzept des Standardmo-
VERGLEICH VON Teilcheneigenschaften dells ist das Ladungskonzept. Mit seiner Hilfe lassen
STÄRKEN In der Literatur finden sich häufig Tabellen,
sich Antworten auf die oben aufgeworfenen Fragen
welche die Stärken von starker, schwacher
Welche Eigenschaften charakterisieren ein Teilchen? finden. Die Ladungen des Standardmodells besitzen
und elektromagnetischer Kraft miteinander
Was unterscheidet ein Quark von einem Elektron u. a. die folgenden vier Merkmale:
ins Verhältnis setzen. In ihnen wird der Wert
und ein Elektron von einem Neutrino? Warum
für die starke Kraft meist als Referenz auf 1
befinden sich in der Atomhülle nur Elektronen, aber 1. Ladungen sind fundamentale und unverän­­-
gesetzt, der Wert für die schwache Kraft wird
keine Neutrinos? Woran liegt es, dass innerhalb der­liche Eigenschaften eines Teilchens,
dann beispielsweise mit 10-12 - 10-15 angege­
eines Protons oder Neutrons neben Quarks nicht die es zusammen mit seiner Masse eindeutig
ben. Solche Tabellen sind allerdings mit
auch Elektronen zu finden sind? Warum nehmen charak­terisieren und die angeben, welchen
äußerster Vorsicht zu betrachten. Wie aus
Es ist wichtig, zwischen den Stärken von nicht alle Teilchen an allen Wechselwirkungen teil? Wechsel­wirkungen es unterliegt.
Abb. 12 ersichtlich ist, besitzen diese drei
Wechselwirkungen und den Stärken von Die Antworten auf diese Fragen wurden in den
Kräfte – außer bei sehr kleinen Abständen –
Kräften zu unterscheiden, da diese nicht auf Jahren 1961-1973 gefunden und bilden seitdem die 2. Eine wichtige Entdeckung der Teilchenphysik
sehr unterschiedliche Abstandsabhängig­
dieselbe Weise quantitativ verglichen werden Grundlage der etwas bescheiden „Standardmodell ist, dass Ladungen nur bestimmte Werte
keiten, d. h. auch ihr Verhältnis ist sehr stark
können. Wechselwirkung ist ein Oberbegriff, der Teilchenphysik“ genannten Theorie über die annehmen können, die in gleichmäßigen
vom Abstand abhängig. Die in einem
welcher Kräfte sowie die Umwandlung, Ladungen der Elementarteilchen und deren Abständen zueinander liegen – man sagt,
Stärkevergleich von Kräften angegebenen
Erzeugung und Vernichtung von Teilchen Wechselwirkungen in unserem Universum. Diese Ladungen sind „gequantelt“.
Werte können also lediglich eine Betrachtung
vereint. Bei der Berechnung der Stärke einer Theorie, die seit ihrer Entwicklung in allen Experi-
für einen ganz bestimmten Abstand sein. Das
Kraft zwischen zwei Teilchen fließt neben menten immer wieder eindrucksvoll bestätigt 3. Die Ladung eines Systems, das aus mehreren
Verhältnis bei einem anderen Abstand kann
dem Kopplungsparameter und dem Produkt wurde, ist das Grundgerüst der Teilchenphysik. Sie Teilchen besteht, ergibt sich aus der Summe der
um viele Größenordnungen davon abweichen.
der relevanten Ladungszahlen bzw. –vekto­ liefert einen Dreiklang von Basiskonzepten, die Ladungen der einzelnen Teilchen.
ren (kurz: Ladungsprodukt) auch der Abstand Die schwache Kraft bspw. verläuft nur für miteinander untrennbar verbunden sind: Ladungen,
1
der beiden Teilchen ein. Für Wechselwir­ kleine Abstände proportional zu r 2 (also Wechselwirkungen und Elementarteilchen (siehe 4. Bei allen Prozessen, die in der Natur ablaufen,
kungsprozesse wie Paarerzeugung und linear in der doppelt logarithmischen Abb. 13). gilt Ladungserhaltung. Das bedeutet, dass die
Paarvernichtung lässt sich hingegen gar kein Auftragung von Abb. 12). Bei diesen kleinen Summe der Ladungen aller Teilchen vor dem
Abstand festlegen. Statt des Wertes einer Abständen ist tatsächlich das Verhältnis der Prozess gleich der Summe der Ladungen aller
Kraft liefert hier die Wahrscheinlichkeit des Stärken der Kräfte (für identische jeweilige Ladungen Teilchen nach dem Prozess ist.
Prozesses das Maß für die „Stärke“ der Ladungsprodukte) nur durch das Verhältnis
Wechselwirkung. Diese Wahrscheinlichkeit ist der Kopplungsparameter α i gegeben. 2.3.1 Die elektrische Ladung
Selbiges gilt für die Stärken der Wechselwir­

ge
proportional zum Kopplungsparameter α i der

en

ne
kungen. Für größere Abstände ist die

erh
z

n
jeweiligen Wechselwirkung. Es ist daher Die wohl bekannteste Ladung ist die elektrische

sit

rie
ne

alt
be
schwache Kraft exponentiell abstandsabhän­

ren
Ladung Q = Z · e. Dabei ist e die Elementarladung,

ord
sinnvoll, die Stärken von Wechselwirkungen

en
und die Stärken von Kräften unterschiedlich gig. Dies bewirkt, dass sie bei Abständen von welche quadratisch in den elektromagnetischen
wie folgt zu charakterisieren: größer als etwa 0,1 fm im Vergleich zu den Kopplungsparameter
unterliegen
anderen Kräften weitaus schneller abfällt. Elementar- Wechsel-
Bereits bei den typischen Abständen der teilchen wirkungen
STÄRKE VON WECHSELWIRKUNGEN beeinflussen
Kernphysik (~ fm), auf die sich die meisten eingeht und somit die Stärke der elektromagneti-
~α der oben genannten Tabellen beziehen, ist Abb. 13: Das Konzept der Theorie des „Standard­ schen Wechselwirkung angibt (vergleiche Kapitel
STÄRKE VON KRÄFTEN sie viele Größenordnungen kleiner als die modells der Teilchenphysik“ 2.2.2). Ein charakteristisches Unterscheidungs­
anderen Kräfte. Dies hat historisch zum merkmal verschiedener Teilchen ist ihre elektrische
~α · Ladungsprodukt · Abstandsgesetz
Namen „schwache Kraft“ geführt. Ladungszahl Z = Qe , die positiv, negativ oder Null
sein kann. Das Elektron beispielsweise besitzt die
elektrische Ladungszahl Ze– = -1, das Proton die
elektrische Ladungszahl Zp = +1.

26 27
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–1 – 23 – 13 0 + 13 + 23 +1 Das Phänomen, dass Ladungen nicht nur zu


Z anziehenden bzw. abstoßenden Kräften zwischen Koinzidenz-

u –
u –
u –νe νe e+ den Teilchen führen, sondern darüber hinaus erkennung
d d d –
e d –
d –

d u u u
ebenfalls Umwandlungen der Teilchen ermöglichen,
findet sich für alle drei Ladungen (elektromagne-
Abb. 14: Die elektrischen Ladungszahlen Z von Elektron (e –), drei Anti-Up-Quarks (u̅ ), drei Down-Quarks (d), tisch, stark, schwach) des Standardmodells. Daher
Elektron-Neutrino (νe ), Anti-Elektron-Neutrino (ν̅e), drei Anti-Down-Quarks (d̅ ), drei Up-Quarks (u) und spricht man in der Teilchenphysik im Allgemeinen
Positron (e+) (von links nach rechts). Die Anti-Materieteilchen (Positron, Anti-Up-Quark, Anti-Down-Quark, von einer von der jeweiligen Ladung hervorgerufe-
Anti-Elektron-Neutrino) besitzen Ladungszahlen gleichen Betrags wie ihre zugehörigen Materieteilchen, nen Wechselwirkung und verwendet den Kraftbegriff
nur mit umgekehrtem Vorzeichen. nur in den Fällen, in denen sich eine Wechsel­
wirkung tatsächlich durch eine Kraft (Anziehung/
Abstoßung) äußert. Kräfte sind also nur einer von
mehreren Aspekten des Basiskonzepts der funda-
Bei Elementarteilchen hat man für ihre elektrischen elektromagnetische Wechselwirkung bewirkt jedoch mentalen Wechselwirkungen.
Ladungszahlen bisher nur die Werte nicht nur, dass sich elektrisch geladene Teilchen Paarvernichtung Bildrekonstruktion
Z = –1, – 23 , – 13 , 0, + 13 , + 23 und +1 gefunden anziehen oder abstoßen. Aufgrund der elektroma­ 2.3.2 Die schwache Ladung
(siehe Abb. 14). Elementarteilchen mit einer gnetischen Wechselwirkung können auch Teilchen- Abb. 15: Prinzip der Positronen-Emissions-Tomo­
elektrischen Ladungszahl vom Betrag > 1 wurden umwandlungen stattfinden, d. h. es können Teilchen Genau wie die elektrische Ladung zur elektromag­ graphie. Einem Lebewesen wird eine schwach
bisher nicht entdeckt. vernichtet werden und neue Teilchen entstehen. netischen Wechselwirkung gehört, gehört zur radioaktive Substanz injiziert, die innerhalb des
Beispielsweise können sich aufgrund der elektrom­ schwachen Wechselwirkung eine schwache Ladung Körpers zerfällt und dabei Positronen aussendet
Die elektrische Ladungszahl eines zusammensetzten agnetischen Wechselwirkung ein Elektron e – und bzw. die schwache Ladungszahl I. Dabei handelt es (β + -Strahler). Diese Positronen annihilieren mit im
Systems wie z. B. eines Protons ergibt sich aus ein Positron e + in zwei Photonen γ umwandeln: sich genau wie bei der elektrischen Ladungszahl um Körper befindlichen Elektronen (Paarvernichtung),
der Summe der elektrischen Ladungszahlen der e –+ e + → γ + γ eine charakteristische Teilcheneigenschaft, welche wodurch zwei Photonen entstehen. Die beiden
einzelnen Teilchen. So besitzt beispielsweise das die in Kapitel 2.3 angeführten Merkmale besitzt. Alle Photonen verlassen den Körper gleichzeitig in
Proton p (uud), welches aus zwei Up-Quarks u und Da bei diesem Umwandlungsprozess das Elektron Materieteilchen (und somit auch alle Anti-Materie- entgegengesetzte Richtungen und können von
einem Down-Quark d besteht, die elektrische und das Positron, die vor der Umwandlung vorlagen, teilchen) besitzen entweder eine schwache Ladungs- kreisförmig um den Körper angeordneten Detek­
Ladungszahl: im Endzustand nicht mehr vorliegen, nennt man zahl von I = + 12 oder I = – 12 (siehe Abb. 16)19. toren registriert werden.
diesen Prozess auch „Paarvernichtung“. Bei dieser Da die schwache Ladung angibt, ob Teilchen der
Wechselwirkung ist die elektrische Ladungszahl Z schwachen Wechselwirkung unterliegen oder nicht
Entsprechend besitzt ein Wasserstoffatom H die (und damit auch die elektrische Ladung Q = Z · e) und kein Materieteilchen die schwache Ladungszahl
elektrische Ladungszahl: erhalten, d. h. die Summe der elektrischen Ladungs-
zahlen vor dem Wechselwirkungsprozess ist gleich
der Summe der elektrischen Ladungszahlen nach –1 – 12 0 + 12 +1

Alle Teilchen, die eine elektrische Ladung besitzen, dem Wechselwirkungsprozess (elektrische Ladungs- I
unterliegen der elektromagnetischen Wechselwir- zahlerhaltung): d d d
u u u
kung. Das Vorzeichen der elektrischen Ladungszahl –
u –
u –
u –
eines Teilchens gibt an, wie es mit anderen Z e– + Z e+ = Z γ + Z γ d –
d –
d
elektrisch geladenen Teilchen wechselwirkt: Wie -1 + (+1) = 0 + 0 e– e+
man in der Gleichung für die Coulombkraft F C 0=0 –νe νe
aus Kapitel 2.2.2 sieht, stoßen sich Teilchen mit
elektrischen Ladungszahlen gleichen Vorzeichens Diesen Umwandlungsprozess macht man sich in Abb. 16: Die schwachen Ladungszahlen I der Materie- und Anti-Materieteilchen aus Abb. 14.
ab, und Teilchen mit elektrischen Ladungszahlen der Praxis beispielsweise bei der Positronen-Emissi- Die Anti-Materieteilchen (Positron, Anti-Up-Quark, Anti-Down-Quark, Anti-Elektron-Neutrino) besitzen
entgegengesetzten Vorzeichens ziehen sich an. Die ons-Tomographie (PET) zunutze (siehe Abb. 15). Ladungszahlen gleichen Betrags wie ihre zugehörigen Materie-Teilchen, nur mit umgekehrtem Vorzeichen.

28 19 Siehe Fachliche Hinweise: Zustandekommen der diskreten Ladungszahlen/-vektoren. 29


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I = 0 besitzt, nehmen alle Materieteilchen an der wie ein schwach geladenes Teilchen mit einem Diese Umwandlung eines Neutrons in ein Proton Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass
schwachen Wechselwirkung teil. Das ist ein anderen schwach geladenen Teilchen wechselwirkt: und ein Elektron n → p + e – findet in der Natur in der Natur nur solche Prozesse stattfinden, bei
Unterschied im Vergleich zur elek- Bei gleichem Vorzeichen stoßen sich die Teilchen ab. jedoch so nicht statt, obwohl dabei neben der denen sowohl die elektrische als auch die schwache
tromagnetischen Wechselwirkung, an der die Neu- Bei entgegengesetztem Vorzeichen kann allerdings, Erhaltung der elektrischen Ladung auch Impuls- Ladungszahl gleichzeitig erhalten sind. Wie im
trinos nicht teilnehmen, da sie keine elektrische im Gegensatz zur elektrischen Ladung, beides, und Energieerhaltung problemlos erfüllbar wären! nächsten Kapitel gezeigt wird, muss bei allen
Ladung besitzen. Anziehung oder Abstoßung, vorliegen (siehe Im Jahre 1930 postulierte Wolfgang Pauli aufgrund Wechselwirkungen darüber hinaus auch die Summe
Fachlicher Hinweis: Ladungsprodukt). Ein Proton p von Messungen der Energien der Reaktionsprodukte der Farbladungsvektoren aller bei der Wechselwir-
Analog zum elektromagnetischen Kopplungspara- mit Ip = + 12 kann also ein Anti-Elektron-Neutrino bei der β –-Umwandlung, dass dabei zusätzlich kung beteiligten Teilchen erhalten sein.
1
meter α em ≈ 137 beschreibt der schwache Kopplungs- ν̅e mit Iν̅ e = – 12 über die schwache Kraft anziehen, ein weiteres elektrisch ungeladenes und sehr schwer
1
parameter20 α W ≈ 30 die Stärke der schwachen ähnlich wie es wegen Z p = +1 und Z e– = –1 ein nachweisbares Teilchen entstehen muss. Dieses 2.3.3 Die starke Ladung
Wechselwirkung, die rund 137 30
= 4,5 -mal stärker ist Elektron über die elektromagnetische Kraft anzieht. Teilchen taufte Enrico Fermi später „Neutrino“.
als die elektromagnetische Wechselwirkung. Die Allerdings ist die Anziehung durch die schwache Heute kennt man auch den theoretischen Grund für Die Materieteilchen, die eine starke Ladung (auch:
schwache Wechselwirkung erfahren wir im Alltag Kraft so kurzreichweitig, dass keine gebundenen die Entstehung dieses Teilchens: Bei der β –-Um- „Farbladung“) besitzen, nennt man Quarks, ihre
jedoch nicht, weil sie eine so kurze Reichweite Zustände entstehen können. Deshalb findet man wandlung wäre ohne das zusätzliche Neutrino die Anti-Teilchen sind die Anti-Quarks. Das Proton und
besitzt. Der Name „schwache Wechselwirkung“ in der Atomhülle keine Neutrinos, da diese nur der Summe der schwachen Ladungszahlen der Teilchen das Neutron beispielsweise bestehen aus Quarks.
stammt aus der kernphysikalischen Sicht der Zeit schwachen Kraft und der Gravitationskraft unterlie- vor und nach der Umwandlung nicht erhalten: Die starke Ladung ist keine Zahl, sondern sie besitzt
vor 1980, in der man Wechselwirkungen noch nicht gen. Sie sind immer ungebunden und bewegen einen Vektorcharakter. Man bezeichnet die starken
bei Abständen untersuchen konnte, die wesentlich sich frei durchs Universum. In Erscheinung tritt die Ladungen daher auch als Farbladungsvektoren.
kleiner als die Größe von Nukleonen waren. Mit schwache Wechselwirkung dagegen bei Streuungen Die Farbladungsvektoren sind Vektoren auf einem
hochenergetischen Beschleunigern wie dem LHC von Teilchen wie Neutrinos oder bei Teilchenum- zweidimensionalen Gitter (auch: Farbgitter). Dieses
ist es heute möglich, die tatsächliche Stärke der wandlungen. Beispielsweise kann sich bei der Farbgitter besitzt drei Achsen21, die jeweils einen
„schwachen“ Wechselwirkung bei Abständen von sogenannten β – -Umwandlung (auch: β – -Zerfall) Winkel von 120° bilden (siehe Abb. 17).
1
bis zu 1000 fm zu erkennen. Die im heutigen Uni- aufgrund der schwachen Wechselwirkung ein Die β –-Umwandlung findet demnach so statt, dass
versum stattfindenden Prozesse der schwachen elektrisch neutrales Neutron in ein elektrisch positiv sich ein Neutron in ein Proton, ein Elektron und ein
Wechselwirkung z. B. in der Physik von Atomkernen geladenes Proton umwandeln, wobei ein Elektron Anti-Neutrino umwandelt:
(siehe Tabelle 2) geschehen wegen der sehr kurzen und ein Anti-Elektron-Neutrino entstehen.
Reichweite dieser Wechselwirkung tatsächlich
vergleichsweise selten. Wäre die elektrische Ladungszahl die einzige Da das Anti-Neutrino elektrisch neutral ist, ist die
Ladung, die bei einem Wechselwirkungsprozess bzw. elektrische Ladungserhaltung immer noch erfüllt:
Die schwache Ladungszahl eines zusammensetzten einer Teilchenumwandlung erhalten sein müsste,
Systems, wie z. B. eines Protons, ergibt sich aus so wäre es im Prinzip möglich, dass sich ein Neutron
der Summe der schwachen Ladungszahlen der in ein Proton und ein Elektron umwandelt (β – -Um-
einzelnen Teilchen. So besitzt beispielsweise das wandlung des Neutrons, so wie sie zwischen 1920
Proton p, welches aus zwei Up-Quarks u und einem und 1930 angenommen wurde):
Down-Quark d zusammengesetzt ist, die schwache Nun ist aber auch die schwache Ladungszahl
Ladungszahl: n → p + e – (findet so nicht statt!) erhalten, da das entstehende Anti-Neutrino genau
die bisher nach dem Zerfall fehlende schwache
Bei dieser Umwandlung ist die Summe der elek­- Ladungszahl besitzt:
Entsprechend besitzt ein Neutron die schwache trischen Ladungszahlen der Teilchen vor und nach
Ladungszahl: der Wechselwirkung erhalten: Abb. 17: Das zweidimensionale Farbgitter

Z n = Z p + Z e–
Das Vorzeichen der schwachen Ladungszahl gibt 0 = + 1 + (–1)
– genau wie bei der elektrischen Ladungszahl – an, 0=0

2
20 Auch für die schwache Wechselwirkung kann man über die Beziehung α = gw eine schwache Kopplungsstärke g angeben,
W 4·π· w
die ebenfalls die Stärke der schwachen Wechselwirkung beschreibt. Das Produkt I ∙ gw entspricht dann dem Produkt Z · e bei 21 Die Farbachsen entsprechen nicht den Koordinatenachsen des Farbgitters (diese sind in den Abbildungen nicht eingezeichnet),
30 der elektrischen Ladung. Zur besseren Übersichtlichkeit wird sich aber in diesem Text auf die Kopplungsparameter αi beschränkt. sondern kennzeichnen lediglich die Richtungen der drei unterschiedlichen Farbladungsvektoren. 31
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ul


up

Abb. 18: Die drei Farbladungsvektoren der Quarks auf dem Farbgitter (links) sowie der Anti-Quarks auf dem Abb. 19: Zuordnung eines Quarks (links) und eines Anti-Quarks (rechts) zu Gitterpunkten auf dem Farbgitter
Farbgitter (rechts)

Die Farbladungsvektoren der Quarks sind Vektoren Farbgitter zuordnen: Die Position eines Anti-/Quarks An diesem Beispiel wird deutlich, warum die starke
entlang dieser drei Achsen und haben den Betrag auf dem Farbgitter entspricht dabei dem Gitter- Ladung auch als Farbladung bezeichnet wird.
(siehe Abb. 18 links). Quarks besitzen also jeweils punkt, zu dem sein Farbladungsvektor zeigt. Dies Obwohl der Begriff „Farbe“ hier nichts mit den
genau einen von drei verschiedenen möglichen ist in Abb. 19 exemplarisch für das Up-Quark mit optischen Farben zu tun hat, liefert er eine hilfreiche
Farbladungsvektoren. Gleichartige Quarks (z. B. rotem Farbladungsvektor ul und das Anti-Up-Quark Vorstellung: Ein rotes, grünes und blaues Quark –
Up-Quarks) mit unterschiedlichen Farbladungsvek- mit anti-rotem Farbladungsvektor u–p illustriert. bilden zusammen ein farbladungsneutrales, also n
qm
q ql
toren sind unterschiedliche Teilchen, da alle Teilchen „weißes“ Proton – ebenso wie rot, grün und blau bei
durch ihre Ladungen charakterisiert werden. Insgesamt ergibt sich somit für alle Quarks und der additiven Farbmischung weiß ergeben.
Anti-Quarks die in Abb. 20 dargestellte Verteilung

qp –
qr
Die drei Farbladungsvektoren werden mit „rot“ (l), der ihnen im Farbgitter zugeordneten Gitterpunkte. Auch hier, analog zur elektrischen und schwachen
„grün“ (n) und „blau“ (q) bezeichnet22 . Die Anti- Ladung, gehört zur starken Ladung eine entspre- qq
Quarks kommen mit drei verschiedenen Farbla- Welche Farbladung besitzen aus Quarks zusammen- chende Wechselwirkung. Stark geladene Teilchen
dungsvektoren vor, die in Abb. 18 rechts dargestellt gesetzte Teilchen, z. B. die Nukleonen? Obwohl alle können sich über die sogenannte starke Wechselwir-
sind. Die drei Farbladungsvektoren der Anti-Quarks Quarks Farbladungen besitzen, ist beispielsweise kung anziehen oder abstoßen. Wegen des Vektorcha-
nennt man auch „anti-rot“ (p), „anti-grün“ (r) und ein Proton (oder auch ein Neutron) farbladungs­ rakters der starken Ladungen und ihres kompliziert
„anti-blau“ (m). Da die Anti-Quarks die Anti-Teilchen neutral, d. h. es besitzt keine resultierende Farb­ auszuwertenden quantenmechanischen Skalarpro-
der Quarks sind, ergeben sich die Farbladungsvek­ ladung. Der Grund dafür ist, dass jedes Quark dukts C⃗ 1⋅ C⃗ 2 werden hier nicht alle Möglichkeiten Abb. 20: Gitterpunkte der Quarks q und
toren der Anti-Quarks aus den Farbladungsvektoren des Protons eine andere Farbladung besitzt (z. B. der Anziehung und Abstoßung diskutiert24 . Die Anti-Quarks q– auf dem Farbgitter
der Quarks, indem man diese mit –1 multipliziert, p (ul un dq) oder jede andere Kombination23 aus Anziehung zwischen drei Quarks mit je einem der
d. h. ihre Richtung umkehrt. Die Farbladungs­ je einmal rot, einmal grün und einmal blau) und drei Farbladungsvektoren rot (l), grün (n) und
vektoren der Anti-Quarks sind somit die negativen sich somit die Farb­ladungsvektoren der drei Quarks blau (q) bewirkt die Bildung von Protonen und
Einheitsvektoren entlang der drei Achsen. Aufgrund zum Nullvektor addieren: Neutronen. Durch die Anziehung zwischen einem
ihrer Farbladungsvektoren lassen sich den Quarks C⃗ul + C⃗un + C⃗dq = l + n + q = = 0 ⃗
24 Ähnlich wie bei der schwachen Ladung (siehe Fachliche Hinweise S. 93) hängt Abstoßung oder Anziehung zweier (Anti-)Quarks davon ab,
und den Anti-Quarks Gitterpunkte auf dem
welche starke Gesamtladung ihre Farbladungsvektoren bilden. Zwei Quarks mit gleichen Farbladungen, z. B. rot (l) und rot (l), stoßen sich
immer ab. Ein Quark und ein Anti-Quark mit entgegengesetzt orientierten Farbladungsvektoren ziehen sich an, wenn sie – wie im Falle von
22 Die Darstellung der Farbladungsvektoren im Text, in Gleichungen und als Indizes an Teilchensymbolen ist als qualitative Symbolik zu Mesonen – eine symmetrische quantenmechanische Summe aller möglichen Farb-Anti-Farbladungskombinationen, rot (l) und anti-rot (p)
verstehen. Die Winkel sowie Pfeillängen spiegeln die Eigenschaften der Vektoren auf dem Farbgitter quantitativ nicht exakt wider. + grün (n) und anti-grün (r) + blau (q) und anti-blau (m), bilden. Andernfalls erfolgt Abstoßung. Quarks und Anti-Quarks mit unterschied-
23 Quantenmechanisch ist das Proton sogar eine Überlagerung von allen möglichen solchen Kombinationen, die alle „gleichzeitig vorhanden“ sind. lichen Farbladungs-Anti-Farbladungs-Kombinationen stoßen sich immer ab, z. B. rot (l) und anti-grün (r). Bei Wechselwirkung zweier
32 verschiedener Farbladungen, z. B. rot (l) und grün (n), ist wiederum beides, Anziehung und Abstoßung, möglich. 33
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INFOKASTEN: Quark einer Farbladung und einem Anti-Quark mit


EXPERIMENTELLE ERKENNTNISSE Die starke Ladung hat im Gegensatz zur der zugehörigen Anti-Farbladung (z. B. rot (l) und
ZU QUARKS UND elektrischen und zur schwachen Ladung anti-rot (p) entstehen gebundene Systeme, die man Elektron
DER STARKEN LADUNG Vektorcharakter. Experimentell wurde „Mesonen“ nennt und die durch die starke Kraft
bestätigt, dass die starke Ladung aller Quarks auf Bindungsradien von ca. 1 fm zusammengehalten
betragsmäßig gleich groß sein muss, denn werden. Sie haben ganz ähnliche Eigenschaften wie Proton
diese unterliegen alle in gleichem Maße der das Wasserstoffatom, mit dem Unterschied, dass
Dass die Nukleonen im Atomkern keine starken Wechselwirkung. Aus den Experimen­ dort Proton und Elektron aufgrund der Coulombkraft
elementaren Teilchen sind, sondern eine ten am SLAC und am CERN (siehe oben) ist aneinander gebunden werden, und der Bindungs­
Substruktur besitzen, wurde experimentell in bekannt, dass Nukleonen aus drei Quarks radius mit ca. 50.000 fm viel größer ist (Abb. 21).
den Jahren 1969 und 1970 am Stanford Linear bestehen. Außerdem sind die Nukleonen d
u
Accelerator Center (SLAC) an der Universität in insgesamt farbladungsneutral. In der Summe Wie lassen sich nun Wechselwirkungen im Hin-
Stanford nachgewiesen. Das Prinzip der dafür müssen sich die Farbladungen der drei Quarks blick auf die starke Ladung verstehen? Ein Proton
benutzen tiefinelastischen Elektronenstreuung eines Nukleons also aufheben. Da drei p (ul un dq) und ein Neutron n (dq dl un) können Abb. 21: Analogie zwischen dem Wasserstoffatom
ähnelte stark dem Vorgehen von Ernest betragsmäßig gleich große Zahlen in der miteinander in Wechselwirkung treten, indem aus Proton und Elektron und einem Meson aus
Rutherford in seinen berühmten Streuexperi­ Summe niemals Null ergeben können, kann es beispielsweise das Up-Quark mit rotem Farbla- einem Down-Quark und Anti-Up-Quark. Das Meson
menten von 1911. Rutherford löste die Struktur sich bei der starken Ladung nicht um eine dungsvektor des Protons (ul) mit dem Down-Quark ist 50.000 Mal kleiner als das Wasserstoffatom und
von Atomen auf, indem er diese mit Helium­ skalare Größe handeln. Die Summe dreier mit blauem Farbladungsvektor des Neutrons (dq) hier stark vergrößert dargestellt. Es ist ungefähr so
kernen (Alpha-Teilchen) beschoss und aus dem betragsmäßig gleich großer Vektoren kann ausgetauscht wird (Quarkpaarbindung, siehe Kapitel groß wie das Proton im Wasserstoffatom, das aber
Streuverhalten dieser Teilchen (insbesondere allerdings durchaus den Nullvektor ergeben, 2.2.3). Durch diesen Austausch würde rein formal ebenfalls über 1000-fach vergrößert dargestellt ist.
aus den Streuwinkeln) Rückschlüsse über den weshalb die starke Ladung vektoriellen zunächst das Proton (ul un dq) in ein Neutron
Aufbau der Atome zog. Das Ergebnis war die Charakter haben muss, wie 1973 von der (dq un dq) umgewandelt, und das Neutron
Erkenntnis, dass Atome einen sehr kleinen und Theorie der starken Wechselwirkung (Quan­ (dq dl un) in ein Proton (ul dl un) umgewandelt: Durch diese Umwandlungen entstehen nun
schweren elektrisch positiv geladenen Kern ten-Chromo-Dynmaik, QCD) vorhergesagt. farbladungsneutrale Neutronen und Protonen:
besitzen. Bei den Experimenten in Stanford p(ul un dq) + n(dq dl un) → n(dq un dq) + p(ul dl un)
löste man die Struktur von Protonen und Dass Quarks mit genau drei unterschiedlichen p(ul un dq) + n(dq dl un) → n(dl un dq) + p(uq dl un)
Neutronen auf, indem man diese mit hoche­ Farbladungsvektoren existieren, ist ebenfalls Die bei diesem Austausch entstehenden Neutronen
nergetischen Elektronen beschoss. Analog zum eine direkte Folge der QCD-Theorie, wurde und Protonen wären jedoch nicht farbladungs­ Somit lässt sich festhalten, dass Nukleonen
Rutherford-Experiment konnte aus den gemes­ allerdings wie folgt auch experimentell neutral, denn sie wären nicht aus drei Quarks mit (Protonen und Neutronen) stets so aus Quarks
senen Streuwinkeln abgeleitet werden, dass überprüft und bestätigt. Aus der Kenntnis der verschiedenen Farbladungsvektoren zusammen­ zusammengesetzt sind, dass sich die Farbladungs-
innerhalb der Nukleonen viel kleinere, im schwachen und der elektrischen Ladung jedes gesetzt. Damit farbladungsneutrale Neutronen und vektoren aller im Nukleon befindlichen Quarks zum
Rahmen der Ortsauflösung punktförmige Quarks lässt sich berechnen, wie häufig es bei Protonen entstehen, muss das Up-Quark ul aus Nullvektor summieren. Gleiches gilt auch für alle
Streuzentren vorhanden sind: die Quarks. Die Teilchenumwandlungen entstehen muss. Expe- dem Proton in ein Up-Quark uq und das Down- anderen aus Quarks zusammengesetzten Teilchen.
bereits 1964 von Zweig und Gell-Mann rimentell hat man festgestellt (z. B. bei der Quark dq aus dem Neutron in ein Down-Quark dl
postulierten elektrischen Ladungszahlen von Untersuchung von Umwandlungen des W-Teil- umgewandelt werden: Bei der Quarkpaarbindung zwischen Proton und
jeweils drei in den Nukleonen vorhandenen chens), dass jedes Quark (also u, d, s usw.) Neutron müssen sich die ausgetauschten Quarks
Quarks konnten Anfang der 1970er Jahre aus genau dreimal so häufig entsteht wie berech­ ul + dq → uq + dl in der Regel in gleichartige Quarks anderer
Vergleichen mit Neutrino-Nukleon Streuung net. Aus dieser Beobachtung zieht man den Farbladungen umwandeln. Diese Umwandlungen
am CERN experimentell bestätigt werden. Für Schluss, dass drei Varianten jedes Quarks und Solche Umwandlungen von Quarks unter Änderung sind aufgrund der starken Wechselwirkung möglich
die theoretischen und experimentellen jedes Anti-Quarks existieren, von denen jedes der Farbladungsvektoren sind nur aufgrund der und geschehen immer so, dass die Summe der
Erkenntnisse zum Aufbau der Nukleonen einzelne mit der vorhergesagten Häufigkeit starken Wechselwirkung möglich. Bei diesem Farbladungsvektoren aller Teilchen vor dem
wurden M. Gell-Mann 1969 und J. I. Friedman, entsteht. Diese unterscheiden sich ausschließ­ Prozess ist die Summe der Farbladungsvektoren Wechselwirkungsprozess gleich der Summe der
H. W. Kendall und R. E. Taylor 1990 mit dem lich in den Farbladungsvektoren, von denen es C⃗ erhalten, denn es gilt: Farbladungsvektoren aller Teilchen nach dem
Nobelpreis für Physik ausgezeichnet25 . also ebenfalls drei verschiedene geben muss. Wechselwirkungsprozess ist (Farbladungserhaltung).
C⃗ul + C⃗uq = C⃗uq + C⃗dl
l+q=q+l

25 Weitere Ausführungen zu den Streuexperimenten mit Elektronen an Nukleonen sowie ihrer historischen Bedeutung sind
z. B. unter www.nobelprize.org/nobel_prizes/physics/laureates/1990/presentation-speech.html in der Laudatio der Nobelpreisverleihung
34 1990 sowie im Artikel „The Discovery of Quarks“ unter http://www.slac.stanford.edu/cgi-wrap/getdoc/slac-pub-5724.pdf zu finden. 35
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Zusammenfassend lässt sich festhalten: Bei jeder Mathematisch bedeutet dies: Es gelten gleichzeitig 2.4 DIE VIER FUNDAMENTALEN
Wechselwirkung sind alle drei Ladungsarten die folgenden Gleichungen, wobei die Zahlen im WECHSELWIRKUNGEN
Erhaltungsgrößen. Die Summe der elektrischen Index die Teilchen im Anfangszustand und die
Ladungszahlen ändert sich demnach bei einer entsprechenden Zahlen mit Strich (' ) die Teilchen In Kapitel 2.2 wurden die vier fundamentalen
Wechselwirkung nicht. Gleiches gilt für die im Endzustand bezeichnen: Wechselwirkungen der Physik eingeführt. Diese
Summe der schwachen Ladungszahlen sowie für mit Z: elektrische Ladungszahl, I: schwache Wechselwirkungen beschreiben eine Fernwirkung
die Summe der Farbladungsvektoren. Ladungszahl und C⃗: Farbladungsvektor. zwischen Körpern. Nur dann, wenn die Körper
eine Ladung (elektrische Ladung, schwache Ladung,
2.3.4 Zusammenfassung: Die Ladungen starke Farbladung) bzw. (im Fall der gravitativen
3 der elementaren Anti-/Materieteilchen Wechselwirkung) Masse besitzen, die zu einer der
1. Generation I Z C
vier Wechselwirkungen gehört, unterliegen sie
elektrisch farblos Die Elementarteilchen, aus der die uns umgebende den entsprechenden Wechselwirkungen. In der
neutrale νe + 12 0
3
0
Leptonen Materie besteht, sind die drei Up-Quarks, die drei klassischen Physik werden die Fernwirkungen der
Down-Quarks, das Elektron und das Elektron-Neu­ elektromagnetischen Wechselwirkung und der
elektrisch farblos
geladene 3
trino (wobei letzteres nur ungebunden existiert gravitativen Wechselwirkung jeweils durch Felder
e– – 12 –1 0
Leptonen und kein Bestandteil der atomaren Materie ist). (elektrische und magnetische Felder, die durch
Man nennt diese „Teilchen der ersten Generation“. elektrische Ladungen oder Ströme hervorgerufen
Wie in den Kapiteln 2.3.1 - 2.3.3 dargelegt wurde, gibt werden, bzw. Gravitationsfelder, die durch Massen
blau rot grün
u u u + 12 + 23 es in der Natur drei verschiedene Ladungsarten, hervorgerufen werden) beschrieben. In der ersten
q l n
Quarks die ein Teilchen besitzen kann: die elektrische Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde entdeckt, dass
– 12 – 13 blau rot grün Ladung, die schwache Ladung und die starke Ladung die elektromagnetische Wechselwirkung auf
d d d q l n (Farbladung). Die Ladungen der drei Up- und quantenphysikalischer Ebene durch Teilchen, die
Down-Quarks sowie des Elektrons und des Elektron- Photonen (auch: Lichtteilchen), vermittelt wird. In
Abb. 22:
Neutrinos sind in Abb. 22 dargestellt: der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde
starke Wechselwirkung Die Ladungen der
zudem herausgefunden, dass auch die starke und
elektromagnetische Wechselwirkung Materieteilchen
schwache Wechselwirkung Die Kästen in verschiedenen Türkisstufen fassen schwache Wechselwirkung jeweils durch Teilchen
der ersten Generation
Teilchen zusammen, die starke Farbladungen (hell), vermittelt werden. Die Teilchen, über die eine
elektrische Ladungen (mittel) und schwache Wechselwirkung vermittelt wird, werden Botenteil-
3
1. Generation I Z C Ladungen (dunkel) besitzen und daher an den chen (auch: Austauschteilchen) genannt.
schwache Wechselwirkung jeweiligen Wechselwirkungen teilnehmen. Alle
elektromagnetische Wechselwirkung Teilchen besitzen eine schwache Ladung. Bis auf In den folgenden Kapiteln wird der klassische
starke Wechselwirkung
das Elektron-Neutrino besitzen auch alle Teilchen Feldbegriff wiederholt und die Botenteilchen der
eine elektrische Ladung. Eine starke Ladung elektromagnetischen, starken und schwachen
anti- anti- anti-
– – – + 12 + 13 blau rot grün hingegen besitzen ausschließlich die Quarks. Wechselwirkung vorgestellt. Dabei werden folgende
d d d m p r Fragen diskutiert: Was ist die Beziehung zwischen
Quarks Zu jedem Materieteilchen existiert ein zugehöriges Feldbegriff und Botenteilchen? Wie kann man damit
anti- anti- anti-

u –
u –
u – 12 – 23 blau rot grün Abb. 23: Anti-Materieteilchen. Ein Anti-Materieteilchen verstehen, dass die Beträge aller Kräfte bei ganz
m p r 1
Die Ladungen der Anti- unterscheidet sich von seinem zugehörigen kleinen Abständen eine r 2-Abhängigkeit besitzen,
Materieteilchen der ersten Materieteilchen ausschließlich darin, dass alle seine manche Kräfte aber bei größeren Abständen davon
elektrisch farblos Generation. Im Bild Ladungszahlen das entgegengesetzte Vorzeichen abweichen? Wann ist es sinnvoll, den Feldbegriff
geladene 3
e+ + 12 +1 0 sind Anti-Farben durch haben, bzw. sein Farbladungsvektor die entgegen­ durch Botenteilchen zu ersetzen? Wie lassen sich
Leptonen
einen gestrichelten gesetzte Richtung besitzt. Die Ladungen der Wechselwirkungsprozesse mit Botenteilchen
elektrisch farblos schwarzen Rand der Anti-Materieteilchen der ersten Generation sind darstellen und welche Eigenschaften haben diese
–νe 3
neutrale – 12 0 0 Anti-Quark-Symbole in Abb. 23 dargestellt26 . Botenteilchen?
Leptonen
gekennzeichnet.

26 Die Materie-Teilchen in Abb. 22 und die Anti-Materieteilchen in Abb. 23 sind paarweise bezüglich der schwachen Ladung so gruppiert, dass
jeweils ein Teilchen mit I = + 1 oberhalb eines ihm zugeordneten Teilchens mit I = – 1 angeordnet ist. Diese sogenannten Dupletts werden
2 2
36 in Kapitel 2.4.3 ausführlicher diskutiert. 37
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1
2.4.1 Felder und Botenteilchen Diese Abstands-Abhängigkeit von r 2 für beliebig 2.4.2 Elektromagnetische
große Werte von r gilt ausschließlich für Wechsel­ Wechselwirkung: Photon
Die Fernwirkungen der Gravitationskraft sowie der wirkungen mit einer unendlichen Reichweite wie
magnetischen und elektrischen Kraft werden in die elektromagnetische Wechselwirkung oder auch Auf der (mikroskopischen) Ebene der Elementarteil-
der klassischen Physik durch Felder beschrieben. die gravitative Wechselwirkung, jedoch nicht für chen wird die elektrische und magnetische Kraft
Beispielsweise ist die Kraft auf ein elektrisch Wechselwirkungen mit einer begrenzten Reichweite durch ein masseloses Elementarteilchen vermittelt,
geladenes Teilchen mit der Ladung Q in einem wie die schwache und die starke Wechselwirkung das Photon γ. Im Falle einer abstoßenden Kraft kann
elektrischen Feld der Feldstärke E⃗ gegeben durch: (vergleiche Kapitel 2.2). man sich diesen Prozess analog zu der in Abb. 25
dargestellten Situation vorstellen, bei der sich zwei
F⃗= Q · E⃗ Mit der Entwicklung der Quantenphysik in der Personen auf je einem Boot einen Ball zuwerfen,
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde entdeckt, wodurch sich aufgrund der Impulserhaltung die
Elektrische Felder lassen sich durch Feldlinien dass die Feldenergie nicht kontinuierlich ist, sondern zwei Boote voneinander wegbewegen. Umgekehrt
beschreiben. Diese erstrecken sich bis ins Unend­ in kleinsten Portionen, den sogenannten Feldquan- würden sich die beiden Boote aufeinander zu-
liche, was bedeutet, dass die elektrische Kraft ten, auftritt. Die Quanten des elektrischen Feldes bewegen (Anziehung), wenn die Personen einander
eine unendliche Reichweite besitzt. Den Verlauf heißen Photonen und wurden 1905 von Albert den Rücken zukehrten und sich einen Bumerang
der Feldlinien kann man mit einem sogenannten Abb. 24: Feldlinien des elektrischen Feldes eines Einstein postuliert, der damit ein von Max Planck zuwerfen würden (Abb. 26)
„Probeteilchen“ vermessen, das selbst eine positive elektrisch geladenen Teilchens gefundenes Gesetz für elektromagnetische Wärme-
elektrische Ladung besitzt. Die Richtung einer strahlung erklärte. Sind viele Quanten beteiligt, so
Feldlinie gibt die Richtung der Kraft auf solch ein Aus Abb. 24 kann man jedoch nicht nur die qualitati- ist eine Beschreibung mit Feldern vorteilhaft: Bei
Probeteilchen an. Der Betrag der Kraft ist durch ve Abhängigkeit der Kraft ablesen, sondern durch einer SMS werden beispielsweise pro Sekunde 1024
die Dichte der Feldlinien gegeben. rein geometrische Betrachtungen auch deren genaue Photonen zu einer Mobilfunkantenne und zurück
Abstands-Abhängigkeit ermitteln. Dazu umgibt man gesendet. Einfacher, als die Bewegung jedes dieser
Abb. 24 zeigt das Feldlinienbild des elektrischen das Teilchen, welches das Feld erzeugt, in Gedanken Photonen auszurechnen, lässt sich dieser Vorgang
Feldes, welches durch ein Teilchen mit elektrischer durch eine Kugel mit dem Radius r. Da sich die als elektromagnetische Welle aus elektrischen und
Ladung hervorgerufen wird. Die Äquipotenziallinien Feldlinien bis ins Unendliche erstrecken und niemals magnetischen Feldern beschreiben. Bei hochenerge-
(im dreidimensionalen Raum eigentlich –flächen) kreuzen, müssen alle Feldlinien, die ihren Ursprung tischen elektromagnetischen Wechselwirkungspro- Abb. 25: Abstoßende Wechselwirkung zweier
haben die Form konzentrischer Kreise (bzw. innerhalb der Kugel haben, durch die Kugelober­ zessen der Teilchenphysik, wie kurzzeitiger Streuung Personen auf je einem Boot durch den Austausch
Kugelflächen). Einige davon sind türkis gestrichelt fläche hindurchtreten. Aus diesem Grund muss die zweier Teilchen aneinander, sind dagegen nur eines Balls
eingezeichnet. Auf ein elektrisch geladenes Teilchen Anzahl der Feldlinien, die durch die Kugeloberfläche wenige Photonen - oft dominant nur ein einziges
wirkt eine Kraft in Richtung der Feldlinien. Ob es hindurchtritt, konstant bleiben, wenn man den Photon - beteiligt, so dass eine Beschreibung mit
sich um eine anziehende oder abstoßende Kraft Radius der Kugel vergrößert. Da der Oberflächen­ einzelnen Feldquanten wesentlich geeigneter ist.
handelt, ist abhängig vom Vorzeichen der elektri- inhalt einer Kugel mit dem Radius r durch
schen Ladung des sich im Feld befindenden Wird eine Kraft durch Feldquanten vermittelt, die
Teilchens und des Teilchens, welches das elektrische A Kugel = 4 · π · r 2 unterwegs weder entstehen noch verschwinden
Feld erzeugt. Besitzen die elektrischen Ladungen (unendliche Reichweite), so nimmt deren Dichte
beider Teilchen dasselbe Vorzeichen, ist die Kraft gegeben ist, muss die Dichte der elektrischen durch eine gedachte Kugeloberfläche genauso
1
abstoßend, bei unterschiedlichen Vorzeichen Feldlinien und damit der Betrag der elektrischen mit r 2 ab, wie es die Feldlinien in Abb. 24 tun. So ist
hingegen anziehend. Es ist zu erkennen, dass die Feldkraft umgekehrt proportional zu A Kugel sein, d. h. die Beschreibung der Abstandsabhängigkeit der
Dichte der Feldlinien und somit die hervorgerufene elektromagnetischen Wechselwirkung durch ein
Kraft umso kleiner ist, je größer der Abstand zu elektrisches Feld äquivalent zur Beschreibung durch Abb. 26: Anziehende Wechselwirkung zweier
dem Teilchen ist, welches das Feld verursacht. den Austausch von Photonen. Personen auf je einem Boot durch den Austausch
eines Bumerangs

38 39
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INFOKASTEN: Das Photon ist ebenfalls ein Elementarteilchen und e – + e+ → γ + γ


ANALOGIE DER VERMITTLUNG ist daher durch seine Masse (m γ = 0) und seine
EINER ANZIEHENDEN BZW. Ladungen eindeutig charakterisiert: Es besitzt weder nennt man „Paarvernichtung“. Die Paarvernichtung
ABSTOSSENDEN WECHSEL­ eine elektrische, noch eine schwache oder starke eines Elektron-Positron-Paares in zwei Photonen
WIRKUNG ÜBER DIE Ladung, d. h. Z γ = 0, I γ = 0 und C⃗γ = 0⃗. Da es macht man sich in der Praxis beispielsweise bei der
EMISSION UND ABSORPTION keinerlei Ladung besitzt, unterliegt es selbst keiner Positronen-Emissions-Tomographie (PET) zunutze
EINES TEILCHENS der fundamentalen Wechselwirkungen des (siehe Kapitel 2.3.1, Abb. 15).
Standardmodells. Wie in Kapitel 2.3.1 beschrieben,
bewirkt die elektromagnetische Wechselwirkung 2.4.3 Schwache Wechselwirkung: Abb. 27: Blasenkammeraufnahme zur Erzeugung
jedoch nicht nur eine Abstoßung oder Anziehung W +-, W –- und Z-Teilchen eines Elektron-Positron-Paares durch die Umwand­
elektrisch geladener Teilchen. Über die elektromag- lung von einem Photon in der Nähe eines Atomkerns
netische Wechselwirkung können auch Teilchen Die Kräfte zwischen zwei Teilchen aufgrund der (Quelle: CERN and High School Teachers Programme at CERN,
erzeugt oder vernichtet werden. elektromagnetischen und der gravitativen Wechsel- http://hst-archive.web.cern.ch/archiv/HST2002/Bubblech/mbitu/electromag-events1.htm)

Die in Abb. 25 und 26 dargestellte Analogie wirkung sind umgekehrt proportional zum Quadrat
zur Beschreibung der elektromagnetischen Beispielsweise kann sich in der Nähe eines des Abstandes der Teilchen. Dies sieht man in
Wechselwirkung zwischen zwei elektrisch Atomkerns A aufgrund der elektromagnetischen Abb. 28 (doppelt-logarithmische Skalierung) daran,
1010
geladenen Teilchen über das Zuwerfen Wechselwirkung ein Photon in ein Elektron und dass eine Änderung des Abstands um den Faktor 10
eines Körpers zwischen zwei Personen ist ein Positron umwandeln: (ein Teilstrich auf der Abszisse) einer Änderung 10 0
nicht so zu verstehen, dass ein Photon der Kraft um den Faktor 102 = 100 (zwei Teilstriche
10 –10

Kraft/N
(oder allgemein: Botenteilchen) ausge­ A + γ → A + e – + e+ auf der Ordinate) entspricht.
tauscht wird, welches ein Teilchen vorher 10 –20
besaß und an das andere Teilchen übergibt. Ein solcher Prozess ist in einer Blasenkammer­ Die schwache Wechselwirkung besitzt nur eine sehr
10 –30
Vielmehr wird bei der elektromagnetischen aufnahme in Abb. 27 dargestellt. kurze Reichweite von λ w = 2 · 10–18 m = 0,002 fm.
Wechselwirkung von einem der Teilchen Bei Teilchen, die sich in einem größeren Abstand 10 –40
ein Photon erzeugt, welches zum anderen Man erkennt deutlich zwei gekrümmte, grün zueinander befinden, fällt die Kraft der
r
schwachen 10 –4 10 –3 10 –2 10 –1 10 0 10 1 10 2 10 3

Teilchen übermittelt und von diesem hervorgehobene Spuren, die etwa in der Bildmitte Wechselwirkung exponentiell (~ e λw ), also Abstand/fm
vollständig absorbiert wird. Diese Art der beginnen und zunächst zum oberen Bildrand hin wesentlich schneller als quadratisch mit dem
Vermittlung wird auch als Austausch verlaufen. Die V-förmige Spur wird von einem Elek- Abstand ab (siehe Abb. 28). Ab einem Abstand von Gravitationskraft starke Kraft
schwache Kraft (zwischen Quarks)
bezeichnet. tron-Positron-Paar verursacht, das in der Bildmitte 0,2 fm wird die schwache Kraft sogar bereits kleiner
elektromagnetische
erzeugt wurde und sich durch die Blasenkammer als die Gravitationskraft und ist damit längst nicht Kraft
Wie bei allen Versuchen, klassische bewegt. Das Photon hinterlässt keine Spur, weil es mehr nachweisbar.
Analogien und Bilder für Prozesse zu elektrisch ungeladen ist. Da die Blasenkammer von Abb. 28: Kraft zwischen zwei Teilchen als Funktion
finden, die eigentlich mithilfe von einem homogenen Magnetfeld durchsetzt ist und Der plötzliche Abfall der schwachen Kraft lässt sich ihres Abstandes (doppelt-logarithmische Skalierung).
Quantentheorien beschrieben werden das Positron und das Elektron jeweils elektrische nicht mehr mit Feldlinien beschreiben, die sich Die Kräfte zwischen zwei Teilchen aufgrund der
müssen, ist dieser Vergleich nicht hundert­ Ladungen entgegengesetzten Vorzeichens besitzen, bis ins Unendliche erstrecken, denn aus solchen elektromagnetischen und der gravitativen Wechsel­
prozentig korrekt. Insbesondere werden sind die Spuren des Elektrons und Positrons in Feldlinien ergäbe sich zwangsläufig eine wirkung sind umgekehrt proportional zum Quadrat
1
Anziehung und Abstoßung nicht durch entgegengesetzte Richtungen gekrümmt. r2
-Abhängigkeit, wie in Kapitel 2.4.1 beschrieben. des Abstandes der Teilchen. Die Kraft aufgrund der
unterschiedliche Botenteilchen hervorge­ Ein Ausweg wäre eine Beschreibung durch Feldlinien, schwachen Wechselwirkung geht ab einem Abstand
rufen, wie die Bilder vermuten lassen Da bei dem in Abb. 27 dargestellten Prozess ein die sich nicht bis ins Unendliche erstrecken und von 0,002 fm sehr schnell gegen Null. Die Konstanz
könnten. Eine fachlich exakte Darstellung Elektron-Positron-Paar entstanden ist, nennt man stattdessen in einem Abstand von ca. 10–18 – 10–16 m der starken Kraft ab ca. 1 fm führt dazu, dass auch
teilchenphysikalischer Wechselwirkungen diesen Umwandlungsprozess auch „Paarerzeugung“. vom betrachteten Teilchen eine nach der anderen sie nur eine begrenzte Reichweite besitzt, bevor aus
einschließlich Teilchenerzeugung, -vernich­ Das Paar besteht aus einem Teilchen und seinem verschwinden (oder auf anderen schwachen der in die Trennung gesteckte Energie neue Quark–
tung und -umwandlung wird in Kapitel 2.5 Anti-Teilchen. Der umgekehrte Prozess, bei dem sich Ladungen enden). Das plötzliche Verschwinden der Anti-Quark-Paare entstehen. Jenseits von ca. 2 fm
eingeführt und erläutert. also ein Elektron-Positron-Paar in zwei Photonen Feldlinien, wie es in Abb. 29 dargestellt ist, steht wirken nur noch die elektromagnetische Kraft und die
umwandelt, im Widerspruch zum klassischen Feldlinienmodell, Gravitationskraft, die wir beide im Alltag erfahren.

40 41
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Besäßen die Botenteilchen eine Masse, die sehr viel trisch negativ geladen (ZW – = –1). Das Z ist elek- Über die Emission eines W-Teilchens sind die
größer als 100 = GeV

wäre, begänne der steile Abfall trisch neutral. Darüber hinaus besitzen das W +-, Z- folgenden beiden Umwandlungen innerhalb dieses
der schwachen Kraft bereits bei wesentlich kleineren und W –-Teilchen die schwachen Ladungszahlen Dupletts möglich.
Abständen als 0,002 fm. Besäßen die Botenteilchen von IW + = +1, IZ + = 0 und IW – = –1.
hingegen eine Masse, die sehr viel kleiner als e– → νe + W–
100 = GeV

wäre, so würde die schwache Kraft noch Da das W + und W – entgegengesetzte elektrische und
über Abstände von 0,002 fm hinaus genau wie schwache Ladungszahlen sowie eine identische νe → e– + W+
1
die Coulombkraft mit r 2 abfallen. Aufgrund der Masse besitzen, ist das W – das Anti-Teilchen des W +,
gemessenen Reichweite der schwachen Wechsel­ und umgekehrt. Ein Elektron kann sich durch Emission eines
wirkung müssen die Botenteilchen daher eine W –-Teilchens in ein Elektron-Neutrino umwandeln,
Masse von ca. 100 = GeV

besitzen. Über die schwache Wechselwirkung können sich und durch die Emission eines W +-Teilchens kann
Anti-/Teilchen ineinander umwandeln. Dies aus einem Elektron-Neutrino ein Elektron entstehen.
Die schwache Wechselwirkung wird durch drei geschieht durch die Emission (auch: Abstrahlung)
verschiedene, massebehaftete Botenteilchen bzw. die Absorption (auch: Einfang) eines W-Teil- Wie bei jeder Wechselwirkung sind bei diesen
vermittelt, das W +, das W – und das Z-Teilchen. chens (W + oder W –). Teilchenumwandlungen bilden Umwandlungen alle Ladungen erhalten. Bei der
Im Jahr 1983 gelang es zwei verschiedenen den Schlüssel, um zu verstehen, wie Ladungen Umwandlung eines Elektrons in ein Elektron-
Abb. 29: Visualisierung der endlichen Reichweite Experimenten am CERN erstmals, diese drei zur Ordnung der Elementarteilchen beitragen. Neutrino über die Emission eines W –-Teilchens
der schwachen Wechselwirkung im Feldlinienmodell Botenteilchen nachzuweisen und ihre Massen Die Erfahrung zeigt, dass bei Umwandlungen gelten z. B. die folgenden drei Erhaltungssätze:
genau zu bestimmen. Carlo Rubbia und Simon über die schwache Wechselwirkung immer nur
van der Meer erhielten für diesen Nachweis 1984 ganz bestimmte Paare von Teilchen beteiligt sind. 1) Erhalt der elektrischen Ladung
welches daher zur Beschreibung der schwachen den Nobelpreis für Physik28 . Die nachgewiesenen Derartige Teilchenpaare werden als Dupletts
Wechselwirkung (und auch der starken Wechselwir- W +, W – und Z-Teilchen besitzen die Massen bezüglich der schwachen Ladung bzw. der schwa-
kung, siehe unten) nicht ohne weiteres geeignet ist. chen Wechselwirkung bezeichnet29. Die beiden
GeV
mW + = mW– = 80,4 c²
und mZ = 91,2 GeV

. Teilchen eines Paares unterscheiden sich sowohl in
Eine elegantere Beschreibung, die sich auf natürli- ihrer schwachen Ladungszahl I als auch in ihrer
che Weise in das Konzept des Austauschens von Die Reichweite von W-Teilchen beträgt demnach elektrischen Ladungszahl Z immer genau um den
Botenteilchen zur Vermittlung einer Wechselwirkung Betrag eins. Diese Ladungsdifferenzen sind kein 2) Erhalt der schwachen Ladung
einfügt, ist eine Beschreibung durch massebehaftete Zufall, sondern hängen mit den schwachen und
Botenteilchen (Botenteilchen mit m > 0). Man kann elektrischen Ladungszahlen der W-Teilchen
1
aus der Quantenmechanik herleiten, dass Boten­ also 400 des Protonradius, der ca. 0,8 fm beträgt. zusammen, die ebenfalls jeweils den Betrag eins
teilchen der Masse m eine begrenzte (mittlere) Die Z-Teilchen mit einer Masse von mZ = 91,2 GeV

haben und bei der Emission bzw. Absorption dieser
Reichweite von λ = mℏ ·· cc² besitzen27. Dabei ist ℏ das besitzen annähernd die gleiche Reichweite, Botenteilchen alle Ladungen erhalten bleiben
reduzierte Planck’sche Wirkungsquantum und c die müssen.
Lichtgeschwindigkeit. Photonen mit m γ = 0 haben . 3) Erhalt der starken Ladung
daher eine unendliche Reichweite λ γ = ∞. Verwen- In den Dupletts hat immer ein Teilchen die
det man zur Beschreibung der schwachen Wechsel- Ein besonderes Merkmal der schwachen Wechsel- schwache Ladungszahl I = + 12 und das andere
wirkung dagegen massebehaftete Botenteilchen, die wirkung ist offenbar, dass es drei verschiedene die schwache Ladungszahl I = – 12 , wie z. B. das
eine Masse von ca. 100 = GeV c²
besitzen, ergibt sich Botenteilchen gibt. Im Gegensatz dazu existiert zur Elektron-Neutrino und das Elektron, die folgendes
die in Abb. 28 dargestellte und experimentell elektromagnetischen Wechselwirkung nur ein Duplett bilden:
bestätigte Abstandsabhängigkeit der schwachen einziges Botenteilchen, das Photon. Ein weiteres
Kraft zwischen zwei schwach geladenen Teilchen. Charakteristikum der schwachen Wechselwirkung
ist, dass die W +- und W –-Botenteilchen, im
Gegensatz zum Photon, sowohl elektrisch als auch
schwach geladen sind: Das W + ist einfach elektrisch
positiv geladen (ZW + = +1), das W – ist einfach elek-

29 Dupletts der schwachen Ladung sind die einfachsten Multipletts von Materieteilchen, innerhalb derer Umwandlungen über W-Teilchen
27 Siehe Fachliche Hinweise: Endliche Reichweite von massebehafteten Botenteilchen. realisierbar sind. Prinzipiell würde das Standardmodell auch schwache Ladungsmultipletts mit mehr als zwei elementaren Materieteilchen
28 Weitere Informationen zur Entdeckung der Botenteilchen der schwachen Wechselwirkung findet man unter anderem unter erlauben (z. B. Quintetts, in denen elementare Teilchen mit I = +2, +1, 0, –1, –2 und Z = +2, +1, 0,–1, –2 vorkommen könnten, die aber bisher
42 www.nobelprize.org/nobel_prizes/physics/laureates/1984/presentation-speech.html. nicht beobachtet wurden). Die Natur scheint sich bei Materieteilchen auf die einfachste Möglichkeit, nämlich Dupletts, zu beschränken. 43
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Aus der Umwandlungsgleichung e – → ν e + W – 3) Erhalt der starken Ladung Vergleich zu den Dupletts aus den jeweils zugehö­
lassen sich weitere mögliche Prozesse ableiten. rigen Materieteilchen um:
Da solche Umwandlungsgleichungen letztendlich
Zusammenfassungen der obigen Erhaltungssätze
sind, können sie analog zu diesen Gleichungen
behandelt werden. Durch „Subtraktion“ des W –-Teil- Da die W-Teilchen keine starke Farbladung besitzen,
chens in der Umwandlungsgleichung ergibt sich: kann sich bei der Emission bzw. Absorption dieser
Teilchen die Farbladung der beteiligten Quarks nicht Und auch zusammengesetzte Teilchen wie das Innerhalb all dieser Dupletts ändert sich sowohl
e – + (–W –) → ν e ändern. Es sind also die folgenden Umwandlungen Proton und das Neutron können Dupletts bilden: die elektrische Ladungszahl Z als auch die schwache
durch Emission eines W-Teilchens möglich: Ladungszahl I von „unten“ nach „oben“ um +1.
Der Ausdruck (–W –)30 ist dabei so zu interpretieren,
dass es sich dabei um ein Teilchen handelt, welches Emission Emission Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass
genau die zum W –-Teilchen entgegengesetzten eines W –-Teilchens eines W +-Teilchens Ladungen helfen, die Materieteilchen in Dupletts
Ladungen besitzt, da unter diesen Bedingungen dl → ul + W – ul → dl + W + bezüglich der schwachen Ladung zu ordnen und zu
die Erhaltungssätze weiterhin erfüllt bleiben. dn → un + W – un → dn + W + Mit dem Z-Teilchen existiert ein weiteres Botenteil- verstehen, welche Teilchenumwandlungen erlaubt
Es muss sich demnach um das Anti-Teilchen des dq → uq + W – uq → dq + W + chen der schwachen Wechselwirkung, welches in sind und welche nicht. Über die schwache Wechsel-
W –-Teilchens, also das W +-Teilchen, handeln. den bisherigen Betrachtungen weitestgehend außen wirkung können durch Absorption oder Emission
Die Umwandlungsgleichung lautet dann wie folgt: Außerdem sind über die Absorption eines W-Teil- vor gelassen wurde. Da das Z-Teilchen allerdings eines Botenteilchens jeweils nur Teilchen ineinander
chens die folgenden Umwandlungen möglich: keinerlei Ladung besitzt (Z Z = 0, I Z = 0, und C⃗Z = 0
⃗) umgewandelt werden, die sich in einem gemeinsa-
e– + W+ → νe und bei einer Wechselwirkung alle drei Ladungen men Duplett befinden.
Absorption eines Absorption eines erhalten sein müssen, ändern sich bei der Emission
Ein Elektron kann sich also durch Absorption eines W +-Teilchens W –-Teilchens oder Absorption eines Z-Teilchens die Ladungen des 2.4.4 Starke Wechselwirkung: Gluonen
W +-Teilchens in ein Elektron-Neutrino umwandeln. dl + W + → ul ul + W – → dl Materieteilchens nicht. Bei einer Wechselwirkung
Entsprechend kann aus der Umwandlungsgleichung dn + W + → un un + W – → dn mit einem Z-Teilchen wird daher z. B. niemals ein Die starke Wechselwirkung besitzt ebenfalls nur eine
ν e → e – + W + die folgende mögliche Umwandlung dq + W + → uq uq + W – → dq Up- in ein Down-Quark (oder umgekehrt) umgewan- sehr kurze Reichweite. Sie beträgt ca. 2 fm. Die Ursa-
hergeleitet werden: delt, da sich bei solch einer Umwandlung sowohl che der kurzen Reichweite liegt jedoch nicht darin,
Bei all diesen Umwandlungen sind alle drei die schwache Ladungszahl als auch die elektrische dass die Botenteilchen massebehaftet sind (wie im
νe + W– → e– Ladungen erhalten. Für die Umwandlung Ladungszahl ändern würden. Aus demselben Grund Falle der schwachen Wechselwirkung), sondern dass
dl → ul + W – beispielsweise gelten die folgenden wird über ein Z-Teilchen niemals ein Elektron in ein sich jenseits eines Abstands von wenigen fm aus
Insgesamt sind über die schwache Wechselwirkung drei Erhaltungssätze: Elektron-Neutrino (oder umgekehrt) umgewandelt. der bei zunehmendem Abstand stark zunehmenden
also die folgenden vier Umwandlungen zwischen Mögliche Wechselwirkungen mit einem Z-Teilchen potenziellen Energie neue Quark-Anti-Quark-Paare
Elektron und Elektron-Neutrino möglich: 1) Erhalt der elektrischen Ladung (hier: Emission) sind dagegen: bilden (siehe Kapitel 2.2.3). Wie in Kapitel 2.2.3
beschrieben, nimmt die starke Kraft ab einem
Emission Absorption ul → ul + Z dl → dl + Z Abstand von etwa 0,2 fm einen konstanten Wert an,
eines Botenteilchens eines Botenteilchens un → un sind
(hier: Emission) + Z dagegen: dn → dn + Z ändert sich also bei weiter zunehmendem Abstand
e– → νe + W– e– + W+ → νe uq → uq + Z dq → dq + Z nicht. Versucht man ein derartiges Verhalten im
νe → e– + W+ νe + W– → e– sowie Feldlinienmodell zu beschreiben, erhält man
e– → e – + Z νe → νe + Z automatisch einen Widerspruch. Da die Feldlinien-
Ein weiteres Duplett bezüglich der schwachen 2) Erhalt der schwachen Ladung dichte ein Maß für die Stärke der wirkenden Kraft
Ladung kann aus dem Up- und dem Down-Quark Anti-Materieteilchen bilden ebenfalls Dupletts, ist, müsste diese Dichte mit zunehmendem Abstand
gebildet werden: innerhalb derer die Teilchen mithilfe der schwachen ebenfalls konstant bleiben. Dies ist nur möglich,
Ladungszahl geordnet werden. Da per Konvention wenn spontan, also ohne Vorhandensein weiterer
bei einem Duplett immer das Teilchen mit der stark geladener Teilchen, neue Feldlinien entstehen
schwachen Ladungszahl + 12 oben steht, kehren sich (siehe Abb. 30). Für die Beschreibung der Abstands-
bei Anti-Materieteilchen die Duplett-Einträge im abhängigkeit der starken Kraft ist das klassische

44 30 Diese Schreibweise ist in der Teilchenphysik nicht gebräuchlich, sondern dient hier nur der Veranschaulichung. 45
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lassen sich, genau wie die Quarks und die An-


ti-Quarks, einzelnen Gitterpunkten im Farbgitter
zuordnen. In Abb. 31 beispielsweise ist der Gitter-
punkt des rot–anti-grünen Gluons auf dem Farb- ul –
up
gitter dargestellt. Er ergibt sich aus der vektoriellen
Summe eines roten und eines anti-grünen Farb­
ladungsvektors.
Abb. 33: Feldlinien-Schlauch der starken Wechsel­
g lr Die starken Ladungen der verbleibenden zwei wirkung zwischen zwei Quarks
Gluonen sind auf kompliziertere Weise aus Farb-
ladungsvektoren zusammengesetzt und werden
im Folgenden mit g und g bezeichnet. Da sich ob die beiden wechselwirkenden Quarks 0,2 fm oder
die Farbladungsvektoren dieser beiden Gluonen weiter voneinander entfernt sind. Dies führt dazu,
insgesamt zum Nullvektor addieren, befinden dass ab einem Abstand von ca. 0,2 fm die Kraft
sich diese beiden Gluonen im Koordinatenursprung zwischen den Quarks konstant ist und nicht mehr
des Farbgitters. Die Gitterpunkte aller acht Gluonen vom Abstand der Quarks abhängt. Vergrößert sich
Abb. 30: Visualisierung der Konstanz der starken Abb. 31: Farbladungsvektor des rot–anti-grünen sind in Abb. 32 dargestellt. der Abstand der Quarks zueinander, so ist die im
Kraft bei zunehmendem Abstand im Feldlinienmodell Gluons dargestellt als vektorielle Summe eines System gespeicherte Energie bei einem Abstand von
roten und eines anti-grünen Farbladungsvektors auf Dass Gluonen selbst eine starke Ladung besitzen, ca. 1-2 fm groß genug, damit ein neues Quark-Anti-
dem Farbgitter ist der tiefliegende Grund dafür, dass die starke Quark-Paar entstehen kann. Dieses neue Quark-Anti-
Wechselwirkung nur eine begrenzte Reichweite von Quark-Paar bildet anschließend mit den ursprüngli-
Feldlinienmodell also offenbar nur eingeschränkt 1-2 fm besitzt: Die Gluonen treten miteinander in chen Quarks je ein Hadron, d. h. ein aus Anti-/Quarks
geeignet, da dieses die spontane Entstehung neuer Wechselwirkung und ziehen sich gegenseitig an31 . bestehendes Teilchen ohne resultierende Farbladung
Feldlinien nicht zulässt. Die starke Wechselwirkung m m Im Feldlinienmodell führt dies dazu, dass sich die (siehe Abb. 34). Dieses Phänomen wird als „Confine-
muss also ebenfalls mit Hilfe von Botenteilchen gn gl Feldlinien der starken Wechselwirkung zwischen zwei ment“ bezeichnet und ist der Grund dafür, dass die
beschrieben werden. sich anziehenden Quarks oder zwischen Quark und starke Wechselwirkung zwischen Quarks effektiv eine
Anti-Quark ab einem Abstand von ca. 0,2 fm zu einer endliche Reichweite von 1-2 fm besitzt.
Der starken Wechselwirkung unterliegen nur pn lr Art „Schlauch“ zusammenziehen (siehe Abb. 33).
Teilchen, die Farbladungsvektoren besitzen. Wie g g Da die Gluonen ausschließlich starke Farbladungen
in Kapitel 2.3.3 beschrieben, kommen die Quarks
g g Das Besondere an diesem Feldlinien-Schlauch ist, und keine weiteren Ladungen besitzen, kann auf-
mit den drei verschiedenen Farbladungsvektoren dass die Feldlinien parallel sind, sich also der Abstand grund der starken Wechselwirkung die elektrische
l (rot), n (grün) und q (blau) und die Anti-Quarks benachbarter Feldlinien innerhalb des Schlauchs und die schwache Ladung eines Teilchens nicht
g pq gqr
mit den drei Farbladungsvektoren p (anti-rot), nicht ändert und zum anderen unabhängig davon ist, geändert werden. Bei der starken Wechselwirkung
r (anti-grün) sowie m (anti-blau) vor.

Die Botenteilchen der starken Wechselwirkung sind


die acht sogenannten Gluonen (engl. glue = kleben).
Die Gluonen besitzen keine Masse Abb. 32: Die Gitterpunkte aller acht Gluonen auf –p –
(mgi = 0, i = 1, …, 8), sind elektrisch neutral dem Farbgitter ul d dl up
(Zgi = 0, i = 1, …, 8) und besitzen keine schwache
Ladung (Igi = 0, i = 1, …, 8). Sie besitzen jedoch Farbe und eine Anti-Farbe und werden mit glr
m
Farbladungsvektoren, in denen sie sich unterschei- (rot–anti-grünes Gluon), gl (rot–anti-blaues Gluon),
q
g r (blau–anti-grünes Gluon), g p (blau–anti-rotes
q
den. Die acht Farbladungsvektoren der Gluonen sind Abb. 34: Quark-Anti-Quark-Paar, entstanden aus der Feldenergie zwischen zwei Quarks aufgrund der
Gluon), g (grün–anti-rotes Gluon), g n (grün–an-
pn m
Summen von Farbladungsvektoren der Anti-/Quarks. starken Wechselwirkung (Confinement)
Sechs der insgesamt acht Gluonen besitzen je eine ti-blaues Gluon) bezeichnet. Diese sechs Gluonen

31 Da Gluonen selbst stark geladen sind, können sie außerdem - genau wie Quarks - weitere Gluonen emittieren, was im Feldlinienbild als spon-
46 tane Entstehung neuer Feldlinien gedeutet werden kann. 47
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kann ausschließlich die Farbladung eines Quarks 3) Erhalt der starken Ladung Umwandlung die Erhaltungssätze der elektrischen Wechselwirkung ein anderes physikalisches Prinzip
oder Anti-Quarks geändert werden. Die Quarks und Ladungszahl Z sowie der schwachen Ladungszahl I zugrunde liegt als beispielsweise der elektromag­
C⃗uq = C⃗un + C⃗g q

netischen Wechselwirkung: Die elektromagnetischen


r
Anti-Quarks bilden daher sogenannte Farb-Tripletts: verletzen würde.
q = n + qr Wechselwirkung wird durch sich in der Raum-Zeit
(u , u , uq)
l n q=q Materieteilchen lassen sich also aufgrund ihrer bewegende Botenteilchen vermittelt, während sich
(dl, dn , dq) Entsprechend sind durch Emission eines Gluons Ladungen in Multipletts ordnen. Bezüglich der bei der gravitativen Wechselwirkung die Raum-Zeit
– – –
(d p, d r , d m) zudem z. B. die folgenden Umwandlungen zwischen schwachen Ladung existieren Dupletts mit zwei selbst bewegt und krümmt. Nach dem hypotheti-
– – –
(u p, u r , u m) Quarks aufgrund der starken Wechselwirkung Anti-/Teilchen, und bezüglich der starken Ladung schen Graviton wird intensiv gesucht, es wurde bis
möglich: existieren Tripletts mit drei Anti-/Teilchen. Durch heute aber nicht entdeckt. Außerdem kennt man
Über die starke Wechselwirkung können nur Anti-/ Emission und Absorption von Botenteilchen der keine zur gravitativen Wechselwirkung gehörende
Teilchen innerhalb eines solchen Tripletts ineinander ul → un + glr dl → dn + glr jeweiligen Wechselwirkungen sind Umwandlungen Ladung. Die Masse kann nicht die zur gravitativen
q q
umgewandelt werden. Diese Umwandlungen uq → ul + g p dq → dl + g p zwischen den Anti-/Teilchen innerhalb eines Wechselwirkung gehörende Ladung sein, da sie
geschehen durch Emission oder Absorption eines Multipletts möglich. Über die elektromagnetische keine Erhaltungsgröße ist, was eine Anforderung an
der sechs Gluonen, die eine resultierende Farb­ Weiterhin sind durch Absorption eines Gluons u. a. Wechselwirkung sind durch Emission oder Absorp­ eine Ladung im Sinne des Standardmodells darstellt.
ladung besitzen (sich also nicht im Koordinaten­ die folgenden Umwandlungen möglich: tion von Photonen keine Umwandlungen möglich, Darüber hinaus gibt es keine negativen Massen,
ursprung des Farbgitters befinden). Auf diese da Photonen weder eine elektrische noch eine weshalb die gravitative Wechselwirkung im Gegen-
Weise sind beliebige Umwandlungen zwischen ul + g pn → un dl + g pn → dn schwache oder starke Ladung besitzen. In der satz zu den drei fundamentalen Wechselwirkungen
m m
den drei Anti-/Quarks eines Farb-Tripletts möglich. uq + g l → ul dq + g l → dl Multiplett-Darstellung bedeutet dies, dass alle des Standardmodells lediglich anziehende und keine
Anti-/Teilchen bezüglich der elektrischen Ladung abstoßenden Kräfte hervorrufen kann. Anti-Teilchen
So ist es aufgrund der starken Wechselwirkung Diese Umwandlungen gehen direkt aus den obigen Singuletts (Multipletts mit nur einem Teilchen) besitzen also dieselbe positive Masse wie die zuge-
beispielsweise möglich, dass ein Up-Quark mit vier Umwandlungen durch die Umformung der bilden. Weiterhin bilden alle Anti-/Teilchen, die hörigen Teilchen. Wäre die Masse eine Ladung im
blauem Farbladungsvektor (uq) durch Emission eines Umwandlungsgleichung, wie es in Kapitel 2.4.3 keine Farbladung besitzen, Singuletts bezüglich der Sinne des Standardmodells, so müsste sie zwischen
q
blau–anti-grünen Gluons (g r) in ein Up-Quark mit bezüglich der schwachen Wechselwirkung über starken Ladung, da diese Anti-/Teilchen nicht an Teilchen und Anti-Teilchen ihr Vorzeichen wechseln.
grünem Farbladungsvektor (un) umgewandelt wird: W-Teilchen beschrieben wurde, hervor. Ein Up-Quark der starken Wechselwirkung teilnehmen und sich
mit rotem Farbladungsvektor kann demnach auf daher insbesondere nicht über die Emission oder
uq → un + g r
q
zwei verschieden Arten in ein Up-Quark mit grünem Absorption von Gluonen umwandeln können. 2.5 FEYNMAN-DIAGRAMME
Farbladungsvektor umgewandelt werden. Zum einen
Bei dieser Teilchenumwandlung sind alle drei ist dies über die Emission eines rot–anti-grünen 2.4.5 Gravitative Wechselwirkung Die Wechselwirkungen zwischen Elementarteilchen
Ladungen erhalten, denn es gelten die folgenden Gluons möglich (ul → un + glr). Zum anderen kann können durch sogenannte Feynman-Diagramme
drei Erhaltungssätze: dies durch die Absorption des zu diesem Quark Die Gravitationskraft zwischen zwei massebehaf­ graphisch veranschaulicht werden. Ein Feynman-
gehörigen Anti-Teilchens, also eines grün–anti-roten teten Teilchen, die sich in einem Abstand r Diagramm stellt dar, wie die wechselwirkenden
1) Erhalt der elektrischen Ladung Gluons, geschehen (ul + g pn → un). zueinander befinden, ist proportional zum Produkt Teilchen miteinander interagieren. Es illustriert, wie
der Teilchenmassen und umgekehrt proportional neue Teilchen entstehen oder vorhandene Teilchen
Zuq = Zun + Zg q

Bei Emission oder Absorption eines Anti-/Quarks zum Quadrat ihres Abstandes. Somit besitzt die vernichtet werden. Zudem wird veranschaulicht,
r

+ 23 = + 23 +0 mit einem der beiden farbneutralen Gluonen g und gravitative Wechselwirkung eine unendliche wie Anziehung und Abstoßung zwischen Materie-
g verändert sich der Farbladungsvektor des Anti-/ Reichweite und lässt sich, genau wie die elektroma- teilchen durch den Austausch von Botenteilchen
+ 23 = + 23
Quarks nicht: gnetische Wechselwirkung, mit dem klassischen vermittelt werden. Darüber hinaus können aus
2) Erhalt der schwachen Ladung Feldlinienmodell beschreiben. Man könnte nun auf Feynman-Diagrammen die zugehörigen Prozess-
die Idee kommen, die gravitative Wechselwirkung wahrscheinlichkeiten abgelesen werden.
Iu = Iu +Ig q
ul → ul + g dl → dl + g
q n r
auf der Ebene der Elementarteilchen, analog zur
+ 21 = + 21 +0 uq → uq + g dq → dq + g elektromagnetischen Wechselwirkung, ebenfalls
durch den Austausch eines masselosen Botenteil-
+ 21 = + 21 Die Umwandlung beispielsweise eines Up-Quarks chens, des sogenannten Gravitons, zu beschreiben.
in ein Down-Quark (oder umgekehrt) ist über die Die genaue Ausarbeitung dieser Beschreibung ist
starke Wechselwirkung nicht möglich, weil diese jedoch bis heute nicht gelungen, da der gravitativen

48 49
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Zeitpunkt (x 1, t 1) beginnen und an einem Ort zu chen. Bei jedem dieser Bausteine handelt es sich Im Falle masseloser Botenteilchen, also Photonen
x x einem anderen Zeitpunkt (x 2, t 2) enden. Im Falle um einen Vertex, an dem sich drei Linien treffen, oder Gluonen, müssen bei einem physikalisch
eines ruhenden Teilchens sind die Orte x 1 und x 2 wobei jeweils genau eine Botenteilchen-Linie vollständigen Prozess weitere Teilchen an einem
identisch. Ein ruhendes Teilchen wird demnach vorhanden ist. Deshalb werden die Grundbausteine zweiten Vertex entstehen oder absorbiert werden34,
durch eine horizontale Linie visualisiert. Jede im Folgenden allgemein als Vertices (Singular: da sonst Energie- und Impuls-Erhaltung nicht
Teilchenart wird dabei durch einen anderen Vertex) bezeichnet. gleichzeitig erfüllt werden können. Bei solchen
Linientyp dargestellt (siehe Abb. 36): Prozessen entstehen in den vollständigen Diagram-
y t 2.5.2 Emission eines Botenteilchens men „innere Linien“, die so genannte „virtuelle
Materieteilchen (Quarks, Elektronen oder Neutrinos) Teilchen“ darstellen. Diese Bemerkung gilt gleicher-
Abb. 35: Achsen eines x-y-Diagramms (links) und sind durch eine durchgezogene Linie mit einem Ein Materie- oder Anti-Materieteilchen kann spontan maßen für alle folgenden Vertices.
eines x-t-Diagramms (rechts) Pfeil in der Mitte, der im x-t-Diagramm in die ein Botenteilchen emittieren, wenn es eine zu dem
positive zeitliche Richtung, d. h. nach rechts, zeigt, Botenteilchen, d. h. zu der zugehörigen Wechsel­ 2.5.3 Absorption eines Botenteilchens
dargestellt. Anti-Materieteilchen (Anti-Quarks, wirkung, gehörende Ladung besitzt. Dabei kann eine
Im Folgenden werden Feynman-Diagramme als Positronen oder Anti-Elektron-Neutrinos) werden Umwandlung des Materieteilchens stattfinden. Ebenso ist es möglich, dass ein Materie- oder
Ort-Zeit-Diagramme eingeführt. (Eine Abgrenzung in Form einer durchgezogenen Linie mit einem Pfeil Der Vertex, der solch eine Emission beschreibt, ist Anti-Materieteilchen ein Botenteilchen absorbiert,
zur streng theoretischen Interpretation ist im in der Mitte gezeichnet, der im x-t-Diagramm in die in Abb. 37 dargestellt. Je nachdem, welche Ladungen wobei ebenfalls eine Umwandlung stattfinden kann.
Infokasten auf Seite 57 zu finden.) Eine Vorstufe negative zeitliche Richtung, d. h. nach links, zeigt. das Materieteilchen besitzt, kann es sich bei dem Der Vertex, der solch eine Absorption beschreibt,
dazu stellen Ort-Ort-Diagramme dar. In diesen ist Ein Photon, W- oder Z-Teilchen wird durch eine Botenteilchen entweder um ein Photon, ein ist in Abb. 38 dargestellt.
auf der Abszisse die y-Koordinate und auf der gewellte Linie und ein Gluon durch eine gekringelte W-Teilchen, ein Z-Teilchen oder ein Gluon handeln.
Ordinate die x-Koordinate des Teilchens (d. h. des Linie, jeweils ohne Pfeil, dargestellt. An einem solchen Vertex sind jeweils zwei Materie- x
Wellenpakets, welches das Teilchen beschreibt) teilchen beteiligt, die sich bezüglich der entspre-
dargestellt. Im Ort-Zeit-Diagramm ist auf der Abs- Die Wechselwirkung zwischen Teilchen bildet chenden Wechselwirkung in einem gemeinsamen
zisse die Zeit und auf der Ordinate die x-Koordinate man in einem x-t-Diagramm dadurch ab, dass die Multiplett befinden33 .
des Teilchens dargestellt (siehe Abb. 35 rechts). Teilchenlinien an einem Punkt des Diagramms
zusammentreffen. Ein solcher Treffpunkt heißt Bei der Emission eines Botenteilchens ändert sich
Im x-y-Diagramm werden sich bewegende Teilchen Vertex (Plural: Vertices). Im Folgenden werden die in der Regel sowohl die Energie als auch der Impuls
durch Linien dargestellt, die an einem Ort (x 1, y 1) Vertices der drei fundamentalen Wechselwir­kungen des Anti-/Materieteilchens.
beginnen und an einem anderen Ort (x 2, y 2) enden. des Standardmodells genauer betrachtet. t
Ruhende Teichen werden durch einen Punkt x
dargestellt. Im x-t-Diagramm werden alle Teilchen 2.5.1 Vertices Abb. 38: Vertex der Absorption eines Botenteilchens
durch Linien dargestellt, die an einem Ort zu einem durch ein Materieteilchen
Die drei fundamentalen Wechselwirkungen des
Standardmodells werden auf der Ebene der
u, d, e–, ν
– Elementarteilchen durch den Austausch von Auch bei der Absorption des Botenteilchens ändern

u, d, e+, –ν Botenteilchen beschrieben (siehe Kapitel 2.4.2). sich in der Regel die Energie und der Impuls des
Das umfasst die anziehenden und die abstoßenden Anti-/Materieteilchens. An einem solchen Vertex
ɣ, W, Z Kräfte, die Umwandlung von Teilchen sowie die sind ebenfalls jeweils zwei Anti-/Materie­teilchen
t
g Erzeugung und Vernichtung von Teilchen. beteiligt, die sich in einem gemeinsamen Multiplett
Abb. 37: Vertex der Emission eines Botenteilchens befinden.
All diese Phänomene können durch verschiedene durch ein Materieteilchen
Abb. 36: Linientypen für ein Materieteilchen (oben), Feynman-Diagramme32 beschrieben werden, die auf
ein Anti-Materieteilchen (zweite von oben), ein vier Feynman-Diagramm-Grundbausteinen basieren,
Photon, W- oder Z-Teilchen (dritte von oben) und ein die im Folgenden näher erläutert werden. Diese
Gluon (unten) in einem Feynman-Diagramm Grundbausteine beschreiben eine Wechselwirkung
zweier Anti-/Materieteilchen mit einem Botenteil-

32 Feynman-Diagramme können entweder im Ort-Zeit-Raum oder im Impuls-Energie-Raum beschrieben werden. Zur leichteren Vorstellbarkeit
zeichnen wir sie hier als Ort-Zeit-Diagramme. Die Berechnung im Impuls-Energie-Raum hat jedoch zur Folge, dass örtliche Lage und zeitliche 33 Sofern es sich um ein Singulett handelt, sind die am Vertex beteiligten Materieteilchen identisch, da keine Umwandlung stattfinden kann.
50 Reihenfolge der Vertices ihre Bedeutung verlieren (siehe auch Infokasten auf Seite 57). 34 Beispielsweise kann wie bei der Comptonstreuung e– + γ → e– + γ (siehe unten) ein weiteres Botenteilchen absorbiert werden. 51
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x x 2.5.6 Energie-Impuls-Erhaltung und


virtuelle Teilchen 700
600

Energie / GeV
An jedem Vertex sind die Energie und der Impuls 500
erhalten. Somit ist die Summe der Energien/Impulse 400
aller einlaufenden Teilchen gleich der Summe
300
der Energien/Impulse aller auslaufenden Teilchen. Photon
Da die Energie-Impuls-Erhaltung für jeden Vertex mt c 200 • 2
Top
gilt, gilt sie automatisch für ein aus mehreren mw c2 100 •
W
t t
Vertices zusammengesetztes Feynman-Diagramm. 0
0 100 200 300 400 500 600
Abb. 39: Vertex der Paarvernichtung eines Materie- Abb. 40: Vertex der Paarerzeugung eines Teilchens
teilchens (obere Linie) und eines Anti-Materieteil­ (obere Linie) und eines Anti-Teilchens (untere Linie) Die Energie-Impuls-Erhaltung an jedem Vertex hat Impuls/ GeV
c
chens (untere Linie) aus einem Botenteilchen eine interessante Konsequenz: In einem Feynman-
Diagramm kann es passieren, dass im Inneren Abb. 41: Energie-Impuls-Beziehung für reelle
des Diagramms Teilchen auftreten, die eine Teilchen am Beispiel von Photon (E = p · c),
2.5.4 Paarvernichtung erhält man aus dem Vertex der Botenteilchen-Emis- Kombination von Energie und Impuls besitzen, die W-Teilchen und Top-Quark. Für kleine Impulse gilt
sion (Abb. 37), indem man die Linie des auslaufen- nicht der relativistischen Energie-Impuls-Beziehung beim W-Teilchen und dem Top-Quark näherungswei­
p2
Neben der Emission und der Absorption eines den Materieteilchens auf die linke Seite klappt. Auf E = √p 2 c 2 + E02 entspricht, die man bei der se die nicht-relativistische Beziehung E = E 0 + 2 · m ,
Botenteilchens durch ein Anti-/Materieteilchen ist diese Weise wird aus dem aus­laufenden Materie- entsprechenden Teilchenmasse erhalten würde. die für das Top-Quark violett gestrichelt eingezeich­
es ebenfalls möglich, dass sich ein Teilchen und teilchen ein einlaufendes Anti-Materieteilchen, da So muss z. B. die Energie des W-Teilchens bei net ist. Bei großen Impulsen nähern sich die E(p)-
ein Anti-Teilchen gegenseitig auslöschen, wobei ein durch diese Drehung die Pfeilrichtung umgekehrt der β-Umwandlung eines ruhenden Neutrons Kurven aller Teilchen der hoch-relativistischen Pho-
Botenteilchen entsteht. Diesen Prozess nennt wurde36 . E = m n · c² – m p · c² = 1,3 MeV betragen, ton-Gerade E(p) = p · c an. Virtuelle Teilchen dürfen
man Paarvernichtung. Der zugehörige Vertex ist obwohl selbst ein ruhendes W-Teilchen allein an jedem beliebigen Punkt in der E-p-Ebene liegen.
in Abb. 39 dargestellt. Das Umklappen der Linien der Vertices ist nichts aufgrund seiner eigenen Masse bereits eine über
anderes als die Visualisierung der Umformung von 60.000-fach höhere Energie (Ruheenergie) von
2.5.5 Paarerzeugung Umwandlungsgleichungen, wie sie in Kapitel 2.4.3 E 0 = m W · c² = 80.400 MeV besitzen müsste.
und 2.4.4 beschrieben wurde. Dies bedeutet, dass Teilchen im Inneren eines Feynman-Diagramms
Der zur Paarvernichtung entgegengesetzte Prozess man aus dem Vertex eines aufgrund der Ladungser- nennt man deshalb virtuelle Teilchen. Sie besitzen
ist die sogenannte Paarerzeugung. Dabei wandelt haltung erlaubten Prozesses durch Umklappen der zwar durch die ein- und auslaufenden Teilchen über

Häufigkeit
sich ein Botenteilchen in ein Teilchen und ein Linien stets weitere erlaubte Prozesse ableiten kann. die Energie- und Impulserhaltung an den Vertices
Anti-Teilchen um. Der zu diesem Prozess gehörende Dabei sind an einem Vertex der Botenteilchen- genau definierte Werte von Energie und Impuls (und
Vertex ist in Abb. 40 dargestellt35 . Emission und der Botenteilchen-Absorption jeweils über andere Erhaltungssätze eine genau definierte
Anti-/Materieteilchen aus einem gemeinsamen Ladung, Drehimpuls und andere Quantenzahlen),
Die vier in Abb. 37 bis Abb. 40 dargestellten Vertices Multiplett vorhanden. Für die Vertices der Paarer- eine Zuordnung der Eigenschaft „Masse“ und damit
gehen auseinander hervor, indem man die Teilchen- zeugung und der Paarvernichtung folgt daraus, dass auch „Geschwindigkeit“ zu dem virtuellen Teilchen ist
linien wie die Zeiger einer Uhr um den Teilchen­ dabei jeweils ein Materieteilchen und ein zu einem aber nicht mehr sinnvoll. In der in Abb. 41 gezeigten 75 80 85
treffpunkt dreht: Den Vertex der Boten­teilchen- Materieteilchen desselben Multipletts gehöriges E – p – Ebene können virtuelle Teilchen an einem Ruheenergie (GeV)
Absorption (Abb. 38) erhält man beispielsweise aus Anti-Materieteilchen beteiligt sind. beliebigen Punkt in der gesamten Ebene liegen.
dem Vertex der Botenteilchen-Emission (Abb. 37), Abb. 42: Die Ruheenergieverteilung von W-Teilchen
indem man die Linie des Botenteilchens nach links Es gibt daher auch virtuelle Teilchen mit einem
klappt. Den Vertex der Paarvernichtung (Abb. 39) Impuls (p > 0), aber ohne Energie (E = 0) (wie z. B.
ausgetauschte virtuelle Photonen im Schwerpunkts- tung von Elektron und Positron mit entgegengesetz-
system der elastischen Streuung zweier Elektronen) tem, betragsmäßig gleichem Impuls in ein virtuelles
35 Sofern es sich um Prozesse der elektromagnetischen oder der starken Wechselwirkung handelt, müssen in einem vollständigen physikali-
schen Prozess bei Paarvernichtungen und Paarerzeugungen stets zwei Botenteilchen beteiligt sein, da sonst, je nach Bezugssystem, entweder oder virtuelle Teilchen mit einer Energie (E > 0), Photon, das die Summe der Energien beider
die Energie- oder die Impulserhaltung verletzt wäre. Dies ist eine Folge der Tatsache, dass Photonen und Gluonen masselose Botenteilchen aber ohne Impuls (p = 0) (z. B. bei der Paarvernich- Teilchen besitzt, und dessen Impuls gleich Null ist).
sind. Das zweite Botenteilchen wird bei der Paarvernichtung von einem der beiden annihilierenden Materieteilchen emittiert. Es entstehen
dabei also stets zwei Botenteilchen. Bei der Paarerzeugung wird das zweite Botenteilchen von einem der beiden entstehenden Materieteil-
chen absorbiert oder emittiert. Ein Vertex der Paarvernichtung tritt also immer nur in Kombination mit einem Vertex der Botenteilchen-
Emission auf, der Paarerzeugungs-Vertex hingegen stets nur in Kombination mit einem Vertex der Botenteilchen-Absorption oder -Emission.
36 Die Anti-/Teilchen, die vor der Wechselwirkung vorhanden sind, werden auch als im Feynman-Diagramm einlaufende Anti-/Teilchen bezeich-
52 net. Die nach der Wechselwirkung vorhandenen Anti-/Teilchen nennt man entsprechend auslaufende Anti-/Teilchen. 53
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Die bei einer Reaktion ein- und auslaufenden 2.5.7 Ladungserhaltung 2.5.9 Beispielprozesse
Teilchen liegen dagegen genau auf den durch die x
spezielle Relativitätstheorie gegebenen Hyperbeln. An jedem Vertex sind alle Ladungen jeweils Durch das Aneinanderfügen von Linien der
He 2+
Ein- und auslaufende Teilchen sind daher immer erhalten. D. h. für jede der drei Ladungsarten gilt: He 2+ verschiedenen Vertices aus Kapitel 2.5.1 erhält man
„reelle“ Teilchen. Die Summe der Ladungen aller zum Vertex neue Feynman-Diagramme, die kompliziertere
hinlaufenden Teilchen ist gleich der Summe der Wechselwirkungen mehrerer Teilchen beschreiben.
Atomkern
Hat ein reelles Teilchen außerdem eine endliche Ladungen aller vom Vertex weglaufenden Teilchen. Es dürfen jedoch nur Linien gleichen Typs zusam-
mittlere Lebensdauer, so ist seine Masse mit Ein Feynman-Diagramm kann daher als Fluss­ mengefügt werden. Fügt man durchgezogene Linien
einer Unschärfe behaftet. Die Ruheenergien von diagramm für Ladungen gedeutet werden37. y zusammen, so muss dabei eine durchgehende
W-Teilchen sind daher z. B. wie in Abb. 42 um den Pfeilrichtung entstehen. Im Folgenden werden vier
Wert E 0 = m W · c² = 80.400 MeV verteilt. In Abb. 41 2.5.8 Reaktionswahrscheinlichkeiten Beispielprozesse vorgestellt.
müsste daher die grüne Linie der reellen W-Teilchen
und die blaue der reellen Top-Quarks im Vergleich Feynman-Diagramme dienen nicht nur der x Rutherford-Streuung
zum Photon leicht verbreitert gezeichnet werden, graphischen Veranschaulichung von Wechselwir­ He 2+ Als Rutherford-Streuung bezeichnet man die
was aber bei einer Breite von ca. 1-2 GeV im Bild kungen zwischen Teilchen, sondern aus ihnen lässt He 2+ Streuung eines elektrisch geladenen Teilchens, z. B.
kaum erkennbar wäre. sich auch die Wahrscheinlichkeit der beschriebenen eines Heliumkerns (He2+), an einem ruhenden,
Wechselwirkung (die sogenannte Reaktionswahr- elektrisch geladenen Streuzentrum wie etwa einem
Atomkern Atomkern
Würde man bei der β-Umwandlung des Neutrons scheinlichkeit) ablesen: Atomkern. In Abb. 43 ist das x-y-Diagramm und
die Ruheenergie des entstehenden virtuellen t die Feynman-Diagramme, welche diese Streuung
W-Teilchens aus der Formel E 0 = √E 2 – p 2 · c 2 Jeder Vertex trägt den Faktor α i · Ladung 1 · Ladung 2 beschreiben, auf verschiedene Weisen dargestellt.
ausrechnen, so ergäbe sich ein Wert von höchstens zur Reaktionswahrscheinlichkeit bei.
0,0013 GeV, weit jenseits des linken Randes der Im oberen Diagramm ist der Streuprozess in der
in Abb. 42 gezeigten Verteilung. Analog zu einer Hierbei ist α i der Kopplungsparameter der Wechsel- x x-y-Ebene abgebildet: Ein sich in der x-y-Ebene von
klassischen erzwungenen Schwingung mit einer wirkung, die an dem entsprechenden Vertex statt- He 2+ links nach rechts bewegender Heliumkern wird
Erregerfrequenz weit weg von der Resonanzfre- findet. Ladung 1 und Ladung 2 sind die zu der He 2+ an einem ruhenden Atomkern gestreut. Nach der
quenz (hier: mit einer „erzwungene“ Ruheenergie Wechselwirkung gehörenden Ladungszahlen bzw. Streuung bewegen sich der Heliumkern in eine
E 0 = √E 2 – p 2 · c 2 des W-Teilchens weit weg von Farbladungsvektoren der Anti-/Materieteilchen am andere Richtung und der Atomkern ein klein wenig
der „nominellen“ Ruheenergie E 0 = m W · c 2, bei der Vertex, d. h. Atomkern Atomkern nach rechts. Die Details des Streuprozesses sind
eine analoge „Resonanz“ liegt) ergibt sich für einen hinter einer „Blackbox“ in Form einer schwarzen
solchen Prozess eine sehr kleine Wahrscheinlich­ α i · Ladung 1 · Ladung 2 = α em · Z 1 · Z 2 t Kreisscheibe verborgen. In der mittleren Abbildung
keitsamplitude. Quantenmechanisch bedeutet dies, für die elektromagnetische Wechselwirkung, ist der Streuprozess in einem Feynman-Diagramm
dass ein solches virtuelles W-Teilchen, das eine Abb. 43: Diagramma­tische Darstellungen der abgebildet: Da der Atomkern im Anfangszustand
Energie E 0 weit weg von seiner Resonanz besitzt, αi · Ladung 1 · Ladung 2 = α W · I 1 · I 2 Rutherford-Streuung. Oben: x-y-Diagramm; ruht, ist er im Feynman-Diagramm durch eine
sehr selten erzeugt werden kann. Aus diesem Grund für die schwache Wechselwirkung und Mitte: Feynman-Diagramm mit Blackbox; horizontale Linie dargestellt. Nach der Streuung
findet die β-Umwandlung des Neutrons nur relativ Unten: Feynman-Diagramm mit detaillierter bewegen sich der Heliumkern und der Atomkern
selten statt und die mittlere Lebensdauer eines αi · Ladung 1 · Ladung 2 = α s · C⃗1 · C⃗2 Darstellung des Wechselwirkungsprozesses vom Streuzentrum weg. Die Details der Wechselwir-
Neutrons beträgt ca. 15 Minuten. Aus demselben für die starke Wechselwirkung. kung sind ebenfalls hinter einer Blackbox verborgen.
Grund geschieht die Kernfusion in Sternen, d. h. In der unteren Abbildung ist der Streuprozess
die Umwandlung von Protonen in Neutronen Da die drei Kopplungsparameter alle vom Betrag ebenfalls in einem Feynman-Diagramm abgebildet,
mithilfe der Bindungsenergie des entstehenden kleiner als 1 sind, ist die Reaktionswahrscheinlichkeit wobei die Wechselwirkung durch den Austausch
Heliums, extrem langsam, so dass unsere Sonne eines Prozesses umso kleiner, je mehr Vertices das eines Photons explizit dargestellt ist: Der Helium-
Milliarden Jahre lang brennen kann. Hätte das Feynman-Diagramm enthält. Wie häufig ein Wechsel- kern und der Atomkern sind jeweils elektrisch
W-Teilchen z. B. nur eine halb so große Masse, wirkungsprozess im Vergleich zu einem anderen ist, positiv geladen. Sie können daher miteinander über
wäre die Sonne längst ausgebrannt. lässt sich ermitteln, indem man das Verhältnis der die elektromagnetische Wechselwirkung in
Reaktionswahrscheinlichkeiten der Prozesse bildet. Wechselwirkung treten, indem sie ein Photon

54 37 Siehe auch Fachliche Hinweise: Feynman-Diagramme als Ladungsflussdiagramme am Beispiel des Pion-Austauschs. 55
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INFOKASTEN:
x x ÄQUIVALENTES FEYNMAN-DIAGRAMM
ɣ e–
ɣ
e–
ZUR COMPTON-STREUUNG MIT UMGEKEHRTER
ZEITLICHER REIHENFOLGE DER IM INNEREN
e– ABLAUFENDEN PROZESSE

ɣ ɣ
Abb. 44:
Diagrammatische Die zeitliche Reihenfolge der Vertices in Teilchen eine positive Energie fordert, dann
y t
Darstellungen einem Feynman-Diagramm ist nicht eindeutig ist abhängig vom Bezugssystem nur eines der
der Compton-Streuung. festgelegt. Der in Abb. 44 unten rechts beiden äquivalenten Diagramme möglich. Je
Oben links: dargestellte Prozess der Compton-Streuung nach Wahl des Bezugssystems besitzt dann
x x
x-y-Diagramm; könnte daher auch wie in Abb. 45 dargestellt das auslaufende Elektron eine größere oder
ɣ ɣ
e –
e– Oben rechts: ablaufen: kleinere Energie als das einfallende Photon,
Feynman-Diagramm und das virtuelle Teilchen muss als Elektron
e– e– mit Blackbox; (Abb. 44 unten rechts) oder als Positron
x
Unten: (Abb. 45) aufgefasst werden39. Im Gebiet der
ɣ
ɣ ɣ Feynman-Diagramme e– Feynman-Diagramme innerhalb der weißen
mit detaillierter Kreise (z.B. in Abb. 44 unten) werden aus
t t Darstellung des Wechsel­ diesem Grund die x- und t-Achsen bedeu­
wirkungsprozesses. tungslos. Es lassen sich weder zeitliche
Reihenfolge noch örtliche Lage definieren,
sondern ausschließlich Aussagen über
e– ɣ
austauschen. Das in Abb. 43 unten dargestellte Im oberen linken Diagramm von Abb. 44 ist der Impulse und Energien treffen. Aus streng
Feynman-Diagramm erhält man, wenn man die Streuprozess in der x-y-Ebene dargestellt: Ein sich in t theoretischer Sicht stellen diese Bereiche die
Vertices aus Abb. 37 und Abb. 38 an der Photonlinie der x-y-Ebene von links nach rechts bewegendes eigentlichen Feynman-Diagramme dar.
zusammenfügt. Die elektrischen Ladungen des Photon wird an einem ruhenden Elektron gestreut.
Heliumkerns und des Atomkerns haben das gleiche Nach der Streuung bewegen sich das Photon und In diesem äquivalenten Feynman-Diagramm
Vorzeichen, daher führt die Wechselwirkung in das Elektron nach rechts. Die Details des Streupro- entsteht aus dem einlaufenden Photon Abb. 45: Äquivalentes Feynman-Diagramm für
diesem Fall zu abstoßenden Kräften. Da das zesses sind hinter einer Blackbox verborgen. In der zunächst ein Elektron-Positron-Paar (Paarer­ die Compton-Streuung mit umgekehrter
Feynman-Diagramm zwei Vertices der elektromag- oberen rechten Abbildung ist der Streuprozess in zeugung). Das entstandene Positron annihi­ zeitlicher Reihenfolge des im Inneren ablaufen­
netischen Wechselwirkung enthält, und ZHe2+ = +2 einem Feynman-Diagramm gezeigt: Da das Elektron liert anschließend mit dem einlaufenden den Prozesses: Hier ist die Compton-Streuung
beträgt, ist die Reaktionswahrscheinlichkeit dieses im Anfangszustand ruht, ist es im Feynman-Dia- Elektron, wobei ein Photon entsteht (Paarver­ eine Kombination aus Paarerzeugung (oberer
Prozesses proportional zu: gramm durch eine horizontale Linie dargestellt. nichtung). Wenn man für das virtuelle Vertex) und Paarvernichtung (unterer Vertex).
Nach der Streuung bewegen sich das Photon und
(α em · ZHe2+ · Z Atomkern) 2 = 4 · Z Atomkern 2 · α em 2 das Elektron vom Streuzentrum weg. Die Details
der Wechselwirkung sind ebenfalls hinter einer
Compton-Streuung Blackbox verborgen. In den unteren beiden Photon auf das Elektron, und wird von diesem Photon aus (Photon-Emission, Abb. 37). Anschlie-
Die Streuung eines Photons an einem Elektron Abbildungen ist der detaillierte Streuprozess jeweils vollständig absorbiert (Photon-Absorption, Abb. 38). ßend wird das einlaufende Photon von dem Elektron
bezeichnet man als Compton-Streuung. In Abb. 44 in einem Feynman-Diagramm abgebildet, wobei Anschließend strahlt das Elektron ein neues Photon vollständig absorbiert (Photon- Absorption, Abb. 38).
sind das x-y-Diagramm sowie die Feynman-Diagram- die Wechselwirkung des Photons mit dem Elektron ab (Photon-Emission, Abb. 37). Im rechten Feyn- Beide Prozesse tragen in ähnlicher Weise zur
me für die Compton-Streuung auf verschiedene explizit dargestellt ist. Diese beiden Feynman- man-Diagramm sendet das Elektron zunächst ein Compton-Streuung bei38 .
Weisen dargestellt. Diagramme erhält man, wenn man die Vertices aus
Abb. 37 und Abb. 38 an der Elektron-Linie zusam-
menfügt. Im linken Feynman-Diagramm trifft das 38 Eigentlich tragen in allen Prozessen unendlich viele Feynman-Diagramme zum Gesamtprozess bei. Hier werden allerdings ausschließlich die
Diagramme mit der kleinsten Anzahl von Vertices betrachtet, da sie den dominanten Beitrag bilden (man nennt sie die Feynman-Diagramme
der „führenden Ordnung“. In der Quantenelektrodynamik beispielsweise unterdrückt jeder weitere Vertex in einem Feynman-Diagramm
den Beitrag des Diagramms zum Gesamtprozess um den Faktor αem = 1 ). Die Comptonstreuung bildet insofern einen Sonderfall, da sie in
137
führender Ordnung bereits zwei verschiedene Feynman-Diagramme besitzt.
39 Daraus folgt, dass die numerische Auswertung der beiden äquivalenten Diagramme dasselbe Ergebnis liefert und nur eines der beiden
56 Diagramme in die Berechnung der Prozesswahrscheinlichkeit einbezogen werden darf. 57
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β-Umwandlungen ein W+-Teilchen entsteht. Dieses W+-Teilchen


x
n p Beim β –-Zerfall wandelt sich ein Neutron in ein wandelt sich über Paarerzeugung anschließend in x
p n
u u Proton um, wobei ein Elektron und ein Anti-Elekt- ein Positron und ein Elektron-Neutrino um. Die u u
d d ron-Neutrino entstehen. Da das Elektron auch als entsprechenden Diagramme der β+-Umwandlung d d
d u u d
β –-Teilchen bezeichnet wird und bei dem Prozess sind in Abb. 47 dargestellt. Auch hier sind die bei
e– νe
Teilchenumwandlungen stattfinden, wird dieser der Emission des W+-Teilchens beteiligten Quarks
–νe Prozess auch β –-Umwandlung genannt. In Abb. 46 in einem gemeinsamen Duplett bezüglich der e+
ist das x-y-Diagramm sowie die Feynman-Diagram- schwachen Ladung, und es ist bei der anschließen-
y me, die die β –-Umwandlung beschreiben, auf den Paarerzeugung jeweils ein Materieteilchen y
verschiedene Weisen dargestellt. Im oberen (das Elektron-Neutrino) und ein zu einem Materie-
Diagramm ist die β –-Umwandlung in der x-y-Ebene teilchen desselben Multipletts gehöriges Anti-Mate-
abgebildet: Eines der beiden Down-Quarks eines rieteilchen (das Positron) beteiligt.
x sich in der x-y-Ebene von links nach rechts x
n p p n
u u bewegenden Neutrons wandelt sich in ein Up- Da das Neutron eine größere Masse als das Proton u u
d d Quark, ein Elektron und ein Anti-Elektron-Neutrino besitzt, ist die β+-Umwandlung für freie Protonen d d
d u u d
um. Nach der Umwandlung bewegen sich das so nicht möglich. Um den Prozess zu ermöglichen,
e– νe
entstandene Proton, das Elektron und das Anti- muss Energie zugeführt werden, die z. B. – wie bei
–νe Elektron-Neutrino nach rechts. Die Details des der Kernfusion in der Sonne – aus der Kernbindung e+
Streuprozesses sind hinter einer Blackbox verbor- resultieren kann.
t gen. In der mittleren Abbildung ist die β –-Umwand- t
lung in einem Feynman-Diagramm abgebildet und Quark-Quark-Wechselwirkung
der zeitliche Ablauf des Prozesses ist erkennbar. In Kapitel 2.3.3 wurde beschrieben, dass ein Proton
Die Details der Wechselwirkung sind ebenfalls hinter mit einem Neutron wechselwirken kann, indem
x x
n p einer Blackbox verborgen. beispielsweise aus dem Proton das Up-Quark ul p n

u u mit dem Down-Quark dq aus dem Neutron u u


d d
d d In der unteren Abbildung ist die β –-Umwandlung ausgetauscht wird: u d
d u
ebenfalls in einem Feynman-Diagramm visualisiert, νe
e–
wobei die stattfindenden Umwandlungsprozesse p(ul un dq) + n(dq dl un) → n(dl un dq) + p(uq dl un) W+
W –

–νe explizit dargestellt sind: Eines der beiden Down- e+


Quarks aus dem Neutron emittiert eine W –-Teilchen Damit das Proton und das Neutron nach der
t und wandelt sich dabei in ein Up-Quark um Wechselwirkung wieder farbladungsneutral sind, t
(W –-Teilchen-Emission). Die beiden beteiligten müssen das Up-Quark ul aus dem Proton in
Abb. 46: Diagrammatische Darstellungen der Quarks befinden sich in einem gemeinsamen Duplett ein Up-Quark uq und das Down-Quark dq aus dem Abb. 47: Diagrammatische Darstellungen der
β –-Umwandlung des Neutrons. Oben: x-y-Dia­ bezüglich der schwachen Ladung. Das W –-Teilchen Neutron in ein Down-Quark dl umgewandelt β +-Umwandlung des Protons. Oben: x-y-Diagramm;
gramm; Mitte: Feynman-Diagramm mit Blackbox; wandelt sich anschließend in ein Elektron und ein werden: Mitte: Feynman-Diagramm mit Blackbox;
Unten: Feynman-Diagramm mit detaillierter Anti-Elektron-Neutrino um (Paarerzeugung). Unten: Feynman-Diagramm mit detaillierter
Darstellung des Wechselwirkungsprozesses Hier ist daher das Anti-Teilchen beteiligt, das zum ul + dq → uq + dl Darstellung des Wechselwirkungsprozesses
Elektron-Neutrino gehört, welches sich mit dem
Elektron im selben Multiplett befindet. Solche Umwandlungen von Quarks unter Änderung
der Farbladungsvektoren sind aufgrund der starken
Der umgekehrte Prozess, bei dem sich ein Proton in Wechselwirkung möglich und geschehen über
m
ein Neutron umwandelt, ist ebenfalls möglich und den Austausch des Gluons g l . Dieses Gluon besitzt
wird β+-Umwandlung (auch: β+-Zerfall) genannt. Bei einen Farbladungsvektor, der aus einem roten (l)
der β+-Umwandlung wandelt sich ein Up-Quark im und einem anti-blauen (m) Farbladungsvektor
Innern des Protons in ein Down-Quark um, wobei zusammengesetzt ist, siehe Abb. 48.

58 59
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x g x x
x
l q
u u ɣ u Z
u u
m
gl u u

q l
d d – g – –
u u ɣ u Z
t t t t

Abb. 48: Feynman-Diagramm des Austauschs von Abb. 49: Gluon-Erzeugung Abb. 50: Zu Abb. 49 analoge Feynman-Diagramme der Photon- (links) und Z-Erzeugung (rechts)
Farbladungsvektoren zwischen einem Up- und
einem Down-Quark durch ein Gluon

Dieser Prozess ist ein Beispiel für Umwandlungen Für Prozesse, deren Feynman-Diagramme analog 2.6 DAS VOLLSTÄNDIGE
innerhalb von Farbtripletts der starken Ladung. sind, d. h. die sich nur in der Art der Vertices ORDNUNGSSCHEMA
unterscheiden (z. B. Vertices unterschiedlicher DER MATERIETEILCHEN
Gluon-Erzeugung Wechselwirkungen, wie stark, schwach, elektromag-
Ein Up-Quark und ein Anti-Up-Quark können sich netisch, oder Vertices unterschiedlicher Ladungs­ Die bisher diskutierten Materieteilchen umfassen
aufgrund der starken Wechselwirkung in zwei zahlen für dieselbe Wechselwirkung), kann man das Elektron und das Elektron-Neutrino in der
reelle Gluonen umwandeln (Gluon-Erzeugung). sogar quantitativ die Verhältnisse der Reaktions- Gruppe der sogenannten Leptonen (griech.: die
Eine Umwandlung in nur ein reelles Gluon ist nicht wahrscheinlichkeiten berechnen. Dies funktioniert Leichten), und das Up- und das Down-Quark in der
möglich, da dabei Energie- und Impulserhaltung immer dann sehr gut, wenn genügend Energie In Kollisionen eines Up-Quarks (u) und eines Gruppe der Quarks. Die Quarks bilden ihrerseits
nicht gleichzeitig erfüllbar sind, analog zur Paar- vorhanden ist, dass mögliche Massenunterschiede Anti-Up-Quarks (u̅ ) mit genügend hoher Energie Protonen und Neutronen, die man als Baryonen
vernichtung in zwei Photonen. Das Feynman- der beteiligten Teilchen vernachlässigbar sind. sind daher Prozesse, deren Feynman-Diagramme (griech.: die Schweren) bezeichnet, die jedoch als
Diagramm dieser Umwandlung ist in Abb. 49 Man kann beispielsweise die zu Abb. 49 analogen zwei Vertices der starken Wechselwirkung enthalten, zusammengesetzte Zustände keine Elementarteilchen
dargestellt. Feynman-Diagramme betrachten, bei denen (Paarproduktion von Gluonen) grob geschätzt ca. sind. Gemäß ihrer beobachteten Umwandlungen
paarweise Photonen bzw. Z-Teilchen anstatt Gluonen 160-mal häufiger als Prozesse, deren Feynman- ordnet das Standardmodell die Elementarteilchen in
Da dieses Feynman-Diagramm zwei Vertices der entstehen (siehe Abb. 50). Diagramme zwei Vertices der elektromagnetischen Multipletts in Bezug auf ihre elektromag­netische,
starken Wechselwirkung enthält, ist die Reaktions- Wechselwirkung enthalten (Paarproduktion von schwache und starke Ladung. Zwischen 1936 und
wahrscheinlichkeit dieses Prozesses proportional zu Damit auch Paare von schweren Z-Teilchen Photonen) und ca. 9-mal häufiger als Prozesse, 2000 sind weitere, schwerere Quarks und Leptonen
problemlos entstehen können, muss man die deren Feynman-Diagramme zwei Vertices der entdeckt worden, die als zusätzliche Generationen40
(α s · C⃗u · C⃗u_ ) 2 Quarks z. B. am LHC des CERN mit genügend hoher schwachen Wechselwirkung enthalten (Paarproduk- ebenfalls in die Multipletts bezüglich der Ladungen
Energie bei genügend kleinen Abständen von tion von Z-Teilchen). des Standardmodells eingeordnet werden konnten.
Da der Kopplungsparameter der starken Wechsel­ 0,001 fm kollidieren lassen (was über den Umrech-
wirkung α s größer ist als die Kopplungsparameter nungsfaktor ℏ · c = 200 MeV · fm der Heisenberg- Im Folgenden wird das Ordnungsschema der
der elektromagnetischen und der schwachen schen Unbestimmtheitsrelation Impulsüberträgen Elemen­tarteilchen für drei Generationen von
Wechselwirkung, α em und α w, sind Prozesse, die von 200 GeV entspricht). Bildet man für diese Materie- und Anti-Materieteilchen vervollständigt.
aufgrund der starken Wechselwirkung ablaufen, d. h. Paarproduktion von Gluonen, Photonen und Dabei werden beispielsweise die folgenden Fragen
Prozesse deren Feynman-Diagramm den Vertex Z-Teilchen die Verhältnisse der Reaktionswahr- diskutiert: Wie definiert man die Teilchengene­
der starken Wechselwirkung enthalten, häufiger als scheinlichkeiten, so erhält man mit den für rationen? Sind Übergänge zwischen den Genera­
Prozesse, die aufgrund der elektromagnetischen die betrachteten Streuabstände von ca. 0,001 fm tionen möglich?
1 1
oder der schwachen Wechselwirkung ablaufen. relevanten Werte von α s≈ 10 und α em ≈ 127 :

40 Der Begriff der Teilchengeneration ist nicht im Sinne einer Hierarchie zu verstehen und nicht so zu interpretieren, dass die Teilchen höherer
60 Generationen nach dem Urknall aus den Teilchen der ersten Generation entstanden sind. 61
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Abb. 51: Aus Up-, Down- und


mνe < 0,000 000 1 MeV mνμ < 0,000 000 1 MeV mντ < 0,000 000 1 MeV
Strange-Quark zusammen­ c2 c2 c2
n (udd) p (uud)
S =0 gesetzte Baryonen mit Spin 21
me = 0,511 MeV mμ = 106 MeV mτ= 1777 MeV
c2 c2 c2

mu ≈ 2 MeV mc ≈ 1300 MeV mt ≈ 173 000 MeV


∑0(uds) c2 c2 c2
∑–(dds) +
∑ (uus)
S = –1
md ≈ 5 MeV ms ≈ 100 MeV mb ≈ 4200 MeV
(uds) c2 c2 c2

Tabelle 3: Die Massen der bekannten elementaren Materieteilchen


S = –2 –
0
(uss)
(dss)

von Seltsamkeit die Masse der Baryonen um leichten Materieteilchen (u, d, e –, ν e) gibt es je zwei
Z = –1 Z =0 Z =1
ähnliche Beträge zunahm, folgerten sie, dass der Kopien, die größere Massen besitzen.
Betrag der Seltsamkeit die Anzahl der schwereren
Strange-Quarks (s) angibt. So ergab sich die in Experimentell wurde festgestellt, dass sich jeweils
2.6.1 Die drei Generationen In Blasenkammerexperimenten fand man in der Abb. 51 dargestellte Zuordnung der Quarks im zwei dieser Teilchen über die schwache Wechselwir-
der Materie- und Anti-Materieteilchen Mitte des 20. Jahrhunderts einen ganzen „Zoo“ von Baryon-Oktett. Das Vorzeichen der auf der linken kung (d. h. durch Emission oder Absorption eines
Teilchen, die etwas schwerer als Proton und Neutron Seite in Abb. 51 aufgetragenen Seltsamkeit S wurde W-Teilchens) ineinander umwandeln können, also
Im Jahr 1936 entdeckten Carl D. Anderson und Seth waren, und die man genau wie diese als Baryonen für diese Teilchen dabei willkürlich als negativ Dupletts bezüglich der schwachen Ladung bilden.
Neddermeyer bei der Untersuchung kosmischer klassifizierte41 . Diese „Kaskadenteilchen“ wandelten definiert. Mit der Einführung des Strange-Quarks Anhand dieser experimentell gefundenen Dupletts
Strahlung ein neues Elementarteilchen, das Myon sich direkt oder in Stufen über weitere Teilchen in als „schwere Kopie“ des Down-Quarks konnten wurden die Teilchen in sogenannte Teilchengene­
(μ). Es besitzt eine Masse von m μ = 105,7 MeV

, ist Protonen oder Neutronen um. Dafür, dass sie über neben diesem Baryonen-Oktett weitere – bis dahin rationen (auch Familien genannt) geordnet. Teilchen,
mit Z μ = –1 einfach elektrisch negativ geladen, die starke Wechselwirkung produziert wurden, unbekannte –Teilchen vorausgesagt und später die sich in einem gemeinsamen Duplett befinden,
besitzt eine schwache Ladungszahl von I μ  = – 12 und war ihre Lebensdauer unerklärlich („seltsam“) lang, experimentell nachgewiesen werden, an deren ordnet man derselben Teilchengeneration zu.
keine Farbladung. Das Myon hat also genau die so dass sie in Nebel- und Blasenkammern sichtbare Bildung Strange-Quarks beteiligt sind. Quarks, die sich in einem gemeinsamen Triplett
gleichen Ladungen wie das Elektron. Es unterschei- Flugstrecken von einigen Millimetern besaßen. bezüglich der starken Ladung befinden, werden
det sich vom Elektron ausschließlich durch seine Gell-Mann ordnete sie 1961 gemäß ihrer elektrischen Neben dem Strange-Quark wurden zwischen 1974 ebenfalls derselben Generation zugeordnet. Die drei
Masse, die ca. 200-mal größer ist, und kann daher Ladungszahl und der Zahl ihrer Umwandlungsstufen, und 1994 noch drei weitere Quarks entdeckt: Generationen der elementaren Materieteilchen sind
als „schwerere Kopie“ des Elektrons bezeichnet die er „Seltsamkeit“ (S) nannte. das Charm-Quark (c), das Bottom-Quark (b) und in Abb. 52 dargestellt.
werden. Im Jahr 1975 wurde noch ein weiteres das Top-Quark (t). Das Charm- und das Top-Quark
Teilchen entdeckt, welches ebenfalls genau die Für die Zustände Λ, Σ +, Σ 0, Σ – und Ξ 0,Ξ – ergab besitzen die gleichen Ladungen wie das Up-Quark, Die Up- und Down-Quarks sowie das Elektron und
gleichen Ladungen wie das Elektron und das Myon sich dabei das in Abb. 51 dargestellte „Baryonen- sind jedoch schwerer. Das Bottom-Quark hingegen das Elektron-Neutrino bilden die 1. Generation
besitzt, jedoch mit einer weitaus größeren Masse: Oktett“, auf das sich auch der Titel der Veröffentli- besitzt die gleichen Ladungen wie das Down- und der Materieteilchen. Die 2. Generation umfasst das
das Tauon (τ). Seine Masse beträgt m τ = 1777 MeVc²
, chung „The Eightfold Way“42 bezieht, angelehnt an das Strange-Quark, ist jedoch ebenfalls schwerer. Charm- und das Strange-Quark sowie das Myon
es ist somit mehr als zehnmal schwerer als das den achtfachen Weg des Buddhismus zur Weisheit. In Tabelle 3 wird ein Überblick über die Massen der und das Myon-Neutrino. Die 3. Generation schließ-
Myon und fast doppelt so schwer wie das Proton. Gell-Mann und Zweig fanden 1964 heraus, dass man elementaren Materieteilchen gegeben43 . lich enthält das Top- und das Bottom-Quark sowie
Darüber hinaus wurden neben dem Elektron-Neu­ dieses Oktett erklären könne, wenn alle Baryonen das Tauon und das Tauon-Neutrino. Teilchen
trino zwei weitere Neutrinos mit den gleichen aus drei Bausteinen aufgebaut sind, die Gell-Mann Nach der Entdeckung all dieser Teilchen, die jeweils gleicher Ladungen in verschiedenen Generationen
Ladungen entdeckt: 1962 das Myon-Neutrino ν μ Quarks nannte. Sie postulierten zwei leichte Quarks, „schwere Kopien“ der Up- und Down-Quarks sowie unterscheiden sich nur in ihrer Masse. Wie in Kapitel
und im Jahr 2000 das Tauon-Neutrino ν τ. das Up-Quark (u) mit Z u = + 23 und das Down-Quark des Elektrons und des Elektron-Neutrinos sind, 2.4.3 bereits beschrieben, bilden die Quarks in jeder
(d) mit Z d = – 31 , sowie ein etwas schwereres ergab sich ein klares Bild vom Ordnungsschema der Generation Dupletts bezüglich der schwachen
Strange-Quark (s) mit Z s = – 31 . Da mit jeder Stufe elementaren Materieteilchen: Von jedem der Ladung (jeweils zwei in Abb. 52 übereinander

41 Mit dem Tauon existiert ein Lepton, das schwerer ist als alle diese Baryonen. Man ignoriert daher heute die ursprüngliche Bedeutung der
Begriffe Lepton (leicht) und Baryon (schwer) und bezeichnet unabhängig von der Masse alle aus drei Quarks zusammengesetzten Teilchen
als Baryonen. Ein elementares Materieteilchen, das kein Quark ist, heißt Lepton. Alle gebundenen Zustände aus einem Quark und einem
Anti-Quark nennt man Meson (griech.: das Mittlere), obwohl insbesondere für Mesonen mit c- oder b-(Anti-)Quarks (siehe unten) auch hier 43 Da Quarks nicht frei vorkommen, ist Ihre Masse nicht eindeutig definierbar, was durch ein " ≈ " symbolisiert wird. Aus Gründen der quanten-
wegen ihrer großen Masse die ursprüngliche Bedeutung verloren gegangen ist. mechanischen Zustandsmischung (siehe Fachliche Hinweise: Generationsübergreifende Teilchenumwandlungen) haben auch die Neutrinos
42 The Eightfold Way: A Theory of Strong Interaction Symmetry, DOE Technical Report, March 15, 1961, keine feste Masse. Es lässt sich jedoch eine mittlere Masse definieren, für die hier nur eine experimentelle Obergrenze von 100 meV
c2
62 http://www.osti.gov/accomplishments/display_biblio.jsp?id=ACC0113&numPages=52&fp=N. angegeben wird. Die Untergrenzen der mittleren Masse betragen 3 meV
c 2 für ve und 30 c
meV für v und v .
2 μ τ
63
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1. Generation 2. Generation 3. Generation 1. Generation 2. Generation 3. Generation

elektrisch schwache
neutrale νe νµ ντ Wechselwirkung
Leptonen (W+, W–, Z)
– – – –s –s –s – – – starke
elektrisch elektromagnetische d d d b b b
geladene e– µ– τ– Wechselwirkung Anti-Quarks Wechselwirkung
Leptonen (Photon) (Gluonen)

u –
u –
u –
c –
c –
c – – –
t t t

elektrisch
u u u c c c t t t starke geladene
Wechselwirkung elektromagnetische
Quarks Anti-Leptonen e+ µ+ τ+ Wechselwirkung
(Gluonen)
d d d s s s b b b (Photon)

elektrisch schwache
neutrale –νe –νµ –ντ Wechselwirkung
Anti-Leptonen (W+, W–, Z)

Abb. 52: Die drei Generationen der ele­men­taren Materie­teilchen Abb. 54: Die drei Generationen der Anti-Materieteilchen

angeordnete Quarks gleicher Farbladung) und Beispielsweise darf sich ein Myon über Emission x νµ Myon-Neutrino gehören beide zur zweiten Generation
Tripletts bezüglich der starken Ladung (jeweils drei oder Absorption eines W-Teilchens nicht in ein der Materieteilchen und bilden gemeinsam ein
in Abb. 52 nebeneinander angeordnete gleichartige Neutrino eines anderen Dupletts umwandeln. µ– Duplett bezüglich der schwachen Ladung:
Quarks unterschiedlicher Farbladung). Die beiden Wie experimentell bestätigt ist, finden z. B. die
in Abb. 52 übereinander angeordneten Leptonen in beiden folgenden Umwandlungen nicht statt. W–
e– μ– → νμ + W–
jeder Generation bilden Dupletts bezüglich der
schwachen und Singuletts bezüglich der starken μ – ↛ νe + W – Das entstandene W –-Teilchen wandelt sich an-
Ladung (d. h. sie besitzen keine starke Ladung). μ + W ↛ ν τ
– + –νe schließend in ein Elektron und ein Anti-Elek­tron-
Bezüglich der elektromagnetischen Ladung bilden Neutrino um47:
alle Teilchen Singuletts. Jedes Teilchen befindet sich Über Emission oder Absorption von ungeladenen t
in genau einem Duplett der schwachen Ladung, Botenteilchen, also Photonen oder Z-Teilchen, kann Abb. 53: Feynman-Diagramm der Myon-Umwandlung W – → e – + ν̅e
kann also eindeutig einer Generation zugeordnet infolgedessen überhaupt keine Teilchenumwand-
werden. Bei den Quarks ist die Zuordnung in die lung stattfinden, da diese nur zwischen Teilchen Es bleibt also auch bei mehreren Generationen Zu jedem der entdeckten Teilchen gibt es ein
Tripletts der starken Ladung ebenfalls eindeutig. gleicher Ladungen möglich wäre. Materieteilchen dabei, dass alle Teilchen bezüglich der elektrischen zugehöriges Anti-Teilchen, welches die gleiche
mit gleichen Ladungen befinden sich aber jeweils Ladung Singuletts bilden. Masse wie das Teilchen, jedoch entgegengesetzte
Die Definition der Teilchengenerationen über die in verschiedenen Generationen und damit in Ladungen besitzt. Daher lassen sich die Anti-
Multipletts ist gleichbedeutend mit der Tatsache, verschiedenen Multipletts. Zwar würde die Dennoch existieren mehrstufige Prozesse, bei denen Materieteilchen ebenfalls in drei Generationen
dass über die Emission bzw. Absorption von Ladungserhaltung beispielsweise die nachfolgend am Ende schließlich doch Teilchen einer anderen einordnen (siehe Abb. 54).
Botenteilchen keine Umwandlungen zwischen dargestellt Umwandlung eines Myons μ – in ein Generation vorliegen. Dabei muss stets mindestens ein
Teilchen unterschiedlicher Generationen stattfinden, Elektron e – unter Emission eines Photons γ Paarerzeugungs-Vertex vorhanden sein. Ein Beispiel Aufgrund ihrer verschiedenen Ladungen unterliegen
obwohl derartige Umwandlungen die Ladungser­ erlauben, dieser Prozess findet jedoch nicht statt45 . dafür ist die Myon-Umwandlung (meist irreführend die Materieteilchen unterschiedlichen Wechsel­
haltung nicht verletzen würden44 . „Myon-Zerfall“ genannt). Das Feynman-Diagramm wirkungen, die in Abb. 52 und Abb. 54 durch farbige,
μ – ↛ e – + γ dieses mehrstufigen Prozesses ist in Abb. 53 dar­ ineinander verschachtelte Kästen dargestellt sind:
gestellt46. Hier wandelt sich ein Myon aufgrund der Alle Materieteilchen unterliegen der schwachen
schwachen Wechselwirkung durch Emission eines Wechselwirkung und sind daher alle von einem
W –-Teilchens in ein Myon-Neutrino um. Myon und dunkeltürkisen Kasten mit der Aufschrift „schwache
44 Seltene Umwandlungen zwischen Materieteilchen unterschiedlicher Generationen (z. B. vom Strange- zum Up-Quark oder die sogenannten
Neutrinooszillationen) sind auf quantenmechanische Effekte von Zustandsmischungen zurückzuführen. Diese werden in den Fachlichen
Hinweisen: Generationsübergreifende Teilchenumwandlungen diskutiert.
45 Aus der Nicht-Beobachtung dieses Prozesses für mehrere Billionen untersuchter Myonen findet man experimentell, dass die Wahrscheinlich- 46 Der Aufbau dieses Feynman-Diagramms entspricht, bis auf die bei der W –-Emission beteiligten Materieteilchen, dem Diagramm der β–-Umwandlung.
keit dieser Umwandlung kleiner als 2 · 10-12 ist. 47 Diese Paarerzeugung ist die einzige unter einer Vielzahl möglicher Umwandlungen des W –-Teilchens, die die Energieerhaltung aufgrund der zur
64 Verfügung stehenden Ruheenergie des Myons erfüllt. 65
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Wechselwirkung“ umrahmt. Die elektrisch gelade- 2.6.2 Übersicht über alle Teilchenladungen Elektrische Ladung Materieteilchen, die eine positive schwache Ladungs-
nen Teilchen (Quarks, Elektron, Myon, Tauon) sowie Die elektrischen Ladungszahlen aller Elementar­ zahl besitzen, mit der Spitze bzw. Rundung nach
ihre Anti-Teilchen unterliegen zusätzlich der elektro- Im Folgenden sollen noch einmal die Ladungen aller teilchen sind in Abb. 55 dargestellt. oben dargestellt. Deutet hingegen die Spitze oder
magnetischen Wechselwirkung, die durch einen Elementarteilchen dargestellt werden. Die Anti-/ Rundung nach unten, besitzt das jeweilige Materie-
mitteltürkisen Kasten dargestellt ist. Ausschließlich Quarks werden durch farbige Dreiecke dargestellt, Alle elektrischen Ladungszahlen sind ganzzahlige teilchen eine negative schwache Ladungszahl.
die Quarks und die Anti-Quarks unterliegen darüber wobei die optische Farbe des Dreiecks dem Vielfache von 31 . Alle Elementarteilchen, die eine
hinaus der starken Wechselwirkung, da nur sie Farbladungsvektor entspricht, den das jeweilige elektrische Ladung ungleich Null besitzen, nehmen Starke Ladung
Farbladungsvektoren besitzen. Nur die Quarks und Anti-/Quark besitzt. Die Anti-Farbladungen sind an der elektromagnetische Wechselwirkung teil. Die Quarks, die Anti-Quarks und die Gluonen sind
Anti-Quarks sind daher in den Abbildungen von durch eine gestrichelte schwarze Umrandung Die elektrisch neutralen Elementarteilchen (die die einzigen bekannten Teilchen, die eine Farb­
einem helltürkisen Kasten umgeben. gekennzeichnet und durch einen Querstrich über sechs Anti-/Neutrinos, die acht Gluonen, das ladung, d. h. Farbladungsvektoren, besitzen. Die
dem Buchstaben. Ein blau dargestelltes Anti-Quark Z-Teilchen, das Photon und das Higgs-Teilchen) Farbladungsvektoren dieser Teilchen, d. h. die ihnen
Die Ordnung der Elementarteilchen nach ihren besitzt einen anti-blauen Farbladungsvektor. wechselwirken hingegen nicht elektromagnetisch. zugordneten Gitterpunkte auf dem Farbgitter, sind
Ladungen und die Einordnung in drei Generationen Gleiches gilt analog für rot und grün dargestellte in Abb. 57 dargestellt. q steht dabei stellvertretend
ähnelt stark dem Periodensystem der Elemente Anti-Quarks. Besitzen die Anti-/Quarks eine positive Schwache Ladung für alle Quarks und q– für alle Anti-Quarks.
(PSE) in der Chemie. Man erkennt die Analogie, schwache Ladung, zeigt ihre Spitze nach oben, Die schwachen Ladungszahlen aller Elementarteil-
wenn man Abb. 52 und Abb. 54 um jeweils 90 Grad bei negativer schwacher Ladung nach unten. chen sind in Abb. 56 aufgetragen. Alle Materieteil- Jedes der Quarks (u, d, c, s, t, b) kommt jeweils mit
im Uhrzeigersinn dreht. Im PSE sind Elemente chen besitzen eine schwache Ladungszahl von einem der drei verschiedenen Farbladungsvektoren
mit ähnlichen chemischen Eigenschaften in den Die elektrisch geladenen Leptonen (Elektron, Myon, I = + 21 oder I = – 21 und können daher schwach l (rot), n (grün), q (blau) vor. Entsprechend kommt
sogenannten Haupt- und Nebengruppen unterein- Tauon) und die elektrisch neutralen Leptonen wechselwirken. Jeweils ein Paar aus Materieteilchen jedes Anti-Quark ( u–, d–, –c , –s , –t , b
– ) jeweils mit einem
ander angeordnet. Im gedrehten Ordnungsschema (die drei Neutrinos) sowie ihre Anti-Teilchen werden mit diesen beiden Ladungszahlen bildet bezüglich der drei zu diesen Vektoren entgegengesetzten
der Elementarteilchen stehen immer Teilchen in als graue Halbkreisflächen dargestellt. Besitzen sie der schwachen Wechselwirkung ein Duplett. Farbladungsvektoren p (anti-rot), r (anti-grün),
einer Spalte untereinander, die in den Beträgen eine positive schwache Ladung, zeigt ihre Rundung m (anti-blau) vor. Die acht Gluonen besitzen jeweils
aller Ladungen übereinstimmen und daher gleich nach oben, bei negativer schwacher Ladung nach Unter den Botenteilchen besitzen ausschließlich das eine Kombination dieser Farbladungsvektoren.
wechselwirken – bis auf Effekte, die durch ihre unten. Das Photon ist als gelber Stern abgebildet und W –- und das W +-Teilchen eine von Null verschiedene Sechs der acht Gluonen besitzen einen Farbladungs-
unterschiedlichen Massen bedingt sind. Im PSE die W- und Z-Teilchen als gelbe Trapeze. Die acht schwache Ladungszahl. Das Z-Teilchen sowie das vektor, der sich aus einer Farbe und einer Anti-Farbe
nimmt die Atommasse der chemischen Elemente Gluonen sind als Rhomben mit einem g im Zentrum Photon und die acht Gluonen besitzen die schwache zusammensetzt. Die verbleibenden beiden Gluonen
innerhalb einer Hauptgruppe von oben nach unten dargestellt. Genau wie bei den Quarks sind die Anti- Ladungszahl Null und treten daher nicht mit anderen besitzen keinen resultierenden Farbladungsvektor.
zu. Analog dazu sind auch die Elementarteilchen Farbladungen der Gluonen durch eine schwarz Teilchen über die schwache Wechselwirkung in Bei diesen Gluonen addieren sich Farben und
in den um 90 Grad gedrehten Darstellungen so gestrichelte Umrandung gekennzeichnet. Das Higgs- Wechselwirkung. Das Higgs-Teilchen besitzt die Anti-Farben jeweils auf komplizierte Weise zum
angeordnet, dass ihre Masse von oben nach unten Teilchen (s. Kapitel 2.7.1) besitzt in den Abbildungen schwache Ladungszahl I H = – 21 . In den hier ver- Nullvektor. Sie befinden sich demnach im Koordi­
zunimmt. die Form der unteren Hälfte eines Achtecks. ­wendeten Abbildungen und Darstellungen werden natenursprung des Farbgitters.

–1 – 23 – 13 0 + 13 + 23 +1 –1 – 12 0 + 12 +1
Z I

u –
u – –νe νe – – – –
e– u d d d d d d u u u e+
W – u –
u –
u d d d g g g u u u – – –
d d d W +

µ– –c –c –c –νµ νµ µ+ g g
s s s –s –s –s c c c –c –c –c –s –s –s
s s s g g g c c c
τ– –ντ ντ τ+
–t –t –t b b b – – –
b b b t t t –t –t –t b b b – – –
W– Z W+ t t t b b b
Z
e– –νe νe e+
γ
Abb. 55: Abb. 56: µ– –νµ γ νµ µ+
Die elektrischen H Die schwachen –ντ
τ– ντ τ+
Ladungen aller Ladungszahlen aller
g g g
Elementarteilchen Elementar­teilchen H
g g
g g g

66 67
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2.7 DAS BROUT-ENGLERT- „unendlichen See schwacher Ladungen“ vorstellen, 2.7.1 Das Higgs-Teilchen und die
HIGGS-FELD der das gesamte Universum erfüllt. Im klassischen Teilchenmassen
Bild schirmt dieser „See frei beweglicher schwacher
Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt Ladungen“ die Feldlinien von schwachen Quell- Wie erzeugt nun das BEH-Feld die Massen der

q m drei Wechselwirkungen: die elektromagnetische, Ladungen bereits auf winzigen Distanzen von Teilchen? In der Tat verläuft dies über zwei voll-
qn ql die schwache und die starke Wechselwirkung. In ∆x = 0,002 fm ab (Teilchenbild: dieser See bewirkt, ständig verschiedene Mechanismen, von denen der
Kapitel 2.4.3 wurde die Reichweite der schwachen dass die Botenteilchen der schwachen Wechsel­ eine sehr gut verstanden, der andere jedoch noch
– – Wechselwirkung im Teilchenbild mit der Masse der wirkung, die W- und Z-Teilchen, eine Masse unverstanden ist.
qp qr Botenteilchen (W +, W –, Z) in Verbindung gebracht.
ħ·c
m = ∆x · c 2 ≈ 100 GeV besitzen49). Die Abschirmung

Während im klassischen Bild die Feldlinien einer durch das BEH-Feld ist damit 10 Milliarden Mal Die ursprüngliche Motivation zur Einführung des
qq elektrischen Ladung bis ins Unendliche reichen effektiver als die eines elektrischen Supraleiters, BEH-Feldes im Jahr 1964 bestand darin, die Massen
können (Teilchenbild: unendliche Reichweite der dessen typische Abschirmlänge von elektromagneti- (und somit die mittleren Reichweiten) der W-
Photonen48), können schwache Ladungen Wechsel- schen Feldern ca. 20.000.000 fm = 20 nm beträgt. und Z-Teilchen zu erklären. Diese Botenteilchen
wirkungen nur innerhalb eines sehr kurzen koppeln mit der Kopplungsstärke gw = √4 · π · αw
Abstandes von ca. 0,002 fm hervorrufen (Teilchen- Allerdings darf man sich das BEH-Feld keinesfalls an schwache Ladungen und somit auch an das
bild: endliche Reichweite der W- und Z-Teilchen). als Medium vorstellen, das aus irgendetwas besteht BEH-Feld. Die Bewegung von W- und Z-Teilchen
und in dem sich die Bestandteile wie in einem durch den überall vorhandenen „See schwacher
Diskutieren wir nun zunächst ein klassisches Dielektrikum verschieben lassen: Quantenfeldtheo- Ladung“ hindert diese an der freien Ausbreitung
retisch ist das BEH-Feld ein Duplett-Feld φ = (ϕϕ 0 )
+
m m
Analogon für endliche Reichweiten von Kräften, und erzeugt so ihre Massen51 .
gn gl nämlich elektromagnetische Abschirmungen: bezüglich der schwachen Ladung, dessen untere
Dielektrische Medien schirmen durch Polarisation Komponente die schwache Ladungszahl Iφ 0 = – 21 Mathematisch ergeben sich zu gw und v proportio-
elektrische Felder von Quell-Ladungen ab, während und die elektrische Ladungszahl Zφ 0 = 0 besitzt, nale Massen der W- und Z-Teilchen52:
pn lr in diamagnetische Substanzen unter Einwirkung während die obere Komponente die schwache
1
g g eines magnetischen Feldes Kreisströme erzeugt Ladungszahl Iφ + = + 21 und die elektrische Ladungs- mW · c2 = 2
· gW · v
g g werden, die dieses Magnetfeld abschirmen. Eine zahl Zφ + = +1 besitzt, ganz ähnlich wie z. B. beim gW
1
endliche Reichweite des Feldes einer Quell-Ladung Duplett aus Positron und Anti-Elektronneutrino mZ · c2 = · ·v
2 cosθ W
( e–νe ). Das Besondere am BEH-Feld ist, dass seine
+
(Teilchenbild: massebehaftete Botenteilchen)
g pq gqr
erreicht man also klassisch durch ein die Quell- untere Komponente auch im Vakuum, d. h. Der Wert v = 246,221 GeV der unteren Komponente
Ladung umgebendes Medium, das verschiebbare wenn keinerlei Teilchen vorhanden sind, trotzdem des BEH-Feldes im Vakuum lässt sich sehr präzise
Ladungen genau dieser abzuschirmenden Wechsel- einen von Null verschiedenen Wert besitzt: aus der Myon-Umwandlung bestimmen, bei der die
wirkung enthält. Je leichter diese verschiebbar φVakuum = ( 0v ) = ( 246,221
0
GeV ). Der „See schwacher Masse der W-Teilchen und damit v eine zentrale Rolle
sind, umso besser ist die Abschirmung. So ist ein Ladungen“ ist also mathematisch so zu verstehen, spielt. Aus der Berechnung des Feynman-Diagramms
Abb. 57: Gitterpunkte der Quarks und Anti-Quarks Supraleiter mit widerstandsfrei verschiebbaren dass die untere Feldkomponente des BEH-Feldes in Abb. 53 ergibt sich eine zu v 4 proportionale mittlere
Lebensdauer des Myons von τ μ = 384 · π 2· ħ5 · v 4.
3
(oben), sowie der Gluonen (unten) auf dem Farbgitter elektrischen Ladungen (im Folgenden auch: mit schwacher Ladungszahl Iφ 0 = – 21 überall im
(m μ · c )
elektrischer Supraleiter) ein idealer Diamagnet Universum den endlichen Wert50 v = 246,221 GeV
und ein ideales Dielektrikum. besitzt. Berechnet man zusätzlich noch g w, z. B. aus der
experimentell sehr präzise gemessenen Masse des
Für die Abschirmung einer Quell-Ladung der Z-Teilchens, so stimmt die aus g w und v gewonnene
schwachen Wechselwirkung führten 1964 Robert Vorhersage m W = 80,36 GeV c²
für die Masse des
Brout, François Englert und Peter Higgs ein Feld W-Teilchens mit einer Präzision von einem viertel
ein, das man sich ebenfalls wie einen Supraleiter Promill mit dem gemessenen Wert von m W = 80,38
GeV
vorstellen kann, der das ganze Universum homogen c²
überein. Dies ist eine großartige Errungen-
durchdringt - allerdings ein Supraleiter für schwache
Ladungen. Dieses Brout-Englert-Higgs-Feld
(BEH-Feld) kann man sich in gewisser Hinsicht als
49 Dieser Zusammenhang wurde in Kapitel 2.4.1 eingeführt. Δx entspricht der dort mit λ bezeichneten mittleren Reichweite der Botenteilchen.
5 0 In der Fachliteratur wird dieser Wert „Vakuum-Erwartungswert“ des BEH-Feldes genannt.
51 Die Analogie des „Hinderns an der Ausbreitung“ ist nicht so zu verstehen ist, dass die W-und Z-Teilchen im Sinne von Reibung abgebremst werden.
52 In der Gleichung für die Masse des Z-Teilchens erscheint der Kosinus cos θw des von Glashow eingeführten elektroschwachen
48 Wenn Gluonen keine starke Farbladung besitzen und damit durch die Wechselwirkung untereinander die Feldlinien zu Schläuchen verengen Mischungswinkels θw (früher oft: Weinberg-Winkel), der sich wiederum aus den Verhältnissen der Kopplungsstärken der schwachen
68 würden, wäre auch für die starke Wechselwirkung die Reichweite unendlich, da Gluonen masselos sind. und elektromagnetischen Wechselwirkung berechnen lässt. 69
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schaft: Zum ersten Mal ist eine Theorie in der Lage, teilchen i einen individuellen (nicht herleitbaren) es lokal angeregt wird (d. h. man erzeugt eine kleine
die Masse eines Elementarteilchens (des W-Teil- Kopplungsparameter, die so genannte Yuka- „Windböe“ im BEH-Feld, sprich ein Higgs-Teilchen),
chens) aus der Masse eines anderen Elementar­ wa-Kopplung yi, an das BEH-Feld ein. Z. B. gilt für erhält man Einblick in die Eigenschaften des
120°
teilchens (des Z-Teilchens) über deren bekannte das Elektron ye – = 2,94 ·  10 –6 . Allgemein gilt für BEH-Feldes. Das Standardmodell der Teilchenphysik
1
Kopplung g w an die schwache Ladung des BEH- alle Massen der Materieteilchen m i · c2 = 2 · yi · v.
√ sagt vorher, dass die Higgs-Teilchen genau dieselben –
qm
n
Feldes vorherzusagen! Es ist jedoch bis heute ungeklärt, wie genau Kopplungen an Boten- und Materieteilchen besitzen q ql
eine solche Kopplung der Materieteilchen an das wie das BEH-Feld selbst, da sie Anregungen des
Anders verhält es sich mit den Materieteilchen. BEH-Feld von statten geht, und warum diese BEH-Feldes sind. Higgs-Teilchen wandeln sich nach –
qp –
qr
Steven Weinberg postulierte 1967, dass auch deren Yukawa-Kopplungen und damit die Massen der sehr kurzer Zeit (ca. 10-22 s) in Paare aus Teilchen
Massen durch Wechselwirkung mit dem BEH-Feld Materieteilchen so extrem unterschiedlich sind. und Anti-Teilchen um.
erzeugt werden können und dann ebenso propor­ Um ihre Massen durch das BEH-Feld zu erklären,
qq
tional zu v sein sollten. Er führte für jedes Materie- müsste das Top-Quark 300.000-mal stärker Je stärker die Kopplung eines Teilchens an das
und die Neutrinos mindestens 1.000.000-mal Higgs-Teilchen ist, umso wahrscheinlicher entstehen
schwächer mit dem BEH-Feld wechselwirken als aus der Umwandlung eines Higgs-Teilchens genau
Elektronen. Dass dieses in der Tat zumindest dieses Teilchen und sein Anti-Teilchen, woraus sich
t
Kopplung an das Higgs-Teilchen

1
für einige Materieteilchen der Fall ist, konnte wiederum deren Kopplungen an das BEH-Feld
WZ
inzwischen eindrucksvoll bestätigt werden, und berechnen lassen. Abb. 58 zeigt die so berechneten
10 –1 zwar über das Higgs-Teilchen, wie im Folgenden Kopplungen für alle bisher in Higgs-Umwandlungen
dargelegt wird. beobachteten Teilchen. Es ergibt sich über mehr
b als drei Zehnerpotenzen genau der erwartete lineare
10 –2 τ Jedes Feld in der Physik, ob klassisch oder quan­ Zusammenhang zwischen Kopplung (Ordinate) –
qp
tenmechanisch, besitzt Anregungen. In einem und Teilchenmasse (Abszisse, in GeVc²
) – zumindest, qq
qn
Ferromagneten kann man z. B. Spinwellen erzeugen. was die W- und Z-Teilchen sowie die beiden
10 –3 μ Dies sind sich ausbreitende lokale Umordnungen schwersten Leptonen (µ und τ) und die beiden –
qr –
qm
oder Kreiselbewegungen der Magnetisierung, die schwersten Quarks (b und t) betrifft.
kleinste Quanten besitzen, sogenannte Magnonen.
10 –4
Auch das BEH-Feld besitzt gequantelte Anregungen, Alle anderen Materieteilchen konnte man noch
ql
10 –1
1 10 10 2
nämlich örtlich und zeitlich begrenzte Anregungen nicht in Higgs-Umwandlungen beobachten, weil sie
Teilchenmasse/ GeV
c2 H( ⃑
r , t) der unteren Komponente des BEH-Feldes zu leicht sind und damit zu selten aus Higgs-Um-
φ = ( v + H( ⃑r , t))53 .
0
wandlungen resultieren. Steven Weinberg hatte also
ATLAS+CMS 68% VB
SM Higgs-Teilchen 95% VB Recht: Auch Anti-/Materieteilchen erhalten ihre
Anpassung an die Messpunkte Diese Anregungen wurden ursprünglich von Peter Massen über Kopplungen an das BEH-Feld, auch
Higgs diskutiert und heißen deshalb Higgs-Teilchen wenn man (noch) nicht weiß, warum sie für die Abb. 59: Eine Drehung des Farbgitters um 120°
Abb. 58: Experimentelle Bestätigung, dass die (H). Im Vergleich dazu besitzen alle anderen Felder, verschiedenen Teilchen so unterschiedliche Werte ergibt eine identische Anordnung von Quarks,
Kopplungen verschiedener Teilchen an das wie z. B. das Duplett aus Positron und Anti-Elektron- besitzen. Es wird daher spekuliert, dass sich hinter allerdings mit anderen Farbladungen. Denselben
Neutrino im Vakuum den Wert ( νe e̅ ) = ( 00 ).
+
Higgs-Teilchen tatsächlich proportional zu ihrer den Yukawa-Kopplungen eine tieferliegende, noch Effekt erhält man, wenn jedes der Quarks ein Gluon
Masse sind. Für Materieteilchen zeigt die Ordinate unbekannte Wechselwirkung (z. B. eine Substruktur emittiert. So wird aus dem roten Quark ql durch
y
ihre Yukawakopplung √2 , für W- und Z-Teilchen Higgs-Teilchen bilden den einzigen Zugang zur des Higgs-Teilchens o. ä.) verbergen könnte. Emission eines rot–anti-grünen Gluons glr ein
gV
ihre Kopplungsstärke (V = W, Z ). Punkte mit Untersuchung des BEH-Feldes und spielen für grünes Quark qn.
2
Fehlerbalken sind Messungen, die blau gestrichelte Teilchenphysiker zur Untersuchung des Massen­ 2.7.2 Notwendigkeit und Entstehung
Linie ist die Vorhersage des Standardmodells und mechanismus daher eine entscheidende Rolle. des BEH-Feldes
die rote Linie die beste Anpassung an die Mess­ Ähnlich wie man von der uns umgebenden Luft
punkte, deren Vertrauensbereich als grünes (68 %) meist nur dann etwas spürt, wenn sie lokal angeregt Nach den vorherigen Abschnitten bleiben noch
und gelbes (95 %) Band dargestellt ist. ist („Windböe“), ist das überall homogen vorhan­ mehrere Fragen unbeantwortet: Warum ist es
(Quelle: geändert nach CERN 2016, ATLAS, CMS, Lizenz CC BY 2.0) dene BEH-Feld an sich nicht nachweisbar. Erst wenn überhaupt erforderlich, dass ein spezieller Massen-

53 Wie im nächsten Kapitel genauer dargelegt wird, würde eine Anregung der oberen Komponente keine Auswirkung auf die Energie des
BEH-Feldes haben. Nur die Anregung der unteren Komponente ist mit einer Erhöhung der potenziellen Energie verbunden und daher
70 physikalisch bedeutsam. 71
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mechanismus die Massen der Teilchen erzeugt und Symmetrieoperationen in den entsprechenden Die Besonderheit, dass eine vorhandene Symmetrie
warum können Elementarteilchen nicht einfach eine Ladungsräumen hergeleitet werden. Dies bedeutet in den beobachtbaren Phänomenen nicht mehr
Masse als intrinsische charakteristische Eigenschaft eine ungeheuer tiefe Einsicht in die Ordnung des sichtbar ist, tritt in der Physik in sehr vielen F < Fkrit F > Fkrit
besitzen, so wie sie Ladungen, Spin oder andere Universums, deren philosophische Bedeutung man Gebieten auf, wie beispielsweise bei der Elastizität,
Quantenzahlen besitzen? gerade erst anfängt zu diskutieren. Mathematisch bei der Supraleitung oder beim Ferromagnetismus:
kann man zeigen, dass Botenteilchen masselos sein Man nennt es „spontane Symmetriebrechung“55,
In der Tat wäre dies möglich, wenn es nur die müssen, um lokale Eichsymmetrien zu erhalten. obwohl die Symmetrie eigentlich nicht gebrochen,
elektromagnetische und die starke Wechselwirkung sondern nur „versteckt“ ist.
geben würde. Nur die Theorie der schwachen Außerdem verlangen sie, dass Teilchen, die sich in
Wechselwirkung hat Probleme mit Teilchenmassen, einem gemeinsamen Multiplett befinden, dieselbe Als Analogie kann man das Beispiel eines elasti-
Minimum
sowohl für die Botenteilchen, als auch für die Masse besitzen, wie z. B. bei der starken Ladung schen Nagels heranziehen, auf den man von oben
– – –
Materieteilchen. für (ul, un , uq) und (d p, d r, d m) oder bei der eine Kraft F ausübt: Bei einer sehr kleinen Kraft F
–p
( ) ( )
schwachen Ladung für d–p und eve– . Dies folgt
u
sind sowohl der Nagel als auch seine potenzielle
Die Eichsymmetrien des Standardmodells fordern daraus, dass man Teilchen innerhalb eines Multipletts Energie räumlich rotationssymmetrisch um die
die Unabhängigkeit der physikalischen Gesetze von durch die Ladungssymmetrien ineinander über­ Achse des Nagels. Eine Verbiegung des Nagels Minimum
„Eichtransformationen“ der Ladungen, z. B. also führen kann. Dabei ändert sich außer der jeweiligen würde Energie erfordern; das Minimum der
davon, welche der starken Ladungen man nun als Ladung nichts (wobei eine Änderung der schwachen potenziellen Energie seiner Verbiegung ist daher Abb. 60: Spontane Symmetriebrechung bei einem
„rot“, „grün“ oder „blau“ bezeichnet, oder was man Ladung immer auch eine Änderung der elektrischen bei Null (Abb. 60, links). Oberhalb einer „kritischen elastischen Nagel. Oben: Der beobachtete Zustand
positive und was negative schwache Ladung nennt. Ladung um denselben Betrag nach sich zieht). Kraft“ F > F krit stellt sich eine (permanente) Ver- ist links rotationssymmetrisch, rechts jedoch nicht
Die Eichsymmetrien des Standardmodells sind Die starke Wechselwirkung erfüllt problemlos ihre biegung in eine zufällige Richtung ein (Abb. 60, mehr. Unten: Die potenzielle Energie bleibt in
darüber hinaus sogar lokale Symmetrien, d. h. die Ladungssymmetrie: Ihre Botenteilchen, die Gluonen, rechts). Die Rotationssymmetrie des Nagels ist ge- beiden Fällen rotationssymmetrisch.
physikalischen Grundgesetze erlauben Drehungen sind masselos, und Teilchen im selben Multiplett, brochen, obwohl seine potenzielle Energie immer (verändert nach: Frédéric Bellaiche, http://quantum-bits.org/?p=233)
des Ladungs-Koordinatensystems an jedem Ort und wie das ul, das un und das uq, besitzen alle dieselbe noch rotationssymmetrisch ist. Der nicht-symmetri-
zu jeder Zeit unabhängig voneinander. Man fordert, Masse. Bei der schwachen Wechselwirkung – und sche Zustand des Nagels „versteckt“ die immer noch
dass Umeichungen der Ladungen, die an jedem nur dort – ist beides hingegen nicht der Fall. vorhandene Symmetrie der potenziellen Energie.
Ort und zu jeder Zeit anders durchgeführt werden Die W- und Z-Teilchen gehören zu den schwersten
können, nichts an den physikalischen Gesetzen bekannten Elementarteilchen, und die Massen von Ein weiteres Beispiel ist der Ferromagnetismus.
ändern. Unter lokalen Umeichungen kann man sich Up- und Down-Quark sind z. B. um einen Faktor 2,5 Oberhalb der Curie-Temperatur T C ≈ 1000 K besitzt
Umwandlungen (Drehungen) innerhalb der Teilchen- bzw. die von Elektron und Elektron-Neutrino sogar ein Ferromagnet keine Magnetisierung, denn die
multipletts vorstellen, also z. B. Drehungen der Achsen mindestens um einen Faktor 1.000.000 verschieden. einzelnen magnetischen Momente der Elementar- Curie-Temperatur (TC )
des Farbgitters. Abb. 59 zeigt schematisch, dass eine magneten zeigen in zufällig verteilte Richtungen Temperatur
Eichtransformation (Beispiel: Rotation um 120°) Dass dies ein Problem darstellt, erkannte schon 1961 (siehe Abb. 61, rechts).
im Raum der starken Ladung (Farbladungsgitter) der „Vater“ der schwachen Wechselwirkung, Sheldon Abb. 61: Brechung der Rotationssymmetrie eines
denselben Effekt hat wie die Emission eines Gluons. Glashow, der deshalb damals seine (inzwischen als Die Wärmebewegung der einzelnen magnetischen Ferromagneten in Abhängigkeit der Temperatur
richtig erkannte) Ladungssymmetrie der schwachen Momente überwiegt die Wechselwirkung der
Man kann mathematisch streng herleiten, dass Ladung zur Erklärung der schwachen Wechselwir- Elementarmagneten untereinander, so dass sie sich
ohne Einführung lokaler Wechselwirkungen in Form kung zunächst verwarf. Wenn man die erfolgreiche nicht ausrichten können. Diesen Zustand des Magnetisierung dadurch aus, dass sich alle
von Botenteilchen (in unseren Beispielen Gluonen) Beschreibung der schwachen Wechselwirkung Ferromagneten bezeichnet man als räumlich magnetischen Momente der Elementarmagneten in
eine lokale Eichsymmetrie für die Ladungen nicht retten möchte, muss man einen Mechanismus zur rotationssymmetrisch, da keine Magnetisierungs- eine sich zufällig ergebende Richtung ausrichten
erreichbar ist54 . Um solche Symmetrien zu erfüllen, Massenerzeugung einführen, der die zugrunde­ richtung ausgezeichnet ist. Kühlt man den Ferro­ (Abb. 61, links). In diesem Zustand sieht es so aus,
muss die Natur also Wechselwirkungen über liegende Ladungssymmetrie nicht vollständig magneten auf eine Temperatur unterhalb der als sei die Rotationssymmetrie des Ferromagneten
Botenteilchen (daher auch die Bezeichnung zerstört. Dies haben Brout, Englert und Higgs 1964 Curie-Temperatur ab, so bildet sich spontan eine gebrochen, da nun eine Richtung durch die
„Eichbosonen“) erlauben. Dies ist die grundlegende erreicht, deren Ideen dann 1966-1967 von Kibble,
Erkenntnis des Standardmodells. Analog zum obigen Hagen, Guralnik, Salam und Weinberg weiterent­
Beispiel kann die Existenz der Botenteilchen der wickelt wurden und zum heutigen Standardmodell
schwachen bzw. elektrischen Ladung also aus der Teilchenphysik führten.
55 Eine Symmetriebrechung wird als „spontan“ bezeichnet, wenn der Grundzustand des physikalischen Systems die Symmetrie verletzt
(wie z. B. der von Null verschiedene Grundzustand des BEH-Feldes, der die schwache Ladungssymmetrie verletzt), die Grundgleichungen
des Systems hingegen weiterhin die Symmetrie erfüllen. Für die Einführung dieses Konzeptes in die Teilchenphysik erhielt Yoichiri Nambu
72 54 Siehe Fachliche Hinweise: Lokale Eichsymmetrien erfordern Wechselwirkungen. 2008 den Nobelpreis: http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/physics/laureates/2008/nambu-facts.html. 73
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Magnetisierung ausgezeichnet ist. In Wahrheit ist Als das Universum sich auf eine Temperatur unter- Größen jedoch nicht vorhersagen. Erst aus
Hohe Energie V(φ)
die Rotationssymmetrie aber immer noch vorhan- halb T EW abgekühlt hatte, bildete sich spontan durch der Messung der Masse des Higgs-Teilchens
Symmetrisch
den (d. h. sie ist „versteckt“), denn man kann den „Kondensation“ ein Wert von ϕ 0 = v = 246 GeV in Lokales Maximum Geringe Energie m H = 125,1 GeV

konnte der bereits sehr genaue
gesamten Ferromagneten ohne Energieaufwand in der unteren, elektrisch neutralen Komponente des Keine Masse Asymmetrisch Wert λ = 0,129 ermittelt werden58 .
Lokales Minimum
eine beliebige andere Richtung drehen. BEH-Feldes aus. Genau wie beim Ferromagneten Masse
sieht es nun so aus, als sei die Rotationssymmetrie Aus dem Wert der Higgs-Teilchen-Masse lässt sich
Ganz ähnlich stellt man sich die Entstehung des in diesem Zustand gebrochen, da eine Komponente außerdem folgern, dass sich Anregungen des
heutigen Wertes des BEH-Feldes während der des BEH-Feldes ausgezeichnet ist. In Wahrheit ist BEH-Feldes nur in einem winzigen Raumvolumen
Abkühlung des Universums vor. Bis ungefähr eine die Rotationssymmetrie aber immer noch vorhan- der Ausdehnung ∆x = ħ · c 2 ≈ 0,0016 fm abspielen
φ0 mH · c
Billionstel Sekunde nach dem Urknall besaßen alle den („versteckt“), denn man könnte den Zustand können (siehe Abb. 63).
Teilchen bei einer Temperatur von T > 2,7 · 1015 K des BEH-Feldes (symbolisiert durch die Kugel im Tal
(was etwa dem 200-millionenfachen der Temperatur der potenziellen Energie des BEH-Felds in Abb. 62) Die Tatsache, dass der heutige Zustand des
im Zentrum der Sonne entspricht) eine Bewegungs- ohne Energieaufwand entlang des Kreises mit Universums nicht mehr die grundlegende Ladungs-
energie von E kin = k B · T > 246 GeV. Ähnlich, wie |ϕ| = v in eine beliebige andere Koordinatenrich- φ+ Symmetrie der schwachen Wechselwirkung erfüllt,
eine hohe Temperatur bei einem Ferromagneten zu tung drehen. Das rettet die Theorie von Sheldon weil der Wert des BEH-Feldes in seiner unteren
einer Gesamtmagnetisierung von Null führt, weil Glashow für die schwache Wechselwirkung. Die Abb. 62: Potenzielle Energie des BEH-Feldes nach Komponente genau diese Symmetrie spontan bricht,
die Wärmebewegung verhindert, dass sich alle Symmetrie ist noch vorhanden, nur der Grundzu- der „spontanen Symmetriebrechung“ als Funktion hat eine wichtige Konsequenz: Der Erhaltungssatz
Elementarmagneten in eine gemeinsame Richtung stand unseres Universums erfüllt sie nicht mehr. der Werte seiner oberen und unteren Komponenten. der schwachen Ladung gilt bei Prozessen, in denen
ausrichten, so verhindern hohe Temperaturen Das Minimum der potenziellen Energie liegt auf das BEH-Feld oder Higgs-Teilchen involviert sind,
oberhalb T EW = 2,7 · 1015 K eine „Kondensation“56 In Abb. 62 lässt sich außerdem die Erzeugung einem Kreis mit |φ| = v . Der beobachtete Zustand nicht mehr59. Dies sieht man z. B. an den Umwand-
des BEH-Feldes auf einen von Null verschiedenen eines Higgs-Teilchens H(r⃑, t) veranschaulichen. φ0 = v zeichnet die untere Komponente des lungen des Higgs-Teilchens H, das keine elektrische
Wert. Nach der ersten Billionstel Sekunde nach Sie ist eine irgendwo lokal im Universum (z. B. BEH-Felds aus, obwohl die potenzielle Energie in oder starke Ladung besitzt (elektrische Ladungzahl
dem Urknall war deshalb noch φ = ( ϕϕ 0 ) = ( 00 ) und
+
durch Teilchenkollision im LHC oder in der Bezug auf die beiden Komponenten des Duplett- Z H = 0 und starker Farbladungsvektor C⃗H = 0
⃗ ), aber
somit alle Teilchen masselos. Im Folgenden änderte Erd­atmosphäre) hervorgerufene Anregung des Feldes immer noch rotationssymmetrisch ist. genau wie ϕ 0 die schwache Ladungszahl Iϕ0 = – 21
sich durch Abkühlung die potenzielle Energie V(φ) BEH-Feldes entlang der Koordinatenachse ϕ 0. (verändert nach Frédéric Bellaiche, http://www.quantum-bits.org/?p=233) besitzen muss. Überprüft man die Ladungserhaltung
des Higgs-Feldes, von der Form in Abb. 60, unten Das Hervorrufen einer Anregung erfordert Energie, bei Umwandlungen des Higgs-Teilchens in einem
links in die Form der Abb. 60, unten rechts. denn entlang der ϕ 0 -Achse geht es in der poten­ Prozess wie z. B. H → W ++ W – so findet man
ziellen Energie in jedem Fall „bergauf“. Die Steilheit 0 folgendes:
Im Unterschied zum elastischen Nagel oder des Anstiegs der potenziellen Energie des BEH- ∆x
Ferromagneten sind die für das BEH-Feld relevanten Feldes V(ϕ) = 4λ (|ϕ| 4 – 2v 2 · |ϕ| 2) legt fest, wie Z H = ZW + + ZW –
Koordinatenachsen keine räumlichen Achsen, schwierig eine Änderung des Wertes des BEH-Feldes 0 = +1 +(–1)
sondern sie beschreiben die Werte der unteren zu bewerkstelligen ist und wird durch die Natur­ 246 GeV 0=0
und oberen Komponente im Duplett-BEH-Feld konstante λ charakterisiert. Sie beschreibt an­
I H ≠ IW + + IW –
φ = ( ϕϕ 0 ), d. h. im „Raum der schwachen Ladung“.
+
schaulich die „Zähigkeit“ des BEH-Feldes gegenüber h/p x
Der räumlichen Rotationssymmetrie beim elasti- Änderungen seines Wertes und damit, welche 0 x – 1
2
≠ + 21 + (– 1
2 )
schen Nagel oder Ferromagneten entspricht im Falle Energie zur Erzeugung eines Higgs-Teilchens – 1
≠0
2
des BEH-Feldes also einer Rotationssymmetrie für erforderlich ist57. Die Theorie liefert für die oben Abb. 63: Amplitude der örtlichen Anregung des
die schwache Ladung von I = – 21 (untere Komponen- dargestellte potenzielle Energie den Zusammen- BEH-Feldes in Form eines Higgs-Teilchens (qualita­
te) zu I = + 21 (obere Komponente), wie in Abb. 62 hang m H · c 2 = √ 2 · λ · v zwischen Zähigkeit λ des tiv). p x ist dabei der Impuls des Higgs-Teilchens in
dargestellt. Dies ist die o. g. grundlegende (Eich-) BEH-Feldes und der Masse des Higgs-Teilchens. x-Richtung.
Symmetrie der schwachen Wechselwirkung. Getrennt voneinander kann die Theorie diese

56 Es handelt sich bei der Ausbildung des von Null verschiedenen Wertes des BEH-Feldes tatsächlich um einen Phasenübergang des gesamten
Universums, ähnlich der Kondensation von Wasserdampf zu flüssigem Wasser.
57 Interessanterweise hatte die potenzielle Energie des BEH-Feldes eine Billionstel Sekunde nach dem Urknall, als die Symmetrie noch nicht 58 Aktuell wird theoretisch untersucht, ob unser Universum "metastabil" ist, weil der (relativ kleine) Wert von λ durch extrem seltene Quanten-
spontan gebrochen war (d. h. v = 0), ebenfalls eine (bisher unbekannte) positive Steigung rund um das Minimum, etwa so wie in Abb. 60 fluktuationen irgendwo im Universum irgendwann in sehr ferner Zukunft kurzzeitig negativ werden könnte. Da sich damit das Vorzeichen
unten links. Diese auch schon vor der Symmetriebrechung (v = 0) vorhandene Zähigkeit des BEH-Feldes bedeutet, dass Higgs-Teilchen – im der potenziellen Energie des BEH Feldes umdrehen würde, hätte dies eine sich über das gesamte Universum ausbreitende "Explosion" des
Gegensatz zu allen anderen Teilchen – auch bei ungebrochener Symmetrie von Null verschiedene Massen besitzen können. Auch bei unge- Higgs-Feldes und damit die Vernichtung des Universums in der heutigen Form zur Folge.
brochener Symmetrie sind diese proportional zur Wurzel des Vorfaktors des |φ| 2 -Terms im Potenzial V(φ). 59 Nach Emmy Noether gehört zu jeder kontinuierlichen Symmetrie ein Erhaltungssatz (Noether Theorem). Ist diese verletzt, gilt auch der
74 Erhaltungssatz nicht mehr. 75
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2.8 HYPOTHETISCHE
TEILCHEN (EXKURS)
Rotationsgeschwindigkeit

beobachtet
Es gibt eine ganze Reihe hypothetischer Teilchen,
die beispielsweise aufgrund offener Fragen
der Teilchenphysik oder bisher nicht erklärbarer
berechnet experimenteller Befunde postuliert wurden.
Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte Dunkle
Abstand vom Zentrum Materie. Die Dunkle Materie wurde im Rahmen
des Standardmodells der Kosmologie postuliert,
Abb. 64: Rotationsgeschwindigkeit von Sternen um um die Geschwindigkeit von Sternen, die sich um
das Zentrum einer Galaxie in Abhängigkeit ihres das Zentrum einer Galaxie bewegen, konsistent
Abstandes vom Zentrum der Galaxie mit den experimentellen Beobachtungen beschrei-
(Quelle: verändert nach Johannes Schneider, http://commons.wikimedia.org/ ben zu können. In Abb. 64 sind die beobachtete
wiki/File:Dark_matter_diagram.svg, Lizenz CC BY-SA 4.0) und die theoretisch berechnete Rotationsgeschwin-
digkeit von Sternen um das Zentrum einer Galaxie
in Abhängigkeit ihres Abstandes vom Zentrum
Die Verletzung der Erhaltung der schwachen dargestellt.
Ladungszahl bei Wechselwirkungen mit einem
Higgs-Teilchen kann man anschaulich so interpretie- Man erkennt, dass für weit vom Zentrum entfernte
ren, dass das Higgs-Teilchen dabei schwache Ladung Sterne die theoretisch berechnete Rotationsge-
aus dem „See schwacher Ladung“ entnimmt oder schwindigkeit stark von der experimentell gemesse-
an ihn abgibt. D. h. der „See“ kompensiert die nen abweicht. Nimmt man an, dass sich in der
Verletzung der schwachen Ladungszahlerhaltung. Galaxie neben der sichtbaren Materie noch weitere
Die Symmetrie ist somit nicht explizit verletzt, Materie befindet, die nicht sichtbar ist (Dunkle
sondern nur „versteckt“ und wird durch die Wechsel- Materie), so lässt sich die beobachtete Rotations­
wirkung des Higgs-Teilchens mit dem „See schwa- geschwindigkeit der Sterne erklären.
cher Ladung“ wiederhergestellt. Im o. g. Beispiel
der Umwandlung H → W + + W – nimmt das Higgs- Doch was genau ist die Dunkle Materie und
Teilchen die schwache Ladung –Iϕ 0 = + 21 aus dem welche Eigenschaften besitzt sie? Es gibt eine Fülle
„See“ auf, wodurch die schwache Ladungserhaltung theoretischer Modelle, die neue, bisher nicht
erfüllt wird: beobachtete Teilchen enthalten, aus denen die
Dunkle Materie bestehen könnte. Um herauszu­
IH + (–Iϕ 0) = IW+ + IW –
finden, ob es solche Teilchen gibt, benötigt man
– 1
2
+ 21 = + 21 + (– 1
2 ) Teilchenbeschleuniger und -detektoren60. Mit ihrer
0=0 Hilfe kann man versuchen, bisher noch unbekannte
Teilchen zu erzeugen und zu untersuchen.

76 60 Siehe auch Band 2 „Forschungsmethoden“ dieser Heftreihe. 77


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3 INFORMATIONEN FÜR LEHRKRÄFTE


Der vorliegende Fachtext ist in erster Linie an Lehr- 3.1 INHALTLICHE Vorkenntnisse Stufe 3 des Spiralcurriculums:
kräfte gerichtet. Die Inhalte lassen sich in Form eines ANKNÜPFUNGSPUNKTE Die Schüler sollten vor der Beschäftigung mit den
Spiralcurriculums61 behandeln, so dass eine wieder- IM LEHRPLAN Inhalten der 3. Stufe des Spiralcurriculums – neben
kehrende Beschäftigung mit den grundlegenden den Kenntnissen zu den grundlegenden Konzepten
Konzepten der Elementarteilchenphysik im Physik- Sofern die grundlegenden Konzepte der Elementar- der Elementarteilchenphysik entsprechend der
unterricht in differenzierter Form und Tiefe, in teilchenphysik nicht verbindlich im Lehrplan für das 1. und 2. Stufe des Spiralcurriculums – Vorkenntnisse
unterschiedlichem Umfang, auf sich steigerndem Unterrichtsfach Physik in der gymnasialen Oberstufe zu den folgenden mathematischen Themen
Niveau und auf der Grundlage unterschiedlicher verankert sind, bietet es sich an, geeignete Aspekte besitzen:
Vorkenntnisse möglich ist. So können wesentliche im Rahmen der Behandlung des Elektromagnetismus
Inhalte zu den zentralen Begriffen „Ladungen, Wechsel- und/oder des Aufbaus der Materie zu thematisieren. • e-Funktion
wirkungen und Elementarteilchen“ vermittelt werden: • Differential- und Integralrechnung
• Vektorrechnung
Stufe 1 „Kennen“: ab dem Ende der Sekundar-
•  3.2 VORKENNTNISSE
stufe I oder in der Einführungsphase der
gymnasialen Oberstufe im Grundkurs bzw. in Vorkenntnisse Stufe 1 des Spiralcurriculums: 3.3 LERNZIELE
Kursen mit grundlegendem Anforderungsniveau Die Schüler sollten vor der Beschäftigung mit den
auf zunächst qualitativem Niveau Inhalten der 1. Stufe des Spiralcurriculums Vorkennt- Mit der Behandlung der grundlegenden Konzepte
nisse zu den folgenden physikalischen Themen der Elementarteilchenphysik im Rahmen des
Stufe 2 „Analysieren, Rechnen“: über ein
•  besitzen: Spiralcurriculums können die nachfolgend darge-
sowohl qualitatives als auch quantitatives Niveau stellten Lernziele verfolgt werden. Eine Behandlung
• Gravitations- und Coulombkraft, elektrische der Inhalte in der in jeder Stufe spaltenweise
Stufe 3 „Diskutieren und Erläutern“: bis hin zu
•  Ladung dargelegten Reihenfolge wird empfohlen.
einem vertieften Niveau mit höherem Mathema- • Aufbau von Atomen und Molekülen
tisierungsgrad, empfohlen für den Leistungskurs • Kernumwandlungen
bzw. Kurse mit erhöhtem Anforderungsniveau. • Bahnkurve von Körpern im x-y-Diagramm

Eine Übersicht über die Inhalte der aufeinander auf- Vorkenntnisse Stufe 2 des Spiralcurriculums:
bauenden drei Stufen wird in Kapitel 3.3 dargestellt. Die Schüler sollten vor der Beschäftigung mit den
Inhalten der 2. Stufe des Spiralcurriculums – neben
den Kenntnissen zu den grundlegenden Konzepten
der Elementarteilchenphysik entsprechend der
1. Stufe des Spiralcurriculums – Vorkenntnisse zu
den folgenden physikalischen Themen besitzen:

• Elektrisches Feld, Feldlinienbild


• Potenzielle Energie
• Erhaltungssätze, v. a. Energie- und
Impulserhaltung
• Bahnkurve von Körpern im x-t-Diagramm

78 61 Für die Konzeption des Spiralcurriculums danken die Autoren in besonderer Weise Christian Burisch und Wolfgang Lormes. 79
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STUFE 1: STUFE 1:
KENNEN LERNZIELE KENNEN LERNZIELE

Wechselwirkungen Die Schüler Ordnungsschema Die Schüler


Notwendigkeit von vier • s tellen den Zusammenhang zwischen den Begriffen Wechselwirkung Ordnungsschema der • n
 ennen die Ladungsarten, die die elementaren Materieteilchen
Wechselwirkungen über und Kraft dar. Materieteilchen der 1. der 1. Generation besitzen.
mit ihnen verbundenen • f assen Kräfte, Teilchenumwandlungen sowie Teilchenerzeugung und Generation nach der Anzahl • o rdnen die elementaren Materieteilchen der 1. Generation nach
Phänomenen –vernichtung unter dem Oberbegriff Wechselwirkung zusammen. der Ladungsarten der Anzahl der Ladungsarten, die sie besitzen.
• b
 egründen die Notwendigkeit der Existenz vier verschiedener
Wechselwirkungen.
Anti-Teilchen, Ordnungs­ Die Schüler
• n
 ennen die vier fundamentalen Wechselwirkungen und jeweils schema • b
 eschreiben den Zusammenhang zwischen den Ladungen
mindestens ein zugehöriges Naturphänomen.
Ladungen der Anti-Materie- eines Materieteilchens und den Ladungen des entsprechenden
• o rdnen verschiedene Naturphänomene den zugrunde liegenden teilchen, Ordnungsschema Anti-Teilchens.
Wechselwirkungen zu. der Anti-Materieteilchen • n
 ennen die Ladungsarten, die die elementaren Anti-Materieteilchen
der 1. Generation nach der der 1. Generation besitzen.
Ladungen Die Schüler
Anzahl der Ladungsarten
Die drei Wechselwirkungen • nennen die drei Ladungsarten. • o rdnen die elementaren Anti-Materieteilchen der 1. Generation
im Standardmodell und nach der Anzahl der Ladungsarten, die sie besitzen.
• ordnen jeder Ladungsart eine Wechselwirkung im Standardmodell zu.
zugehörige Ladungsarten
• s tellen den Zusammenhang zwischen dem Besitzen einer Ladung Botenteilchen Die Schüler
(elektrische, schwache und
und dem Unterliegen einer Wechselwirkung dar. Botenteilchen der drei • b
 eschreiben, wie Wechselwirkungen durch Botenteilchen
starke Ladung)
Wechselwirkungen vermittelt werden können.
Kraftgesetze Die Schüler • n
 ennen die Botenteilchen der drei Wechselwirkungen des
Qualitative Diskussion der • b
 eschreiben qualitativ die Wirkung von Kräften zwischen Standardmodells.
vier Kräfte Körpern / geladenen Teilchen (Anziehung und Abstoßung). • b
 eschreiben den Zusammenhang zwischen dem Besitzen einer
• b
 eschreiben qualitativ die Abstandsabhängigkeit der Beträge Ladung bei Teilchen und der Möglichkeit, ein entsprechendes
der Kräfte. Botenteilchen zu absorbieren oder zu emittieren.

Reichweiten Die Schüler Feynman-Diagramme Die Schüler


Reichweiten der Kräfte • nennen die Reichweiten der vier Kräfte. Darstellung von • Z eichnen einfache Wechselwirkungs-Prozesse in Form von
• nennen diejenigen Kräfte, die man im Alltag wahrnimmt. Wechselwirkungen in Form x-y-Diagrammen.
von x-y-Diagrammen
Kopplungsparameter Die Schüler
Die drei Kopplungsparameter • o rdnen jeder Kraft einen Kopplungsparameter als Maß für
als Maß für die Stärke der die Stärke der jeweiligen Kraft zu.
Kraft • ordnen die Stärken der vier Kräfte für sehr kleine Abstände.
• ordnen die Stärken der vier Kräfte für große Abstände (d. h. im Alltag).

80 81
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STUFE 2: STUFE 2:
ANALYSIEREN, RECHNEN LERNZIELE ANALYSIEREN, RECHNEN LERNZIELE

Kraftgesetze, Die Schüler Ladungen, Anti-Teilchen Die Schüler


Kopplungsparameter • g eben die Formeln für die Kraftgesetze für sehr kleine Abstände und Eigenschaften der Ladungen, • n
 ennen die grundlegenden Eigenschaften aller Ladungsarten
Quantitative Diskussion die allgemeingültigen Formeln an. Ladungszahlen und (additiv, gequantelt, erhalten).
und Vergleich der vier • b
 eschreiben und vergleichen die Abstandsabhängigkeit der vier Farbladungen aller Anti-/ • g eben die elektrischen und schwachen Ladungszahlen aller
Kräfte für sehr kleine Kräfte für sehr kleine Abstände sowie Abstände aus unserem Alltag. Materieteilchen Anti-/Materieelementarteilchen an.
Abstände und für Abstände
• b
 eschreiben die Abhängigkeit der Kräfte von den Massen / Ladungen • geben die drei Farbladungen aller Anti-/Quarks an.
aus unserem Alltag,
der miteinander wechselwirkenden Körper bzw. Teilchen.
Beschreibung der Kräfte
• geben die Größenordnungen der vier Kopplungsparameter an. Ordnungsschema Die Schüler
mithilfe von Feldlinien 1
• b
 eschreiben die Kräfte im Gebiet der r2 -Abhängigkeit mithilfe von Multipletts und Ordnungs- • o rdnen die Anti-/Materieteilchen in Dupletts bezüglich der
Feldlinien. schema der Anti-/Materie- schwachen Ladung.
teilchen der 1., 2. und • ordnen die Anti-/Quarks in Tripletts bezüglich der starken Ladung.
Potenzielle Energie Die Schüler 3. Generation
• b
 eschreiben die Tatsache, dass Teilchenumwandlungen durch
Qualitative Diskussion • g eben die Formeln für die potenziellen Energien für sehr kleine
die Absorption/Emission von Botenteilchen nur innerhalb eines
des Zusammenhangs Abstände an.
Multipletts möglich sind.
zwischen potenzieller • b
 eschreiben die Abstandsabhängigkeit der potenziellen Energien
Energie und Kraft, • ordnen die Anti-/Materieteilchen in Generationen.
für sehr kleine Abstände.
Quantitative Diskussion • b
 eschreiben die Abhängigkeit der potenziellen Energien von den Feynman-Diagramme Die Schüler
und grafische Darstellung Massen / Ladungen der miteinander wechselwirkenden Körpern Erhaltungssätze bei • n
 ennen Energie, Impuls und Ladungen als Erhaltungsgrößen bei
der potenziellen Energien bzw. Teilchen für kleine Abstände. Wechselwirkungen, Wechselwirkungs-Prozessen.
für sehr kleine Abstände Darstellung von Wechsel­ • z eichnen Wechselwirkungs-Prozesse in Form von x-t-Diagrammen
• z eichnen die potenziellen Energien als Funktion des Abstands der
wechselwirkenden Körpern bzw. Teilchen für sehr kleine Abstände. wirkungen in Form von mit Blackbox.
• d
 euten den grafischen Verlauf der potenziellen Energien hinsichtlich x-t-Diagrammen mit • p
 rüfen die Erhaltungssätze aller drei Ladungen bei Wechsel­-
der Richtung der wirkenden Kraft (Anziehung / Abstoßung). Blackbox wirkungs-Prozessen.

Wechselwirkungen Die Schüler • b


 eurteilen die Realisierbarkeit bestimmter Wechselwirkungen
hinsichtlich der Erfüllung von Ladungs-, Energie- und Impuls­
Quantitative Diskussion der • b
 erechnen das Verhältnis der Gravitationskraft und der elektromag-
erhaltung.
vier Wechselwirkungen netischen Kraft zwischen Elektron und Proton im Wasserstoffatom
und deuten das Ergebnis hinsichtlich der Relevanz der gravitativen Botenteilchen Die Schüler
Wechselwirkung bei Prozessen auf mikroskopischer Ebene. Wechselwirkungen von • n
 ennen Energie, Impuls und Ladungen als die Eigenschaften
• b
 erechnen die Kraft zwischen Elektron und Proton im Wasser- Anti-/Materieteilchen mit eines Materieteilchens, die sich durch die Emission bzw. Absorption
stoffatom aufgrund der starken und schwachen Wechselwirkung. Botenteilchen eines Botenteilchens ändern können.

Reichweiten, Die Schüler • b


 eschreiben die Phänomene der Teilchenerzeugung und
Botenteilchen -vernichtung über Botenteilchen.
• e rläutern die Nicht-Beschreibbarkeit der starken und schwachen
Notwendigkeit der Beschrei- Wechselwirkung mithilfe des klassischen Feldlinienmodells.
bung von Wechselwirkun- • b
 egründen die Notwendigkeit der Beschreibung der starken und
gen, die eine endliche schwachen Wechselwirkung mithilfe von Botenteilchen.
Reichweite besitzen, mithilfe
von Botenteilchen

82 83
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STUFE 3: STUFE 3:
DISKUTIEREN, DISKUTIEREN,
ERLÄUTERN LERNZIELE ERLÄUTERN LERNZIELE
Reichweiten Die Schüler Botenteilchen Die Schüler
Qualitative Diskussion der • b
 eschreiben die Gründe für die endlichen Reichweiten der starken Analogien/Unterschiede • b
 eschreiben eine Analogie der Vermittlung von Kräften über den
Gründe für die endliche und schwachen Wechselwirkung. sowie Vor-/Nachteile Austausch von Körpern.
Reichweite von starker und zwischen Feldlinienbild und • b
 eschreiben den durch diese Analogie falsch dargestellten Sach­
schwacher Wechselwirkungen Austausch von Botenteilchen verhalt des „Besitzens“ von Botenteilchen.
Kraftgesetze Die Schüler • b
 eschreiben die Analogien und Unterschiede der Beschreibung
Quantitative Diskussion des • a nalysieren den Einfluss derjenigen Terme in den Kraftgesetzen von Wechselwirkungen mithilfe von Botenteilchen im Vergleich zur
Übergangsgebiets zwischen der schwachen und starken Kraft, die zu einer Abweichung der Beschreibung mithilfe von Feldlinien.
1 • n
 ennen Vor- und Nachteile der Beschreibungen einer Wechsel­
sehr kleinen und sehr großen r2 -Abhängigkeit führen.
Abständen, in dem sich für • s chätzen den Abstand ab, bei dem diese Terme relevant werden wirkung mithilfe von Feldlinien im Vergleich zur Beschreibung
die starke und die schwache (Übergangsgebiet). mithilfe von Botenteilchen.
Wechselwirkung die • b
 eschreiben, wann das Feldlinienmodell und wann das Botenteil-
• z eichnen die vier Kräfte als Funktion des Abstands der wechsel­
Abstandsabhängigkeit der chenmodell zur Beschreibung von Wechselwirkungen geeignet ist.
wirkenden Körper bzw. Teilchen.
Kraft ändert
• b
 erechnen die Abstände für die starke und schwache Kraft, bei Ladungen Die Schüler
denen die r12 -Abhängigkeit verletzt wird Vektorcharakter der starken • geben die besonderen Eigenschaften der starken Farbladung an.
(Übergangsgebiet). Ladung, • b
 eschreiben den Vektorcharakter der Farbladungsvektoren von
Potenzielle Energie Die Schüler Nichtdeutbarkeit der Masse Anti-/Quarks.
Quantitative Diskussion der • g eben den funktionellen Zusammenhang zwischen einer Kraft und als Ladung der gravitativen • z eichnen und beschreiben die Farbladungsvektoren von Teilchen,
potenziellen Energien für der zugehörigen potenziellen Energie an. Wechselwirkung die aus Teilchen zusammengesetzt sind, die eine Farbladung
beliebige Abstände • g eben die für beliebige Abstände gültigen Formeln für die potenziel- besitzen, im zweidimensionalen Farbgitter.
len Energien der Wechselwirkungen an. • b
 eschreiben den Grund dafür, dass die Masse nicht die Ladung der
• z eichnen die potenziellen Energien als Funktion des Abstands der gravitativen Wechselwirkung sein kann.
wechselwirkenden Körper / Teilchen. Kopplungsparameter Die Schüler
• v ergleichen die potenziellen Energien von gravitativer, elektro­ Beziehung zwischen • g eben den Zusammenhang zwischen dem Kopplungsparameter
magnetischer und starker Wechselwirkung hinsichtlich der Trenn­ Kopplungsparameter α und αem und der Elementarladung e an und interpretieren die Bedeutung
barkeit gebundener Systeme. der Elementarladung e beim der Elementarladung.
Elektromagnetismus und • v ergleichen die Beträge der Ladungszahlen bzw. Ladungsvektoren
Vergleich mit der starken und der drei Wechselwirkungen miteinander.
schwachen Wechselwirkung
• v ergleichen die Kopplungsparameter αem, αw, αs der drei Wechsel-
wirkungen miteinander.

Wechselwirkungen Die Schüler


Qualitative Diskussion der • beschreiben die Auswirkungen, wenn die eine oder andere
Auswirkungen der Existenz Wechselwirkungen nicht existieren würde.
und der Eigenschaften der • beschreiben die Auswirkungen, wenn die eine oder andere
verschiedenen Wechselwirkun- Wechselwirkungen andere Eigenschaften besäße.
gen auf unser Universum

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STUFE 3: 3.4 DIDAKTISCHE HINWEISE


Ladungen
DISKUTIEREN,
ERLÄUTERN LERNZIELE Allgemeines zur Einführung
Ordnungsschema Die Schüler in das Standardmodell

ge
n
Das Standardmodell der Elementarteilchenphysik,

ne
ze

erh
Theoretische und experimen- • o rdnen die Botenteilchen in Multipletts bezüglich der schwachen

n
sit

rie
ne
das seit seiner Entwicklung in allen Experimenten

alt
be

ren
ord
telle Aspekte des Standard- und starken Ladung an.

en
eindrucksvoll bestätigt wurde, ist das Grundgerüst
modells • b
 eurteilen, welche Aspekte des Standardmodells und insbesondere der Teilchenphysik. Diese Theorie liefert einen
des Ordnungsschemas der elementaren Anti-/Materieteilchen Dreiklang von Begriffen, die untrennbar miteinander unterliegen
Elementar- Wechsel-
theoretisch herleitbar sind und bei welchen es sich um rein experi- verbunden sind: Ladungen, Wechselwirkungen und teilchen wirkungen
mentelle Erkenntnisse handelt. Elementarteilchen. beeinflussen

Feynman-Diagramme Die Schüler


Im Gegensatz zur üblichen Einführung in das Abb. 65: Die drei Grundpfeiler des Standardmodells:
Darstellung von Wechselwir- • b
 eschreiben, wie Feynman-Diagramme für Wechselwirkungs-Prozesse
Standardmodell wählen wir bewusst nicht eine Ladungen, Wechselwirkungen und Elementarteilchen
kungen in Form von aus vier fundamentalen Vertices zusammengesetzt werden können.
Übersicht über alle Elementarteilchen, sondern die
Feynman-Diagrammen • z eichnen Teilchenumwandlung, -erzeugung, -vernichtung in Form Ladungen von einigen wenigen bekannten Teilchen
(x-t-Diagramme ohne von Feynman-Diagrammen ohne Blackbox. als Einstieg. Diese Wahl hat mehrere sowohl 2.5.8 und 2.5.9). Mit dem hier vorgeschlagenen
Blackbox)
• z eichnen Wechselwirkungs-Prozesse in Form von Feynman-Diagram- didaktische als auch physikalisch motivierte Gründe: Erarbeitungsweg soll das Verständnis der grund­
men ohne Blackbox. Die übliche Aufzählung der Elementarteilchen legenden Konzepte des Standardmodells befördert
verleitet zum puren Auswendiglernen, zumal und das durch das Aufzählen der elementaren
Anti-Teilchen Die Schüler
Teilchen der 2. und 3. Generation (außer den Materieteilchen zu befürchtende Auswendiglernen
Qualitative Diskussion des • b
 eschreiben, dass Erzeugung oder Vernichtung von Teilchen und Myonen) in unserem Alltag nicht in Erscheinung vermieden werden.
Materieüberschusses im Anti-Teilchen an den fundamentalen Vertices immer paarweise erfolgt. treten. Zudem kann das Ordnungsschema der
Universum • d
 euten den Überschuss von Materie im Universum und die damit Elementarteilchen, d. h. ihre Anordnung (siehe z. B. Erweiterung des Ladungsbegriffs
einhergehenden Konsequenzen. in Abb. 52 und Abb. 54), ohne die Kenntnis der Bereits bei der Einführung in den Elektromagnetis-
Ladungen der Elementarteilchen nicht verstanden mus in der Sekundarstufe I ist es ratsam, auf die
werden, da dieses Ordnungsschema auf den spätere Einführung der starken und der schwachen
Ladungen beruht. Die zentrale Rolle der Ladungen Ladung hinzuarbeiten und vor allem die Erweiterung
wird in der Anordnung der Teilchen in Multipletts des Ladungsbegriffs nicht unnötig zu erschweren.
bezüglich der Ladungen deutlich: Nur innerhalb Unter diesem Gesichtspunkt sollten häufig verwen-
eines Multipletts sind Umwandlungen von Teilchen dete Formulierungen im Zusammenhang mit der
durch Abstrahlung oder Einfang eines Botenteil- elektrischen Ladung reflektiert werden. Es sollte
chens der jeweiligen Wechselwirkung möglich. vermieden werden, anstelle von „elektrischer
Damit und mit den Ladungserhaltungssätzen ergibt Ladung“ abkürzend nur von „Ladung“ zu sprechen.
sich automatisch, welche Vertices (d. h. Wechsel­ Wenn lediglich von Ladung gesprochen wird,
wirkungen) erlaubt und welche nicht erlaubt sind. erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass Schüler das
Es ist empfehlenswert, die damit entstehende große Ladungskonzept ausschließlich als Konzept des
Vorhersagekraft des Standardmodells zu erarbeiten, Elektromagnetismus verinnerlichen und so eine
das für beliebige Reaktionen aller bekannten Erweiterung bei der Behandlung des Standard­
Elementarteilchen vorhersagen kann, welche modells deutlich schwieriger werden kann. Es
Prozesse möglich und welche nicht möglich sind. spricht nichts dagegen, die elektrische Ladung als
Über den Vergleich der Feynman-Diagramme eine spezielle Ladungsart einzuführen und auf die
verschiedener Prozesse ist sogar ein Vergleich der mögliche Behandlung weiterer Ladungsarten in
Wahrscheinlichkeiten möglich, mit denen die der Sekundarstufe II zu verweisen. Weiterhin sollte
entsprechenden Prozesse ablaufen (siehe Kapitel die elektrische Ladung als charakteristische und

86 87
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intrinsische Teilcheneigenschaft eingeführt werden. wurde als Motivation für die Einführung der • Die Bezeichnung „Austauschteilchen“ betont die der Physik, viele (in der Teilchenphysik sogar alle
Genau genommen ist die charakteristische schwachen Wechselwirkung die Tatsache genannt, Vermittlung einer Kraft durch einen Austausch relevanten) Phänomene mit einem einzigen Konzept
Teilcheneigenschaft die elektrische Ladungszahl. dass bei β-Umwandlungen Neutrinos entstehen, von Teilchen. Eine Wechselwirkung umfasst beschreiben zu können, wird hier deutlich.
Die elektrische Ladung ergibt sich als Produkt die weder eine elektrische noch eine starke Ladung jedoch darüber hinaus auch die Phänomene der
aus Elementarladung e und elektrischer Ladungs- besitzen und dass diese Prozesse daher nicht auf die Teilchenumwandlung, -erzeugung und -vernich- Bemerkung: Drei der vier Wechselwirkungen lassen
zahl Z. Die Elemen­tarladung ist eine energie- elektromagnetische oder die starke Wechselwirkung tung sowie die freie Ausbreitung von Botenteil- sich auf drei fundamentale Ladungs-Symmetrien
bzw. abstandsabhängige Größe und bestimmt zurückgeführt werden können. Eine andere chen im Fall von Photonen. Um zu vermeiden, zurückführen, deren einzige freie Parameter die drei
die Kopplungsstärke der elektromagnetischen mögliche Argumentation ist, dass β-Umwandlungen, dass der Begriff der Wechselwirkung ausschließ- Kopplungsparameter α i sind. Die Eigenschaften
Wechselwirkung. Sie ist daher als Eigenschaft sofern man nur die Energie- und Impulserhaltung lich auf Kräfte reduziert wird, wird daher die der Ladungen und Wechselwirkungen einschließlich
der Wechselwirkung und nicht der Teilchen zu sowie die Erhaltung der elektrischen Ladung Bezeichnung „Botenteilchen“ bevorzugt. der Anzahl und Ladungen der Botenteilchen folgen
verstehen. In diesem Kontext sind bestenfalls betrachtet, auch ohne die Entstehung eines vollständig aus diesen Symmetrien. Eine hypothe­
Formulierungen zu vermeiden, die dieser Inter- Neutrinos möglich wären. Dass diese Prozesse aber • Im Zusammenhang mit den in Abb. 25 und 26 tische noch weitere Vereinheitlichung dieser drei
pre­tation des Ladungs­begriffs widersprechen. grundsätzlich an die Entstehung eines Neutrinos dargestellten Analogien zur Vermittlung einer Wechselwirkungen mit der gravitativen Wechsel­
Insbesondere sollte stets die Zugehörigkeit der gekoppelt sind62, lässt den Schluss zu, dass Kraft zwischen Teilchen vermeidet die Bezeich- wirkung zu einer einzigen Wechselwirkung wird in
elektrischen Ladung zu einem Teilchen betont, β-Umwandlungen ohne Neutrinos einen anderen nung „Botenteilchen“ im Gegensatz zur der Einleitung (siehe Kapitel 2.1) thematisiert.
also z. B. stets von elektrischem Strom als Bewe- Erhaltungssatz verletzen, nämlich den der schwa- Bezeichnung „Austauschteilchen“ die Vorstel-
gung elektrisch geladener Teilchen und nicht chen Ladung. Auf diese Weise kann die Einführung lung, dass das Botenteilchen von einem der Diskussion der potenziellen Energien
nur als „Bewegung von Ladungen“ gesprochen der schwachen Ladung ebenfalls motiviert werden. wechselwirkenden Teilchen „besessen“ und an Für alle vier Wechselwirkungen werden aus zwei
werden. Auch die Formulierung „ein Teilchen das andere Teilchen „übergeben“ wird. Dies ist Gründen gleichzeitig mit den Kräften die potenziel-
trägt eine elektrische Ladung“ sollte vermieden Wechselwirkung als Oberbegriff jedoch nicht der Fall: Das Botenteilchen wird von len Energien eingeführt, sowohl als mathematische
werden, denn diese suggeriert, dass das Teilchen Das Standardmodell der Teilchenphysik beschreibt einem Materieteilchen erzeugt (emittiert) und Ausdrücke als auch als grafische Darstellungen:
diese Ladung ohne weiteres ablegen kann. Die drei der vier bekannten fundamentalen Wechselwir- von dem anderen Materieteilchen absorbiert. Zum einen sind die mathematischen Ausdrücke für
Formulierung „ein Teilchen besitzt eine elektrische kungen. D. h. es beschreibt, wie Elementarteilchen Aus demselben Grund sollten ebenfalls Formu­ die potenziellen Energien teilweise einfacher als
Ladung“ ist deutlich besser geeignet, um die durch Emission oder Absorption von Botenteilchen lierungen der Form „ein Botenteilchen wird diejenigen für die Kräfte, zum anderen lassen sich
Vorstellung von Ladungszahlen bzw. -vektoren als umgewandelt werden, wie aus einem Botenteilchen zwischen zwei Materieteilchen ausgetauscht“ Effekte wie die Ionisation von Atomen oder das
charakte­ristische Teilcheneigenschaften zu festigen. ein Teilchen-Anti-Teilchen-Paar entstehen kann, wie vermieden und besser Formulierungen der Art Eingesperrtsein („Confinement“) der Quarks in
aus einem Teilchen-Anti-Teilchen-Paar ein Boten­ „ein Botenteilchen vermittelt die Wechselwirkung gebundenen Zuständen direkter mithilfe der
Begründung der Notwendigkeit von vier Kräften teilchen entstehen kann und wie durch Botenteil- zwischen den beiden Materieteilchen“ verwendet potenziellen Energie diskutieren. Da außerdem in
Zu Beginn von Kapitel 2 und als Einstieg in die chen Kräfte vermittelt werden. Der im Fachtext werden. der Quantenmechanik der Bahnbegriff, wie er in der
Stufe 1 des Spiralcurriculums wird aus bekannten verwendete Begriff der Wechselwirkung umfasst all klassischen Physik verwendet wird, keine Gültigkeit
Phänomenen die Notwendigkeit für genau vier diese genannten Phänomene, insbesondere auch Kopplungsparameter und Kraftgesetze mehr besitzt, sind in einer Quantenfeldtheorie
fundamentale Kräfte begründet, die sofort auch mit die Vermittlung von Kräften. Er ist somit ein Um die Ähnlichkeit aller Kraftgesetze und poten­ wie dem Standardmodell der Teilchenphysik
dem allgemeineren Begriff „Wechselwirkungen“ Oberbegriff, der Kräfte einschließt. ziellen Energien (insbesondere bei sehr kleinen Geschwindigkeiten und Beschleunigungen und
in Verbindung gebracht werden. Begonnen wird Abständen) zu verdeutlichen, werden für alle damit Kräfte grundsätzlich nicht mehr zur quantita­
dabei mit den beiden makroskopisch erfahrbaren Verwendung des Begriffs „Botenteilchen“ statt Wechselwirkungen die Kopplungsparameter (auch: tiven physikalischen Beschreibung geeignet. Z. B.
und für die Schüler bekannten Kräfte: der Gravitati- „Austauschteilchen“ Kopplungskonstanten) α i eingeführt und die Kräfte beim Wasserstoffatom oder bei gebundenen Quark-
onskraft und der Coulombkraft. Aus der Tatsache, Wechselwirkungen von Elementarteilchen werden sowie potenziellen Energien mithilfe des jeweiligen Anti-Quark-Zuständen („Mesonen“) gehen dement-
dass Atomkerne trotz der sich elektrisch abstoßen- durch Botenteilchen vermittelt, die auch als α i ausgedrückt. Diese Form z. B. des Coulombge­ sprechend die jeweiligen potenziellen Energien
den Protonen stabil sind, wird gezeigt, dass eine Austauschteilchen oder Eich- bzw. Vektorbosonen setzes mag für die Schüler zunächst ungewohnt der elektrischen oder starken Wechselwirkung in die
weitere Kraft, die starke Kraft, existieren muss, die bezeichnet werden. Im Fachtext wird ausschließlich erscheinen. Sie hat jedoch den Vorteil, dass dadurch Schrödingergleichung ein.
die Nukleonen im Kern zusammenhält. Über die die Bezeichnung Botenteilchen verwendet. Diese das umfassende Konzept der Kräfte, der potenziel-
Kernfusion in der Sonne und/oder die β-Umwand- Bezeichnung bietet sich auch bei der Behandlung len Energien und insbesondere der Ladungen und Theoretische und experimentelle Aspekte
lung von Nukleonen kann schließlich die schwache im Schulunterricht an. Die Gründe hierfür sind Kopplungsparameter für drei der vier Wechselwir- des Standardmodells
Wechselwirkung eingeführt werden. In Kapitel 2.2.4 folgende: kungen aus den Ähnlichkeiten der mathematischen Es ist lohnend, bei der Behandlung des Standardmo-
Gleichungen unmittelbar ersichtlich ist. Das Wesen dells zumindest in der Stufe 3 des Spiralcurriculums

62 Dies weiß man, da die entstehenden Elektronen eine kontinuierliche Energieverteilung aufweisen, was ohne die Entstehung eines dritten
88 Teilchens – dem Neutrino – nicht der Fall sein dürfte. 89
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zu diskutieren, welche Aspekte des Standardmodells ge der Botenteilchen, die diese Wechselwirkungen wirkung beteiligten Teilchen zu allen Zeiten Verwendung verschiedener grafischer
theoretisch verstanden sind, und welche zwar im vermitteln. Es erklärt die Spielregeln im Universum, abgebildet, ähnlich wie Spuren, die Teilchen in Darstellungen von Wechselwirkungsprozessen
Standardmodell enthaltene experimentelle Fakten die die Materieteilchen als Spieler einhalten müssen, einem Detektor hinterlassen im Spiralcurriculum:
sind, aber (noch) nicht theoretisch erklärt werden und nicht die Zahl der Spieler auf dem Spielfeld. In Stufe 1 des Spiralcurriculums werden Wechsel­
können63 . So sind z. B. die Beziehungen zwischen Bemerkungen: Auch wenn die Teilchen im x-t- und wirkungsprozesse ausschließlich in Form von
den jeweiligen Ladungen und Wechselwirkungen Die Symmetrien des Standardmodells x-y-Diagramm durch Linien dargestellt sind, so kann x-y-Diagrammen dargestellt. Anhand der x-y-Dia-
und die Notwendigkeit von Botenteilchen sehr Die drei durch das Standardmodell der Teilchenphy- dennoch nicht durchgehend von einer Bahnkurve gramme können die Phänomene der Teilchen­
umfassend theoretisch verstanden: Die Botenteil- sik beschriebenen Wechselwirkungen können aus der Teilchen gesprochen werden. Die eigentlichen erzeugung und der Teilchenvernichtung diskutiert
chen wurden sogar aufgrund der theoretischen drei verschiedenen Symmetrien (sogenannte „lokale Reaktionen finden in winzigen Raumgebieten werden. Die Details des Wechselwirkungsprozesses
Vorhersagen entdeckt. So wurden die W- und Eichsymmetrien“) abgeleitet werden. Für diese wohl von weit weniger als 1 fm Ausdehnung statt, die sind hinter einer Blackbox (in Form einer schwarzen
Z-Teilchen (vorhergesagt 1961 von S. Glashow) tiefgehendste physikalischen Erkenntnis, die die entweder durch eine Blackbox oder ein eingekreis- Kreisscheibe) verborgen. Die Vermittlung der
indirekt 1973 und direkt 1982 am CERN nachgewie- Menschheit bisher über das Universum erlangt hat, tes Feynman-Diagramm gekennzeichnet werden. Wechselwirkung zwischen Teilchen durch ein
sen und die Gluonen (vorhergesagt 1973 von den lassen sich auf Schulniveau zwar Hinweise vermit- In diesem Raumgebiet ist der Ort x eines Teilchens Botenteilchen wird somit nicht dargestellt.
„Vätern“ der starken Wechselwirkung wie Gross, teln, eine vollständige Behandlung ist aber wegen aufgrund der Heisenbergschen Unbestimmtheitsre-
Politzer, Wilczek, Leutwyler, Weinberg, Fritsch, der dazu nötigen Gruppentheorie leider nicht lation nicht mehr genau festgelegt und die Linien In Stufe 2 des Spiralcurriculums werden Wechselwir-
Gell-Mann) 1979 am DESY entdeckt. Im Gegensatz möglich. Einen solchen Hinweis auf Symmetrie­ in den Feynman-Diagrammen repräsentieren keine kungsprozesse in Form von Feynman-Diagrammen
dazu ist die Existenz von exakt drei Generationen eigenschaften bilden z. B. die drei Farbladungs­ Bahnen, sondern vielmehr quantenmechanische (x-t-Diagramme) dargestellt. In dieser Darstellung
von Materieteilchen und ihre genaue Anordnungs- vektoren von Quarks, da sich die Quarks an den Wellenfunktionen. Die Ortskoordinate ist dabei können sowohl die Phänomene der Teilchenerzeu-
weise in den Ladungsmultipletts ein rein experimen- Ecken eines gleichseitigen Dreiecks (Drehsymmetrie nur qualitativ zu verstehen und selbst die zeitliche gung und der Teilchenvernichtung als auch der
teller Fakt, den das Theoriegerüst des Standardmo- um 120°) im Farbgitter befinden. Eine Drehung Reihenfolge der Wechselwirkungen ist oft nicht zeitliche Ablauf der Wechselwirkungsprozesse und
dells nicht vorhersagen kann. Theoretisch folgt der Achsen des Farbgitters um 120° ist ein Beispiel eindeutig. Außerhalb der Kreise oder Blackboxes damit die Erhaltungssätze im Vergleich zwischen
aus den Ladungssymmetrien des Standardmodells für eine spezielle Symmetrietransformation bei makroskopischen Abständen ist in der hoche- Anfangszustand und Endzustand besser diskutiert
nämlich ausschließlich, dass Materieteilchen sich innerhalb der Eichsymmetrie der starken Ladung. nergetischen Teilchenphysik die Bahnunschärfe so werden. Die Details des Wechselwirkungsprozesses
in Multipletts bezüglich der Ladungen anordnen In den fachlichen Hinweisen (Kapitel 3.5) finden gering, dass z. B. der Weg vom Kollisionspunkt zum sind wie in Stufe 1 des Spiralcurriculums hinter einer
lassen. Welche und wie viele Multipletts die Natur sich weitere Hintergrundinformationen zu Eich­ Detektor durchaus als klassische Bahn aufgefasst Blackbox verborgen. Die Vermittlung der Wechselwir-
tatsächlich realisiert hat, wurde rein experimentell symmetrien. werden kann. kung zwischen Materieteilchen durch ein Botenteil-
geklärt. Die Dupletts der schwachen Ladung wurden chen wird somit auch hier nicht explizit dargestellt.
z. B. von Stephen Weinberg 1967 zunächst nur x-y-Diagramme und Feynman-Diagramme Weiterhin werden in den vorliegenden Materialien
anhand der ersten beiden Leptonengenerationen Feynman-Diagramme dienen der Veranschaulichung zur Beschreibung bestimmter Prozesse lediglich In Stufe 3 des Spiralcurriculums werden Wechsel-
eingeführt64, da die 1964 postulierten Quarks eines Wechselwirkungsprozesses. In einem Feynman-Diagramme mit der kleinstmöglichen wirkungsprozesse, wie in Stufe 2, in Form von
damals noch pure Spekulation waren. Erst im Feynman-Diagramm wird der Wechselwirkungs­ Anzahl an Vertices (man sagt: Feynman-Diagramme Feynman-Diagrammen (x-t-Diagramme) dargestellt.
Folgenden wurden von 1968 bis 1974 zunächst die prozess in einem Ort-Zeit-Diagramm (x-t-Diagramm) der führenden Ordnung) betrachtet. Prinzipiell gibt Im Unterschied zu Stufe 2 sind die Details des
Quarks der ersten beiden Generationen und dargestellt. Diese Darstellung ermöglicht eine es unendlich viele Diagramme, die von gegebenen Wechselwirkungsprozesses, d. h. die Vertices, nun
zwischen 1975 und 2000 dann die dritten Generatio- Veranschaulichung der zeitlichen Abfolge der Ausgangsteilchen zu bestimmten auslaufenden explizit dargestellt. Bei den in Stufe 3 verwendeten
nen von Leptonen und Quarks entdeckt und nach einzelnen Wechselwirkungen in einem gewählten Teilchen führen, je nachdem, welche Wechsel­ Diagrammen handelt es sich daher um die „eigentli-
und nach ins Ordnungsschema der Materieteilchen Bezugssystem. wirkungen „im Inneren“ der Feynman-Diagramme chen“ Feynman-Diagramme65 . Durch die detaillierte
eingefügt. Dies ähnelt dem schrittweisen Füllen des stattfinden. Hier wurde sich jeweils auf die Darstellung ist sowohl eine genaue Diskussion
Periodensystems der chemischen Elemente, bei Um die Anschlussfähigkeit an den Unterricht zu einfachsten Diagramme beschränkt. der Teilchenerzeugung und Teilchenvernichtung als
dem die theoretische Erkenntnis ebenfalls im erhöhen, wird im Fachtext zusätzlich die Darstellung auch der zeitlichen Abfolge der im Feynman-Dia-
System der Ordnung liegt und nicht in der genauen von Wechselwirkungsprozessen im Ort-Ort-Dia- Feynman-Diagramme können auch als Ladungs- gramm dargestellten Wechselwirkungsprozesse und
Anzahl der zu jeder Hauptgruppe gehörenden gramm (x-y-Diagramm) verwendet. Aus dieser fluss-Diagramme angesehen werden. Genauere damit der Erhaltungssätze zu jedem Zeitpunkt des
Elemente. Die eigentliche Idee des Standardmodells Darstellung kann der zeitliche Ablauf der Wechsel- Ausführungen dazu finden sich in den Fachlichen Prozesses möglich. Außerdem ermöglichen diese
ist eine (auf Symmetrien basierende) Theorie von wirkung nicht abgelesen werden. Es werden hierbei Hinweisen: Feynman-Diagramme als Ladungsfluss- Diagramme die Visualisierung der Vermittlung von
Ladungen und Wechselwirkungen und die Vorhersa- ausschließlich die Koordinaten der bei der Wechsel- diagramme am Beispiel des Pion-Austausch. Wechselwirkungen zwischen Materieteilchen durch
Botenteilchen.
63 Die Bezeichnungen “verstanden” und “erklärt” werden hier in dem Sinn verwendet, dass es für die Standardmodell-Theorie möglich ist, diese
Tatsachen aus einem tiefer liegenden Prinzip herzuleiten, das die Grundlage der Theorie bildet – dem Prinzip der (Eich-)Symmetrien von
Ladungen. Warum die Natur wiederum gerade diese Symmetrien erfüllt, ist dagegen noch unverstanden und könnte nur durch eine noch
grundlegendere Theorie erklärt werden. 65 R . P. Feynman: Space-Time Approach to Quantum Electrodynamics. Phys. Rev. 76, S. 769
90 64 Siehe Weinberg, 1967: www.hep.uiuc.edu/LC/pdf_docs/weinberg.pdf „A Model of Leptons“. http://authors.library.caltech.edu/3523/1/FEYpr49c.pdf. 91
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Geschwindigkeit von Teilchen im 3.5 FACHLICHE HINWEISE logarithmisch um nur ca. 7 % vom Wert für große Diskussion der Eichsymmetrien durchgeführt wird,
1
Feynman-Diagramm Abstände α em (r > 10 fm) ≈ 137 (Sommerfeldsche und da sie darüber hinaus untereinander und mit
1
Die Feynman-Diagramme der Stufen 2 und 3 des Die im Fachtext dargelegten Sachverhalte umfassen Feinstrukturkonstante) auf α em (r = 0,001 fm) = 128 I (3) einer Unbestimmtheitsrelation unterliegen, wird
Spiralcurriculums veranschaulichen teilchenphysi­ die wesentlichen theoretischen Grundlagen, die für die heute in Teilchenkollisionen typischen im Fachtext nicht auf die beiden anderen Kompo-
kalische Prozesse in Form von Ort-Zeit-Diagrammen. zum Verständnis des Standardmodells und subnuklearen Abstände der Größenordnung nenten der schwachen Ladung eingegangen68 . Dort
Auf der Ordinate ist die x-Koordinate des Ortes letztendlich zu dessen Einführung im Schulunter- Attometer. Extrapoliert man die Kopplungsparameter wird deshalb I (3) = + 12 bzw. I (3) = – 12 als schwache
des Teilchens und auf der Abszisse die Zeit t auf- richt verinnerlicht werden sollten. In den dortigen für noch kleinere Abstände, treffen sie sich Ladungszahl mit den einfacheren Symbolen I = + 12
getragen. Das Ort-Zeit-Diagramm stellt somit eine Ausführungen wurde sich besonders auf die zentrale interessanterweise bei r ≈ 10-13 fm (fast) in einem bzw. I = – 12 bezeichnet. Dies ist beim Vergleich mit
1
zweidimensionale Projektion eines Wechselwir- Rolle des Ladungskonzeptes konzentriert. Einige Punkt bei Werten im Bereich α i (r = 10-13 fm) ≈ 40 weiterführender Fachliteratur zu beachten.
1
kungsprozesses dar, der in der vierdimensionalen vertiefende Inhalte des Standardmodells wurden bis 50 , was zu Spekulationen über einen gemein­
Raumzeit (x, y, z, c · t) abläuft. Da es sich um eine nicht aufgegriffen, um die allgemeine Verständlich- samen Ursprung der Wechselwirkungen Anlass gibt. Ladungsprodukt und Anziehung
zweidimensionale Projektion handelt, ist aus dem keit zu gewährleisten und den Fokus auf die Für die Behandlung der Teilchenphysik in der Schule sowie Abstoßung von schwach und
Ort-Zeit-Diagramm prinzipiell nur die x-Komponente besonders relevanten Aspekte zu lenken. Für genügt es im Allgemeinen, die Kopplungsparameter stark geladenen Teilchen
der Geschwindigkeit v⃗ der Teilchen ablesbar. Der interessierte Leser können die nachfolgenden als konstant zu betrachten. Ob sich zwei geladene Teilchen anziehen oder
Betrag der Geschwindigkeit |v⃗| = √ v x2 + v y2 + v z2 fachlichen Hinweise zur Vertiefung ausgewählter abstoßen, lässt sich am Vorzeichen des Produkts der
der Teilchen lässt sich nicht ablesen. Darüber hinaus Inhalte des Standardmodells dienen. Schwache Ladung entsprechenden Ladungen ablesen. Ist das Produkt
ist die Geschwindigkeit von Teilchen im Inneren Im Fachtext kommt dem Ladungsbegriff eine positiv, stoßen sie sich ab. Ist es negativ, ziehen sie
eines Feynman-Diagramms (sog. virtuellen Teilchen) Abstandsabhängigkeit der zentrale Bedeutung zu, wobei auch die (leider sich an. Bei der elektrischen Ladung werden für
nicht sinnvoll definierbar. Kopplungsparameter anderswo viel zu selten diskutierte) schwache dieses Produkt einfach die beiden Ladungszahlen
Das Verhalten des für kleine Abstände logarithmisch (Isospin)-Ladung u. a. für die Ordnung von Teilchen, miteinander multipliziert. Bei den mehrkomponenti-
Beschränkung der behandelten Themen abnehmenden Kopplungsparameters α s wird auch als Erhaltungsgröße bei Wechselwirkungen und zum gen Ladungen der schwachen und starken Wechsel-
und Begriffsbildungen asymptotische Freiheit der Quarks genannt. Dies Verständnis des Brout-Englert-Higgs-Mechanismus wirkung muss stattdessen deren Skalarprodukt
Das Ziel dieser Materialien besteht darin, zu darf aber keinesfalls so interpretiert werden, dass eine zentrale Rolle spielt. Zu beachten ist, dass verwendet werden. Da die Ladungskomponenten
verdeutlichen, wie die fundamentalen Erkenntnisse die Kraft zwischen Quarks mit kleinerem Abstand in der Literatur diese schwache (Isospin-)Ladung quantenmechanischen Unbestimmtheitsrelationen
des Standardmodells der Teilchenphysik als abnimmt, im Gegenteil: Der r12 -Term der starken oft nur als „schwacher Isopin“ oder gar nur als unterliegen, muss deren Skalarprodukt jedoch
verbindendes und einheitliches Konzept für die Kraft überkompensiert die langsame (logarithmi- „Isospin“67 bezeichnet wird, ohne dass ihr Ladungs- komplizierter als nach den üblichen Rechenregeln
Beschreibung scheinbar völlig unterschiedlicher sche) Abstandsabhängigkeit von α s, so dass die charakter explizit betont wird. Die schwache (Summe der Produkte der Komponenten) ausgewer-
Wechselwirkungen zwischen Elementarteilchen „Freiheit“ nur den Kopplungsparameter betrifft: Man Isospin-Ladung besitzt große mathematische tet werden.
dienen. Die Auswahl und Tiefe der Themen und sagt, die Stärke der Wechselwirkung – ausgedrückt Ähnlichkeit mit dem Spin. Elektronen mit halbzah­
Begriffsbildungen sind deshalb notwendigerweise durch ihren Kopplungsparameter – wird bei kleinen ligem Spin S = 12 können bezüglich der z-Kompo- Für interessierte Leser wird dies im Folgenden am
anders als in anderen Darstellungen des Standard- Abständen geringer. Die starke Kraft wird jedoch nente des Spins nur die beiden Zustände Sz = + 12 Beispiel von zwei Teilchen mit schwachen (Isopin-)
modells. Einige Begriffe und Themen werden im bei sich verringerndem Abstand größer, genau wie oder Sz = – 21 besitzen (die so genannten m-Quan- Ladungen ⃗ I 1 und ⃗I 2 erläutert, deren Betrag
Fachtext tiefgründiger als üblich behandelt, um z. B. bei den anderen Wechselwirkungen. Dies wird in der tenzahlen der Atomphysik). Dasselbe gilt für die |⃗I 1| = |I⃗2| = 12 gleich ist, und deren dritte
die Eleganz und Bedeutung des Ladungsbegriffes Literatur oft falsch dargestellt, insbesondere wenn schwache Isospin-Ladung: Sie besitzt – genau Komponenten unterschiedliche Vorzeichen haben,
herauszuarbeiten. Andere werden ganz wegge­ der Begriff „Kraft“ analog zum Begriff „Wechselwir- wie der Spin – eigentlich drei Komponenten so dass für die dritte Komponente der Gesamtla-
lassen, weil sie für das hier dargelegte Konzept kung“ verwendet wird. I = (I (1), I (2), I (3)), nur nicht im örtlichen Raum,
⃗ dung I (3) = I (3)
1 + I2
(3)
= 0 gilt. Ein System aus diesen
nicht relevant sind oder zu weit führen würden. sondern im abstrakten Raum der schwachen zwei Teilchen kann entweder die gesamte schwache
Neben dem starken Kopplungsparameter α s ändern Ladung. Genau wie beim Spin kann ein Teilchen Ladung | ⃗ I | = |⃗ I1+ ⃗ I 2| = 0 oder | ⃗I | = |⃗ I 2| = 1
I 1+ ⃗
sich auch die beiden anderen Kopplungsparameter mit schwacher Isospin-Ladung | ⃗ I | = 12 als dritte besitzen, je nachdem wie die beiden Vektoren ⃗ I1
α em und α w als Funktion des Abstands66, nur Komponente entweder I (3) = + 2 oder I (3) = – 12
1
und ⃗ I 2 relativ zueinander orientiert sind. Das
wesentlich langsamer. Der elektromagnetische besitzen. Da die beiden anderen Komponenten I (1) Skalarprodukt ⃗ I1 · ⃗
I 2 erhält man quantenmecha-
Kopplungsparameter beispielsweise wächst und I (2) (genau wie beim Spin) keine Rolle spielen, nisch über Ausmultiplizieren von
solange keine vektorielle Addition von schwachen
Isospin-Ladungen oder eine mathematische

67 Dies führt verbreitet zu Verwechslungen mit dem historisch älteren „starken Isospin“, der sich ausschließlich auf das Ordnungsschema der
Up- und Down-Quarks bezieht. Dieser stellt keine Ladung im hier verwendeten Sinn dar, da zu ihm keine Wechselwirkung korrespondiert.
Er wird deshalb im Folgenden nicht weiter behandelt.
66 Wechselwirkungsprozesse, bei denen eine hohe Energie übertragen wird, sind äquivalent zu Prozessen, die bei sehr kleinen Abständen ablau- 68 Bei der starken Ladung werden aus analogen Gründen sogar sechs der acht Komponenten ignoriert. Die beiden relevanten Komponenten
92 fen. Aufgrund dieser Identifikation spricht man auch von einer Energieabhängigkeit der Kopplungsparameter. werden als Vektoren im 2-dimensionalen Farbgitter dargestellt. 93
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I 2)2 = (I⃗1)2 + 2I⃗1 · ⃗


(I⃗)2 = (I⃗1 + ⃗ I 2 +(I⃗2)2 lässt. Im Formalismus der Kraftübertragung durch Summe der Ruheenergien m i · c2 der Konstituenten Außergewöhnlich dabei ist, dass jedes (Anti-)Quark
Austausch von Botenteilchen ergibt sich eine abzüglich der bei der Bindung frei gewordenen (hier immer eine „Gluonwolke“ umgibt, deren Energie
durch die Umformung: endliche Reichweite jedoch automatisch, wenn die positiv gezählten) Bindungsenergie E B einer zusätzlichen Masse von ca. 320 MeVc2
Botenteilchen eine Masse besitzen. Die exakte entspricht. Die bei gebundenen Zuständen zu
I 2 = (I⃗)2 – (I⃗1)2 – (I⃗2)2
2I⃗1 · ⃗ Herleitung dieses Zusammenhangs erfolgt über sog. E ges = ∑m i · c2 – E B, berücksichtigenden „Konstituenten-Quarkmassen“
Feynman-Propagatoren, was aber weit jenseits der Mq = mq + 320 MeV sind daher Mu ≈ 322 MeV
c2
c2
Beim Ausrechnen muss man für (Iso-)Spins die hier behandelten Themen liegt. womit sich für deren Gesamtmasse ein so genannter für das Up-Quark, Md ≈ 325 MeV c2 für das Down-
besondere Regel über den „Erwartungswert“ ihres „Massendefekt“ von E2B ergibt: Quark, Ms ≈ 420 MeV c2 für das Strange-Quark, und
c
I | · (|⃗
Quadrats berücksichtigen: (I⃗)2 = |⃗ I | + 1). In der Literatur wird die endliche Reichweite Mc ≈ 1600 MeVc2
für das Charm-Quark.
EB
Diese Gleichung gilt sowohl für das Quadrat der massebehafteter Botenteilchen oft fälschlicherweise m ges = ∑m i – 2
c
Gesamtladung als auch für das Quadrat der über eine kurzzeitige Verletzung der Energieerhal- Um die Massen der Teilchen in Tabelle 4 zu
schwachen Ladung eines der beiden Teilchen. tung bei der Entstehung der Botenteilchen nach der Bei der gravitativen und elektromagnetischen verstehen, muss man diese Konstituentenmassen
Dies führt für das Skalarprodukt der schwachen Heisenbergschen Unbestimmtheit erklärt. Mit dieser Bindung ist dieser Massendefekt unmessbar klein. addieren und dann die jeweilige Bindungsenergie
Isospin-Ladungen zu unterschiedlichen Ergebnissen Begründung erhält man aber nur zufällig das Im Grundzustand des Wasserstoffatoms beträgt abziehen. Diese ist allerdings äußerst schwierig
für die beiden Fälle richtige Ergebnis. Physikalisch ist dies unhaltbar, beispielsweise E B = E Rydberg = 13,6 eV, so dass zu berechnen und hängt zudem stark von der
da an allen Vertices von Feynman-Diagrammen, die Gesamtmasse eines Wasserstoffatoms jeweiligen Spin-Konfiguration der (Anti-)Quarks ab.
|⃗ I1 + ⃗
I | = |⃗ I2| = 0 ⟹ 2 ⃗ I 2 = 0 – 43 – 43 = – 23
I1 · ⃗ also auch bei der Entstehung der Botenteilchen, mit m H = m p + me– – E Rydberg = 938 272 081 eV c2 + Nur beim Vergleich zwischen sehr ähnlichen
(Anziehung) streng die Energie- und Impulserhaltung gilt. Eine 510 999 eV – 14 eV = 938 783 066 eV nur um Zuständen wie dem D+ (cd ̅) und dem Ds+ (cs̅)
c2 c2 c2
Verletzung des Energieerhaltungssatzes findet nicht ein 67 Millionstel kleiner ist als die Summe der ergibt sich deren Massendifferenz relativ genau
I | = |⃗
|⃗ I2| = 1 ⟹ 2 ⃗
I1 + ⃗ I 2 = 2 – 43 – 43 = + 21
I1 · ⃗ statt. Möchte man dennoch die Heisenbergsche Massen seiner Konstituenten. Die Gesamtmasse aus der Differenz der Massen von Anti-Down- und
(Abstoßung) Unbestimmtheitsrelation verwenden, so ist die des gebundenen Erde-Mond Systems, die für die Anti-Strange-Quark.
folgende Argumentation möglich, aber wegen ihrer Berechnung des Umlaufs um die Sonne relevant ist,
Der Wert des Skalarprodukts ist also nicht eindeutig Komplexität kaum für Schüler geeignet: Prinzipell beträgt wegen der Bindungsenergie sogar nur ein Ähnlich wie in der Atomphysik, z. B. beim Wasser-
durch die einzelnen Ladungen und ihre dritten dürfen Botenteilchen bei der Vermittlung einer 13 Billionstel weniger als die Summe der Massen, stoffatom, existieren auch für Mesonen aus dem
Komponenten gegeben, sondern hängt zusätzlich Wechselwirkung nicht direkt lokalisierbar sein (da auch wenn sich der Massendefekt auf riesige 1S-Grundzustand Radial-Anregungen, wie die 2S-,
vom Betrag der Summe |⃗ I | = |⃗
I1 + ⃗
I2| ab69. sie dabei sog. „virtuelle Teilchen“ sind). Versucht 450 Milliarden Kilogramm beläuft. Erst bei Atom­ 3S- oder 4S-Zustände, oder Drehimpuls-Anregun-
man, den Ort eines bestimmten Botenteilchens zu kernen wird der Massendefekt messbar und beträgt gen, wie P- oder D-Zustände. Im Gegensatz zum
Endliche Reichweite von finden, darf man höchstens einen Impuls von bis für die meisten Atomkerne 7 bis 9 MeV pro Wasserstoffatom können solche angeregten
c2
massebehafteten Botenteilchen zu ∆p = m · c auf dieses Botenteilchen übertragen, Nukleon, also ca. 0,8 Prozent. Mesonen wegen des Quark-Confinements auch
In der klassischen Physik werden Kraftwirkungen denn mit einem Energieübertrag ∆E = ∆p · c > m· c2 Massen besitzen, die negativen Bindungsenergien
durch Felder beschrieben. Die Feldlinien des könnte ein weiteres, neues Botenteilchen entstehen. In gebundenen Zuständen von (Anti-)Quarks wird entsprechen, ohne sofort in ihre Quark-Konstituen-
elektrischen Feldes einer Anordnung elektrischer Dann wäre nicht mehr klar, welches Botenteilchen der Massendefekt noch etwas ausgeprägter und ten zu dissoziieren. Für solche Zustände lässt sich
Ladungen desselben Vorzeichens erstrecken sich gerade gemessen wird. Mit einem solchen maxima- beträgt mehrere Prozent der Massensumme. die Erzeugung von Quark-Anti-Quark-Paaren aus der
im Vakuum ins Unendliche. Endliche Reichweiten len Impulsübertrag lässt sich der Ort des Botenteil-
ħ·c ħ·c
des Feldes lassen sich nur durch die Anwesenheit chens mit einer Genauigkeit von λ = ∆p · c = m · c2 MESON M q / MeV M q ̅ / MeV E B / MeV m qq ̅ / MeV τ /s
weiterer elektrischer Ladungen mit umgekehrtem bestimmen. Um nicht lokalisierbar zu sein, muss die
(qq̅ ) c² c² c² c²
Ladungsvorzeichen erreichen (z. B. ist beim Reichweite des Botenteilchens also kleiner sein als
genügend weit ausgedehnten Plattenkondensator dieses λ, das oft auch „Comptonwellenlänge“ des D+ (cd ̅ ) 1600 325 55 1870 1 · 10-12
das Feld außerhalb der Platten gleich Null). Botenteilchens genannt wird.
Ds+ (cs ̅ ) 1600 420 50 1970 5 · 10-13
In der Teilchenphysik besitzt jedoch die Kraftwirkung Massen von Quarks als Konstituenten J/Ψ (cc ̅ ) 1600 1600 100 3100 7 · 10-21
einer einzigen Ladung der schwachen Wechselwir- in gebundenen Zuständen
Ψ1D (cc ̅ ) 1600 1600 -570 3770 2 · 10-23
kung bereits im Vakuum eine endliche Reichweite, Die Gesamtenergie E ges von gebundenen Zuständen
was sich durch Feldlinien nur schwer darstellen jeder Wechselwirkung berechnet sich aus der Tabelle 4: Konstituenten-Quarkmassen, Bindungsenergien, Gesamtmassen und mittlere Lebensdauern τ für
einige Mesonen, die ein Charm-Quark enthalten

69 Alternativ könnte man auch mit der quantenmechanischen Vertauschungssymmetrie argumentieren, d.h. ob die Gesamtwellenfunktion des
physikalischen Systems bei Vertauschung der Teilchen ihr Vorzeichen ändert, oder elegant mit mathematischer Gruppentheorie arbeiten.
94 Beides liegt jenseits der Ziele des Fachtextes und der fachlichen Hinweise. 95
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festen Nachbarn gibt. In einem zur Quarkpaarbin-


x x u u
dung äquivalenten Bild lässt sich die Nukle- d d
on-Nukleon-Bindung durch Austausch von Pionen p u u p
u u
und anderen Mesonen beschreiben). Der Pion- d d
Austausch (siehe Abb. 67) wurde 1935 von Hideki u u
Yukawa eingeführt, der das erst 1947 entdeckte
Pion als Austauschteilchen der Kernkraft postulierte. π0
π0
Feynman-Diagramme als Ladungsflussdiagramme
am Beispiel des Pion-Austausch u
u d d
Abb. 66: Erzeugung eines Down-Anti-Down-Quark- Da bei allen in der Natur ablaufenden Prozessen d d n
n d d
Paares aus der potenziellen Energie des angeregten stets sämtliche Ladungen erhalten sein müssen und
u u
1D-Zustands Ψ1D (cc ̅ ) und anschließender Zerfall diese Prozesse mit Feynman-Diagrammen visuali- u u
Ψ1D (cc ̅ ) → D+ (cd̅ ) + D– (dc ̅ ) in zwei D-Mesonen siert und beschrieben werden, ist für jede Ladungs- t t
© Particle Data Group art die Summe der entsprechenden Ladungen der
beteiligten Teilchen in Feynman-Diagrammen eine Abb. 67: Feynman-Diagramm des Pion-Austauschs Abb. 68: Feynman-Diagramm des Pion-Austauschs
steigenden potenziellen Energie bei Erhöhung des zeitliche Konstante. Wie sich die Ladungen auf die zwischen zwei Nukleonen als Flussdiagramm der starke Farbladung.
mittleren Abstands zwischen Quark und Anti- Teilchen verteilen, kann jedoch zu unterschiedlichen (Copyright: Fred the Oyster, Wikimedia Commons, lizenziert unter
Quark beobachten. Dabei müssen die Gluonwolken Zeitpunkten des Prozesses verschieden sein, je CreativeCommons-Lizenz CC BY-SA 4.0,
URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Pn_Scatter_Quarks.svg)
ebenfalls berücksichtigt werden; z. B. ist für die nachdem, welche Teilchenumwandlungen statt­
Erzeugung eines Paares aus d und d̅ -Quark eine finden bzw. ob Teilchen erzeugt oder vernichtet
Energie von 650 MeV nötig. Der niedrigste werden. Unter diesem Gesichtspunkt können Feynman-
angeregte Zustand, für den das gerade möglich Diagramme auch als Ladungsfluss-Diagramme ob es sich um einen Vertex der Gluon-Emission menhängen. Ein Beispiel dafür sind die sogenannten
wird, ist Ψ1D (cc ̅ ) mit einer Masse von 3770 MeV , interpretiert werden. Dies lässt sich anhand der oder -Absorption handelt. Da die zeitliche Abfolge Neutrinooszillationen70. Ein Neutrino ist stets
c2
also 670 MeV oberhalb des im 1S-Zustand Farbladungen beim Pion-Austausch veranschauli- der Wechselwirkungen im Inneren von Feyn- eine quantenmechanische Mischung aus Elektron-,
c2
befindlichen J/Ψ (cc̅ ), siehe Abb. 66. chen (siehe Abb. 68). Die Farbladungen bieten man-Diagrammen auf Grund von Unbestimmt­ Myon- und Tau-Neutrino. Darüber, welches Neutrino
sich als Beispiel an, da sich diese Ladungen leicht heitsrelationen nicht eindeutig definiert bzw. auch bei der Messung bzw. Beobachtung vorliegt, können
Während sich das J/Ψ(cc̅ ) vorwiegend über die visualisieren lassen. Elektrische und auch schwache abhängig vom Bezugssystem ist, bleibt es eine lediglich Wahrscheinlichkeitsaussagen getroffen
vollständige Vernichtung der (Anti-)Charm-Quarks Ladung ließen sich jedoch analog betrachten. reine Definitions­frage, was Farbe und was Anti- werden.
in Gluonen und anschließende Erzeugung leichter In dieser Darstellung lässt sich der „Fluss“ einer Farbe ist. Die Unbestimmtheit der zeitlichen Abfolge
Quark-Anti-Quark-Paare umwandelt, verkürzt Farbladung vom Beginn bis zum Ende des Prozesses innerer Prozesse wurde im vorliegenden Feynman- Ein weiteres Beispiel sind die d-, s- und b-Quarks
sich die Lebensdauer des Ψ1D(cc̅ ) durch diese nachvollziehen. So wird unmittelbar deutlich, dass Diagramm durch den vertikalen Verlauf der obigen (bzw. ihre Anti-Quarks). Auch bei diesen handelt
zusätzliche Zerfallsmöglichkeit ohne Vernichtung insgesamt und zu jedem Zeitpunkt die Summe der beiden Gluonen dargestellt. es sich um quantenmechanische Mischungen aus
der (Anti-)Charm-Quarks um einen Faktor 300 Farbladungsvektoren konstant ist. Es findet lediglich diesen jeweils gleich geladenen Quarks, welche sich
auf 2 · 10-23 s. Die zunächst in den D-Mesonen eine Verlagerung der Farbladungen zwischen den Generationsübergreifende in unterschiedlichen Teilchengenerationen befinden.
weiter vorhandenen Charm-(Anti-)Quarks wandeln Quarks statt, welche durch die Gluonen bewerk­ Teilchenumwandlungen Der quantenmechanische Masseneigenzustand, der
sich erst viel später nach einer Lebensdauer von stelligt wird. Bei den Farbladungen der Gluonen In Kapitel 2.5.1 wurde festgehalten, dass prinzipiell in gebundenen Zuständen „Strange-Quark“ genannt
ca. 10-12 s über die schwache Wechselwirkung in in Abb. 68 ist nicht gekennzeichnet, bei welcher keine direkten Umwandlungen zwischen Materie- wird, ist beispielsweise gemischt aus Ladungs­
(Anti-)Strange-Quarks um. der beiden Farbladungen es sich um die Farbe und teilchen unterschiedlicher Generationen stattfinden. eigenzuständen von 94,7 % Strange-Quark, 5,1 %
bei welcher es sich um die Anti-Farbe handelt. In seltenen Fällen ist dies allerdings aufgrund Down-Quark und 0,2 % Bottom-Quark, wie sie in
Kovalente Quarkpaarbindung Dies lässt sich jedoch leicht durch Überprüfung quantenmechanischer Effekte möglich, die im den Ladungsmultipletts vorkommen. Die Umwand-
In Kapitel 2.2.3 wird erwähnt, dass die kovalente der Farbladungserhaltung an den entsprechenden Fachtext nicht diskutiert wurden. Derartige lung des Strange-Quark-Masseneigenzustands in
Quarkpaarbindung kurzzeitig stattfindet. In der Tat Vertices nachvollziehen. Welche der beiden Umwandlungen werden durch quantenmechanische ein Up-Quark durch Emission oder Absorption eines
geschieht das ganz spontan, denn der Kern ist Farbladungen als Farbe bzw. Anti-Farbe aufgefasst Mischung von Teilchen gleicher Ladungen verur- W-Teilchens geschieht nur über seinen 5,1 %-igen
einem freien Nukleonengas ähnlich, in dem es keine werden muss, ist zudem auch davon abhängig, sacht, die mit der Erzeugung ihrer Massen zusam- Down-Quark Anteil und verläuft entsprechend

70 Für ihre Forschung zu Neutrinooszillationen erhielten Raymond Davis Jr. und Masatoshi Koshiba 2002 den Nobelpreis für Physik. Für den di-
rekten Nachweis dieser Oszillationen und damit auch für den Nachweis, dass die drei Neutrinos unterschiedliche Massen besitzen, erhielten
96 Takaaki Kajita und Arthur B. McDonald 2015 den Nobelpreis für Physik. 97
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langsam mit einer mittleren Lebensdauer von etwa der Schule unmöglich72 . Da die Symmetrien des Wie in den fachlichen Hinweisen und im Verlauf des
5 · 10–8 Sekunden. Das Strange-Quark ist das Standardmodells aber eine hohe Eleganz und Erklä- Fachtextes mehrfach erwähnt, liegt die Grundidee
leichteste Quark der zweiten Generation, so dass es rungsbreite besitzen, ist es ggfls. trotzdem lohnend, des Standardmodells in drei Ladungssymmetrien.
120°
ohne generationsübergreifende Teilchenumwand- in Stufe 3 des Spiralcurriculums zumindest als Aus- In der mathematischen Sprache der Gruppentheorie

qm lungen aus Energieerhaltungsgründen als stabiles blick Folgendes zu erwähnen, um bei den Schülern schreibt man dies als Produkt dreier Symmetrie­
n
q ql Teilchen in Nukleonen neuartiger stabiler Materie weitere Faszination an Physik hervorzurufen: gruppen, von denen nach der Brechung durch den
(strange matter) vorkommen müsste71 . Brout-Englert-Higgs-Mechanismus noch zwei

qp –
qr
(i) Die Symmetrien des Standardmodells spiegeln ungebrochene Symmetrien verbleiben:
Lokale Eichsymmetrien erfordern sich in den Teilchenmultipletts wider, innerhalb
Brout-Englert-Higgs
Wechselwirkungen derer die Teilchen durch Drehung der Farb­ SU(3)C⃗ ⊗SU(2)⃗I ⊗ U(1)Z–I (3) Symmetriebrechung SU(3)C⃗ ⊗U(1)Z
qq Die Eichsymmetrien des Standardmodells fordern ladungsachsen oder durch Vorzeichenwechsel
die Unabhängigkeit der physikalischen Gesetze von der schwachen bzw. elektrischen Ladung Hierbei bezeichnet SU(3)C⃗ die Symmetriegruppe der
„Eichtransformationen“ der Ladungen, z. B. also ineinander überführt werden können, und starken Wechselwirkung, SU(2)⃗I ⊗ U(1)Z–I (3) die
davon, welche der starken Ladungen man nun als dienen damit als Ordnungsprinzip für Teilchen. Symmetriegruppe der miteinander vermischten
„rot“, „grün“ oder „blau“ bezeichnet, oder was man elektromagnetischen und schwachen Wechselwir-
positive und was negative schwache Ladung nennt. (ii) Ohne die Existenz von Wechselwirkungen und kung, und U(1)Z die Symmetriegruppe der elektro-
Botenteilchen könnte das Standardmodell diese magnetischen Wechselwirkung73 . Alle diese Gruppen
Die Eichsymmetrien des Standardmodells sind Symmetrien nicht erfüllen, da die Umwandlung sind Matrizengruppen, für die die Zahl (n) in
darüber hinaus sogar lokale Symmetrien, d. h. die von Teilchen innerhalb eines Multipletts nur Klammern hinter dem Gruppennamen angibt, dass
physikalischen Grundgesetze erlauben Drehungen über Botenteilchen bewerkstelligt werden kann. die einfachste („nicht mehr reduzible“) Darstellun-

qp des Ladungs-Koordinatensystems (also Umeichun- gen dieser Gruppe n x n-Matrizen sind. Mit Hilfe
q
q qn gen der Ladungen) an jedem Ort und zu jeder Zeit (iii) Mit drei Symmetrien, den drei zugehörigen solcher Matrizen lassen sich Drehungen im Ladungs-
unabhängig voneinander (siehe auch Kapitel 2.7.2 Kopplungsparametern, dem (Brout-Englert- raum mathematisch darstellen. Die eindrucksvolle
– – über den Brout-Englert-Higgs-Mechanismus). Higgs-) Massenmechanismus und der Vorhersagekraft des Standardmodells wird vor allem
qr qm Abb. 69 zeigt schematisch, dass eine Eichtrans­ gravita­tiven Wechselwirkung sind alle bisher von zwei Aspekten bestimmt:
formation (Beispiel: Rotation um 120°) im Raum im Universum beobachteten Prozesse
ql der starken Ladung (Farbladungsgitter) denselben vollständig erklärbar. (i) Für auf der jeweiligen Gruppe beruhende lokale
Effekt hat wie die Abstrahlung eines Gluons. Eichsymmetrien sagt die Zahl der voneinander
Ohne Ladungen und die mit ihnen verbundenen unabhängigen Drehungen im Ladungsraum
Man kann mathematisch streng herleiten, dass ohne Ladungssymmetrien ist es also weder möglich, genau die Zahl der für diese Wechselwirkung
Einführung lokaler Wechselwirkungen in Form von Ordnung in die Elementarteilchen zu bringen, noch nötigen Botenteilchen vorher. Für die Gruppe
Botenteilchen (in diesem Beispiel Gluonen) eine deren Wechselwirkungen zu verstehen oder die SU(2)⃗I erhält man z. B. drei unabhängige
Abb. 69: Eine Drehung des Farbgitters um 120° lokale Eichsymmetrie für die Ladungen nicht Geschichte des Universums in der Kosmologie zu Drehungen (ähnlich zu den drei Eulerschen
ergibt eine identische Anordnung von Quarks, erreichbar ist. Um solche Symmetrien zu erfüllen, beschreiben. Dies verdeutlicht noch einmal die Winkeln bei räumlichen Drehungen um die drei
allerdings mit anderen Farbladungen. Denselben muss die Natur Wechselwirkungen über Botenteil- zentrale Rolle der Ladungen im Standardmodell. Achsen I (1), I (2) und I (3) und damit die Vorher­
Effekt erhält man, wenn jedes der Quarks ein Gluon chen erlauben. Dies ist die grundlegende Erkenntnis sage von drei Botenteilchen: W –, Z und W +.
abstrahlt. So wird aus dem roten Quark ql durch des Standardmodells. Analog zum obigen Beispiel Mathematische Darstellungen Für die U(1)Z ergeben sich analog ein Botenteil-
Abstrahlung eines rot-anti-grünen Gluons g ein lokaler Eichsymmetrien
lr
kann die Existenz der Botenteilchen der schwachen chen und für die SU(3)C⃗ acht Botenteilchen
grünes Quark qn. bzw. elektrischen Ladung ebenfalls aus Symmetrie­ Abschließend seien die mathematischen Bezeich- mit genau vorhergesagten Ladungen. Die
operationen in den entsprechenden Ladungsräumen nungen der Symmetriegruppen des Standardmo- Anzahl und Eigenschaften der Botenteilchen
hergeleitet werden. dells erwähnt, um für sehr interessierte Lehrkräfte sind also eindeutig durch die jeweilige
die Verbindung des Fachtextes zu universitären und Symmetriegruppe definiert.
Zur quantitativen Behandlung der Symmetrien ist vor allem theoretischen Lehrbüchern zu schaffen.
die mathematische Theorie der Symmetriegruppen
nötig. Eine systematische Behandlung ist daher in
72 Eine ergänzende Literatur über Eichsymmetrien auf auch für interessierte Schüler zugänglichem Niveau bildet das Buch G. D. Coughlan, James
Dodd, "Elementarteilchen: Eine Einführung für Naturwissenschaftler", Springer- Verlag, 2013.
71 Möglich wäre auch eine alternative Definition der Eigenzustände, in der sich dann die u-, c- und t-Quarks und ihre Anti-Quarks als quanten­ 73 Gut verständliche Erklärungen der Definition und mathematischen Bedeutung der Symmetriegruppen SU(3)C⃗, SU(2)⃗I und U(1)Z finden sich im
mechanische Mischungen ergeben. Dann wären gebundene Strange-Quarks zu 100 % Eigenzustände im schwachen Ladungsmultiplett, Kapitel 4: „Symmetrien" von Griffiths, Einführung in die Elementarteilchenphysik, Akademie Verlag, 1996 (neuere Auflagen nur in Englisch).
98 könnten sich aber trotzdem in Up-Quarks umwandeln, weil nun diese einen 5,1 %-igen Anteil von Charm-Quarks enthalten. Dort wird auch die Anwendung der SU(2)⃗I auf Drehimpulse und Spins diskutiert. 99
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(ii) Alle Materieteilchen lassen sich in Ladungs- Die kleinste Einheit der starken und schwachen
Multipletts dieser Gruppen anordnen. Innerhalb Ladung hingegen wird durch deren Symmetriegrup-
(und nur innerhalb) dieser Multipletts können pe aus der mathematischen Gruppentheorie
sich Teilchen durch Emission oder Absorption festgelegt. Dadurch werden bei schwacher und
von Botenteilchen ineinander umwandeln. starker Ladung auch alle möglichen Ladungswerte
Experimentell findet man, dass alle Multipletts durch die Symmetriegruppe vorhergesagt. So sind
bezüglich der jeweiligen Ladungssymmetrien z.B. die schwachen Ladungszahlen des Elektrons
ebenfalls jeweils n Mitglieder haben (also und des Elektron-Neutrinos Ie– = – 21 und Ive =  + 21
Singuletts mit n = 1 für U(1)Z, Dupletts mit n = 2 durch die Symmetriegruppe der schwachen
für SU(2) ⃗I und Tripletts mit n = 3 für SU(3) C⃗). Wechselwirkung festgelegt.
Dies ist die einfachste Möglichkeit (die sog.
„fundamentale Darstellung“), die allerdings Multipletts der Botenteilchen
keineswegs zwingend so sein müsste. Das Nicht nur die Materieteilchen, sondern auch die
Theoriegebäude des Standardmodells kann Botenteilchen ordnen sich in Multipletts bezüglich
für Materieteilchen – im Gegensatz zu den der Ladungssymmetrien. Hier sagen die Symmetrien
Botenteilchen – nur vorhersagen, welche sogar genau vorher, wie diese Multipletts aussehen
Multipletts es prinzipiell geben könnte, jedoch müssen: ein Singulett für das Photon der elektroma-
weder die Anzahl der in ihnen enthaltenen gnetischen Wechselwirkung, ein Triplett für die
Teilchen, noch die Anzahl der Generationen Botenteilchen (W –, Z , W+) der schwachen Wechsel-
solcher Multipletts. Diese Informationen muss wirkung und ein Oktett für die Gluonen der starken
das Experiment beisteuern. Wechselwirkung. Ähnlich wie bei den Materieteil-
chen sind durch Emission oder Absorption von
Zustandekommen der diskreten Botenteilchen Umwandlungen innerhalb dieser
Ladungszahlen/-vektoren Multipletts möglich, wie z. B. für das W –:
Im Fachtext wurden die diskreten Ladungszahlen
bzw. –vektoren der elektrischen, schwachen und W – + W + ⟶ Z (Absorption eines W +-Teilchens)
starken Ladung eingeführt. Es wurde nicht geklärt,
wieso genau die beobachteten Ladungswerte In jedem Fall muss in allen diesen Prozessen
vorkommen. Dies ist so allgemein auch nicht (mindestens) eines der beteiligten Teilchen virtuell
möglich. Bei der elektrischen Ladung gehen die („off-shell“) sein, da sonst die Energie-Impulserhal-
beobachteten Ladungszahlen nicht direkt aus dem tung nicht erfüllt sein kann. Das obige Beispiel lässt
Standardmodell hervor. Die elektrische Ladung sich durch einen W–W–Z-Vertex darstellen. Einen
besitzt die Besonderheit, dass die elektrische Z–Z–Z-Vertex gibt es jedoch nicht, da IZ = 0 und
Ladungszahl eines Elektrons willkürlich auf Ze– = –1 ZZ = 0 sind, genauso wenig wie einen γ–γ–γ-Vertex,
gesetzt worden ist. Dies beeinflusst auch den Wert da Zγ = 0 ist.
von αem. Würde man z. B. eine neue Elementarla-
dung e‘ = 31 e definieren, so würde sich für die neue Analoge Umwandlungen durch Emission oder
elektrische Ladungszahl eines Elektrons Z‘e – = –3 Absorption eines Gluons können innerhalb
und z. B. für das Down-Quark eine neue elektrische des Gluon-Oktetts erfolgen, wie zum Beispiel:
Ladungszahl von Z‘d = –1 ergeben. Der neue Wert
m m
des elektromagnetischen Kopplungsparameters gl → g n + glr
würde dann α‘em ≈ 32 ·1137 betragen.
m q
gl + g r → glr

100 101
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4 AUFGABEN 6. Paarerzeugung eines Elektrons


und eines Positrons
Gehe dabei wie folgt vor: Betrachte das folgende
Feynman-Diagramm der β+-Umwandlung.
Begründe, warum die Elektron-Positron-Paar­
Im Folgenden sind einige Aufgaben aufgeführt, die 4. Potenzielle Energie eines Elektrons aufgrund erzeugung aus einem Photon nur in Materie x p n
im Unterricht bei der Behandlung der Elementar­ der elektromagnetischen Wechselwirkung mit stattfinden kann.
u u
teilchenphysik und des Standardmodells eingesetzt einem Positron
d d
werden können. Skizziere qualitativ die potenzielle Energie eines Hinweis: Versetze Dich dafür in ein spezielles
Elektrons, welche dieses aufgrund der elektro­ Bezugssystem, in dem das entstehende Elektron u d
1. Masse des Photons magnetischen Wechselwirkung mit einem Positron und Positron genau entgegengesetzt gerichtete,
Begründe mit Hilfe einer Dir bekannten Gleichung, besitzt als Funktion des Abstandes r zwischen aber betragsmäßig gleich große Impulse besitzen W+ e+
warum das Photon keine Masse besitzen kann. Elektron und Positron. (Schwerpunktsbezugssystem, siehe Abbildung).
Das Photon bewegt sich in jedem Bezugssystem mit νe
Hinweis: Die elektromagnetische Wechselwirkung 5. Photonen aus Paarvernichtung eines Elektrons Lichtgeschwindigkeit. Verwende zur Begründung
t
besitzt eine unendliche Reichweite. und eines Positrons den Energie- und Impulserhaltungssatz.
a) Bei der β+ -Umwandlung eines Atomkerns Drehe ausgehend von diesem Feynman-Diagramm
2. Folgen einer endlichen Reichweite entsteht ein Positron e+, das Anti-Teilchen des Das Photon bewegt sich in jedem Bezugssystem mit die Linien der Teilchen so, dass sich der Streupro-
von Photonen Elektrons. Bewegt sich dieses Positron durch Lichtgeschwindigkeit. Verwende zur Begründung zess p + ν̅e → n + e+ ergibt.
Nenne einige Auswirkungen z. B. für den Aufbau von Materie, wird es zunächst abgebremst. Sobald den Energie- und Impulserhaltungssatz.
Elektron
Materie, für lebensfreundliche Bedingungen auf der es nach wenigen Millimetern langsam genug ist, b) Prüfe die drei Ladungs-Erhaltungssätze bei
Erde oder für die von Menschen benutzte Technik, wird es von einem Elektron „eingefangen“ und diesem Streuprozess.
wenn Photonen keine unendliche Reichweite hätten. es kommt zur Paarvernichtung, wobei Strahlung
Diskutiere dazu die folgenden angenommenen in Form zweier Photonen entsteht. Diesen Photon Historische Anmerkung: Mit diesem Streu-Prozess
Positron
Reichweiten von Photonen: Prozess macht man sich bei der Positronen- wurden 1954 in der Nähe eines Kernkraftwerks
Emissions-Tomografie (PET), einem hochmoder- zum ersten Mal (Anti-)Neutrinos experimentell
a) λ γ < 108 km nen bildgebenden Verfahren der diagnostischen nachgewiesen.
b) λ γ < 10 km Medizin, zunutze. Berechne die Energie der
c) λγ < 1 m beiden Photonen, die bei der Paarvernichtung Unmögliche Erzeugung von einem Elektron-Posi­ 10. Feynman-Diagramm des
d) λ γ < 10–9 m entstehen. Das Positron ist dabei so langsam, tron-Paar aus einem Photon, dargestellt im Farbladungswechsels zwischen Quarks
e) λ γ < 10–10 m dass seine kinetische Energie vernachlässigt Schwerpunktbezugssystem von Elektron und a) Überprüfe in dem folgenden Feynman-Diagramm
werden kann. Berechne aus der Photonenenergie Positron. an jedem Vertex die Farbladungserhaltung.
3. Potenzielle Energie eines Elektrons die Frequenz und die Wellenlänge der zugehö­
aufgrund der elektromagnetischen Wechsel­ rigen elektromagnetischen Strahlung.
x
wirkung mit einem anderen Elektron 7. Reichweite eines W-Teilchens l q
u u
a) Skizziere qualitativ die potenzielle Energie eines b) Sind diese Photonen für das menschliche Auge Schätze die Reichweite eines W-Teilchens aus seiner
m
Elektrons, welche dieses aufgrund der elektroma- sichtbar? Begründe Deine Aussage! Masse ab und vergleiche die Reichweite mit der gl
gnetischen Wechselwirkung mit einem weiteren Größe von Nukleonen.
Elektron besitzt als Funktion des Abstandes r d
q
d
l

zwischen den Elektronen. 8. β+-Umwandlung


Begründe, warum sich ein einzelnes freies Proton t
b) Beschreibe die Änderung der potentiellen nicht per β+ -Umwandlung umwandelt.
Energie des Elektrons, wenn der Abstand zum b) Ermittle eine weitere Möglichkeit, diesen
zweiten Elektron vergrößert bzw. verkleinert wird. 9. Feynman-Diagramm der Streuung eines Farbladungswechsel zu erreichen und zeichne
Anti-Elektron-Neutrinos an einem Proton das entsprechende Feynman-Diagramm. Von
c) Beschreibe die Änderung der Kraft zwischen a) Zeichne das Feynman-Diagramm der Streuung welchem Quark wird nun das Gluon emittiert
den Elektronen bei sich vergrößerndem bzw. sich eines Anti-Elektron-Neutrinos an einem Proton. und welche Farbladungen besitzt es?
verkleinerndem Abstand.

102 103
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11. Feynman-Diagramm der Quark- 13. Confinement


Paarvernichtung und Quark-Paarerzeugung Betrachte die folgende Abbildung der potenziellen
Zeichne ein Feynman-Diagramm für den Prozess Energie eines farbneutralen Quarksystems als

ul + u–m → d m + dl. Gehe dazu von dem unten Funktion des Abstands.
stehenden Feynman-Diagramm aus. Das gesuchte
Feynman-Diagramm lässt sich aus diesem durch

potenzielle Energie
Drehung von Quark-Linien herleiten. Beschreibe
Dein Vorgehen unter Angabe der Teilchen vor und
nach der Drehung.
Abstand r

x
l q
u u
m
gl
q l
d d
a) Erläutere, warum beim Versuch, solche farb­
t neutrale Quarksysteme zu trennen, aus
energetischen Gründen spontan neue Quark-
Anti-Quark-Paare entstehen können.
12. Feynman-Diagramm des Farbladungsaus­
tauschs zwischen Quarks in einem Proton b) Erläutere, wie daraufhin neue farbneutrale, aus
Die folgende Abbildung zeigt drei Quarks eines Quarks zusammengesetzte Teilchen entstehen.
Protons. Bei jeder Emission oder Absorption eines
Gluons soll sich die Farbladung des beteiligten c) Fertige eine Feldlinienskizze an, die diesen
Quarks ändern. Ergänze die fehlenden Farbladungen Prozess veranschaulicht.
der Quarks bzw. Gluonen und beschreibe schritt­
weise den mehrfachen Farbwechsel, der aus der
Emission und Absorption der Gluonen resultiert.

x l
u

n
u

q
d
t

104 105
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5 LÖSUNGEN Aufgabe 3:
Potenzielle Energie eines Elektrons aufgrund der
Aufgabe 4:
Potenzielle Energie eines Elektrons aufgrund
Aufgabe 6:
Paarerzeugung eines Elektrons
elektromagnetischen Wechselwirkung mit einem der elektromagnetischen Wechselwirkung mit und eines Positrons
Aufgabe 1: anderen Elektron einem Positron Ein reelles Photon bewegt sich in jedem Bezugssys-
Masse des Photons a) tem mit Lichtgeschwindigkeit. Versetzt man sich
Die mittlere Reichweite eines Botenteilchens und in das Schwerpunktbezugssystem des Elektron-Posi-

potenzielle Energie

potenzielle Energie
somit der zugehörigen Wechselwirkung kann tron-Paares, so ist der Gesamtimpuls des Elekt-
mithilfe der Gleichung λ = mħ ·· cc2 abgeschätzt Abstand r ron-Positron-Paares (d. h. die vektorielle Summe des
werden, mit m: Masse des Botenteilchens und λ: Elektronenimpulses und des Positronenimpulses)
Reichweite der Wechselwirkung. Damit die gleich Null. Gemäß dem Impulserhaltungssatz gilt:
Reichweite einer Wechselwirkung unendlich ist, Der Impuls des Photons ist gleich der Summe der
ist es daher notwendig (aber nicht hinreichend), Impulse des Elektron-Positron-Paares. Da letztere in
dass die Botenteilchen masselos sind. Aus der dem gewählten Bezugssystem jedoch gleich Null ist,
unendlichen Reichweite der elektromagnetische Abstand r folgt: Der Impuls des Photons ist gleich Null. Dies
Wechselwirkung folgt demnach, dass das Photon ist ein Widerspruch zu der oben genannten
als Botenteilchen dieser Wechselwirkung masselos Tatsache, dass sich das Photon in jedem Bezugs­
ist (mγ = 0). b) Die potenzielle Energie des Elektrons in Bezug system mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, also
auf das andere Elektron verringert sich mit Aufgabe 5: einen Impuls p = Ec besitzt, der nie gleich Null ist.
Aufgabe 2: wachsendem Abstand und strebt für sehr große Photonen aus Paarvernichtung
Folgen einer endlichen Reichweite Abstände (r → ∞) gegen einen Grenzwert, den eines Elektrons und eines Positrons Bei der in der Natur ablaufenden Elektron-Posi-
von Photonen man üblicherweise auf Null festlegt. Verringert a) Da die kinetische Energie des Positrons ver­ tron-Paarerzeugung ist daher immer ein weiteres
a) λ γ < 108 km: das Licht der Sonne würde die Erde sich der Abstand zwischen den Elektronen, so nachlässigbar ist, und das Elektron ebenfalls Photon beteiligt, so dass der Widerspruch nicht
nicht mehr erreichen. wächst die potenzielle Energie. Für sehr kleine als ruhend angenommen werden kann sowie auftritt. Tritt die Paarerzeugung innerhalb von
Abstände (r → 0) strebt sie gegen unendlich. Elektron und Positron identische Massen Materie auf, so wird dieses weitere Photon
b) λ γ < 10 km: Funktechnologien wären nicht möglich. besitzen, entspricht die Gesamtenergie vor der beispielsweise von einem sich in der Nähe
c) Der Betrag der abstoßenden Kraft zwischen den Paarerzeugung der doppelten Ruheenergie eines befindenden Atomkern absorbiert oder emittiert.
c) λ γ < 1 m: Orientierung durch „Sehen“ in der Elektronen wird bei sich vergrößerndem Abstand Elektrons. Wie bei allen Prozessen gilt auch bei Klassisch gesprochen, findet die Paarerzeugung
Umgebung ist nicht möglich (auch nicht über kleiner und strebt für sehr große Abstände der Paarerzeugung die Energie- und Impulser­ nur in einem elektrischen Feld (z. B. dem eines
Wärmebilder). (r → ∞) gegen Null. Bei sich verringerndem haltung. Die zur Verfügung stehende Energie Atomkerns) statt.
Abstand wächst der Betrag der Kraft und strebt verteilt sich daher vollständig und zu gleichen
d) λ γ < 10–9 m: (bio)chemische Prozesse können für sehr kleine Abstände (r → 0) gegen unend- Teilen auf die beiden entstehenden Photonen. Aufgabe 7:
unter Umständen nicht ablaufen. lich. Die Energie eines Photons entspricht demnach Reichweite eines W-Teilchens
genau der Ruheenergie eines Elektrons.
e) λ γ < 10–10 m: Atome und Moleküle wären instabil. λW = mħ ··cc2 = 0,197 GeV · fm = 2,45 · 10–18 m = 2,45 · 10–3 fm
Eγ = me · c2 = 511 keV = 8,19 · 10–14 J,
– W 80,4 GeV

me – · C 2 Die Ausdehnung eines Nukleons beträgt ca. 1 fm.


f= h
= 1,24 · 1020 s1 ,
m Vergleich: Die Reichweite eines W-Teilchens ist ca.
c 3,00 · 108 s
λ= f
= 1 = 2,42 · 10 –12 m = 0,00242 nm um den Faktor 400 kleiner als die typische Größe
1,24 · 1020 s
eines Nukleons.
b) Die Wellenlänge liegt im Bereich der Gamma­
strahlung. Die Photonen sind somit für das
menschliche Auge nicht sichtbar.

106 107
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Aufgabe 8: b) Ladungserhaltung: b) Aufgabe 12:


β+-Umwandlung Elektrische Ladungszahlen: x Feynman-Diagramm des Farbladungsaustauschs
Bei der β+-Umwandlung wandelt sich ein Proton Zu prüfen: u
l
u
q
zwischen Quarks in einem Proton
in ein Neutron um, wobei ein Positron und ein Zp + Zv̅ e = Zn + Ze+ p
Elektron-Neutrino entstehen. Ein Proton besitzt +1 + 0 = 0 + 1 gq
x
eine Masse von mp= 938,3 MeV. Ein Neutron +1 = +1 u
l
u
n
q l
besitzt eine Masse von mn= 939,6 MeV. Da das d d g lr

entstehende Neutron eine größere Masse als Die elektrische Ladung ist erhalten. u
n
u
q
t l
das Proton besitzt, muss somit Energie zugeführt u p
g
q
werden, damit die β+-Umwandlung stattfinden Schwache Ladungszahlen: q l
q d d
kann. Ein einzelnes, freies Proton hat keine Zu prüfen: Das Gluon g (Farbladung blau und anti-rot) wird
p

Möglichkeit, diese Energie aus seiner Umgebung Ip + Iv̅ e = In + Ie+ vom Down-Quark dq emittiert und danach vom t
aufzunehmen. Daher kann sich ein einzelnes, freies Up-Quark ul absorbiert.
+ 21 + (– 1
2 ) = – 21 + 21
Proton nicht per β+-Umwandlung umwandeln. Das erste Gluon glr besitzt die Farbladung rot-
0=0 Aufgabe 11: anti-grün. Die Emission bzw. Absorption dieses
Anmerkung: Die Energie, die notwendig ist, Die schwache Ladung ist erhalten. Feynman-Diagramm der Quark-Paarvernichtung Gluons führt dazu, dass die beiden beteiligten
damit die β+-Umwandlung stattfinden kann, kann und Quark-Paarerzeugung Up-Quarks ul und un die Farbe wechseln: Das
beispielsweise aus Stößen mit anderen Atomkernen Starke Farbladungsvektoren: Up-Quark mit rotem Farbladungsvektor ul wird
oder aus der Bindungsenergie eines instabilen, Zu prüfen: durch die Emission des Gluons zu einem Up-Quark
x
protonenreichen Atomkerns resultieren. l l mit grünem Farbladungsvektor un und umgekehrt
C⃗p + C⃗v̅e = C⃗n + C⃗e+ u d
m wird das Up-Quark mit grünem Farbladungsvektor
⃗ + 0⃗ = 0
0 ⃗ + 0⃗ gl
Aufgabe 9: un durch die Absorption des Gluons zu einem
Feynman-Diagramm der Streuung eines 0 ⃗
⃗=0 Up-Quark mit rotem Farbladungsvektor ul.
Anti-Elektron-Neutrinos an einem Proton –m –m
u d q
a) Die Linie des Elektron-Neutrinos muss nach Die starke Ladung ist erhalten. Das zweite Gluon g p besitzt die Farbladung
links gedreht werden. So wird aus dem t „blau-anti-rot“. Beim Austausch dieses Gluons
Elektron-Neutrino ein Anti-Elektron-Neutrino. Aufgabe 10: wechseln die beiden beteiligten Quarks, das
Feynman-Diagramm des Farbladungswechsels Die Linie des Down-Quarks dq muss nach rechts Up-Quark mit rotem Farbladungsvektor ul und das
x p n zwischen Quarks gedreht werden. So wird aus dem Down-Quark dq Down-Quark mit blauem Farbladungsvektor dq, die

u u
a) Oberer Vertex: das Anti-Down-Quark d m. Die Linie des Up-Quarks Farbe: Das Up-Quark ul wird zu einem Up-Quark uq
Zu prüfen: uq muss nach links gedreht werden. So wird aus und das Down-Quark dq zu einem Down-Quark dl.
d d – m.
C⃗ul = C⃗g lm + C⃗uq dem Up-Quarks uq das Anti-Up-Quark u
u d
l = lm + q
l=l
W+
Unterer Vertex:
Zu prüfen:
–νe e+ C⃗d q + C⃗g lm = C⃗d l
q + lm = l
t
l=l

An beiden Vertices ist die Farbladung erhalten.

108 109
5 Lösungen Download der Materialien unter www.leifiphysik.de/tp und www.teilchenwelt.de 6 Ergänzende Materialien

Aufgabe 13:
Confinement
b) Aufgrund der Farbladungserhaltung besitzt
das entstandene Quark-Anti-Quark-Paar insge-
6 ERGÄNZENDE MATERIALIEN
a) Anhand der Abbildung erkennt man, dass für samt die Farbladung 0⃗, d. h. das entstehende
große Abstände die potenzielle Energie der Anti-Quark besitzt die zu der Farbe des ent­
Quarks mit sich vergrößerndem Abstand linear stehenden Quarks entsprechende Anti-Farbe. 5.1 Forum
ansteigt. Das bedeutet, dass unendlich viel Ein stabiler Zustand wird erreicht, wenn das
Energie notwendig ist, um die beiden Quarks entstandene Quark und Anti-Quark Farbladungs- Geschütztes Forum zum Unterrichtsmaterial
unendlich weit voneinander zu entfernen. Ab vektoren dergestalt besitzen, dass diese mit den https://forum.teilchenwelt.de/
einem gewissen Abstand ist die potenzielle ursprünglichen (Anti-)Quarks zusammengesetzte
Energie der Quarks so groß, dass ein neues Teilchen bilden können, die alle ihrerseits 5.2 Weitere Aufgaben- und Arbeitsblätter
Quark-Anti-Quark-Paar erzeugt werden kann. farbneutral sind (Confinement). Dies ist der
energetisch günstigste Zustand, da dann keine Eine Sammlung weiterer Aufgaben- und Arbeitsblätter ist online unter
lang ausgedehnten „Farbschläuche“ mehr www.teilchenwelt.de/material/materialien-fuer-lehrkraefte/kontextmaterialien-fuer-lehrkraefte/ zugänglich.
vorliegen. Es werden daher so lange neue
Quark-Anti-Quark-Paare gebildet, bis dieser 5.3 Teilchenphysik
Zustand erreicht ist.
Material auf LEIFIphysik
c) www.leifiphysik.de/kern-teilchenphysik/teilchenphysik
Nach Kategorien/Medienart bzw. Themen sortierte Sammlung von Literatur und Links zur Teilchenphysik
www.teilchenwelt.de/material/linksammlung-zur-teilchenphysik-nach-kategorien-sortiert/
ul –
up www.teilchenwelt.de/material/linksammlung-zur-teilchenphysik-nach-themen-sortiert/

5.4 Elementarteilchen

Elementarteilchen-Steckbriefe
www.teilchenwelt.de/material/materialien-fuer-lehrkraefte/teilchensteckbriefe/
ul –
up
Arbeiten mit Elementarteilchen-Steckbriefen mithilfe interaktiver Tafeln
https://iktp.tu-dresden.de/IKTP/pub/15/MasterArbeit_Felix_Lehmann_2015_STEX.pdf

5.5 Feynman-Diagramme

– – Programm zum Zeichnen von Feynman-Diagrammen


ul dp dl up http://jaxodraw.sourceforge.net/

110 111
Notizen

112 113
DIE JOACHIM HERZ STIFTUNG

Die gemeinnützige Joachim Herz Stiftung arbeitet überwiegend operativ und ist vorrangig in den Themenfel-
dern Naturwissenschaften, Wirtschaft sowie Persönlichkeitsbildung tätig. In diesen drei Bereichen werden
auch kleine, innovative Projekte Dritter gefördert. Seit 2017 unterstützt die Stiftung zudem Forschungspro-
jekte in den Themenfeldern Medizin und Recht. Die Joachim Herz Stiftung wurde 2008 errichtet und gehört
zu den großen deutschen Stiftungen. www.joachim-herz-stiftung.de

Der Programmbereich Naturwissenschaften führt Kinder und Jugendliche an die Naturwissenschaften heran
und fördert den wissenschaftlichen Nachwuchs auf dem Weg in die Wissenschaftskarriere. Denn naturwis-
senschaftliche Allgemeinbildung und das Interesse an neuen Forschungsfragen sind Voraussetzungen für
individuelle Urteilsfähigkeit und gesellschaftliche Weiterentwicklung.

Ziel des Themenfeldes „Naturwissenschaften vermitteln“ ist es, den naturwissenschaftlichen Unterricht
durch zeitgemäße Materialien und flankierende Lehrerfortbildungen zu stärken. Gemeinsam mit dem
Netzwerk Teilchenwelt hat die Joachim Herz Stiftung in enger Abstimmung mit Lehrkräften, Didaktikern und
Wissenschaftlern Unterrichtsmaterialien zum Thema Teilchenphysik entwickelt, um aktuelle und forschungs-
nahe Fragestellungen aus den Naturwissenschaften für die Schule aufzubereiten. Die entstandenen
Materialien stehen unter www.leifiphysik.de/tp und www.teilchenwelt.de kostenfrei zum Download zur
Verfügung.

Für weitere Informationen zum Unterrichtsmaterial Teilchenphysik


und zu LEIFIphysik schreiben Sie uns:
leifi@joachim-herz-stiftung.de
Joachim Herz Stiftung
Programmbereich Naturwissenschaften
Langenhorner Chaussee 384
22419 Hamburg

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in den Themenfeldern Naturwissenschaften, Wirtschaft sowie Persönlichkeitsbildung
tätig. In diesen drei Bereichen werden auch kleine, innovative Projekte Dritter gefördert.
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und Recht. Die Joachim Herz Stiftung wurde 2008 errichtet und gehört zu den großen
deutschen Stiftungen. www.joachim-herz-stiftung.de

Der Programmbereich Naturwissenschaften führt Kinder und Jugendliche an die Natur-


wissenschaften heran und fördert den wissenschaftlichen Nachwuchs auf dem Weg
in die Wissenschaftskarriere. Denn naturwissenschaftliche Allgemeinbildung und
das Interesse an neuen Forschungsfragen sind Voraussetzungen für individuelle Urteils-
fähigkeit und gesellschaftliche Weiterentwicklung.

Ziel des Themenfeldes „Naturwissenschaften vermitteln“ ist es, den naturwissenschaft-


lichen Unterricht durch zeitgemäße Materialien und flankierende Lehrerfortbildungen
zu stärken. Gemeinsam mit dem Netzwerk Teilchenwelt hat die Joachim Herz Stiftung
in enger Abstimmung mit Lehrkräften, Didaktikern und Wissenschaftlern Unterrichts-
materialien zum Thema Teilchenphysik entwickelt, um aktuelle und forschungsnahe
Fragestellungen aus den Naturwissenschaften für die Schule aufzu­bereiten. Die ent-
standenen Materialien stehen unter www.leifiphysik.de/tp und www.teilchenwelt.de
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