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1.

Strategem

Den Kaiser täuschen und das Meer überqueren

Kategorie: Überlegenheitsstrategie

Sinnhaf- Handle so vertrauensvoll, dass Du keine Aufmerksamkeit auf


tigkeit: Dich lenkst. Je geheimnisvoller Du agierst, je größer der
Schirm, hinter dem Du Dich versteckst und je dunkler und
schattiger die Umge-bung, in der Du operierst, um so größer
ist die Aufmerksamkeit und Wachsamkeit Deines Gegners.

Strategem-  Das Ziel der Handlung tarnen („Zieltarnung“)


ziel:  Falsche Signale senden
 Den tatsächlich eingeschlagenen Kurs verschleiern
(„Kursverschleierung“)
 Unsichtbare Ziele verfolgen („Tarnkappenstrate-
gem“)
 Coram-Publico-Strategem

Taktik: Um den Argwohn und damit die Abwehr Deines Gegners zu re-
duzieren, musst Du möglichst öffentlich agieren. Verstecke
Deine wahren Absichten hinter dem Deckmantel täglicher und
normal er-scheinender Aktivitäten. Baue eine positiv anmu-
tende und harmlos wirkende Fassade auf, die den Gegner im
Glauben lässt, dass keine Gefahr drohe. Sie wird so lange auf-
recht erhalten, bis sie zu einem vertrauten Bild geworden ist.
Im Schatten dieser Fassade werden unsichtbare Manöver
durchgeführt, während die tatsächlichen Blicke auf dem öf-
fentlichen Trugbild ruhen.

Felix Graf Luckner und der Hilfskreuzer Seeadler


Wer Freude an alten Piratenfilmen hat, kennt die Situation: Der Freibeuter erspäht am Horizont
das Handelsschiff einer fremden Nation und gedenkt, es zu kapern. Allein der Abstand zum Objekt
der Begierde ist so groß, dass dessen Kapitän das Weite suchen könnte, wenn er argwöhnisch wäre.
Durch das Fernglas beobachtet er das heran-nahende Schiff, um Verdächtiges feststellen zu können.
Er selbst möchte ungern von seiner eingeschlagenen Route abweichen, denn das kostet Zeit und
Geld. Was er zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht weiß ist, dass ihm diese Fehleinschätzung in
Kürze auch das Schiff kosten wird. Langsam nähert sich also das Piratenschiff dem ahnungslosen Op-
fer. Der Rudergänger hängt gelangweilt am Steuerrad und nur ein paar in die Ferne blickende Matro-
sen bevölkern das Deck. Eine ganz normale Situation, wie sie der Kapitän des Handelsschiffs auf al-
len Weltmeeren viele Jahre kennt. Dann gibt er den Befehl, den Flaggengruß vorzubereiten. Durch
Dippen der Landes-flagge grüßt man die Besatzung des vorbeifahrenden Schiffs. Dazu wird die
Flagge kurz auf Halbmast gesetzt und wieder in den Top, also nach oben gezogen. Selbstverständ-
lich hat der Freibeuter keine Totenkopf-flagge gehisst, sondern eine unauffällige Flagge eines dem
Frieden verbundenen Landes. Das Meer ist ruhig und es scheint ein schöner Tag zu werden. Doch die
Stille trügt, denn beim Angreifer ist alles andere als „Fofftein“ angesagt, dem Seemannswort für
„Pause“: Vor den Blicken des vorbeifahrenden Schiffes verborgen, tut sich was auf dem Oberdeck
des nahenden Schiffes, denn man hält Enterhaken, Pistolen und Messer bereit. Im Unterdeck ist man
bei den Kanonen, die geladen und mit bereiter Lunte hinter den Luken nur noch auf den Befehl des
Käpt’n warten. Plötzlich ist der Frieden vorbei und die Besatzung des Handelsseglers ist schneller
Fischfutter als der Tee trinkfertig.

Die tatsächliche Stimmung hat getrogen und das Offensichtliche blieb hinter einer Fassade ver-
meintlich gelangweilter Matrosen verborgen.

Ähnlich erging es wohl auch den Offizieren der englischen Seeblockade sowie Kapitänen von rund 16
feindlichen Schiffen während des 1. Weltkriegs. Der deutsche Kapitänleutnant Felix Graf von Luck-
ner (1881 – 1966) war Kommandant der Seeadler, einem motorisierten und bewaffneten Rahseglers.
Kein Mensch vermutete hinter dieser unscheinbaren und friedlichen Fassade eines großen Segel-
schiffs, das als norwegischer Frachter getarnt war, einen deutsches Hilfskreuzer, also ein Kriegs-
schiff. Damit durchbrach Graf Luckner jedoch die englische Blockade und brachte 16 Prisen auf. Da-
bei starb nur ein einziger Mann, der nach einem Granateneinschlag durch das einzige Geschütz der
Seeadler infolge Wasserdampfs einer zerborstenen Dampfleitung verstarb. Allen aufgebrachten
feindlichen Schiffen („Prisen“) näherte er sich als harmlos erscheinendes Segelschiff und zeigte erst
im letzten Moment seine Kanone, als bereits alles zu spät war. Keiner der Kapitäne hatte auch nur
ansatzweise Argwohn, dass er sein Schiff durch ein herannahendes Segelschiff verlieren könnte.
Diese Tollkühnheit brachte Graf Luckner den Beinahmen „Seeteufel“ ein.

Der Samurai und die Ratte

Einst lebte ein Samurai, ein Krieger der vorindustriellen Zeit Japans, in seinem Haus und wurde von
einer großen Ratte geplagt. Sie war so schnell und so schlau, dass der Samurai sie nicht fangen oder
töten konnte und das ärgerte ihn so maßlos, dass er eines Tages in die Stadt ging, um sich eine
Katze zu kaufen. Ein Straßenhändler, der er seine Nöte erzählte, verkaufte ihm einen Kater, von
dem er behauptete, dass er flink und fit sei, um die Ratte zu töten. Und tatsächlich machte er den
Eindruck, die Ratte sofort zur Strecke bringen zu können. Zu Hause angekommen stellte sich heraus,
dass die Ratte sogar noch schneller als ihr Jäger war und der Samurai brachte ihn nach einer erfolg-
losen Woche zum Händler zurück. Dieser hatte eine weitere Katze in seiner Obhut, die noch größer
war und so gemein, dass der Straßenhändler den Erfolg garantierte. Aber die Ratte war schnell und
schlau und hatte nach kurzer Zeit herausgefunden, dass die Katze nur die Hälfte des Tages wach
war und während der anderen Zeit bräsig in der Sonne lag und schlief. Während dieser Tageshälfte
konnte sich die Ratte unbehelligt bewegen, so dass auch diese Katze keinen Nutzen brachte. Der Sa-
murai brachte auch sie wieder zum Straßenhändler zurück und erhielt den Kaufpreis erstattet. Der
Händler schüttelte nur den Kopf und wusste keinen weiteren Rat. Auf dem Heimweg begegnete der
Samurai einem Mönch, der bettelnd am Straßenrand stand. Vor seinen Füßen lag eine alte, fette und
fast blinde Katze, die fest schlief und von dem ganzen Geschehen nichts mitbekam. Der Samurai
sprach zu dem Mönch und erzählte ihm seine Geschichte und fragte, ob er wohl einen Rat für ihn
hätte. Da gab ihm der Mönch dieKatze, die lange Jahre in einem Tempel gelebt hatte und sagte
ihm, dass er diese Katze bekommen würde, wenn er sie gut füttere und behandle. Der Samurai war
sehr skeptisch, aber nahm die Katze dennoch mit, weil der Mönch sie ihm schenkte. Nach zwei Wo-
chen war immer noch nichts passiert. Die Katze schlief den ganzen Tag, wachte nur zum fressen auf
und schlief dann weiter, während die Ratte dem genervten Samurai weiterhin auf der Nase herum-
tanzte. Bis dieser wieder zum Mönch ging, um ihm die untätige und faule Katze zurück zu bringen.
Dieser bestand aber darauf, dass die Katze noch einige Zeit beim Samurai verbringen sollte und ga-
rantierte ihm, dass die Tage der Ratte gezählt seien. Mittlerweile hatte sich die Ratte an die schla-
fende Katze gewöhnt und nahm kaum noch Notiz von ihr. Sie rannte wie früher auch im Haus umher
und tanzte gelegentlich sogar dreist direkt vor der Katze. Und diese schlief weiter. Dann, einige
Tage später, lief die Ratte ohne Bedenken über den Hof, direkt vor der Nase der schlafenden Katze
vorbei, als diese plötzlich ihre Krallen zeigte, sie in die Ratte bohrte und sie mit einem Biß ins Ge-
nick tötete.

Die historische Gegebenheit hinter dem 1. Strategem:

Die chinesische Geschichte, die als Vorlage dieses „1. Strategems“ gedient haben soll, spielte sich
im siebten Jahrhundert unserer Zeitrechnung in China ab. Sie bezieht sich auf einen Kriegszug des
Tang-Kaisers Tai Zong (626 – 649), der gegen seinen Willen dazu gebracht wurde, von Osten kom-
mend das Gelbe Meer zu überqueren, ohne es zu bemerken. Während des Feldzugs erreichte die Ar-
mee einer Stärke von 300.000 Soldaten das Meer. Dem Kaiser wurde es mulmig vor den Gefahren des
Meeres und er fragte seine Generäle, was sie zu tun gedenken, um das Meer gefahrlos zu überque-
ren. Diese sahen sich an und hatten keine brauchbare Lösung bereit. Der Feldzug drohte stecken zu
bleiben und der Kaiser sprach schon von Rückzug in die Kaiserstadt, als ein Händler, der nahe dem
Hafen wohnte, eine Idee präsentierte, wie man den Kaiser über das Meer bringen könne, ohne dass
er es bemerken würde. Sein Plan sah vor, dass er dem Kaiser die Versorgung seiner Truppen mit
Nahrungsmitteln, Ausrüstung und Waffen für 300.000 Mann gewährleistet und den Kaiser für die Mo-
dalitäten sprechen und ihm seinen Plan zeigen wollte.

Als der Kaiser mit seinem Hofstaat eintrat, glaubte er sich noch weit vom Wasser entfernt, denn
nichts deutete darauf hin, dass der Treffpunkt in der Nähe des Meeres lag. Tatsächlich aber hatten
die Truppen die vermeintlichen Häuser auf Holzboote gebaut, die sehr stabil waren und sich kaum
bewegten. Der Horizont war geschickt mit Planen und Zelten verdeckt, so dass alles den Anschein
hatte, der Händler würde irgendwo Mitten in der Stadt leben. Das Haus, in das der Kaiser eingela-
den wurde, war sehr luxuriös. An den Wänden hingen teure Teppiche und bunte Seidenbilder. Es
roch nach schönen Düften und der Kaiser Tai Zong und sein Hofstaat fühlten sich in diesem Haus
sehr wohl. Man trank, entspannte sich und hatte allerlei Zerstreuungen, die dergestalt waren, dass
man Zeit und Raum vergaß.

Doch plötzlich fing es an zu stürmen und der Wind heulte Ohren betäubend. Das Wasser bäumte sich
auf und die Wellen knallten wie Donnerhall gegen das vermeintliche Haus. Gläser fielen um, die Tel-
ler zerschellten auf dem Boden und niemand konnte mehr stehen. Der Kaiser war natürlich sehr er-
schrocken und wies seinen Kämmerer an, die Vorhänge vor den Fenstern zurück zu ziehen und war
entsetzt, dass er sich mit seinen 300.000 Mannmitten auf dem Meer befand. Er ließ sofort den listi-
gen General Xue Rengui zu sich rufen, um dem Kaiser zu erklären, was hier vor sich gehe. Der Gene-
ral hatte den Fall eingeplant, dass ein starker Wind blasen würde und hatte zusätzlich zur Errich-
tung der „Stadt“ auf dem Meer ein weiteres Schiff bauen lassen, das ebenfalls wie eine Stadt er-
schien und es bereits einige Tage vorher auf das Meer geschickt. Die dort anwesenden Soldaten hat-
ten den Befehl, sich so zu geben, als gingen Sie einem Tagwerk nach, sollten Emsigkeit am „Ufer“
zeigen und jedem, der von Weitem zusah das Gefühl geben, dass es sich um eine Stadt handeln
würde. So geschah es dann auch. Der General Xue Rengui bat den Kaiser auf das Dach des Hauses,
zeigte ihm in der Ferne das bereits vorher ausgelaufene Schiff, das wie ein sicherer Hafen aussah
und erklärte ihm, dass man sich bereits in sicherer Nähe eines Hafens befand, der zu des Kaisers
Staatsgebiet zählte. Dieser war sichtlich erleichtert und froh, das Meer endlich überquert zu haben.
Der Kaiser ging wieder in das „Haus“ und ließ es sich weiterhin gut gehen in der Gewissheit, dass er
bald wieder festen Boden unter den Füßen haben werde. Nachdem sich der Sturm gelegt und das
Wasser wieder beruhigt hatte, wunderte sich der Kaiser, dass man immer noch auf See sei, obwohl
der Hafen doch so greifbar nahe war. Jetzt erklärte ihm der General seine List und dass es jetzt
egal sei, ob man weiter ans andere Ufer oder zurück segeln würde. Der Kaiser lenkte ein, weil er
jetzt den Mut hatte, seinen Feldzug erfolgreich zu Ende zu führen.
Den Kaiser/ Himmel täuschen und das Meer überqueren

Im alten China wurde der Kaiser als „Der Sohn des Himmels“ genannt. In der Literatur wurden dem-
nach „Kaiser“ mit „Himmel“ gleichgesetzt. Damit erklärt sich auch, warum dieses Strategem auch
heißt, „Den Himmel (Kaiser) täuschen, um das Meer zu überqueren“ oder im militärischen Sprachge-
brauch „Den Himmel (Kaiser) narren, um das Meer zu überqueren“. Es bezeichnet eine List, die tat-
sächliche Absicht zu verschleiern und den Gegner in Sicherheit zu wiegen, bis die Zeit für den wirk-
lichen Angriff reif ist. In Europa würde man jetzt erwarten, dass der General für seine List, die ja
tatsächlich auf die Vortäuschung falscher Tatsachen entsprang, bestraft würde.
Doch anders als in unserer Hemisphäre wurde und wird die List in China hoch angesehen und der
Kaiser dürfte sich über so einen listigen General gefreut und ihn noch belohnt haben. Sein „Kollege“
in Europa dagegen dürfte in gleicher Situation, also des Kaisers Befehle missachten, eher karge Ge-
fängniswände zu sehen bekommen haben als eine Belohnung. Daher ist es in der heutigen Zeit be-
sonders wichtig, die Gepflogenheiten der Chinesen zu studieren, weil die Globalität nicht nur Wa-
ren, Dienstleistungen und Währungen austauscht, sondern auch Handlungsweisen, die insbesondere
für uns Europäer von besonders starkem Nachteil sein dürften, wenn wir sie nicht erlernen.
2. Strategem

Wei belagern, um Zhao zu retten

Katego- Überlegenheitsstrategie
rie:

Sinnhaf- Teile die Kräfte des Gegners, statt sie zu einen. Er soll den ers-
tigkeit: ten Schuss abgeben und nicht Du. Verbünde Dich mit dem Schwä-
cheren oder greife ihn an, wenn der Gegner sein Schutzpatron
ist.

Strate-  Angriff auf seine ungeschützte Schwachstelle


gemziel:  Überraschungseffekt dort nutzen, wo der Gegner es nicht
erwartet
 Stoß-ins-Leere-Strategem
 Achillesfersen-Strategem
 Sieg ohne Kampf
 Geisel-Strategem (im übertragenen Sinne;
keine Aufforderung)

Taktik: Wenn der Feind oder Gegner zu groß oder zu mächtig ist, ihn di-
rekt anzugreifen, dann greife etwas an, das ihm besonders am
Herzen liegt oder für das er sich verantwortlich fühlt. Sentimen-
talität ist eine Schwäche wie die schwächste Stelle einer Rüs-
tung, in die Deine Lanze eindringen kann. Der Gegner wird an
seiner schwachen Stelle, seiner sog. Achillesferse angegriffen,
um sein ursprüngliches Ziel nicht mehr verfolgen zu können.
Geschwächt durch seine eigene Verletzbarkeit muss er sich der eigenen Verteidigung stellen und
von seinem Primärziel ablassen. Denke daran, dass kein Gegner so übermächtig ist, dass er nicht ir-
gendwo eine schwache Stelle hat, die man angreifen oder für die eigenen Vorteile nutzen kann.

Wie man das 2. Strategem verwendet:

 Sun Tzu Bing Fa schreibt über das Prinzip der Fülle und der Leere. „Vermeide die Fülle (oder
die vom Feind besetzten Gebiete) und bevorzuge die Leere (also der Bereich, in dem der
Feind sich nicht aufhält)“.

 Sun Tzu Bing Fa sagt, „….. er (der Gegner) wird einen Kampf nicht vermeiden können, denn
wenn der Gegner angreift, wird er zur Rettung beistehen.

Warnung: Strategeme sind nicht immer wohlwollend, freundlich oder ihre Anwendung gar ethisch
vertretbar. Manche Strategeme führen bei falscher Anwendung zu strafbaren Handlungen.

Dies ist weder das Ziel dieser Information, noch fordere ich zu entsprechendem Handeln auf.

Ich mache lediglich auf die Möglichkeiten der Anwendung aufmerksam und benenne dass beim Na-
men, was seit vielen Jahrhunderten der Anwendung chinesischer Kunst der List praktiziert wird.
Strategeme verfolgen stets ein ganz persönliches Ziel. Jeder beachte jedoch vor Einsatz dieses (und
jeden anderen) Strategems die eigene persönliche Integrität. Überprüfen Sie stets, ob Ihr Handeln
mit Ihrem persönlichen und dem kollektiven Wertesystem übereinstimmt. Handeln Sie ethisch, so
wie das kollektive Wertesystem religiös, politisch oder humanistisch begründet ist. Und seien Sie
keineswegs korrumpierbar, weil Sie Ihre eigenen Werte und Prinzipien der Verlockung halber aufge-
ben!

Grundsätzlich können Strategeme konsequent oder in abgeschwächter Form verwendet und an die
jeweilige Persönlichkeit, Situation und ethischer Grundsätze angepasst und angemessen verwendet
werden.

 Sun Tzu Bing Fa schreibt über das Prinzip der Fülle und der Leere. „Vermeide die Fülle (oder
die vom Feind besetzten Gebiete) und bevorzuge die Leere (also der Bereich, in dem der
Feind sich nicht aufhält)“.

Er sagte "Will man einen Knoten entwirren, dann sicher nicht durch gewaltsames Ziehen und Rei-
ßen. Will man Streithähne voneinander trennen, dann sicher nicht durch eigenes Eingreifen in die
Schlägerei. Will man die Belagerung beenden, dann ist es am besten, wann man die Fülle, also die
Region, in der der Feind massiert ist, meidet und statt dessen in die Leere, also in den Raum, der
vom Feind entblößt ist, vorstößt."

(Harro von Senger, Strategeme, Band 1, S. 57)

Ying und Yang, Fülle und Leere, hell und dunkel, oben wie unten, außen wie innen sind Polaritäten,
die unser Leben begleiten. Diese Prinzipien sind auch beim 2. Strategem anzuwenden und sind stets
die Ursache und die Wirkung für die nachfolgenden beispielhaften Geschichten:

Siegfried der Drachentöter

Siegfried, der Drachentöter aus der Nibelungensage, hatte seinen schwachen Punkt im Nacken. Er-
folgreich bekämpfte er einen Drachen und tötete ihn durch Streiche mit seinem Schwert. Das Blut
schoss in Fontänen aus dem Hals des waidwund getroffenen Tieres, besudelte Siegfried von oben bis
unten und machte ihn durch das getrocknete Blut unverwundbar. Einzig im Genick legte sich ein
Blatt nieder und diese Stelle sollte fortan sein einziger verwundbarer Punkt sein. Siegfried war groß,
besaß gewaltige Kräfte und strahlte voller Jugendschönheit. Seine Augen waren so scharf, dass nie-
mand hinsehen konnte. Dann war er noch voraussichtig, redegewandt, auf das Wohl seiner Freunde
bedacht und kannte niemals Furcht.

Ein solcher Mann hat viele Neider und Feinde. Doch ein Frontalangriff auf ihn wäre einem Selbst-
mord gleich gekommen. Niemand konnte ihn besiegen, so dass der Angriff nicht von vorne kam, son-
dern von einer völlig unerwarteten Seite: hinterrücks und heimtückisch von einem Vertrauten: Ha-
gen von Tronje. Königin Brunhild wird durch eine List und Vortäuschung von Liebe von Siegfried ent-
jungfert und schwört ihm Rache. Als Hagen von Siegfrieds Vergehen erfährt, schwört er ihm eben-
falls Rache, doch einer direkten Konfrontation mit Siegfried wäre er niemals überlegen. Kriemhild,
die Siegfried liebt, kennt dessen schwache Stelle. Als Hagen und Siegfried gemeinsam in den Krieg
ziehen, wendet sich Kriemhild vertrauensvoll mit der Bitte an Hagen, dieser möge Siegfried beschüt-
zen. Durch eine List erfährt Hagen von der schwachen Stelle Siegfrieds und bittetKriemhild, diese
durch einen weißen Flicken auf seinem Hemd kenntlich zu machen. Als sich während einer Schlacht
die Gelegenheit bot, rammte Hagen Siegfried hinterrücks das Schwert in die schwache Stelle und
tötete ihn damit.

Somit brauchte Hagen keine direkte Konfrontation mit Siegfried, sondern er musste nur ruhig auf
eine Gelegenheit warten, um an der schwachen Stelle zuzuschlagen und seinen Feind zu töten.

Fleet-in-being – ausgeruhte Kräfte bereithalten

Ein Beispiel für die Teilung einer Streitmacht gibt der Seekrieg mit einer stationierten Flotte, die
nur im Hafen liegt und auf den Feind wartet, um ihn an seiner schwächsten Stelle anzugreifen, einer
so genannten „Fleet-in-being“. Hier wird eine Flotte mit einer bestimmten Anzahl an Streitkräften
in einem geschützten Hafen versammelt und sie ist zum Auslaufen bereit. Sie tut es aber nicht, weil
grundsätzlich kein Grund vorliegt. Ein potenzieller Feind weiß um die Existenz dieser Flotte und ist
nun gezwungen, seine Kräfte zu teilen: Einerseits um seine beabsichtigte feindliche Handlung durch-
zuführen und andererseits, um die „Fleet-in-being“ in Schach zu halten. Die feindliche Flotte muss
in jedem Fall so groß sein, dass sie der im Hafen liegende Flotte gewappnet ist, um selbst nicht ver-
nichtet zu werden. Somit werden Kräfte gebunden, die für andere Kampfhandlungen dringend benö-
tigt würden. Der Befehlshaber der im Hafen liegenden Flotte verfügt jedoch über ausgeruhte Kräfte,
die im Gegensatz zu der in Lauerstellung und damit in ständiger Alarmbereitschaft bestehende
Flotte, und kann sich in Ruhe auf ein mögliches Auslaufen vorbereiten und den Zeitpunkt dafür be-
stimmen.

Zudem ist der Gegner noch zu weiteren Maßnahmen gezwungen: Ein im Hafen liegender Kampfver-
band bedroht auch die Schifffahrtswege, so dass der Feind gezwungen ist, Konvois zu bilden. Diese
wiederum müssen sich zunächst finden, was erhebliche Zeitverluste der zuerst ankommenden
Schiffe verursacht. Dann kann der Konvoi nur so schnell fahren, wie es das langsamste Schiff ver-
mag. Am Zielgebiet angekommen verteilen sich die Schiffe auf die jeweiligen Häfen, was zu einem
Stau führen kann, weil die Entladekapazitäten des Hafens für so viele Schiffe nicht ausgelegt sind.
So ist die Versorgung eines Landes erheblich beeinträchtigt und bindet Kampfschiffe, die zur Vertei-
digung bzw. zum Schutz des Konvois eingesetzt werden müssen.

Strategem der Geiselnahme

Wie bereits am Anfang dieses Strategems erwähnt, möchte ich mit der Erläuterung zu diesem Stra-
tegem keinerlei strafbaren Handlung Vorschub leisten, sie rechtfertigen oder gar empfehlen. Gleich-
wohl ist dieses Strategem darauf ausgelegt, dass eben auch ein extrem mächtiger Gegner seinen
Schwachpunkt hat, der ausgelotet und gezielt angegriffen werden kann. So werden beispielsweise
Kinder von Prominenten (gleichgültig, ob berühmt oder mächtig) nicht nur deshalb von der Öffent-
lichkeit ferngehalten, weil es ihnen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung schaden könnte, stets mit
einer prominenten Persönlichkeit in Verbindung gebracht zu werden, sondern auch, um Entführun-
gen zur Lösegelderpressung vorzubeugen. Der reichste und mächtigste Mensch liebt seine Kinder und
ist bereit, sie gegen ein mögliches Lösegeld einzutauschen. Seine Kinder sind in diesem Fall dessen
Achillesferse.
Auch Prominente selbst sind Opfer von Entführungen, weil sich deren Entführer finanzielle oder po-
litische Vorteile erhoffen und mit Gewalt durchsetzen wollen. Und selbstverständlich Flugzeuge,
Passagierschiffe und Menschenansammlungen aller Art.

Beispiele gibt es genug in der Kriminalgeschichte: Die Reemtsma-Entführung, Hanns-Martin


Schleyer, Richard Oetker, Jakob von Metzler, die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“
während der Olympiade 1972 in Deutschland und viele mehr.

Beispiele bieten auch Kinofilme wie beispielsweise „Crimson Tide“, in dem es gleich mehrmals um
das 2. Strategem geht.

Ein mit nuklearen Interkontinentalraketen bewaffnetes Atom-U-Boot soll während einer Russland-
Krise Atombomben auf die UDSSR abfeuern. Russische Nationalisten halten eine nukleare Raketen-
basis in Kamtschatka besetzt und bereiten die dortigen nuklearen Interkontinentalraketen zum Start
vor. Mit ihnen wollen sie die Welt mit ihren politischen Forderungen erpressen und drohen mit ei-
nem Abschuss dieser Waffen, falls sie nicht erfüllt würden. Der Ausbruch eines Atomkriegs steht un-
mittelbar bevor. Der Kapitän des U-Bootes erhält den Befehl, die feindliche Basis durch einen Prä-
ventivschlag nach Fristablauf einer Stunde zu zerstören. Während der Vorbereitungen auf das Abfeu-
ern wird das Boot durch ein russisches Jagd-U-Boot angegriffen, dessen Besatzung zu den Nationalis-
ten übergelaufen war. Bei der erfolgreichen Abwehr des Angriffs werden wichtige Kommunikations-
einrichtungen beschädigt, so dass ein wichtiger Funkspruch („Emergency Action Message“) des Pen-
tagon nur unvollständig empfangen werden kann. Der

Erste Offizier des U-Bootes weigert sich daraufhin, seine zum Abschuss der eigenen Raketen notwen-
dige Zustimmung zu geben, denn er vermutet einen Widerruf in dem unvollständig empfangenen
Funkspruch. Er drängt auf eine Rückfrage nach erfolgreicher Instandsetzung der Funkanlage. Der
Kommandant will die Raketen jedoch trotz Bedenken des Ersten Offiziers abfeuern und nutzt dabei
das 2. Strategem: Weil der Erste Offizier keine Anstalten macht, den Code für das Abfeuern der
Raketen einzugeben, setzt der die Pistole an die Schläfe eine völlig unbeteiligten Matrosen und
droht dem Ersten Offizier mit dessen Ermordung, falls er den Code nicht eingeben will. Dieser
überwältigt jedoch den Kommandanten und enthebt ihn des Kommandos, weil dieser die Marinevor-
schrift des „Vier-Augen-Prinzips“ umgehen und die Raketen auch ohne die Zustimmung des Ersten
Offiziers abfeuern will.
Wenig später gelingt es dem abgesetzten Kommandanten, wieder die Befehlsgewalt über das Schiff
zu übernehmen und leitet die Startphase zum Abschuss der Raketen ein.

Die historische Gegebenheit hinter dem 2. Strategem:

Das Ereignis, das das 2. Strategem begründete fand um 354 v. Chr. statt. Die Streitkräfte des Staa-
tes Wei griffen den Staat Zhao mit einer erheblichen Übermacht an und belagerten die Hauptstadt
des Staates Zhao.

Der Staat Zhao bat den Staat Qi um Hilfe. Allerdings stand fest, dass selbst ein Zusammenschluss
beider Armeen, also der Staaten Zhao und Qi in ihrer Gesamtheit nicht ausreichten, um die Soldaten
des Staates Wei empfindlich treffen zu können.

Daher entschieden die Generale des zu Hilfe eilenden Staates Qi, die feindliche Hauptstadt des
Staates Wei anzugreifen. Als die Frontsoldaten des Staates Wei, die bekanntlich gegen Zhao zu
Felde zogen, dies erfuhren, wurde sofort ein Teil der Streitkräfte in ihre eigene Hauptstadt befoh-
len und sie machten sich in einem erheblichen Tempo auf den Weg. Nun ist China recht groß und die
Elitekrieger mussten zu Fuss rennend ihre eigene Hauptstadt erreichen, um sie vor der feindlichen
Belagerung zu retten. In ihrer Hauptstadt angekommen, waren sie so erschöpft, dass die Soldaten
des zur Hilfe geeilten Staates Qi die Kämpfer mit Leichtigkeit vernichtend schlagen konnten.
Die um ihre Elite-Soldaten dezimierte Angriffsarmee in Zhao war ihrerseits wiederum so ge-
schwächt, dass auch die Soldaten des Staates Zhao die Angreifer aus Wei vernichten konnten.
3. Strategem

Mit dem Messer eines anderen töten


Mit geborgtem Schwert töten

Katego- Überlegenheitsstrategie
rie:

Sinnhaf- Wenn Du einen Gegner vernichten willst, nutze die Kräfte eines
tigkeit: Dritten und schone Deine eigenen Kräfte wenn möglich.

Strate- ENTWEDER:
gemziel: Das Ergebnis nicht selbst herbeiführen, sondern einen Dritten
dazu gewinnen
Nutze den Strohmann für Deine Zwecke
(„Strohmann-Strategem“)
Suche Dir einen Stellvertreter
(„Stellvertreter-Strategem“)
ODER:
Schädige Deinen Gegner durch indirekte Weise und halte Dich im
Hintergrund
Mache Dich nicht verdächtig („Alibi-Strategem“)
Handle ohne aktives Zutun („Schreibtischtäger-Strategem“)

Taktik: Wende die Kräfte des Gegners gegen ihn selbst an und renne
nicht blindlings auf den Kampf zu. Gefahren und Unsicherheit
sind damit verbunden und Du riskierst eine Niederlage. Reagiere
nicht, bewahre Deine Kräfte und warte ab.
Seien Sie ein kluger Stratege. Rennen Sie nicht blindlings auf einen Streit oder Kampf zu, denn das
ist nur mit Gefahren und Unsicherheiten verbunden und Sie riskieren eine Niederlage. Entspannen
Sie sich und bleiben Sie locker. Reagieren Sie zunächst nicht und bewahren dabei Ihre Kräfte und
beobachten Ihren Gegner und seinen nächsten Schritt. Wenn Sie einen Partner oder Verbündeten
Ihres Gegners kennen, nutzen Sie diesen zu Ihrem Vorteil. Spannen Sie diese Person in Ihren Kampf
ein und erhalten dabei Ihre eigenen Kräfte. Erreichen Sie durch den Verbündeten Ihres Gegners die
Ziele, die Sie sich selbst gesteckt haben – und machen dabei keinen Finger krumm.

Beim 3. Strategem geht es um die Kunst des „leihens“ von Ressourcen Dritter. Sie können es überall
nutzen, wo Sie Feindseligkeiten ausgesetzt sind. Studieren Sie es gründlich. Je intensiver Sie es stu-
dieren, um so wirkungsvoller werden Sie bei sich ergebenden Gelegenheiten einsetzen können. Not-
falls verwenden Sie „mehrere Messer“, also mehrere Kräfte zum Schaden Ihres Gegners. Er könnte
sich damit selbst außer Gefecht setzen oder eine Strategie verwenden, die ihn ins Leere laufen lässt
und Ihnen zum Vorteil gereicht. Rücken Sie Ihren Feind in ein schiefes Licht und säen innere Zwie-
tracht zwischen Ihren Gegnern und Sie werden Ihre Vorteile daraus ziehen können.

Das „Buch der Wandlungen“ gibt hier den Hinweis auf die „Minderung“ mit dem dazu gehörigen
Bild: Unten am Berg ist der See – das Bild der Minderung!

Die Metapher: Der Edle bändigt seinen Zorn und hemmt seine Gelüste. Der kluge Stratege („Edle“)
wirkt aus seiner Kraft heraus ( „dem Berg“) auf den Gegner ( „ dem See“) ein und kontrolliert ihn.
Weder die „Wogen der Wut“, noch „der Stachel der Begierde“ bringen ihn aus dem Takt, denn das
Gegenteil ist der Fall: Ist der Schlachtführer ungestüm und impulsiv, ist er getrieben von der Gier
nach Eroberung und unternimmt in dieser Situation einen Frontalangriff, dann geht er das Risiko al-
ler Gefahren und Unwägbarkeiten einer Schlacht ein.

Der gelassene Stratege ist passiv, ohne lethargisch zu sein, beobachtet das Feld und schätzt die Si-
tuation so ein, dass er sich ihr optimal anpassen kann. Er nutzt seine Vorteile und wendet so wenig
Kraft wie möglich auf und so wenig Risiko wie nötig.

Die historische Gegebenheit hinter dem 3. Strategem:

Wie Harro von Senger in seinem Werk „Die Kunst der List“ S. 56 anführt, gibt es zur Strategieformel
Nr. 3 keine bestimmte Begebenheit, die sich historisch auf diese Listtechnik bezieht. Vielmehr gibt
es verschiedene Varianten zu diesem Strategem und die erste urkundliche Erwähnung dieses Strate-
gems fand um die Ming-Zeit (1368 – 1644) statt. Im Drama „Drei Glückwunschgründe“ hatte es ein
Verschwörer auf einen Beamten abgesehen und wollte ihn möglichst elegant loswerden. Also emp-
fahl der Verschwörer diesen Beamten, der ohne militärische Kenntnisse war, beim Kaiser zum Ober-
befehlshaber der Streitkräfte, weil dieser, also der Kaiser, gerade gesonnen war, gegen den auf-
ständischen Zhao Yuanhao zu Felde zu ziehen. Aus Sicht des Verschwörers eine gute Chance, den
ungeliebten Beamten loszuwerden, denn dieser dürfte wegen seiner geringen militärischen Ausbil-
dung und Kenntnisse dem gegnerischen Zhao Yuanhao unterlegen sein und durch dessen Streich zu
Tode kommen. Dem Beamten geschieht indes nur Gutes, denn er erfährt durch die Beförderung zum
Oberbefehlshaber der Streitkräfte zunächst Ruhm und Ehre. Dann wird er ehrenvoll an die Front be-
fördert und von dort ehrenvoll direkt ins Jenseits.
4. Strategem

Ausgeruht den ermüdeten/erschöpften


Gegner/Feind erwarten

Katego- Überlegenheitsstrategie
rie:

Sinnhaf- Schwäche oder vernichte den Gegner/Feind, indem Du ihn in


tigkeit: aufwändige Manöver treibst und dem Treiben aus der Ferne
selbst entspannt zusiehst. Je mehr sich Dein Gegner erschöpft,
um so größer wird im Verhältnis zu ihm Deine eigene Kraft.

Strate- Den Gegner erschöpfen / auszehren („Erschöpfungs-Strategem“)


gemziel: Die Angelegenheit aussitzen und die Zeit für Dich arbeiten lassen
(„Aussitzungs-Strategem“)

Taktik: Sei zuerst am Ort des Geschehens und erwarte ausgeruht den
Gegner, der sich erst Kräfte zehrend dem Geschehen nähern
muss. Nutze den Orts- und Zeitvorteil und beherrsche die Hand-
lung und den Gegner, statt selbst beherrscht zu werden.

Sunzi, auch „Meister Sun“ genannt, war ein chinesischer General, Militärstratege und Philosoph,
der um 500 v. Chr. lebte. Das von Sunzi verfasste Werk „Über die Kriegskunst“, gilt als frühestes
Buch über Strategie und ist bis zum heutigen Tage eines der bedeutendsten Werke zu diesem
Thema. In einem seiner 13 Kapitel erwähnt Sunzi das 4. Strategem unter der Rubrik „Leere und
„Fülle“, gleichbedeutend mit „schwache“ und „starke“ Punkte. Hier wird bereits der Ratschlag er-
teilt, sich in der Nähe des Schlachtfelds aufzuhalten, um (ausgeruht) auf die herannahenden (er-
schöpften und noch orientierungslosen) feindlichen Truppen zu warten. Wer zu diesem taktisch und
strategisch günstigen Zeitpunkt mutig und entschlossen angreift, hat einen erheblichen Vorteil. Dar-
aus folgt, dass die eigene Festlegung von Ort und Zeitpunkt der „Schlacht“ ein wichtiger Aspekt die-
ses Strategems ist, man selbst das Geschehen und die Bedingungen diktiert und sich der Gegner da-
bei zunächst in der Defensive befindet.

Wer seinen Gegner „ausgeruht erwartet“, wird ihn mit List und Tücke dazu bringen, sich durch ei-
gene Aktivitäten zu verschleißen oder zu zermürben, während wir unsere Position behalten und das
Geschehen steuern. Ziel dieser psychologischen Strategie ist die Zermürbung des Gegners.

Mao Zedong wusste dieses vierte Strategem häufig einzusetzen. Als Kenner des Werks von Sunzi war
er meisterlich in der Kunst, den Gegner zu ermatten. Daraus formulierte er einen Lehrsatz, der ein-
zig aus sechzehn Schriftzeichen besteht :*

„Der Gegner greift an, wir ziehen uns zurück. Der Gegner sucht Ruhe, wir sticheln ihn an. Der Geg-
ner ist erschöpft, wir greifen an. Er zieht sich zurück, wir setzen nach.“

Also: Was an Truppenstärke und Waffentechnik nicht aufgebracht werden kann, muss man durch
Flexibilität und Schläue wettmachen.

Die historische Gegebenheit hinter dem 4. Strategem:

In der Frühlings- und Herbst-Periode Chinas ernannte der König von Ci den Beamten Bao Shu Ya zum
General seiner Armee und befahl ihm, in das Land Lu einzumarschieren. Der König von Lu indes
hörte davon und war von diesem Plan nachvollziehbar wenig begeistert. Dessen Minister Bo Shih
empfahl dem König, einen Eremiten namens Cao Suei zu überzeugen, die Verteidigung des Landes
zu übernehmen. Nun war dieser Eremit wenig von diesem Plan begeistert, willigte nach einiger
Überredungskunst dann unter der Maßgabe ein, nur militärischer Berater zu sein und nicht für die
allgemeine Arbeit herangezogen zu werden.

Bao Shu Ya, General der feindlichen Armee des Königs von Ci, nahm seinen Gegner nicht ernst, weil
er die Armee des Königs von Lu bereits einmal besiegt hatte. Dieses mal wollte Bao Shu Ya den Kö-
nig von Lu direkt angreifen und ihn und sein Land besiegen.

Am Tag der Schlacht riefen Ohren betäubende Klänge der Trommeln und die Schlachtrufe der Solda-
ten des Generals Bao Shu Ya zum Kampf auf, bereit, die Armee des Königs von Lu vernichtend zu
schlagen. Cao Suei, der Eremit beeindruckte dieses Geschehen nicht sonderlich und er befahl, noch
abzuwarten. „Warten wir eine Weile. Gerade jetzt ist die Moral und der Kampfeswille des Feindes
besonders hoch und wir sind dieser Armee hoffnungslos unterlegen. Doch momentan befinden wir
uns in einer strategisch günstigen Position und müssen uns nur verteidigen, was weniger Kräfte
zehrt, als der Angriff. Wir sollten momentan lieber auf das Geschehen achten und nicht nachlässig
werden.“

Die angreifende Armee des Königs von Ci unter ihrem General Bao Shu Ya rannte gegen die Verteidi-
gungslinien des Staates Ci an, ohne sichtlichen Erfolg. Die angreifenden Soldaten wurden dadurch
zunehmend frustriert, so dass sie Bao Shu Ya entschloss, seine Truppen zu einer anderen Stelle zu
führen und von dort anzugreifen. Auch hier war kein Durchkommen, was weitere Kräfte verzehrte
und die Moral der Truppe noch weiter senkte. Der feindliche General war der Auffassung, dass er
den Gegner jetzt empfindlich geschwächt hätte und er ihn mit einer dritten Attacke endgültig be-
siegen würde. Da war für den verteidigenden Cao Cuei der Zeitpunkt gekommen, seine eigenen
Trommeln schlagen zu lassen und sich durch einen Gegenangriff zu wehren. Schon bald brachen die
Linien der feindlichen Armee von Ci ein und sie traten den Rückzug an. Der König von Lu befahl, die
fliehenden Armeen des Feindes zu verfolgen, doch Cao Cuei empfahl auch hier, lieber abzuwarten,
bis sich der Feind etwas entfernt habe. Man müsse nur den Wagen- und Pferdespuren beobachten,
ob der Feind wirklich geflohen ist, diesen folgen, ihn einholen und vernichtend schlagen. „Warum
verfolgen wir die fliehenden Armeen nicht sofort, statt auf einen möglichen dritten Angriff zu war-
ten?“ Cao Cuei antwortete: „Beim Versuch des dritten Angriffs war die Moral des Feindes lange
nicht mehr so groß wie beim ersten Mal. Als beim dritten Angriff unsere Trommeln das erste Mal
zum Kampf aufriefen, war die Moral unserer Truppen auf dem Höhepunkt und wir konnten zurück
schlagen. Doch das überraschte den Feind noch mehr, weil er sich in der Stärke und uns in der
Schwäche sah. Er glaubte, dass wir jetzt endgültig besiegt werden könnten, weil wir bis dahin keine
Anstalten gemacht haben, die Kampfeshandlungen aktiv zu erwidern. Dieser Überraschungsmoment
war unser Vorteil. Doch die Flucht des Feindes könnte ebenfalls eine Taktik sein, uns aus den Stel-
lungen zu locken. So sollten wir die Wege auf ihren Zustand überprüfen und ob sie das Gewicht von
Reiter und Wagen aushalten können. Der Gegner ist in wilder Panik geflohen, doch wir sehen ruhig
zu, ob die Situation für eine Verfolgung günstig ist!“

Fazit des 4. Strategems: Warte ruhig und gelassen auf den erschöpften Feind

Wenn die Schlacht ihren Beginn nimmt, ist es nicht erforderlich, den mächtigen Gegner sofort zu
bekämpfen. Manchmal kann man ihn einfach durch eigene Untätigkeit und Vermeidung eines direk-
ten Kampfes schwächen. Warten Sie ab und schonen Sie Ihre eigenen Kräfte, während sich Ihr Geg-
ner aufreibt und erschöpft. Dies ermöglicht Ihnen, die Kräfteverhältnisse zu relativieren und im fol-
genden Kampf auszugleichen.
5. Strategem

Eine Feuersbrunst für einen Raub ausnutzen

Katego- Überlegenheitsstrategie
rie:

Sinnhaf- Die Schwäche, Not, Schwierigkeiten, Krise eines Gegners nutzen,


tigkeit: um ihn anzugreifen. Das dort vorhandene Chaos für den eigenen
Vorteil nutzen.

Strate- Den Gegner in Katastrophen stürzen, ihn in die Knie zwingen um


gemziel: selbst anzugreifen
Sich durch die vorübergehende Schwäche des Gegners selbst
stark machen
Aasgeier-Strategem

Taktik: Den Gegner in Schwierigkeiten bringen oder vorhandene Schwie-


rigkeiten nutzen, um ihn zu schwächen und ihn leicht zu besie-
gen. „Innere“ und „äußere“ Krisen schwächen den Gegner und
machen ihn zu einem leichten Opfer. Wenn sich der stärkere
Gegner sich in einer Notsituation oder Krise befindet, müssen wir
die Chance ergreifen und die Situation zu unserem Vorteil nut-
zen, indem wir ihn dann angreifen, wenn er am schwächsten ist.

Um es noch einmal ganz deutlich zu machen: Dieses Strategem ist keine Aufforderung zu kriminel-
len Handlungen, denn Gelegenheiten dieser Art kommen auch ohne eigenes Zutun: Eine tatsächliche
Feuersbrunst verhindert eigenes wirtschaftliches Handeln. Als Konkurrenzunternehmen springen Sie
als möglicher Lieferant an die bisherigen Kunden des Gegners gerne ein und zeigen Ihre Vorteile in
besonderer Weise.

Gutes Beispiel war die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika, als sich der Kapitän der Deut-
schen Fußball-Nationalmannschaft, Michael Ballack, so stark verletzte, dass er selbst nicht an die-
sem bedeutendsten Fußballturnier der Welt teilnehmen konnte. Als sein Nachfolger Philipp Lahm
sich in das Spiel eingefunden und die Mannschaft unerwartete Erfolge erzielte, machte dieser seine
dauerhaften Ansprüche auf dieses einflussreiche Amt geltend und verdrängte den bisherigen „Capi-
tano“ dauerhaft.

Dieses Strategem zeigt im übertragenen Sinne, dass man sich im Falle des Chaos beim Gegner
schnell entscheiden muss, seine eigenen Vorteile darin zu sehen und sie unbedingt auszunutzen.
Treten Sie entschieden auf und konfrontieren Sie Ihren Gegner mit Ihrer Stärke. Jede uns bekannte
Kampfkunst setzt darauf, den Augenblick der Schwäche des Gegners auszunutzen und zum eigenen
Sieg zu nutzen. Nutzen wir diese Schwäche –und damit unsere eigene relative Stärke nicht zum Sieg,
kann sich der Gegner wieder erholen und Ihnen gefährlich werden. Es bieten sich nicht oft Chancen,
seinen starken Gegner zu besiegen.

Die historische Gegebenheit hinter dem 5. Strategem:

In der Frühlings- und Herbst-Periode befanden sich die Könige der Länder Wu und Yue, seit Jahren
miteinander im Krieg. Anfangs besiegte Fu Chai, der König von Wu, seinen Gegner Gou Jian, der Kö-
nig von Yue war. Gou Jian musste sich dem König Fu Chai beugen und wurde sein vermeintlich
treuer Vasall. Doch Gou Jian war nicht wirklich besiegt, denn im Geiste sann er nach Rache und Ver-
geltung. Jeden Tag lief Gou Jian die Gallenblase vor Ärger über und er wurde immer wieder an
seine Niederlage erinnert. Sein Rachedurst stieg mit den Jahren mächtig an und er begann, sein
Land wieder militärisch aufzurüsten und den Gegenschlag zu planen. 20 Jahre dauerte es , bis Gou
Jian seine Chance gekommen sah. Der Staat Wu wurde mittlerweile von korrupten Beamten regiert
und ihr König Fu Chai war arrogant und dekadent geworden, unfähig zu regieren. Fu Chai richtete
sogar führende Beamte hin, die dessen Lebensführung kritisiert und ihn vor Gou Jian gewarnt hat-
ten. Krankheiten machten sich im Lande Wu breit und es starben viele Menschen. Zudem legte eine
Dürreperiode die Flüsse trocken.

Fu Chai konnte nicht zum Einlenken bewegt werden, weil er seine eigene Stärke arrogant als über-
mächtig ansah. Zudem wollte er allen zeigen, dass er noch in der Lage war, andere Länder zu er-
obern und deren Könige zu besiegen, so dass er seine Arme in einen Angriffskrieg führte, während
sein Land im Chaos versank. Seinem Feind Gou Jian erschien dies ein günstiger Moment, das Land
Wu anzugreifen und seine Schmach von vor 20 Jahren zu tilgen. Und so rächte sich Gou Jian am Kö-
nig von Wu, Fu Chai, in einem Moment dessen momentaner Schwäche.
6. Strategem

Im Osten Lärm machen – im Westen angreifen

Katego- Überlegenheitsstrategie
rie:

Sinnhaf- Einen Angriff für einen Ort (sinnbildlich für „Osten“) ankündigen
tigkeit: und an einem völlig anderen Ort (sinnbildlich für „Westen“) an-
greifen.
Dieses Strategem basiert auf Ablenkungsmanöver, um die tat-
sächliche Absicht zu verschleiern („Ablenkungs-Strategem“ oder
„Verschleierungs-Strategem“).
Der angegriffene Ort wird nur zum Schein angegriffen, um den
tatsächlichen Angriff an anderer Stelle vorzubereiten bzw. einzu-
leiten („Scheinangriffs-Strategem“)

Strate- Ziel dieses Strategems ist die Verwirrung des Gegners mit dem
gemziel: Ziel, dass dieser die Lage nicht mehr richtig einzuschätzen ver-
mag. Durch die Stiftung von Verwirrung wird der Gegner gezwun-
gen, seine Deckung zu verlassen, um sich verwirrt zu orientieren
und zu versuchen, den Überblick zu gewinnen. Diese Verwirrung
muss der Angreifer nutzen

Taktik: Erstelle eine Finte, um dem Gegner Glauben zu machen, dass ein
Angriff im „Osten“ stattfindet, während der Angriff tatsächlich
im „Westen“ durchgeführt wird. Der Gegner wird dort angegrif-
fen, wo er es nicht vermutet, nachdem an anderer Stelle ein
„Warnschuss“ abgegeben oder ein „Scheinangriff“ stattgefunden
hat. Auf diese Art findet ein Überraschungsangriff statt.
Besonnenheit, Ruhe und Gelassenheit war schon immer die Stärke von erfolgreichen Strategen.
Bricht man die Ruhe durch einen Angriff an einer Stelle, die der Gegner nicht erwartet, dann stiftet
dies Unruhe und der Gegner ist gezwungen, sich neu zu orientieren. Selbst bei besonnener und ge-
lassener Betrachtung des Schlachtfelds dient das Strategem dem Überfall an anderer Stelle, die der
Feind nicht beachtet. So steht es im „Buch der Wandlungen“: Der See ist oberhalb der Erde. Greife
den Gegner an, wenn er darauf nicht vorbereitet ist und an einem Punkt, an dem er Dich nicht er-
wartet (frei nach Sun Zi).

Die historische Gegebenheit hinter dem 6. Strategem:

Während sich im Jahre 205 v. Ch. Siang Yu auf einer Erkundung im Staat Ci befand, überquerte Liou
Bang den Gelben Fluß. Wei Bao, der König von Wi, putschte gegen Liou Bang, obwohl er Jahre zuvor
in einem Krieg kapitulieren musste. Darauf hin entsandte Liou Bang seinen General Han Sin, um die
Revolte zu beenden.

Während dessen ernannte Wei Bao den General Bo Jhih zum Oberbefehlshaber seiner Truppen und
verlegte sie nach Pu Ban, einer Stadt am östlichen Ufer des Gelben Flusses, um die Armee von Han
Sin zu beobachten. Dieser lagerte auf dem Westufer des Flusses und sammelte Hunderte von
Schiffe, um den Fluß zu überqueren. Nachts konnte man überall am Ufer Fackeln auf Schiffen se-
hen, die jederzeit zur Flußüberquerung bereit waren. Selbstverständlich bemerkte dies Bo Jhih, der
General des Staates Wei, und ordnete seine Truppen so entlang des Gelben Flusses, dass sie die
Boote jederzeit zerstören konnten, falls sie den Fluß überqueren sollten. Bo Jhih bemerkte jedoch
nicht, dass Han Sin den Hauptteil seiner Truppen nach Sia Yang befohlen hatte, einer Stadt 80 Kilo-
meter stromabwärts. Dort setzten die Soldaten mit ihrem Material auf einer provisorischen Brücke
aus Fässern und leeren Flaschen über. Während die Truppen von Ban Pu flußauwärts auf einen An-
griff der dort liegenden Schiffe warteten, hatte Han Sin seinerseits bereits den Fluß überquert und
die Hauptstadt des Staates Wei angegriffen. Als Bo Jhih die Strategie bemerkte, war es für die Ret-
tung der Hauptstadt von Wei zu spät. In einer Schlacht konnte Bo Jhih lebend gefangen werden.
7. Strategem

Aus dem Nichts etwas erzeugen/erstellen

Katego- Gegenangriff
rie:

Sinnhaf- Erstellen Sie etwas aus dem Nichts


tigkeit: Etwas aus dem Nichts hervorbringen
Etwas schaffen, was vorher Nichts war

Strate- Dem Gegner eine offenkundige Lüge dauerhaft so präsentieren,


gemziel: dass er sie nicht mehr ernst nimmt, seine Aufmerksamkeit nach-
lässt und so den Angriff zu spät bemerkt, weil er die nunmeh-
rige Wahrheit nicht erkennt.
Einen Vorteil daraus erzielen, dass der Gegner die offenkundige
Lüge durchschaut und seine Aufmerksamkeit dadurch nachlässt.
Den Gegner durch eine offenkundige Lüge bzw. Übertreibung
das Gefühl der Überlegenheit geben, weil er sich sicher ist, die
List durchschaut zu haben, jedoch die wirkliche Absicht nicht
erkennt.

Taktik: Aus einem offensichtlichen Trugbild eine potenzielle Gefahr er-


zeugen.
Einen Vorteil daraus ziehen, dass der Gegner sich in seiner (fal-
schen) Einschätzung sicher fühlt und seine Aufmerksamkeit
nachlässt.

Das 40. Kapitel des Buches von Tao Te King beschreibt das 7. Strategem wie folgt:
„Die (zehntausend) Dinger dieser Welt entstehen aus dem Sein, das Sein entsteht aus dem Nicht-
Seienden“, was soviel bedeutet, dass jedes Ding, bevor es entstand, inexistent war, also gewisser-
maßen aus dem Nichts entstanden ist.

Mit diesem Strategem wird der Bereich der „bewussten Täuschung“ betreten. Inszenierte Lügen
ohne wirklich existierende Grundlagen veranlassen den Gegner dazu, an unreale Dinge so zu glau-
ben, als ob sie wirklich da seien. Er verwechselt „Sein“ mit „Schein“ und beurteilt die wirkliche
Lage falsch.

Die historische Gegebenheit hinter dem 7. Strategem:

Im 14. Jahr der Regierungszeit der Tang-Dynastie (ca. 755 n. Chr.) des Kaisers Xuanzong , revol-
tierte An Lushan, ein beliebter Beamter des Kaisers.

Schon bald wurde die Stadt Yongqui von Ling Hu Chao, einem General von An Lushan, belagert. Der
damalige Kommandant der Verteidigungskräfte war Lhang Syun. Die Lage seiner Stadt war nahezu
aussichtlos, weil sie weder eine genügend große Garnison hatte, noch genügend Munition, um sich
lange gegen eine Belagerung verteidigen zu können. Jhang Syun war sich im Klaren, dass er im offe-
nen Kampf keinerlei Chancen hatte und dass ihn nur ein kluger Plan retten könne. So ließ er tausend
lebensgroße Strohpuppen herstellen und sie schwarz kleiden, mit einem Helm auf dem Kopf und ei-
nem Holzschwert am Gürtel. Unter dem schwachen Mondlicht im Rücken und dem Schutz der Nacht,
wurden die Dummies an Seilen die Stadtmauern hinabgesenkt. Das blieb beim Feind nicht unbe-
merkt, so dass dieser zum Angriff überging. Mit Pfeil und Bogen bewaffnete Scharfschützen schossen
mit Pfeilen und durchbohrten viele feindliche „Soldaten“. Als sie bemerkten, dass es sich um Stroh-
puppen handelte, ließen sie vom Angriff ab und zogen sich in ihre Quartiere zurück. Jhang Syun ließ
die Puppen hochziehen, so dass sie genügend Pfeile für die Verteidigung hatten.

Einige Nächte später kam der Mond in derselben Weise zum Vorschein, wie in der vorangegangenen
„Nacht der Pfeile“. Es herrschte hektische Betriebsamkeit auf den Zinnen der Stadt und unterhalb
von diesen. Ling Hu Chao lachte darüber, dass Jhang Syun wieder denselben Trick anzuwenden ver-
suchte und befahl seinen Soldaten, die „Strohpuppen“ zu ignorieren. Während sich die Aufmerksam-
keit der angreifenden Soldaten auf die Tore der Stadt richteten, gerieten sie in den Hinterhalt der
„500 Strohpuppen“ und sahen sich plötzlich zweier angreifender Fronten gegenüber. In der Folge
besiegte Jhang Syun den feindlichen General Yong Chau und rettete die Stadt Yongqui.
8. Strategem

Den Weg reparieren und heimlich vorrücken

Katego- Gegenangriff
rie:

Sinnhaf- Aktivitäten offen an der einen Stelle zeigen und heimlich an an-
tigkeit: derer Stelle operieren.
Aktivität vortäuschen, um heimliche Operation zu verbergen

Strate- Den Gegner durch offene Aktivitäten Glauben machen, dass et-
gemziel: was an dieser Stelle passieren wird, während das tatsächliche
Ziel durch eine geheime und verborgene Operation und an ande-
rer Stelle erreicht werden soll. Dadurch wird der Gegner irritiert
und abgelenkt, während er durch erreichen der insgeheimen
Ziele vor vollendete Tatsachen gestellt wird bzw. ein Gegen-
schlag zu spät erfolgt.

Taktik: Das eigentliche Vorhaben durch eine vorgetäuschte Marschrich-


tung verschleiern (Verschleierungs-Strategem)
Das geplante Vorhaben durch einen Umweg verschleiern (Um-
weg-Strategem)
Innerhalb des „normalen täglichen Geschäfts“ Betriebsamkeit
vortäuschen und die tatsächlichen Ziele so vorausplanen, dass
das Ziel erreicht ist, bevor der Gegner die geheime Operation
bemerkt.
Ich war Bezirksdirektor einer großen Versicherungsgesellschaft und wollte mein berufliches Glück in ei-
ner Internetfirma finden. Doch einen Beruf mit großen zeitlichen wie fachlichen Anforderungen ausfül-
len zu können hätte alle Aktivitäten zur Selbstständigkeit vereitelt. So habe ich damit begonnen, für
meine damaligen Kunden einschlägige Fachinformationen auszuarbeiten und ihnen zur Verbesserung ih-
res Wissens auszuhändigen. Gleichzeitig wurde diese Informationen genutzt, um die eigene Fachdaten-
bank damit zu füllen. Dieser Weg der hektischen Betriebsamkeit blieb meinem damaligen Vorgesetzten
selbstverständlich nicht verborgen. Doch da es sich um dienstliche Belange handelte, die zudem mein
Geschäftsergebnis maßgeblich positiv beeinflusste, erhielt ich noch eine Vielzahl lobender Worte und
Gehaltserhöhungen von der Firma. Drei Jahre lang arbeitete ich an den Fachinformationen, aktuali-
sierte sie, verbreitete sie und meine Vorgesetzen waren sehr zufrieden mit mir.

Zwischenzeitlich suchte ich mir einen Programmierer, der die Software schrieb, die ich für mein Vorha-
ben brauchte. Als sowohl die Fachinformationen fertig geschrieben und die Software installiert war,
suchte ich mir die ersten Kunden. Als das Geschäft tragfähig war und mein damaliger Vorgesetzter miss-
trauisch wurde, kündigte ich meine bisherige Tätigkeit und nahm die Selbstständigkeit dort auf, wo sie
drei Jahre zuvor unter dem Blick meines Vorgesetzten begonnen hatte.

Die historische Gegebenheit hinter dem 8. Strategem:

Liou Bang wusste, dass Siang Yu, König von Guan Jhong, ihm misstraute, als er nach einer verlorenen
Schlacht den Rückzug antreten musste. Doch er sann nach Vergeltung und Rückkehr an die Macht, die er
verloren hatte. So brachte er seine Truppen nach Hanzhong, einer Stadt im Staate Shaanxi, und ver-
brannte auf dem Rückzug die Brücken und Holzwege entlang des Gebirges, über den sie marschierten
und die die einzige direkte Verbindung zum Nachbarstaat waren. Auf diese Weise verhinderte Liou
Bang, dass die Truppen von Siang Yu ihm auf diesem Weg in den Rücken fallen konnten und er sorgte für
Vertrauen bei Siang Yu, denn dieser sollte glauben, dass von Liou Bang keine direkte Gefahr mehr aus-
gehe.

Nach einigen Jahren der Ruhe rüstete Liou Bang seine Truppen wieder auf und führte einen neuen An-
griff auf Siang Yu durch. Zunächst schickte er Truppen ins Gebirge, um die zerstörten Brücken und Holz-
wege mühsam zu reparieren, was Siang Yu im Glauben ließ, ein Angriff stünde noch lange nicht unmit-
telbar bevor. Was Jhang Han, der General von Siang Yu, der die Truppen befehligte, jedoch nicht
ahnte, war die dahinter steckende Finte. Denn während Liou Bang die Reparaturen im Gebirge vor-
täuschte und die Aufmerksamkeit Jhang Han darauf lenkte, zog die Hauptstreitmacht über einen ande-
ren, geheimen und mühseligen Weg nach Chen Cang. Als General Jhang Han dies bemerkte und in die
Stadt Chen Cang zurückeilte, war alles zu spät und die erschöpften Truppen von Siang Yu erlitten eine
vernichtende Niederlage. Liou Bang beendete die Besatzung von Chen Cang und die Armee vn Jhang Han
musste kapitulieren.

Dieses Strategem ist mit dem 6. Strategem „Im Osten lärmen und im Westen angreifen“ vergleichbar.
Jedoch ist die Fokussierung auf die Taktik unterschiedlich. Während im 6. Strategem die verdeckte
Operation des eigentlichen Ziels zugrunde lag, liegt im 8. Strategem der Weg des Angriffs im Fokus. Der
trügerische Weg wird offen dargestellt und der Gegner weiß um einen bevorstehenden Angriff, während
tatsächlich eine andere Route zum direkten Angriff führt.
9. Strategem

Die Feuersbrunst am anderen Ufer beobachten

Katego- Gegenangriff
rie:

Sinnhaf- Die Aktivitäten des Gegners scheinbar teilnahmslos beobachten


tigkeit: Die Krise in Ruhe beobachten
Sich den Ereignissen in Ruhe anzupassen und mit dem Fluss zu
schwimmen

Strate- Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. Wenn sich zwei
gemziel: Parteien im Streit gegenseitig schwächen und einer den anderen
besiegt, hat es ein dritter Gegner sehr leicht, den angeschlage-
nen Sieger zu besiegen.

Taktik: Zwei streitende Gegner beobachten, nicht in das Geschehen


eingreifen (Abwarte-Strategem), die Streitigkeiten aussitzen
(Hinhalte-Strategem) und dann zuschlagen, wenn die eigene Si-
tuation / Position günstig ist.

Wenn zwei sich streiten, freut sich meist der Dritte. Wenn sich zwei Enten um einen Brocken Brot
streiten, kommt garantiert die Möwe und schnappt sich den Bissen.

Wenn sich ein Unternehmen gegen die feindliche Übernahme durch ein Unternehmen wehren muss
und zudem der Markt durch eine Finanz- und Wirtschaftskrise zusammenbricht, hat es ein unbetei-
ligter Dritter leicht, den angeschlagenen Sieger zu übernehmen.
Die historische Gegebenheit hinter dem 9. Strategem:

In der Zeit der „Streitenden Reiche“ lebte ein bekannter Berater namens Chen Jhen. Einmal be-
suchte dieser das Königreich Cin und dessen König Cin Huei bat Chen Jhen um Schlichtung in einem
Konflikt der Länder Han und Wei, die sich im Krieg miteinander befanden. Dazu erzählte Cehn Jhen
dem König von Cin eine Geschichte darüber, wie Bian Jhuang Zih einen Tiger tötete.

Die Geschichte handelte also von einem Mann namens Bian Jhuang Zih, der zwei um eine Kuh kämp-
fende Tiger sah. Gerade wollte er mit seinem Schwert auf die Tiger losgehen und sie töten, als er
durch einen weisen Diener gehindert wurde. Der Diener sagte: „Herr, warten sie einen Augenblick.
Sehen sie, zwei Tiger kämpfen um dieselbe Kuh und einer der beiden wird vom anderen getötet.
Wenn dieser blutige Kampf beendet ist, wird es einen toten und einen verwundeten, geschwächten
Tiger geben. Nun müssen sie aber nur noch einen Tiger töten und nicht zwei. Zudem ist der verblei-
bende Tiger durch den langen Kampf, den Blutverlust und seine Wunden geschwächt und sie haben
es leicht, zu siegen.“

Als die Geschichte zu Ende erzählt war, fuhr Chen Jhen fort: „Wenn die Länder Han und Wei wie Ti-
ger gegeneinander kämpfen, wird der Schwächere früher oder später vom Stärkeren besiegt wer-
den.“ Und so geschah es dann auch wie Chen Jhen es vorhergesagt hatte. Als der Konflikt zwischen
Han und Wei beendet war, konnte Chi den geschwächten Sieger im Krieg leicht besiegen.

Generell bedeutet dieses Strategem, sich durch keinerlei Aktivitäten oder Aktionen im Streit zwi-
schen zwei Parteien einzumischen, bis sich die Situation bereinigt hat. Allerdings ist es nicht leicht
zu erkennen, wann die Situation bereinigt ist und die „Gunst der Stunde“ günstig. Wer geduldig beo-
bachtet und den richtigen Zeitpunkt erkennt, wird am Ende den Sieg davontragen.
10. Strategem

Verberge den Dolch hinter einem Lächeln

Katego- Gegenangriff
rie:

Sinnhaf- Lassen Sie Ihren Gegner sich in Sicherheit wiegen und arbeiten
tigkeit: an Ihren geheimen Plänen. Schreiten Sie zur Tat, ohne dass der
Gegner das Vertrauen in Sie verliert.

Strate- Gewinnen Sie das Vertrauen des Gegners und handeln erst dann,
gemziel: wenn er nicht mehr auf der Hut ist.

Taktik: Lassen Sie Ihren „Tiger“ lächeln, wie die Chinesen diese Strate-
gie auch nennen. Mit welcher Art „Lächeln“ der Gegner ge-
täuscht wird, hängt vom jeweiligen Charakter ab. Jeder Mensch
ist in seiner Weise für Schmeicheleien empfänglich. So müssen
eitle und bornierte Menschen anders behandelt werden, als be-
scheidene oder zurückhaltende Menschen. Auch sog. „Erbsenzäh-
ler“ haben ihren „roten Knopf“, der nur betätigt werden muss,
um ihre Gunst zu erlangen.

Egal ob wir jemanden auf die Palme bringen oder ihn besänftigen wollen, ihn kränken oder begeistern:
Jeder Mensch hat in seinem tiefsten Inneren einen Punkt, den man sprichwörtlich nur drücken muss, um
genau das zu erreichen, was man möchte.
Im Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen gibt es ein 4-Farben-Schema, nach dem man einen Men-
schen grob einordnen und seine Angriffspunkte ermitteln kann. Dabei steht jeweils eine Farbe für einen
bestimmten Charaktertyp und die dazu gehörenden äußeren Merkmale.

Die Grundlagen dazu hat der Psychologe William Marston 1930 gelegt, als er das „Performax System ent-
wickelt hat. Dabei ging er davon aus, das menschliche Verhalten könne entsprechend der Reaktion einer
Person in eine positive (=günstige) oder negative (=feindliche) Umgebung eingeordnet werden. Dabei
benutzte er vier verschiedene Verhaltensstile und übertrug sie in ein zweiachsiges Vierquadranten-Mo-
dell mit den Schwerpunkten:

Dominant – Initiativ – Stetig – Gewissenhaft


Daraus folgend entwickelte Marston Wortgruppen, die die vier Verhaltensweisen beschrieben und der
Farben zugeordnet wurden. Um dieses Thema näher zu beleuchten, lohnt sich die Investition in das fol-
gende Buch zu diesem Thema:

oder

Die historische Gegebenheit hinter dem 10. Strategem:

In den frühen Jahren der Zeit der Streitenden Reiche war der Staat Cin noch nicht ein starkes Land. Um
den Einfluß und die Macht seines Landes zu stärken, rekrutierte sein König Cin Siao Gong Berater mit
genur Talent, ihm beim Regieren seines Landes zu helfen. Shang Yang war einer jener Berater, die in
das Land Cin kamen, um Cin Siao Gong bei seinen Reformen zu beraten. Für seine erworbenen Ver-
dienste verlieh Cin Siao Gong seinem Berater Shang Yang Land und Titel.

Um 340 v. Chr. ernannte Cin Siao Gong Shang Yang zum General und übertrug ihm Armeen, um das Land
Wei anzugreifen. Der König von Wei entsandte Prinz Wei Mao, der die Verteidigung leiten sollte. Shang
Yang war sehr froh, als er das hörte. Unverzüglich schrieb er einen Brief an Wei Mao.

Shang Yang schrieb: "Die Zeit, die wir in Wei zusammen verbracht haben, hat mir sehr kostbare Erinne-
rungen an dich geschenkt. Und obwohl wir verschiedenen Königen dienen, schätze ich unsere Freund-
schaft sehr und stehe dir nicht feindlich gegenüber. Warum treffen wir uns also nicht, um miteinander
zu reden und eine für uns beide akzeptable Lösung zu finden, wie wir diesen Konflikt ohne Anwendung
von Gewalt in einem Friedensvertrag münden lassen können?" Als der Prinz Wie Mao dies las, war er naiv
genug, den Worten seines „Freundes“ zu glauben und nahm die Einladung zu einer Unterredung an. Sie
trafen sich und hatten ein sehr angenehmes Gespräch. Doch als das Gespräch beendet war, und sich
Mao Wei auf den Heimweg machte, geriet er in einen Hinterhalt und wurde gefangen genommen. Shang
Yang nutzte diese Gelegenheit, um einen Angriff gegen Wei zu starten und erreichte einen großen Sieg,
in dessen Folge der König von Wei die Gebiete westlich des Gelben Flusses an Cin abtreten musste.
11. Strategem

Opfere den Pflaumenbaum


anstelle des Pfirsichbaums

Katego- Gegenangriff
rie:

Sinnhaf- Gelegentlich ist es erforderlich, ein Teilopfer zu bringen, um den


tigkeit: Gesamtsieg davon zu tragen

Strate- Konzessionen machen, um das Gesamtziel zu erreichen.


gemziel: Opfer bringen und für einander einstehen, um den Sieg davon zu
tragen.

Taktik: Die List besteht darin, dass man das Kräfteverhältnis verschiede-
ner Gruppen zueinander so verschiebt, dass die Niederlage einer
Gruppe und dem anschließenden Zusammenführen der verblei-
benden Gruppen zu einer insgesamt stärkeren Streitmacht führt,
die trotz großer Verluste den Gesamtsieg davonträgt.

Wir kennen viele Spiele, die Opfer erforderlich machen, um über den Weg eines strategischen Verlusts
den Sieg zu erzielen. Beispielsweise beim Schach, wo ein Bauer geopfert wird („Bauernopfer“), um den
Turm zu retten. Auch beim Skat kennt man das „Schnippeln“, indem man eine minderwertige Karte ei-
ner Farbe vorlegt und den mittleren Spieler veranlasst, entweder mit der „10“ zu übernehmen, die
dann jedoch vom dritten Spieler mit einem AS oder einem Trumpf geschlagen wird, oder der dritte
Spieler eine überflüssige Karte abwirft, um in der nächsten Runde diesmal das mögliche „AS“ vom mitt-
leren Spieler mit einem Trumpf zu stechen. Es gilt daher, kurzfristige Ziele preiszugeben (den Bauern
oder Karten zu opfern), um das langfristige Ziel zu sichern (Schachmatt oder die „10“ oder das „AS“).

Dieses Strategem spricht die stets gegensätzlichen Kräfte des YIN und YANG an, die stets gleich stark
vorhanden sein sollten. Sind Verluste unvermeidlich, so reduziert man das YIN, indem man etwas von
geringem Wert opfert, um das YANG zu stärken und damit etwas Wichtigeres zu retten.

Die historische Gegebenheit hinter dem 11. Strategem:

Während der Frühlings- und Herbst-Periode gab es im Land Jin einen Mann namens Tu An Jia, der ein
beliebter Lakai des Königs Jin Ling Gong war. Dieser König war jedoch ein Tyrann und wurde von einem
Vetter des damaligen Premierministers Jhao Dun getötet.

Durch Tu An Jia’s Einfluss auf das Tribunal, das den Mord an den König Jin Ling Gong aufklären sollte,
wurde auch der Premierminister Jhao Dun beschuldigt, an der Ermordung des Königs beteiligt gewesen
zu sein. Tu An Jia behauptete, dass Jhao Dun ein Mitverschwörer bei der Ermordung Jin Ling Gong war
und schlug vor, die gesamte Familie Jaho wegen des Verbrechens der Ermordung des Königs hinzurich-
ten. Jin Lin Gongs Sohn mit dem Namen Jin Jing Gong war damals noch sehr jung und unerfahren und
glaubte die Geschichte von Tu Jia. So gab er Tu An Jia die volle Autorität, den Jaho-Clan komplett zu
exekutieren.

Die Truppen machten sich ran, das Massaker durchzuführen und töteten alle Familienmitglieder des
Jaho-Clans. Doch wie durch ein Wunder überlebte die schwangere Frau des Sohns von Jhao Dun, die den
Namen Jhao Shuo trug und flüchten konnte. Später gebar die Frau einen Jungen, der letzte männliche
Nachfahre des Jhao-Clans. Durch einen Spion erfuhr Tu An Jia davon und setzte alles daran, den Jungen
töten zu lassen. Das Baby war also in größter Gefahr und musste gerettet werden. Einer der Begleiter
von Jhao Shuo mit dem Namen Chen Ying hatte eine Idee, wie der Sohn von Jhao Dun’s Sohn gerettet
werden könnte: Anstatt des gefährdeten Sohnes gab er seinen eigenen Sohn her, um ihn gegen das
letzte Jhao-Baby auszutauschen, wissend, dass sein eigener Sohn dann von den Schergen Tu An Jias ge-
tötet würde. So kam es auch und das Waise Jhao war gerettet. Es wurde von Chen Ying in die abgelege-
nen Berge gebracht und dort fünfzehn Jahre lang aufgezogen.

Die war die historische Geschichte des Letzten der Orphan-Jhao, durch die mit der „Opferung der
Pflaume der Pfirsich-Baum gerettet wurde“. Sie bedeutet heute im übertragenen Sinne, etwas von ge-
ringerem Wert zu opfern, um am Ende etwas Wertvolles zu erhalten bzw. zu bekommen.
12. Strategem

Das Schaf/Die Ziege immer mitnehmen,


wenn sich die kleinste Gelegenheit bietet

Katego- Gegenangriff
rie:

Sinnhaf- Es ist jede Chance zu nutzen, die sich einem bietet, denn meist
tigkeit: kommt sie nicht so schnell wieder.

Strate- Viele Sandkörner auf einem Haufen ergeben auch eine Pagode.“
gemziel: (Chinesisches Sprichwort)
„Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Talers nicht wert!“
(Deutsches Sprichwort)

Wo immer sich kleine Gelegenheiten bieten, müssen sie zum ei-


genen Vorteil genutzt werden.

Taktik: Jeder macht Fehler. Manche Fehler sind klein, manche groß.
Wenn man auf die Fehler des Gegners achtet, kommen immer
wieder Gelegenheiten, einen eigenen Vorteil daraus zu ziehen.
Die Summe kleiner Vorteile machen am Ende einen großen Vor-
teil.
Ein kleiner Junge hatte im Haushalt die Aufgabe, morgens die Teller für die Katzen zu füllen und dabei
die heruntergefallenen Stücke des Trockenfutters wieder auf den Teller zu legen. Eines Tages sprach er
zu seinen Eltern und sagte: „Ich möchte gerne für die Katzen eine Schüssel mit einem hohen Rand ha-
ben, damit keine Stücke des Trockenfutters mehr daneben liegen, die ich dann aufsammeln muss!“ Die
Eltern waren erstaunt über diesen Vorschlag, denn die Teller waren hübsch und unbeschädigt, so dass
sie keinen Grund sahen, die Faulheit des Sohnes zu unterstützen. Darauf entgegnete er: „Ich soll jeden
Tag die Katzennäpfe auffüllen. Für die heruntergefallenen Stücke des Trockenfutters brauche ich täg-
lich etwa zwei Minuten – nicht viel Zeit also. Doch innerhalb eines Jahres brauche ich dafür 365 mal
zwei Minuten, also insgesamt 12 Stunden. Diese Zeit möchte ich lieber nutzen, um für die Schule zu ler-
nen, statt meine kostbare Zeit mit dem unsinnigen Auflesen von heruntergefallenem Trockenfutter zu
verplempern.“ Noch am selben Tag hatten die Katzen neue Fressnäpfe!

Es müssen also nicht immer raffgierige Chancen sein, die man zu Ungunsten eines Dritten nutzt, um ei-
gene Vorteile zu erlangen. Insgesamt soll man bedenken, dass der Tag voller Möglichkeiten ist, die ver-
fügbare Zeit mit wertvolleren Dingen zu füllen.

Oder tatsächlich auf die Suche nach Möglichkeiten gehen, für das vorhandene Geld möglichst viel Güter
oder Dienstleistungen zu erhalten. Anderenfalls ist es auch sinnvoll, ein bestimmtes Ziel mit möglichst
geringen Mitteln zu erreichen.
In der Wirtschaft spricht man hier vom „ökonomischen Prinzip“ und ist Gegenstand aller wirtschaftli-
chen Maßnahmen. Insbesondere, da die Lebenszeit begrenzt ist. Jeder Tag hat für jeden Menschen nur
86.400 Sekunden und ein Ende ist absolut sicher. Doch was er mit diesen 86.400 Sekunden täglich
macht, ist ihm meist selbst überlassen und viele Menschen verplempern dieses kostbare Gut mit sinnlo-
sen Dingen wie Fernseh gucken oder vor dem PC oder der Spielekonsole „abhängen“. Innerhalb dieser
86.400 Sekunden gibt es viele Gelegenheiten, mehr daraus zu machen.

Die historische Gegebenheit hinter dem 12. Strategem:

Etwa 354 v. Chr. plante König von Wei mit dem Namen Wei Huei einen Angriff auf den nördlichen Nach-
barstaat Jhao. Zu diesen Zweck ernannte er Pang-Juan zu seinem General. Zwei Jahre später kämpfte
sich die Armee von Pang-Juan durch das Land in Richtung Handan, der Hauptstadt von Jhao. Die Trup-
pen richteten ihre Zelte außerhalb der Stadtmauern auf, um diese zu belagern. Die Bürger von Jhao wa-
ren verzweifelt und sie sahen wenig Chancen, dem drohenden Niedergang zu entkommen und baten da-
her den Nachbarstaat Chu, der über eine mächtige Armee verfügte, um Hilfe. Nachdem der Premiermi-
nister von Chu die Bitte vernommen hatte, wollte er dem Land Jhao zu Hilfe kommen, doch ein Berater
namens Jing Sie hatte andere Pläne, die er dem König von Chu mitteilte. Jing Sie schlug vor, Truppen
unter dem Vorwand der Rettung von Jhao in Marsch zu setzen, um mit vereinten Kräften Wei zu besie-
gen. Geschwächt von der langen Belagerung und dem Kampf gegen Wei sollte anschließend das ge-
schwächte Jhao eingenommen werden.

Jing Sie wurde für die Entsendung der Truppen zur Rettung von Jhao eingesetzt und kämpfte mit ihnen
gegen Wei. Während der Kämpfe wurde bekannt, dass die Hauptstadt von Wei von Armeen des Staates
Ci angegriffen wurden und der General von Wei, Pang-Juan, begann eilig, sich zurück zu ziehen. Dabei
gerieten sie aber in einen Hinterhalt und wurden durch die feindlichen Pfeile stark geschwächt. Der
Kampf um die Hauptstadt forderte neue Opfer, doch am Ende konnten die Truppen die Hauptstadt ver-
teidigen.

Während dieser Zeit waren beide Länder, also Wei und Jhao stark geschwächt und kein gefährlicher
Gegner für jeden Feind. Diese „Gunst der Stunde“ nutzte Chu, sowohl gegen Wei, als auch gegen Jhao
zu kämpfen und siegten mit leichter Hand. Das Schaf, das jetzt mit leichter Hand weggeführt werden
konnte, waren die Länder Wei und Jhao.
13. Strategem

Auf das Gras schlagen,


um die Schlange aufzuscheuchen

Katego- Angriffslist
rie:

Sinnhaf- Wer (sprichwörtlich) auf das Gras schlägt und dabei die Schlange
tigkeit: aufscheucht, hat einen Überblick darüber, ob und ggf. wo sie
sich gerade befindet und kann die Vertreibung der Gefahr pla-
nen.

Strate- Den Gegner warnen / abschrecken / einschüchtern


gemziel: Den Gegner durch Erregung und Provokation „aus der Deckung lo-
cken“
Einen „Versuchsballon“ starten

Taktik: Auf das Gras zu schlagen ist eine Methode, dem möglichen Geg-
ner / Feind zuvor zu kommen, um ihn zu einer Reaktion zu zwin-
gen / zu bewegen, bevor er seine eigenen möglichen Angriffsge-
lüste in die Tat umsetzen kann. Der Gegner wird vor dem wirkli-
chen Angriff provoziert, um seine Reaktion zu studieren und um
Rückschlüsse auf seine Stärke zu ziehen.

In einem Internat war es unter pubertierenden Schülern üblich, sich ohne ersichtlichen Grund anzupö-
beln, eine ohne Zweifel unangenehme Art, die heutzutage als „Mobbing“ geahndet wird. Damals war es
also so, dass man sich „spaßeshalber“ und sowohl grund- als auch folgenlos verbal attakierte, denn
meist folgte aus der wüsten Beschimpfung keine handfeste Auseinandersetzung. Während dieser Zeit
gab es in der Klasse ein Liebespaar, das bereits mehrere Monate höchst verliebt „turtelte“ und kaum
voneinander ließ. Eines Tages stand der Freund in der ersten Etage im Fenster und sah auf den Innenhof
hinunter, wo gerade ein Klassenkamerad entlang ging. „Hey Lucky, willst Du was auf die Fresse, dann
komme einfach zu mir hier nach oben“, waren die damals üblichen Worte, weil man vor lauter Lange-
weile offenbar keinen anderen Zeitvertreib kannte. Kurze Zeit später erschien die „verliebte“ Freundin
vor dem Freund und beichtete ihm, dass sie gerade etwas mit „Lucky“ hatte und sie sich nicht vorstel-
len konnten, woher der Freund das wissen konnte. Aber jetzt, da er es ja wüsste, sei der Seitensprung
ja bekannt und die Freundschaft beendet.

Ja, so kann es kommen, wenn man die Schlange aufscheucht und sich jemand ertappt fühlt und zur
„Beichte“ geht. Sie kann unangenehme Folgen haben.

Die historische Gegebenheit hinter dem 13. Strategem:

Während der Cing Dynastie gab es einen Bezirksrichter mit dem Namen Wang Shou Yu, der einen Stell-
vertreter namens Jhao Bo Ren hatte. Der Stellvertreter war in der Vergangenheit einige Male mit dem
Richter aneinander geraten und sann auf Vergeltung. Eines Tages bestach Jhao Bo Ren einen Wachmann
und bat ihn darum, das Richter-Siegel zu stehlen. Kurze Zeit später fand Wang Shou Yu heraus, dass das
Siegel gestohlen war und hatte seinen Stellvertreter in Verdacht, dem er jedoch nichts nachweisen
konnte. Ohne das Siegel konnte Wang Shou Yu allerdings nicht richten. Der Assistent konnte mit dem
Siegel nichts anfangen, denn er wollte nur die Reaktion des Richters prüfen und ihm das Siegel bei güns-
tiger Gelegenheit wieder zurück geben. Jhao Bo Ren hatte einen Plan, indem er ein Feuer legte und je-
dermann verpflichtete, beim Löschen zu helfen. Während der Feuersbrunst lief Wang Shou Yu in das Ge-
bäude, um das Siegel zu „retten“ und händigte seinem Stellvertreter die Kiste mit dem Siegel vor aller
Augen aus und befahl ihm, diese zu schützen und ihm am nächsten Tag vorzulegen. Da das Siegel zwar
gestohlen, die Kiste jedoch sehr schwer war, dachte der Jhao Bo Ren, dass sich ein Stein darin befinden
müsse und traute sich nicht, die Kiste nicht vor den Augen der Leute zu öffnen.

Am nächsten Tag rief Shou Wang Yu jeden in das Gerichtsgebäude, der an der Brandbekämpfung teilge-
nommen hatte, um sich bei ihnen zu bedanken. Auch Jhao Bo Ren war anwesend, die Kiste mit dem Sie-
gel in der Hand. Er übergab die Kiste an den Richter Wang Shou Yu, der diese sofort öffnete und nach
dem Siegel sah. Der Stein, der die Kiste zuvor schwer gemacht hatte, war wieder durch das gestohlene
Siegel ersetzt worden.
14. Strategem

Einen Leichnam für die Rückkehr der Seele borgen

Katego- Angriffslist
rie:

Sinnhaf- Einen toten Hund tritt man nicht. Spanne einen unscheinbaren o-
tigkeit: der unverdächtigen Menschen für deine Zwecke ein.
Gieße alten Wein in neue Schläuche.

Strate- Sich hinter einer Person oder Sache verbergen, die keinen Arg-
gemziel: wohn auslöst und seine eigenen Zwecke verfolgen, bis die Person
oder Sache überflüssig geworden ist und abgelöst werden kann.

Taktik: Kontrolliere einen Menschen, dem es an der Fähigkeit, Intelli-


genz oder Wissen mangelt, sich deiner Manipulation zu widerset-
zen. Nutze ein Mittel, das für Dritte an sich als nutzlos gilt und
von ihnen nicht begehrt wird, um über diesen harmlos erschei-
nenden Weg eigene Zwecke zu verfolgen.

Es gibt unzählige Fernsehsendungen, die in einer ungewöhnlichen Atmosphäre wie dem Dschungel, ei-
ner einsamen Insel oder einem Kochstudio stattfinden und in der so genannte „D“-Prominente meist um
Geld mitspielen und sich einen Teil des Ruhmes abschneiden möchten, den sie längst verloren haben.
Die Fernsehanstalten nutzen diese an sich nicht mehr im Rampenlicht stehenden Promis dazu, eigene
Einschaltquoten zu erzielen. „D“-Prominente sind preiswert zu bekommen und sich oft nicht zu schade,
sich peinlichen, ekelhaften oder genierlichen Prüfungen, Rätseln oder Aufgaben hinzugeben.
Auch über Casting-Shows machen sich Möchtegern-Talente „zum Affen“, um den Fernsehsendern Quo-
ten und somit hohe Werbeeinnahmen zu gewähren.

Auch in der Getränkeindustrie werden bereits abgeschriebene Marken nach vielen Jahren „re-animiert“,
nachdem das Schlechte daran vergessen und das Gute daran verstärkt beworben wurde.

Die historische Gegebenheit hinter dem 14. Strategem:

Etwa 234 n. Chr. gab es in der Provinz Shu den General Jhu Ge Liang, der nach langer Krankheit im
Sterben begriffen war. Er wusste, dass die Armee des Staates Wei die Gelegenheit nutzen würde, Shu
anzugreifen und plante eine List, um dies zu verhindern. Er beauftragte also den Ches des Stabes, Yang
Yi, die Nachricht von seinem Tod gegenüber seinen Soldaten so lange zurück zu halten, bis sie sich si-
cher auf ihr Gebiet zurückgezogen hatte. Selbst für den Fall von Angriffen auf die im Rückzug begriffe-
nen Armee gab er zur Verteidigung Instruktionen.

Shi Ma Yi, der General des Staates Wei war ein Experte in Astrologie und glaubte zu wissen, dass sein
Erzrivale auf der anderen Seite verstorben war, doch wusste er es naturgemäß natürlich nicht. Um also
sicher zu gehen, dass Jhu Ge Liang wirklich verstorben und sein Tod nicht nur vorgetäuscht war, um die
Armeen von Wei anzugreifen, schickte er Späher ins Land, um die Bewegungen der gegnerischen Ar-
meen auszuspionieren. Zu ihrem Erstaunen stellten sie fest, dass sich die Armeen von Shu komplett zu-
rückgezogen hatten. Somit war Shi Ma Yi überzeugt, dass Jhu Ge Liang wirklich tot war und setzte seine
Truppen zu einem Feldzug gegen die Provinz Shu in Marsch.

Die Armeen von Shu wusste nicht, dass ihr General verstorben war und somit war der vermeintliche
Rückzug ihrer Armee eine taktische Variante, für die ihr General bekannt war. Sie brachten sich gegen
die Armee von Wei in Stellung und warteten auf die feindlichen Soldaten. Die Soldaten von Wei ritten
siegesgewiß gegen Shu, als sich plötzlich gegnerischen Kanonendonner hörten, der sich gegen ihre eige-
nen Kameraden sichtete und rieben sich sprichwörtlich die Augen, als sie mehrere Generäle hinter ei-
nem Wagen herreiten sahen, auf dem sich der General Jhu Ge Liang befand. Shi Ma Yi rief laut: „Wir
wurden betrogen!“ und befahl den sofortigen Rückzug seiner Armeen, die von den Soldaten Wei’s nun-
mehr verfolgt und geschlagen wurden, nicht wissend, dass sich auf dem Wagen nur eine Holzpuppe auf
dem Wagen befand, die nur in der Rüstung des tatsächlich verstorbenen Generals gesteckt wurde und
den Eindruck erweckte, es handele sich wirklich um den lebenden General.

Die List bestand darin, sich noch zu Lebzeiten des sterbenden Generals den „Leichnam“ in Form einer
ausgestopften Rüstung zu „borgen“ und ihn gegen die gegnerischen Truppen mit dem Ziel einzusetzen,
diese damit zu täuschen und die Verwirrung zu nutzen, um sie vernichtend zu schlagen.
15. Strategem

Den Tiger aus den Bergen locken

Katego- Angriffslist
rie:

Sinnhaf- Den Gegner aus seinem gewohnten Umfeld in eigenes Terrain lo-
tigkeit: cken oder ihn von ihm wichtigen Helfern trennen.

Strate- Den Gegner zum Kampf in eigenes Terrain locken und ihm damit
gemziel: überlegen sein.

Taktik: Einen Helfer als „Köder“ einsetzen und den Gegner in Schwie-
rigkeiten bringen. Anschließend auf den Gegner zugehen, ihm
„Hilfe“ anbieten und ihn dazu zu verleiten, auf das eigene Ge-
biet / Terrain zu wechseln.

Wir wissen es vom Fußball und es gilt für jede andere Sportart: Die Heimmannschaft ist deutlich im
Vorteil. Gerade beim Fußball sagt man, die Heimmannschaft spiele mit dem „12. Mann“. Und so
wird jeder Angriff des „Tigers“ auf seinem angestammten Terrain zu einem unwägbaren Abenteuer,
das durchaus im Chaos enden kann.

Selbst Großmächte wie die Vereinigten Staaten von Amerika in Vietnam oder die Sowjetunion in Af-
ghanistan zeigen Schwächen auf fremden Hoheitsgebiet, weil ihnen dort die notwendige Übersicht
fehlt, um ihre Waffen schlagkräftig einzusetzen. Dies waren Gründe, warum sie seinerzeit diese
Kriege verloren haben. Doch den Gegner aus seiner Höhle zu locken kann sich als sehr schwer erwei-
sen. Man muss herausfinden, wie der Gegner „tickt“ und ihm einen Köder vorlegen, auf den er an-
springt. Heutige Schlagworte sind „Al Kaida“ oder „Osama Bin Laden“, bei denen Großmächte stets
nervös werden und schnell handeln. Wer durch Vorspiegelung falscher Tatsachen versucht, Unruhe
zu stiften hat es leicht, das Urteilsvermögen zu trüben. Viele Beamte reagieren reflexartig, ohne
auf die Hintergrundinformationen zu warten und bieten somit die Gelegenheit der Unruhe, die man
vermeintlich zu seinem eigenen Vorteil nutzen kann – wenn man überhaupt die Gelegenheit dazu
bekommt. Umgekehrt reagiert das Regime im Iran in gleicher Weise, wenn es sich um die USA han-
delt, der zu schaden die Regierung trachtet.

Die historische Gegebenheit hinter dem 15. Strategem:

Als Liou Bank die Han-Dynastie gründete, übernahm er ein feudalistisches System, das seine Gene-
räle mit Land und Titel im Verhältnis zu den Verdiensten in der Schlacht belohnte. Dieses System
diente dazu, die Generäle zu befrieden und damit von einem Krieg gegen den Herrscher abzuhalten.
Im Ergebnis herrschten die Generäle über große Ländereien und ebenso große Armeen, die unter
ihnen dienten. Als sich die politische Lage stabilisiert hatte, begann Liou Bang sich Sorgen um seine
Zukunft zu machen, zu stark waren die Generäle geworden und er fürchtete sich vor einer Revolte
und zu sehr war er ihnen ausgeliefert. Besonders Han Sin hatte sich die meisten Verdienste in
Schlachten erworben und war somit zu einem der mächtigsten Bedrohungen für Liou Bang gewor-
den.

Ein Berater Liou Bangs mit dem Namen Chen Ping erarbeitete einen Plan um Han Sin zum Verlassen
seiner Festung zu bewegen, in der er von seinen Armeen geschützt war und in der er ohne eine ver-
lustreiche Schlacht nicht gefasst werden konnte. Unter dem Vorwand einer Jagd wurde Han Sin zu
Liou Bang eingeladen. Dort wurde ihm jedoch eröffnet, dass Spione gemeldet hätten, Han Sin würde
einen Aufstand gegen Liou Bang planen und ließ ihn verhaften. Vor die Wahl gestellt, wegen Hoch-
verrats gehenkt zu werden oder sich im Range eines Marquis mit deutlich weniger Land und Truppen
zufrieden zu geben, wählte Han Sin das „kleinere Übel“ und ließ die Konfiszierung von Land und
Truppen gegen sich gefallen.
16. Strategem

Fange den Fisch, indem Du ihn vom Haken lässt

Katego- Angriffslist
rie:

Sinnhaf- Um Blutvergießen zu vermeiden muss man den Gegner gewähren


tigkeit: lassen, um seine Kraft zu schmälern. Wütende oder in die Ecke
gedrängte Gegner mobilisieren alle Kräfte um zu flüchten oder
zu kämpfen.

Strate- Den Gegner so oft entkommen lassen, bis er so schwach gewor-


gemziel: den ist, um ihn ohne Blutvergießen schlagen zu können.
Deeskalations-Strategem: Den Gegner in gegebenen Grenzen
„austoben“ lassen, bis seine Kraft erschöpft und sein Widerstand
gebrochen ist und ihn erst dann angreifen.

Taktik: Abwarten. Dann abwarten. Und am Ende nochmals abwarten, bis


der Gegner mit keinem Angriff mehr rechnet und dann mit gerin-
gen Mitteln geschlagen werden kann. Spürt ein Gegner einen-
gende Gegenwehr und hat keine Chance zur Flucht, wird er ins-
tinktiv den Kampf aufnehmen und seine gesamten Kräfte mobili-
sieren, um der drohenden Niederlage zu entrinnen. Läßt man
ihn in Maßen gewähren, wird er seine Kraft zur Konfliktlösung
einsetzen und somit geringere Mittel der Gegenwehr einsetzen.
Somit ist er leichter zu schlagen.

Bei diesem Beispiel für das 16. Strategem überlässt der liebende Cyrano de Bergerac seine Angebe-
tete einem Kontrahenten, um sich über poetische Liebesbriefe in ihr Herz zu schreiben und am Ende
doch ihr Herz zu erobern. Diese ahnt nichts davon und heiratet und verliebt sich in den vermeintli-
chen Briefeschreiber wegen der "Schönheit seiner Seele". Als der Kontrahent stirbt, ist der Weg frei
für die Liebenden, was aber erst 14 Jahre nach dem Tod des Ehemannes möglich ist. Doch auch
jetzt ist das Schicksal unerbittlich.... Lesen Sie selbst:

Cyrano de Bergerac ist der Titelheld eines romantisch-komödiantischen Versdramas von Edmond Ro-
stand, das er 1897 schrieb und dessen Uraufführung am 28. Dezember 1897 am Pariser Théâtre de la
Porte Saint-Marin stattfand.

In dieser Geschichte gibt es einen Helden mit einer riesig langen Nase, die ihn entstellt und unter
der er sehr leidet: Cyrano de Bergerac. Er spielt einen französischen Dichter des 17. Jahrhunderts,
der sich in seine Cousine Roxane verliebt hat und fürchtet, einen Korb zu bekommen, würde er ihr
seine Liebe gestehen. Diese wiederum ist in den gut aussehenden, aber geistig minderbemittelten
Christian von Neuvillette verliebt und beide, er und Cyrano de Bergerac dienen im gleichen Regi-
ment bei den Gascogner Kadetten. Um die Gunst seiner Angebeteten zu erlangen, "leiht" er dem
Kontrahenten Christian von Neuvillette sein poetisches Talent und schreibt in dessen Namen Liebes-
briefe an Roxane. Diese wird vom Grafen Guiche begehrt, der sie zu seiner Maitresse machen will.
Um das zu vermeiden, seine geliebte Roxane wäre dann für ihn unerreichbar, stiftet er die Ehe mit
Christian von Neuvillette, in dessen Namen er weiterhin schmachtende Liebesbriefe verfasst, die
stets Ausdruck seiner eigenen Liebe zu Roxane sind. Der Graf ist über die Hochzeit erbost und sen-
det die Gasconer Kadetten samt den beiden Protagonisten in den Krieg an die vorderste Front. Auch
von dort erreichen Roxane täglich zwei Briefe im Namen von Neuvillette durch die feindlichen Li-
nien, obwohl die Gasconer Kadetten durch die spanischen Belagerer eingekesselt und ausgehungert
werden.

Überwältigt von so viel Ehrenhaftigkeit und Liebe eilt Roxane vorbei an den feindlichen Linien direkt
ins Heereslager zu ihrem Mann, dem sie nun mitteilt, dass sie ihn nicht mehr nur wegen seines schö-
nen Äußeren liebt, sondern ganz besonders wegen der "Schönheit seiner Seele". Das schockiert
Christian von Neuvillette, denn er weiß ja um die Unehrlichkeit Roxanes gegenüber. Bevor er sich
jedoch offenbaren konnte, trifft die Todesnachricht ein: Christian von Neuvillette ist gefallen und
nimmt das Geheimnis mit ins Grab, denn auch jetzt offenbart sich Cyrano de Bergerac nicht. Roxane
geht daraufhin ins Kloster und erst 14 Jahre später entdeckt sie die Wahrheit. Doch es ist zu spät:
durch einen Anschlag wird Cyrano de Bergerac so schwer verwundet, dass er durch Blutverlust und
Wahnvorstellungen nicht mehr erfährt, dass ihm seine Cousine ihre Liebe zu ihm gesteht. Er stirbt in
ihren Armen.

Cyrano de Bergerac wird oft exemplarisch für die Motive des Ghostwriters und des „guten Kerns hin-
ter weniger ansehnlicher Fassade“ herangezogen. Aus dieser Position heraus lassen sich eigene Ge-
danken formulieren, die einer anderen Person in den Mund gelegt werden und als deren geistiges
Vermögen dienen. Hier muss man erst loslassen, bevor man sein Ziel erreichen kann.

Auch das Strategem 12 kommt hier zum Tragen: Mit leichter Hand des (einem unerwartet über den
Weg laufende) Schaf (geistesgegenwärtig) wegführen. Ist der Boden für den Angriff auf das Herz der
Angebeteten vorbereitet, muss er "das Schaf" nur noch wegführen.

Aus Sicht des Christian von Neuvillette käme das Strategem 29 zum Tragen: Einen (dürren) Baum
mit (künstlichen) Blumen schmücken. Seinen "dürren" Intellekt schmück er mit "künstlichen" Blu-
men, wobei seine Poesie von einem Dritten gestohlen wäre.

Bei gewalttätigen Demonstrationen ist es oft feststellbar, dass die Polizei den Mob sich erst austo-
ben lässt, bevor sie einschreitet. „Deeskalation“ nennt sie die Strategie, Sachschäden in Kauf zu
nehmen, um eine gefährlich aufschäumende Stimmung zu dämpfen, die Hauptgruppe in kleinere,
leichter zu übersehende Gruppen zu teilen, um dann die Staatsmacht punktuell einsetzen zu kön-
nen.

Auch die „Montagsdemonstrationen“ der früheren DDR hielten einen gefährlichen Funken latenter
Gewalt in sich, der leicht hätte entzündet werden können, hätte sich die DDR-Staatsmacht nicht zu-
rückgehalten. Am 17. Juni 1953 sah es anders aus. Sowjetische Streitkräfte schossen auf deutsche
Demonstranten und am Ende waren mindestens 55 Todesopfer zu beklagen, weil die deutsche Bevöl-
kerung massiv gegen eine Erhöhung der Arbeitsnormen protestiert hatte und die Situation eska-
lierte. Erst durch den massiven Einsatz von 20.000 Sowjetsoldaten und 6.000 Polizisten konnte der
Widerstand der Protestanden gebrochen werden.

Das 16. Strategem rät, die Kräfteverhältnisse umzukehren und rät zur Zurückhaltung, statt den Geg-
ner unverzüglich vernichten zu wollen und dessen massive Reaktion zu provozieren und eigene
Kräfte zu verschleißen. Bei diesem Strategem spielt „psychologische Kriegsführung“ eine große
Rolle: Der Stärkere lässt den Gegner zunächst los, um ihn dann noch besser packen zu können, an-
statt ihn in die Ecke zu drängen und eine verzweifelte Gegenwehr zu provozieren und eigene Kräfte
zu verschleißen.

Die historische Gegebenheit hinter dem 16. Strategem:

In den frühen Jahren der Han-Dynastie ermordete im Staat Syong Nu der Prinz Mao Dun seinen Vater
und setzte sich selbst als König auf den Thron. Die Regierung des Nachbarlandes Dong Hu wollte wis-
sen, welcher Gesinnung der neue König sei und schickte einen Abgesandten nach Syong Nu, um das
Pferd des getöteten Königs zu fordern. Die offiziellen Vertreter von Syong Nu missbilligten diese
Forderung, doch König Mao Sun lächelte nur und sagte: „Dong Hu ist unser Nachbarland. Wie können
wir deren wichtige Freundschaft nur wegen eines Pferdes verlieren?“ So gab er das Pferd dem Land
Dong Hu.

Einige Zeit später sandte Dong Hu erneut einen offiziellen Vertreter, der die Königin von Syong Nu
forderte. Deren Offizielle protestierten erneut. Aber Mao Dun lächelte erneut und sagte: „Ich
möchte die Freundschaft des Nachbarlandes nicht verlieren – nur wegen einer Frau.“ Also gab er die
Königin nach Don Hu.

Drei Monate später stellte Dong Hu erneut eine Forderung: Ein Stück Land wollte man von Syong Nu
haben. Doch diesmal war Mao Dun sehr verärgert. Er schnellte von seinem Thron auf und sagte wü-
tend: „Land ist die Grundlage eines jeden Staates. Wie können wir es weggeben?“ So befahl er die
Arrestierung des Abgesandten und ordnete einen Angriff auf Dong Hu an, so schnell es eben möglich
sei. So kam es, dass Mao Dun das Nachbarland Dong Hu ohne die geringste Vorwarnung angriff und
das unvorbereitete und verblüffte Land Dong Hu in kürzester Zeit besetzte.

Diese Geschichte zeigt, dass man Grenzen nicht überschreiten darf, die den Gegner so stark in die
Enge treiben, dass er unkontrolliert reagiert. Zunächst sollte er seine Kräfte aufzehren. Man greift
ihn erst an, wenn die Moral und seine Kräfte ganz unten sind und erreicht einen Sieg mit geringem
eigenen Aufwand.
17. Strategem

Einen Ziegel werfen und einen Jadestein gewinnen

Katego- Angriffslist
rie:

Sinnhaf- Das Werbegeschenk-Strategem: Mit einem minderwertigem Ge-


tigkeit: genstand oder einer minderwertigen Leistung einen höheren
Profit, eine höherwertige Sache oder höherwertige Dienstleis-
tung zu erzielen bzw. zu erhalten.

Strate- Mit geringem Einsatz ein höheres Ziel erreichen


gemziel:

Taktik: Geschenke machen, den Gegner ködern, sich beliebt machen,


internes Wissen anbieten um ein persönlich und individuell un-
terschiedlich höherwertiges Ziel zu erreichen.

Dass Geschenke die Freundschaft erhalten ist hinlänglich bekannt. Das hängt damit zusammen, dass
wir unser Nomadentum als Jäger und Sammler noch nicht ganz abgelegt haben und immer noch auf
das „Schnäppchen“ reflektieren. Dass große Kaufhäuser in der Werbung darauf hinweisen, dass man
mit besonders günstigen Preisen das besonders hochwertige Gerät genau dort erwerben kann und
ansonsten doch „blöd“ ist, können wir täglich vernehmen.

Doch in welcher Form der Köder ausgelegt wird, ob als überzuckerte Praline oder als Trojanisches
Pferd hängt mit dem Ziel zusammen, das Sie verfolgen. Grundsätzlich geht es in diesem Strategem
darum, mit wenig Aufwand ein möglichst hohes Ziel zu verfolgen. Aus der ökonomischen Lehre ken-
nen wir das „ökonomische Prinzip“, das bei gegebenen Mitteln („Ziegelstein“) ein möglichst großes
Ziel (den in China hochwertige „Jadestein“) zu erreichen oder umgekehrt ein gegebenes Ziel mit
möglichst geringen Mitteln zu erlangen versuchen.

Aus der Versicherungs- und Finanzwirtschaft kennen wir die „Bausteinvorsorge“ bei der Interessier-
ten eine umfangreiche Beratung und Analyse nebst einem Vorsorgeordner und Ordnung in ihren Un-
terlagen angeboten wird („Ziegelstein“). Gleichzeitig spart der Kunde aus der Finanzoptimierung
viele Tausend Euro und der Versicherungs- bzw. Finanzmakler erzielt ein Einkommen aus seiner Be-
ratung („Jadestein“).

Hier herrscht eine sog.


„Win-Win“-Situation vor.
Beide Partner gewinnen, in-
dem der „Ziegelstein“-Wer-
fende mit dem Bausteinvor-
sorgeordner und der damit
verbundenen Optimierung
der finanziellen Angelegen-
heiten eine Vorleistung
(„Ziegelstein“) bringt und
bei erfolgreicher Finanzopti-
mierun ein Einkommen er-
zielt („Jadestein“). Der Be-
günstigte Kunde erhält im
Rahmen der Beratung und
Optimierung seiner Finanzen
nicht nur einen individuellen
Finanzordner, sondern spart kostenlose Baustein-Vorsorgeordner nach Fi-
in der Regel auch viel Geld nanzoptimierung mit der Bausteinvorsorge
durch eine Optimierung der www.bausteinvorsorge.biz
Verträge oder Ausschöpfung
staatlicher bzw. Steuerli-
cher Mittel.

Einen simplen Ziegelstein gegen einen Jadestein einzutauschen ist mit Sicherheit eine gelungene
Transaktion, bei der es meist jedoch nur einen Gewinner gibt. Zudem muss man seinen Gegner erst
einmal dazu bringen, in ein solches Geschäft einzusteigen. Daher legen sie einen Köder aus, der für
den Gegner zunächst vorteilhaft und verlockend erscheint und als leichte Beute zu erhalten ist. Als
Gegenleistung erhalten wir ein viel wertvolleres Gut, wobei die Frage gestattet ist, ob es auch für
den Gegner wertvoll ist.

So haben sich beispielsweise Tauschbörsen von Haushaltsartikel etabliert, deren Ziel es ist, aus ei-
nem einfachen Gegenstand wie beispielsweise einem Kugelschreiber oder einem Bild einen höchst-
möglichen Gewinn zu erzielen, der durchaus auch in Form eines hochwertigen Autos oder einer Lu-
xusreise bestehen könnte. Dieses Verfahren ist auch eine gute Übung für alle, die sich darin üben
möchten, Scheu vor Verhandlungen abzulegen.

Eine weitere Möglichkeit, einen Ziegelstein gegen einen Jadestein einzutauschen besteht darin, das
ursprüngliche Gut („Ziegelstein“) so wertvoll zu verpacken, dass es wie ein teures Geschenk aus-
sieht, während der Beschenkte sich nicht „lumpen“ lassen möchte und ein Gegengeschenk („Jade-
stein“) macht, das dem vermeintlichen Wert des ursprünglichen Gutes weit übersteigt. Allerdings
beruht diese Taktik darauf, dass der Beschenkte die List nicht durchschaut und postwendend einen
Ziegelstein zurück schickt.

Weitere diesbezügliche Transaktionen sind Schlussverkäufe, Preisaktionen, „Nullzins“ bei Raten-


käufe, Rabattaktionen etc.)

Aktuelles Beispiel für missglückte Preissenkungsaktionen liefert die Firma Rossmann, der von der
Verbraucherzentrale Hamburg vorgeworfen wurde, Kunden mit vorgeschobenen Preissenkungen
anzulocken. Bei den Aktionen wurden Preise durchgestrichen, die angeblich der vorherigen Preis-
höhe entsprachen und mit aktuellen Preisen unterschrieben. Kunden wurden jedoch hinters Licht
geführt, weil die ursprünglichen Preise die „Unverbindliche Preisempfehlung (UVP) des Herstellers“
darstellte. Die Verbraucherzentrale Hamburg kritisierte, dass mit diesen Lockvogelangeboten Kun-
den in die Märkte geholt und getäuscht würden.

 HIER geht es zur Meldung vom 2. Februar 2011

Nullzinsaktionen liefert die Firma Mediamarkt, um im


hart umkämpften Markt der technischen Artikel hohe
Umsätze zu erzielen. Dass agressive Werbung auch
trotz „Ziegelstein“ auf Dauer nicht funktionieren
muss, zeigt der Rauswurf ihrer bisherigen Multimedia-
Agentur wegen sinkendem Umsatz

 HIER geht es zum Artikel

Die historische Gegebenheit hinter dem


17. Strategem:

Tang Tai Zong war ein glühender Verehrer von Kalligraphien (Wikipedia: „…..die Kunst des „Schön-
schreibens“ von Hand, mit Federkiel, Pinsel, Tinte oder anderen Schreibutensilien.“) und in diesem
Zusammenhang hatte es ihm eine ganz besonders angetan, dessen Titel „Der Vorort von Lanting“
lautete. Diese Kalligraphie befand sich im Besitz eines Mönchs mit dem Namen Bian Cai und Tang
Tai Zong hatte keine Hoffnung, dass der Mönch ihm das Bild verkaufen würde. Daher ersann er eine
List, um sich in den Besitz des Bildes zu bringen.

Er verkleidete sich als armer Gelehrter, der Wandgemälde in Tempel studierte und bat im Kloster
um einige Tage Unterkunft und um die Möglichkeit, die dort vorhandenen Bilder zu studieren. Im
Gepäck hatte er zwei Kalligraphien des sehr bekannten Künstlers Er Wang, die jedoch wesentlich
geringwertiger waren als die Kalligraphie „Der Vorort von Lanting“. Allerdings hatte er von dieser
eine Kopie angefertigt, um sie gegen das Original auszutauschen, wenn sich eine Gelegenheit böte.

Während mehrerer Gespräche zwischen Tang Tai Zong und dem Mönch Bian Cai kam das Gespräch
auch auf den genannten Künstler und Tang Tai Zong erwähnte, dass er zwei Kalligraphien von die-
sem Künstler hätte und auch noch einige andere Exponate einer schönen Sammlung – so z. B. auch
„Der Vorort von Lanting“. Der Mönch war sehr neugierig, diese Werke zu sehen und sehr erstaunt,
weil er das Original des Werkes „Der Vorort von Lanting“ habe und es bereits seit sieben Generatio-
nen von einem Meister zum nächsten weitergegeben würde. Er bot an, die Werke miteinander zu
vergleichen und er versprach, das gewünschte Werk am nächsten Tag zum Vergleich mitzubringen.

Nach einiger Zeit des Gesprächs stellte Bian Cai fest, dass die beiden (minderwertigen) Werke des
Er Wang tatsächlich authentisch waren und sah Tang Tai Zong tatsächlich als wissenden Gelehrten
auf diesem Gebiet an. Dieser schenkte dem Mönch Bian Cai eines der beiden Werke als Dankeschön
für die Unterkunft und Verpflegung. Während der Mönch den Raum wegen einer Besorgung verließ,
tauschte Tang Tai Zong das Original gegen die sehr gut gemachte Kopie und verließ das Kloster,
während der Mönch das vermeintliche Original an seinen angestammten Platz brachte und die Ver-
wechslung nicht sofort bemerkte.
18. Strategem

Den Gegner unschädlich machen,


indem man ihren Anführer fängt

Kategorie: Angriffslist

Sinnhaf- Die Kraft oder Organisation zerfällt, wenn der Anführer un-
tigkeit: schädlich gemacht wird.

Strate- Den wichtigsten Teil einer zusammenhängenden Gruppe identi-


gemziel: fizieren und gezielte Maßnahmen ergreifen, um dessen Kopf un-
schädlich zu machen.

Taktik: Geschenke machen, den Gegner ködern, sich beliebt machen,


internes Wissen anbieten um ein persönlich und individuell un-
terschiedlich höherwertiges Ziel zu erreichen.

Das wohl spektakulärste Beispiel dieses Strategems bietet der russische Oligarch Michael Chodor-
kowski, der dem russischen Präsidenten Putin Forderungen abringen wollte und von diesem in einem
sibirischen Arbeitslager kaltgestellt wurde.

Nachdem der sowjetische Ministerpräsident Michail Gorbatschov nach seiner Machtübernahme 1985
eine Lockerung der Meinungsfreiheit und Presse durchgesetzt hatte, wurden um 1990 auch erste pri-
vate Unternehmensgründungen erlaubt. Besonders bevorzugt waren die „roten Direktoren“, die
staatliche Betriebe aufgrund ihrer Stellung im Unternehmen in die eigenen Hände privatisierten und
zu Milliardären wurden. Durch ihren Reichtum und der damit verbundenen Macht war es ihnen mög-
lich, auch politische Forderungen zu stellen, die den späteren russischen Präsidenten Putin ein Dorn
im Auge waren. Da diese so genannten Oligarchen jedoch Schlüsselpositionen in Öl-, Medien- und
Schwerindustrien inne hatten, war es ihm nicht möglich, alle gleichzeitig unschädlich zu machen.
Daher wählte er den stärksten, mächtigsten und einflussreichsten Oligarchen aus, und ließ ihn unter
dem Vorwand der Steuerhinterziehung festnehmen, den Prozess machen und für viele Jahre in ein
sibirisches Arbeitslager inhaftieren: den 1963 geborenen Michael Chodorkowski. Andere wiederum
wie Boris Beresowski oder Wladimir Gussinski wurden durch Druck dazu bewegt, ihre Imperien abzu-
treten und als freie Männer ins ausländische Exil zu wandern.

Auch führende Mafiaköpfe sind ebenso stets Ziel italienischer Staatsanwälte, um die sizilianische
Mafia nicht zu mächtig werden zu lassen oder gar auszuschalten, wie es die Drogenbosse für mexika-
nische Staatsanwälte sind.
Seit Jahren wird nach Osama bin Laden gefahndet, um Al Kaida als Gefahr für die Weltsicherheit
auszuschalten.

Der irakische Diktator Hussein und seine korrupte Familie wurde Ziel alliierter Truppen um die USA
und Groß Britannien, die den Irak unter dem Vorwand besetzten, die Iraker stünden unmittelbar vor
der Fertigstellung einer Atombombe.

Ohne ihren Kopf ist eine Organisation oder ein Staat nicht überlebensfähig. Ähnlich wie die Wurzel
einer Pflanze, die nach deren Beseitigung eingeht, geht es auch den Strukturen in einer korrupten
Organisation oder einem korrupten Staat –sie sind leicht zu übernehmen bzw. zu zerschlagen. Wich-
tig ist allerdings, dass man nicht nur die Führungspersönlichkeit beseitigt, sondern auch deren ge-
samte Führungsriege. Bereits Machiavelli schrieb in seinem Buch „Der Fürst“ davon, einen Staat zu
beherrschen, indem es „hinreichend ist, die Familie ihrer vorherigen Beherrscher auszurotten“, was
bekanntlich auch mit der russischen Zarenfamilie während der russischen Revolution passiert ist. In
vorherigen Jahrhunderten ist man nicht sehr zimperlich mit den Adligen umgegangen, wenn man ihr
Land überfallen hat. Nach heutigen Maßstäben wird der „Kopf“ eher in politischer und wirtschaftli-
cher Kaltstellung rollen, als tatsächlich.

Die historische Gegebenheit hinter dem 18. Strategem:

Während der Tang-Dynastie fand die so genannte „An Shih Rebellion“ statt. Jhang Syun war wäh-
rend der Schlachten siegreicher General über die Rebellen. Doch obwohl sie erhebliche Verluste er-
litten und dezimiert waren, weigerten sie sich, aufzugeben und den Widerstand abzubrechen. Jhang
Syun war als brillianter Stratege bekannt und erkannte schnell, dass eine Niederwerfung des Auf-
standes nur dadurch möglich war, indem er den Rebellenführer namens Yin Ji Zih tötete.

Allerdings war es dem General nicht bekannt, wer jetzt der Rebellenführer war. So entschloss er
sich zu einer List: Er ließ aus getrockneten Weizenhalmen spitze Pfeile fertigen und sie auf die Re-
bellenarmee abfeuern. Diese erkannte die Unwirksamkeit dieser als Waffe und sammelten sie la-
chend auf, um sie ihrem Führer zu zeigen. So liefen die Bogenschützen mit den Weizenhalm-Pfeilen
in das Lager zurück, um deren Führer Yin Ji Zih Bericht zu erstatten.
General Jhang Syun ließ diese „Truppenbewegungen“ unbemerkt beobachten und seine eigenen Bo-
genschützen in Stellung bringen, um auf diejenige Person Pfeile zu schießen, der die Weizenhalm-
pfeile gezeigt würden. So traf ein „richtiger“ Pfeil den gegnerischen General im linken Auge und
verwundete ihn so sehr, dass die Rebellen führerlos auseinanderliefen und von der Armee des Gene-
rals Jhang Syun besiegt werden konnten.
19. Strategem

Das Feuerholz unter dem Kessel stehlen

Katego- Listen für Scheinangriffe und wirre Situationen


rie:

Sinnhaf- Um das Unkraut zu beseitigen muss man es mit der Wurzel ent-
tigkeit: fernen

Strate- Die Grundlage des Gegners zerstören und sich seiner Stärke
gemziel: nicht widersetzen. Dieses Strategem ist anzuwenden, wenn der
Gegner im Vorteil ist und man seine Ressourcen erschöpfen und
seine Moral schwächen will.

Taktik: Wenn der Gegner mächtig und stark ist, sollte man sich nicht
mit ihm anlegen, sondern seinen wunden Punkt suchen um die-
sen systematisch zu bearbeiten.

Um Forderungen von Arbeitnehmervertretungen gegen starke Arbeitgeber durchzusetzen, treten


nicht alle Mitarbeiter in den Streik, sondern nur einige Schlüsselbereiche, wie beispielsweise Kraft-
fahrer, die Nachschub in die Werke bringen müssen. Auch Zulieferbetriebe der Automobilindustrie
werden bestreikt, weil Fahrzeuge bereits nicht ausgeliefert werden können, wenn nur kleine Teile
fehlen. Da bereits bis zu 70 Prozent eines Personenwagens mit Teilen von Zulieferbetrieben zusam-
mengebaut werden, gibt es hier viel Potenzial.

Auch im öffentlichen Dienst wird oft zuerst die Müllabfuhr bestreikt, weil der Müll auf der Straße am
offensichtlichsten ist. Reicht das nicht aus, sind die Kindergärten und die Schülerhorte dran. Nach
dem „Daumenschrauben“-Prinzip werden die Maßnahmen immer mehr gesteigert. Am ersten Tag
bleibt der Müll liegen. In der kommenden Woche zwei und in der dritten Woche drei Tage. Beson-
ders infektiöse Abfälle aus Krankenhäuser werden entsorgt. Doch der Müll in Gegenden mit wohlha-
benden Bewohnern führt gerade in heißen Tagen zu unerwünschten Geruchsbelästigungen und in der
Folge zu Protesten bei der Stadtbehörde. Diese knickt dann nach einiger Zeit ein und ist erneut zu
Verhandlungen und Zugeständnissen bereit.

Sich mit einem starken Gegner anzulegen ist potenziell immer gefährlich und sollte wohl durchdacht
sein. Diese Erkenntnisse durften auch die spanischen Fluglotsen im Dezember 2010 erfahren, als sie
für die Durchsetzung ihrer Forderungen in einen wilden Streik traten. Die Folge war ein weitgehen-
des Zusammenbrechen des Flugverkehrs über dem Urlaubsland Spanien. Erst als das Militär eingriff
und die Fluglotsen an ihre Arbeitsplätze zwang, konnten die etwa 300.000 festsitzenden Passagiere
in ihre Heimat zurückgeflogen werden. Die spanische Regierung hatte Härte gezeigt und die Fluglot-
sen unter Militärrecht gestellt. In der Folge konnten Fluglotsen wegen Befehlsverweigerung in einem
militärischen Schnellverfahren zu langjährigen Haftstrafen verurteilt werden.

Die historische Gegebenheit hinter dem 19. Strategem:

Im vierten Jahr der Regierungszeit des Kaisers von Han, der Sian-Jian-An-Periode, stand dessen Ge-
neral Cao Cao dem starken Land Yuan Shao gegenüber. Im Jahr darauf fochten beide Länder die
Schlacht am Yang Wu aus. Allerdings war Cao Cao’s Armee viel kleiner, als die 100.000-Mann zäh-
lende Armee von Yuan Shao. Außerdem waren die Truppen von Cao Cao müde, schlecht versorgt und
die Nahrungsmittel waren knapp. Eine denkbar schlechte Ausgangslage für Cao Cao. Während dieser
zeit gab es unerwartet einen Überläufer zu Cao Caos‘ Truppen mit dem Namen Syu You, der bis da-
hin Berater in Yuan Shao war. General Cao Cao befragte ihn nach einer Strategie, wie er gegen Yuan
Shao gewinnen könne. Einen Frontalangriff schloss er von vorne herein aus und forderte einen listi-
gen Plan. Syu You sah die beste Strategie im Angriff auf die Lebensmittel- und Waffenvorräte des
Gegners. Sie seien leicht zu erreichen und schwach bewacht. So sandte Cao Cao einen Trupp Solda-
ten in das feindliche Land, um die Vorratslager in Brand zu setzen.

Während die Flammen an verschiedenen Orten lichterloh in den Himmel stoben, versuchten die Sol-
daten den Brand zu löschen. Doch der unorganisierte Abzug und Verteilung der Rettungskräfte an
verschiedenen Orten schwächte die gesamte Armee, so dass es für Cao Cao ein Leichtes war, die
zahlenmäßig überlegene Armee von Yuan Shao zu schlagen und die Regierung von Yuan Shao zu stür-
zen.
20. Strategem

Fische im trüben Wasser fangen

Katego- Listen für Scheinangriffe und wirre Situationen


rie:

Sinnhaf- Das Unglück Anderer zum eigenen Vorteil ausnutzen


tigkeit:

Strate- In misslichen Zeiten bieten sich immer wieder Gelegenheiten


gemziel: zum eigenen Vorteil. Es gilt, das Beste aus einem Unglück her-
auszuholen oder von absichtlich herbeigeführten Unglücksfällen
zu profitieren.

Taktik: Wenn der Gegner schwach, hilflos und orientierungslos ist, die
Situation zu eigenen Gunsten ausnutzen

Er aber sprach zu ihnen:


„Wo das Aas ist, da sammeln sich auch die Geier. „

Bibel, Lukas 18, Vers 37

Um einmal mehr hervorzuheben: Die 36 Strategeme sind KEINE Aufrufe zu kriminellen Handlungen,
sondern lediglich Metaphern, wie Situationen des täglichen Lebens Vorteile verschaffen, ungeachtet
ethischer oder moralischer Grundsätze. Das Ziel dieser Arbeit besteht also darin, den Sinn für derar-
tige Situationen zu schärfen. Daraus folgt, dass man entweder alles tut, um einen eigenen Unglücks-
fall gar nicht erst entstehen zu lassen oder aus dem Unglück Anderer Vorteile zu erzielen.
Wer will schon einen Unfall erleiden oder Bankrott gehen? Niemand. Trotzdem gibt es immer wieder
Situationen, die gewissenlose Mitbürger zum eigenen Vorteil ausnutzen. Manche Situationen kann
man nicht oder nur wenig beeinflussen. Doch wer durch eigenes Verschulden einen Unfall erleidet
und unter Schock steht, muss sich nicht wundern, wenn während der Rettungsmaßnahmen die Geld-
börse, das Mobiltelefon oder der Minicomputer entwendet wird. Durch eine umsichtige und defen-
sive Fahrweise kann man also dazu beitragen, selbst verschuldete Unglücksfälle zu vermeiden.

Wenn der Gegner schwach, hilflos und orientierungslos ist, gibt es immer wieder Menschen, die
diese Situationen auszunutzen verstehen. So sind so genannte Kriegsgewinnler oder Schnäppchenjä-
ger immer wieder Beispiele für Personen, die Wirren des eigenen Vorteils willen ausnutzen. Gerade
in Literatur, die den Zweiten Weltkrieg beschreibt oder in dessen Folge entstanden sind, gibt es Ge-
schichten über Kriegsgewinnler, die die aufgelösten Strukturen im niedergeschmetterten Deutsch-
land zu ihrem Vorteil nutzten. So wird im Roman „Hurra, wir leben noch!“ von Johannes Mario Sim-
mel die Geschichte des Jakob Formann beschrieben, der aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft
zurück nach Linz in Österreich kommt und dort als Dolmetscher für die US-amerikanische Armee ar-
beitet. Dort nutzt er seine neuen Kontakte, um sich selbstständig zu machen: Er ergaunert sich bei
den Amerikanern 40.000 angebrütete Eier und schafft daraus eine Hühnerfarm. In schnellen Schrit-
ten steigt Formann daraufhin zum erfolgreichen Konzernchef der jungen Bundesrepublik auf.

Wer kennt sie nicht, die professionellen „Haushaltsauflöser“ und „Schnäppchenjäger“, die nach To-
desfällen und Konkursen die verbleibenden irdischen Güter zu geringen Preisen aufkaufen, um sie
später teuer wieder zu verkaufen? So manches seltene Porzellan wurde dabei unter Wert abgege-
ben, weil man sich wegen seines Schmerzes nicht die Mühe mehr machen wollte, alles genau unter-
suchen und schätzen zu lassen. Ganze Büroeinrichtungen, erst neu angeschafft, wurden zu einem
Bruchteil des ursprünglichen Preises abgegeben.
Manche börsenorientierte Unternehmen wurden systematisch in den Bankrott getrieben, nur weil
sich in der Konkursmasse begehrte Patente befunden haben, die dann zu einem Ramschpreis mit
übernommen und anschließend teuer verkauft wurden.

Auch die Schwäche von verschuldeten Staaten (z. B. Griechenland, Irland, Portugal, Spanien) führt
dazu, dass Spekulanten auf sinkende Kurse wetten und diese Staaten systematisch noch weiter in ihr
Unglück stürzen lassen und um so mehr daran verdienen, je größer das „Unglück“ ist. In den Wirren
dieser Zeiten müssen Entscheidungen getroffen werden, die oftmals nicht genug durchdacht sind
und dann zu noch größeren Unglücken führen.

Wer gerade in Zeiten der internationalen Finanzkrise in Gold investiert hat, hat aus der weltweiten
Verunsicherung viel Geld gewinnen können. Denn gerade Gold ist eine Ersatzwährung in Zeiten gro-
ßer Verunsicherung. Doch Gold alleine wirft keine Zinsen ab, sondern steigt oder fällt im Wert. Ge-
winner sind die, die zuerst investiert haben und deren Depotwerte ins Unermessliche gestiegen sind,
während diejenigen, die erst spät oder sogar zu spät eingestiegen sind, bei sich entspannender Wirt-
schaftslage und dem damit verbundenen Kursrückgang der Goldpreise weiter ins Unglück stürzen
könnten.

Dieses Strategem bedeutet also, im „aufgewühlten Wasser“, also in Zeiten von unglücksbedingter
Orientierungslosigkeit, zu fischen, um sich diese allgemeine Lage von Verwirrung und Chaos zunutze
zu machen.

Die historische Gegebenheit hinter dem 20. Strategem:

Einmal schickte Jin Wu Di eine Armee von zweihunderttausend Soldaten, um das Land Wu anzugrei-
fen. Die Armee wurde vom großen General Du Yu angeführt. Als die Armee die Stadt Yue Siang bela-
gerte, die direkt neben dem Fluss Jangtse lag, setzte dessen Befehlshaber Jhou Shih mit einer Be-
gleitung von zweihundert Reitern, die in den Uniformen der feindlichen Wu-Soldaten des nachts
über den Fluß. Außerhalb der Stadt legten sie sich in einen Hinterhalt.

Am folgenden Tag führte der General der verteidigenden Stadt Sun Sin seine Armeen außerhalb der
Stadtmauern gegen die Belagerer aus Jin. Die Schlacht ging verloren und die Wu-Armee besetzte die
Stadt, in der an mehreren Stellen Feuer loderten. Um keine Brandruinen zu erobern, begann die Ar-
mee damit, die Feuer zu löschen.
Zwischenzeitlich hatten sich die 200 Reiter, die nachts über den Fluß gekommen waren, unter die
feindlichen Soldaten aus Wu gemischt. Im Chaos der Schlacht ritten sie zurück zum Hauptquartier
der Armee von Wu, überwältigten dort deren Führer Sun Sin und nahmen ihn lebend gefangen. So
geschah es, dass nunmehr Jin Wu Di innerhalb von fünf Monaten vom kleineren und schwächeren
Land Wu erobert wurde.
21. Strategem

Die Zikade streift ihren goldenen Panzer ab

Katego- Listen für Scheinangriffe und wirre Situationen


rie:

Sinnhaf- Den Gegner durch falschen Schein in die Irre führen oder den
tigkeit: Schein wahren, um die eigene Macht zu erhalten

Strate- Die Zikade streift ihre Larvenhülle ab, die im Sonnenlicht gol-
gemziel: den glänzt. Die Aufmerksamkeit des Gegners liegt auf dem
Glanz der leeren Hülle, während sich die Zikade bereits davon
gemacht hat

Taktik: Einen falschen oder verwirrenden Eindruck schaffen, um sich


dem Zugriff des Gegners zu entziehen oder durch die abge-
lenkte Aufmerksamkeit einen Angriff auf Dritte vorzunehmen.

Bewahre mich vor dem naiven Glauben, es müsse im Leben alles glatt gehen.
Schenke mir die nüchterne Erkenntnis, dass Schwierigkeiten, Niederlagen, Miss-
erfolge, Rückschläge eine selbstverständliche Zugabe zum Leben sind, durch
die wir wachsen und reifen.

Antoine de Saint-Exupéry, französischer Humanist und Schriftsteller,


1900 – 1944

„Schatz, es ist nicht so, wie es scheint!“ lautet eine oft benutzte Redewendung, wenn man auf fri-
scher Tat bei einer illegalen oder moralisch verwerflichen Situation ertappt wurde. Und damit so
etwas nicht passiert, weil man die daraus entstehenden Folgen tragen muss, verwendet der Listige
von vorne herein einen „goldenen Zikadenpanzer“, um von dem eigentlichen Vorhaben abzulenken.
Und dieses Strategem wird natürlich nicht nur gegen „Schatz“ angewandt, sondern auch gegenüber
dem Chef, dem Konkurrenten, dem Finanzamt etc.
Da wäre die angebliche Dienstreise in eine andere Stadt, um sich zu einem „konspirativen Treffen“
mit einer anderen Firma oder Person zu treffen. Die Dienstreise wird vorgeschoben, weil man sein
Vorhaben vor dem Hintergrund einer anderen, augenfälligen Aktivität verbergen will.

Wer im Außendienst arbeitet, kann einen entfernt gelegenen Kundentermin als Vorwand nehmen,
einen privaten Besuch am Ziel oder auf dem Weg dorthin vorzunehmen.

Wer sich bei einem fremden Unternehmen bewerben will, kann einen Dienstgang, eine Dienstfahrt
oder einen Urlaubstag dazu verwenden, um sich unauffällig einen neuen Dienstherrn zu suchen.

Agenten, das sind die Klassiker, täuschen eine familiäre, solide und bodenständige Existenz vor,
während sie im Untergrund agieren und um Geheimnisse auszuforschen versuchen.

Es soll ein Schein erweckt werden, um eigene Aktivitäten ungestört planen und durchführen zu kön-
nen. Der Kern dieser Strategie besteht darin, den Gegner durch Schein zu täuschen.

Die historische Gegebenheit hinter dem 21. Strategem:

Im Jahr 1206 n. Chr. schickte der Kaiser der Song Dynastie eine Armee gegen den Staat Jin. Dieser
Gegner war jedoch deutlich mächtiger als erwartet und so zeichnete sich eine Niederlage ab. Daher
beriet sich Bi Zai Yu, der General von Song, mit seinen Beratern und fragte, wie man sich ohne Nie-
derlage zurückziehen könnte.

Einige Zeit später war die Lösung gefunden und er erteilte drei Befehle: Erstens werden keine Flag-
gen eingezogen, zweitens werden keine Zelte abgebaut und drittens dürfen die Schlachttrommeln
nicht aufhören zu schlagen. Als alles geregelt war, befahl Bi Zai Yu den Rückzug im Schutze der
Nacht.

Während der nächsten Tage war es still im Lager von Song, mit Ausnahme der Trommeln, die uner-
müdlich schlugen. Doch der Gegner wurde misstrauisch, weil im Lager keinerlei Bewegung zu ver-
nehmen war. So schickte er einen Späher ins Lager, um herauszufinden, was sich dort abspielen
würde. Als der Späher mit der Nachricht zurück kam, dass das Lager völlig leer sei, fragte er nach
dem Grund der Trommelwirbel. Er schickt diesmal eine Gruppe von Soldaten, um von hinten in das
Lager einzudringen, um den Grund zu erforschen. Als die Soldaten zurückkamen, berichtete sie ih-
rem General: Der gegnerische General Bi Zai Yu hatte mehrere Ziegen fangen und an den Hinterbei-
nen so hoch an einen Baum binden lassen, dass ihre Füße gerade noch den Boden berühren konnten.
Um sich zu befreien, schlugen sie mit ihren Vorderhufen auf den Boden, auf dem der General Trom-
meln hatte auslegen lassen. Auf diese schlugen nun die Vorderbeine der Ziegen und verursachten
diesen „tierischen Trommelwirbel“.
22. Strategem

Die Türe schließen und den Dieb fangen

Katego- Listen für Umzingelungs-, Einkreisungs- bzw. Einkesselungen


rie:

Sinnhaf- Den schwächeren und ungefährlicheren Gegner in eine schwie-


tigkeit: rige oder ausweglose Situation bringen

Strate- Einen unterlegenen "Dieb" (Gegner) so einengen, umzingeln, ein-


gemziel: kesseln, dass es mit minimalem Aufwand an Energie und Perso-
nal erfolgt und entschlossen zugreifen, wenn der Moment opti-
mal gekommen ist - ihn also sprichwörtlich "schachmatt setzen".

Taktik: Den Gegner in eine Situation bringen, die für ihn ausweglos ist,
also in eine Falle locken, die für ihn unentrinnbar ist und keiner-
lei Fluchtmöglichkeit mehr bietet.

Sunzi / Sun Wu (um 544 v. Chr.- † um 496 v. Chr.)

Wenn Du den Feind und dich selbst kennst, brauchst du den Ausgang von hun-
dert Schlachten nicht zu fürchten.

Es gibt Strategeme für "jede Gelegenheit" und insbesondere für die "großen Schlachten", die ge-
schlagen werden müssen. Weniger spektakulär ist das Fangen eines Diebes und somit auch der damit
zu betreibende Aufwand. Je kleiner der Dieb, um so geringer auch der Erfolg bei seiner Ergreifung.
Also muss er mit möglichst geringen Mitteln ergriffen werden können. Hat man ihn jedoch in der
Falle, ist Zögern und Zaudern tödlich und kann einen großen Fehler bedeuten: Nämlich wenn der
vermeintlich schwächere Dieb sich stärkt und dann auf Rache sinnt. Um ihn schachmatt setzen zu
können, müssen wir ihn in eine Umgebung locken, in der wir die Türen und Tore hinter ihm ver-
schließen und sämtliche Fenster verrammeln können. Da dies natürlich nur im übertragenen Sinne
zu verstehen ist, locken wir ihn selbstverständlich in eine mentale Falle, aus der es kein Entrinnen
mehr gibt.

Man muss allerdings bedenken, dass sich der aktuell schwächere Gegner nicht so ohne Weiteres in
die Falle locken lässt. Daher ist ein kluges und seinem Wesen, seiner allgemeinen Umstände und sei-
ner Gemütsverfassung Handeln erforderlich, um ihm nicht die Chance zu geben, sich zu erholen und
nach Rache sinnend zurück zu schlagen. Kalkulieren wir daher besser auch seinen Standpunkt, seine
Wünsche und Ängste mit ein, um gleich mit einem Streich erfolgreich zu sein. Ist der "Dieb" in der
Falle und haben wir sie zuschnappen lassen, dürfen wir ihm keinerlei Chance zur Gegenwehr mehr
geben, keine Luft zum Atmen und müssen seine Unterlegenheit mit absoluter Gewinnmentalität
überwältigen - eine für den Triumph ganz wesentliche Voraussetzung. Ist der Gegner stärker als wir,
müssen wir seine Kräfte teilen und ihn somit in der Gesamtheit schwächen und ihn dann schlagen.

Wir wissen, dass Menschen und Tiere, die sich in die Enge getrieben fühlen, unerhörte Kräfte mobili-
sieren können, um sich aus der Bedrängnis zu befreien. Lassen Sie es nicht zu und verriegeln alle
Schlupflöcher wie das Gitter vor dem Käfig, in dem der Löwe in der Falle sitzt und höchstens Fau-
chen kann. Sieht der Gegner auch nur die geringste Chance zum Entkommen, wir er wie ein Löwe
weiterkämpfen und sich erst ergeben, wenn es keinerlei Rettung oder Ausweg für ihn mehr gibt.

Lassen wir ihn entkommen und sammelt er seine Kräfte, wir er auf Rache sinnen und zurückschla-
gen, sobald er die Chance dazu sieht. Möglicherweise schlägt er dann zu, wenn wir selbst nicht auf
der Höhe sind und bedauern den Moment des zaghaften Zauderns.

Die historische Gegebenheit hinter dem 21. Strategem:

Während der Regierungszeit der Kaiserin Wu Ze Tian in der Tang-Dynastie gabe es zwei Minister, die
Lai Chen Juni und Jhou Sing hießen und von der Kaiserin begünstigt wurden. Ihr Auftrag war es, be-
sonders effektive Folterinstrumente und -techniken zu entwickeln, um ihre Gegner "gesprächig" zu
machen. Um die Effektivität ihrer Methoden zu überprüfen, wurden auch unschuldige Zivilisten und
Beamte gefoltert, bis sie dem Scherz erlegen waren und falsche Geständnisse ablegten.

Eines Tages erfuhr die Kaiserin von einem geplanten Aufstand ihres Ministers Jhou Sing. Sie ließ den
anderen Minister Lai Chen Juni zu ihr kommen und befahl im, nicht nur den abtrünnigen Minister zu
verhaften, sondern auch heraus zu bekommen, wer sonst noch hinter dem Komplott stecke. Dieser
Auftrag brachte Chen Lai Juni in Verlegenheit, denn sie waren nicht etwa Freunde, sondern auch
Jhou Sing war ein Experte auf dem Gebiet der Foltermethoden und würde bestimmt nicht einfach
sein, ihm die entsprechenden Geheimnisse zu entlocken und ihn zu entlarven.

So lud Chen Lai Juni seinen ahnungslosen Ministerkollegen zu einem Abendessen ein, um ihn um ei-
nen Rat zu fragen und wickelte ihn in ein Gespräch zur allgemeinen Politik ein. Das Gespräch nahm
seinen geplanten Verlauf, als Chen Lai Juni erwähnte, dass die Kriminellen der jüngsten Vergangen-
heit immer aufgeklärter seien und sich trotz der bislang bewährten Methoden der jeweiligen Folter
entziehen konnten, ohne das gewünschte Geständnis zu offenbaren und ob Jhou Sing nicht einen
Vorschlag für eine effiziente Folter hätte. "Oh ja", erwiderte Jhou Sing sichtlich erfreut über das In-
teresse seines Kollegen, "wir testen gerade eine völlig neue und sehr effektive Methode, die jeden
gesprächig machen würden: Man setze ihn in ein großes Gefäß mit Wasser, zünden ein Feuer darun-
ter an und warten auf seine Gesprächigkeit. Ab einer bestimmten Hitze spricht jeder, das versichere
ich Ihnen!" plauderte sich Jhou Sing um Kopf und Kragen.

Lai Chen Juni war höchsterfreut und klatschte in die Hände - doch nicht etwa vor Freude, sondern
weil seine dienst hinein kamen, die Fenster und die Tür verriegelten und mit einem Topf voller Was-
ser sowie einer Feuerstelle hineinkamen und es zum Kochen brachte. Als es so schön dampfte
wandte sich Lai Chen Juni an Jhou Sing und sagte zu ihm: "Wir haben Dich im Verdacht, einen Kom-
plott gegen unsere Kaiserin zu schmieden. Bekenne dich und Mittäter oder ich sehe mich gezwun-
gen, Dich in dieses heiße Gefäß zu werfen und zu warten, bis Du redest!" In dieser Situation und an-
gesichts der vor ihm stehenden schmerzhaften Folter gestand Jhou Sing, verriet seine Mitwisser und
wurde mit ihnen gemeinsam auf weniger schmerzhafte Weise hingerichtet.
Hier sah Jhou Sing keinerlei Chance mehr, sich aus dem Würgegriff der (Folter-)Argumente zu ent-
winden und konnte das Fehlverhalten nur noch zugeben und seine Strafe empfangen.
23. Strategem

Sich mit Partnern aus der Ferne verbünden,


um seinen Feind in der Nachbarschaft anzugreifen.

Katego- Strategem der temporären Fernfreundschaft / Fernbündnis, He-


rie: gemonie-Strategem

Sinnhaf- Zweckfreundschaften mit dem Ziel knüpfen, diese Freundschaft


tigkeit: nur so lange aufrecht zu erhalten, bis andere, naheliegende Ziele
erreicht sind.

Strate- Muss man eines großen Sieges wegen viele kleine Einzelsiege er-
gemziel: ringen, so muss man sich den stärksten und am weitesten ent-
fernten Gegner zum Freund machen. Anschließend wendet man
sich den vielen kleinen Gegnern zu und vernichtet diese. Ge-
schickt angewandt merkt der ferne Freund erst spät, dass sich
die Schlinge um seinen Hals immer fester zuzieht, bis es für ihn
zu spät ist. Durch die kleinen Siege ist die eigene Position so sehr
gestärkt, dass man dem fernen Feind ebenbürtig oder sogar
überlegen geworden ist.

Taktik: Zunächst strategische Freundschaften knüpfen, dann kleine Geg-


ner / Konkurrenten aufkaufen, einverleiben oder in den Ruin
treiben, um sich am Ende gegen den strategischen Freund zu
wenden und ihn vernichtend zu schlagen und ihn in sein eigenes
Reich einzuverleiben.

Meine Tochter ist 14 Jahre alt und in einem anstrengendem Alter: Der Pubertät. Es gibt so ziemlich
drei Themen, um das sich alles rankt: Wie sehe ich aus? Was halten die Anderen von mir? Wie süß ist
der Typ denn da?? "Lecker" gurrt sie noch und ich erkenne mein Baby gar nicht mehr wieder. Und
weil wir sehr offen miteinander umgehen, erzählt sie mir auch Dinge, die kaum ein Erwachsener von
seinen Kindern je hören würde: Sie erzählt über ihr Gefühlsleben und wie sie oder ihre Freundinnen
den Typen anbaggern, der ihnen gerade gefällt. Dass ich es mir mittlerweile abgewöhnt habe, mir
alle Namen zu merken, versteht sich von selbst. Doch eines ist hängen geblieben: Die Taktik, mit
der die Kids heute vorgehen: Können sie den Herzbuben nicht im Frontalangriff erobern, greifen sie
zur List: Sie machen dem Kumpel vom Herzbuben vorerst schöne Augen und freunden sich mit ihm
an. Dabei ist Händchen halten im Kino das höchste der Gefühle, am will ja nicht in eine bestimmte
Ecke gedrängt werden und riskiert seinen guten Ruf nur ein wenig. Ziel der Begierde ist natürlich
der Kumpel vom Kumpel, also der Herzbube. Und über den Kinobesuch bekommt man Zugang zu Cli-
que und nicht selten auch zum Herzbube-Herzen. Soweit die Pubertät.

Im Wirtschaftsleben ist es ähnlich. Man hat das große Ziel der Übernahme eines mächtigen Gegners,
an dem man sich im Frontatlangriff so verschlucken würde, wie Porsche an Volkswagen oder die
Schaefflers an der Continental AG. Mit diesem 23. Strategem kann man einen vorerst übermächtigen
Gegner nur durch strategische Bündnisse herausfordern und in die Knie zwingen. Dazu ist eine
gründliche Vorplanung erforderlich, denn wenn wir uns auf das übermächtige Terrain begeben, ohne
Asse im Ärmel zu haben, geraten wir ins direkte Visier und kämpfen auf fremdkontrolliertem Ge-
biet, gehen unkalkulierbare Risiken ein und binden Kräfte, die an anderer Stelle viel besser einge-
setzt wären. Klüger wäre es also, den Partner der Begierde mit freundschaftlichen Kooperationsan-
geboten einzulullen und jegliche Übernahmeabsicht zu verschleiern. Möglicherweise sichern wir uns
deren Unterstützung oder im schlechtesten Fall deren Neutralität, was einem direkten Gegner mög-
liche Bündnispartner nimmt. Konzentrieren wir uns also auf den direkten Gegner und isolieren ihn in
unserer direkten Nachbarschaft. Diese könnten Zulieferer von Ersatzteilen, Rohstoffen, aber auch
Patente oder zugehörige Firmen sein, die mit dem gewünschten Übernahmekandidaten in einem di-
rekten Geschäftsverhältnis stehen.

Ein Beispiel dieser Art liefert der französische Unternehmer und Absolvent der französischen Elite-
Universität und Karriere-Schmiede Polytechnique Claude Bébéar. Er schuf aus dem kleinen provinzi-
ellen Versicherungsverein "Mutuelles Unies" den größten Versicherungskonzern der Welt: Der AXA-
Versicherung durch eine Reihe von Zukäufen in Europa. In der Regel waren die Zukäufe deutlich grö-
ßere Unternehmen, bis sich Bébéar an einen ganz großen Brocken machte - aber davon später..
1980 lag der Umsatz der von ihm geführten Unternehmen 150 Millionen Euro - als er 20 Jahre später
den Stab an Henri de Castries übergab, waren es 75 Milliarden Euro, 2010 sogar 90 Milliarden Euro.
AXA verwaltet ein Vermögen von 1,1 Billion Euro (Stand: 31. Dezember 2010) und das Ergebnis der
operativen Geschäftstätigkeit betrug 2010 rund 3,9 Milliarden Euro (Quelle: Wikipedia). So wagte er
1991 die Übernahme des US-Versicherungsvereins "Equitable Life", seinerzeit die Nummer fünf der
USA und damals am Rande der Pleite befindlich. Der erfolgreiche Unternehmer Bébéar schaffte die
Wende und machte aus dem Versicherungsverein eine profitable Aktiengesellschaft. Fünf Jahre spä-
ter übernimmt die AXA die deutlich größere UAP und wird zur Nummer eins in Europa. Mit im Paket
der UAP befanden sich auch zwei traditionsreiche deutsche Erst- und Industrie-Versicherer: Die Co-
lonia-Versicherung und die Nordstern-Versicherung, die der AXA (die während einer Übergangszeit
AXA-Colonia hieß) den breiten Zugang zum deutschen Markt ermöglichte. Ausgestattet mit einer
breiten Finanzbasis konnte die AXA in Deutschland auch die Albingia-Versicherung kaufen und gab
2006 den Kauf der schweizerischen Winterthur-Versicherung von der Credit-Suisse für 7,9 Milliarden
Euro bekannt.

Wer also ein großes Ziel hat, eine große Geschäftsidee hat und sich an den ganz Großen reiben will,
sollte sich dieses 23. Strategem einmal genauer betrachten. Für dieses Strategem gibt es eine Viel-
zahl von Beispielen, die hier im Laufe der Zeit erarbeitet und vorgestellt werden.

Die historische Gegebenheit hinter dem 23. Strategem:

Gegen Ende der Zeit der "Streitenden Reiche" hatte sich die politische Lage so entwickelt, dass es
nur noch sieben ernst zu nehmende Reiche in China gab. Das Land war aber nicht geeint, so dass in
der Zeit von 359 - 350 v. Chr. von Shang Yang, einem bedeutenden chinesischem Staatsmann, Refor-
men eingeleitet wurden, die den Staat Qin von Tag zu Tag stärker werden ließen. Gemeinsam mit
Herzog Xiao führte er eine Reihe legalistischer Reformen durch, die Qin zu einem mächtigen zentra-
lisierten Land machten. Die Förderung des Militärs und die Erhebung des Angriffskriegs zur Staats-
pflicht führte Unweigerlich dazu, dass der spätere König Cin Jhao in Planungen überging, die sechs
verbleibenden Reiche zu erobern, um China zu vereinen. Erstmalig in Chinas Geschichte lag es greif-
bar nahe, ein einheitliches Reich zu bilden. Im Jahr 270 v. Chr. wollte König Cin Jhao das Land Ci
direkt erobern, doch sein Premierminister Fan Suei riet von dieser Strategie ab. Vielmehr präsen-
tierte er König Cin Jhao eine List, sich mit dem stärksten und weitesten entfernten Gegner anzu-
freunden und die Nachbarländer direkt anzugreifen.

Unter den sechs verbleibenden Ländern war Ci das stärkste und am weitesten weg von Qin. Statt
also Ci anzugreifen und dazu die dazwischen liegenden Länder durchqueren zu müssen, entschied
man sich, zunächst die Freundschaft von Ci zu suchen und damit dieses Land vorläufig zum Schwei-
gen zu bringen. Statt also durch die Gebiete Han und Wei zu marschieren und dabei auf Widerstand
zu stoßen, entschied man sich, die Truppen zu schonen, ein Nachbarland nach dem anderen anzu-
greifen und in das Reich Qin einzuverleiben. So verschob sich die Grenze von Qin langsam Richtung
Ci, das sich ob der Freundschaft zu Qin sicher wähnte. Vielmehr erklärte es die Feinde Qin zu Fein-
den Ci, so dass auch hier keine Verstärkung und Unterstützung der angegriffenen Länder zu erwar-
ten war.

Es folgten in der Geschichte Chinas einzigartige Feldzüge, die am Ende zur Einheit Chinas führten:
230 v. Chr. Eroberung von Han, 225 v. Chr. von Wei, gefolgt von der Eroberung von Chu in 223 v.
Chr. Es folgte 222 v. Chr. Zhao und Yan, bis 221 v. Chr. Qi, der letzte Verbündete fiel. Am Ende der
Schlachten und Eroberungen und innerhalb von nur 10 Jahren waren alle Gegner Qins besiegt und in
das Reich einverleibt.
24. Strategem

Die Durchreise zum Angriff auf Guo nutzen.

Katego- Doppelziel-Strategem, Endziel-Verschleierungsstrategem


rie:

Sinnhaf- Wer zwei Feinden gegenübersteht, sollte sie nacheinander an-


tigkeit: greifen und sich dabei den zweiten Feind zunutze machen.

Strate- Will jemand ein bestimmtes Ziel erreichen und hat dabei zwei
gemziel: Gegner, die wiederum miteinander in Konkurrenz stehen oder
verfeindet sind, so greift man den ersten Feind an und nutzt da-
bei die gemeinsame Gegnerschaft, den zweiten Gegner zu Taten
zu veranlassen, die ihm später zum Verhängnis werden

Taktik: Einer der (beiden oder weiterer) Gegner wird zu etwas veran-
lasst, das dem gemeinsamen Feind schaden, schwächen oder ver-
nichten hilft. Der Helfende wird gerne helfen, weil er dazu bei-
tragen kann, einen Feind oder Konkurrenten aus dem Wege zu
räumen (selbstverständlich nicht physisch, sondern im übertrage-
nen Sinne).

Die historische Gegebenheit hinter dem 24. Strategem:

Während der Frühlings- und Herbst-Periode grenzten die kleinen Staaten Yu und Guo am größeren
Staat mit dem Namen Jin. Jin trachtete schon längere Zeit danach, diese beiden Nachbarstaaten zu
annektieren und suchte nach Möglichkeiten dazu.

Eines Tages schickte der König von Jin, Jin Sian Gong, eine Delegation mit Geschenken, schönen
Pferden und Schmuck nach Yu, um den Herzog von einem Geschäft zu überzeugen: Jin beabsichtigte
nämlich, den Staat Guo anzugreifen und erbat einen freien Durchzug durch das Lang Yu. Als Lohn
würde der Herzog alle die mitgebrachten Geschenke erhalten und damit ein stolzer und reicher
Fürst sein. Der eitle Herzog von Yu nahm das Angebot an und entsandte sogar Truppen, die den rich-
tigen Weg zum gemeinsamen Feind zeigten und die feindliche Armee anführte. In der Folge wurde
die ahnungslose Stadt Sia Yang angegriffen und ohne Widerstand erobert.

Drei Jahre später bat Jin den Herzog von Yu um denselben Dienst, weil er nun das gesamte Land
Guo erobern wollte. Dessen Berater mit dem Namen Gong Jhih Ji warnte den Herzog und riet ihm,
diesen Wunsch abzuschlagen und sagte: "Yu ist für Guo wie die Lippen für die Zähne: Ohne Lippen
werden die Zähne der Kälte ausgesetzt, schmerzen und fallen aus!" Der kluge Beamte erläuterte
dem Herzog die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Yu und Guo und hoffte, dass der Herzog von Yu
den Durchmarsch der Truppen verweigern würde. Stattdessen sollte man lieber das Land Jin mit
dem Land Guo zusammen bekämpfen. Doch trotz der Warnung von Gong Jhih erteilte der Herzog
von Yu die Erlaubnis des Durchmarschs durch sein Land. Damit war sein Todesurteil gefällt, denn es
trat ein, was der Beamte Gong Jhih vorhergesehen hatte, der zwischenzeitlich mit seiner Familie in
ein anderes Land geflohen war.

Tatsächlich wurde Guo binnen eines Jahres von Jin erobert. Auf dem Rückweg durch Yu folgte ein
Überraschungsangriff auf das ahnungslose Gastland. Durch die Leichtgläubigkeit von Yu wurde es
von Jin erobert. Der Herzog von Yu wurde vor ein Gericht gestellt, das ihn zum Tode verurteilt.
Kurze Zeit später rollte sein Kopf...
25. Strategem

Die Firstbalken stehlen und Stützpfeiler ersetzen

Katego- Aushöhlungs-Strategem, Entkernungs-Strategem


rie:

Sinnhaf- Etwas die Seele nehmen, aber den Körper intakt lassen.
tigkeit:

Strate- Im übertragenen Sinne die "Firstbalken und "Stützpfeiler" des


gemziel: Gegners angreifen, austauschen, mürbe machen oder so beschä-
digen, dass dessen innere Strukturen mürbe werden. Damit wird
das Rückgrat des Gegners unterhöhlt und entkernt, so dass es ei-
nem gegnerischen Angriff nicht mehr Stand hält und zusammen-
bricht.

Taktik: Durch Infiltrierung oder Sabotage der gegnerischen Machtstruktu-


ren wichtige Elemente der gegnerischen Verteidigung ausschal-
ten. Durch Entfernung des Schlusssteins das Gewölbe der Macht,
also Bündnisse mit wichtigen Partnern oder zentrale innere Orga-
nisationsstrukturen, beschädigen und sie beim geplanten Angriff
einstürzen lassen.

Jedes Unternehmen, jede Streitmacht und jede Organisation dieser Welt lebt von Loyalität und star-
ken inneren Strukturen. Wer hier angreifen will, muss Situationen schaffen, die die Stärke des Geg-
ners unterhöhlen. Dies gelingt, indem Schlüsselpositionen des Gegners durch eigene Leute besetzt
werden. Wer Einfluss auf Berater und Dienstleister des Gegners nehmen kann, kennt dessen innere
Strukturen und weiß um die Taktiken des Gegners. Diese zu durchkreuzen und der Lage immer einen
Schritt voraus zu sein ist der "Lohn" dieses Strategems.

Wer nicht nur seine eigenen Kräfte richtig einzusetzen vermag, sondern auch die Psyche seines Geg-
ners kennt, nimmt einen großen Einfluss auf den Verlauf der gewünschten Situation. Er kann Kräfte
gezielt einsetzen, eigene Kräfte schonen und dann zuschlagen, wenn er es nach Lage der Dinge für
geboten hält.

Die historische Gegebenheit hinter dem 25. Strategem:


Ming Shih Zong war ein sehr abergläubischer Kaiser und ließ sich regelmäßig die Zukunft vorhersa-
gen. Seine bevorzugte Wahrsagerin hieß Lan Dao Sing, die, einmal von ihm einer Prüfung unterzo-
gen, sein dauerhaftes Vertrauen genoss. Was allerdings nicht bedeutete, dass er sie nicht auch zwi-
schendurch einmal auf ihren Wahrheitsgehalt testen ließ.

So schickte er eines Tagen einen Eunuchen zu Lan Dao Sing, um ihr ein vertrauliches Schreiben zu
übermitteln. Als der Mann bei der Wahrsagerin ankam, nahm der Kämmerer den Brief an sich und
verbrannte ihn ungeöffnet vor den Augen aller Anwesenden. Dann sagte er zu Lan Dao Sing: „Dieses
Schreiben enthielt einige Fragen des Kaisers an Dich. Als Meisterin der Magie weißt Du die Antwor-
ten gewiß, auch ohne die Fragen gelesen zu haben. Ich werde dem Kaiser Deine Antworten übermit-
teln lassen!“

Dies brachte Lan Dao Sing naturgemäß in Panik. Sie antwortete: „Woher um alles in der Welt soll ich
wissen, welche Fragen der Kaiser an mich gerichtet hat, ohne sie gelesen zu haben. Dafür wird er
meinen Kopf rollen lassen.“ Dann kam der Wahrsagerin eine Idee, um zu retten, was zu retten war
und begleitete den Eunuchen zurück zum Kaiser. Lan Dao Sing sagte zu Ming Shih Zong, dem Kaiser:
„Es war mir leider nicht möglich, die übernatürlichen Kräfte zu einer Antwort zu bewegen, denn der
Eunuche, den du mir gesandt hast, war nicht unterwürfig und ergeben genug, um diese Botschaft
reinen Herzens zu übermitteln. Sende einen anderen Boten. Einen Boten, der Dir, mein Kaiser, völ-
lig ergeben ist und mir Deine Botschaft unbeschmutzt übermittelt.“ Daraufhin ließ der Kaiser den
angeblich unzuverlässigen Eunuchen auch noch um den Kopf bringen und sandte einen neuen Boten
an die Wahrsagerin. Diese war jetzt jedoch gewarnt und es gelang ihn, den Eunuchen abzulenken.
So konnte sie den Brief mit den Fragen an sich zu nehmen und ihn heimlich gegen einen anderen
kaiserlichen Umschlag auszutauschen. Statt dem übersandten Brief zu verbrennen, warf sie die Fäl-
schung in die Flammen. So hatte sie den Brief mit den Fragen bei sich und konnte sie problemlos un-
ter angeblicher zu Hilfenahme der Götter beantworten. Ming Shih Zong fühlte sich auf der sicheren
Seite und durchblickte diese List nicht. Als der Eunuche die Antworten auf die „richtig vorhergese-
henen“ Fragen überbrachte, war der Kaiser vollends von den Kräften der Wahrsagerin überzeugt und
sein Vertrauen war uneingeschränkt groß.

Im Strategem 25 wird eine gefälschte Botschaft statt dem Original übermittelt bzw. geliefert. Der
Gegner glaubt, die wirkliche Botschaft in den Händen zu halten, die jedoch vorher durch eine List
ausgetauscht wurde.
26. Strategem

Auf den Maulbeerbaum zeigen


und dadurch die Akazie schelten.

Katego- Strategem der versteckten Kritik, Strategem des verdeckten An-


rie: griffs, Mobbing-Strategem, Prügelknaben-Strategem

Sinnhaf- Will man das Verhalten des Gegners ändern, ohne ihn direkt an-
tigkeit: greifen zu wollen bzw. zu können, bedient man sich einer indi-
rekten Taktik. Sie wird auf indirekte Art oder durch jemand an-
deren (Prügelknabe) durchgeführt.

Strate- Kann man einen mächtigen Gegner (symbolisch: Akazie) nicht di-
gemziel: rekt angreifen, mimt man eine andere, weniger heikle Situation
(symbolisch: Maulbeerbaum), um dem Gegner deutlich zu ma-
chen, was der falsch macht, ohne selbst angreifbar zu sein.

Taktik: Kann man den mächtigen Gegner nicht direkt angreifen, werden
durch ständige Sticheleien, Bemerkungen, Veröffentlichungen
etc., die sich auf scheinbar harmlose oder unbedeutende Ereig-
nisse, Geschehnisse oder Personen beziehen, der Gegner indirekt
angegriffen und mürbe gemacht bzw. zu Fehlern gereizt.

Chinesen lieben es nicht, eine direkte Konfrontation einzugehen. Lieber sprechen sie durch die
Blume oder sprechen über eine abwesende Person, obwohl ein Anwesender gemeint ist. Direkte
Konfrontation birgt immer das Risiko eines Streits, den es unbedingt zu vermeiden gilt, will man kei-
nen unabwägbaren Ausgang riskieren. Es geht auch um die unbewusste Manipulation des Gegners,
indem man unerwünschte Verhaltensweisen allgemein kritisiert, ohne den Gegner direkt anzugrei-
fen, aber alle Teilnehmer wissen zu lassen, wer oder was gemeint ist. Man spielt ein Theaterstück,
trägt eine Maske und teilt damit genau das mit, was man sagen möchte, ohne eine Strafe oder Er-
mahnung zu riskieren.
Wer sich direkt angegriffen fühlt, fällt unweigerlich in eine Abwehrhaltung und schottet seine Emp-
fänglichkeit für Ratschläge ab. Das Gegenteil ist oft der Fall, weil sich der Betroffene in der Defen-
sive befindet. Will man jemanden also direkt zu einer Handlung motivieren ("Akazie"), nimmt man
für dessen schlechte Eigenschaft den Untergang oder den Schaden eines Dritten ("Maulbeerbaum"),
um den direkt gemeinten zum gewünschten Handeln zu bewegen. Will man ein Produkt oder eine
Dienstleistung verkaufen, sagt man dem Kunden oder Interessierten nicht, dass er selbst ohne dem
Angebotenen Nachteile erleidet, sondern dass andere gravierende Nachteile erlitten hätten, weil sie
das angebotene Produkt nicht genutzt haben. So soll der Angesprochene über deren Scheitern nach-
denken, um eigenes Scheitern zu vermeiden.

Die historische Gegebenheit hinter dem 26. Strategem:

Ming Sian Zong war ein inkompetenter Kaiser und vertraute seinem Eunuchen mit dem Namen Wang
Jhih. Dieser wiederum hatte das tatsächliche Sagen im Land, weil sich der Kaiser um Nichts küm-
merte. Wang Jhih hatte noch zwei weitere Eunuchen mit den Namen Wang Yue und Chen Rong an
seiner Seite und gemeinsam begangen sie viele Untaten im Land, ohne zur Rechenschaft gezogen zu
werden. Die Beamten des Staates fürchteten diese Dreier-Gang und wagten nicht, dem Kaiser von
den Gräueltaten zu berichten, zu groß war deren Einfluß auf den Kaiser und man fürchtete um den
Kopf.

Zu dieser Zeit gab es einen weiteren Eunuchen, der den Namen A-Chou trug und ein Multitalent in
Sachen Humor und Witz war. Der Kaiser mochte ihn sehr und verzieh im so manche derbe Posse. Ei-
nes Tages forderte der Kaiser A-Chou und seine Truppe an, um vor ihm zu spielen. Das Stück, das er
zeigen wollte, hieß „Besoffen“ und A-Chou mimte einen betrunkenen Beamten im Land des Kaisers
Ming Sian Zong. Die Show begann und A-Chou betrat torkelnd und Witze erzählend die Bühne. Schon
nach kurzer Zeit hatte er sein Publikum mit seinen vorzugsweise politisch unkorrekten Witzen so
sehr in den Bann gezogen, dass sich sie die Bäuche hielten vor Lachen. Zur Show gehörte dann auch,
dass ein Passant die Bühne betrat und einen Minister ankündigte: „Der Minister ist auf der Durch-
reise zu einem offiziellen Termin. Macht den Weg frei uns schweigt!“ Doch der betrunkene A-Chou
antwortete: „Wen interessiert es, ob es ein Minister ist oder nur ein kleiner Beamter? Wen interes-
siert es, ob es ein weißer oder ein schwarzer Hund ist? Du gehst deinen Weg und ich gehe meinen
Weg. Tatsächlich war ich zuerst hier und so seid Ihr es, die um mich herumgehen solltet.“ Daraufhin
antwortete der Passant auf’s Neue: „Der Kaiser ist hier!“ worauf A-Chou lachend entgegnete: „Ha,
der Kaiser? Der sitzt doch nur auf seinen Thron und träumt. Seine Sinne sind benebelt und er ist
meist besoffener, als ich es jetzt bin. Wäre er klaren Verstandes, würde er wissen, was um ihn
herum geschieht und welche Gräueltaten in seinem Namen in seinem Reich verübt würden.“ Darauf-
hin der Passant: „Du Narr, wie sprichst du über den Kaiser? Ich werde dich lehren, dass man über
ihn nicht spotten darf und rufe jetzt seinen Eunuchen, Wang Jhih auf die Bühne!“. Es erscheint ein
Schauspieler, der aussieht wie der Vertraute des Kaisers, der sein Übel über das Volk bringt. Der be-
trunkene A-Chou wirft sich vor dem Minister des Kaisers auf die Knie und rief: „Gnade, Gnade oh
mächtiger Wang Jhih, ich wollte euch nicht beleidigen. Schlagt mich nicht, köpft mich nicht und
übergießt mich nicht mit heißem Fett, so wie ihr es sonst immer tut! Ich werde dem Kaiser auch
nichts von Euren Taten im Land erzählen!“

Auf diese Weise bekam der Kaiser Ming Sian Zong die Information, dass es in seinem Land Dinge gibt,
die er nicht ungesühnt lassen darf und ließ die Dreierbande gefangen nehmen und köpfen.

Ziel des Strategems liegt darin, eine direkte Konfrontation zu vermeiden, eine Warnung zu geben
oder andere unangenehme Wahrheit zu verbreiten. Stattdessen greifen Sie zu Humor, Analogien o-
der Anspielungen, um jemanden eine Botschaft zu übermitteln, ohne gleichzeitig den Namen eines
Betroffenen zu nennen.
27. Strategem

Stelle Dich dumm, sei aber nicht verrückt,


sondern schlau

Katego- Strategem, bei dem ein geistiger oder körperlicher Mangel vorge-
rie: spielt wird, Narretei-Strategem, Schein-Überlegenheits-Strate-
gem

Sinnhaf- Sich dumm stellen, um die Aufmerksamkeit des Gegners abzulen-


tigkeit: ken..

Strate- Durch gespielte Dummheit, Verrücktheit und Unüberlegtheit den


gemziel: Gegner im Glauben lassen, dass man es mit einem harmlosen
Gegner zu tun hat. Erst im Kampf zeigt der einst "Dumme" seine
Überlegenheit und sorgt somit für einen Sieg.

Taktik: Für das 27. Strategem sind zwei Beteiligte erforderlich, die sich
"die Bälle" gegenseitig geschickt so zuspielen, dass der Gegner so
in die Irre geleitet wird, wie ein Taschen- oder Hütchenspieler
seine Erbse verschwinden lässt. Allerdings muss dieses Strategem
dosiert ausgeführt werden, um keinen Argwohn zu erwecken.

Wer stark ist, dem wird mehr abverlangt als derjenige, der schwach ist. Wer selbstbewußt daher-
kommt, wird eher mit einem rauhen Ton rechnen müssen, weil sich das Gegenüber selbst behaupten
will. Wer sich aber dumm stellt, wird es im Alltag leichter haben. Wer ein einfaches Gemüt zeigt,
dem wird im Alltag mehr geholfen als demjenigen, der anscheinen alles kann. Man wird auch nicht
so oft angegriffen, weil man für andere keine Gefahr darstellt. Im Beruf kann eine solche Einstel-
lung hilfreich sein, weil niemand hinter einer einfachen Fassade Ungemach vermutet.
Umgekehrt kann Zurückhaltung beim Gegenüber auch den Wunsch auslösen, sich zu öffnen, seine
Meinung offen zu sagen und eigene Schwächen einzugestehen. Auch kreative Menschen lösen sich
sehr oft, wenn das Gegenüber nicht so erdrückend dominant ist. Wer das Wechselspiel von Zurück-
nehmen und dann stark ist, wenn die Anforderung danach besteht, erfüllt dieses Strategem bravou-
rös zu seinem eigenen Nutzen.

Die historische Gegebenheit hinter dem 27. Strategem:

Verberge Dich hinter einer Krankheit und lasse alle Aktivitäten ruhen. Das entwaffnet Deine Feinde
und macht Dich für Angriffe und Anfeindungen uninteressant. Warte auf den richtigen Moment und
schlage zurück.

Während der Periode der „Drei Staaten“ berief der sterbende Kaiser Wei Ming einen Vertrauten mit
dem Namen Cao Shuan zu sich. Er bat ihn, sich nach seinem Tode um seinen acht Jahre alten Kron-
prinzen zu kümmern und für ihn die Staatsgeschäfte zu lenken, bis dieser volljährig geworden sei.
Nachdem der Kaiser gestorben war, hatte Cao Shan jedoch andere, ehrgeizigere Pläne. Nachdem
also Wei Ming gestorben war, wollte Cao Shuan die Macht an sich reissen, indem er den Thronrat da-
von überzeugen wollte, den Kronprinzen zu entmachten und stattdessen Sih Ma Yi zum Premiermi-
nister zu machen. Cao Shuan hoffte, dass er selbst zum General über die Armeen des Landes er-
nannt würde, wenn der den General Sih Ma Yi zum Premier verhelfen würde. Auf diese Weise könnte
Cao Shuan seine Vertrauten auf Schlüsselpositionen verteilen und die komplette Macht an sich reis-
sen, wenn die Zeit gekommen wäre.

Sih Ma Yi wusste, dass Cao Shuan momentan zu stark war, um sich ihm zu widersetzen. Um eine
Konfrontation zu vermeiden und um etwas Zeit für einen Gegenplan zu gewinnen, stellte sich Sih Ma
Yi krank.

Als Cao Shuan benachrichtigt wurde, dass Sih Ma Yi krank sei, war Cao Shuan nicht überzeugt, dass
er krank sei und schickte Li Sheng zu ihm, um die Wahrheit herauszufinden. Als Li Sheng bei Sih Ma
Yi eintraf, fand er einen abgemagerten bettlägerigen Mann, der von einer Magd gefüttert wurde. Er
war zu schwach, um Li Sheng im Wohnzimmer zu empfangen, so dass das folgende Gespräch im
Krankenzimmer stattfand. Li Sheng sagte zu Sih Ma Yi: „Ich bin dazu ernannt worden, als Beamter in
die Provinz Jing zu reisen und meinem Herrn dort eine Zeitlang zu dienen. Heute komme ich zu
Ihnen, um Ihnen meinen Respekt zu zollen, meine Gebühren zu zahlen und ihnen gute Besserung zu
wünschen.“ Daraufhin erwiderte Sih Ma Yi mit einem besorgten Gesicht: „Die Provinz Bing liegt sehr
nahe an einem Gebiet mit vielen Barbaren. Seien Sie dort nur vorsichtig.“ Irritiert antwortete Li
Sheng: „ Ich sagte nichts von der Provinz Bing, sondern ich fahre in die Provinz Jing,“ worauf Sih Ma
Yi entgegnete: „Ach, Sie fahren auch in die Provinz Jing?“ In diesem Moment betrat die Magd das
Krankenzimmer und hielt die Medizin in der Hand, die Sih Ma Yi einnehmen sollte. Mit zittriger Hand
führte sie ihm den Löffel zu seinem geöffneten Mund. Doch statt die Medizin zu schlucken, sabberte
er und der größte Teil lief im die Mundwinkel herunter. Gleichzeitig verdrehte er die Augen und
zuckte wie in einem Anfall.

Nun war Li Sheng vollends überzeugt, dass Sih Ma Yi übergeschnappt und nicht mehr Herr seiner
Sinne sei und reiste zurück, um Cao Shuan zu berichten. „Ich bin davon überzeugt, dass Sih Ma Yi
fertig ist. Der ist keine Gefahr mehr für Euch und seine Tage sind gezählt. Ihr braucht Euch um ihn
nicht mehr zu kümmern,“ wusste der Berichterstatter zu erzählen. Als Cao Shuan dies erfuhr, lachte
er laut los und freute sich über diese für ihn gute Nachricht. Von diesem Moment an maß er Sih Ma
Yi keinerlei Bedeutung mehr zu und nahm keine Notiz mehr von ihm.

Im nächsten Frühjahr befand sich Cao Shuan auf einer Pilgerreise zu einem heiligen Schrein, als der
plötzlich „genesene“ Sih Ma Yi die Macht in einem Staatsstreich zurück eroberte und den Hinterhalt
von Cao Shuan gegenüber dem Kronprinzen offenlegte. Cao Shuan wurde festgenommen und ge-
meinsam mit seinen Schergen exekutiert. Somit gab Sih Ma Yi die Macht und die politische Gewalt
zurück an die rechtmäßigen Herrscher.
28. Strategem

Entferne die Leiter,


wenn der Feind aufs Dach gestiegen ist

Katego- Rückzugsauschluss-Strategem, Sackgassen-Strategem, Reusen-


rie: Strategem

Sinnhaf- Den Gegner durch vermeintliche Vorteile zum Verrückten verlo-


tigkeit: cken. Nachdem jeder Ausweg versperrt wurde, schnappt die
tödliche Falle zu. Aber auch, sich selbst in eine ausweglose Situ-
ation bringen, um den Kampf motiviert aufzunehmen.

Strate- Wer mit dem Rücken zur Wand kämpft, will mit eisernem Willen
gemziel: überleben. Wer nur unter absolutem Erfolgsdruck arbeiten kann,
braucht dieses Strategem. Täusche den Feind und lasse ihn im
Glauben, eine Chance zu haben, um zu entkommen.

Taktik: ---

Wer kennt sie nicht, die Redewendung: "Dann machen wir den Sack zu!" Tatsächlich handelt es sich
im Fall, dass man jemanden "in den Sack gelockt" und ihn "zugebunden" hat, um dieselbe Funktion:
Der Gegner wird angelockt und sobald er in der Falle sitzt, wird ihm der Fluchtweg abgeschnitten.
In diesem Fall steht die Leiter symbolisch für den Köder, mit dem wir den Gegner locken, ihn also
auf das Dach locken wollen. In manchem Film mit Alpenpanorama wird dieses Strategem oft ge-
zeigt: Die vollbusige blonde Dame lockt den brünftigen Jüngling am Fenster. Dieser wiederum be-
sorgt sich eine Leiter, um ans Fenster oder auf den Balkon zu gelangen. Er ist so besessen vom "Er-
folg" seines Balzens, dass er dabei alle Vorsichtsmaßnahmen außer Acht lässt und blind hinaufklet-
tert. Nicht selten erwarten ihn dort andere Ereignisse als die Gunst der Dame in blond, während ihm
unten sprichwörtlich die Leiter weggezogen wird und er am Fenstersims baumelt.
Jeder Köder muss so ausgelegt werden, dass er das Interesse des Gegners entspricht. Ist er brünftig,
bedarf es einer entsprechenden Gelegenheit, ihn blind werden zu lassen. Ist er habgierig, ist es die
Aussicht auf einen schnellen Gewinn. Ein hochmütiger Gegner wird durch die vermeintliche Schwä-
che des Opfers in unbedachte Situationen gebracht und der Dummkopf ist leicht in einen Hinterhalt
zu locken. Das Ziel muss also so ausgewählt werden, dass der Gegner genau das macht, was wir vo-
rausgesagt und geplant haben. Wenn dre genau die beabsichtigten Züge macht, brauchen wir ihm
nur noch den Rückweg abschneiden, um zu unserem Ziel zu gelangen.

Wir können es aber auch auf unsere eigene Situation anwenden. Bringen wir unsere eigenen Leute
(Soldaten, Mitarbeiter etc.) in ausweglose Lagen ohne Rückzugs- oder Fluchtmöglichkeit, dann wer-
den sie verbissener und nachhaltiger "kämpfen", als wenn diese Situation nicht eingetreten wäre.

Allerdings können nicht alle Folgen im Voraus geplant werden und es gibt gewisse Unabwägbarkei-
ten, wenn die "Leiter" erst einmal weggestossen wurde. Die Ereignisse können außer Kontrolle gera-
ten, wie gut auch immer geplant wurde. Auch die Arbeitsbereitschaft wird in Zeiten der Krise (nach-
dem die Leiter weggestossen wurde) zwar deutlich gesteigert - gleichzeitig sinkt aber auch die Mo-
ral der weniger belastbaren Mitarbeiter. Somit sollte dieses Strategem besonnen eingesetzt werden.

Die historische Gegebenheit hinter dem 28. Strategem:

Während der Südlichen und Nördlichen Dynastien lebte ein Richter mit dem Namen Yang Jin in der
Provinz Ci. Eines Tages wurde ein reisender Händler überfallen und all seines Hab und Gutes be-
raubt. Er meldete den Überfall dem Richter, der ihn nach Einzelheiten wie Statur, Kleidung und an-
dere Auffälligkeiten befragte. Während der Händler alle Fragen beantwortete, stellte er auch fest,
dass der Täter keinen lokalen Akzent spräche und von außerhalb kommen müsste.

Der Richter sammelte seine Polizisten um sich herum und ließ durch sie im Land die Botschaft ver-
künden, dass jemand ermordet worden sei und man jede Menge wertvoller Gegenstände bei ihm ge-
funden habe, die jetzt an den rechtmäßigen Erben abzugeben seien. Dabei gaben sie die Täterbe-
schreibung desjenigen an, der den Händler überfallen hatte.

Schon wenige Stunden später hatte sich die Nachricht im ganzen Land herumgesprochen und es er-
schienen mehrere Leute beim Richter, um die Habseligkeiten des Getöteten zu beanspruchen. Der
Richter forderte die Personen auf, einige detaillierte Fragen zu beantworten, um den wahren Erben
herauszufinden. Dabei wurde übereinstimmend ein Mann aus einer Region nordwestlich der Stadt
genannt, auf den sowohl die Personen- als auch die Kleidungsbeschreibung passte. Nun schickte der
Richter seine Polizisten in den angegebenen Wohnort, um sich dort auf die Lauer zu legen und den
Verdächtigen gefangen zu nehmen. Nach einigen Stunden kam der Dieb zu seinem Haus. Dort wurde
er von den Polizisten festgenommen und sein Haus durchsucht. Dabei fanden sie die fehlenden Ge-
genstände des überfallenden Geschäftsmannes und weiteres Diebesgut aus früheren Überfällen und
Einbrüchen. Aufgrund der drückenden Beweislast musste er die Taten gestehen, um wenigstens ein
mildes Urteil erwarten zu können.
29. Strategem

Den dürren Baum mit Blumen schmücken

Katego- Aufbausch-Strategem, Attrappen-Strategem, Vortäusch-Strate-


rie: gem, Scheinwelt-Strategem

Sinnhaf- So wie Grigorij Aleksandrowitsch Potjomkin (auch Potemkin ge-


tigkeit: nannt) seiner Zarin Katharina den jämmerlichen Eindruck ihres
Zarenreichs dadurch ersparen wollte, indem wer durch die Er-
stellung von Attrappen ein reiches Land suggerieren wollte, gibt
es unzählige Gelenheiten, sich mit "fremden Federn" mit dem
Zweck zu schmücken, mehr zu sein, als man ist.

Strate- Der Umwelt durch Erweckung des Scheins von Schönheit, Reich-
gemziel: tum, Gelassenheit oder Lockerheit über eigene Fehlbarkeiten o-
der Armut hinweg täuschen.

Taktik: ---

"Mehr Schein als sein" spottet so ein Spruch aus des deutschen Michels Munde. Aber auch "Wie Du
kommst gegangen, wirst Du auch empfangen!" ist allgemein bekannt und geläufig und zeigt den
Grundtenor dieses Strategems: Auch in Zeiten der Schwäche so tun, als ob das Konto so prall wie
der Bauch ist. Kleidung zu tragen wie ein König und aus dessen Fuhrpark einen Wagen zu fahren, der
wahrscheinlich für den Bruder des deutschen Michel, den Otto Normalverbraucher allein schon uner-
schwinglich wäre. In Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen wäre es fatal, eine Schwäche zu
zeigen, denn das könnte für den Gegner der Moment sein, zuzuschlagen, obwohl man seine Kräfte
für andere Zwecke bräuchte und einsparen wollte. Um vor Kraft zu strotzen könnte man sich also
auch die Kräfte eines benachbarten freundschaftlich gesonnenen Landes "ausborgen" und damit die
eigene Kraftlosigkeit zu kaschieren.
Es gibt unzählige Möglichkeiten zu glänzen und den Gegner einen falschen Schein vorzuführen. Dazu
gehört auch Prunk, Festivitäten und Gesangeseinlagen, deren Fröhlichkeit dem Gegner signalisieren
soll, dass es einem gut ginge.

Der zentrale Inhalt dieser List zeigt die Kraft des schönen Scheins.

Die historische Gegebenheit hinter dem 29. Strategem:

Dieses Strategem war einem Baum entnommen, der seine Blüten mit Punkten versah, um sie größer
erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich waren. Dadurch wurden Insekten angelockt, die seine Blü-
ten bestäuben sollten. Diese Illusion wurde übernommen, um Vorteile zu suggerieren, die es tat-
sächlich gar nicht gab. Man nutzt äußere Bedingungen wie die örtlichen Gegebenheiten, das Wetter
oder einflussreiche Freunde, um einen Gegner zu täuschen und größere Macht und Einfluß zu sugge-
rieren. Der Gegner wird dadurch getäuscht, indem er annimmt, das Opfer sei größer, stärker und
einflußreicher als ursprünglich angenommen und der Gegner wird sich erschreckt abwenden.

Es lebte ein Jäger mit seiner Frau in einem kleinen, einfachen Haus direkt am Meer. Wie so viele
Abende war der Mann auf der Jagd und seine Frau Cuei Hua alleine zu Hause. Oft blieb er mehrere
Tage in der Wildnis, weil er einem Stück Wild nur verwundet hat und seiner Spur folgte, um es zu
erlegen. Eines Tages bemerkte sie eine Person auf ihrem Grundstück und wollte ins Haus fliehen,
um sich zu verbarrikadieren, denn es war nicht zu erwarten, dass ihr Mann schnell zu Hause sein
würde. Allein der ungebetene Gast war schneller und folgte ihr ins Haus. Er befahl ihr, sich im
Wohnzimmer auf einen Stuhl zu setzen und sagte zu ihr: „Verehrte Frau, es wird gleich dunkel und
ich habe kein Quartier. Bitte lass mich über Nacht hier schlafen und ich werde morgen in der Frühe
aufbrechen. Cuei Hua dachte bei sich: „Mein Mann wird nicht so schnell nach Hause kommen und ich
habe gegen die Kraft des Eindringlings nichts zu entgegnen. Was soll ich bloß tun?

Sie sah sich um und sah durch den Vorhang ins Nachbarzimmer. Dort standen seine Schuhe und die
von einigen Freunden, die ihren Mann gelegentlich bei der Jagd begleiteten. Im Laufe der Zeit wa-
ren immer wieder Schuhe vergessen worden, so dass sie einige Schuhe verschiedener Größen sah. Da
kam ihr eine Idee und sie sagte zum Ganoven: „Freunde zu haben ist für Reisende sehr wichtig.
Nehme zuerst eine Tasse Tee und ich werde dir warmes Wasser bringen, um deine Füße zu wa-
schen.“ Der Eindringling war mit diesem Vorschlag einverstanden. Cuei Hua ging in die Küche, um
heißes Wasser zu holen. Dann ging sie ins Nachbarzimmer, um die Schuhe unter dem Bett ihres Man-
nes hervor zu holen und sie vor den Kamin zu stellen. Der Dieb verfolgte das Geschehen und war
darüber irritiert. „Ein paar Schuhe reichen mir, ich brauche keine sechs Paar Schuhe. Außerdem
brauche ich auch nicht so viel Wasser,“ sagte er und sie antwortete: „Ja, ein Paar sind für dich und
im Bottich sollen auch Deine Füße gewaschen werden. Doch die anderen Schuhe sind für meinen
Mann und seine Freunde! Sie sind auf der Jagd und wollten eigentlich schon längst wieder hier sein.
Ich erwarte sie jeden Moment.“ Der Eindringlich war plötzlich sehr verunsichert und blickte um sich,
weil er befürchtete, dass ihn ihr Mann wegen seines Eindringens bestrafen würde. „Mache es dir be-
quem und fühle dich wie zu Hause. Ich werde unterdessen in die Küche gehen und das Abendbrot
vorbereiten. Du musst wissen, dass mein Mann ein Riese ist und nach der Jagd einen unendlich gro-
ßen Hunger hat. Wenn er nicht das Richtige zu Essen bekommt, wird er sehr schnell zornig.“

Dem Dieb war es nicht mehr so geheuer, was er da hören musste und wähnte sich in großer Gefahr.
Würde ihr Mann mit seinen fünf Freunden jetzt nach Hause kommen, würde es ihm gewiß nicht gut
ergehen. Mit einem Blick in die Küche bemerkte er, dass sie tatsächlich eine Menge Essen vorberei-
tete und verließ das Haus grußlos. Das Diebesgut ließ er zurück und essen wollte er auch nichts
mehr.
30. Strategem

Tausche die Rolle des Gastes mit dem Gastgeber

Katego- Ausboot-Strategem, Kuckuksei-Strategem


rie:

Sinnhaf- Durch Rollentausch von "Gast" in "Gastgeber" von Passivität in Ak-


tigkeit: tivität wechseln und das Haus des Gastgebers übernehmen.

Strate- Wer es von "Gast" zu "Hausherrn" bringen will, muss strategisch


gemziel: wichtige Positionen des Hausherrn mit eigenen Kräften besetzen,
ohne dass es der "Hausherr" bemerkt. Zunächst muss er sich erst
einmal in die Rolle des "Gastes" ("Angreifer") begeben, also die
Tür sprichwörtlich einen Spalt öffnen, um an die strategisch
wichtigen Positionen des Feindes ("Gastgebers") zu gelangen.

Taktik: ---

Im Kieler Umland gab es viele Jahre lang ein renommiertes Fitness-Studio, das sich wachsender
Beliebtheit erfreute. Der Gründer hatte das Geschäft aufgebaut und zu einer ansehlichen Menge von
Kunden gebracht. Dann entschloss er sich, zu expandieren und aus dem reinen Fitness-Studio einen
Wellness-Tempel mit allem zu machen, was dem Kunden gefallen könnte: Vergrößerung der Sport-
fläche, neue Sportgeräte, Meditationsräume, Yoga-Angebote, Schwimmbad, Sauna-Anlage und vieles
mehr. Das Investitionsvolumen sollte mehrere Millionen Euro betragen, so dass sich der Geschäftsin-
haber einen Finanzier suchte, um das Vorhaben zu realisieren. Schnell wurde er fündig und Umset-
zung dieser ehrgeizigen Ziele wurden in Angriff genommen. Und wie es so üblich ist, wurden im
Laufe der Baumaßnahmen Änderungen durchgeführt, die zu Verteuerungen des Gesamtvorhabens
führte. Selbstverständlich gab es Verträge und Vereinbarungen, die sowohl die Eigentumsrechte als
auch die Rolle des Finanziers klar regelten. Der Fitness-Studio-Besitzer ("Gastgeber") machte dann
einen Fehler und investierte einen Teil des Finanzierungsvolumens für sein eigenes Wohnhaus, was
dem Finanzier ("Gast") die Möglichkeit gab, die Vereinbarung zu kündigen und das investierte Geld
zurück zu fordern. Die Situation war klar und der Gastgeber in eine passive, ausweglose Situation
und in der Folge aus dem Geschäft gedrängt. Mit einer Abfindung, die in keiner Weise dem zu erwar-
tenden Geschäftserfolg entsprach, musste der Gastgeber dem Gast das Terrain überlassen, das die-
ser mit eigenen Leuten besetzte.
So tauschte der Gast die Rolle mit dem Gastgeber

Das Strategem 30 sieht vor, den Rollentausch in mehreren Schritten zu vollziehen. Zunächst ist es
erforderlich, sich überhaupt in die Rolle des Gastes zu bringen. Folgend ist es seine Absicht, das
Terrain zu erkunden und "die Tür" für weitere Aktivitäten einen Spalt aufzustoßen. "Terrain erkun-
den" bedeutet in diesem Fall, die Achillesferse des Gastgebers ("Feind") ausfindig zu machen. Mit
der dritten Stufe wird "der Fuß in den Türspalt" gesetzt, seine eigene Position zu festigen und den
Schwachpunkt des Gegners ausfindig zu machen. Diese können Gier oder die Aussicht auf schnellen
Gewinn sein. Nachdem die Motivation des Gastgebers erkundet wurde erschleicht sich der Gast auf
dieser Basis im vierten Schritt das Vertrauen des Gegners, um dessen Entscheidungen nach eigenen
Interessen zu beeinflussen. Im letzten Schritt übernimmt der "Gast" den Schlüssel des Hauses, um
selbst "Gastgeber" zu werden.

Die Gefahr des Tauschs von "Gast" in "Gastgeber" ist unter anderem immer dann gegeben, wenn man
externe Partner in sein eigenes Unternehmen aufnimmt, um sich dessen Kräfte zu sichern. Sie kön-
nen Segen sein, sich aber auch als genau das Gegenteil erweisen, wenn man ihn zu stark werden
lässt.

Aus eigener Erfahrung weiß ich das nur zu genau: Als ich mein erstes Unternehmen gründete, war
ich noch Angestellter in einem Versicherungsunternehmen und somit nicht in der Situation, berufs-
begleitend zu arbeiten. Ich suchte mir daher einen Partner, der so lange die Geschäftsleitung über-
nehmen sollte, bis das Unternehmen in der Lage sein würde, mich als Geschäftsführer zu ernähren.
Als Gegenleistung sollte der Partner eine lebenslage, geldwerte Unternehmensbeteiligung erhalten.
Wie es bei Geschäftsgründungen üblich ist, stellten sich im Laufe der Zeit Schwierigkeiten ein, vor-
zugsweise finanzieller Art. Zudem bewegte ich mich auf dem 1997 noch absolut jungen Internetzeit-
alter und wollte ein IT-Dienstleistungsunternehmen zur Blüte führen. Im Laufe der Monate wurden
die Schwierigkeiten größer und der Partner forderte einen immer größer werdenden Teil des Unter-
nehmenserfolgs als lebenslange Beteiligung ein, der anfangs auch stattgegeben wurde. Ab einem
Punkt wurde es dann auch für mich uninteressant, die Idee des Unternehmens weiter zu führen. Ich
beabsichtigte, den Partner in einem Status Quo festzufrieren, der eine Fortführung der Unterneh-
mensidee ermöglichte, ihm aber gleichzeitig die Möglichkeit weiterer Forderungen verwehrte. Diese
Situation nahm er nicht an, sondern setzte seinerseits selbst ein Ultimatum: Entweder 25.000 Euro
zu zahlen oder die bis dahin erfolgten Programmierungen, also den gesamten Unternehmensgegen-
stand zu löschen. An diesen Folgen der Annahme dieser Forderung litt das Unternehmen noch viele
Jahre und verwehrte Nachhaltig die positive Entwicklung.

Die historische Gegebenheit hinter dem 30. Strategem:

Ein Diebestrio war auf Raubzug und beschloss, in ein Haus eines reichen Kaufmanns einzubrechen
und sein Silber und sein Gold zu stehlen. Während der Chef der Gang in das Haus eindrang, standen
die beiden anderen auf dem Dach und zogen die in Beutel eingepackte Beute mit einem Seil nach
oben. Nach dem dritten Gang war es den beiden auf dem Dach genug und sie wollten mit dem Die-
besgut zu fliehen und den Dritten zurücklassen, damit sie nicht teilen mussten. Aus dem Haus er-
scholl die Stimme des Kumpanen: „Hey ihr da oben. Ich habe eine Holzkiste mit wertvollem Silber
und Gold entdeckt. Wenn ihr die Kiste hochgeholt habt, werden wir weiter ziehen. Die beiden auf
dem Dach sahen sich an und einschlossen sich, den großen Schatz nicht mit ihrem Partner teilen zu
wollen. Sie hoben die Kiste auf das Dach und verschwanden von dort mit der gesamten Beute in die
Nacht. Es dämmerte und die Sonne zog auf, als es den beiden Dieben so erschien, als ob sie jetzt
genug Strecke gegangen seien und wollten sich einen Überblick darüber verschaffen, welche schwe-
ren Schätze sie da wohl in den Händen trugen. Immerhin war die Kiste verdammt schwer und auch
die ersten drei Beutel mit dem Diebesgut hatte ein ordentliches Gewicht. Sie stellten die Kiste auf
die Erde und wollten sie gerade öffnen, als Reiter nahten. Sie stoppten die beiden ungewöhnlichen
Diebe und fragten sie nach ihrem Weg. Das hörte natürlich auch der Kopf der Gang, denn er war es,
der sich in der Kiste befand und sie so schwer machte. „Hilfe, Hilfe!“ rief er aus der Kiste, „ich
wurde beraubt und entführt. Bitte befreit mich hier aus dieser Kiste, denn ich bekomme keine Luft
mehr.“ Die beiden anderen Diebe sahen sich ertappt und flohen in wilder Panik ins Gelände. Die
Reiter indes öffneten die Kiste und der Gangsterboß erzählte die Geschichte so, als ob er der Haus-
eigentümer gewesen wäre, der überfallen, bestohlen und entführt worden sei.
Daraufhin wurde dem Gangsterboß das gesamte Diebesgut ausgehändigt und er zog reich vondan-
nen.
31. Strategem

Schöne-Menschen-Strategem

Katego- Venusfallen-Strategem, Adonis-Strategem, Strategem der schö-


rie: nen Menschen

Sinnhaf- Einsatz von Sexualität zur Durchführung seiner Ziele


tigkeit:

Strate- Sexualität, Geltungssucht und Machtstreben sind Faktoren, mit


gemziel: denen zur Durchführung eines Zieles gespielt wird. Zum Einsatz
kommt dabei ein "Lockvogel", der dem Beuteschema des Opfers
entspricht und ihm dabei Geheimnisse entlockt

Taktik: ---

Zu diesem Thema irgendetwas zu schreiben, ist "eigentlich" überflüssig. Siehe nach rechts und nach
links im Leben: Überall lauern Attacken auf den Teil des Gehirns, den man(n) gerne mal ausschal-
tet, nämlich dann, wenn es um eine oder gar mehrere blonde aber auch andersfarbige Schön-
heit(en) geht. Gerne werden sie eingesetzt, um gar zu widerborstige Politiker weich zu machen (ok,
eigentlich ja umgekehrt....) oder um Erpressungen des in flagranti ertappten Mannes zu ermögli-
chen.

Die Werbung nutzt gefühlte Quadratkilometer zur Schau getragene Haut, um die eine oder andere
Werbebotschaft an den Mann - und seit dem Höhepunkt der Emanzipation auch an die Frau - zu brin-
gen, Ronaldo, Backham und Co. lassen grüßen...

Wie "frau" dieses Strategem in eigener Sache einzusetzen vermag, weiß die Weltöffentlichkeit spä-
testens, seit das Model Angela Ermakowa eine kurze Liebesaffäre nutzte, um mit Tennisstar Boris
Becker, von ihm ungewollt die gemeinsame Tochter Anna zu zeugen. Wie die Medien berichteten,
nutzte die ziel- und strategemorientiert handelnde Frau einen Moment mentaler Schwäche des Ten-
nisstars, um sich dessen Spermien nach seiner oralen Befriedigung "einzuverleiben". In der Folge
entstand die Tochter Anna, die dem Star so ähnlich sieht, dass ein Vaterschaftstest keine andere Er-
kenntnis gebracht hätte (oder brachte), als die bloße optische Wahrnehmung.

Also Männer: Aufgepasst, wenn sich euch eine Frau nähert, die nicht in eure "Liga" passt - dann ist
Vorsicht angesagt und ihr solltet genau hinterfragen, warum gerade ich. Gerade während öffentlich-
keitswirksamer Ereignisse rund um den Fußball oder um Rennen in der Formel 1 fragt man sich gele-
gentlich (oder meist???), was haben die Männer, das man selbst nicht hat und die Antwort ist klar:
Geld, Ruhm, Macht. Noch Fragen?

Die historische Gegebenheit hinter dem 31. Strategem:

Während der Shih-Rebellion der Tang-Dynastie wurden die regulären Regierungstruppen vom Gene-
ral Li Guang Bi und die Rebellenarmee vom General Shih Sih Ming geführt. Beide Armeen waren auf
den jeweiligen Ufern entlang des He Yang- Flusses aufgestellt. Die Rebellenarmee hatte über Tau-
send schöne Pferde und befand auch sonst in einem deutlich besseren Zustand als die Regierungs-
truppen.

Jeden Tag kamen Soldaten der Rebellenarmee direkt ans Ufer, um die Armeepferde zu Baden. Wäh-
rend der Regierungsgeneral Li Guang Bi diese Szenen täglich beobachtete, kam ihm eine brilliante
Idee. Er ordnete an, dass die Regierungssoldaten sämtliche Stuten aus der Herde selektieren sollten.
Insgesamt werden es rund Fünfhundert gewesen sein. Anschließend befahl er, die Fohlen der Stuten
aus der Stadt zu führen, um sie weit weg von den Stuten in einem Gatter einzuschließen. Am folgen-
den Tag wurden die Pferde der Rebellenarmee wieder ans Flußufer geführt, um gebadet zu werden.
Mittlerweile waren alle Stuten direkt ans Ufer in ein abgeschlossenes Gatter gebracht worden und
fingen an, nach ihren Fohlen zu rufen. Das blieb den Hengsten der Rebellenarmee selbstverständlich
nicht verborgen und sie fühlten sich von den wiehernden Stuten magisch angezogen. Wie von Furien
gehetzt galoppierten sie durch das Wasser auf das andere Flußufer zu und die Rebellensoldaten
konnten sie nicht daran hindern. Doch nicht nur die Hengste waren weg - auch deren Stuten folgten
den Hengsten und die Rebellenarmee war ihre Pferde los. Den Pferden folgte der Verlust des Kampf-
geistes, denn der Verlust von tausend Rebellen-Pferden an die Regierungstruppen machen die einen
schwach und die anderen stark. Diese Geschichte wurde berühmt als "Pretty Mares Trap".
32. Strategem

Das verlassene Castell - in leere Tore eintreten

Kategorie: Illusions-Strategem, Irritations-Strategem, Leere-Strategem


Sinnhaf- Den Gegner unter Vortäuschung falscher Tatsachen in die Irre
tigkeit: locken
Strategem- Die eigene Schwäche durch entwaffnende Ehrlichkeit so offen-
ziel: baren, dass der Gegner sie für einen Bluff hält.
Taktik: ---

"Totale Überzeugungskraft bei absoluter Ahnungslosigkeit!" könnte man manchem Versicherungsver-


treter attestieren, der einen Sachverhalt so klar und deutlich vorträgt, dass die Fakten überhaupt
keinen Zweifel zulassen. Unterschreibt man dann, hat die mögliche Falle zugeschnappt und man ist
im Versicherungsvertrag gefangen. Oftmals wird erst im Schadenfall deutlich, dass der besagte Vor-
trag nur den Anschein der Sicherheit für Fakten bot, wie sie anscheinend glaubwürdig vorgetragen
wurden.

Dieses Strategem wird für die vier Formen der Illusion eingesetzt:

1. Fülle zeigen, wo Leere vorhanden ist; also Stärke zeigen,


wo Schwäche ist
2. Leere zeigen, wo Stärke ist; also den Gegner in die Falle locken,
weil er einen schwachen Gegner vermutet
3. Fülle zeigen, um den Gegner zu veranlassen, an Leere zu glauben
4. Leere zeigen, um den Gegner zu veranlassen, an Fülle zu glauben.

Angewendet wird dies Strategem immer dann, wenn man den Gegner über die eigene Stärke bzw.
Schwäche im Unklaren lassen will, um ihn durch falsche Annahmen zu einem fehlerhaften Schritt zu
bewegen.

Wenn man selbst schwach ist und wir unsere eigene Schwäche drastisch übertreiben, wird der Geg-
ner stutzig und nimmt an, dass er es hier mit einer maßlosen Übertreibung als Mittel der Illusion zu
tun hat. Weil er aber nicht weiß, woran er wirklich ist, wird er den Angriff im Zweifel abbrechen,
um eigene Kräfte keinem Risiko auszusetzen und von einem weiteren Angriff absehen.

Im Allgemeinen wird diese besondere Zurschaustellung der eigenen Stärke / Schwäche den Gegner
irritieren und ihn in den Glauben versetzen, dass eine Falle drohe. In diesem Fall ziehen wir den
Gegner in unsere eigene Taktik hinein und lassen ihn selbst aktiv Akteur werden.

Dieses Strategem sollte nur im äußersten Notfall eingesetzt werden, weil ein hohes Risiko besteht,
dass der Gegner die richtigen Schlußfolgerungen zieht, insbesondere, wenn er durch Spitzel im Un-
ternehmen Kenntnisse von Ihren realen Verhältnissen besitzt.

Die historische Gegebenheit hinter dem 32. Strategem:

Während der Schlacht von Jie Ting erlitt die Armee von Shu um General Ma Su riesige Verluste und
war nahe dabei, komplett aufgerieben zu werden. Die strategisch wichtige Stadt Jie Ting war be-
reits verloren musste aufgegeben werden. Um sich zu sammeln, neue Kräfte zu tanken und den
Nachschub zu organisieren, zog sich die Armee zurück und hinterließ ein Kontingent von annähernd
Fünftausend Kämpfern, die den geordneten Rückzug schützen sollten und deren Befehlshaber Jhu
Ge Liang war. Während sich die Offiziere berieten, wie alles organisiert werden solle, platzte eine
neue Hiobsbotschaft in die Besprechung: Der feindliche General Sih Ma Yi ritt mit rund 150.000 fri-
schen Männern gegen das Militärlager, um die Armee von Shu nun endgültig vernichtend zu schla-
gen.

Jeder kann sich vorstellen, in welcher Furcht die Armee war, denn sie hatte nicht die geringste
Chance gegen die 30-fache Überzahl. Doch Jhu Ge Liang, der Befehlshaber, behielt die Nerven und
ordnete an, dass sämtliche Hinweise auf die Armee und die vorangegangene Schlacht entfernt wer-
den sollten. Weder Fahnen, noch Schwerter oder Pferde durften gezeigt werden oder sich bemerk-
bar machen. Sämtliche vier Tore des Castells wurden geöffnet, so dass jedermann ungehindert
hätte eintreten können. Zu jedem Tor wurden 20 Soldaten in Zivilkleidung geschickt, die zudem den
Auftrag hatten, sich wie dumme Bauernlümmel zu benehmen. Kein einziger Soldat durfte reden o-
der sich anderweitig laut bemerkbar machen und Zuwiderhandlungen würden mit dem sofortigen
Tod geahndet.

Anschließend bestieg er gemeinsam mit zwei Lakaien den einen Turm und begann, nachdem er ei-
nige Räucherkerzen angezündet hatte, seine Laute zu spielen.

Als der feindliche General nahe an das Castell herangekommen war und das Szenario vor ihm sah,
wurde er misstrauisch. Einerseits lud das offene Castell zwar dazu ein, es sofort in Besitz zu neh-
men, doch andererseits war der Befehlshaber Jhu Ge Liang als verschlagener und gewiefter Offizier
bekannt, was den Gegner vermuten ließ, dass im Castell ein Hinterhalt lauerte. Alles war zu ruhig
und zu friedlich, so dass dieser Umstand als Gefahr wahrgenommen wurde. Als der General Sih Ma Yi
dann auch noch den lächelnd Laute spielenden Jhu Ge Liang sah, war ihm klar, dass ein Hinterhalt
drohte und ließ seine Armee mit den 150.000 Mann kehrt machen und in die Kasernen zurückkehren.

General Sih Ma Yi sagte zu seinem Sohn, der als Offizier beteiligt und gegen den Rückzug war: " Jhi
Ge Liang ist ein nachdenklicher und einfallsreicher Mann. Er würde niemals ein so großes Risiko ein-
gehen, wenn er sich seiner Stärke nicht bewusst wäre. Im Castell muss ein Hinterhalt lauern, denn
warum sonst sollte er seine Laute mit solcher Leichtigkeit und kühler Gelassenheit spielen?"

Hier verwirklichte sich eine kühne und höchst riskante Strategie der psychologischen Kriegsführung.
Wenn Ihre Stärke im Verhältnis zum Gegner zu schwach ist, beenden Sie alle Vertragsverhandlungen
und handeln so, als ob Sie das Ergebnis oder der Erfolg nicht interessieren würde. Diese Beiläufig-
keit wird den Gegner irritieren und ihn glauben machen, dass Sie Etwas im Schilde führen. Durch
diese Irritationen wird der Gegner zögerlich und zieht sich zurück oder Sie gewinnen Zeit.
33. Strategem

Die Kunst der Spionageabwehr

Katego- Doppelagenten-Strategem, Irritations-Strategem, Infiltrations-


rie: Strategem

Sinnhaf- Dem Gegner einen Doppelagenten schicken, der gefälschte Infor-


tigkeit: mationen übergibt.

Strate- Wer von einem Agenten weiß, der doppeltes Spiel treibt, eben
gemziel: dem Doppelagenten, der lässt den Doppelagenten im Glauben,
man wisse nichts von seinem doppelten Spiel. Spielt man ihm ge-
fälschte Informationen zu, die den Gegner auf eine falsche
Fährte locken soll, dann weiß man darum, da sie vom Doppel-
agenten im Glauben übergeben werden, sie seien für seinen
zweiten Auftraggeber von großer Wichtigkeit und Bedeutung.

Taktik: ---

Ob militärische Spionage oder Industriespionage, sie ist wohl das zweitälteste Gewerbe der Welt.
Denn ohne verlässliche Informationen über den Gegner kann man weder einen militärischen noch
einen wirtschaftlichen Sieg erringen. Will man sich selbst nicht in Gefahr begeben, benutzt man wil-
lige oder unwillige Helfer, die die Schmutzarbeit für einen verrichten.

Es gibt fünf verschiedene Arten von Spione, die alle ihre Besonderheiten aufweisen.

 der lokale Spion, angeworben aus der örtlichen Bevölkerung


 der innere Spion, angeworben unter den Führungskräften / Offizieren
des Gegners
 den Doppelagenten (ein feindlicher Spion, der zu uns übergelaufen ist)
 den todgeweihten Spion (er soll unter den Spionen des Gegners falsche Informationen
streuen. Würde er enttarnt, droht ihm tödliches Ungemach)
 den überlebenden Spion (er kundschaftet den Gegner aus und kommt ins eigene Lager zu-
rück)

Für das 33. Strategem wird der Doppelagent gebraucht, denn dieser glaubt, er sei ein Überläufer in
unser Lager, berichtet aber gleichzeitig an den Feind bzw. Gegner. Diesen Umstand kann man sich
zu Nutze machen, indem man ihn wissentlich mit falschen Informationen ausstattet und weiß, dass
diese Fehlinformation genau dort hinkommt, wo man sie hin haben möchte, um falsche Nachrichten
gezielt streuen zu können.

Die historische Gegebenheit hinter dem 33. Strategem:

Cao Cao war ein Feldherr mit großem strategischem Geschick. Auf dem Wasser war er jedoch be-
siegbar und erlitt gegen Jhou Yu, einem General des Staates Wu, eine empfindliche Niederlage.
Seine diesbezüglichen Defizite erkennend rekrutierte er zwei aus Wu übergelaufene Generäle mit
den Namen Mao und Cai Yun Jhang, um seine Armee in die Kunst der Seegefechte und Seestrategien
zu unterrichten. Gleichzeitig zweifelte er an der Loyalität seiner beiden neuen Generäle und
schickte Jiang Gan zum Quartier des Generals Jhou Yu, um herauszufinden, ob die beiden Generäle
wirklich von dort desertiert und dort auch wirklich in Ungnade gefallen seien. Wie es der Zufall so
wollte, waren der General Jhou Yu und Jiang Gan aus Zeiten bekannt, als Jhou Yu noch kein General
war und er empfing den Gast mit großen Ehren. Allerdings war der General auch etwas misstrauisch
ob der Absichten Jiang Gans, zu dessen Ehren er sogar ein Fest gab und ihn an seiner Seite an der
Tafel sitzen ließ. Es war ein sehr lustiger Abend mit viel Gelächter, Musik, Tanz und Wein. Letzteres
genossen die beiden Hauptpersonen des Abends in reichlichem Maße, wobei Jiang Gan echten Wein
erhielt und sich Jhou Yu jedes zweite Glas mit Wasser füllen ließ. Als gegen Mitternacht der allge-
meine Aufbruch erfolgte, bestand Jhou Yu darauf, dass Jiang Gan als sein alter Freund das Bett mit
ihm teilen sollte, was damals ein Ausdruck besonderer Verehrung darstellte. Während sich Jhou Yu
sofort schnarchend auf die Seite legte, hielt sich Jiang Gan noch wach und im Wissen der Sicherheit,
dass Jhou Yu schliefe, durchsuchte er den Schreibtisch des Generals und wurde hocherfreut findig:
Er kam in Besitz eines Schreibend von Jhou Yu, das von den beiden zu Cao Cao übergelaufenen Ge-
nerälen unterschrieben war und sie eindeutig zu Agenten von Jhou Yu machte.

Am nächsten Tag reiste Jiang Gan ab und freute sich darüber, dass Jhou Yu nichts bemerkt habe, so
freundlich hatte dieser gelächelt....

Bei Cao Cao angekommen, übergab Jiang Gan das Schreiben an den General, der die beiden Über-
läufer zu sich bringen und ohne weitere Möglichkeit der Verteidigung köpfen ließ. Später erfuhr er
von dem gefälschten Schreiben, doch es war zu spät. Um die strategisch wichtigen Köpfe der beiden
Generäle beraubt, fuhr die nunmehr weiterhin unausgebildete Flotte von Cao Cao in ihr Verderben
und wurde vernichtend geschlagen. Cao Cao entging nur knapp durch Flucht dem Tod.
34. Strategem

Strategem der Selbstverstümmelung

Katego- Selbstverstümmelungs-Strategem, Scheinopfer-Strategem


rie:

Sinnhaf- Durch eigen verursachte körperliche und psychische Pein beim


tigkeit: Gegner den Eindruck erwecken, einen hasserfüllten Überläufer
zu bekommen, der alle Geheimnisse seines bisherigen Herrn aus-
plaudert.

Strate- Unter Duldung eigener Schmerzen, Verwundung und Pein eine


gemziel: gespielte Opferhaltung einnehmen und den Feind / Gegner in der
Annahme stärken, dass er einen Verbündeten bekommt. Der
Feind / Gegner lässt seine Vorsicht außer Acht und gibt dem Ge-
peinigten die Gelegenheit, in die Tiefen der gegnerischen Taktik
eingeweiht zu werden.

Taktik: ---

Wer das Selbstverstümmelungs-Strategem anwendet, muss schon in großer Not sein. Es wird nur
dann angewendet, wenn das Leben vom Gelingen einer bestimmten Aktion abhängt und man die
Pläne des Gegners oder Feindes kennenlernen will. Manche benutzen es auch, um über Betrug die
Leistungen einer Privaten Unfallversicherung zu erschleichen. Davon muss jedoch in jedem Fall ab-
geraten werden, denn es ist nicht nur illegal, sondern die Möglichkeiten der Entlarvung sind heute
größer denn je. Schnittkanten, Art der Verletzung und die äußeren Umstände müssten so perfekt
aufeinander abgestimmt werden, dass weder Mediziner, noch der Angestellte der Versicherung Ver-
dacht schöpfen. Es ist jedoch mit heutigen Mitteln der Recherche fast nicht mehr möglich, einen
solchen Unfall vorzutäuschen, ohne dass das entsprechende Körperteil wieder angenäht werden
kann. Würde ein Körperteil "sauber abgetrennt", kann man es immer wieder annähen und Schmerz,
Blutverlust und Gefahr wären zu groß. Gerade bei Verletzungen der Hände sind die Versicher beson-
ders aufmerksam, weil das die "gefahrloseste" Art ist, Versicherungsleistungen zu erschleichen. Wer
würde schon bereit sein, ein Auge zu opfern oder ein Bein, wenn das Risiko einer völligen Erblindung
oder eines Verblutens unverhältnismäßig groß wäre. Also Finger weg von derartig blöden Ideen. Ar-
beitet lieber mit Eurem Verstand und nutzt diese universelle Energie für konstruktive Dinge, bei de-
nen Ihr Eure ganzen Finger einsetzen könnt und trotzdem mehr Geld verdient, als mit der meist aus-
sichtslosen Anspruchnahme einer privaten Unfallversicherung.

Um dieses Strategem aus nachvollziehbaren Gründen einzusetzen, muss der "Lohn" entsprechend
hoch sein. Denn wer geht schon sofort davon aus, dass ein am Boden liegender Verwundeter selbst
Urheber dieser Verletzung war? Allerdings soll dieses Strategem für Mitleid bei der Person erregen,
die Ziel des Strategems ist. Wenn es ein Gegner oder Feind ist, dann wird er nach allen Regeln
menschlichen Handelns nicht noch die Klinge wetzen, um den Verwundeten zu töten. Im Gegenteil,
denn nach Regeln, die sogar im Krieg gelten sollen, dürfen gesunde Soldaten zwar getötet werden,
verwundete darf man aber nicht töten, sondern muss ihnen eine medizinische Versorgung zuteilwer-
den lassen. Ein verwundeter Soldat ist demnach in einer komfortableren Situation als ein gesunder.
Wer jedoch so kaltblütig ist, sich eine große Verstümmelung selbst beizubringen, um beim Gegner
oder Feind Mitleid und Milde zu erregen, der wird nach erfolgter Genesung seinen Auftrag mit um so
größerer Kaltblütigkeit durchführen, sofern es die letzte Chance zum Überleben überhaupt ist.

Ziel ist es also, Schwäche vorzutäuschen, um im richtigen Moment zuzuschlagen und die Kampfkraft
des Feindes entscheidend zu schwächen.

Die historische Gegebenheit hinter dem 34. Strategem:

Nachdem Cao Cao die beiden gegnerischen Admiräle hat köpfen lassen (in Strategem 33 beschrie-
ben), gab sich General Zhou Yu öffentlich absolut überzeugt, dass seine eigene Streitmacht die von
Cao Cao vernichtend schlagen wird, obwohl die eigenen Leute zahlenmäßig deutlich unterlegen wa-
ren. Für ihn war die Niederlage Cao Cao besiegelte Sache und er wollte den Vorstoß planen, als ihm
einer seiner treuesten Admiräle mit Namen Huang Gai widersprach und stattdessen Rückzug und Ka-
pitulation empfahl. Das erboste den General so sehr, dass der Admiral sofort geköpft werden sollte.
Doch die anderen Offiziere waren von diesem Vorschlag entsetzt und fielen auf die Knie, um für das
Leben des verdienten Admirals zu beten.

Erst nach langem Bitten und Betteln ließ sich General Zhou Yu erweichen, die Todesstrafe in 100
Peitschenhiebe zu verwandeln, den Admiral zu degradieren und ihn für den Rest seines kümmerli-
chen Lebens in einen Kerker zu sperren. Nach 50 Peitschenhieben waren das bloße Rückgrat und
Rippen in einem Matschhaufen von Fleisch und Blut zu sehen und die Offiziere fielen erneut auf die
Knie, um für das Leben des alten und verdienten Admirals zu flehen. Auch diesmal gab der General
nach und befahl, den Admiral einen Tag lang dort in der Sonne liegen zu lassen. Einen Tag nun lag
der Admiral, vor Schmerzen gekrümmt, in der Sonne und sein Leben schien fast ausgehaucht, als ihn
seine treuen Gefolgsleute nach der abgelaufenen Zeit vom Platz des Auspeitschens in ein Kranken-
bett bringen konnten um ihn zu pflegen.

Nachdem der Admiral wieder ein wenig bei Sinnen war, rief er seinen getreuesten Gefährten zu
sich, um ihn zu bitten, ein Schreiben an den gegnerischen General zu verfassen und dann persönlich
zu übergeben. Darin bot er ihm seine Dienste an und wies dabei auf die erlittene Pein und die Unfä-
higkeit seines eigenen Generals hin, eine ausweglose Situation zu erkennen und dagegen etwas zu
unternehmen. In der nun folgenden Seeschlacht würde er, Admiral Huang Gai, sein Wissen in die
Dienste das Generals Cao Cao stellen und dessen Seestreitkräfte befehligen.

Cao Caos Spion Cai Jhong wurde daraufhin beauftragt, den Wahrheitsgehalt des Admirals zu prüfen
und gelangte auf "wundersame Weise" in die Nähe des Admirals, der immer noch mehr tot als leben-
dig gekrümmt auf seinem Krankenbett lag. Der sonst sehr misstrauische Cao Cao war danach über-
zeugt, im Admiral einen wichtigen Verbündeten zu haben. Außerdem machte ihn die Verlegenheit
nach dem unnötigen Tod seiner beiden vermeintlichen Verräter-Admiräle keine geeignete Führungs-
kraft in den eigenen Reihen zu haben, die seine Flotte befehligen konnte.
Zwischen dem Admiral Huang Gai und Cao Cao wurde vereinbart, dass der Admiral am Tag der
Schlacht in einem Boot zur Flotte Cao Caos überlaufen solle. Als äußeres Zeichen sollte es die alte
Standarte mit dem grünen Drachen des Admirals tragen. Anschließend sollte der Admiral das Ober-
kommando der feindlichen Seestreitkräfte übernehmen.

Als erste Aktion gab der Admiral dem Cao Cao einige wichtige Informationen zur strategischen
Kriegsführung auf See. Es waren eher Allgemeinplätze, wie man heute sagen würde, und eher geeig-
net, General Cao Cao zu beeindrucken, anstatt ihm wirkliche strategische Details zu verraten. Au-
ßerdem war die Vielzahl der Einzelinformationen zu viel, als dass sich ein einzelner Mensch sie sich
hätte merken können, wenn man sie erstmalig hört.
Beiläufig erwähnte der Admiral, dass Schiffe besser im Wasser lägen und manövrierfähig seien,
wenn man sie aneinander ketten und Planken darauf befestigen würde. Dann könnten sogar berit-
tene Reiter schnell von einer zur anderen Seite wechseln und die Flotte wäre deutlich schlagkräfti-
ger. Das leuchtete Cao Cao ein und er befahl, Ketten zu schmieden und die Schiffe miteinander zu
verbinden.

Nachdem das geschehen war, ließ der Admiral die feindlichen Schiffe hintereinander in eine
Schlachtformation aufstellen und einen bestimmten Kurs auf dem Fluß steuern. Es sollte sicherge-
stellt werden, dass man auf diese Weise optimal auf den Angriff seines früheren Generals Zhou Yu
reagieren konnte, der ihn so grausam verstümmelt hatte. Um die Befehle besser geben zu können,
verlangte der Admiral ein kleineres Schiff, das durch handverlesene Offizieren befehligt wurde.
Flußaufwärts näherten sich auch schon einige Schiffe der kleinen Streitmacht von General Zhou Yu.
Cao Cao war voller Zuversicht, dass sich nun das Blatt zu seinen Gunsten wenden würde. Doch dann
überschlugen sich die Ereignisse. Die großen, schwerfälligen Schiffe von Cao Cao hatten für diesen
Teil des Flusses zuviel Tiefgang und fuhren auf die dort vorhandenen Sandbänke, die nur der Admi-
ral genau kannte. Die Schiffe, die hinter der Flotte von Cao Cao den Fluß hinab fuhren, waren kei-
nes weg mit Soldaten gespickte Kriegsschiffe, sondern größere flache Boote, die Öl und andere flüs-
sige Stoffe enthielten, die man gegen die aneinander gekettete, gestrandete und festliegend Flotte
von Cao Cao führte und in Brand setzte. Günstige Winde ließen die Feuer von einem Schiff auf das
nächste übergehen und die komplette Flotte von Cao Cao brannte nieder und leitete endgültig sei-
nen Niedergang ein.
Tatsächlich war die Verstümmelung des Admirals eine Absprache mit seinem General Zhou Yu, dem
er immer treu ergeben war. Um diese Seeschlacht gewinnen zu können, musste dieses drakonische
Mittel gewählt werden, um Cao Cao im Glauben zu lassen, dass der Admiral wirklich allen Grund
hatte, den General Zhou Yu zu hassen und ihm alles Schlechte zu wünschen. Diese Absprache zwi-
schen den beiden musste absolut geheim gehalten werden, um den Erfolg dieser Aktion nicht zu ge-
fährden. Aus Loyalität setzte der Admiral nicht nur seine Gesundheit aufs Spiel, sondern sogar sein
Leben war konkret in Gefahr, so drakonisch war die Vorgehensweise.
35. Strategem

Die Kriegsschiffe des Feindes zusammenketten

Katego- Verkettungs-Strategem, Verknüpfungs-Strategem


rie:

Sinnhaf- Durch die Verknüpfung verschiedener Strategeme wird der Geg-


tigkeit: ner kampfunfähig gemacht und vernichtend geschlagen.

Strate- Es sind nicht immer nur 36 Strategeme, die einzelne Listen dar-
gemziel: stellen, um einen Sieg zu erringen. Vielmehr bietet es sich in
manchen Situationen an, verschiedene Listen miteinander zu
verknüpfen. In ihrer Gesamtheit wiederum stellen sie gegen ei-
nen Gegner eine starke Waffe dar.

Taktik: ---

Komplexe Situationen erfordern komplexes Handeln. Je stärker ein Gegner oder Feind ist, um so
größer die Herausforderung, diesen zu besiegen. Wenn man einen Angriff gestartet und sich für ein
Strategem entschieden hat, muss es immer einen "Plan B" oder "Plan C" geben, sofern "Plan A" nicht
greift oder scheitert. Das setzt auch voraus, dass man Verluste einkalkuliert und so flexibel ist, auf
andere Strategeme ausweichen zu können. Für die erfolgreiche Anwendung dieses Strategems sind
Wissen, Erfahrung, Können, Intuition, Gedächtnis, Kreativität und Wachsamkeit erforderlich. Nur im
Zusammenspiel verschiedener Kräfte gelingt der Sieg. Allerdings setzt die Anwendung dieses Strate-
gems Kenntnisse um die übrigen Strategeme voraus und es kann somit nie für sich alleine stehen.
Ferner braucht man Erfahrung im Umgang mit Strategeme und muss ein wachsames Auge auf Details
haben, mögen sie noch so unwichtig erscheinen. Eine falsche Person angegriffen oder eine falsche
Information gestreut kann einen Kumul- oder Kolateralschaden ohnegleichen anrichten.

Wachsamkeit ist erforderlich, um sich mit ganzer Energie auf das erklärte Ziel zu stürzen. Dabei
kann der "Gegner" auch man selbst sein, gegen den man kämpfen muss. Will man in seinem Leben
etwas ändern, ist es nicht allein erforderlich, vielleicht den Job oder den Partner zu wechseln. Viel-
leicht sind es auch Ess-, Trink- oder Rauchgewohnheiten, über die man durch Änderung der Anwen-
dung ein neues, schöneres Leben begehrt. In diesem Fall wendet man Strategeme gegen sich selbst
in der Hoffnung, seinem Leben wieder mehr Sinn zu geben und die "Vernichtung des Feindes" darin
besteht, durch Selbstüberlistung den gewünschten Erfolg oder Sieg zu erringen. In diesem Fall sind
Strategeme sinnvolle Ergänzungen zu einem "Selbstverwirklichungs-Masterplan".

Die historische Gegebenheit hinter dem 35. Strategem:

Wir erinnern uns an das Strategem 34, in dem sich die List darauf konzentriert, aus der zahlenmäßi-
gen Überlegenheit des Feindes und seiner Unkenntnis über die strategische Seekriegsführung einen
Angriffspunkt zu machen. Ziel ist es dabei, die erkennbare Schwachstelle des Gegners zu nutzen,
um ihn so zu schwächen, dass seine Gesamtstärke eher hinderlich denn förderlich ist. Allein das Un-
wissen über den Seekrieg des General Cao Cao hat zu seinem Untergang geführt. Da nützten ihm
auch seine große Streitmacht, seine berittenen Krieger oder die große Anzahl von Bogenschützen
nichts, wenn sie gegen Feuer, Untergang und Ertrinken kämpfen müssen.

Die folgende historische Gegebenheit ist dieselbe, wie sie auch in Strategem 34 Verwendung
findet:

Nachdem Cao Cao die beiden gegnerischen Admiräle hat köpfen lassen (in Strategem 33 beschrie-
ben), gab sich General Zhou Yu öffentlich absolut überzeugt, dass seine eigene Streitmacht die von
Cao Cao vernichtend schlagen wird, obwohl die eigenen Leute zahlenmäßig deutlich unterlegen wa-
ren. Für ihn war die Niederlage Cao Cao besiegelte Sache und er wollte den Vorstoß planen, als ihm
einer seiner treuesten Admiräle mit Namen Huang Gai widersprach und stattdessen Rückzug und Ka-
pitulation empfahl. Das erboste den General so sehr, dass der Admiral sofort geköpft werden sollte.
Doch die anderen Offiziere waren von diesem Vorschlag entsetzt und fielen auf die Knie, um für das
Leben des verdienten Admirals zu beten.

Erst nach langem Bitten und Betteln ließ sich General Zhou Yu erweichen, die Todesstrafe in 100
Peitschenhiebe zu verwandeln, den Admiral zu degradieren und ihn für den Rest seines kümmerli-
chen Lebens in einen Kerker zu sperren. Nach 50 Peitschenhieben waren das bloße Rückgrat und
Rippen in einem Matschhaufen von Fleisch und Blut zu sehen und die Offiziere fielen erneut auf die
Knie, um für das Leben des alten und verdienten Admirals zu flehen. Auch diesmal gab der General
nach und befahl, den Admiral einen Tag lang dort in der Sonne liegen zu lassen. Einen Tag nun lag
der Admiral, vor Schmerzen gekrümmt, in der Sonne und sein Leben schien fast ausgehaucht, als ihn
seine treuen Gefolgsleute nach der abgelaufenen Zeit vom Platz des Auspeitschens in ein Kranken-
bett bringen konnten um ihn zu pflegen.

Nachdem der Admiral wieder ein wenig bei Sinnen war, rief er seinen getreuesten Gefährten zu
sich, um ihn zu bitten, ein Schreiben an den gegnerischen General zu verfassen und dann persönlich
zu übergeben. Darin bot er ihm seine Dienste an und wies dabei auf die erlittene Pein und die Unfä-
higkeit seines eigenen Generals hin, eine ausweglose Situation zu erkennen und dagegen etwas zu
unternehmen. In der nun folgenden Seeschlacht würde er, Admiral Huang Gai, sein Wissen in die
Dienste das Generals Cao Cao stellen und dessen Seestreitkräfte befehligen.

Cao Caos Spion Cai Jhong wurde daraufhin beauftragt, den Wahrheitsgehalt des Admirals zu prüfen
und gelangte auf "wundersame Weise" in die Nähe des Admirals, der immer noch mehr tot als leben-
dig gekrümmt auf seinem Krankenbett lag. Der sonst sehr misstrauische Cao Cao war danach über-
zeugt, im Admiral einen wichtigen Verbündeten zu haben. Außerdem machte ihn die Verlegenheit
nach dem unnötigen Tod seiner beiden vermeintlichen Verräter-Admiräle keine geeignete Führungs-
kraft in den eigenen Reihen zu haben, die seine Flotte befehligen konnte.

Zwischen dem Admiral Huang Gai und Cao Cao wurde vereinbart, dass der Admiral am Tag der
Schlacht in einem Boot zur Flotte Cao Caos überlaufen solle. Als äußeres Zeichen sollte es die alte
Standarte mit dem grünen Drachen des Admirals tragen. Anschließend sollte der Admiral das Ober-
kommando der feindlichen Seestreitkräfte übernehmen.
Als erste Aktion gab der Admiral dem Cao Cao einige wichtige Informationen zur strategischen
Kriegsführung auf See. Es waren eher Allgemeinplätze, wie man heute sagen würde, und eher geeig-
net, General Cao Cao zu beeindrucken, anstatt ihm wirkliche strategische Details zu verraten. Au-
ßerdem war die Vielzahl der Einzelinformationen zu viel, als dass sich ein einzelner Mensch sie sich
hätte merken können, wenn man sie erstmalig hört.
Beiläufig erwähnte der Admiral, dass Schiffe besser im Wasser lägen und manövrierfähig seien,
wenn man sie aneinander ketten und Planken darauf befestigen würde. Dann könnten sogar berit-
tene Reiter schnell von einer zur anderen Seite wechseln und die Flotte wäre deutlich schlagkräfti-
ger. Das leuchtete Cao Cao ein und er befahl, Ketten zu schmieden und die Schiffe miteinander zu
verbinden.

Nachdem das geschehen war, ließ der Admiral die feindlichen Schiffe hintereinander in eine
Schlachtformation aufstellen und einen bestimmten Kurs auf dem Fluß steuern. Es sollte sicherge-
stellt werden, dass man auf diese Weise optimal auf den Angriff seines früheren Generals Zhou Yu
reagieren konnte, der ihn so grausam verstümmelt hatte. Um die Befehle besser geben zu können,
verlangte der Admiral ein kleineres Schiff, das durch handverlesene Offizieren befehligt wurde.
Flußaufwärts näherten sich auch schon einige Schiffe der kleinen Streitmacht von General Zhou Yu.
Cao Cao war voller Zuversicht, dass sich nun das Blatt zu seinen Gunsten wenden würde. Doch dann
überschlugen sich die Ereignisse. Die großen, schwerfälligen Schiffe von Cao Cao hatten für diesen
Teil des Flusses zuviel Tiefgang und fuhren auf die dort vorhandenen Sandbänke, die nur der Admi-
ral genau kannte. Die Schiffe, die hinter der Flotte von Cao Cao den Fluß hinab fuhren, waren kei-
nes weg mit Soldaten gespickte Kriegsschiffe, sondern größere flache Boote, die Öl und andere flüs-
sige Stoffe enthielten, die man gegen die aneinander gekettete, gestrandete und festliegend Flotte
von Cao Cao führte und in Brand setzte. Günstige Winde ließen die Feuer von einem Schiff auf das
nächste übergehen und die komplette Flotte von Cao Cao brannte nieder und leitete endgültig sei-
nen Niedergang ein.
Tatsächlich war die Verstümmelung des Admirals eine Absprache mit seinem General Zhou Yu, dem
er immer treu ergeben war. Um diese Seeschlacht gewinnen zu können, musste dieses drakonische
Mittel gewählt werden, um Cao Cao im Glauben zu lassen, dass der Admiral wirklich allen Grund
hatte, den General Zhou Yu zu hassen und ihm alles Schlechte zu wünschen. Diese Absprache zwi-
schen den beiden musste absolut geheim gehalten werden, um den Erfolg dieser Aktion nicht zu ge-
fährden. Aus Loyalität setzte der Admiral nicht nur seine Gesundheit aufs Spiel, sondern sogar sein
Leben war konkret in Gefahr, so drakonisch war die Vorgehensweise.
36. Strategem

Wenn alles scheitert: Rückzug und Flucht

Katego- Weglauf-Strategem, Rückzug-Strategem


rie:

Sinnhaf- Zeichnet sich eine absolut aussichtslose Lage ab und es besteht


tigkeit: rechtzeitig die Chance dazu, dann ist Rückzug die beste Vertei-
digung.

Strate- Wie sagte Mao Zedong: "Wenn die Schlacht zu gewinnen ist,
gemziel: dann schlag sie. Andernfalls geh ihr aus dem Weg." Rückzug
birgt immer die Möglichkeit, neu anzugreifen. Sei kein Held,
sondern clever!

Taktik: ---

Wir im Westen lieben Hollywood-Filme, in denen der Held gewinnt. Er kriegt zwar meist "eins
drauf", kommt aber immer wieder auf die Füße. Meistens zumindest. Der Held kämpft bis zum letz-
ten Blutstropfen oder kapituliert, was meist in einer totalen Niederlage endet und in den ver-
schiedensten Genres nicht vorgesehen ist, sieht man einmal von Historiendramen ab. Das gilt auch
für Verhandlungen mit dem Feind und insofern handelt es sich hierbei zumindest um eine halbe Nie-
derlage.

Am wenigsten kann ein Held punkten, wenn er sich durch Flucht einem heldenhaften Ende entzieht.
Doch genau hier setzt das 36. Strategem an, auf Rückzug oder Flucht.

Mao Zedong wird mit dem Satz zitiert: "Wenn die Schlacht zu gewinnen ist, dann schlag sie. Andern-
falls geh ihr aus dem Weg."

Den Gegner zu bekämpfen setzt eine gewisse Siegchance voraus. Ist diese von vorne herein nicht ge-
geben, sollte man sich zurückziehen und auf bessere Möglichkeiten warten. Damit verliert niemand
sein Gesicht, sondern schont seine Kräfte und sammelt sie für einen nächsten, größeren Angriff. Den
richtigen Zeitpunkt für eine Flucht zu erkennen, bedeutet auch ein gewisses Maß an taktischem Ta-
lent, das nicht jeder besitzt und darf nicht mit Kapitulation gleichgesetzt werden. In Wirklichkeit
wird durch Flucht der Kampf lediglich unterbrochen und gibt dem Verlauf der Aktion eine neue
Chance, siegreich zu enden. Rückzug und Flucht können auch einen Strategiewechsel einleiten und
die Möglichkeit erhöhen, den Gesamtsieg davon zu tragen.

Die historische Gegebenheit hinter dem 36. Strategem:

Als Kaiser Wei Tai aus dem Staat Wu die Nachricht ereilte, dass der berühmte Song-General Tan Dao
Ji seine Truppen nordwärts gegen sein Land führte, rief er seine beiden Generäle Shu Sun Jian und
Gong Sun Sao Sheng zu sich. Er fragte sie, wie diese das Land verteidigen wollten, ohne es kampflos
aufzugeben, wo doch die Truppen von Song zahlen- und kräftemäßig total überlegen seien.

Die Heere der beiden Generäle vereinigten sich und schlugen sich in der Schlacht von Li Cheng wa-
cker gegen die Truppen General Tan Dao Ji's. Wegen der Überlegenheit der Song-Truppen zeichnete
sich eine Niederlage ab und die Generäle überlegten, wie sie es geschickt zurückziehen könnten,
ohne dass der Feind ihnen nachstellt. Ziel dieser Strategie war es, durch den Rückzug Zeit zu gewin-
nen, um die Kräfte neu zu bündeln. Während der Schlacht konnten einige Kriegsgefangene aus Song
gemacht werden. Diese sprachen einheitlich von der Lebensmittelknappheit, unter der die die Song-
Armee litt und die Kampfeskraft schwächte. Nur noch für drei Tage sollte es reichen und dann gab
es für die Soldaten keine Nahrung mehr. Der feindliche General Tan Dao Ji hatte sogar schon be-
schlossen, sich zurückzuziehen, um sich mit neuen Lebensmitteln einzudecken und dann erneut an-
zugreifen.

Als der Wu-General Shu Sun Jian das hörte freute er sich und sah seine goldene Chance, die Song-
Armee bei ihrem Rückzug zu schlagen. Er rechnete sich aus, dass Truppen bei einem Rückzug ohne-
hin geschwächt sind und man es sich in der Song-Armee wegen der Lebensmittelknappheit zudem
nicht leisten konnte, sich in Kämpfe einzulassen und weitere Kraft zu verlieren. Das wusste selbst-
verständlich auch der Song-General Tan Dao Ji und griff zu einer Rückzugstaktik, die die nachstel-
lende Armee davon abhielt, den Song-Truppen nachzustellen.

General Tan Dao Ji befahl seinen Soldaten, im Lager Abendessen zuzubereiten. Sie sollten Feuer an-
zünden und Reis kochen, sowie gut riechende Zutaten zu reichen. Überall duftete es nach leckerem
Essen, was natürlich auch den Wu-Generälen nicht verborgen blieb und von Lügen ausgingen, die die
Song-Gefangenen verbreitet hätten. Sie stoppten den geplanten Vormarsch und schickten Späher
zum feindlichen Lager, um weitere Informationen zu erhalten. Da General Tan Dao Ji davon ausging,
dass er ausgespäht werden würde, befahl er seinen Offizieren, lautstark die Säcke zu zählen, in die
das Reis abgefüllt wurde. Es waren jeweils 200 Kilogramm-Säcke, die Stück für Stück gezählt wur-
den und man kam insgesamt auf über einhunderttausend Kilogramm. Außerdem sollten die Soldaten
beim Befüllen der Säcke nicht so ordentlich sein und viel Reis auf dem Fußboden verteilen und da-
rauf laufen. Mittlerweile hatte sich schon ein ansehlicher Berg an Reissäcken gebildet und die Spä-
her meldeten dem General Shu Sun Jian, das Gesehene. Der General entschied daraufhin, keinen
Angriff auf die rückziehenden Sung-Truppen vorzunehmen, sondern auf den nächsten Tag zu warten.

Am Folgetag saß Wu-General Shu Sun Jian in voller Rüstung auf seinem Pferd und wollte den Angriff
einleiten. Doch aus dem Sung-Lager drangen Ohren betäubender Trommelwirbel zur Wu-Armee hin-
über. Man sah General Tan Ji Dao lässig auf seinem Kampfwagen sitzen und sich auf die Schlacht
vorzubereiten. Überall waren Song-Fahnen zu sehen, die in geordneter Kampfformation gegen die
Wu-Armee marschierte. Als Sun Jian Shu das sah, glaubte er nicht mehr daran, dass die Sung-Trup-
pen in irgend einer Weise geschwächt seien und ordnete den Rückzug seiner eigenen Truppen zehn
Kilometer tiefer ins Binnenland. Auf diese Weise konnten die Truppen von Wei ohne Kräfte verzeh-
rende Kämpfe den geordneten Rückzug vornehmen, ohne von den Wu-Truppen verfolgt zu werden.

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