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73. Jahrgang, 47–48/2023, 18.

November 2023

AUS POLITIK
UND ZEITGESCHICHTE
Nato
Karl-Heinz Kamp Elisabeth I-Mi Suh
RÜCKBLICK AUF EIN NEUER FOKUS FERNOST
DREIVIERTELJAHRHUNDERT
Anita Kiamba
Simon Koschut DIE NATO AUS
DIE WESTLICHE PANAFRIKANISCHER
SICHERHEITSGEMEINSCHAFT PERSPEKTIVE
IM UMBRUCH
Stormy-Annika Mildner ·
Matthias Dembinski · Lennart Nientit
Wojciech Michnik · Olena Halushka · ALTE PARTNER, NEUE ROLLEN?
Iryna Krasnoshtan EIN BLICK AUF DEUTSCHLAND
PERSPEKTIVEN AUF DAS NATO- UND DIE USA
UKRAINE-VERHÄLTNIS
Joshua Shifrinson
OSTERWEITERUNG UND DIE
BEZIEHUNGEN ZU RUSSLAND

Der
APuZ-Podcast

ZEITSCHRIFT DER BUNDESZENTRALE


dcast
FÜR POLITISCHE BILDUNG bpb.de/apuz-po

Beilage zur Wochenzeitung


Nato
APuZ 47–48/2023
KARL-HEINZ K ­ AMP JOSHUA SHIFRINSON
RÜCKBLICK AUF EIN OSTERWEITERUNG UND DIE BEZIEHUNGEN
DREIVIERTELJAHRHUNDERT ZU RUSSLAND
Die 75-jährige Geschichte der Nato ist geprägt Nach dem Ende des Kalten Kriegs stand die
durch ständige Anpassung an ein sicherheits- Nato vor einem Dilemma: Einerseits versprach
politisches Umfeld im Wandel. Die Bedrohung eine Erweiterung nach Osten sicherheitspoliti-
durch Russland und verschiedene Herausforde- sche Stärkung. Andererseits schienen Konflikte
rungen im asiatisch-pazifischen Raum werden mit Russland absehbar. Das Handeln der Allianz
ihre zukünftige Entwicklung beeinflussen. war in diesem Kontext von Interessen geleitet.
Seite 04–09 Seite 28–34

SIMON KOSCHUT ELISABETH I-MI SUH


DIE WESTLICHE SICHERHEITSGEMEINSCHAFT NEUER FOKUS FERNOST
IM UMBRUCH In ihrem strategischen Konzept nimmt die Nato
Die Nato versteht sich als eine militärisch-poli- den indo-pazifischen Raum in den Blick. Diese
tische Allianz, die auch eine Werte­gemeinschaft Entwicklung geht auch einher mit dem geo­
verkörpert. Ursprünglich im Kalten Krieg als politischen Machtanspruch Chinas. Bevorzugte
Verteidigungsbündnis gegründet, tritt die Nato Nato-Partner sind Australien, Japan, Südkorea
seit den 1990er Jahren als globaler Sicherheitsak- und Neuseeland.
teur in Erscheinung. Seite 35–41
Seite 10–16
ANITA KIAMBA
MATTHIAS DEMBINSKI · WOJCIECH MICHNIK · DIE NATO AUS
OLENA HALUSHKA · IRYNA KRASNOSHTAN PANAFRIKANISCHER PERSPEKTIVE
PERSPEKTIVEN AUF DAS Seit dem Ende des Kalten Kriegs haben sich die
NATO-UKRAINE-VERHÄLTNIS Sicherheitsherausforderungen auf dem afrikani-
Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine schen Kontinent verändert. Die Wahrnehmung
seit Februar 2022 hat die sicherheitspolitische der Nato fällt gemischt aus. Zugleich bestehen
Landkarte Europas dramatisch verändert. Das verschiedene Ebenen der Zusammenarbeit,
Verhalten der Nato ist in dieser Konfliktlage von insbesondere mit der Afrikanischen Union.
besonderer Bedeutung. Die Ukraine fordert eine Seite 42–48
belastbare Beitrittsperspektive zum Bündnis.
Seite 17–27
STORMY-ANNIKA MILDNER · LENNART NIENTIT
EIN BLICK AUF DEUTSCHLAND UND DIE USA
Die von Olaf Scholz 2022 angekündigte
„Zeitenwende“ hat bei den Nato-Partnern
hohe Erwartungen geweckt. Vor allem die USA
loben das deutsche Engagement für die Ukraine
und setzen auf Multilateralismus. Werden die
US-Wahlen 2024 diesen Kurs verändern?
Seite 49–54
EDITORIAL
Die kollektive Sicherheit ihrer Mitglieder gewährleisten, der So­wjet­union und
ihren Verbündeten eine Allianz freiheitlicher Demokratien gegenüberstellen und
auf militärische Abschreckung setzen – mit diesem Selbstverständnis wurde die
North Atlantic Treaty Organization, der Nordatlantikpakt, am 4. April 1949
in Washington, D. C. gegründet. Mitglieder der ersten Stunde waren die USA,
Kanada und zehn westeuropäische Staaten. Inmitten der Blockrivalität des Kal-
ten Kriegs galt die Nato als Garant für militärische Stärke und Organ politisch-
strategischer Vorausschau des Westens. Zugleich bewegt sie sich seit ihrer Grün-
dung in einem Spannungsverhältnis: Sie verfügt einerseits über eine ausgeprägte
Fähigkeit zur Integration sehr unterschiedlicher Mitgliedstaaten. Andererseits
ringt sie mit der Aufgabe, divergierende Interessenlagen und Erwartungen
innerhalb dieser Gemeinschaft produktiv auf einen Nenner zu bringen.
Mit der Auflösung des Warschauer Pakts und dem Ende der UdSSR 1991
fand sich die Nato in einer Identitätssuche wieder. Kontroversen über ihren Auf-
trag, ihre Erweiterung und militärische Lastenteilung sollten fortan zum sicher-
heitspolitischen Grundrauschen gehören. Dennoch schaffte man Fakten: Nach
den Terroranschlägen auf die USA am 11. September 2001 rief die Nato erstma-
lig in ihrer Geschichte den Bündnisfall aus. Durch Einsätze auf dem Balkan, in
Afghanistan und auf dem afrikanischen Kontinent etablierte sie sich als globaler
Sicherheitsakteur. Schließlich gewann sie an Größe: Das Bündnis umfasst derzeit
31 Mitgliedstaaten, viele von ihnen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa.
Wo steht die Allianz heute, vor ihrem 75. Gründungsjubiläum? Sie muss in
einem krisenhaften Umfeld ihre Rolle neu definieren. Angesichts des russischen
Angriffskriegs gegen die Ukraine bleibt Solidarität mit Kyjiw weiterhin geboten.
Auch die innenpolitischen Entwicklungen in den USA werden entscheidend
dafür sein, ob die Nato als multilaterales Bündnis zukunftsfähig bleibt.

Martin Schiller

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APuZ 47–48/2023

NATO: RÜCKBLICK AUF EIN


DREIVIERTELJAHRHUNDERT
Karl-Heinz Kamp

Die so oft totgesagte Nordatlantische Allianz prä- und Verteidigung. War sie bei ihrer Gründung
sentiert sich zu ihrem bald 75. Jubiläum in erstaun- noch ein loser Staatenbund ohne feste Strukturen
lich guter Verfassung, auch wenn die Tragödie des und Gremien, so wurde 1951 das Amt des mili-
Kriegs gegen die Ukraine keine rechte Feierstim- tärischen Oberbefehlshabers geschaffen (Supre-
mung aufkommen lassen will. Das Prädikat des er- me Allied Commander Europe – SACEUR) und
folgreichsten politisch-militärischen Bündnisses 1952 die Position des Nato-Generalsekretärs.03 Die
der neueren Geschichte ist nicht übertrieben, hat akute Bedrohung durch die So­wjet­union machte
die Nato doch durch ständige Anpassung an neue auch bald die Aufnahme (West-)Deutschlands in
sicherheitspolitische Anforderungen auf die Verän- die Nato erforderlich, obgleich es erhebliche Vor-
derungen der vergangenen Jahrzehnte reagiert und behalte gegen die gerade erst aus den Ruinen des
stets ihre eigene Relevanz bewahrt.01 Sie hat zum „Dritten Reichs“ auferstandenen Bundesrepublik
Ende des Ost-West-Konflikts ebenso beigetragen gab. Sie wurde aufgrund ihrer geostrategischen
wie zum Aufbau einer gesamteuropäischen Sicher- Lage zwischen Ost und West sogleich zum poten-
heitsordnung nach dem Ende des Kalten Kriegs. ziellen Schlachtfeld einer militärischen Auseinan-
Als diese 2014 von einem revanchistischen Russ- dersetzung und entsprechend ausgerüstet. Streit-
land mit der Annexion der Krim eingerissen wurde, kräfte aus Belgien, Dänemark, den N ­ iederlanden,
schwenkte die Nato auf ihre klassische Rolle als Ver- dem Vereinigten Königreich und den USA wur-
teidigungsallianz um, nicht ahnend allerdings, dass den entlang der innerdeutschen Grenze positio-
sie acht Jahre später mit einem russischen Angriffs- niert. Dies sollte nicht nur eine militärische Ver-
krieg an ihrer Ostgrenze konfrontiert sein würde. teidigungsfähigkeit sichern, sondern war auch ein
Mit Moskaus Angriff auf die Ukraine im Februar politisches Zeichen der Bündnissolidarität, wären
2022 fand das Bündnis endgültig zu seiner ursprüng- doch im Falle eines so­wje­tischen Angriffs eine gan-
lichen Funktion als Garant der Sicherheit und terri- ze Reihe von Nato-Mitgliedern von Anfang an in
torialen Integrität ihrer Mitglieder gerade in Osteu- die Kampfhandlungen involviert gewesen.
ropa zurück. Selbst wenn derzeit nicht absehbar ist, Gleichzeitig stationierten die USA zahlreiche
wann und mit welchen Ergebnissen Wladimir Pu- Kernwaffen auf westdeutschem Boden, um der
tins brutaler Krieg gegen die Ukraine enden wird, Idee der nuklearen Abschreckung Glaubwürdig-
so wird die Einhegung eines aggressiven Russlands keit zu verleihen. Damit war die Nato anfangs vor
eine zentrale Zukunftsaufgabe des Bündnisses blei- allem eine militärische und auch eine nukleare Alli-
ben. Darüber hinaus zeichnen sich bereits neue si- anz, die aber mit dem zivilen Generalsekretär an der
cherheitspolitische Gefahren vor allem im asiatisch- Spitze über eine klare politische Führung verfügte.
pazifischen Raum ab, die eine handlungsfähige und Es ist deshalb auch kein Zufall, dass eine der größ-
geeinte Nordatlantische Allianz erfordern. ten internen Krisen der Nato in dieser Phase, näm-
lich der Streit um die Stationierung von atomaren
EINE ERFOLGREICHE ALLIANZ Mittelstreckenwaffen in Europa Anfang der 1980er
Jahre, eine nukleare Krise war.
Bis zum „Wendejahr“ 2014 haben Beobachter der Der Mauerfall im November 1989 beendete
Nato die Geschichte der Allianz gerne in drei Pha- diese erste Phase und warf sogleich die Frage auf,
sen eingeteilt.02 In einer ersten Phase, die von ihrer ob ein politisch-militärisches Bündnis fortbeste-
Gründung 1949 bis zum Fall der Berliner Mauer hen könne, dessen ursprüngliche Begründung,
1989 reichte, entwickelte sich das Bündnis vor allem nämlich die Bedrohung durch die Sowjetunion
zu einem Instrument westlicher Selbstbestimmung und ihre Verbündeten, weggefallen war.

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Nato APuZ

Diese Frage beantwortete sich aber von selbst, te ab März 1999 einen Krieg gegen Serbien, um
wurde das Ende des Kalten Kriegs doch rasch von die Gewalt im Kosovo zu beenden. Bemerkens-
zwei politischen Entwicklungen überlagert: zum ei- wert war, dass die deutsche Beteiligung am Ko-
nen die Krisen auf dem Balkan, die durch den Zerfall sovo-Krieg unter einer Koalition von SPD und
Jugoslawiens123 hervorgerufen wurden, und zum an- Bündnis 90/Die Grünen zustande kam, zwei Par-
deren das Drängen der neuen Demokratien in Ost- teien, die einer Anwendung militärischer Gewalt
europa auf eine Einbeziehung in transatlantische überaus kritisch gegenüberstanden und sich nur
Sicherheitsstrukturen, um nicht in einem sicher- unter Schmerzen zur Kriegsteilnahme durchrin-
heitspolitischen Niemandsland zwischen Russland gen konnten. Glücklicherweise endete der Krieg
und der Nato zu enden. Beide Entwicklungen stell- nach 78 Tagen mit der Kapitulation Serbiens, war
ten die Nato vor die Herausforderung, zu einem es doch äußerst fraglich, wie lange die Nato noch
Europa „whole and free and at peace“ beizutragen, den inneren Zusammenhalt zu einer Fortsetzung
so wie es der US-Präsident George H. W. Bush vor der Kämpfe aufgebracht hätte. Bis heute sind
dem Mauerfall im Mai 1989 skizziert hatte.04 etwa 3800 Soldatinnen und Soldaten im Rahmen
Die Eruption von Bürgerkrieg und ethnischer der Nato Kosovo Force (KFOR) in der Region
Gewalt auf dem Balkan traf die meisten Nato- stationiert, um ein Wiederaufflammen der Kon-
Staaten weitgehend unvorbereitet. Gerade für die flikte zwischen den Ethnien zu verhindern.
Streitkräfte der europäischen Bündnismitglieder Wesentlich weniger kontrovers gestaltete sich
– mit Ausnahme Frankreichs und des Vereinigten die Reaktion der Nato auf die zweite politische
Königreichs – galt nach wie vor die Losung, dass Notwendigkeit, nämlich die politische Transfor-
der „Ernstfall der Frieden“ sei und dass der Zweck mation der Mitglieder des untergangenen War-
des Militärs vor allem in der Abschreckung und schauer Pakts zu unterstützen und den demokra-
damit in der eigenen physischen Präsenz liege. Ein tischen Staaten unter ihnen eine transatlantische
realer Einsatz von Streitkräften war bislang eine Perspektive zu bieten. Dabei galt es, die Sicher-
theoretische Option gewesen, die es angesichts heitsinteressen Russlands ebenso in Betracht zu
der nuklearen Vernichtungspotenziale in Ost und ziehen, wie auch ein politisches Machtvakuum
West in jedem Fall zu verhindern galt. Auch ver- zwischen Russland und den Ostgrenzen der Nato
steckten sich Länder wie Deutschland gern hinter zu vermeiden. Der 1988 ins Amt gekommene Na-
der (falschen) Behauptung, dass der Nato-Vertrag to-Generalsekretär und ehemalige deutsche Ver-
ohnehin keine militärischen Operationen out of teidigungsminister Manfred Wörner hatte diese
area, also außerhalb der Bündnisgrenzen, erlauben Notwendigkeit als einer der ersten erkannt und im
würde. Diese zögerliche Haltung ließ sich aber an- Bündnis vorangetrieben. Für ihn war die Nato die
gesichts der zunehmenden Gewalt in Südosteuro- „Midwife of Change“05, die Geburtshelferin des
pa nicht durchhalten, und die Nato entsandte Ende Wandels, die in der Stabilisierung Ost- und Mittel-
1995 unter dem Kürzel IFOR (Implementation europas eine geradezu historische Aufgabe h ­ atte.
Force) eine gemeinsame Streitmacht nach Bosni- Allerdings vollzog sich dieser Prozess nicht
en und Herzegowina, um das ausgehandelte Frie- ohne allianzinterne Debatten. Der deutsche Ver-
densabkommen von Dayton zu überwachen. teidigungsminister Volker Rühe sprach sich be-
Vier Jahre später ging die Allianz über das rein reits 1993 für die Aufnahme osteuropäischer
militärische Krisenmanagement hinaus und führ- Staaten aus – vor allem Polen, Ungarn und die
Tschechische Republik.06 Damit stieß er aber an-
fangs nicht nur in London und Paris, sondern
01 Zum historischen Alleinstellungsmerkmal der Nato siehe auch in Washington auf Kritik, wo man versuch-
beispielsweise Massimo de Leonardis, Introduction: NATO in Its
te, russische Sorgen vor einem möglichen Aus-
Seventh Decade – A Reappraisal, in: ders. (Hrsg.), Nato in the
Post-Cold War Era. Security, Conflict and Cooperation in the
greifen der Nato in Richtung Osten zu zerstreu-
Contemporary World, Cham 2023, S. 1–22. en. Deshalb dauerte es bis 1999, bis die ersten
02 Vgl. Michael Rühle, Entwicklungslinien des Atlantischen
Bündnisses, in: APuZ 43/2006, S. 3–10.
03 Zu den Anfangsjahren der Nato siehe etwa Dean Acheson, 05 Nato, Wörner: NATO is the „Midwife of Change“, 9. 11. 1989,
Present at the Creation, New York 1969. ­https://archives.nato.int/worner-​nato-​is-​midwife-​of-​change.
04 George H. W. Bush, A Europe Whole and Free, Remarks 06 Er tat dies 1993 im Rahmen einer Rede in London. Vgl. ders.,
to the Citizens in Mainz, 31. 5. 1989, h­ ttps://usa.usembassy.de/ Shaping Euro-Atlantic Policies: A Grand Strategy for a New Era,
etexts/ga6-​890531.htm. Alastair Buchan Memorial Lecture, in: Survival 2/1993, S. 129–137.

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APuZ 47–48/2023

Neumitglieder aufgenommen wurden. Um die Grenzen bekämpft. Emblematisch dafür wurde


Zustimmung Moskaus zu erhalten, wurde 1997 der Ausspruch des damaligen deutschen Verteidi-
eine sogenannte Grundakte zwischen Russland gungsministers Peter Struck, dass „die deutsche Si-
und der Nato unterzeichnet und gleichzeitig ein cherheit auch am Hindukusch verteidigt“ werde.07
ständiger Nato-Russland Rat eingerichtet. Alle Es zeigte sich aber bald, wie schwierig die Um-
drei Schritte, die Zustimmung Moskaus, das Na- setzung des Gedankens von Stabilitätsexport und
to-Russland-Dokument und der Ständige Rat wi- Demokratisierung über weite Distanzen in Welt-
derlegen die heute oft geäußerte Behauptung, die regionen ist, deren Gesellschaften von Stammes-
Nato habe mit der Aufnahme neuer Mitglieder strukturen geprägt sind und mit den vermeintlich
die Sicherheitsinteressen Moskaus verletzt. segensreichen „westlichen“ Lebensmodellen nur
Wenige Jahre später folgten in einer weiteren wenig anfangen können oder wollen. Die Idee des
Erweiterungsrunde die drei baltischen Staaten so- Krisenmanagements durch Stabilitätsexport hielt
wie Bulgarien, Rumänien, Slowenien und die Slo- sich noch eine Weile und so wundert es nur we-
wakei. Parallel zur Aufnahme neuer Mitglieder nig, dass die Nato 2011 militärisch in Libyen ein-
etablierte die Nato enge Partnerschaften mit den griff, um das Regime des Diktators Muammar
Ländern, die nicht dem Bündnis beitreten konn- al-Gaddafi an einem Massenmord an der eige-
ten oder wollten, um die euro-atlantische Sicher- nen Bevölkerung zu hindern. Auch hier zeigten
heitszone auf eine möglichst breite Basis zu s­ tellen. sich die Grenzen des militärischen Krisenmana-
Mit den Anschlägen vom 11. September 2001 gements. Obgleich die Operationen der Nato er-
in New York begann die dritte Phase der Nato, in folgreich waren und letztlich zum Sturz des Gad-
der sich die Allianz zu einem globalen Sicherheits- dafi-Regimes beitrugen, konnte eine nachhaltige
akteur entwickelte, der sich um die Stabilisierung Stabilisierung des Landes nicht erreicht werden.
von Krisenregionen fernab der eigenen Bündnis- Die libysche Bevölkerung und die Mächte in der
grenzen bemühte. Dabei veränderte der Terroran- Region, die anfangs das Eingreifen der Nato eu-
griff von al-Qaida die internationale Sicherheits- phorisch begrüßt hatten, wandten sich bald ab und
landschaft mindestens ebenso stark, wie zwölf zerfielen in verschiedene Lager. Das Resultat ist
Jahre zuvor das Ende des Kalten Kriegs. Das lag ein bis heute andauernder Bürgerkrieg, in dem ri-
nicht allein an den hohen Opferzahlen des bruta- valisierende Gruppen von unterschiedlichen Staa-
len Terroraktes, sondern auch an der dramatischen ten unterstützt werden.
Erkenntnis in den USA, dass eine kleine Gruppe
mit begrenztem Organisationsgrad und noch be- DAS VIERTE ZEITALTER DER NATO
grenzteren Ressourcen in der Lage war, die größ-
te Militär- und Wirtschaftsmacht der Welt in eine Folgt man der Einteilung der Nato-Geschichte in
ernste Krise zu stoßen. Dies veränderte die US-­ Phasen, dann befindet sich das Bündnis derzeit in
Sicherheitspolitik ebenso wie das Selbstverständnis Phase vier, die mit Russlands Annexion der Krim
der Nato in den kommenden eineinhalb Dekaden. 2014 begann und mit Moskaus Angriff auf die
Zum ersten Mal in ihrer Geschichte rief die Al- Ukraine im Februar 2022 vollends zum Tragen
lianz den Bündnisfall gemäß Artikel 5 des Nato- kam. Hatte sich die Allianz zuvor mit politischer
Vertrages aus und verpflichtete alle Mitglieder auf und militärischer Transformation oder mit mili-
die Solidarität mit dem angegriffenen Staat – den tärischem Krisenmanagement befasst, so rück-
Vereinigten Staaten von Amerika. Die Folge war te ab 2014 wieder die Landes- und Bündnisver-
eine internationale Militäroperation zum Sturz des teidigung als Daseinszweck in den Vordergrund.
Taliban-Regimes in Afghanistan, das den al-Qaida- Die Nordatlantische Allianz befand sich wieder
Attentätern Schutz geboten hatte. Im August 2003 in der Artikel-5-Welt, in einem sicherheitspoliti-
übernahm eine Nato-Schutztruppe (Internati- schen Umfeld, in dem das Sicherheitsversprechen
onal Security Assistance Force, ISAF) die Füh- mit glaubwürdigen militärischen Fähigkeiten un-
rung dieser Operation, mit dem Ziel, Afghanistan termauert sein muss.
zu stabilisieren und tragfähige Sicherheitsstruktu-
ren aufzubauen. Anfangs widmete sich die Nato
07 Rede des Bundesministers der Verteidigung Peter Struck
mit großer Euphorie dieser Aufgabe, sah sie sich vor dem Deutschen Bundestag, 20. 12. 2022, www.bundesregie-
doch zunehmend als globaler Sicherheitsakteur, rung.de/breg-​de/service/bulletin/rede-​des-​bundesministers-​der-​
der mögliche Gefährdungen weitab der eigenen verteidigung-​dr-​peter-​struck–784328.

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Nato APuZ

Nach Russlands Besetzung der Krim reagierte te sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten um die Si-
die Nato rasch auf die russische Aggressionspo- cherheitsgefährdungen aus südlicher und südöst-
litik. Mit den Entscheidungen der Nato-Gipfel- licher Richtung. Wenn auch der von der Allianz
treffen in Wales 2014 und Warschau 2016 stell- gebrauchte Begriff des „360 Grad Ansatzes“ et-
te sich das Bündnis auf die neuen Erfordernisse was übertrieben schien, so hat die Nato dennoch
ein und erhöhte die Schlagkraft ihrer militäri- ihre Präsenz im Schwarzen Meer ausgebaut und
schen Fähigkeiten. Die bereits 2002 aufgestell- Schritte gegenüber der globalen Gefahr des Ter-
te Krisen­ reaktions-Streitmacht (Nato-Respon- rorismus unternommen.
se-Force, NRF) wurde auf fast 40 000 Soldaten So wichtig all diese Maßnahmen auch waren,
erweitert und um eine 5000 Mann starke Schnelle so wurden sie von einigen Mitgliedstaaten nur
Eingreiftruppe (Very High Readiness Joint Task halbherzig betrieben. Eine Erhöhung der Vertei-
Force) ergänzt. Diese Task Force ist in ständi- digungshaushalte, die eine Realisierung der am-
ger Bereitschaft und kann in wenigen Tagen in bitionierten militärischen Planungen ermöglicht
Marsch gesetzt werden. Unter dem Schlagwort hätte, blieb in vielen Ländern aus. So verwundert
Enhanced Forward Presence (EFP) standen seit es nicht, dass von den fünf entwickelten Vertei-
2017 vier gefechtsbereite Bataillone in Estland, digungsplanungen für unterschiedliche Regionen
Lettland, Litauen und Polen zur Verfügung – je- des Bündnisses Streitkräfte für immer nur jeweils
des von einem der vier großen Nato-Mitglieder einen vorhanden waren – es hätte also kein zwei-
USA, Kanada, dem Vereinigten Königreich und ter Krisenschauplatz hinzukommen dürfen. Auch
Deutschland bereitgestellt und mit den Truppen störten sich Mitgliedsländer wie Deutschland lan-
der Gastländer koordiniert. ge daran, dass in den neuen militärischen Planun-
Zusätzlich zu den Truppenstationierungen gen überhaupt Begriffe wie „Krise“ oder „Krieg“
hatte die Nato die Zahl der militärischen Übun- vorkamen.
gen erhöht und an realistische Szenarien angepasst
sowie neue Verteidigungspläne entwickelt. Auch DER TABUBRUCH
wurden die institutionsinternen Entscheidungs-
prozesse gestrafft, sodass ein Bündnisbeschluss Vermutlich war es auch diese Halbherzigkeit, die
zum Einsatz der Schnellen Eingreiftruppe inner- den russischen Präsidenten Putin zu dem Fehlur-
halb von acht bis zwölf Stunden möglich wurde.08 teil verleitete, von diesem uneinigen, verweich-
Selbst bei der nuklearen Abschreckung wur- lichten und wenig verteidigungsbereiten Westen
den Verbesserungen erreicht. Dies zeigte sich nur wenig befürchten zu müssen und einen bru-
zunächst in einem neuen nuklearen „Mindset“ talen Krieg gegen die Ukraine wagen zu können.
in allen Nato-Ländern: Man erzielte Einigkeit Allerdings drehte sich die Stimmung nach Mos-
über die von Russland ausgehende nukleare Ge- kaus Angriff am 24. Februar 2022 in fast allen
fahr und vergegenwärtigte sich, dass die Nato Nato-Staaten grundlegend und führte zu einer si-
eine „nukleare Allianz“ bleibt. Das war keines- cherheitspolitischen Zeitenwende. Gab sich nach
falls selbstverständlich, waren doch Kernwaffen 2014 noch der eine oder andere der Illusion hin,
in den zurückliegenden vier Jahrzehnten ein stän- dass Sicherheit in Europa nur mit und nicht ge-
diger Streitpunkt in der Allianz. Auch wurden gen Moskau erreicht werden könne, waren dies-
die Reaktionszeiten der nuklearfähigen Flugzeu- mal die Gefahren durch ein revanchistisches und
ge, die im Extremfall die in Europa stationierten gewaltbereites Russland für jeden zu erkennen.
amerikanischen Kernwaffen transportieren wür- Die Reaktionen der westlichen Demokra-
den, erheblich verkürzt und in intensiven Übun- tien auf den russischen Tabubruch eines unbe-
gen immer wieder getestet. gründeten Angriffskriegs waren von einer Ge-
Darüber hinaus kam die Nato dem Drängen schlossenheit, die Moskau mit Sicherheit nicht
der südlichen Mitgliedsländer nach und kümmer- erwartet hatte. Trotz Russlands unverhohlenen
Drohungen, Kernwaffen gegen jene einzusetzen,
die der Ukraine beistehen, mobilisierten die Mit-
08 Zu Einzelheiten siehe etwa Heinrich Brauß, NATO Bey-
glieder der Nato, der EU oder der G7 gewaltige
ond 70: Renewing a Culture of Readiness, International Centre
for Defence and Security, November 2018, h­ ttps://icds.ee/
militärische und nicht-militärische Mittel. Selbst
wp-​content/uploads/​2018/​11/ICDS-​Analysis_NATO-​Beyond-​ Deutschland, oft für seine Zögerlichkeit geschol-
70_Heinrich-​Brauss_November-​2018-​1.pdf. ten, setzte mit der „Zeitenwende“ ein Zeichen

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APuZ 47–48/2023

und entwickelte sich zum zweitgrößten Unter- gliedsländern erfordern. Folgerichtig haben sich die
stützer der Ukraine nach den USA. Nato-Staaten auf ihrem Gipfeltreffen in Vilnius im
Dass diese Entwicklung von heftigen poli- Juli 2023 darauf verpflichtet, die berühmten „Zwei
tischen Debatten begleitet sein würde, verwun- Prozent“, also die Verteidigungsausgaben in Höhe
dert nicht, wollte die Allianz bei aller Hilfe für von zwei Prozent des Brutto-Inlandsprodukts,
die Ukraine doch eine Eskalation des Kriegs auf nicht mehr als Obergrenze, sondern als Mindest-
Nato-Gebiet vermeiden. Deshalb wurde von betrag zu betrachten. Ob es den Mitgliedsländern
Anfang an klargestellt, dass es die Mitgliedstaa- gelingen wird, deutlich höhere Verteidigungsaus-
ten des Bündnisses sind, welche die Ukraine mit gaben gegenüber den Kosten etwa für Klimaschutz
militärischen Mitteln unterstützen und nicht die oder die Bekämpfung illegaler Migration innenpo-
Nato als Institution. Aus diesem Grund findet litisch durchzusetzen, wird sich zeigen.
die Koordination der Hilfe für die Ukraine nicht
im Nato-Hauptquartier in Brüssel statt, sondern KÜNFTIGE HERAUSFORDERUNGEN
im sogenannten Ramstein-Format: Seit Beginn
des Kriegs treffen sich alle Unterstützerstaaten Auch wenn derzeit noch nicht absehbar ist, wann
(ob Nato-Mitglieder oder nicht) regelmäßig auf und zu welchen Bedingungen der Krieg gegen die
dem US-Stützpunkt in Ramstein, um die Waf- Ukraine zu Ende gehen wird, so sind die künf-
fenlieferungen für die Ukraine abzusprechen. tigen sicherheitspolitischen Herausforderungen
Gleichzeitig überrascht die öffentliche Unter- für die Nato schon vorgezeichnet.
stützung, welche die Waffenlieferungen an die Die vordringliche Bedrohung für die Nato wird
Ukraine, die Aufrechterhaltung der Sanktionen Russland bleiben, zumindest solange Wladimir
gegen Russland oder die Aufnahme ukrainischer Putin und seine Machtclique in Moskau regieren.
Flüchtlinge nach wie vor in fast allen Nato- Unklar bleibt allerdings, welchem Russland die
Staaten genießen. Auch hier hat Russland sich Nato künftig gegenüberstehen wird. Internatio-
verschätzt, weil man wohl von einem raschen nale Sanktionen, erheblich schwindende Einkünf-
Zusammenbrechen der Front der Ukraine-Un- te aus Waffen- und Energieverkäufen und letztlich
terstützer ausgegangen war. Die Nato hat damit die Kosten des Kriegs selbst werden einen drama-
ihre Kohäsion und ihre Handlungsfähigkeit un- tischen wirtschaftlichen Niedergang Russlands
ter Beweis gestellt. Ob dies ausreicht, um Russ- zur Folge haben. Ob sich dieser Niedergang in ei-
land irgendwann zum Rückzug zu bewegen, ist nem politischen Machtwechsel, in einer womög-
noch nicht ­absehbar. lich noch aggressiveren Nachfolgeregierung oder
Die deutlichsten Konsequenzen aus dem Krieg einer schrittweisen Desintegration des Staats nie-
gegen die Ukraine gab es – von der Öffentlichkeit derschlagen wird, ist nicht vorhersagbar. Jedes die-
nur wenig beachtet – im militärischen Bereich der ser Szenarien wird eine andere Strategie und Politik
Nato. Zwar hatte man nach 2014 die Streitkräfte- der Nato erfordern.
präsenz in Osteuropa erhöht, allerdings handel- Im unmittelbaren Zusammenhang mit der
te es sich dabei um kleinere Einheiten oder mi- Russland-Frage stehen die Sicherheitsgarantien,
litärische Kommandostellen, die der Logik der welche die Nato und weitere westliche Staaten der
Abschreckung zufolge als „Stolperdraht“ dienen Ukraine nach dem Ende der Kampfhandlungen
sollten. Würde der Stolperdraht durch einen rus- gewähren müssen, um sich einer künftigen rus-
sischen Angriff ausgelöst, sollten Verstärkungs- sischen Aggression entgegenzustellen. Aus Sicht
kräfte folgen, um den Angriff zurückzuschlagen. der Ukraine kann ihre Sicherheit nur durch einen
Nach dem Februar 2022 stellte die Nato vollends Nato-Beitritt und dem damit verbundenen Schutz
auf Verteidigung um, das heißt, es sollen – ähn- der USA gewahrt werden. Dagegen gibt es im
lich wie an der innerdeutschen Grenze im Kal- Bündnis aber erhebliche Vorbehalte, und es stehen
ten Krieg – ausreichende militärische Kapazitäten sich letztlich zwei Positionen gegenüber. Gerade
dauerhaft an den Ostgrenzen des Bündnisses stati- osteuropäische Länder wie Polen oder Rumänien
oniert werden, um einer möglichen russischen Ag- fordern einen raschen Beitritt der Ukraine, nicht
gression von Anfang an standhalten zu ­können. zuletzt um eine sichere Pufferzone zwischen der
Die Umsetzung dieser ambitionierten Pläne eigenen Ostgrenze und Russland zu schaffen. Zu-
soll in den kommenden Jahren erfolgen und wird dem wird argumentiert, dass die Ukraine mit ih-
gewaltige finanzielle Anstrengungen von allen Mit- ren verlustreichen Kämpfen auch die Freiheit des

08
Nato APuZ

Westens verteidige und damit die Nato-Mitglied- über die militärischen Fähigkeiten, in dieser fer-
schaft verdiene. Andere, wie etwa die USA, wei- nen Region effektiv zu agieren. Dennoch werden
sen darauf hin, dass eine Aufnahme der Ukraine die Europäer die Wahrung ihrer Sicherheitsinte-
letztlich die Fähigkeit erfordere, die Sicherheit der ressen nicht allein den USA überlassen können,
Ukraine an deren Ostgrenze militärisch zu vertei- zumal US-Regierungen – nicht nur republikani-
digen. Die Ukraine ist nach Russland der flächen- sche – immer weniger bereit sind, die Sicherheit
mäßig größte Staat in Europa und ihre Ostgren- Europas zu subventionieren.
ze liegt etwa 1300 Kilometer von der polnischen
Grenze entfernt. Für eine Nato, die große Mühe WASHINGTON ANTE PORTAS
hat, ausreichende Kapazitäten für die Verteidi-
gung des bisherigen Bündnisgebiets aufzubauen, Ihren 75. Geburtstag wird die Nato mit einem
wäre dies eine Mammutaufgabe, die erneut mit Gipfel, also einem Treffen ihrer Staats- und Regie-
gewaltigen Kosten verbunden wäre. Welche der rungschefs am 11. Juli 2024 in Washington, D. C.
beiden Positionen sich letztlich durchsetzt, wird begehen. Für ausufernde Feierlichkeiten wird
auch davon abhängen, welches Russland man am aber keine Zeit bleiben, müssen doch Antworten
Ende des Kriegs vorfindet. auf die oben genannten Fragen gefunden werden.
Allerdings ist dies nicht die einzige Zukunfts- Mit Blick auf Russland scheint es derzeit nur
frage für die Nato. Vor allem die USA warnen schlechte Optionen zu geben. Ein fortdauernder
ihre Bündnispartner vor einer allzu eurozentri- Krieg ist ebenso möglich wie ein Kollaps des Re-
schen Betrachtungsweise und fordern einen Blick gimes. Auch eine nukleare Eskalation kann nicht
über den Tellerrand hinaus in den asiatisch-pazi- grundsätzlich ausgeschlossen werden. Ob man
fischen Raum. Ein machtbewusstes und immer die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine befürwortet
aggressiver auftretendes China stellt die westliche oder nicht – ein weiterer Aufschub wird in dieser
regelbasierte Weltordnung infrage und hat, an- Frage nicht mehr möglich sein. Wenn die Ukra-
ders als Russland, auch die wirtschaftlichen und ine (noch) kein Mitglied werden kann, dann wird
militärischen Mittel dazu, entsprechend im eige- man über Sicherheitsgarantien nachdenken müs-
nen Sinne zu handeln. Washington weist zu Recht sen, die weit über das hinausgehen, was bislang an
darauf hin, dass dies nicht allein ein amerikani- Zusagen gegeben wurde.
sches Problem sei, sondern dass etwa durch eine Ebenso duldet die angespannte Sicherheitslage
chinesische Aggression gegen Taiwan auch die vi- im asiatisch-pazifischen Raum keinen Aufschub.
talen Interessen Europas betroffen wären. Daraus Wenn die europäischen Nato-Mitglieder in dieser
folgern die USA, dass der Nato als sicherheitspo- Region militärisch kaum handeln können und ihre
litischer Zusammenschluss der westlichen Demo- Interessen weiterhin von den USA vertreten las-
kratien auch eine Rolle in Südostasien zukommt.9 sen, dann wird Washington künftig noch stärker
Die meisten Europäer haben das Problem auf eine faire Lastenteilung im Bündnis drängen.
mittlerweile erkannt und ihre Strategien gegen- So könnten die Europäer deutlich mehr militäri-
über Beijing verändert. Galt vor Jahren noch der sche Aufgaben in ihrer Nachbarschaft wahrneh-
Leitsatz, dass China sowohl Partner, als auch men und damit den USA die Möglichkeit geben,
Konkurrent und systemische Herausforderung sich stärker auf Asien zu konzentrieren. Dies aus-
sei, so hat sich mittlerweile der Dreiklang hin zuhandeln wird eine der Zukunftsherausforde-
zum systemischen Rivalen verschoben. Aller- rungen der Nato sein. Damit bleibt die Nordatlan-
dings zweifeln die meisten Europäer daran, dass tische Allianz das, als was sie schon der ehemalige
die Nato ein wirksames Instrument im Um- amerikanische Nato-Botschafter Harlan Cleve-
gang mit China sein könne. Schließlich sei sie die land 1970 beschrieben hat: „an organized contro-
Nordatlantische Allianz und kein asiatisch-pazi- versy about who is going to do how much“.09
fisches Sicherheitsbündnis. Auch verfügen ledig-
lich Frankreich und das Vereinigte Königreich KARL-HEINZ KAMP
ist promovierter Politikwissenschaftler und Associate
Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige
09 Harlan Cleveland, NATO: The Transatlantic Bargain, New
York 1970, S. 5, zit. nach Tomáš Valášek, A New Transatlantic
Politik (DGAP). Er lehrt an der Universität „Roma
Security Bargain, 23. 5. 2017, h­ ttps://carnegieeurope.eu/​2017/​ Tre“ in Rom.
05/​23/new-​transatlantic-​security-​bargain-​pub-­70050. karl-​heinz.kamp@web.de

09
APuZ 47–48/2023

BAUSTELLE ­N ATO
Die westliche Sicherheitsgemeinschaft im Umbruch
Simon Koschut

Totgesagte leben bekanntlich länger. 2019 erklär- Er beschrieb die europäischen Verbündeten als
te der französische Präsident Emmanuel Macron „Feinde“, während er illiberale und autoritäre
den Patienten Nato für „hirntot“.01 Derartige Staaten wie Russland und China umgarnte.04 Der
Abgesänge auf die Nato hörte man in der Vergan- russische Angriffskrieg gegen die Ukraine 2022
genheit häufig. Nach dem Ende des Ost-West- führte die Nato wieder zu mehr Geschlossenheit.
Konflikts prophezeiten viele Beobachter eine ra- Gleichzeitig entstanden durch die Aufnahmean-
sche Beisetzung der Nato auf dem Friedhof der träge Schwedens und Finnlands neue Konflikte
Allianzen. Diese Annahme ist nicht unbegründet. mit dem Mitgliedstaat Türkei.
Tatsächlich sterben die meisten Militärbündnisse In diesem Beitrag wird sich sich mit der stra-
früh: Bedrohungen von außen verschwinden, na- tegischen Entwicklung der Nato vor dem Hinter-
tionale Interessen divergieren, die Kosten werden grund ihres institutionellen Wandels befasst. Er
zu belastend. Laut einer Studie des US-amerika- betont die innere Anpassungsfähigkeit des Bünd-
nischen Thinktanks Brookings Institution beträgt nisses an sich verändernde sicherheitspolitische
die durchschnittliche Lebensdauer eines kollekti- Landschaften und beleuchtet aktuelle Herausfor-
ven Verteidigungsbündnisses nur etwa 15 Jahre.02 derungen. Dabei gleicht die Nato einer „Baustelle“
Auch die Gründungsmitglieder der transatlanti- mit einem soliden Fundament, deren Innenausbau
schen Allianz hatten ursprünglich vorgesehen, stetig vorangetrieben wurde, die aber an der einen
den Nato-Vertrag nach zehn Jahren auslaufen oder anderen Stelle auch sanierungsbedürftig ist.
zu lassen. Und doch ist die Nato – mit nun bald
75 Jahren – immer noch da, lebendig und munter. DAS FUNDAMENT:
Wie konnte sich das Bündnis so lange behaupten? DIE VIER SÄULEN DER ­N ATO
Ein wichtiger Grund hierfür liegt in der inneren
Beschaffenheit der Organisation. Das Fundament der Nato lässt sich in vier Säu-
Unterschiedliche nationale Interessen und das len aufteilen, die das institutionelle Gebäude
sich verändernde sicherheitspolitische Umfeld der transatlantischen Allianz tragen.05 In diesem
stellen seit jeher eine Herausforderung für den Vier-Säulen-Modell lässt sich die Nato als eine
inneren Zusammenhalt der Nato dar. Das trans- Gemeinschaft der Werte, Handlungen, Kommu-
atlantische Bündnis erlebte eine Reihe schwer- nikation und Emotionen beschreiben.
wiegender Konflikte und Krisen unter seinen Die Wertegemeinschaft bildet die erste tragen-
Mitgliedern, von der Suezkrise über den Rückzug de Säule der transatlantischen Sicherheitsgemein-
Frankreichs aus der militärischen Infrastruktur schaft und basiert auf einem liberalen Wertekon-
der Nato bis zum Irakkrieg. Der Zusammenhalt sens. Die Gemeinschaft unterscheidet zwischen
des Bündnisses wurde in den vergangenen Jah- kollektiven Grundwerten und nationalen Interes-
ren besonders auf die Probe gestellt. Die Trump-­ sen. Die Grundwerte, festgelegt im Washingtoner
Administration war vom ersten Tag an von Am- Vertrag von 1949, umfassen Demokratie, Frei-
bivalenz, wenn nicht sogar offener Feindseligkeit heit, marktwirtschaftliche Zusammenarbeit und
gegenüber der transatlantischen Sicherheitsge- Rechtsstaatlichkeit. Diese gemeinsamen Werte
meinschaft geprägt. Der US-amerikanische Prä- stehen im Einklang mit den Zielen der Vereinten
sident nannte die Nato „obsolet“ und stellte of- Nationen und betonen den Frieden unter seinen
fen die in Artikel 5 verankerte Kernverpflichtung Mitgliedern als zentrales Ziel. Die Wertegemein-
der Nato infrage, die besagt, dass ein Angriff auf schaft schafft den Rahmen zur Aushandlung und
einen Verbündeten ein Angriff gegen alle ist.03 Vereinbarkeit von Interessen auf friedliche Weise.

10
Nato APuZ

Die zweite Säule der Handlungsgemeinschaft hohes Maß an Solidarität und Empathie voraus.
betont multilaterales Handeln und umfasst ge- Kollektive historische Erfahrungen, geteilte Wer-
meinsame Handlungsnormen, die auf den Prin- te und Bedrohungen haben dazu beigetragen, die-
zipien Konsens und kollektive Verteidigung ba- se emotionale Säule zu formen. Militärische Ko-
sieren. Konflikte innerhalb der Nato werden operation, Übungen und gemeinsame Einsätze
grundsätzlich friedlich und im Konsensverfah- aber auch kollektive Traumata haben ein Geflecht
ren gelöst, während Artikel 5 die Möglichkeit der persönlicher Beziehungen geschaffen. Insgesamt
kollektiven Gewaltausübung gegen äußere An- ist die Nato nicht nur institutionell und politisch,
griffe im Rahmen der kollektiven Verteidigung sondern auch emotional eine Gemeinschaft, die
vorsieht. Diese Entscheidung unterliegt sowohl Vertrauen und Verlässlichkeit zwischen den Mit-
dem Primat der Vereinten Nationen als auch der gliedstaaten schafft.
Souveränität der12345 Mitgliedstaaten.06 Die Bereit-
schaft zur Ausübung militärischer Gewalt ist da- DER INNENAUSBAU:
her kein Automatismus, sondern muss immer STRATEGISCHE TRANSFORMATION
wieder neu ausgehandelt werden. UND INSTITUTIONELLER WANDEL
Die dritte Säule der transatlantischen Sicher-
heitsgemeinschaft unterstreicht die Bedeutung Die Nato ist eine internationale Organisation, die
von Kommunikation und Konsultation. Die auf einer intergouvernementalen Zusammenarbeit
transatlantische Kommunikationsgemeinschaft beruht und die einzige institutionelle Verbindung
dient zum einen dem Austausch von Interessen, zwischen den USA und Europa. Trotz (oder gera-
Bedrohungsanalysen und Empfehlungen, um de wegen) ihres ausgeprägten militärischen Cha-
den Schutz des Bündnisgebiets zu gewährleisten. rakters herrscht das Primat der Politik.08 Für ein
Zum anderen betont das Konsultationsgebot im Militärbündnis besitzt die Nato einen ungewöhn-
Washingtoner Vertrag die Berücksichtigung der lich hohen Institutionalisierungsgrad. Den insti-
Interessen und Bedrohungswahrnehmung aller tutionellen Kern der Allianz macht der Nordat-
Bündnispartner, um Ausgleich und Ansprechbar- lantikrat (NAC) aus, in dem jedes Mitgliedsland
keit unter den Nato-Mitgliedern zu ermöglichen. mit einer Stimme vertreten ist. Der NAC trifft die
Es geht also nicht nur um reinen Informations- alleinige Entscheidung über Militäreinsätze sowie
austausch, sondern um Deliberation. die Ausrufung des Bündnisfalls. Aus institutio-
Die Nato hat viertens eine starke emotiona- neller Sicht wohnt der Nato eine gewisse Trägheit
le Bindung zwischen ihren Mitgliedern geschaf- inne. Die formellen Treffen und Abläufe sind fest
fen.07 Gemeinsame Sicherheitsbelange setzen ein vorgegeben. Meist schreiten die „großen“ Mit-
glieder der Nato-Quint (USA, Vereinigtes König-
reich, Frankreich, Deutschland und Italien) vo-
01 Emmanuel Macron Warns Europe: NATO Is Becoming
Brain-dead, 7. 11. 2019, www.economist.com/europe/​2019/​11/​
ran, was mitunter von den „kleinen“ Staaten auch
07/emmanuel-​macron-​warns-​europe-​nato-​is-​becoming-​brain-​ erwünscht ist. Entscheidungen im Nordatlantik-
dead. rat werden einvernehmlich und ohne formale Ab-
02 Vgl. Patrick T. Warren, Alliance History and the Future of stimmung getroffen. Die Bündnispartner lösen
NATO. What the Last 500 Years of Alliance Behavior Tells Us
Konflikte unter sich bilateral oder unter Vermitt-
About NATO’s Path Forward, 21st Century Defense Initiative Policy
Paper, 30. 6. 2010, www.brookings.edu/wp-​content/uploads/​
lung des Generalsekretariats. Neben den formel-
2016/​06/​0630_nato_alliance_warren.pdf. len Nato-Strukturen sind es daher vor allem infor-
03 Vgl. Ashley Parker, Donald Trump Says NATO Is „Obsolete“, melle Strukturen, Gesprächskanäle und implizite
2. 4. 2016, www.nytimes.com/politics/first-​draft/​2016/​04/​02/ Regeln, die das institutionelle Gefüge der Nato
donald-​trump-​tells-​crowd-​hed-​be-​fine-​if-​nato-​broke-​up.
prägen. Der oftmals ritualisierte Charakter dieses
04 Vgl. Chas Danner, Trump Says European Union Is America’s
Biggest „Foe“, 15. 7. 2018, nymag.com/intelligencer/​2018/​07/
Vorgehens stabilisiert die Nato, hemmt aber auch
trump-​says-​european-​union-​is-​americas-​biggest-​foe.html. strategische Innovation.
05 Vgl. Simon Koschut, Normative Change and Security Com- Die Nato, oder Nordatlantikpakt, wurde 1949
munity Disintegration. Undoing Peace, New York 2016, S. 29 ff. inmitten des Kalten Kriegs gegründet und hat im
06 Allerdings verweisen die USA immer wieder auf das Recht
Laufe der Jahre eine beeindruckende Geschichte
der Nato zur Selbstmandatierung.
07 Vgl. Simon Koschut, Emotional (Security) Communities. The
des institutionellen Wandels an die sich verändern-
Significance of Emotion Norms in Inter-Allied Conflict Manage-
ment, in: Review of International Studies 3/2014, S. 533–558. 08 Vgl. Falk Ostermann, Die NATO, München 2020, S. 79.

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APuZ 47–48/2023

Interne Struktur der Nato

POLITISCHE ORGANE DER NATO MILITÄRISCHE KOMMANDOSTRUKTUR


(HAUPTQUARTIER BRÜSSEL) (MEHRERE HAUPTQUARTIERE)
· Nordatlantikrat: · Militärausschuss, Brüssel: berät Nordatlantikrat
Vertreter/-innen der Mitgliedstaaten, militärisch, höchstes militärisches Gremium
höchstes politisches Gremium · Allied Command Operations (ACO), Mons/Belgien:
· Generalsekretär/-in: zuständig für NATO-Operationen; dem ACO unterste-
oberste/-r Repräsentant/-in der Allianz hen u. a. die Kommandos der Luft- (Standort: Deutsch-
· Parlamentarische Versammlung: land), See- (Großbritannien) und Landstreitkräfte
beratendes Gremium, in dem die nati- (Türkei)
onalen Parlamente der Mitgliedstaaten · Allied Command Transformations (ACT), Norfolk/
repräsentiert sind USA: zuständig für Ausbildung und Forschung
Quelle: Caroline Fehl, Nato – Spicker Politik Nr. 27, Bundeszentrale für politische Bildung 2022.

den strategischen Herausforderungen erlebt. Die Union) und die Atlantik-Charta, in der der dama-
Allianz präsentierte sich nach außen als liberale lige britische Premierminister Winston Churchill
Wertegemeinschaft, blieb aber nach innen mitunter und sein US-amerikanischer Verbündeter Präsi-
flexibel. So gehörte das damals diktatorisch regier- dent Franklin D. Roosevelt ihre Vorstellungen ei-
te Portugal wegen seiner strategisch wichtigen Mi- ner Nachkriegsordnung skizzierten. Die Nato war
litärbasen auf den Azoren zu den Gründungsmit- von Beginn an ein von den USA dominiertes Mi-
gliedern. Von 1967 bis 1974 tolerierte das Bündnis litärbündnis und damit Teil globaler Hegemonial-
eine griechische Militärdiktatur in seinen Reihen. bestrebungen des Landes. Neben der Nato grün-
Ursprünglich diente das Bündnis einem dreifachen deten die USA damals weitere Militärbündnisse,
Zweck, wie es der erste Generalsekretär der Nato, wie den Bagdad-Pakt (CENTO), den Südostasi-
Lord Ismay, etwas undiplomatisch formulierte: enpakt (SEATO) oder das ANZUS-Abkommen
„To keep the Americans in, the Russians out, and mit Australien und Neuseeland, von denen heute
the Germans down“.09 Die Nato ist heute in erster keines mehr existiert.10 Es waren jedoch die West-
Linie dem Schutz seiner Mitglieder vor äußeren europäer, die nach dem Ende des Zweiten Welt-
Bedrohungen verpflichtet, wobei diese mittlerwei- kriegs die USA (und Kanada) zur Gründung der
le nicht nur Staaten, sondern auch transnationale Nato einluden, da sie den zunehmenden so­wje­
Phänomene wie Terrorismus, Migration, Pande- tischen Einfluss in Europa fürchteten.11
mien, Cyberkriege und Klimawandel umfassen Das erste strategische Konzept von 1949 be-
und die Nato seit den Balkankriegen der 1990er tonte die kollektive Verteidigung und Solidarität
Jahre auch außerhalb ihres Bündnisgebiets militä- der Mitgliedstaaten: Ein Angriff auf ein Mitglied
risch interveniert (out-of-area). Der „Innenaus- sollte als Angriff auf alle betrachtet werden. Die
bau“ der Nato lässt sich in drei „Bauphasen“ Nato setzte dabei auf nukleare Abschreckung,
unterteilen. um einen bewaffneten Konflikt mit der So­wjet­
union zu verhindern. Dem zu Grunde lag das
Aufbau- und Konsolidierungsphase: Prinzip der massiven Vergeltung: jeder Angriff
Von der Militärallianz auf das Bündnisgebiet würde mit einem nukle-
zum politischen Bündnis aren Gegenschlag beantwortet. Allerdings wei-
Die Nato wurde gegründet, um die Sicherheit der gerten sich die USA, europäischen Forderungen
westlichen Demokratien angesichts der Bedro- nach einer Verpflichtung zum militärischen Bei-
hung durch die So­wjet­union und den ab 1955 be- stand nachzugeben, sollte ein Mitgliedsland ange-
stehenden Warschauer Pakt zu gewährleisten. Ihre griffen werden. Der US-Kongress befürchtete, in
institutionellen Wurzeln gehen zurück auf den
Brüsseler Pakt (der späteren Westeuropäischen
10 ANZUS besteht nur noch zwischen den USA und Australien.
11 Vgl. Geir Lundestad, The United States and Western Europe
09 Vgl. Nato, Nato Leaders, 31. 8. 2023, Since 1945. From Empire by Invitation to Transatlantic Drift,
www.nato.int/cps/en/natohq/declassified_​137930.htm. Oxford 2005, S. 27 ff.

12
Nato APuZ

künftige europäische Kriege verwickelt zu wer- mit einer breiteren Palette von Optionen zu re-
den. Die Beistandsverpflichtung in Artikel 5 des agieren, einschließlich konventioneller Streitkräf-
Nato-Vertrags wurde daher so formuliert, dass es te. Dazu wurde ein Stufenplan entwickelt, der
jedem Land ermöglichen würde, andere Unter- eine verhältnismäßige Eskalation militärischer
zeichnerstaaten mit Maßnahmen zu unterstützen, Gegenmaßnahmen umfasste. Gleichzeitig began-
„die es für erforderlich erachtet“.12 Gleichzeitig nen Entspannungsbemühungen, um die Konflik-
lieferten die USA Waffen und stationierten Trup- te zwischen Ost und West abzubauen.
pen in Westeuropa, um die Verteidigungsfähig- In dieser Zeit kam es zu institutionellen Span-
keit der Nato-Mitgliedstaaten zu gewährleisten. nungen innerhalb des Bündnisses. Im Zuge des
Zudem kam es zu einer verstärkten militärischen Vietnamkrieges erhöhten die USA den Druck auf
Integration innerhalb des ­Bündnisses. Europa, sich militärisch auch außerhalb des Bünd-
Der Koreakrieg und die deutsche Wieder- nisgebiets zu engagieren. Dem erteilten die poli-
bewaffnung gingen mit einer weiteren Instituti- tisch und wirtschaftlich wiedererstarkten Europä-
onalisierung der Nato-Strukturen einher, etwa er eine deutliche Absage und forderten umgekehrt
über die Schaffung einer integrierten Komman- mehr Mitsprache und Beteiligung innerhalb der
dostruktur unter einem gemeinsamen Komman- Nato. Im Falle Frankreichs kam es zum offenen
deur, dem Supreme Allied Commander Europe Bruch mit der Allianz, als der französische Prä-
(SACEUR) sowie der Einrichtung eines dauer- sident Charles de Gaulle seine Streitkräfte 1966
haften militärischen Hauptquartiers. Die Mit- aus den integrierten militärischen Strukturen der
gliedstaaten entsandten nun Ständige Vertreter Nato abzog und seine Bündnispartner buchstäb-
– die sogenannten „Nato-Botschafter“ – die den lich vor die Tür setzte: Das Nato-Hauptquartier
nationalen Delegationen im Nato-Hauptquartier musste von Paris nach Brüssel verlegt werden.
bis heute vorstehen und die Interessen der einzel- Dennoch blieb Frankreich Mitglied und trat 2009
nen Mitgliedstaaten vertreten sollen. schließlich wieder in die Militärstruktur ein.
1956 führte die Suezkrise zum offenen Bruch Im Zuge dieser inneren Konsolidierung entwi-
zwischen den Bündnispartnern USA, dem Verei- ckelte sich die Nato von einem rein militärischen
nigten Königreich und Frankreich, dessen Aus- Bündnis zu einer politischen Institution. Die Al-
wirkungen bis heute in der Nato spürbar sind. lianz sollte künftig stärker demokratischen Prinzi-
Während das Vereinigte Königreich versprach, pien folgen und es ihren Mitgliedern ermöglichen,
niemals wieder von der Seite der USA abzuwei- gemeinsam in Angelegenheiten der Verteidigung
chen, kam Frankreich zur Erkenntnis, dass es we- und Sicherheit zu beraten und zu kooperieren. Ziel
der dem Vereinigten Königreich bedingungslos war es, gemeinsame Herausforderungen künftig
vertrauen noch sich uneingeschränkt auf die Ver- besser zu bewältigen, Vertrauen aufzubauen und
einigten Staaten verlassen sollte. Konflikte unter den Verbündeten zu vermeiden.
In den 1960er Jahren erfolgte eine Anpassung Zugleich wurde die Integration der Streitkräfte vo-
der US-amerikanischen Nuklearstrategie. Die rangebracht. So gründete die Nato 1966 den Mili-
Kubakrise hatte deutlich gemacht, wie rasch sich tärausschuss. Dieser bildet das höchste militärische
die Supermächte an den Abgrund eines nuklearen Gremium und besteht aus den Stabschefs aller Mit-
Kriegs bewegt hatten. Zudem erschienen Ausmaß gliedstaaten. Aufgabe des Militärausschusses ist es,
und Risiko eines solchen Kriegs kaum mehr be- Maßnahmen und Empfehlungen zur gemeinsa-
herrschbar, da sich die Anzahl sowohl der Atom- men Verteidigung des Bündnisgebiets zu erarbei-
waffen als auch der Atommächte seit 1945 dras- ten. Zudem entstand 1968 die sogenannte Euro­
tisch erhöht hatte. Mit der Weiterentwicklung group der europäischen Verteidigungsminister der
von Nuklearwaffen und dem Wunsch nach zu- Nato, um die Verteidigungspolitik unter den west-
geschnittenen Reaktionsoptionen wurde von europäischen Mitgliedern besser zu koordinieren
den USA das Konzept der „Flexible Response“ und gegenüber den USA eine gemeinsame Positi-
(flexible Reaktion) entwickelt. 1967 wurde die- on vertreten zu können. Dies konnte jedoch den
ses Konzept zur offiziellen Verteidigungsstrate- ersten und bislang einzigen bewaffneten Konflikt
gie der Allianz. Diese sah vor, auf äußere Angriffe zwischen zwei Nato-Staaten nicht verhindern.
1974 kam es zu einer kriegerischen Auseinander-
12 Vgl. Nato, Der Nordatlantikvertrag, 4. 4. 1949, www.nato. setzung zwischen den Nato-Partnern Türkei und
int/cps/en/natohq/official_texts_​17120.htm?​selectedLocale=​de. Griechenland, als griechische Putschisten auf Zy-

13
APuZ 47–48/2023

pern eine Angliederung der Insel an Griechenland dass sie ohne die USA politisch und militärisch
anstrebten. Daraufhin besetzten türkische Trup- nicht in der Lage waren, einen bewaffneten Kon-
pen den hauptsächlich von der türkischstämmi- flikt vor ihrer eigenen Haustür zu lösen. Der Ko-
gen Minderheit bewohnten Nordteil der Insel. Die sovoeinsatz, der sogar ohne Mandat der Vereinten
Nato musste dabei zusehen, wie die Vereinten Na- Nationen durchgeführt wurde, führte zu teils hef-
tionen in dem Konflikt erfolgreich vermittelten. tigen Kontroversen innerhalb des Bündnisses.
Die Nato entwickelte sich nach dem Kosovo-
Selbstfindungsphase: krieg weiter zu einem globalen sicherheitspoliti-
Vom regionalen Verteidigungsbündnis schen Akteur. Das strategische Konzept von 1999
zum globalen Sicherheitsakteur betonte die Notwendigkeit von globalen Partner-
Das Ende des Ost-West-Konflikts führte zu einer schaften und internationaler Zusammenarbeit.
tiefgreifenden Umgestaltung der Nato. Das Weg- Die Allianz bildete Sicherheitskräfte im Irak aus,
fallen des gemeinsamen Feindbilds erzeugte eine leistete logistische Unterstützung für die Mission
Sinn- und Legitimitätskrise. Im Zuge dessen such- der Afrikanischen Union in Darfur, koordinierte
te die Nato nach neuen Aufgaben. Diese fand sie die Tsunami-Hilfsmaßnahmen in Indonesien und
in Form ethnischer Konflikte und Bürgerkriege unterstützte 2005 die humanitäre Hilfe in Pakis-
außerhalb des Bündnisgebiets, beispielsweise in tan während eines schweren Erdbebens. Nach
Bosnien und Herzegowina. Das strategische Kon- den Anschlägen vom 11. September 2001 und der
zept wurde 1991 grundlegend überarbeitet, um den erstmaligen Ausrufung des Bündnisfalls nach Ar-
veränderten geopolitischen Bedingungen gerecht tikel 5 richtete sich die Aufmerksamkeit dann ver-
zu werden. Mit dem Zusammenbruch der So­wjet­ stärkt auf den Kampf gegen den transnationalen
union wurde das militärische Personal der Allianz Terrorismus. Die Nato begann, ihre Fähigkeiten
praktisch halbiert. Die Nato öffnete sich zugleich zur Terrorismusbekämpfung und zur Stärkung
für ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten. Die Ter- der Cybersicherheit auszubauen. Zudem kam es
ritorialverteidigung des Bündnisgebiets stand nun auf dem Nato-Gipfel in Prag 2002 zu einer Kom-
nicht länger im Vordergrund. Stattdessen konzen- mandoreform, bei der die Nato Response Force
trierte sich das Bündnis auf Aufgaben des interna- (NRF) und das Allied Command Transformation
tionalen Krisenmanagements in asymmetrischen (ACT) eingerichtet wurden. Diese institutionel-
Konflikten unter dem Mandat der Vereinten Na- le Reform diente der militärischen Transformati-
tionen. Hierzu wurde die Combined Joint Task on der Organisation hin zu einem global agieren-
Force (CJTF) entwickelt. Die CJTF ist eine mul- den Sicherheitsakteur und sollte sie in die Lage
tinationale Militäreinheit, die aus verschiedenen versetzen, rasch auf unterschiedliche Krisensitu-
Teilstreitkräften und Nationen zusammengesetzt ationen und Bedrohungen in der Welt zu reagie-
ist und gemeinsam an einer bestimmten militäri- ren. Die Bilanz fällt allerdings eher ernüchternd
schen Aufgabe oder Operation arbeitet. aus. In Afghanistan übernahm die Nato 2003 die
Dem gingen intensive Debatten innerhalb des Führung der internationalen Sicherheitsunter-
Bündnisses voraus, ob die Nato überhaupt außer- stützungsmission (ISAF). Der Afghanistanein-
halb ihres Bündnisgebiets militärisch intervenieren satz war von einer Vielzahl komplexer Probleme
dürfe und solle. Letztlich beendeten die USA die- geprägt, darunter eine unübersichtliche Konflikt-
se Debatte, indem sie die Europäer vor die Wahl lage, unzureichende Governance, mangelnde In-
stellten: Entweder würde die Nato sich den neuen tegration von lokalem Wissen, die Gegenreakti-
geopolitischen Herausforderungen anpassen oder on und der Aufstand lokaler Kräfte, zivile Opfer,
schlicht irrelevant werden – „Nato will go out of Schwierigkeiten bei der zivil-militärischen Zu-
area or out of business“, wie es der US-amerikani- sammenarbeit, regionale geopolitische Interessen
sche Senator Richard Lugar auf den Punkt brach- sowie eine fehlende Exit-Strategie. Folglich ende-
te.13 Die Balkankriege der 1990er Jahre führten te er 2021 in einem Fiasko.
den Europäern in dramatischer Weise vor Augen, Eine der größten Krisen in der Geschichte
des Bündnisses löste 2003 der Irakkrieg aus, als
die meisten Nato-Partner den USA ihre Unter-
13 Richard G. Lugar, NATO: Out of Area or Out of Business.
A Call for U. S. Leadership to Revive and Redefine the Alliance,
stützung verweigerten. Die USA versammelten
2. 8. 1993, S. 7, h­ ttps://collections.libraries.indiana.edu/lugar/ stattdessen eine „Koalition der Willigen“ außer-
items/show/​342. halb der Nato-Strukturen und marschierten im

14
Nato APuZ

Irak ein. Dieser Alleingang der USA hat der Nato zugeben. Doch die schleppende Umsetzung dieses
enorm geschadet und belastete die Beziehungen Beschlusses sorgte für Sprengkraft innerhalb des
zwischen den Bündnispartnern auf Jahre hin. Die Bündnisses. Auf dem Nato-Gipfel in Brüssel 2018
Europäer beklagten eine Instrumentalisierung drohte US-Präsident Donald Trump unverhoh-
der Nato durch die USA für eigene nationale In- len mit dem Austritt der USA aus dem Bündnis.
teressen und forderten mehr europäische Eigen- Schließlich erhöhten die USA aber ihre Militär-
ständigkeit. Obwohl die USA dies im Sinne eines präsenz in Osteuropa und steigerten ihre finanzi-
fairen Lastenausgleichs grundsätzlich begrüß- ellen Investitionen in die Sicherheitsinfrastruktur
ten, fürchtete Washington eine Abkoppelung der europäischer Nato-Staaten, um künftig Truppen-
Europäer im Bündnis. Mit dem „Berlin-Plus-­ verlegungen innerhalb Europas sowie den Schutz
Abkommen“ wurde dieser Konflikt beigelegt. der östlichen Außengrenzen zu verbessern. Die
Mit der Vereinbarung zwischen der Nato und der Nato baute hierfür zwei neue Kommandozen-
Europäischen Union (EU), wurde es der EU zu- tren auf, eines in Norfolk (USA) und eines im
dem ermöglicht, die militärischen Mittel und Fä- deutschen Ulm. Die Zentren sind das Resultat ei-
higkeiten der Nato für ihre eigenen Krisenbewäl- ner erhöhten Bedrohungswahrnehmung gegen-
tigungsoperationen zu nutzen. über Russland und sollen Truppen- und Materi-
altransporten dienen sowie sensible Infrastruktur
Rückbesinnungsphase: wie Internet- und Kommunikationsverbindungen
Zurück in die Zukunft des Kalten Kriegs im Atlantik absichern. Dies geschah vor allem auf
Mit der Annexion der Krim durch Russland 2014 Druck der USA, entsprach aber auch dem Wunsch
erfolgte die dritte strategische Neuausrichtung vieler östlicher Nato-Mitglieder.
der Nato. Seitdem steht die territoriale Vertei- Insgesamt spiegelt die Geschichte der Nato
digung des Bündnisgebiets wieder im Zentrum. eine institutionelle Anpassung an sich verändern-
Doch die militärischen Fähigkeiten und die In- de strategische Herausforderungen wider. Das
frastruktur der Nato entsprechen – von wenigen Aufgabenspektrum hat sich stark erweitert. Von
Ausnahmen abgesehen – nicht mehr der Kern- der ursprünglichen kollektiven Verteidigung bis
aufgabe, einen konventionellen Krieg in Europa hin zur Bewältigung globaler Herausforderun-
führen zu können. Die militärischen Fähigkeiten gen wie Terrorismus. Diese Fähigkeit zur Anpas-
und die logistische Infrastruktur auf dem Niveau sung an die veränderte sicherheitspolitische Um-
des Kalten Kriegs wurden seit den 1990er Jahren gebung ist es, was die Nato ausmacht und was es
auf ein Minimum reduziert oder in einigen Fäl- ihr ermöglicht hat, als Sicherheitsinstitution fort-
len sogar aufgelöst. Die Nato hatte aufgehört, In- zubestehen. Dass diese Anpassung zu einem er-
frastrukturinformationen über europäische Brü- heblichen Teil den nationalen Interessen der USA
cken, Straßen und Tunnel zu sammeln, die für Rechnung trägt, kann angesichts der hegemonia-
den Truppentransport zum Schutz ihrer Ostgren- len Machtstellung der USA innerhalb des Bünd-
zen von entscheidender Bedeutung sind. Auf dem nisses kaum überraschen. Dennoch konnten sich
Nato-Gipfel in Wales 2014 beschlossen die Staats- auch die Europäer in strategischen Fragen durch-
und Regierungschefs daher einen sogenannten setzen und – wie im Fall des Irakkriegs – eine Ver-
Readiness Action Plan (RAP), um den Schutz des einnahmung der Nato durch die USA verhindern.
Bündnisgebiets zu verstärken. Im Rahmen des Zudem profitieren die Europäer nach wie vor von
RAP gründeten die Nato-Mitglieder eine Very den US-amerikanischen Sicherheitsgarantien. Die
High Readiness Joint Task Force (VJTF), beste- Nato bleibt daher auf absehbare Zeit die wich-
hend aus Land-, Luft-, See- und Spezialeinsatz- tigste Konstante der europäischen und globalen
kräften, die im polnischen Szczecin stationiert ist. Sicherheitsarchitektur.
Die Einrichtung der sogenannten „Speerspitze“
der Nato führte schließlich zur rotierenden Stati- DIE SANIERUNG:
onierung sogenannter Nato-Battlegroups in allen AKTUELLE INSTITUTIONELLE
drei baltischen Staaten sowie in Polen im Rahmen HERAUSFORDERUNGEN
der Enhanced Forward Presence (EFP).
Zudem beschlossen die Mitgliedstaaten ver- Die jüngsten Entwicklungen, einschließlich der
bindlich künftig zwei Prozent ihres Bruttoin- anhaltenden Spannungen mit Russland, haben die
landsprodukts für militärische Verteidigung aus- Nato veranlasst, ihr strategisches Konzept aber-

15
APuZ 47–48/2023

mals zu überarbeiten. Das aktuelle strategische Rahmen des Bündnisses 2014 vereinbart wurde.
Konzept von 2022 legt fest, dass auch hybride Dies führt zu Spannungen innerhalb der Allianz
Bedrohungen und Cyberangriffe sowie Angriffe und zur Forderung nach einer gerechteren Ver-
im Weltraum gegen einen oder mehrere Mitglied- teilung der finanziellen Lasten. Dies kann die Fä-
staaten den Bündnisfall nach Artikel 5 auslösen higkeit der Nato beeinträchtigen, angemessen auf
können. Russland wird darin erstmals seit dem äußere Bedrohungen zu reagieren. Dabei müssen
Kalten Krieg wieder als „direkte Bedrohung“ ge- es nicht zwingend höhere Verteidigungsausgaben
sehen, China immerhin als „Herausforderung“ sein. Über die stärkere Integration militärischer
bezeichnet.14 Beschaffung und Produktion sowie die nationale
Die entscheidende Frage ist, ob die aktuelle Spezialisierung militärischer Kapazitäten ließe
Bedrohung durch Russland künftig eine ähnliche sich viel Geld einsparen.
Bindungswirkung erzeugen kann wie seinerzeit Drittens muss die Nato ihren inneren Zusam-
die Bedrohung durch die So­wjet­union. Der rus- menhalt bewahren. Zwar hat sie durch den rus-
sische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat innere sischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wie-
Spannungen lediglich überdeckt, diese aber nicht der zu alter Stärke gefunden. Doch diese Stärke
gelöst. Aktuell steht die Nato vor einer Reihe von ist zerbrechlich, wie die türkische Blockade ge-
strategischen Herausforderungen, die ihre insti- gen den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands
tutionelle Rolle, ihre militärischen Fähigkeiten gezeigt hat. Zudem steckt den Nato-Verbünde-
und ihre politische Zusammenarbeit maßgeblich ten immer noch der Schock der Trump-Jahre in
beeinflussen werden. den Knochen. Dieser könnte sich wiederholen,
Erstens muss sich die Nato an die sich verän- denn Trump bewirbt sich gerade erneut um die
dernden globalen Machtstrukturen anpassen, ein- US-Präsidentschaft. Darüber hinaus schwindet
schließlich des Aufstiegs Chinas. Deutlich wurde bereits jetzt der Rückhalt für die Unterstützung
dies im Abschlussdokument des jüngsten Nato- der Ukraine innerhalb der Republikanischen Par-
Gipfels in Vilnius 2023: „Die erklärten Ambitio- tei im US-Kongress. Aber auch in einigen euro-
nen und die repressive Politik der Volksrepublik päischen Mitgliedstaaten wie Polen, Ungarn und
China stellen unsere Interessen, unsere Sicherheit der Slowakei bröckelt der Rückhalt.
und unsere Werte infrage“.15 In Vilnius waren da- Schließlich darf die berechtigte strategische
her auch globale Partner in Asien wie Austra- Rückbesinnung auf die Verteidigung des Bünd-
lien, Neuseeland, Südkorea und Japan zugegen. nisgebiets nicht dazu führen, dass die Nato an-
Was das jedoch strategisch für das Bündnis kon- dere strategische Herausforderungen vernach-
kret bedeutet, darüber sind sich die Nato-Staaten lässigt. Die Bedrohung durch terroristische
bislang noch uneins: Wie würde die Allianz auf Gruppen und Instabilität in Regionen wie dem
eine chinesische Invasion in Taiwan reagieren? Nahen Osten und Nordafrika erfordern eine
Die unterschiedliche Interessenlage im Bündnis koordinierte Antwort der Nato-Mitglieder. Die
könnte künftig zu wachsenden Spannungen füh- Auswirkungen des Klimawandels können geo-
ren. Während bereits seit Langem einige Stimmen politische Spannungen erhöhen und humanitäre
in den USA eine globale Erweiterung der Nato Krisen auslösen, was die Allianz dazu veranlas-
in den pazifischen Raum fordern, drängen insbe- sen sollte, diese Aspekte weiterhin – im Rahmen
sondere die mittel- und osteuropäischen Länder des bewährten 360-Grad-Ansatzes – in ihre stra-
auf den Ausbau der Abschreckungsfähigkeit in tegische Planung einzubeziehen. Die Nato muss
Europa. dabei sicherstellen, dass ihre Handlungen und
Zweitens haben viele Mitgliedstaaten nach Entscheidungen im Einklang mit den demokrati-
wie vor Schwierigkeiten, das gemeinsame Ziel schen Werten stehen, auf denen sie basiert.
der Verteidigungsausgaben von zwei Prozent des
Brutto­inlandsprodukts zu erreichen, wie es im

14 Nato, Strategic Concept 2022, 30. 6. 2022,


SIMON KOSCHUT
www.nato.int/strategic-​concept.
15 Dies., Vilnius Summit Communiqué, 11. 7. 2023,
ist Professor für Internationale Sicherheitspolitik an
www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_​217320.htm?​selected​ der Zeppelin Universität in Friedrichshafen.
Locale= ​en, (eig. Übersetzung). simon.koschut@zu.de

16
Nato APuZ

PERSPEKTIVEN AUF DAS


NATO-UKRAINE-VERHÄLTNIS
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine seit Februar 2022 bedeutet
eine Zäsur für die sicherheitspolitische Ordnung in Europa. Blieb die
Reaktion der Nato auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch
Russland 2014 und der Besetzung der Ost-Ukraine noch verhalten, so zeigt
sich das Bündnis seit Kriegsbeginn solidarisch mit Kyjiw. Die Ukraine strebt
einen zügigen Beitritt zur Nato an – notfalls auch vor Ende des Kriegs. Eine
Vielzahl von Abwägungen, Erwartungen und Szenarien stehen im Raum. Die
nachfolgenden Essays bilden Ausschnitte einer umfassenden internationalen
Debatte ab.

eine abermalige russische Aggression nicht nur


die Ukraine, sondern ebenso Nato-Staaten tref-
Ein Balanceakt fen. Weil sich die ukrainische Sicherheit am ver-
lässlichsten durch eine Aufnahme in die Nato
Matthias Dembinski garantieren lasse, liege dieser Schritt im unmit-
telbaren Interesse der Allianz. Zudem gebe es
eine moralische Verpflichtung. Seit der Pariser
Die Debatte über den Platz der Ukraine in der Charta von 1990 habe sich der Westen durch-
westlichen Sicherheitsarchitektur ist voll ent- gängig zum Prinzip der gleichen Souveräni-
brannt. Kann sie Sicherheit nur durch eine Mit- tät und freien Bündniswahl bekannt. Die Nato
gliedschaft in der Nato erreichen? Was wären habe der Ukraine schon auf dem Gipfel von Bu-
die Bedingungen für die Aufnahme? Oder blei- karest 2008 die Aufnahme versprochen, freilich
ben nur andere Formen von Sicherheitsgaran- ohne einen Termin zu nennen. Das Einstehen
tien, wie sie beispielsweise die Mitglieder der der ukrainischen Bürgerinnen und Bürger gegen
Gruppe der Sieben (G7) in Aussicht stellen? 01 die russische Aggression, für die eigene Freiheit
Ich argumentiere im Folgenden, dass die Abwä- und die europäischen Prinzipien verpflichtet zur
gung zwischen Sicherheitsgewinnen und Ver- Aufnahme.
strickungsrisiken über den Ausgang der Debatte
entscheidet. ZWISCHEN
Die Beziehungen zwischen der Nato und SICHERHEITSGEWINNEN UND
der Ukraine haben sich zwar seit Unterzeich- VERSTRICKUNGSRISIKEN
nung der gemeinsamen Charta 1997 stetig en-
ger gestaltet, die Aufnahme in das Bündnis galt So überzeugend das Argument auf den ersten
dennoch als Fernziel. Dies ändert sich mit dem Blick sein mag, so groß sind die Fragezeichen.
Krieg. Geht es nach der Mehrheit der Bevölke- Sie hängen zusammen mit der ambivalenten In-
rungen und Expertenstimmen in Deutschland teressenlage der Nato-Mitglieder und den unsi-
und im transatlantischen Raum, ist der Ausgang cheren Rahmenbedingungen, die über den Weg
der Debatte durch die Ereignisse längst entschie- der Ukraine in die Allianz entscheiden. Die In-
den.02 Die Ukraine verteidige nicht nur ihre ei- teressenlage haben US-Präsident Biden, Bundes-
gene Freiheit, sondern ebenso die des Westens. kanzler Scholz und andere westliche Staats- und
Ohne glaubwürdige Sicherheitsgarantien könne Regierungschefs seit dem 24. Februar 2022 wie-

17
APuZ 47–48/2023

derholt klar gemacht.03 Sie werden die Ukra- Dass die Aufnahme neuer Mitglieder zur Ab-
ine solange wie nötig auch militärisch unterstüt- wägung zwischen Sicherheitsgewinnen und Ver-
zen, gleichzeitig aber sicherstellen, nicht in einen strickungsrisiken zwingt, ist wenig überraschend
Krieg mit dem nuklear bewaffneten Russland hi- und von der klassischen Allianztheorie unter
neingezogen zu werden. Es geht also um die Ab- dem Stichwort des Dilemmas zwischen entrap-
wägung zwischen Sicherheitsgewinnen durch ei- ment und abandonment diskutiert worden.05
nen Beitritt der Ukraine zur Nato und damit Im Fall der Ukraine wären die Verstrickungs-
zusammenhängenden Risiken der Verstrickung risiken aber besonders groß. Ihre Aufnahme in
in den laufenden oder einen möglichen künftigen die Nato stünde nicht in der Linie der bisheri-
­Krieg. gen Erweiterungen. Die Aufnahme der mittel-
Diese Ambivalenz erklärt die Beschlüsse des und südosteuropäischen Länder ab 1999 sollte
Nato-Gipfels in Vilnius im Juli 2023. Zwar fand den Prozess der demokratischen Transformation
das Werben der ukrainischen Regierung für ei- absichern. Daher standen nicht Fragen der mili-
nen Beginn der Beitrittsverhandlungen noch tärischen Sicherheit, Abschreckung und Vertei-
vor einem Ende des Kriegs Unterstützung bei digungsfähigkeit im Zentrum des MAP, sondern
vielen osteuropäischen und einigen westlichen demokratische Reformen und die zivile Kon-
Nato-Mitgliedern.04 Letztlich ging die Allianz trolle des Militärs. Zentral war zudem ein wei-
aber nicht über den Beschluss des Gipfels von teres Beitrittskriterium, nämlich die Bereitschaft
Bukarest 2008 hinaus. Sie wiederholte die Zusa- der Kandidatenländer, Konflikte mit Dritten im
ge einer Aufnahme der Ukraine, ohne den Weg Vorfeld des Beitritts friedlich zu lösen. Die Ver-
zeitlich zu konkretisieren. Auch das Zugeständ- nachlässigung der Abschreckung und militäri-
nis, dass kein „Membership Action Plan“ (MAP) schen Sicherheit schlugen sich bis 2014 in einer
nötig ist – eine Art begleitete Vorbereitung auf paradoxen Doppelentwicklung nieder: Die Nato
den Beitritt – blieb halbherzig. Denn die Nato be- rückte immer näher an Russland heran und baute
steht auf einen analogen Mechanismus. Sie wird gleichzeitig die Strukturen der kollektiven Ver-
im Rahmen1234 eines „Annual National Programme“ teidigung immer weiter ab. Auch die Aufnahme
nicht nur Fortschritte der ukrainischen Streit- Finnlands und potenziell Schwedens ist deutlich
kräfte in Richtung Interoperabilität laufend über- weniger risikobehaftet. Dort werden die Gren-
prüfen (die Fähigkeit verschiedener Systeme, zu- zen von Russland nicht infrage gestellt; die Ver-
sammenzuarbeiten), sondern auch den Stand der bündeten werden dort voraussichtlich keine
Demokratie und Reformen des Sicherheitssek- Kampftruppen stationieren.
tors. Substanziell neu ist lediglich die Einrichtung In Vilnius sprach die Abwägung zwischen
eines Nato-Ukraine-Rates, mit dem Kyjiw eine Sicherheitsgewinnen und Verstrickungsrisiken
institutionelle Plattform für sein Werben um Mit- aus Sicht vieler Nato-Mitglieder für Zurückhal-
gliedschaft erhält. Die Mitgliedschaft der Ukraine tung. Die Risiken schließen eine Aufnahme der
bleibt also auf der Tages­ordnung. Ukraine vor Ende des Kriegs kategorisch aus. Der
zeitnahe Beginn von Beitrittsverhandlungen wür-
de zwar den Westen nicht unmittelbar zur mili-
01 Vgl. G7, Gemeinsame Erklärung zur Unterstützung
tärischen Unterstützung verpflichten. Gleichzei-
der Ukraine. 12. 7. 2023 [Arbeitsübersetzung], www.bun-
desregierung.de/resource/blob/​975254/​2202016/​3ad-
tig würde er der Ukraine aber auch nicht helfen.
4f308e6866c63a303e17e01c3d777/​2023-​07-​12-​g7-​leaders-​ Stattdessen könnte er Putins Narrativ innenpoli-
statment-​deu-​data.pdf?​download=. tisch Glaubwürdigkeit verleihen, Russland führe
02 Zur öffentlichen Meinung über den Beitritt der Ukraine sie- einen Abwehrkampf gegen Versuche des Westens,
he exemplarisch Martin Quenecez/Gesine Weber, Transatlantic
das Land als Großmacht auszuschalten. Weil un-
Trends. Public Opinion in a Shifting Global Order, German
Marshall Fund of the United States, Washington, D. C. 2023,
klar ist, wie die politische und militärische Lage
S. 44, www.gmfus.org/sites/default/files/​2023-​09/TT2023_di- und damit das Risiko einer Verwicklung nach
gital-​3.pdf?​mc_cid= d
​ 5c36066dd&​mc_eid= 2 ​ db9ef5256. dem Ende des Kriegs aussehen wird, wollte eine
03 Vgl. Joseph R. Biden Jr., President Biden: What America Mehrheit der Nato-Mitglieder in Vilnius vorzei-
Will and Will Not Do in Ukraine, 31. 5. 2022, www.nytimes.com/​
tige Festlegungen vermeiden.
2022/​05/​31/opinion/biden-​ukraine-​strategy.html.
04 Vgl. Andriy Zagorodnyuk, To Protect Europe, Let Ukraine
Join NATO–Right Now, 1. 6. 2023, www.foreignaffairs.com/ 05 Vgl. Glenn H. Snyder, The Security Dilemma in Alliance
ukraine/protect-europe-let-ukraine-join-nato-right-now. Politics, in: World Politics 4/1984, S. 461–495.

18
Nato APuZ

UNSICHERE Lässt sich unter diesen Voraussetzungen das


RAHMENBEDINGUNGEN Interesse an Sicherheit durch einen ukrainischen
Nato-Beitritt überhaupt in Einklang bringen mit
Damit komme ich zu den Rahmenbedingungen dem Interesse der Altmitglieder, die Verwicklung
der Aufnahme. Das künftige Engagement des in einen möglichen künftigen Krieg zu vermei-
Westens ist sicherlich eine Bedingung. Sie hängt den? Und wie könnte die Erweiterung so organi-
nicht nur vom parteipolitischen Streit und dem siert werden, dass sie die Sicherheit und Stabilität
Ausgang der Präsidentschaftswahl 2024 in den in der Region erhöht?
USA ab, sondern ebenso von politischen Kon-
stellationen in europäischen Nato-Ländern. Die PARALLELEN ZUM DEUTSCHEN
Vorbehalte Ungarns und der linkspopulistischen NATO-BEITRITT
Wahlsieger in der Slowakei sowie der polnisch-
ukrainische Streit um Getreidelieferungen unter- Wie erwähnt, ließe die Beschlusslage der Alli-
streichen, wie brüchig die Bereitschaft zur dau- anz die Aufnahme einer geteilten und in Kon-
erhaften Unterstützung und zur Aufnahme der flikte mit Russland verwickelten Ukraine nicht
Ukraine in die Allianz ist. Eine andere Rahmen- zu. Freilich könnte sich die Allianz über die eige-
bedingung setzt der Ausgang des Kriegs. Auch nen Beschlüsse hinwegsetzen. Das oft diskutierte
wenn Prognosen unsicher sind und selbst ein Zu- Vorbild hierfür wäre die Aufnahme des geteilten
sammenbruch der russischen Armee nicht auszu- Deutschlands 1955.7
schließen ist, sind – Stand heute – zwei Szenarien Tatsächlich lassen sich aus den Umständen
eher unwahrscheinlich: ein russischer Sieg eben- des Nato-Beitritts der Bundesrepublik Deutsch-
so wie ein militärischer Sieg der Ukraine, der land Schlüsse für den möglichen Beitritt der
Moskau zur Anerkennung von Selenskyjs Frie- Ukraine ziehen. Eine erste Gemeinsamkeit be-
densplan zwingen würde. Wahrscheinlicher er- trifft die geopolitische Brisanz. Der Verzicht auf
scheinen zwei andere Szenarien: Endet der Krieg die Neutralität Deutschlands damals und die
mit einem politischen Kompromiss ähnlich dem, Auflösung der Pufferzone heute hatten und hät-
der im März 2022 in Istanbul diskutiert wurde, ten den gleichen Effekt: Nato und So­wjet­union
könnte die ukrainische Regierung als Gegenleis- damals beziehungsweise Russland heute standen
tung für einen Rückzug Russlands aus den be- und stünden sich in der Zentralregion der Kon-
setzten Gebieten einen Verzicht auf die Nato- frontation direkt gegenüber. Vermutlich würde
Mitgliedschaft anbieten.06 Dann griffen nur sich Russland hier einerseits besonders bedroht
bilaterale Sicherheitsgarantien wie sie die G7- fühlen, könnte andererseits weiterhin versu-
Staaten in Form einer dauerhaften militärischen chen, Kontrolle über die Ukraine zu erlangen.
und wirtschaftlichen Unterstützung der Ukraine Mit defensiver oder offensiver Absicht: Russ-
anbieten. Endet der Krieg wie in Korea 1953 mit land wird hier militärische Kräfte konzentrie-
einem Waffenstillstand, wäre die Ukraine geteilt, ren. Die zweite Gemeinsamkeit besteht im pro-
die Grenze umstritten, Russland ein potenziel- visorischen und umstrittenen Status der Grenze
ler und gefährlicher Aggressor und die Ukraine und der Gefahr permanenter Grenzverletzun-
vermutlich eine revisionistische Macht, die das gen mit erheblichem Eskalationspotenzial. In
Schicksal ihrer Mitbürgerinnen und Mitbürger in den 1950er Jahren reduzierten die Alliierten
den besetzten Gebieten im Blick haben und auf das mit der Aufnahme Westdeutschlands dra-
Überwindung der Teilung drängen ­würde. matisch erhöhte Risiko der Verstrickung mit-
hilfe einer Doppelstrategie: Sie kontrollierten
das neue Mitglied, und sie maximierten die Ab-
06 Die Ukraine hatte am 29. März 2022 in Istanbul weitrei-
chende Vorschläge unterbreitet. Sie sahen unter anderem einen
schreckung. Sie verpflichteten Westdeutschland
Verzicht auf den Beitritt zur Nato und zeitlich weit gestreckte auf der Londoner Konferenz 1954 zu der Zu-
Verhandlungen über den Status der Krim sowie bestimmter sage, niemals militärische Gewalt einzusetzen,
Bereiche der Regionen Donezk und Luhansk und einen Abzug um das Ziel der Wiedervereinigung zu erreichen
der russischen Streitkräfte aus den neu eroberten Gebieten vor.
oder die bestehende Grenzziehung anzutasten.07
Die russische Haltung zu diesem Vorschlag blieb unklar. Zu den
Verhandlungen im Frühjahr 2022 vgl. Wolfgang Zellner, Frieden
in der Ukraine: Der lange Weg zu Verhandlungen, in: Blätter für 07 Vgl. François Heisbourg, How to End a War: Some Histori-
deutsche und internationale Politik 4/2023, S. 87–96. cal Lessons for Ukraine, in: Survival 4/2023, S. 1–18.

19
APuZ 47–48/2023

Materiell unterlegt war diese Zusage durch die


Unterstellung der westdeutschen Streitkräf-
te unter die Kontrolle des Oberbefehlshabers Unterstützung beibehalten
der Nato (Supreme Allied Commander Europe,
SACEUR). Zugleich stationierten die Alliierten anstatt abwarten!
Truppen sowie Atomwaffen an der Grenze. Da-
mit nahmen sie zwar das hohe Risiko der Ver- Wojciech Michnik
strickung im Fall eines Kriegs in Kauf, reduzier-
ten aber die Kriegsgefahr.
Ob heute im Fall einer Beendigung des Kriegs Es ist kein leichtes Unterfangen, die Zukunft der
durch einen Waffenstillstand ähnliche Arrange- Beziehungen zwischen der Nato und der Ukra-
ments möglich sind oder wie funktionale Äquiva- ine zu skizzieren, denn diese Zukunft hängt von
lente aussehen könnten, ist noch kaum angedacht. vielen Faktoren ab – vom inneren Zusammenhalt
Damit die ukrainische Nato-Mitgliedschaft nicht der Nato und ihren Unterstützungsmöglichkei-
ein Fernziel bleibt, müssten die Ukraine und die ten für die Ukraine, von der ukrainischen Stra-
Allianz Sicherheitsgewinne und Verstrickungsri- tegie Russland gegenüber, insbesondere wäh-
siken ausbalancieren. Wird die Ukraine ähnliche rend des Kriegs, und nicht zuletzt vom Ausgang
Verpflichtungen wie Deutschland in den 1950er des Kriegs selbst. Die Analyse der künftigen Be-
Jahren zusagen, um so aus Sicht der Bündnispart- ziehungen zwischen der Nato und der Ukraine,
ner das Risiko der Verstrickung zu begrenzen? wie sie hier vorgelegt wird, beschränkt sich auf
Und welche Verpflichtungen in Form der Stati- einen kurzen Zeitrahmen von zwei bis fünf Jah-
onierung von Truppen, Ausrüstungen und nukle- ren. Dabei werden zwei miteinander verknüpfte
arer Abschreckung würden die Bündnispartner Perspektiven dargestellt: Erstens die in der Nato
eingehen, um Sicherheit zu gewähren? Die Ant- vorherrschende Sichtweise und zweitens die re-
worten würden den Weg der Ukraine in die Nato gionale Perspektive der mittel- und osteuropäi-
erleichtern. schen Nato-Mitgliedstaaten.

VERTIEFUNG DER PARTNERSCHAFT

Insbesondere während des Nato-Gipfels in Vilni-


us im Juli 2023 ließ sich ein Vorgeschmack auf die
künftige Dynamik der Beziehungen zwischen der
Nato und der Ukraine erahnen. Die ukrainischen
Erwartungen stellten sich als weitaus höher he-
raus, als das Bündnis angenommen hatte. Es kam
zu einem kurzfristigen Streit zwischen der Nato
und der Ukraine über den Zeitplan und die Ein-
zelheiten der künftigen Nato-Mitgliedschaft der
Ukraine. Diese Meinungsverschiedenheit sollte je-
doch nicht über eine wichtige Errungenschaft hin-
wegtäuschen, die für eine Vertiefung der Partner-
schaft zwischen Nato und Ukraine steht und eine
Mitgliedschaft Kyjiws im Bündnis wahrscheinli-
cher macht als je zuvor: Der Nato-Ukraine-Rat
MATTHIAS DEMBINSKI wurde ins Leben gerufen. Eine Stärkung erfuhren
ist promovierter Politikwissenschaftler und Projekt- die Beziehungen außerdem dadurch, dass die Ein-
leiter am Peace Research Institute Frankfurt (PRIF), ladung an die Ukraine, dem Bündnis beizutreten,
Leibnitz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung. erneut bekräftigt wurde. Der Rat dient künftig als
Sein Forschungsschwerpunkt liegt in den Bereichen wichtige Plattform für Konsultationen, Entschei-
Europäische Außen- und Sicherheitspolitik, dungsfindung und Krisensitzungen zwischen den
transatlantische Beziehungen und der Nato. beiden Partnern.01 Die Frage der Zusammenarbeit
dembinski@prif.org der Nato mit der Ukraine und der Unterstützung

20
Nato APuZ

Kyjiws durch das Bündnis im laufenden Krieg chen Verbündeten sind mit der Ukraine der An-
wird wahrscheinlich das zentrale Thema der Bezie- sicht, dass sie ihren Platz in der Nato militärisch
hungen sein, solange der Krieg andauert. Dem neu und moralisch verdient hat. In der Tat scheint die
eingerichteten Rat scheint in diesem Zusammen- Mitgliedschaft im Bündnis, auch wenn sie keines-
hang große Bedeutung zuzukommen, da er als zu- wegs unmittelbar bevorsteht, greifbarer zu sein,
verlässige Plattform für die Förderung der Zusam- als sie es noch vor Februar 2022 gewesen ist. Zur
menarbeit gedacht ist. In diesem Format kann die Enttäuschung der ukrainischen Regierungsver-
Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und dem treter wurde auf dem Nato-Gipfel in Vilnius je-
Bündnis zu echter Intensität kommen, vorausge- doch kein klarer Zeitplan für den ukrainischen
setzt natürlich, dass auf beiden Seiten der Wille zur Beitritt festgelegt. Wie der politische Beobachter
Zusammenarbeit und das Verständnis für die Rolle Stephen Sestanovich treffend feststellte, war das
und die Bedürfnisse des Rats vorhanden sind. Mit Bündnis nicht bereit, „die ukrainische Mitglied-
der Einrichtung des Rats erweitert die Ukraine schaft von einem Ziel in eine Realität zu verwan-
ihre Möglichkeiten, die Nato in Sicherheitsfragen deln. (…) Deshalb wird sich der Erfolg des kom-
zu konsultieren, und sie kann sich besser mit dem menden Gipfels daran messen lassen müssen, ob
Bündnis abstimmen und koordinieren.02 die Nato ihrer ständig wachsenden Unterstüt-
Auch123 wenn der Nato-Gipfel in Vilnius die uk- zung für die Ukraine genug Gewicht geben kann,
rainische Seite nicht zufriedengestellt haben mag, um es sowohl dem Bündnis als auch Kyjiw zu er-
so darf das Ergebnis insbesondere auf kurze Sicht möglichen, diesen Schritt als einen echten Mei-
doch als Meilenstein gelten. Im Januar 2022 wäre lenstein auf dem Weg zu einer dauerhaften Part-
eine enge Zusammenarbeit zwischen der Nato nerschaft wahrzu­nehmen.“05
und der Ukraine noch undenkbar gewesen.03 Es
gehört zur Ironie der Geschichte, dass die Ein- DIE SICHTWEISE
leitung der „militärischen Spezialoperation“ ge- DER ÖSTLICHEN STAATEN
gen die Ukraine am 24. Februar 2022 von Präsi-
dent Wladimir Putin offiziell unter anderem mit Der russische Krieg in der Ukraine, der mit der
dem Versuch der Ukraine begründet wurde, sich Invasion und Annexion der Krim 2014 begann,
den westlichen Institutionen, der Europäischen veränderte die geopolitische Lage in Europa und
Union und der Nato anzunähern. Mit dem Ein- die regionale Sicherheitslage grundlegend. In der
marsch in die Ukraine und der Entfesselung ei- Folge des Kriegs wurden die Sicherheitsbedro-
nes ausgedehnten Kriegs beschleunigte Russland hungen in Mittel- und Osteuropa neu bewertet,
ausgerechnet diesen Prozess.04 Viele ihrer westli- was dementsprechende Reaktionen Russlands
nach sich zog. Dies ist der Hintergrund, vor dem
viele mittel- und osteuropäische Nato-Mitglied-
01 Vgl. Wojciech Michnik, Nato-Gipfel in Vilnius: Für Russland
wird die Einheit der Nato zum großen Problem, 16. 7. 2023,
staaten, zum Beispiel die baltischen Staaten, Po-
www.berliner-zeitung.de/-li.369643. len und Rumänien, die gegenwärtige internatio-
02 Vgl. Marek Madej, Wilno – mimo wszystko całkiem udany nale Politik beobachten, einschließlich möglicher
follow-up summit. Kilka spostrzeżeń po spotkaniu przywódców Beziehungen zwischen der Nato und der Ukra-
NATO na Litwie, 15. 7. 2023, h­ ttps://studiastrategiczne.pl/wilno-​
ine. Ihre politischen Maßnahmen und Reaktio-
mimo-​wszystko-​calkiem-​udany-​follow-​up-​summit.
03 2021 setzte die Nato die Mitgliedschaft der Ukraine nicht
nen auf die russische Aggression sind nicht nur
an die erste Stelle ihrer Agenda, wollte aber auch nicht den von der bestehenden regionalen Architektur be-
absurden Forderungen Russlands nachgeben, wonach sich die einflusst, sondern zudem von ihrer jeweiligen
Nato-Mitglieder verpflichten sollten, „das Bündnis nicht weiter zu „durchwachsenen“ Geschichte mit Russland.06
erweitern, insbesondere nicht um die Ukraine“. Vgl. Steven Pifer,
Russia’s Draft Agreements with NATO and the United States: In-
tended for Rejection?, 21. 12. 2021, www.brookings.edu/articles/ 05 Stephen Sestanovich, How Should Nato Think About Ukraini-
russias-​draft-​agreements-​with-​nato-​and-​the-​united-​states-​inten- an Membership After Russia’s Coup Attempt?, 27. 6. 2023,
ded-​for-​rejection. www.cfr.org/in-​brief/how-​should-​Nato-​think-​about-​ukrainian-​
04 Das vorherrschende Narrativ über Russlands Widerstand membership-​after-​russias-​coup-​attempt.
gegen die Nato-Erweiterung hat sich als wichtigster Erklärungs-, 06 Für eine ausführliche Erläuterung der regionalen Wahrneh-
wenn nicht gar Rechtfertigungsrahmen für den anhaltenden mung dieses Kriegs siehe Agata Mazurkiewicz/Wojciech Michnik,
Krieg Moskaus gegen die Ukraine herausgestellt. Vgl. Robert Towards the Frontline States Concept: Understanding the
Person/Michael McFaul, What Putin Fears Most, in: Journal of Responses to Russia’s War against Ukraine, 27. 4. 2023, h­ ttps://
Democracy 33/2022, S. 18–27. peacerep.org/publication/towards-​the-​frontline-​states-​concept/.

21
APuZ 47–48/2023

Für die mittel- und osteuropäischen Nato-­ gentlich gegen die bedingungslose Unterstützung
Mitgliedstaaten ist die Ukraine nicht nur ein der Ukraine durchsetzen. Der jüngste polnisch-­
Land, das am Rande Europas einen Unabhängig- ukrainische Streit über Getreide brachte dies
keitskrieg führt, sondern auch eines, das sich den deutlich zum Vorschein.08 Manche Streitpunkte
imperialen Ambitionen Russlands entgegenstellt, und Probleme zwischen der Ukraine und ihren
die leicht über die Ukraine selbst hinausgehen regionalen Partnern werden sicherlich erneut auf-
könnten. Aus der mittel- und osteuropäischen brechen. Man kann sogar davon ausgehen, dass
Perspektive heraus kann es ohne eine souverä- die Gräben zwischen der Ukraine und anderen
ne und unabhängige Ukraine keinen dauerhaf- mittel- und osteuropäischen Ländern umso tiefer
ten Frieden in Europa geben. Zu dieser Wahrneh- werden, je länger der Krieg andauert. Und so sehr
mung trägt bei, dass es unterschiedliche Ansichten diese Risse und Probleme auch bereits laufende
über das Ausmaß der Sicherheitsbedrohung gibt. Diskussionen innerhalb der Nato oder der Euro-
In Polen und den benachbarten Frontstaaten geht päischen Union beeinflussen mögen, ist es doch
man davon aus, dass die von Russland ausgehen- von immenser Bedeutung, dass sie in den Bezie-
de Bedrohung in absehbarer Zeit nicht abnehmen hungen zwischen der Nato und der Ukraine nicht
wird. Führende Politiker in der Region haben überhandnehmen. Ein Zerwürfnis zwischen der
immer wieder die Befürchtung geäußert, dass Pu- Ukraine und ihren Nachbarstaaten würde die Po-
tins Expansionsbestrebungen irgendwann auch sition der Ukraine gegenüber der Nato definitiv
sie treffen könnten. „Solange Putin an der Macht schwächen und sich in der Folge negativ auf die
ist“ sagt die einflussreiche polnische Sicherheits- euro-atlantische Sicherheit auswirken.
expertin Justyna Gotkowska, „sehen wir selbst in Unabhängig davon, ob man eine Nato-Mit-
einer Waffenruhe in der Ukraine immer nur eine gliedschaft der Ukraine befürwortet oder nicht,
Kampfpause und keine Einigung.“07 lässt sich kaum ein anderes Verteidigungsbünd-
Diese in der Region weit verbreitete Perspek- nis in der Welt finden, das seine Mitgliedstaaten
tive wird mit größter Wahrscheinlichkeit die Art so erfolgreich vor ausländischen Angriffen ge-
und Weise prägen, wie sich diese Staaten die Be- schützt hat. Die Nato bleibt auf lange Sicht die
ziehungen zwischen Nato und Ukraine vorstel- einzig brauchbare Sicherheitsorganisation im
len. Zunächst einmal werden die Nato-Frontstaa- euro-atlantischen Raum, die in der Lage ist, der
ten engere Beziehungen zwischen der Nato und Ukraine soliden Schutz zu bieten. Von nur bi-
der Ukraine, einschließlich einer Vollmitglied- lateralen Sicherheitsvereinbarungen einmal ab-
schaft Kyjiws im Bündnis, besonders vehement gesehen ist die Nato daher wohl die einzige Si-
unterstützen. Selbst wenn eine Mitgliedschaft der cherheitsoption für die Ukraine. Diese Tatsache
Ukraine in absehbarer Zukunft, zumindest solan- scheint sowohl in Kyjiw als auch in den Nato-
ge der Krieg andauert, nicht möglich ist, werden Frontstaaten gut verstanden worden zu sein. Die
sich die Frontstaaten für eine vielseitige Unter- Frage ist: Wird diese Realität im gesamten Westen
stützung der Ukraine durch die Nato einsetzen. verstanden und akzeptiert werden?
Für diese Staaten ist die Fähigkeit der Ukraine,
sich gegen russische Aggressionen zu verteidi- SCHLUSSFOLGERUNGEN
gen, unmittelbar mit ihrer eigenen Verteidigungs-
und Sicherheitspolitik zur Abschreckung Russ- In Bezug auf die Zukunft der Beziehungen zwi-
lands verbunden. Diese Betrachtungsweise und schen der Nato und der Ukraine wird man, sobald
dieser Ansatz werden keineswegs von allen Na- eine grundlegende gemeinsame Sicherheitsagenda
to-Mitgliedstaaten geteilt. Es ist daher anzuneh- festgelegt ist, kurzfristig mehr von Kontinuität
men, dass dies in naher Zukunft zu Spaltungen denn von Veränderung sprechen. Der außenpo-
und Streitigkeiten innerhalb des Bündnisses füh- litische Kurs der Ukraine wird sich wahrschein-
ren wird. Darüber hinaus gibt es selbst bei den lich kaum ändern. Gleiches gilt für die Nato. Das
treuesten Verbündeten der Ukraine in der Nato, Bündnis versteht die geopolitische Bedeutung
wie etwa Polen, gewisse Anzeichen von „Kriegs-
müdigkeit“, da sich innenpolitische Fragen gele-
08 Siehe exemplarisch Piotr Buras, Rifts and Realities: The
Strained Bond between Poland and Ukraine, 28. 9. 2023, ­
07 Zit. in: The War in Ukraine has Made Eastern Europe Stron- https://ecfr.eu/article/rifts-​and-​realities-​the-​strained-​bond-​bet-
ger, in: The Economist, 27. 2. 2023. ween-​poland-​and-​ukraine.

22
Nato APuZ

der Ukraine, denn eine unabhängige und souve- Rest Europas am Rande steht und zusieht? Un-
räne Ukraine bleibt ein Schlüsselfaktor für die eu- abhängig davon, welche Antwort man auf diese
ro-atlantische Sicherheit. Aus demselben Grund Frage findet, lässt sich aus den komplexen Zu-
wird jedoch auch die Haltung Russlands dieselbe sammenhängen des laufenden Kriegs herauslesen,
bleiben, da Russland davon ausgeht, dass die Auf- dass die Zukunft der Beziehungen zwischen Nato
nahme der Ukraine in die Nato den Versuchen und Ukraine auf kurze wie auf lange Sicht weni-
Moskaus, die Ukraine zu kontrollieren und zu ger davon abhängt, was nach Kriegsende passiert,
unterwerfen, ein Ende setzen würde. Da die Be- sondern vielmehr davon, wie der Krieg über-
endigung des Kriegs eine Voraussetzung für den haupt ausgeht.
Beitritt der Ukraine zum Bündnis ist, sollten bei-
de Seiten ihre Beziehungen auch unabhängig von Aus dem Englischen von Birthe Mühlhoff, Dinslaken
den Aussichten auf eine ukrainische Nato-Mit-
gliedschaft betrachten. In einem kürzlich erschie-
nenen Artikel in „The Economist“ wird zurecht
davor gewarnt, dass zu viele Gespräche über die WOJCIECH MICHNIK
Ukraine von einem „Ende des Kriegs“ abhängig ist Research Scholar an der University of Arizona
gemacht würden: „Betet für einen schnellen Sieg, (2023–24 Fulbright-NATO Security Studies Award).
aber rüstet euch für einen langen Kampf – und Zudem ist er Assistant Professor für Internationale
eine Ukraine, die trotzdem überleben und gedei- Beziehungen und Sicherheitsstudien an der
hen kann.“09 Jagiellonian University in Kraków. Michnik ist freier
Mit Blick auf die Zukunft sollten sich das Redakteur bei New Eastern Europe.
Bündnis und seine Mitgliedstaaten nicht zu sehr wojciech.michnik@uj.edu.pl
auf den Zeitpunkt und die Bedingungen für den
Beitritt der Ukraine zur Nato konzentrieren,
sondern vielmehr auf die Aufrechterhaltung der
unerschütterlichen Unterstützung für eine unab-
hängige Ukraine. Es ist wenig sinnvoll, in Dau-
erschleifen das ohnehin offensichtliche Diktum
zu wiederholen, die Ukraine könne der Nato erst
nach Beendigung des Kriegs beitreten; die Ver-
knüpfung der Mitgliedschaft der Ukraine mit
dem Ende der Feindseligkeiten „erhöht mögli-
cherweise die russischen Anreize zur Fortsetzung
des Kriegs“.10 Wenn man die derzeitige russische
Strategie richtig liest, führt Moskau einen Zer-
mürbungskrieg und setzt möglicherweise darauf,
dass die Ukraine früher oder später nicht mehr
die Kosten des Kriegs tragen kann und die west-
lichen Partner die Geduld verlieren und ihre Un-
terstützung für die Ukraine einschränken. Diese
vertrackte Situation wirft eine zwingende Fra-
ge auf, die nur wenige im Westen zu beantwor-
ten bereit sind: Ist die Ukraine in der Lage, den
Krieg zu ihren Bedingungen zu beenden, indem
sie allein kämpft, nur ausgestattet mit militäri-
scher Ausrüstung aus dem Westen, während der

09 Ukraine Faces a Long War. A Change of Course Is Needed,


in: The Economist, 21. 9. 2023.
10 Judy Dempsey, Judy Asks: Is Ukraine’s Nato Membership
Realistic?, 6. 7. 2023, h­ ttps://carnegieeurope.eu/strategiceurope/​
90137.

23
APuZ 47–48/2023

Propaganda untergraben. Gleichzeitig konzen-


trierten sich die Nato-Mitgliedstaaten auf die
Auf dem Weg Einbindung der mitteleuropäischen und balti-
schen Staaten, wodurch die Ukraine an den Rand
zur Mitgliedschaft? gedrängt wurde. Außerdem räumte man der Hal-
tung Russlands Priorität ein.
Olena Halushka · Iryna Krasnoshtan Nach dem Zusammenbruch der So­wjet­union
musste die unabhängig gewordene Ukraine ihren
Platz im internationalen Sicherheitsgefüge fin-
Seit Jahrzehnten setzt Russland in seiner Au- den. Einerseits suchte sie nach externen Sicher-
ßenpolitik auf Einschüchterung, Erpressung und heitsgarantien, zu denen auch die Mitgliedschaft
Krieg. Weder die wachsende wirtschaftliche Ver- in verschiedenen Bündnissen und Organisationen
flechtung mit Europa noch der Versuch einer di- gehörte. Auf Druck der USA und Russlands ver-
plomatischen Annäherung oder Appeasement- pflichtete sich die Ukraine 1994, auf ihr Atom-
Politik haben dazu geführt, dass Russland zu waffenarsenal, das drittgrößte weltweit, zu ver-
einem friedlichen oder demokratischen Partner zichten.01 Andererseits war sie durch die in der
wurde. Im Gegenteil: Dass Russland nicht für Unabhängigkeitserklärung von 1990 verankerte
seine Kriege zur Verantwortung gezogen wurde, Absicht, ein neutrales Land zu werden, politisch
etwa gegen Georgien 2008 oder die Ukraine 2014, eingeschränkt,02 auch wenn in der ukrainischen
hat den Weg zum Überfall auf die Ukraine im Fe- Verfassung von 1996 von Neutralität nicht mehr
bruar 2022 geebnet. Angesichts des aktuellen rus- die Rede ist.
sischen Angriffskriegs auf die Ukraine, dem größ- Russland zögerte, die unabhängige Ukraine
ten seit dem Zweiten Weltkrieg, steht die Welt ziehen zu lassen. Für Spannungen sorgten etwa
am Scheideweg. Entweder wird die internationa- der Status der Krim und des Flottenstützpunkts
le Ordnung wiederhergestellt, indem der Aggres- Sewastopol, die Aufteilung der Schwarzmeerflot-
sor gestoppt und zur Rechenschaft gezogen wird. te und der Verlauf der Grenzen. Schon damals
Oder die Praxis des vorherigen Jahrhunderts, die nutzte Russland politische und wirtschaftliche
Grenzen unabhängiger Staaten mit Gewalt zu ver- Druckmittel, Drohungen und Desinformation
schieben, wird zur neuen Normalität. gegen die Ukraine.
Die Wiederherstellung eines nachhaltigen 1992 begann die Ukraine mit der Nato zusam-
Friedens in Europa erfordert eine politische Neu- menzuarbeiten. 1994 trat sie der Partnerschaft
ausrichtung, da sich die bisherige Politik als inef- für den Frieden bei, 1997 wurde die Nato-Uk-
fektiv erwiesen hat. Dazu gehört auch, sich über raine-Charta unterzeichnet.03 2002 gab Präsident
das De-facto-Vetorecht Russlands hinsichtlich Kutschma offiziell die Absichten der Ukraine be-
einer Nato-Erweiterung hinwegzusetzen, das kannt, die Mitgliedschaft in der Nato anzustre-
Russland nicht von einem Krieg abgeschreckt, ben. 2004 hieß es dann allerdings nur noch, man
sondern sogar dazu ermutigt hat. Die Aufnahme bemühe sich um eine intensive Zusammenarbeit
der Ukraine in die Nato war zu lange der poli- mit der Allianz.
tischen Maßgabe unterworfen, eine Provokation Innenpolitisch wurde die ukrainische Ge-
Russlands zu vermeiden, wodurch Ukraine wie sellschaft durch eine aggressive Anti-Nato-Pro-
Nato um ein für beide Seiten vorteilhaftes Bünd- paganda einer regelrechten Gehirnwäsche un-
nis gebracht wurden. terzogen. Ängste aus der Zeit nach dem Kalten
Krieg wurden geschürt, zudem litt das Image der
NEUTRALITÄT UND APPEASEMENT Nato unter den Attacken von Politikern wie Na-
ERMUTIGEN AGGRESSOREN talia Vitrenko oder Viktor Janukowitsch, die in
russischer Abhängigkeit standen. 2006 kündig-
Der Aufbau guter, belastbarer Beziehungen er- te die Kommunistische Partei die Bildung einer
fordert Anstrengungen auf beiden Seiten. Daran „Anti-Nato-Fraktion“ im Parlament an, und die
fehlte es vor der russischen Besetzung der Krim Partei von Viktor Medwedtschuk drängte auf ein
2014 sowohl bei der Ukraine als auch der Nato. Referendum. Die ukrainische Regierung tat we-
Die Schritte der Ukraine in Richtung Nato wur- nig, um den Nutzen einer Nato-Mitgliedschaft
den im eigenen Land durch massive russische zu vermitteln.

24
Nato APuZ

Die Nato wiederum konzentrierte sich in je- bis Wladiwostok.06 Doch die Versuche, das oh-
ner Zeit in erster Linie darauf, eine kalkulierba- nehin schon aggressive Verhalten Russlands zu
re Partnerschaft zu Russland aufzubauen. 2002 beschwichtigen, haben das Land nur in seinem
wurde der123 Nato-Russland-Rat eingerichtet,04 der Kurs bestärkt.
als Forum für Konsultationen, Zusammenarbeit Die westlichen Partner verkannten den stra-
und eine gemeinsame Entscheidungsfindung die- tegischen Wert der Ukraine und zogen es vor,
nen sollte und in dem Russland einen gleichbe- das russische De-facto-Veto gegen die Nato-Er-
rechtigten Sitz erhielt. Der Ukraine wurde dieser weiterung zu akzeptieren. Der Ukraine ein po-
Status dagegen erst auf dem jüngsten Nato-Gipfel sitives Bild von der Nato zu vermitteln und sie
in Vilnius eingeräumt. bei der demokratischen Umgestaltung zu unter-
Beim Nato-Gipfel 2008 in Bukarest blockier- stützen, hatte für den Westen keine Priorität. So
ten die deutsche und die französische Regierung verfestigte sich in der ukrainischen Bevölkerung
einen gemeinsamen Antrag des ukrainischen Prä- die Vorstellung, Blockfreiheit sei ein Garant für
sidenten Juschtschenko, der Ministerpräsiden- Sicherheit. Daher gab es 2010 auch keinen gro-
tin Timoschenko und des Parlamentspräsidenten ßen Aufschrei in der ukrainischen Gesellschaft,
Jazenjuk für eine Aufnahme der Ukraine in den als das Parlament während der Präsidentschaft
„Membership Action Plan“ (MAP). Die Bünd- ­Janukowitschs ein Gesetz verabschiedete, das den
nispartner einigten sich schließlich nur auf die blockfreien Status der Ukraine festlegte.
vage Formulierung, die Ukraine werde in Zu- Im Februar 2014 annektierte Russland dann
kunft Mitglied des Bündnisses werden und der die Krim, trotz der Neutralität der Ukraine und
MAP sei der nächste Schritt auf dem Weg dort- der geringen Unterstützung der Bevölkerung für
hin. In den folgenden Jahren hielt die Nato ihre einen Nato-Beitritt. Die sowohl von der Nato als
Zusage jedoch nicht ein und schuf damit einen auch von der Ukraine verfolgte Politik der Nicht-
fruchtbaren Boden für die wachsende Skepsis ge- provokation und Beschwichtigung Russlands
genüber der Allianz in der Ukraine. war damit auf ganzer Linie gescheitert.
Darüber hinaus wurde der russische Ein-
marsch in Georgien 2008 vom Westen weitge- DER RUSSISCHE KRIEG
hend fehlinterpretiert. Danach verstärkten sich GEGEN DIE UKRAINE
dort die Bedenken, eine Annäherung an Georgi-
en und auch an die Ukraine voranzutreiben, und Die Jahre 2014 bis 2022 markierten eine neue Ära
man suchte nach Möglichkeiten, die Beziehungen der Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und
zu Russland neu zu gestalten. Dazu gehörten der der Nato, die jedoch noch nicht zu einer echten
„Reset“ der US-Regierung unter Obama 2009 Einbindung geführt hat.
sowie das strategische Konzept der Nato von Die öffentliche Meinung in der Ukraine hat
2010,05 mit dem das Bündnis eine echte Partner- sich aufgrund der militärischen Aggression Russ-
schaft mit Russland anstrebte. Man sprach sogar lands verändert. Die Befürwortung einer Nato-
von einem gemeinsamen Raketenabwehrschild Mitgliedschaft stieg 2014 im Vergleich zu 2013
unter einem „Sicherheitsdach“ von Vancouver von 18 Prozent auf 47,8 Prozent. Durch den An-
griff auf die gesamte Ukraine 2022 erreichte die-
01 Die Ukraine unterzeichnete seinerzeit den Vertrag zur
ser Wert sogar 83 Prozent.
Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) und das damit verbun- Die Majdan-Proteste 2013 und 2014 („Revo-
dene Budapester Memorandum. lution der Würde“) haben das Bewusstsein für
02 Vgl. Declaration of State Sovereignty of Ukraine, The Gerechtigkeit und Demokratisierung geschärft.
Official Bulletin of the Verkhovna Rada of USSR (BVR), 1990,
Die Ukraine hat eine ehrgeizige Reformagenda
No. 31, Art. 429, ­https://zakon.rada.gov.ua/laws/show/en/​55-​
12#​Text.
auf den Weg gebracht, die unter anderem darauf
03 Vgl. Außenministerium der Ukraine, Chronologie der abzielt, Korruption zu bekämpfen, Transparenz
Beziehungen zwischen der Ukraine und der Nato, 27. 12. 2019, zu gewährleisten, den öffentlichen Dienst zu ent-
­https://ukraine-​nato.mfa.gov.ua/ukrayina-​nato/hronologiya-​vid- schlacken und das Justiz- und Bankensystem zu
nosin-​ukrayina-​nato.
04 Vgl. Nato, Nato-Russia Council, 1. 9. 2022, www.nato.int/
cps/en/natohq/topics_​50091.htm. 06 Vgl. dies., Building a Euro-Atlantic Security Architecture.
05 Vgl. dies., Strategic Concept 2010, 3. 2. 2012, www.nato.int/ Speech by NATO Secretary General Anders Fogh Rasmussen,
cps/en/natohq/topics_​82705.htm. 27. 3. 2010, www.nato.int/cps/en/natolive/opinions_​62395.htm.

25
APuZ 47–48/2023

reformieren. Im Februar 2019 beschloss das Par- souveräne Nation frei entscheiden kann, wo sie
lament, die Integration der Ukraine in den Euro- hingehört, und dass Einflusssphären für immer
päischen- und den Euro-Atlantischen Raum in der Vergangenheit angehören. Die Aufnahme
der Verfassung zu verankern. wird sich auf das konzentrieren, was für die Nato
Die Nato hat ihre Unterstützung für die Ukra- und die Ukraine am besten ist, und künftige rus-
ine durch ein umfassendes Hilfspaket (Compre- sische Aggressionsakte verhindern.
hensive Assistance Package, CAP), mehrere Treu- Für die Ukraine ist die Nato-Mitgliedschaft
handfonds und Initiativen zum Kapazitätsaufbau die einzige kosteneffiziente und nachhaltige Si-
erheblich verstärkt.07 2015 wurde die Präsenz der cherheitsgarantie, die mit der von der ukraini-
Nato durch die Eröffnung einer Vertretung auf schen Bevölkerung geforderten Stärkung der De-
dem Territorium der Ukraine aufgewertet. mokratie und inneren Reformen einhergeht. Die
Die Ukraine verfügte also über einen Plan für Allianz verfügt zudem über geeignete Instru-
die militärische Zusammenarbeit mit der Nato, mente, um die Reform des ukrainischen Sicher-
dazu kamen bilaterale Ausbildungsvereinbarun- heits- und Verteidigungssektors zu beschleuni-
gen mit den USA, dem Vereinigten Königreich, gen. Während der Beitrittsgespräche kann sie als
mit Kanada und Litauen. Sie nahm regelmäßig treibende Kraft für Reformen in der Ukraine fun-
an gemeinsamen multilateralen Übungen teil und gieren.
richtete diese aus. Dennoch weigerte man sich Angesichts der gewaltigen Herausforderun-
stets, der Ukraine letale Waffen zu liefern, mit der gen beim Wiederaufbau der Ukraine nach dem
Begründung, man wolle eine Eskalation vermei- Krieg bietet eine Nato-Mitgliedschaft auch die
den. Das änderte sich erst 2018 mit der Entschei- einzige glaubwürdige Garantie für Investoren,
dung der USA, Javelin-Panzerabwehrraketen zu sich mittel- und langfristig in der Ukraine zu en-
liefern.08 2020 erhielt die Ukraine den Status ei- gagieren. Denn wer würde in dem Wissen inves-
nes „Enhanced Opportunities Partner“, der nicht tieren, dass seine Fabriken bald wieder zerstört
nur erweiterte Beteiligungsmöglichkeiten an Na- werden könnten?
to-Manövern und Kooperationsprojekten erhält, Die Vorteile eines Beitritts der Ukraine für die
sondern auch Zugang zum Operabilitätsinstru- Nato werden oft unterschätzt. Im strategischen
mentarium der Nato einschließlich Ausbildung, Konzept der Nato von 2022 wird Russland als
Informationsaustausch und Lagebeurteilungen. „die bedeutendste und unmittelbarste Bedrohung
Auf dem Gipfel von Vilnius 2023 hoben die für die Sicherheit der Bündnispartner“ bezeich-
Bündnispartner den MAP als Bedingung für die net.09 Die Ukraine ist das einzige Land, das über
Nato-Mitgliedschaft auf, sprachen der U ­ kraine direkte Erfahrungen im Kampf gegen eine russi-
jedoch keine politische Einladung aus und ver- sche Invasion verfügt. Davon kann die Nato in
säumten es, den euroatlantischen Weg der Hinblick auf Manöver, Ausbildung und die Ent-
­Ukraine konkret zu definieren. wicklung neuer Doktrinen profitieren. Die Ukra-
ine verfügt über die zahlenmäßig größte Armee
EINE WIEDERHOLUNG in Europa und wird die militärischen Kapazitäten
FRÜHERER FEHLER KÖNNEN des Bündnisses stärken, da sie eine vorgeschobe-
WIR UNS NICHT LEISTEN ne Verteidigungslinie bilden und so zur Sicherheit
der mittel- und osteuropäischen Staaten beitragen
Für die weitere Entwicklung der Beziehungen kann. Darüber hinaus hat die Ukraine bereits be-
zwischen der Ukraine und der Nato gibt es im wiesen, dass sie einen zuverlässigen Beitrag zur
Grunde nur zwei Szenarien: Beitritt oder Nicht- transatlantischen Sicherheit leisten kann, weil sie
Beitritt. bereits an vielen wichtigen Missionen unter Füh-
Mit einer Aufnahme der Ukraine würde man rung der Nato teilgenommen hat.
Russland die Botschaft übermitteln, dass eine Auch in den NATO-Mitgliedstaaten steht die
Bevölkerung einer Aufnahme der Ukraine zu-
nehmend aufgeschlossen gegenüber, obwohl der
07 Vgl. dies., Relations with Ukraine, 28. 7. 2023, www.nato.int/
Meinungsumschwung nicht ganz so drastisch
cps/en/natohq/topics_​37750.htm.
08 Vgl. Peter J. Marzalik/Aric Toler, Lethal Weapons to
Ukraine: A Primer, 26. 1. 2018, www.atlanticcouncil.org/blogs/ 09 Nato, Strategic Concept 2022, 3. 3. 2023, www.nato.int/
ukrainealert/lethal-​weapons-​to-​ukraine-​a-​primer. cps/en/natohq/topics_​210907.htm.

26
Nato APuZ

ausfällt wie in der Ukraine. Inzwischen haben be- Jahre nach dem russischen Angriff auf die gesam-
reits 25 Nato-Staaten Erklärungen unterzeichnet, te Ukraine liegt die Zahl der Geflüchteten nach
in denen sie den künftigen Beitritt der Ukraine Angaben des UNHCR bei über 6,29 Millionen
unterstützen.10 Menschen. Dabei handelt es sich hauptsächlich
Der Aufnahmeprozess könnte und sollte noch um Frauen und Kinder. Laut UN planen 65 Pro-
vor Kriegsende beginnen. Das Bündnis wür- zent der Befragten, „eines Tages“ in die Ukraine
de trotzdem nicht in die Kämpfe hineingezogen. zurückzukehren.11 Doch das ist nur bei einer sta-
Zwischen dem Antrag und der Vollmitgliedschaft bilen Sicherheitslage und günstigen wirtschaftli-
liegt ein langer Weg, und die Beistandspflicht nach chen Bedingungen möglich, was erhebliche An-
Artikel 5 des Nato-Vertrags gilt nur für Mitglie- strengungen erfordert.
der. Wenn die Ukraine schließlich Mitglied der Da die Ukraine über die größte kampferfah-
Nato ist, wird sie die Möglichkeit haben, die Kon- rene Armee in Europa verfügt, die Zustimmung
trolle über ihr Hoheitsgebiet zurückzuerlangen. der Bevölkerung zu einer Nato-Mitgliedschaft
Außerdem zeigt die westdeutsche Nachkriegser- überwältigend ist und Reformen, Demokra-
fahrung, dass die Nato – sofern sie den politischen tie und Rechtsstaatlichkeit auf einem guten Weg
Willen dazu hat, einen Weg findet, ein Land auf- sind, gibt es außer Angst keine wirklichen Argu-
zunehmen. So konnte die Bundes­republik 1955 mente gegen den sofortigen Beginn eines Aufnah-
der Allianz beitreten, obwohl sie sich mit der meverfahrens der Ukraine. Nato-Generalsekretär
DDR weiterhin in einer territorialen Konfliktsi- Stoltenberg sagte kürzlich: „Ich verstehe die Sor-
tuation befand. gen, dass unsere Unterstützung der Ukraine das
Wenn die Nato die Annäherung an die Ukra- Risiko einer Eskalation in sich birgt, aber das Ri-
ine hinauszögert, sendet sie Russland ein Signal siko verblasst, verglichen damit, dass wir Putin
der Schwäche. Ironischerweise geben die Verbün- erlauben, diesen Krieg zu gewinnen.“12 Tatsäch-
deten mit ihrem Bemühen, eine Eskalation um je- lich sollte Putin diesen Krieg verlieren. Ein Bei-
den Preis zu vermeiden, grünes Licht für weitere tritt der Ukraine zur Nato wird eine der Säulen
Aggressionen nicht nur gegen die Ukraine, son- für nachhaltigen Frieden in Europa sein.
dern auch gegen andere Staaten, die Russland als
Teil seiner Einflusssphäre betrachtet. Einige von Aus dem Englischen von Heike Schlatterer,
ihnen sind bereits Teil der ­Nato.12 Pforzheim
Eine Nicht-Aufnahme würde die Ukraine
zwingen, nach anderen glaubwürdigen Abschre-
ckungsoptionen zu suchen, die jedoch sehr um-
fangreich und kostspielig wären, etwa eine wei-
tere Militarisierung der ukrainischen Gesellschaft
oder die Installation eines Luftabwehrsystems für
die gesamte Ukraine. Ein Teil dieser Kosten wür-
de auch auf den Schultern der Bündnispartner
lasten, deren eigene Verteidigungsausgaben eben- OLENA HALUSHKA
falls steigen würden. ist promovierte Ökonomin und eine der Gründer­
Das Fehlen wirksamer Sicherheitsgarantien innen des International Center for Ukrainian Victory
wird Russlands langfristigem Ziel der Entvölke- sowie Vorstandsmitglied bei der ukrainischen
rung der Ukraine Vorschub leisten. Eineinhalb NGO Anticorruption Action Center. Sie ist zudem
ehemaliges Mitglied des Stadtrats von Kyjiw.
ohalushka@antac.org.ua
10 Vgl. Albania Officially Supports Ukraine’s Euro-Atlantic
Integration, 20. 9. 2023, www.pravda.com.ua/eng/news/​2023/​
09/​20/7420695/. IRYNA KRASNOSHTAN
11 Vgl. UNHCR, Intentions and Perspectives of Refugees from ist Senior Program Manager beim International
Ukraine, 9. 6. 2023, ­https://data.unhcr.org/en/dataviz/​304?​sv=​ Center for Ukrainian Victory und politische
54&​geo= 0 ​.
Analystin. Ihr fachlicher Schwerpunkt liegt im
12 Christoph B. Schiltz, „Wir werden es nicht zulassen, dass
die Gewalt der 1990er zurückkehrt“, 7. 10. 2023, www.welt.de/
Bereich Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie
politik/ausland/article247860460/Nato-Chef-Stoltenberg-Die- den Nato-Ukraine-Beziehungen.
Ukraine-kommt-voran-langsam-aber-bestimmt.html. i.krasnoshtan@ukrainianvictory.org

27
APuZ 47–48/2023

ESSAY

ZUM SCHEITERN VERURTEILT?


Osterweiterung und die Beziehungen zu Russland
Joshua Shifrinson

Man hätte denken können, dass der Angriff Russ- sei.02 Den Gedanken, dass die Erweiterung mög-
lands gegen die Ukraine im Februar 2022 eine licherweise überdacht werden muss, lehnen viele
breite Debatte über die Nato-Erweiterung nach führende Politiker im gesamten Bündnis ab.
Mittel- und Osteuropa hätte lostreten müssen. Der vorliegende Beitrag ist als partielles Kor-
Schließlich hatte die russische Führung im Vor- rektiv einer andauernden internationalen Debatte
feld des Konflikts gegen einen möglichen Beitritt zu verstehen. Aufbauend auf eine mehr als zehn-
der Ukraine zum Bündnis lauthals protestiert. jährige Forschungstätigkeit über die Nato-Erwei-
Und auch die Nato sah sich mit Schwierigkeiten terung nach dem Ende des Kalten Kriegs werde ich
konfrontiert, als der Konflikt schon im Gange drei Thesen diskutieren. Erstens war es nicht so, als
war. Sie musste einen strategischen Umgang mit hätte kein Weg an der Osterweiterung vorbeige-
den Nato-Beitrittsbestrebungen der Ukraine fin- führt. Die Entscheidung, die Erweiterung als einen
den, zugleich aber die innere Einheit wahren, die Prozess mit offenem Ende zu begreifen, bereitete
für die Unterstützung von Kyjiw trotz fehlen- aber mit den Boden für die späteren Spannungen
der Mitgliedschaft nötig wurde. Außerdem muss- mit Moskau. Zweitens waren die Maßnahmen zur
te sie sich mit den neu aufgekommenen Sorgen Gestaltung der Beziehungen zu Russland fast au-
im Hinblick auf die Verteidigungsfähigkeiten des tomatisch zum Scheitern verurteilt, weil die Nato
Bündnisses befassen. Angesichts all dessen wäre ihre Bemühungen darauf konzentrierte, die negati-
es für strategische Beobachter wohl angemessen, ve Reaktion Moskaus auf die Erweiterung so gering
auszuwerten, ob und in welchem Maße sich die wie möglich zu halten, anstatt sich mit dem Kern
Nato-Erweiterung auf die Eskalation des Kon- der russischen Bedenken auseinanderzusetzen.
flikts selbst und ganz allgemein auf die langfristi- Schließlich vertrete ich die Auffassung, dass die Er-
gen Beziehungen zu Russland ausgewirkt, sie die weiterung im politischen Westen ein durchwachse-
Operationen des Bündnisses beeinflusst und die nes strategisches Erbe hinterlassen hat, welches das
europäische Sicherheitspolitik geprägt hat. Bündnis in den kommenden Jahren vor schwierige
Diese Debatte bleibt verhalten. Westliche Po- politisch-strategische Entscheidungen stellen ­wird.
litiker hängen mehrheitlich der Idee an, dass die
Nato-Erweiterung ihren Wert zweifelsohne selbst ZUSICHERUNGEN
bewiesen hat. Demzufolge habe das Bündnis nicht RICHTUNG ­O STEN
nur keine Rolle darin gespielt, Russland zu pro-
vozieren oder zu einer Konfliktsituation beizutra- Die Nato-Erweiterung war nach dem Ende des
gen, sondern seine Erweiterung habe sich vielmehr Kalten Kriegs keineswegs vorgezeichnet. Das
als wirksames Instrument gegen eine breitere rus- Bündnis selbst war 1949 gegründet worden, um
sische Aggression erwiesen, ohne dass die Einheit den so­ wje­tischen Expansionismus einzudäm-
der Verbündeten darunter gelitten hätte.01 Die men und gleichzeitig die (west-)deutsche Stärke
Nato selbst verneint die Annahme, ihre Oster- in einer für die anderen westeuropäischen Staa-
weiterung sei „eine Bedrohung für Russland“, mit ten akzeptablen Weise einzubinden. Der Zusam-
dem Argument, sie sei „ein Verteidigungsbünd- menbruch der UdSSR zwischen den Jahren 1989
nis“. Auch die Entscheidungsträger der Nato ha- bis 1991 ließen die Nato scheinbar ohne Zweck
ben in der Vergangenheit beteuert – wie etwa Na- zurück. In Verbindung mit Forderungen Anfang
to-Generalsekretär Jens Stoltenberg –, dass der der 1990er Jahre nach der Schaffung neuer ge-
Schritt nach Osten „ein großer Erfolg“ gewesen samteuropäischer Sicherheitsinstitutionen oder

28
Nato APuZ

der Verankerung der europäischen Sicherheit in Bill Clinton beschlossen, die Zusicherungen, die
der späteren Europäischen Union (EU) fragten man Moskau 1990 gegeben hatte, zu vernachläs-
sich die politischen Entscheidungsträger auf bei- sigen und den Vorstoß der Nato nach Mittel- und
den Seiten des Atlantiks, ob das Bündnis über- Osteuropa voranzutreiben. In dieser Entschei-
haupt Bestand haben würde. Drei Wendepunkte dung sahen zwei unterschiedliche politische La-
führten jedoch zu einer schrittweisen Erweite- ger ihre Interessen vertreten.05 Die einen waren
rung des Bündnisses nach Mittel- und Osteuropa.12 der Ansicht, dass die USA die Gelegenheit nut-
Der erste Wendepunkt ergab sich 1990 im zen sollten, durch die Verbreitung freiheitlicher
Zuge der diplomatischen Bemühungen um die Grundsätze und Institutionen in den ehemals
deutsche Einheit. Damals befürchteten die po- kommunistischen Ländern den Kurs der euro-
litischen Entscheidungsträger, insbesondere in päischen Politik zu verändern, und so aufkom-
den USA, dass die so­wje­tische Führung die Ge- menden realpolitischen Interessen entgegen-
legenheit nutzen würde, um Westdeutschland zutreten. Für das andere Lager hingegen stand
aus der Nato herauszulocken und dem Bündnis die Bewahrung des „unipolaren Moments“ der
„das Herz herauszureißen“.03 Dazu kam es nicht. USA im Vordergrund. Dementsprechend soll-
Stattdessen führte die Entschlossenheit der ame- ten die Möglichkeiten Russlands, Deutschlands,
rikanischen Entscheidungsträger, in europäischen der EU oder anderer Akteure begrenzt werden,
Sicherheitsfragen weiterhin aktiv zu bleiben, so- selbst das Machtvakuum in Mittel- und Osteu-
wie das nach wie vor bestehende Interesse West- ropa auszunutzen, um ihren Einfluss geltend zu
europas, in einer unbeständigen strategischen machen. Obwohl sich die Argumente unterschie-
Lage die Beziehungen zu den USA aufrecht- den, konnten sich beide Gruppen auf den Gedan-
zuerhalten, zur Verhinderung einer Nato-Auf- ken verständigen, dass die Nato-Osterweiterung
lösung. Darüber hinaus wurde das vereinigte ein Weg war, diesen Bereich unter den Einfluss
Deutschland ins Bündnis aufgenommen. Zuvor der USA zu bringen. Dabei kam ihnen zugute,
hatten US-amerikanische und westdeutsche Po- dass ehemalige so­wje­tische Satellitenstaaten wie
litiker der so­wje­tischen Führung auf diplomati- Polen und Ungarn ohnehin eine Nato-Mitglied-
scher Ebene zugesichert, dass die Eingliederung schaft anstrebten, um sich gegen die Unwägbar-
Gesamtdeutschlands keine weitere Ausdeh- keiten der Zeit nach dem Kalten Krieg einschließ-
nung des Bündnisses auf die ehemalige so­wje­ lich eines möglichen russischen Revisionismus
tische Pufferzone nach sich ziehen würde.04 Da abzusichern.06 Auch die alten Nato-Mitglieder
die so­wje­tische Macht – und damit auch die äu- hinterfragten die Politik der USA nicht, selbst
ßere Beschränkung für eine Nato-Erweiterung – als Clinton ankündigte, die Erweiterung sei nicht
zu schwinden begann, ließ die Tatsache, dass die eine Frage „des Ob, sondern des Wann“.07 Unab-
Nato überlebt hatte, die Möglichkeit einer künf- hängig von den amerikanischen Interessen befür-
tigen Erweiterung des Bündnisses zu. wortete auch eine Reihe führender Politiker der
Zum zweiten Wendepunkt kam es zwischen Nato-Staaten, wie etwa der deutsche Verteidi-
1992 und 1994, als die Administrationen un- gungsminister Volker Rühe, die Erweiterung des
ter den US-Präsidenten George H. W. Bush und Bündnisses.08 Das Ergebnis war 1997 die Einla-
dung an Polen, Ungarn und die Tschechische Re-
01 Vgl. Joseph Chacko, Scholz Confirms Putin’s Statement
publik, dem Bündnis beizutreten.
on NATO Expansion to the East, in: Frontier India, 22. 8. 2022,
­https://frontierindia.com/scholz-​confirms-​putins-​statement-​on-​ 05 Vgl. Joshua Shifrinson, Eastbound and Down: The United
Nato-​expansion-​to-​the-​east/?​expand_article=​1. States, Nato Enlargement, and Suppressing the Soviet and Wes-
02 Vgl. Nato, Nato-Russia Relations, The Facts, 20. 4. 2023, tern European Alternatives, 1990–1992, in: Journal of Strategic
www.nato.int/cps/en/natohq/topics_​111767.htm#​c104; dies., Studies 6–7/2020, S. 816–846; James Goldgeier, Not Whether
Remarks by Nato Secretary General Jens Stoltenberg at the but When: The U. S. Decision to Enlarge Nato, Washington, D. C.
Munich Security Conference, 19. 2. 2022, www.nato.int/cps/en/ 1999.
natohq/opinions_​192204.htm. 06 Vgl. Mary Sarotte, The Convincing Call from Central
03 Zit. in Joshua Shifrinson, Deal or No Deal? The End of the Europe: Let Us Into NATO, 12. 3. 2019, www.foreignaffairs.com/
Cold War and the U. S. Offer to Limit Nato Expansion, in: Inter- united-states/convincing-call-central-europe-let-us-nato.
national Security 4/2016, S. 7–44, hier S. 20. 07 Zit. in: Goldgeier (Anm. 5), S. 56 f. sowie S. 67–84.
04 Vgl. ebd.; Marc Trachtenberg, The United States and the 08 Vgl. Volker Rühe, Opening Nato’s Door, in: Dan Hamilton/Kristi-
Nato Non-Extension Assurances of 1990: New Light on an Old na Spohr (Hrsg.), Open Door: Nato and Euro-Atlantic Security After
Problem?, in: International Security 3/2020, S. 162–203. the Cold War, Washington, D. C. 2019, S. 217–233, hier S. 225.

29
APuZ 47–48/2023

Der dritte Wendepunkt folgte, als die Bünd- des Kalten Kriegs und wachsender globaler Inte-
nispartner darüber diskutierten, ob die Erwei- ressen der USA bestand die Gefahr, dass ein im-
terung einen natürlichen Endpunkt habe. Dabei mer größer werdendes Bündnis nicht in der Lage
ging es um die Frage, ob das Bündnis seine Türen sein würde, die Sicherheitsbedürfnisse seiner Mit-
für alle Staaten öffnen sollte, die nach Ansicht der glieder zu befriedigen, insbesondere für den Fall,
bestehenden Bündnispartner die Kriterien für die dass Russland zu militärischen Mitteln greifen
Nato-Mitgliedschaft erfüllten – am deutlichsten würde.
wurde dies in der Nato-Studie über die Erweite- Die Nato stand also Ende der 1990er Jahre
rung von 1995 dargelegt09 –, oder ob ein anderer vor einer Wahl. Das Bündnis konnte sich für eine
Maßstab herangezogen werden sollte, um über Politik der offenen Tür entscheiden – der Preis
das Wachstum des Bündnisses zu entscheiden. dafür war ein möglicher Konflikt mit Russland
Die Meinungen gingen stark auseinander. Ei- und ein militärisch geschwächtes Bündnis, oder
nerseits wurden die Forderungen der mittel- und es konnte diese strategischen Herausforderun-
osteuropäischen Staaten nach einer erneuten Er- gen umgehen, indem es die Bündnistür zufallen
weiterung nach 1997 immer lauter. Viele Län- ließ. Der Beschluss fiel schnell. Trotz der Auffor-
der der Region, die bei der ersten Erweiterungs- derungen des Vereinigten Königreichs, Deutsch-
runde leer ausgegangen waren, betrachteten die lands und anderer, zumindest die Türschwelle
Nato immer noch als das wichtigste Instrument der Nato gut im Blick zu behalten und bei der
zur Gewährleistung ihrer Sicherheit, insbesonde- künftigen Erweiterung behutsam vorzugehen,10
re gegenüber Russland. Die Argumente dafür, die führten der amerikanische Druck und die anhal-
Erweiterung gegen das Machtvakuum in Mittel- tenden Forderungen der mittel- und osteuropä-
und Osteuropa und zur Stärkung freiheitlicher ischen Staaten nach einer Nato-Mitgliedschaft
Reformen zu nutzen, galten nach wie vor. So kam dazu, dass das Bündnis der fortlaufenden Er-
es innerhalb und außerhalb des Bündnisses zu ei- weiterung Vorrang einräumte. Zwar zeigte man
nem wachsenden politischen Konsens zugunsten sich Russland gegenüber nicht völlig abweisend,
einer Erweiterung ohne Einschränkungen. und auch militärische Überlegungen wurden
Dennoch war die strategische Sinnhaftigkeit nicht gänzlich außer Acht gelassen. Nach 1997
der Politik der offenen Tür in Anbetracht der entschied man über die Erweiterung jedoch in
Ausgeprägtheit der ablehnenden russischen Hal- erster Linie danach, ob die bestehenden Bünd-
tung nicht ganz eindeutig. Schon vor der ersten nispartner der Auffassung waren, dass ein Na-
Erweiterungsrunde brachten russische Entschei- to-Beitrittskandidat die Mitgliedschaft verdien-
dungsträger klar zum Ausdruck, dass die Erwei- te – weitgehend unabhängig davon, wie sich die
terung den Einfluss Moskaus in Bereichen ge- entsprechende Erweiterung auf die Beziehungen
fährdete, die die russische Führung – zu Recht zu Moskau oder die militärische Schlagkraft des
oder zu Unrecht – als entscheidend für ihre Si- Bündnisses auswirken w ­ ürde.
cherheit ansah, was auch westliche Staats- und Sobald diese Entscheidungen getroffen wa-
Regierungschefs erkannt hatten. Eine weitere Er- ren, bildeten sie die Grundlage für das anhaltende
weiterung würde die Vorbehalte Moskaus nur Streben der Nato Richtung Osten. Auf die ers-
noch verstärken. Da sich die Nato nun schnell te Erweiterungsrunde folgte der „Urknall“ von
zur wichtigsten sicherheitspolitischen Institu- 2004, als auf einen Schlag sieben weitere Staaten
tion Europas entwickelte, musste sich Russland dem Bündnis beitraten.11 Weitere Erweiterungs-
außerdem mit der Aussicht abfinden, mehr und runden – darunter zwei unter der eigentlich gegen
mehr von Grundsatzdebatten zur europäischen die Nato eingestellten Trump-Regierung – führ-
Sicherheit ausgeschlossen zu sein. Die ablehnen- ten dazu, dass sich das Bündnis weiter nach Süd-
de russische Haltung brachte seinerseits eine po- osteuropa ausdehnte.12 Schließlich brachte der
tenzielle Bruchstelle in der Nato zum Vorschein,
die eine uneingeschränkte Erweiterung mit sich 10 Vgl. Mary Sarotte, Not One Inch: America, Russia and the
bringen könnte. Angesichts des Rückgangs mili- Making of Post-Cold War Stalemate, New Haven, CT 2021,
S. 286 f.
tärischer Kapazitäten in Europa nach dem Ende
11 Es handelte sich hier um Bulgarien, Estland, Litauen, Lett-
land, Rumänien, die Slowakei und Slowenien (Anm. d. Red.).
09 Vgl. Nato, Study on NATO Enlargement, 3. 9. 1995, 12 2009 traten Albanien und Kroatien der Nato bei, 2017
www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_24733.htm. Montenegro und 2020 Nordmazedonien (Anm. d. Red.).

30
Nato APuZ

Krieg Russlands gegen die Ukraine 2022 Finn- Das Problem bestand also nicht nur in der
land in die Nato. Auch eine weitere Erweiterung geografischen Ausdehnung des Bündnisses. Viel-
ist möglich: Derzeit wartet Schweden auf die end- mehr ging es auch darum, zu was ein erweiter-
gültige Zustimmung zum Beitritt, und das Bünd- tes Bündnis tatsächlich fähig wäre, wie sich diese
nis bleibt gemäß der Bukarester Gipfelerklärung Maßnahmen auf die russischen Interessen aus-
von 2008, dem Kommuniqué des Nato-Gipfels in wirken könnten.15 Es war zu erwarten, dass sich
Vilnius 2022 und den diesbezüglichen Erklärun- die russische Führung im Zuge der Nato-Erwei-
gen der politischen Entscheidungsträger der Na- terung für eine Begrenzung bei der Entsendung
to-Staaten weiterhin bei seiner Zusage zum zeit- von Nato-Truppen in die neuen Mitgliedstaaten
lich nicht näher definierten Beitritt Georgiens und für eine Vereinbarung über eine „Mitent-
und der Ukraine. scheidung“ in Fragen der europäischen Sicherheit
einsetzen würde.16 Sicherlich waren die von Mos-
DIE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN kau vorgeschlagenen Lösungen für diese Proble-
DER NATO UND RUSSLAND matik unrealistisch. Zugleich zeigten die Bedin-
gungen deutlich, dass Russland am liebsten die
Anfangsprobleme Nato-Erweiterung komplett verhindern wollte,
Wie erwähnt, stand die Entscheidung für eine zumindest aber bestrebt war, die strategischen
Politik der offenen Tür im Widerspruch zu dem, Folgen der Erweiterung zu begrenzen.
was der russischen Führung 1990 seitens west-
licher Politiker diplomatisch signalisiert worden Der Umgang der Nato mit Russland
war und was man allgemein als Interessen Russ- Bis zum gänzlichen Abbruch der bilateralen Be-
lands wahrnahm. Die russische Führung wies ziehungen infolge des russischen Angriffs auf die
seinerzeit ausdrücklich auf die Probleme hin, Ukraine im Februar 2022 gingen die Bemühun-
welche die Nato-Erweiterung mit sich bringen gen der Nato um die Gestaltung der Beziehun-
würde. Sogar prowestliche Figuren wie der rus- gen zu Moskau im Wesentlichen am Kern der
sische Präsident Boris Jelzin und Außenminister russischen Forderungen vorbei. Die Bemühun-
Andrei Kosyrew warnten davor, dass die Erwei- gen der Nato konzentrierten sich weitestgehend
terung Europa erneut spalten und den russischen darauf, die politischen Auswirkungen der Erwei-
Nationalismus anheizen würde.13 Diplomaten terung auf Russland einzuhegen und gleichzeitig
äußerten sich ähnlich. Darüber hinaus waren Moskaus offensichtliche Vorbehalte über die Er-
sich die westlichen Staats- und Regierungschefs weiterung selbst zu nutzen, um Einfluss auf das
selbst der strategischen Schwierigkeiten bewusst, russische Verhalten zu nehmen.17 Diese Bemü-
die eine Erweiterung für Moskau mit sich brin- hungen – die letztlich scheiterten – folgten drei
gen würde. verschiedenen Ansätzen:
Wie der stellvertretende US-Außenminister Der erste Ansatz umfasste Bemühungen zum
und Russlandexperte Strobe Talbott nach einem Aufbau zwischenmenschlicher Beziehungen zwi-
Treffen mit Kosyrew inmitten der frühen Erwei- schen hochrangigen russischen und westlichen
terungsdiskussionen feststellte, „kann ich mir Politikern. Zu diesem Zweck investierten die US-
gut vorstellen, dass es [Kosyrews] Albtraum ist, Administrationen unter den Präsidenten Clinton,
dass eine expandierende Nato einmal Bomben auf Bush und Obama Zeit und Energie in die Zu-
[den russischen Verbündeten] Serbien abwirft“: sammenarbeit mit den russischen Präsidenten
Russland wäre dann isoliert und mit einem poli- Wladimir Putin und Dmitri Medwedew und ih-
tisch-militärischen Bündnis konfrontiert, auf das ren Teams. Bill Clinton selbst traf Boris Jelzin im
es wenig Einfluss nehmen kann, während dieses Zeitraum von 1993 bis 1999 ganze achtzehn Mal.
Moskaus Interessen bedroht.14 Das Ziel dieser zwischenmenschlichen Kontak-

13 Siehe exemplarisch William Hill, No Place for Russia. Euro- 15 Vgl. Kimberly Marten, NATO Enlargement: Evaluating Its Con-
pean Security Institutions Since 1989, New York 2018; Sarotte sequences in Russia, in: International Politics 3/2020, S. 401–426.
(Anm. 10); Ronald Asmus, Opening NATO‘s Door: How the 16 Vgl. Talbott (Anm. 14), S. 218.
Alliance Remade Itself for a New Era, New York 2002. 17 Vgl. James Goldgeier, NATO Enlargement and the Problem
14 Strobe Talbott, The Russia Hand: A Memoir of Presidential of Value Complexity, in: Journal of Cold War Studies 4/2020,
Diplomacy, New York 2003, S. 101. S. 146–174.

31
APuZ 47–48/2023

te bestand nicht einfach darin, die russische Seite gen die Nato-Erweiterung um Teile der ehema-
kennenzulernen, sondern Vertrauen aufzubauen. ligen So­wjet­union nicht zerstreuen,20 aber das
So wollte man der russischen Führung begreif- Bemühen, einen sofortigen Bruch mit Moskau
lich machen, dass die Nato keine Feindseligkeit zu vermeiden, war vorhanden.
gegenüber Moskau hege und die Erweiterung Der dritte Ansatz bezog sich auf den Ver-
nicht als Bedrohung zu verstehen sei. Diese Initi- such, sich in die russischen Entscheidungspro-
ative hätte man infrage stellen müssen. Schließlich zesse einzubringen. Zwar waren die Nato-Mit-
sind die internationalen Beziehungen eher von glieder nicht bereit, der russischen Seite insofern
staatlichen Interessen geleitet als von zwischen- entgegen zu kommen, sie direkt an der Entschei-
menschlichen Kontakten und Absichtserklärun- dungsfindung der Nato zu beteiligten, oder sich
gen. Nichtsdestotrotz waren die amerikanischen zu verpflichten, auf Truppenverlegungen nach
Bemühungen ernst ­gemeint. Osteuropa zu verzichten. Dennoch entwickel-
Der zweite Ansatz bestand darin, takti- te die Nato eine Reihe von Institutionen, die den
sche Zugeständnisse an russische Sensibilitäten russischen Interessen Rechnung tragen sollten. In
zu machen, in der Hoffnung, eine unmittelba- der Nato-Russland-Grundakte wurde beispiels-
re Krise in den Ost-West-Beziehungen zu ver- weise der Nato-Russland-Rat als institutioneller
hindern. Zu diesem Zweck verschob die Clin- Mechanismus geschaffen, mittels dessen Moskau
ton-Regierung die erste Erweiterungsrunde das Bündnis konsultieren und Bedenken hin-
bis nach den russischen Präsidentschaftswah- sichtlich der Nato-Politik äußern konnte. In ähn-
len 1996, bei denen Jelzin einem starken nati- licher Absicht erklärte das Bündnis während der
onalistischen Herausforderer gegenüberstand. ersten Erweiterungsrunde, dass es „keine Intenti-
In ähnlicher Weise veranlasste der russische Wi- on, keinen Plan und keinen Anlass für die Statio-
derstand die Regierung Obama dazu, den Be- nierung von Kernwaffen“ in neuen Mitgliedstaa-
schluss über die Stationierung von Raketenab- ten habe.21
wehrsystemen und eines Radarortungs­systems Mit diesen Initiativen ging man zwar auf die
für die Nato-Mitglieder Polen und Rumänien russische Seite ein, doch viele politischen Ent-
abzuändern.18 Der Kompromiss über die ge- scheidungsträger der Nato-Staaten waren sich
orgischen und ukrainischen Nato-Beitrittsbe- darüber im Klaren, dass diese Schritte nicht den
strebungen, der auf dem Bukarester Gipfel 2008 russischen Erwartungen entsprachen. Strobe
erzielt wurde, schien einer ähnlichen Logik zu Talbott beispielsweise bezweifelte schon in den
folgen, auch wenn nur wenige Einzelheiten be- 1990er Jahren, ob Russland „mit den spezifischen
kannt sind. Damals beschlossen die USA, den Zugeständnissen, die die Nato zu machen be-
Beitritt von Kyjiw und Tbilisi voranzutreiben. reit ist, leben können wird“.22 Tatsächlich wollte
Um der ablehnenden Haltung Russlands entge- man eine aus Nato-Sicht problematische russi-
genzukommen, entschloss sich das Bündnis zu sche Politik einhegen. Die Konsultationen zwi-
einem Kompromiss. Dieser hielt an der Erwei- schen der Nato und Russland und die Entschei-
terung per se fest und kam gleichzeitig den rus- dungen über militärische Einsätze folgten den
sischen Sensibilitäten taktisch entgegen. In der Interessen der Nato-Mitglieder. Ein feindliches
Erklärung des Gipfels hieß es, die Nato begrü- Verhalten Russlands würde sehr wahrscheinlich
ße „die euro-atlantischen Beitrittsbestrebun- zu einer Gegenreaktion der Nato führen. Woll-
gen der Ukraine und Georgiens“ und verspre- te Russland also eine Isolierung von einer sich
che, „dass diese Länder Mitglieder der Nato erweiternden Nato und eine Konfrontation ver-
werden“ – ohne jedoch einen Zeitplan oder ein meiden, war eine Anpassung an die Nato-Politik
Verfahren festzulegen, nach welchem die Mit- ratsam. Die Zusammenarbeit zwischen der Nato
gliedschaft tatsächlich erfolgen würde.19 Dieser
Kompromiss konnte Russlands Bedenken ge- 20 Die russischen Bedenken wurden unter anderem in den
USA durchaus wahrgenommen. Vgl. William J. Burns, The Back
Channel: A Memoir of American Diplomacy and the Case for Its
18 Vgl. Reuben Steff/Nicholas Khoo, Hard Balancing in the Renewal, New York 2019, S. 233.
Age of American Unipolarity: The Russian Response to US Ballis- 21 Nato, Founding Act on Mutual Relations, Cooperation, and
tic Missile Defense during the Bush Administration (2001–2008), Security between NATO and the Russian Federation, 27. 5. 1997,
in: Journal of Strategic Studies 2/2014, S. 245. www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_​25468.htm.
19 Vgl. Hill (Anm. 13), S. 262 f. 22 Talbott (Anm. 14), S. 222.

32
Nato APuZ

und Russland war so angelegt, dass sie Moskau pa veranlasste. Diese Spirale führte schließlich
davon abhielt, die Nato-Erweiterung infrage zu dazu, dass sich die Haltung Moskaus verhärte-
stellen. te, dass die Bereitschaft des Westens, den russi-
schen Forderungen entgegenzukommen, noch
Versäumnisse und Scheitern weiter sank, und dass jede Seite eine zunehmend
Ganz gleich wie sie beabsichtigt waren, sind die kritische Haltung gegenüber der anderen ein-
Ansätze, die im Zuge der Nato-Erweiterung im nahm. Die Bühne für eine Konfrontation war
Umgang mit Russland gewählt wurden, geschei- somit bereitet und brach sich schließlich in der
tert – was sich auf tragische Weise im aktuellen Ukraine Bahn.25 Nachdem die Ost­erweiterung
Krieg zeigt. Dennoch sollten wir versuchen zu mit offenem Ende erst einmal begonnen hatte,
verstehen, warum die politischen Maßnahmen machte allein schon die Struktur dieser Situation
zur Gestaltung der Beziehungen mit Moskau ge- eine Krise wahrscheinlich. Nur eine Änderung
scheitert sind. Die Befürworter einer fortgesetz- der Nato-Politik und die Bereitschaft, den russi-
ten Nato-Erweiterung führen – durchaus plau- schen Interessen entgegenzukommen durch den
sibel – die mangelnde Bereitschaft Russlands an, Verzicht einer weiteren Erweiterung des Bünd-
sich mit der Nato-Osterweiterung zu arrangie- nisses – oder aber ein russisches Nachgeben –
ren, und verweisen auf eine toxische Form von hätten diese Entwicklung möglicherweise ver-
russischem Nationalismus.23 An dieser Antwort hindern können.
ist sicherlich etwas Wahres dran, zugleich lässt sie
jedoch die Frage offen, warum die Erweiterung ERGEBNISSE UND LEHREN
für Moskau denn inakzeptabel war.
Im Rückblick scheint die Antwort darin zu Wie steht es mit Rückblick auf die vergangenen
liegen, dass die Beziehungen zwischen der Nato drei Jahrzehnte um die Zukunft der Nato-Ost-
und Russland von Anfang an auf eine Krise hi- erweiterung? Viele westliche Beobachter haben
nauslaufen mussten, da die Nato-Erweiterung darauf eine klare Antwort. Für sie ist die Erwei-
den russischen Interessen zuwiderlief, die Mög- terung durch und durch ein Gewinn, der Mit-
lichkeiten des Westens, auf russische Forderun- tel- und Osteuropa Vorteile bringt und gleichzei-
gen einzugehen, begrenzt waren, und Russland tig zu einem stärkeren und widerstandsfähigeren
seine Anliegen nicht ausreichend geltend zu ma- Bündnis führt. Von der Erweiterung Abstand zu
chen vermochte. So löste die Erweiterung eine nehmen, insbesondere angesichts des russischen
sich langsam drehende Spirale der Unsicherheit Verhaltens, würde bedeuten, ein wichtiges In-
in den Ost-West-Beziehungen aus.24 Die Schrit- strument zur Förderung von Demokratie und zur
te, die die Nato unternahm, um ihren Einfluss Stärkung der regionalen Sicherheit aufzugeben
zu vergrößern und in die Politik in Mittel- und und gleichzeitig einem Aggressor die Möglichkeit
Osteuropa strukturierend einzugreifen, ver- zu bieten, internationale Sicherheitsfragen in ei-
schärften die russischen Vorbehalte gegenüber ner Weise zu diktieren, die die freiheitliche inter-
westlichen Ambitionen und gefährdeten gleich- nationale Ordnung untergräbt. Folgt man dieser
zeitig das, was Moskau als seine eigenen Interes- Logik, muss die Erweiterung in jedem Fall fort-
sen ansah. Das Handeln Moskaus wiederum be- gesetzt werden.
feuerte die Argumente für die Erweiterung, weil
sie bei Nato-Mitgliedern und Nichtmitgliedern
gleichermaßen Ängste schürte und die Nato zu 25 Eine Kombination aus verschiedenen Faktoren machte die
weiterem Engagement in Mittel- und Osteuro- Ukraine 2021/22 zu einem möglichen Krisenherd: Historische
russische Sensibilitäten gegenüber der geopolitischen Ausrich-
tung des Landes, die politischen Reformanstrengungen in der
23 Siehe exemplarisch James Goldgeier, Debating Nato En- Ukraine 2013/14 und deren Auswirkungen auf den Einfluss
largement, Carnegie Endowment for International Peace 2023, Moskaus, die russische Annexion der Krim und die Besetzung
­https://carnegieendowment.org/programs/americanstatecraft/ der Ostukraine sowie die intensivierten militärischen und diplo-
debatingnato; Stephen Wertheim, The Tale the West Tells Itself matischen Beziehungen zwischen einzelnen Nato-Mitgliedern
About Ukraine, 16. 6. 2023, www.nytimes.com/​2023/​06/​16/ und Kyjiw, einschließlich Nato-Beitrittsperspektive, vgl. Joshua
opinion/nato-​ukraine-​russia-​peace.html. Shifrinson, Why Nato Should Be Cautious in Admitting Ukra-
24 Siehe exemplarisch William Wohlforth/Andrey A. Sushentsov, ine, 24. 7. 2023, h­ ttps://carnegieendowment.org/​2023/​07/​24/
The Tragedy of US-Russian Relations: Nato Centrality and the why-​n ato-​should-​be-​cautious-​about-​admitting-​ukraine-​pub-​
Revisionists’ Spiral, in: International Politics 3/2020, S. 427–450. 90249.

33
APuZ 47–48/2023

Dennoch sind die Folgen der Erweiterung Nato-Russland-Beziehungen und die Hinwen-
aus meiner Sicht komplexer, als die Befürwor- dung Moskaus zur Konfrontation bedeuten, dass
ter zugeben.26 Die Erweiterung bot den mit- die Erweiterung in den postso­wje­tischen Raum
tel- und osteuropäischen Staaten zwar durchaus hinein nur dann fortgesetzt werden kann, wenn
mehr Sicherheit, einschließlich der amerikani- die Bündnispartner bereit sind, Krisen – oder
schen Unterstützung durch Artikel 5 der Nato, Schlimmeres – mit Moskau zu riskieren, und dies
als dies sonst der Fall gewesen wäre. Sie hat je- in einer Zeit, in der es nur noch wenige diploma-
doch nicht die Sicherheitsprobleme mit Russ- tische Möglichkeiten gibt, mit Russland in Aus-
land ausgeräumt, die ja zumindest dazu beigetra- tausch zu treten. Diese Entwicklungen verstärken
gen haben, dass sich diese Staaten überhaupt um sich im Übrigen selbst, da die Nato und Russland
Schutz durch die Nato bemühten. Die Erweite- das Verhalten des jeweils anderen zunehmend als
rung könnte eine Krise mit Russland sogar eher inhärent bedrohlich wahrnehmen.
wahrscheinlicher als unwahrscheinlicher gemacht Nach drei Jahrzehnten ist klar, dass man
haben, da sie das russische Unsicherheitsgefühl nicht ohne Weiteres beides haben kann: die
verschärfte, Moskaus Sicht auf die Nato als ei- ­Nato-­Osterweiterung und gefestigte Beziehun-
nen verlässlichen Partner untergrub und das Risi- gen zu Moskau. Sollte die Nato ihre Erweite-
ko erhöhte, dass sich eine russische Aggression zu rung fortsetzen, so kann sie dies nur tun, wenn
einer bündnisweiten Krise ausweiten könnte. Der sie bereit ist, die Sicherheitskosten und -risiken
demokratische Rückschritt in Nato-Mitgliedstaa- zu tragen, die mit der Abschreckung Russlands
ten wie Polen und Ungarn, die nach dem Ende und möglicherweise mit einer direkten Konfron-
des Kalten Kriegs beitraten, mag die Annahme tation mit Russland verbunden sind. Es steht zu
widerlegen, dass die Erweiterung eine nachhaltige bezweifeln, ob ein solcher Kurs sinnvoll ist. Soll-
Festigung freiheitlicher Werte sichergestellt hat. te sich die Nato hingegen dafür entscheiden, die
Was die Bündnissolidarität anbelangt, so un- Erweiterung aufzugeben, so wird sie den Zweck
terstreichen die Meinungsverschiedenheiten in- des Bündnisses neu formulieren und Moskau zu-
nerhalb des Bündnisses in Bezug auf Lasten- gleich signalisieren müssen, dass die Erweiterung
teilung, Truppenentsendungen, Operationen zwar an ein Ende gekommen sein mag, die be-
außerhalb des Bündnisgebiets und – selbst wenn stehenden Verpflichtungen der Nato jedoch da-
man davon ausgeht, dass viele Mitglieder nun von unberührt bleiben. In Anbetracht des politi-
Russland als den Hauptgegner des Bündnis- schen Kapitals, das in die Erweiterung gesteckt
ses betrachten – die unterschiedliche Intensität wurde, und der verhärteten Haltung Russlands
der Bedrohungswahrnehmungen. Ein erweiter- gegen das Bündnis wird beides keine leichte Auf-
tes Bündnis ist nicht zwangsläufig auch ein ge- gabe ­sein.
schlossenes Bündnis. Durch die Erweiterung
gibt es nun eine größere Anzahl an Staaten in der Aus dem Amerikanischen von Birthe Mühlhoff,
Nato, was die potenziellen Fähigkeiten und den Dinslaken
Einfluss, den das Bündnis geltend machen kann,
vergrößert hat. Dies allerdings um den Preis von
ausgeprägter innerer Spaltung und zunehmend
belastenden internen Debatten.
Angesichts dieses Vermächtnisses steht die
Nato heute wieder an einem Wendepunkt. Die
Weigerung der Nato 2021/2022, den russischen
Forderungen nach einem Verzicht auf den Beitritt JOSHUA SHIFRINSON
der Ukraine nachzukommen, hat deutlich ge- ist Associate Professor an der University of
macht, dass die Bündnispartner nicht gewillt sind, Maryland (School of Public Policy) und Non-
ihre Entscheidungen in der Frage durch andere Resident Senior Fellow im Programm für Außen-
Akteure beeinflussen zu lassen. Der Abbruch der und Verteidigungspolitik des Cato-Instituts. Seine
Forschungsschwerpunkte sind US-Außenpolitik,
26 Dieser Abschnitt basiert auf James Goldgeier/Joshua
Großmächtepolitik, Diplomatiegeschichte und die
Shifrinson (Hrsg.), Evaluating Nato Enlargement: From Cold War Geschichte der internationalen Sicherheit.
Victory to the Russia-Ukraine War, Cham 2023. jris@umd.edu

34
Nato APuZ

NEUER FOKUS FERNOST


Herausforderungen und Möglichkeiten
für die Nato in der Region Asien-Pazifik
Elisabeth I-Mi Suh

Die Nato-Gipfel 2022 in Madrid und 2023 in Vil- Herausforderungen beschreibt. Die Joint Com-
nius haben China wie auch Australien, Japan, muniqués von 2021, 2022 und 2023 sowie das
Neuseeland und Südkorea ins Blickfeld der Mit- strategische Konzept von 2022 sind dagegen ex-
gliedstaaten gerückt, während der Hauptfokus plizit in der Benennung von Herausforderungen,
zweifelsohne auf Russlands Angriffskrieg in der die von China ausgehen. Zugleich wird die Be-
Ukraine lag: Das neue strategische Konzept der reitschaft zum Dialog und zur Zusammenarbeit
Nato findet klare Worte in Bezug auf China, und mit der Volksrepublik betont.
die vier asiatisch-pazifischen Partnerländer wa- Ein ähnlich deutlicher Wandel lässt sich auch
ren mit ihren Regierungschefs auf beiden Gipfeln in der Rhetorik der Nato-Generalsekretäre er-
vertreten. kennen: Anders Fogh Rasmussen setzte sich 2012
Auch wenn diese beiden Entwicklungssträn- für einen aktiveren Dialog und Kooperation mit
ge sich wohl über die nächsten Jahre verstetigen China im Kontext seiner Vision einer Nato ein,
werden, steht kein Wandel hin zu einer „globalen die „globally aware, globally connected and glo-
Nato“ bevor. Stattdessen befasst sich die trans- bally capable“ sein sollte.01 Demgegenüber argu-
atlantische Allianz wieder vermehrt mit der Er- mentiert Jens Stoltenberg seit 2019, dass China an
kenntnis, dass sich viele sicherheitspolitische Be- die Nato heranrücke und es somit eine klare stra-
drohungen nicht geografisch eingrenzen lassen tegische Haltung der Bündnispartner erfordere.02
und globale Partnerschaften für deren Bewäl- In der Tat zeigt dies den Konsens an, der sich
tigung relevant erscheinen. Neu ist, wie expli- innerhalb der Allianz zu etablieren scheint. Wäh-
zit man China als Herausforderung wahrnimmt rend Russland die zentrale Bedrohung für die
und wie eng man sich mit den Partnern in der Nato bleibt, zeichnet sich ab, dass China aufgrund
Asien-Pazifik-Region verbunden sieht. Hierbei seiner wirtschaftlichen und technologischen Stär-
sei jedoch betont, dass das eine mit dem anderen ke eine zunehmend bedeutende Rolle als Gestal-
nur bedingt überlappt: Die Haltung und Strate- tungsmacht spielen wird. Von der Volksrepub-
gie gegenüber China ist und bleibt ein schwieri- lik geht zwar keine direkte militärische Gefahr
ges Unterfangen der Nato-Staaten untereinander, aus, aber sie stellt die Nato vor eine Bandbreite
während die institutionalisierten Beziehungen von Herausforderungen für die langfristige öko-
zu Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea nomische und politische Sicherheit, Stabilität und
weitaus älter, thematisch umfassender und kon- die Interessen ihrer Mitgliedstaaten.03 Chinas In-
sensfähiger sind. vestitionen in Technologieunternehmen und in
kritische Infrastruktur in Europa bergen Risi-
KLÄRUNGSBEDARF: ken der direkten Einflussnahme. Sorgen bereiten
DIE NATO UND C
­ HINA auch Chinas Präsenz in der Arktis, in Afrika und
im Mittleren Osten wie auch seine Aktivitäten im
Die Rhetorik und öffentliche Haltung der Nato Cyber-, Informations- und Weltraum. Darüber
zu China haben sich in wenigen Jahren deutlich hinaus gilt Chinas Partnerschaft mit Russland als
gewandelt. Das Joint Communiqué von 2019 er- Gefahrenquelle für die Nato, vor allem die militä-
wähnte das Land erstmals in einem kurzen Satz, rische Zusammenarbeit wie auch im Tech-Bereich
der den wachsenden Einfluss Beijings auf die in- mit nicht-militärischen und militärischen Verwen-
ternationale Politik als Quelle von Chancen und dungszwecken (dual-use technologies).04

35
APuZ 47–48/2023

Allerdings wird es für die Nato eine konti- die USA die Nato als global agierende militäri-
nuierliche und schwierige Aufgabe bleiben, zwi- sche Allianz ausbauen könnten.09 Ein potenziel-
schen den transatlantischen Verbündeten eine les Nato-Verbindungsbüro in Japan könnte hier-
gemeinsame Haltung gegenüber China zu koor- für als Indiz verstanden werden.10 Zugleich sind
dinieren und umzusetzen. Die Vielfalt an Inte- diese Vorhaben im Kontext der Partnerschaften
ressen und Politikansätzen unter den Mitglied­ der Nato mit Australien, Japan, Neuseeland und
staaten ist schlichtweg noch breiter als innerhalb Südkorea zu verstehen und diese asiatisch-pazi-
der Europäischen Union und von prinzipiellen fischen Partnerschaften haben eine umfassendere
wie graduellen Unterschieden1234 geprägt.05 Entspre- Entstehungsgeschichte und Ausrichtung als die
chend breit ist auch das Spektrum an Vorschlägen Auseinandersetzung mit ­China.
aus Politik, Forschung und Zivilgesellschaft zum
Umgang des Bündnisses mit China. Regelmäßige DIE NATO UND IHRE PARTNER
Erwähnung findet hier die Idee eines Nato-Chi- IN ASIEN-PAZIFIK
na-Rats als Format und Institutionalisierung für
Dialog.06 Das strategische Konzept der Nato benennt den
Auf der anderen Seite verhält sich China ge- Indo-Pazifik als bedeutende Region:11 Dorti-
genüber der Nato zurückhaltend, wenn nicht ge Entwicklungen können direkten Einfluss
ablehnend. Prägend sind hierfür das russische auf Sicherheit und Stabilität im euro-atlanti-
Narrativ über die Nato-Osterweiterung und die schen Raum nehmen. Dialog und Kooperation
Wahrnehmung der Allianz als Instrument der mit Partnern in der Region sollen entsprechend
sicherheitspolitischen Koalitionsbildung unter auf regionenübergreifende Herausforderun-
US-amerikanischer Führung.07 Trotz der ersten, gen reagieren und an gemeinsamen Sicherheits-
tatsächlich negativen Erfahrung mit der Nato, interessen ausgerichtet sein.12 Damit gewinnen
nämlich der unbeabsichtigten Bombardierung die asiatisch-pazifischen Partnerschaften wei-
der chinesischen Botschaft in Belgrad 1999, teil- ter an Bedeutung. Nach dem Ende des Kalten
ten China und die Nato gemeinsame Interessen in Kriegs begann die Nato mit Dialog- und Part-
Afghanistan – etwa die Schaffung regionaler Sta- nerschaftsprogrammen für Staaten außerhalb der
bilität und die Terrorismusbekämpfung.08 In den transatlantischen Allianz. Beispiele hierfür sind
zurückliegenden Jahren scheint sich in Beijing „Partnership for Peace“ und der „Mediterrane-
jedoch die Befürchtung durchzusetzen, dass an Dialogue“, beide 1994, sowie die „Istanbul
Cooperation Initiative“ seit 2004.13 Das Bünd-
nis richtete zudem ein geografisch und thema-
01 Nato, Delivering Security in the 21st Century, 4. 7. 2012, tisch breiter gefasstes Programm für „partners
www.nato.int/cps/en/natolive/opinions_​88886.htm.
across the globe“ ein, wozu Afghanistan, Austra-
02 Vgl. John Mair/Colin Packham, NATO Needs to Address
China’s Rise, Says Stoltenberg, 7. 8. 2019, www.reuters.com/
lien, Irak, Japan, die Mongolei, Neuseeland, Pa-
article/us-​australia-​nato-​idUSKCN1UX0YX.
03 Vgl. Karl-Heinz Kamp, Das strategische Langfrist-Problem
der NATO, in: Sirius 2/2019, S. 129–135. 09 Vgl. Kaim/Stanzel (Anm. 5).
04 Vgl. Eric Kim et al., NATO’s Position and Role in the Indo- 10 Vgl. Hasim Turker, Navigating the Rising Tide: NATO’S Role
Pacific, in: Defence Studies 3/2022, S. 510–515. in a Changing Asia-Pacific, 9. 6. 2023, www.isdp.eu/navigating-​
05 Vgl. Markus Kaim/Angela Stanzel, Der Aufstieg Chinas und the-​rising-​tide-​natos-​role-​in-​a-​changing-​asia-​pacific; Andrew
das neue strategische Konzept der Nato. Prioritäten setzen – Gray/John Irish, NATO Leaders Send Mixed Messages in Japan
Platz definieren – Partnerschaften vertiefen, Stiftung Wissen- Office Controversy, 12. 7. 2023, www.reuters.com/world/euro-
schaft und Politik, SWP-Aktuell 5/2022. pe/issue-nato-japan-office-still-table-stoltenberg-2023-07-12.
06 Vgl. Barry Pavel/Ian Brzezinski, It’s Time for a NATO-China 11 „Indo-Pazifik“ ist ein politischer Begriff neueren Datums, der
Council, 21. 8. 2019, www.defenseone.com/ideas/​2019/​08/its-​ die Indischen und Pazifischen Ozeane umfasst. „Asien-Pazifik“
time-​nato-​china-​council/​159326. beinhaltet einen geografischen Fokus auf den Pazifik und
07 Vgl. Mark Webber, The Perils of a NATO Rebalance to the angrenzende Landmassen in Nordost- und Südostasien sowie
Asia Pacific, in: Alexander Moens/Brooke A. Smith-Windsor Ozeanien. Die Nato verwendet beide Begriffe im gleichen Sin-
(Hrsg.), NATO and Asia Pacific, Rom 2016, S. 83–100. ne. Zur Begriffsgeschichte siehe Felix Heiduk/Gudrun Wacker,
08 Vgl. Mads Kjeldsen/Friis Arne Petersen, China and NATO: Vom Asien-Pazifik zum Indo-Pazifik. Bedeutung, Umsetzung und
Room for Partnership?, in: Trine Flockhart (Hrsg.), Cooperative Herausforderung, SWP-Studie 9/2020.
Security: NATO’s Partnership Policy in a Changing World, 12 Vgl. Nato, Strategic Concept 2022, 29. 7. 2022, S. 11.
Danish Institute for International Studies, DIIS Report 1/2014, 13 Vgl. Joe Burton, NATO’s „Global Partners“ in Asia: Shifting
S. 87–98. Strategic Narratives, in: Asian Security 1/2018, S. 8–23.

36
Nato APuZ

kistan und Südkorea zählen. Von diesen globalen ten Bedrohungen für diese drei globalen Gemein-
Partnern haben sich vor allem die Beziehungen schaftsräume von China, Nordkorea und Russ-
zu Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea land aus.
institutionalisiert und weiterentwickelt: Auf dem Im genauen Vergleich wird jedoch deutlich,
Nato-Gipfel 2008 wurden „Tailored Cooperati- dass die AP4 sich im bisherigen Umfang wie auch
on Packages“ mit diesen vier Staaten auf den Weg in den zukünftigen Möglichkeiten der konkreten
gebracht. Darauf folgten jeweils Vereinbarungen, Zusammenarbeit mit der Nato klar unterscheiden,
die „Joint Political Declarations“ und „Indivi- was die folgenden Ausführungen ­verdeutlichen.
dual Partnership and Cooperation Progammes“
zwischen 2012 und 2014. Letztere überarbeite- Australien:
ten Australien, Japan und Südkorea im Juli 2023 Der aktive Partner
zusammen mit der Nato hin zu „Individually Bereits 2004 wurde Australien von der Nato als
Tailored Partnership P ­ rogrammes“. „key contact partner“ bezeichnet, und der bila-
Aufgrund ihrer geografischen Lage werden terale Dialog ist seit 2005 formalisiert.16 Zusätz-
die Partnerschaften mit Australien, Japan, Neu- lich zum individuellen Kooperationsprogramm
seeland und Südkorea oft als Asien-Pazifik-Part- und der Teilnahme an der Interoperabilitätsplatt-
nerschaften (AP4) zusammengefasst. Die AP4 form ist Australien ein „Enhanced Opportunities
eint einige weitere Gemeinsamkeiten: Alle tru- Partner“, was regelmäßige hochrangige Konsul-
gen jeweils zur Nato-Mission in Afghanistan wie tationen ermöglicht, darunter die jährlichen stra-
auch zur „Operation Ocean Shield“ am Horn tegischen Dialoge und weiteren Zugang zu mili-
von Afrika bei. Das gemeinsame militärische En- tärischen Übungen und Informationen.17
gagement zur Einhegung sicherheitspolitischer Unter den AP4 ist die Partnerschaft zwi-
Gefahren, ausgehend von nicht-staatlichen Ak- schen Australien und der Nato am aktivsten
teuren, waren zentral für die Institutionalisie- und umfangreichsten. Australiens geografische
rung der AP4. Zudem startete die Allianz 2014 Lage und westliche Ausrichtung, damit einher-
die „Partnership Interoperability Initiative“ und gehende geteilte Sichtweisen und Interessen als
spätere „Interoperability Platform“, um die Er- auch die Fähigkeit und Bereitschaft zur militä-
fahrungen kombinierter militärischer Fähigkei- rischen Beteiligung prägen diese Partnerschaft.
ten und praktischer Zusammenarbeit mit den vier Bedingt durch seine Lage zwischen dem Indi-
Partnerländern und anderen Staaten weiter zu schen und Pazifischen Ozeanen hat Australien
fördern.14 Neben Interoperabilität spielt auch die ein besonderes Interesse an maritimer Sicher-
praktische Kooperation in Bezug auf neue Tech- heit und Stabilität in den angrenzenden Regi-
nologien eine wichtige Rolle. Australien, Japan, onen. Nicht zuletzt deshalb verfügt das Land
Neuseeland und Südkorea nehmen darüber hi- über Erfahrungen in der direkten multilatera-
naus jeweils am „Science for Peace and Securi- len militärischen Zusammenarbeit, wie etwa in
ty Programme“ teil.15 Die AP4 überlappen sich Ost-Timor 1999.18 Im Rahmen der Nato-Mis-
auch bei prinzipiellen sicherheitspolitischen In- sionen in Afghanistan war Australien als Nicht-
teressen wie der Nichtverbreitung von Massen- Mitglied durchweg aktiv beteiligt. Canberra
vernichtungswaffen sowie der Stabilität und Si- entsendete beispielsweise zahlreiches militäri-
cherheit des maritimen Raums, Cyberraums und sches und nicht-militärisches Personal und trug
Weltraums. Bezeichnenderweise gehen die meis-

16 Vgl. Ben Schreer, As Good as It Gets? Australia and NATO


14 Vgl. Nato, Partnership Interoperability Initiative, 25. 4. 2023, Beyond Afghanistan, in: Flockhart (Anm. 8) S. 104.
www.nato.int/cps/en/natohq/topics_​132726.htm. Interoperability, 17 Seit Beginn des Programms 2014 ist Australien ein „Enhan-
deutsch Interoperabilität, bezeichnet die Fähigkeit, dass Streitkräf- ced Opportunities Partner“, wie auch Finnland (bis zum Nato-
te verschiedener Staaten effektiv und effizient zusammenarbeiten Beitritt des Landes 2023), Georgien, Jordanien, Schweden und
können. Je nach Kontext und Ziel umfasst dies eine Bandbreite die Ukraine (seit 2020); vgl. Nato (Anm. 14).
von Standards, technischen Anpassungen und praktischen Übun- 18 Auch ohne formale Rolle für die Nato unterstützten
gen. Vgl. Nato, Interoperability: Connecting Forces, 11. 4. 2023, Deutschland, das Vereinigte Königreich, Kanada, Frankreich,
www.nato.int/cps/en/natohq/topics_84112.htm. Italien, Portugal und die USA die australisch-geführte Mission
15 Vgl. Nato, Science for Peace and Security (SPS) Programme. in Ost-Timor 1999. Vgl. Robert Ayson, Asian Roles for NATO:
SPS Cooperation with Partners, www.nato.int/cps/en/natolive/​ Ideas of Force or the Force of Ideas?, in: Moens/Smith-Windsor
88011.htm. (Anm. 7), S. 109 f.

37
APuZ 47–48/2023

maßgeblich zum „Afghan National Army Trust Zu erwähnen ist schließlich auch, dass Aus-
Fund“ bei.19 tralien in enger Koordination mit den USA re-
Australiens Außen- und Sicherheitspolitik gelmäßig großflächige und multinationale Mili-
bleibt zudem geprägt durch die Commonwealth- tärübungen abhält, an denen sich Nato-Staaten
Mitgliedschaft und die militärische Allianz mit wie Deutschland, Frankreich und das Vereinig-
den USA. Neben der entsprechenden politischen te Königreich und Staaten aus der Indo-Pazifik-­
Ausrichtung und Verbundenheit mit das Verei- Region, darunter Japan, Südkorea und Neusee-
nigte Königreich und den Vereinigten Staaten so- land beteiligen.
wie der geografischen und identitären Distanz zu
Asien kann Australiens Unterstützung vergange- Japan:
ner militärischer Nato-Operationen durchaus als Der verlässliche Partner
Ausdruck verstanden werden, ein „guter“ und Sieht man von Australiens Commonwealth-Mit-
„westlicher“ Partner sein zu wollen.20 Mit Chinas gliedschaft ab, verfügt Japan über die längsten Be-
Aufrüstung und dem Durchsetzen seiner Inter- ziehungen zur Nato. Japans Unterstützung zur
essensansprüche, vor allem im Südchinesischen Stabilisierung des Westbalkans sorgte während
Meer, rückt die territoriale Verteidigung wieder der 1990er Jahre für erste Kontakte und Koordi-
in das Blickfeld australischer Sicherheitspolitik.21 nierung mit der Allianz.25
Somit fokussiert sich Canberras prinzipielles In- Prinzipiell sind Japan und die Nato einfa-
teresse an Interoperabilität und Zusammenarbeit che Partner: Aufgrund seiner Lage im Norden
mit der Nato auf das Ziel des eigenen militäri- Ostasiens sieht sich Japan direkten Herausfor-
schen Fähigkeits­aufbaus.22 derungen durch China, Nordkorea sowie Russ-
Das jüngst vereinbarte „2023–2026 Australia- land ausgesetzt. Sein langjähriges Bündnis mit
Nato Individually Tailored Partnership Program- den USA und die Beherbergung wichtiger Mili-
me“ legt einen Schwerpunkt auf Festigung militä- tärstützpunkte bilden das Fundament für ein ho-
rischer Interoperabilität, Aufbau militärischer wie hes Maß an Interoperabilität und Verlässlichkeit.
auch technologischer und wissenschaftlicher Fä- Entsprechend wurde Japan auch als Standort ei-
higkeiten. Als Themen für Konsultationen wer- nes potenziellen Verbindungsbüros der Nato in
den unter anderem Rüstungskontrolle, Abrüs- Asien-Pazifik diskutiert.26 Politisch versteht sich
tung und Nichtverbreitung, neue und disruptive Japan als klar „westlich orientiert“ und zieht als
Technologien, Weltraum- und Cybersicherheit Teil der G7 mit sechs Nato-Staaten, inklusive en-
genannt.23 Bemerkenswert ist zudem Australiens ger Koordinierung mit der EU und dem Bünd-
Bereitschaft zu militärischer Unterstützung der nis, an einem Strang.27 Im sicherheitspolitischen
Nato-Mission im Irak, der „Operation Sea Gu- Diskurs verweist Japan regelmäßig auf die Ver-
ardian“ im Mittelmeer und der Ukraine im An- bundenheit unterschiedlicher Weltregionen, etwa
griffskrieg Russlands.24 über den Indo-Pazifik-Begriff 2007 oder die War-
nung 2022, dass „Ukraine today may be East Asia
tomorrow“.28
19 Vgl. Ben Wellings et. al, Narrative Alignment and Misalign-
ment: NATO as a Global Actor as Seen from Australia and New
Zealand, in: Asian Security 1/2018, S. 24–37, hier S. 26. 25 Vgl. Jeffrey W. Hornung, Allies Growing Closer. Japan-
20 Vgl. Philip Shetler-Jones, What Should NATO Do about Asia?, Europe Security Ties in the Age of Strategic Competition, Santa
in: Moens/Smith-Windsor (Anm. 7), S. 74 f., (eig. Übersetzung). Monica, CA 2020, S. 82 ff.
21 Vgl. Lucie Béraud-Sudreau, Country Report Australia: 26 Die Eröffnung eines Verbindungsbüros der Nato in Japan
A New Frontline State?, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige wurde schon länger diskutiert und war für 2024 vorgesehen,
Politik, DGAP Report, September 2022. bis Frankreich seine Zusage dazu im Juli 2023 verweigerte. Vgl.
22 Vgl. Stephan Frühling, Australia and NATO: Six Decades of Stuart Lau/Laura Kayali, Macron Blocks NATO Outpost in Japan
Cooperation, in: Moens/Smith-Windsor (Anm. 7), S. 152 ff. Amid Chinese Complaints, 7. 6. 2023, www.politico.eu/article/
23 Vgl. Australian Embassy, Belgium, Luxembourg and Mission emmanuel-macron-block-nato-outpost-japan-china-complaints.
to the European Union and NATO, Relations to NATO, o. J., 27 Vgl. Michito Tsuruoka, The „Russia Factor“ in NATO-Japan
https://belgium.embassy.gov.au/bsls/relnato.html. Relations, United States Institute for Peace, 28. 6. 2023, www.usip.
24 Vgl. Australian National Audit Office, Australia’s Provision of org/​publications/​2023/​06/russia-​factor-​nato-​japan-​relations.
Military Assistance to Ukraine, Performance Audit Report. Auditor- 28 Vgl. Shinzo Abe, Confluence of Two Seas, 22. 8. 2007,
General Report No. 45 of 2022–23, 29. 6. 2023, www.anao.gov. www.mofa.go.jp/region/asia-paci/pmv0708/speech-2.html;
au/work/performance-​audit/australias-​provision-​military-​assis- Fumio Kishida, Keynote Address at the IISS Shangri-La Dialogue,
tance-​to-​ukraine. 10. 6. 2022, www.mofa.go.jp/files/​100356160.pdf.

38
Nato APuZ

Seit geraumer Zeit versteht Tokio die Nato Zum einen ist Südkoreas Außen- und Sicher-
als einen politischen und operationellen Partner, heitspolitik relativ wechselhaft in ihren Ansätzen.
als eine weitere Möglichkeit der Zusammenar- Zwar bleiben die Allianz mit den USA und der
beit mit den USA und als Schule multilateraler Wunsch nach Austausch mit europäischen Part-
Kooperation.29 Doch anders als im Fall Austra- nern die zentralen Grundsätze. Gleichzeitig ver-
liens lag der Fokus bei Japans Beiträgen zu Na- treten progressiv orientierte Regierungen in ­Seoul
to-Operationen etwa in Afghanistan und Irak auf aber meist versöhnlichere Sichtweisen gegenüber
nicht-militärischer oder indirekter militärischer Nordkorea, China und Russland.32 Konservative
Unterstützung. Das Prinzip der militärischen Regierungen schlagen dagegen konfrontativere
Zurückhaltung und die Fokussierung auf „Selbst- Töne an und fördern den Ausbau sicherheitspo-
verteidigung“ in Japans Außen- und Sicherheits- litischer Kooperation mit den USA wie auch mit
politik der Nachkriegszeit wird auch in Zukunft Japan. Im Hinblick auf die Nato bevorzugen pro-
prägend sein. Gleichzeitig triggerten die militäri- gressive Regierungen oft praktische Kooperation,
schen Aktivitäten Chinas, Nordkoreas und Russ- beispielsweise Interoperabilität während des Ein-
lands erst graduell und seit 2022 dann unverkenn- satzes in Afghanistan oder Rüstungskooperation
bar auch Tokios Investitionen in den Aufbau mit der „Nato Support and Procurement Agen-
nationaler militärischer Fähig­keiten.30 cy“.33 Konservative Regierungen suchen hinge-
Das „2023–2026 Japan-Nato Individually gen die internationale Bühne, um einen Schulter-
Tailored Partnership Programme“ listet 16 Fel- schluss gegenüber den Sicherheitsbedrohungen in
der der praktischen Zusammenarbeit auf. Inter- Europa und Asien-Pazifik zu präsentieren. 2022,
operabilität bleibt ein wichtiger Bestandteil und das erste Amtsjahr des derzeitigen konservativen
Ziel der Kooperation. Besonderes Interesse gilt Präsidenten Yoon Suk Yeol, bot hierfür verschie-
aber auch dem Wissens- und Fähigkeitsaufbau dene Gelegenheiten.34
bezüglich Cybersicherheit, neuen Technologi- Zum anderen liegt Südkoreas sicherheitspoli-
en und maritimer Sicherheit. Zu diesem Zweck tische Priorität auf Nordkorea und dem Abwen-
nimmt Japan an Aktivitäten des „Nato Coope- den eines erneuten Kriegs auf der koreanischen
rative Cyber Defence Centre of Excellence“ und Halbinsel.35 China und Russland sind vergleichs-
der „Nato Science and Technology Organiza- weise keine direkten Gefahren, sondern könn-
tion“ teil. Schließlich hat Japan einen Verbin- ten notwendige Gesprächspartner für eine Einhe-
dungsoffizier zum „Nato Maritime Command“ gung der Spannungen mit Nordkorea sein. Auch
entsendet und beteiligt sich an Marineübungen wenn konservative Regierungen in Seoul eine
der Allianz.31 konfrontativere Haltung gegenüber China sowie
ein außenpolitisch global orientiertes Korea beto-
Südkorea: nen, so bleibt die Priorität, nicht komplett in ei-
Der besondere Partner nen Konflikt mit China hineingezogen zu werden
Zeitlich ähnlich wie Australien nahmen Südkorea und für einen Konflikt mit Nordkorea gewapp-
und die Nato ihren Dialog 2005 auf. Vergleichbar net zu sein.36
wie im Fall Japans beförderte Südkoreas Unter- Besondere Möglichkeiten für die Partner-
stützung der Nato-Operationen in Afghanistan schaft mit der Nato bieten Südkoreas technolo-
und im Irak die Formalisierung einer Partner-
schaft mit der Allianz. Diese zeichnet sich zu-
gleich durch gewisse Alleinstellungsmerkmale 32 Vgl. Hanns Günther Hilpert/Elisabeth Suh, Südkorea: Zwi-
aus. schen allen Stühlen oder an allen Tischen?, SWP-Sammelstudie
2018, S. 19–24, hier S. 18.
33 Vgl. Eunjeong R. Cho, The ROK-NATO Global Security Part-
29 Vgl. Michito Tsuruoka, Japan – Europe Security Coopera­ nership: A New Era of Cooperation, Korean Institute for Defense
tion: How to „Use“ NATO and the EU, in: NIDS Journal of Analysis, 31. 8. 2023, S. 5.
Defense and Security 12/2011, S. 27–43. 34 Vgl. Ellen Kim, What Is Yoon’s NATO Strategy?, Center for
30 Vgl. Ryo Hinata-Yamaguchi, Country Report: Japan. Strategic and International Studies, 19. 7. 2023.
Defense Planning in Transition, DGAP Report, September 2022, 35 Vgl. Jina Kim, Country Report South Korea: Defense Reform
­https://dgap.org/system/files/article_pdfs/DGAP-​Report-​2022-​ and Force Enhancement Plans, DGAP Report, Dezember 2022.
00-​Japan%​20.pdf. 36 Vgl. Geunwook Lee, Understanding South Korea’s Security
31 Vgl. Nato, Relations with Japan, 28. 7. 2023, www.nato.int/ Concerns: Analysis for NATO’s Partnership with the Republic of
cps/en/natohq/topics_​50336.htm. Korea, in: Moens/Smith-Windsor (Anm. 7), S. 174–177, S. 182 f.

39
APuZ 47–48/2023

gischer Fortschritt und die Rüstungsindustrie.37 AP4 gilt allerdings noch immer das „Individu-
Durch die enge militärische Verflechtung und al Partnership and Cooperation Programme“
Allianz mit den USA ist zudem ein hohes Maß von 2012. Die Verhandlungen über ein „Indivi-
an Interoperabilität gegeben. Südkorea kann so- dually Tailored Partnership Programme“ zwi-
mit dabei unterstützen, die Rüstungsbestände der schen Neuseeland und der Nato laufen.42 Wäh-
Nato-Staaten aufzufüllen ohne dabei in direkte rend Wellington das beständige Interesse an einer
kommerzielle Konkurrenz mit den USA zu gera- engen Partnerschaft mit dem Bündnis betont,
ten.38 In der Tat scheint dies ein großes beidseiti- bleibt abzuwarten, ob es „nur“ ein Weiterführen
ges Interesse zu sein. und Konkretisieren oder auch ein inhaltlicher
Darüber hinaus listet das „2023–2026 ROK- Ausbau der Partnerschaft sein w ­ ird.
Nato Individually Tailored Partnership Program- Neuseelands Außen- und Sicherheitspolitik ist
me“ elf Felder der Zusammenarbeit. Neben Inte- in vielerlei Hinsicht besonders. Seit dem Austritt
roperabilität und militärischem Fähigkeitsaufbau des Landes aus der trilateralen Allianz mit Austra-
spielen vor allem der Austausch und die Zusam- lien und den USA (ANZUS) 1986, gilt zwar offi-
menarbeit bezüglich der Nichtverbreitung von ziell nur Australien als Verbündeter, doch auch die
Massenvernichtungswaffen und der Abwehr von Commonwealth-Mitgliedschaft und langjährige
biologischen, chemischen, nuklearen und radioak- Beteiligung an der engen nachrichtendienstlichen
tiven Bedrohungen wie auch bezüglich neuer dis- Zusammenarbeit mit Australien, dem Vereinigte
ruptiver Technologien und Cybersicherheit eine Königreich, Kanada und den USA („Five Eyes“)
besondere Rolle. Wie Japan nimmt auch Südkorea geben die sicherheitspolitische Ausrichtung Neu-
an Marineübungen und Aktivitäten des „Nato Co- seelands vor. Allerdings bemüht sich Wellington um
operative Cyber Defence Centre of Excellence“ eine „unabhängige“ Sicherheitspolitik:43 Es teilt die
teil und will die praktische Kooperation im Be- prinzipiellen Werte und Interessen der Nato, vor al-
reich Cybersicherheit und Informationsaustausch lem in Bezug auf maritime Sicherheit und Nichtver-
voranbringen.39 breitung von Massenvernichtungswaffen. In diesem
Sinne sieht Neuseeland klaren Nutzen in Interope-
Neuseeland: rabilität und Fähigkeitsaufbau in Partnerschaft mit
Der bescheidene Partner der Allianz. Gleichzeitig warnt Wellington regel-
Australien und Neuseeland nahmen beide auf mäßig vor weiteren geopolitischen Konfliktent-
der Basis besonderer Vereinbarungen mit dem wicklungen und übermäßiger Militarisierung.
Vereinigten Königreich an der Nato-geführten Zwei weitere Grundsätze unterscheiden Neu-
Stabilisierungsmission SFOR in Bosnien und seeland von den anderen AP4 und prägen die lau-
Herzegowina teil.40 Der direkte politische Dia- fende Überarbeitung seiner Partnerschaft mit der
log zwischen Neuseeland und der Allianz wur- Nato: Neuseeland sieht die eigene nationale Si-
de dann ab 2001 institutionalisiert. Wie auch bei cherheit nicht durch militärische, sondern in ers-
den anderen AP4 entwickelte sich die Partner- ter Linie durch „nicht-traditionelle“ Bedrohun-
schaft mit der Beteiligung an den Nato-Missio- gen wie etwa den Klimawandel gefährdet. Neben
nen in Afghanistan, „Operation Ocean Shield“ dem außenpolitischen Fokus auf Handel und der
und „Operation Active Endeavour“ im Mittel- Bedeutung guter wirtschaftlicher Beziehungen zu
meer weiter.41 Im Unterschied zu den anderen China verfügt Neuseeland über begrenzte militä-
rische Fähigkeiten, die es nur bedingt gewillt ist
37 Über die vergangenen Jahrzehnte hat sich Südkorea einzusetzen und auszubauen.44
von einem Empfänger zu einem Anbieter von Entwicklungs-
und Rüstungs­zusammenarbeit entwickelt. Vgl. Shetler-Jones
(Anm. 20), S. 75 f. 42 Vgl. Lucy Craymer, New Zealand Says New NATO Partner-
38 Vgl. Wooyeal Paik, Korea Looks to Europe, Its Growing ship to Cover Climate Change, Security, 14. 6. 2023, www.reuters.
Military-Strategic Cooperation with NATO, Institute for Security com/world/new-​zealand-​says-​new-​nato-​partnership-​cover-​clima-
& Development Policy, ISDP Issue Brief, 5. 5. 2023, S. 5. te-​change-​security-​2023-​06-​14.
39 Vgl. Cho (Anm. 33), S. 3. 43 Vgl. David Capie, New Zealand Draws Closer to NATO
40 Vgl. Nato, Peace Support Operations in Bosnia and With a Wary Eye, United States Institute for Peace, 6. 7. 2023,
Herzegovina (1995–2004), 11. 4. 2023, www.nato.int/cps/en/ (eig. Übersetzung).
natohq/​topics_52122.htm. 44 Vgl. Ben Wellington et al., Narrative Alignment and Misa-
41 Vgl. Nato, Relations to New Zealand, 28. 7. 2023, www.nato. lignment: NATO as a Global Actor as Seen from Australia and
int/cps/en/natohq/topics_​52347.htm. New Zealand, in: Asian Security 1/2018, S. 24–37, hier S. 30–34.

40
Nato APuZ

FAZIT: Interesse an maritimer Sicherheit, Cybersicher-


KEIN PARADIGMENWECHSEL heit und dem Austausch zu neuen Technologien
besteht durchaus. Interoperabilität wäre von Nut-
So unterschiedlich die AP4 sind, so überlappen zen, gleichzeitig aber auch ein schwieriges Unter-
sich doch grundlegende Werte und Interessen fangen. Selbst wenn Erfahrungen gemeinsamer
untereinander und mit der Nato. Priorität ha- Operationen wie „Operation Ocean Shield“ am
ben der Einsatz für einen regelbasierten Um- Horn von Afrika existieren, so ist Indiens Hal-
gang zwischen Staaten wie auch für die Sicher- tung gegenüber der Nato eher von Vorsicht ge-
heit der drei globalen Gemeinschaftsräume des prägt.46 Indiens Außen- und ­ Sicherheitspolitik
maritimen, Cyber- und Weltraums. Auch wenn steht in der Tradition des „Non-Aligned Move­
die meisten diesbezüglichen Herausforderun- ment“ (NAM),47 die Haltung gegenüber Chi-
gen von China, Nordkorea und Russland aus- na ist ambivalent, und mit Russland besteht eine
gehen, so wollen weder die Nato noch ihre vier langjährige Rüstungskooperation. Geopolitisch
asiatisch-pazifischen Partner die Situation unnö- strebt Neu Delhi nach „strategischer Unabhän-
tig verschärfen. Entsprechend besteht kein Inte- gigkeit“.48 Auch Singapur und andere südostasi-
resse an einer militärischen Präsenz der Allianz atische Staaten unterstützten die Nato-Missionen
in der Region. Überlegungen drehen sich statt- in Afghanistan und arbeiten beispielsweise mit
dessen darum, wie die Zusammenarbeit mit den den USA militärisch zusammen. Eine konkrete
AP4 konstruktiv und pragmatisch ausgebaut Partnerschaft mit der Nato würde jedoch der ge-
werden kann, beispielsweise durch eine diplo- meinsamen südostasiatischen Haltung von Inklu-
matische Präsenz in Japan für die Vereinfachung sion und Balance vis-à-vis jedoch China wider-
des Dialogs und Informationsaustauschs mit der sprechen.49
­Nato. Die Nato hätte entsprechend mehr Einfluss,
Es gilt hierbei zu vermeiden, nicht nur China, wenn sie Klarheit herstellt: Die transatlantische
Nordkorea und Russland zu weiteren Gegenre- Allianz hat kein Interesse daran, den Indo-Pazi-
aktionen herauszufordern, sondern auch andere fik zu dominieren und selbst zu gestalten, son-
Staaten in der Region zu verschrecken. Das stra- dern die Staaten in der Region in ihren Gestal-
tegische Konzept der Nato lässt die Partnerschaf- tungsfähigkeiten – wo gewollt – zu unterstützen.
ten mit weiteren Staaten im Indo-Pazifik theo- Der Fokus auf Fähigkeitsaufbau passt zum Um-
retisch offen.45 Doch es ist fraglich,46789 ob wichtige fang und Interesse der AP4, sowie er auch regi-
regionale Staaten wie Indien oder Singapur diesen onalen Bedürfnissen entgegenkommen würde.
Schritt in Betracht ziehen würden: Gemeinsames Hierfür bräuchte es keine neuen formalen Part-
nerschaften, sondern konkrete Dialog- und Trai-
ningsangebote, beispielsweise zu Fragen der ma-
45 So heißt es darin: „We will strengthen dialogue and coope-
ration with new and existing partners in the Indo-Pacific to tackle
ritimen Sicherheit, die gemeinsam mit den AP4
cross-regional challenges and shared security interests.“ Nato, und bestehenden multilateralen Foren umgesetzt
Strategic Concept 2022, 29. 7. 2022, S. 11. werden könnten. Solche Angebote würden ver-
46 Vgl. Shetler-Jones (Anm. 20), S. 77 f. deutlichen, dass die transatlantische Allianz nicht
47 Das „Non-Aligned Movement“ entstand zwischen 1955
zu einer „globalen Nato“ mutieren will, sondern
und 1961 als loser Verbund von Staaten im Kontext des Kalten
Kriegs und der Dekolonisierung. Kernanliegen waren die
dass die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts
nationale Unabhängigkeit und das Prinzip, nicht Partei in einem transregionalen Austausch und Zusammenarbeit
Großmächtekonflikt zu werden. Entsprechend beteiligen sich erfordern.
NAM-Mitglieder nicht an multilateralen militärischen Allian-
zen und betonen die Akzeptanz der Koexistenz von Staaten
verschiedener politischer und sozialer Systeme. Vgl. Gwamaka
Kifukwe, No Cold War, Please: How Europeans Should Engage
ELISABETH I-MI SUH
Non-Aligned States, 30. 6. 2022, ­https://ecfr.eu/article/no-cold- ist Research Fellow am Zentrum für Sicherheit
war-please-how-europeans-should-engage-non-aligned-states. und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für
48 Vgl. Ryan Mitra, Why the Quad Is Not NATO: The Indo- Auswärtige Politik (DGAP). Sie ist zudem als PhD
American Impediments to Its Intergovernmental Structure, in:
Fellow mit dem Institut für Friedensforschung und
India Review 4/2023, S. 463–484.
49 Vgl. Yee-Kuang Heng, NATO and the Asia-Pacific: Per-
Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg
spectives from Singapore, in: Moens/Smith-Windsor (Anm. 7), (IFSH) affiliiert.
S. 190–193. suh@dgap.org

41
APuZ 47–48/2023

ZWISCHEN ANNÄHERUNG
UND MISSTRAUEN
Die Nato aus panafrikanischer Perspektive
Anita Kiamba

Die Nato wurde 1949 gegründet, um den Frieden Ungeachtet der zahlreichen internationa-
in Europa zu sichern und der ideologischen, wirt- len Operationen der Nato fallen die Meinungen
schaftlichen und territorialen Expansion der So­ über ihren derzeitigen Zweck und ihre Grenzen
wjet­union entgegenzuwirken. Sie verstand sich als sehr unterschiedlich aus. Vor allem die Bedeu-
kollektives Verteidigungsbündnis im Kalten Krieg, tung der Allianz in einem sich wandelnden glo-
mit dem man die Sicherheit ihrer Mitglieder ge- balen Umfeld birgt Diskussionsstoff. Anders als
währleisten und sie vor Bedrohungen schützen früher, als die Daseinsberechtigung von Bünd-
wollte, die in ihrer Wahrnehmung in erster Linie nissen durch die politisch-militärische Logik
von der UdSSR und den Mitgliedern des War- des Kalten Kriegs vorgegeben war, neigen Staa-
schauer Pakts ausgingen.01 Während der Warschau- ten heute zum unilateralen Handeln. Man fragt
er Pakt 1991 aufgelöst wurde, existiert die Nato sich also, ob die Nato in einem globalen Umfeld
bis heute fort und ist nicht nur innerhalb, sondern funktionieren kann, in dem Anarchie die Norm
auch außerhalb Europas präsent. Der Kreis ihrer ist. Außerdem steht zur Debatte, ob sie mit dem
Mitglieder hat sich im Lauf der Zeit erweitert, so- Ansatz, Sicherheitsbedrohungen außerhalb des
dass nun auch unter anderem Staaten aus dem ehe- eigenen Bündnisgebiets zu begegnen, die von
maligen so­wje­tischen Einflussbereich unter dem Mitgliedern anderer Bündnisse oder kriegfüh-
Dach der kollektiven Verteidigung Platz finden.02 renden Staaten ausgehen, bestehen wird. Dass
Die wachsende Zahl der Nato-Mitglieder trägt ak- die Allianz mit ihrer regionalen Ausrichtung auf
tuellen Entwicklungen Rechnung, die den Frieden Europa und Nordamerika zur Förderung des
und die Sicherheit in Europa03 und anderen Regi- Friedens und der Sicherheit auf dem afrikani-
onen bedrohen. Mit dem Prinzip des gegenseitigen schen Kontinent beitragen kann, wird ebenfalls
Beistands trägt die Nato mittelbar auch zur regio- angezweifelt.05
nalen und internationalen Stabilität bei.
In der Vergangenheit war die Allianz bei ver- TRADITION DER BLOCKFREIHEIT
schiedenen Einsätzen außerhalb des Bündnisge- UND GEOPOLITISCHE
biets aktiv, von denen sich einige mit regionalen VERORTUNG AFRIKAS
Friedensmissionen und friedensfördernden Ope-
rationen deckten.04 So war die Nato in Afrika Die Prinzipien der „Guten Nachbarschaft“ (bon
maßgeblich an der Unterstützung der Opera- voisinage) bilden die ethische Grundlage für die
tionen der Afrikanischen Union am Horn von Interaktion von Staaten in einem komplexen Si-
Afrika beteiligt. Infolge des Somalia-Konflikts cherheitssystem.06 Darüber hinaus führte die Mit-
und der Präsenz der Terrorgruppe Al Shabab, die gliedschaft afrikanischer Staaten in der Bewegung
von Somalia auf benachbarte und relativ friedli- der Blockfreien Staaten („Non-Aligned Move­
che Staaten wie Kenia übergreift, handelt es sich ment“, NAM) nach der afro-asiatischen Konfe-
hier bis heute um eine der sicherheitspolitisch renz von Bandung 1955 dazu, dass sich die Re-
instabilsten Regionen auf dem Kontinent. Eine gion während des Kalten Kriegs nicht eindeutig
weitere Mission der Nato in der Region bestand mit einer der beiden Supermächte verbündete.07
beispielsweise in der Sicherung der Meerenge von Überall in Afrika gab es Länder, die im Kontext
Bab al-Mandab, die das Rote Meer mit dem Golf der Dekolonisierung als sogenannte Ankerstaaten
von Aden verbindet. entweder mit den USA oder der So­wjet­union ein

42
Nato APuZ

engeres Verhältnis pflegten. Sie wurden als „be- auch bestimmten Regionen und Teilregionen zu-
freundete Nationen“ wahrgenommen, das heißt, geordnet. Von innen betrachtet bekräftigen Staa-
als Nationen, die mit der jeweiligen Supermacht ten ihre Zugehörigkeit zu einer Region meist
und ihren Verbündeten zusammenarbeiteten und aufgrund von geografischer Verortung, erstens
sie unterstützten. Auf diese Weise ließen sich die durch Identifikation mit bestimmten kulturellen
afrikanischen Staaten1234567 ideologisch, politisch, wirt- Merkmalen,10 zweitens durch die Mitgliedschaft
schaftlich und gesellschaftlich als Unterstützer ei- in subregionalen oder regionalen Organisatio-
ner der beiden Parteien kennzeichnen. Im Gegen- nen. In der Wahrnehmung externer Beobach-
zug konnten sie beispielsweise über den Zugang ter wird Afrika bekanntlich in Subsahara-Afrika
zu europäischen Märkten verhandeln und erhiel- (SSA) und den Maghreb (Nordafrika) unterteilt,
ten militärische Unterstützung. Mit dem Ende der andere sozio-politische und sozio-kulturelle
des Kalten Kriegs lockerte sich auch die Bindung Merkmale als die SSA-Region aufweist. Dies ist
der afrikanischen Staaten an internationale Bünd- nicht nur ein Beispiel für die Zuschreibung ei-
nisse. „Afrikanische Lösungen für afrikanische ner Subregion von außen, sondern auch für eine
Probleme“ wurde zum neuen Mantra.08 Dies ging Region, die sich vom Rest Afrikas auch sicher-
einher mit umfangreichen organisatorischen und heitspolitisch unterscheidet, obwohl sie geogra-
systemischen Reformen. Beispielsweise wurde fisch in Afrika liegt und ihre Staaten Mitglieder
die seit 1963 bestehende Organisation für Afri- der AU sind. Dieser Widerspruch wird auch in
kanische Einheit (OAU) 2002 zur Afrikanischen der Beteiligung an bilateralen oder multilateralen
Union (AU) umgewandelt. Seit ihrer Gründung Initiativen und Engagements auf dem Kontinent
befasst sich diese Organisation mit bestehenden erkennbar. Im Rahmen des Nato-Mittelmeer-
und neuen bewaffneten Konflikten in der Region dialogs mit Partnerstaaten werden zum Beispiel
und setzt sich für Frieden und Sicherheit ein, um Algerien, Ägypten, Mauretanien, Marokko und
ein für die regionale Entwicklung zuträgliches Tunesien berücksichtigt.11 Sie gelten für die Nato
Umfeld zu schaffen. als Teil des Mittelmeerraums, liegen aber zugleich
Im Allgemeinen praktizieren Staaten, regio- in Afrika.
nale und internationale Organisationen das Prin- Blickt man auf Afrika südlich der Sahara, ist
zip der Anerkennung,09 um ihre Bedeutung und die Zuordnung von Ländern zur SSA-Region oft
Außenwahrnehmung zu festigen und die Ziele ih- durch nicht-afrikanische Akteure erfolgt und gilt
rer Außen- und Verteidigungspolitik aufeinander etwa als Grundlage für Interventionen multila-
abzustimmen. Zu diesem Zweck werden Staaten teraler Institutionen wie der Europäischen Uni-
on (EU) oder einzelner Staaten. Die SSA-Region,
aber auch Afrika als Kontinent insgesamt, erfah-
01 Vgl. Bruno Simma, NATO, the UN and the Use of Force: Le-
ren dabei unterschiedliche Zuschreibungsmus-
gal Aspects, in: European Journal of International Law 10/1999,
S. 1–22.
ter,12 die von soziologischen, ethnokulturellen
02 Vgl. Ivo Daalder/James Goldgeier, Global NATO, in: For- und sprachlichen bis hin zu ethnischen Merkma-
eign Affairs 5/2006, S. 105–113. len reichen. Manche von ihnen sind auch durch
03 Vgl. Margriet Drent/Robert J. Hendriks/Dick Zandee, New die koloniale Geschichte geprägt. So wurden bei-
Threats, New EU and NATO Responses, Den Haag 2015.
spielsweise politische Interventionsansätze in Be-
04 Vgl. Ivan Dinev Ivanov, Transforming NATO: New Allies,
Missions, and Capabilities, Lexington 2011.
zug auf anglophone, frankophone und lusopho-
05 Vgl. Kristin Archick/Paul Gallis, NATO and the European ne afrikanische Länder und deren sprachliche
Union, Washington, D. C. 2004. und politische Systeme formuliert; eine Katego-
06 Vgl. Arie Marcelo Kacowicz, Zones of Peace in the Third risierung, die früher von europäischen Nationen
World: South America and West Africa in Comparative Perspec-
verwendet wurde, um ihr Engagement in Afrika
tive, New York 1998.
07 Vgl. Baba Schalk/Christelle J. Auriacombe/Dirk J. Brynard,
zu definieren.
Successes and Failures of the Organization of African Unity:
Lessons for the Future of the African Union, in: Journal of Public 10 Vgl. Alan Henrikson, Facing across Borders: The Dip-
Administration 40/2005, S. 496–511. lomacy of Bon Voisinage, in: International Political Science
08 Vgl. Philip Towle, The Strategy of War by Proxy, in: The Review 2/2000, S. 121–147.
RUSI Journal 1/1981, S. 21–26. 11 Vgl. Abdennour Benantar, NATO, Maghreb and Europe, in:
09 Vgl. Robert Harkavy, The Changing International System Mediterranean Politics 2/2006, S. 167–188.
and the Arms Trade, in: The Annals of the American Academy of 12 Vgl. Erik Ringmar, Introduction, in: ders., International
Political and Social Science 1/1994, S. 11–28. Politics of Recognition, London 2015, S. 3–23.

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APuZ 47–48/2023

AFRIKANISCHE FRIEDENS- on, in der Bedrohungen eher von innen als von
UND SICHERHEITSARCHITEKTUR außen kommen, zutreffend.13 Der Völkermord in
Ruanda 1994, die Epizentren westafrikanischer
Mit dem Ende der Apartheid in Südafrika hat- Konflikte in Liberia und Sierra Leone, die inne-
te die OAU 1994 ein bedeutendes Gründungs- ren Konflikte und die Zersplitterung im Sudan,
ziel erreicht. Nach der Umwandlung der OAU die zur Unabhängigkeit des Südsudan führten,
in die AU wurde in ihrem Mandat und in ihren der langwierige Konflikt in der Demokratischen
Zielen die Notwendigkeit gesehen, verschiede- Republik Kongo oder auch die politische Insta-
ne Kooperationsbereiche zu erweitern. Mit der bilität in Somalia zeigten zugleich: Die Region
Einrichtung der „African Peace and Security Ar- SSA musste und muss umfassende Maßnahmen
chitecture“ (APSA) der AU, wurde die Aufmerk- ergreifen, um die Herausforderungen für Frieden
samkeit auf regionale Initiativen für Frieden und und Sicherheit zu bewältigen.
Sicherheit in der Region gelenkt. In Fällen, in denen der Frieden nicht gewahrt
Die APSA stützt sich auf fünf Säulen: den werden konnte, leiteten die AU oder die RECs
Friedens- und Sicherheitsrat der AU, den Rat friedensunterstützende Maßnahmen ein und wei-
der Weisen, das kontinentale Frühwarnsystem, teten gleichzeitig ihr Mandat auf Friedenskonsoli-
die afrikanische Bereitschaftstruppe und den dierung aus. Zu den erwähnenswerten AU-Missi-
Friedensfonds. Darüber hinaus arbeitet die AU onen gehören die Mission in S­ omalia (AMISOM),
bei der Bewältigung von Konflikten auf regio- in Burundi (AMIB) und im Süd­sudan (AMISS).
naler Ebene mit den Regionalen Wirtschaftsge- Die AU nahm auch ihr Mandat zur Förderung
meinschaften (Regional Economic Communi- von Demokratiemaßnahmen wahr, insbesondere
ties, RECs) und den Regionalen Mechanismen in Ländern, in denen es zu Staatsstreichen kam,
(RM) zusammen, zum Beispiel mit der Ostaf- von Gabun und Niger bis zum Sudan und ­Guinea.
rikanischen Gemeinschaft (EAC), der Westafri- Seit der Eskalation regionaler Konflikte in
kanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS), Afrika in den 1990er Jahren wurde immer wie-
der Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen der über Mittel und Wege diskutiert, diese Kon-
Afrika (SADC) oder der Zwischenstaatlichen flikte zu verhindern und zu bewältigen, die oft
Entwicklungsbehörde (IGAD). Für politische auch auf den ganzen Staat oder die Nachbarlän-
Fragen verfügt die AU über das Panafrikanische der übergriffen. Dabei erwiesen sich die subre-
Parlament, das mit nichtstaatlichen Akteuren gionalen Organisationen in Hinblick auf Kon-
oder zivilgesellschaftlichen Organisationen zu- fliktbewältigung in dieser Zeit oft als unfähig.
sammenarbeitet, um Frieden und Sicherheit zu Das hat sich mittlerweile geändert. Fast alle diese
fördern. Organisationen sind zugleich RECs und haben
Nach dem Ende des Kalten Kriegs begann sich im Laufe der Zeit dahingehend entwickelt,
Afrika ebenso wie andere Regionen des interna- dass sie über Kapazitäten verfügen, um bewaff-
tionalen Systems, sich auf neue Sicherheitsbedro- nete Konflikte beizulegen, einen drohenden
hungen einzustellen. Insbesondere für SSA lassen Konflikt zu unterbinden oder die Eskalation ei-
sich hier politische Instabilität und Binnenkon- nes laufenden Konflikts zu verhindern. Entspre-
flikte nennen. In einigen Fällen hatte die politi- chend sehen sich auch heute die Staaten in den
sche Instabilität zu wachsenden subregionalen Subregionen zunehmend veranlasst, im Sicher-
und inneren Konflikten geführt, vorangetrieben heitsbereich zusammenzuarbeiten. Diese Not-
von bewaffneten Gruppen, die nach politischer wendigkeit wird zusätzlich durch den Wunsch
Anerkennung strebten und Druck auf die am- der verschiedenen regionalen Akteure beför-
tierenden Regierungen ausübten, um an der Ver- dert, Konflikte zu lösen und eine Atmosphäre
teilung der meist knappen Ressourcen beteiligt des Friedens und der Stabilität zu schaffen, um
zu werden. In dieser Gemengelage fand der Ruf die wirtschaftliche Entwicklung nicht zu gefähr-
„­Afrikanische Lösungen für afrikanische Pro- den. Diese Mechanismen sind außerdem so kon-
bleme“ in SSA breite Zustimmung. zipiert, dass Staaten ebenso wie subregionale,
Blickt man auf die Region in dieser Zeit, ist regionale und überregionale Organisationen ge-
der Begriff der „Sicherheitsdilemmata“ des Poli-
tikwissenschaftlers Mohammed Ayoob und seine 13 Vgl. Mohammed Ayoob, The Security Problematic of the
Beschreibung der Sicherheitslage als eine Situati- Third World, in: World Politics 2/1991, S. 257–283.

44
Nato APuZ

zielt reagieren können. Eines der Hauptorgane Hilfe und operative Unterstützung in Bereichen,
der AU ist beispielsweise der Friedens- und Si- die die AU als vorrangig eingestuft hat.17 Zu den
cherheitsrat (Peace and Security Council, PSC). Feldern, die die Nato ausbauen will, gehören der
Der PSC wird als „kollektives Sicherheits- und Aufbau von AU-Kapazitäten und die Verbesse-
Frühwarnarrangement“ bezeichnet, das eine „ef- rung der Sichtbarkeit der Nato durch eine po-
fiziente Reaktion auf Konflikte und Krisen“ er- litische Partnerschaft, was sich etwa in der Un-
möglichen soll.14 Wie schon die OAU seinerzeit terzeichnung eines Abkommens im November
verfügt die AU über ein kontinentales Früh- 2019 zur Stärkung der Zusammenarbeit nieder-
warnsystem (Continental Early Warning Sys- schlug.18 Zugleich unterhalten die AU-Mitglied-
tem, CEWS) mit einem Beobachtungs- und staaten bereits bilaterale Beziehungen zu be-
Überwachungszentrum am Hauptsitz der AU stimmten Nato-Mitgliedern und sind auch mit
(Addis Abeba), das die Aufgabe hat, Vorfälle multilateralen Institutionen wie der EU part-
und Ereignisse zu überwachen, die zu bewaffne- nerschaftlich verbunden, etwa in Form von Pro-
ten Konflikten führen könnten. grammen zur Stärkung der Demokratisierung
und einer verantwortungsvollen Staatsführung.
SICHERHEITSPOLITISCHE ROLLE Das Risiko, dass es hier zu Doppelungen kommt,
DER NATO IN AFRIKA ist real. Bei der politischen Unterstützung afri-
kanischer Länder durch die Nato muss zukünf-
Nato und AU als Partner tig geklärt werden, in welchem Umfang Kapazi-
Die früheren Millenniums-Entwicklungsziele der täten neu aufgebaut und Unterstützung geleistet
Vereinten Nationen (Millennium Development wird und ob es sich um eine multilaterale Unter-
Goals, MDGs) beziehungsweise die aktuellen stützung handelt, ob die Unterstützung auf der
Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Grundlage der EU-AU-Unterstützung erfolgt
Development Goals, SDGs)15 halten Entwick- oder ob sie bilateral ist. Schließlich kommt es
lungsländer dazu an, den Zusammenhang zwi- auch auf die Unterstützung derer an, die in den
schen Sicherheit und stabilem Frieden zu be- jeweiligen Ländern innenpolitisch Verantwor-
rücksichtigen. Dementsprechend beziehen sich tung ­tragen.
afrikanische Staaten ebenso wie die Staaten in an-
deren Entwicklungsregionen wie Asien, im Pazi- Multilaterales Engagement
fikraum und Lateinamerika zunehmend auf die Die Nato ist ein Bündnis, das dem gemeinsamen
SDGs, wenn sie sich mit eigenen Sicherheitszie- Schutz seiner Mitglieder dient und damit einher-
len befassen. Die Priorisierung dieser Bedürfnisse gehend das Ziel weltweiter politischer Sicherheit
hat Einfluss auf die Partnerschaften, die afrikani- und Stabilität verfolgt. Die Förderung von Frie-
sche Länder mit anderen regionalen Sicherheits- den und Sicherheit mit militärischen Mitteln ist
organisationen unterhalten. Mittlerweile geht nach den Erfahrungen der beiden Weltkriege ein
man davon aus, dass der Umgang mit Bedro- Eckpfeiler für die euro-atlantische Stabilität ge-
hungen nicht mehr ausschließlich in der Verant- worden. Im Gegensatz dazu bestand für die af-
wortung eines einzelnen Staats liegt,16 vielmehr rikanischen Länder keine unmittelbare Notwen-
erfordert die zunehmende Bedrohung durch digkeit, Bündnisse zu schließen. Der Vorläufer
asymmetrische Konflikte und nichtstaatliche Ak- der AU, die OAU, vertrat die Grundsätze der
teure die Zusammenarbeit zwischen unterschied- friedlichen Beilegung von Konflikten und der
lichen Partnern. Nichteinmischung in die Innenpolitik von Staa-
2020 definierten die Nato und die AU ver- ten sowie die Achtung der Grenzen beziehungs-
schiedene Felder der Zusammenarbeit, darun- weise der territorialen Unverletzlichkeit.19 Trotz
ter Ausbildung und Unterstützung, strukturelle dieser Grundsätze kam und kommt es in Teilen
Afrikas immer wieder zu Kriegen. Da die Nato

14 Vgl. Artikel 2, Protocol Relating to the Establishment of the


Peace and Security Council of the African Union (2002). 17 Vgl. Nato, Cooperation with the African Union, 27. 4. 2023,
15 Vgl. United Nations, The 17 Goals, 2023, h­ ttps://sdgs. www.nato.int/cps/en/natohq/topics_​8191.htm.
un.org/goals. 18 Vgl. dies., NATO-African Union Plan Closer Collaboration,
16 Vgl. Tatah Mentan, Africa: Facing Human Security Challen- 4. 11. 2019, www.nato.int/cps/en/natohq/news_​170512.htm.
ges in the 21st Century, Jaunde 2014. 19 Vgl. OAU, Constitutive Act of the African Union (1963).

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APuZ 47–48/2023

in der Vergangenheit und auch gegenwärtig mit vorbereitet sind.21 Deshalb hat die AU die Nato
inner- und zwischenstaatlichen Konflikten in Eu- um Unterstützung gebeten, um sicherzustellen,
ropa konfrontiert ist, sind ihre Erfahrungen prin- dass die Logistikbasis der Afrikanischen Bereit-
zipiell aufschlussreich für andere Weltregionen. schaftstruppe in Doula (Kamerun) voll einsatzfä-
Das Nato-Verbindungsbüro am AU-Hauptsitz hig ist.
bietet etwa Unterstützung in Bereichen wie Po- Um dem Aufbau von neuen Kapazitäten Pri-
litik, Frieden und Sicherheit. Darüber hinaus ist orität einzuräumen, arbeiten die AU und die
die Nato dazu übergegangen, dass ihre Mitglieder Nato weiterhin in verschiedenen Bereichen zu-
nach dem Rotationsprinzip diplomatische und sammen, die für eine Friedenssicherung von ent-
militärische Beziehungen stellvertretend für die scheidender Bedeutung sind. So fördert die Nato
Allianz zur AU unterhalten. beispielsweise den Wissensaustausch in Bereichen
Die AU erhält weiterhin bilaterale Unterstüt- wie dem maritimen Sektor, dem Informations-
zung durch ihre Verbündeten, von denen einige und Technologiesektor, dem Finanzsektor und
Nato-Mitglieder sind, zum Beispiel Frankreich, dem Planungsmanagement, einschließlich Logis-
den USA und dem Vereinigten Königreich. Zu tik und Personal.
dieser bilateralen Unterstützung kommt die mul-
tilaterale Unterstützung durch die Allianz selbst Politische Wahrnehmung
hinzu. So leistete die Nato beispielsweise 2005 Wenn sich die Nato mit aktuellen sicherheitspo-
­finanzielle und logistische Unterstützung für die litischen Gemengelagen auseinandersetzt, muss
Mission der AU im Sudan (AMIS) sowie 2007 sie auch die spezifischen Herausforderungen
für die Mission in Somalia (AMISOM) und spä- auf dem afrikanischen Kontinent berücksichti-
ter für die AU-Übergangsregierung in Somalia gen. Das bilaterale Engagement von Staaten wie
2022. Luft- und Seetransport sind nicht nur für China, Russland und Indien bietet afrikanischen
die Nato von strategischer Bedeutung, sondern Ländern die Möglichkeit, militärische Ausrüs-
auch für die anhaltenden Bemühungen der AU, tung zu erwerben und gemeinsame Übungen
die selbstgesteckten Ziele und Zeitvorgaben zu durchzuführen, sowie die Aussicht auf kontinu-
erreichen.20 ierliche Unterstützung. Die Zusammenarbeit der
Zur Unterstützung der AU bietet die Nato SSA-Region mit Verbündeten wie Russland und
die Teilnahme an Lehrgängen ihres Schulungs- China könnte sich nachteilig auf die bilaterale
und Ausbildungszentrums in Oberammergau und multilaterale Zusammenarbeit mit der Nato
und ihrer Militärakademie in Rom an. Obwohl und ihren Mitgliedern auswirken. Da die Nato
es in Afrika eine Reihe von militärischen Ausbil- Russland und China als potenzielle Bedrohung
dungszentren, Militärschulen und nationalen Mi- ihrer Interessen vor Ort ansieht, haben deren
litärakademien gibt, bieten die Nato-Einrichtun- wachsende Präsenz und zunehmender Einfluss
gen den Mitgliedstaaten der AU die Möglichkeit, in der Region die Dynamik an der politischen
gemeinsame Schwerpunkte bei der Ausbildung Front verändert. Zugleich werden jährliche Gip-
zu ermitteln. Zudem erhalten die AU-Mitglied- feltreffen mit Russland und China von den Staa-
staaten Einblicke in alternative Perspektiven zu ten der SSA-Region begrüßt, da sich beide nicht
Sicherheitsfragen. Aufgrund der unterschied- in die Innenpolitik einmischen. In Afrika nimmt
lichen Bedingungen in Afrika gibt es spezielle man Russland und China als Staaten wahr, die in
Kurse für die REC, die bei der Förderung von der Lage sind, sich in wichtigen Fragen zu enga-
Frieden und Sicherheit auf regionaler Ebene eine gieren und gleichzeitig den gegenseitigen Respekt
bedeutende Rolle spielen. Gerade auf dieser Ebe- auf politischer Ebene zu wahren. Obwohl die AU
ne sind regionale Wirtschaftsgemeinschaften wie ihrer Verbindung zur Nato in vielen Bereichen –
ECOWAS, SADC oder EAC in der Lage, spe- einschließlich der Demokratieförderung – Priori-
zifische Sicherheitsbedrohungen zu erkennen, zu tät einräumt, arbeitet sie in anderen Feldern mit
bewerten und auf sie zu reagieren. Eine erfolgrei- Russland und China zusammen.
che Bewältigung neuer Konflikte ist nur möglich, Die AU vertritt die Position, dass bei der Be-
wenn die REC und die AU entsprechend darauf wältigung von Streitigkeiten und Konflikten

20 Vgl. Glen Segell, The First NATO Mission to Africa: Darfur, 21 Vgl. Kenneth Waltz, A Strategy for the Rapid Deployment
in: South African Journal of Military Studies 2/2008, S. 1–18. Force, in: International Security 4/1981, S. 49–73.

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Nato APuZ

grundsätzlich friedensorientierte Methoden einge- Beziehungen zwischen SSA und Nato und ihren
setzt werden sollten. Die Anwendung von Gewalt, Mitgliedern bestimmen dürfte. AU-Initiativen wie
sofern nicht provoziert, wird dagegen als letztmög- etwa die „Agenda 2063“ oder „Silencing the Guns
liches Mittel und als Angriff auf die territoriale In- 2020“ sollen einen Fahrplan für die weitere Ent-
tegrität und Souveränität eines Landes betrachtet. wicklung und mehr Sicherheit auf dem afrikani-
Vor diesem Hintergrund war aus Sicht der AU der schen Kontinent bieten.23 Im Umgang mit dem
Internationale Militäreinsatz in Libyen 2011 und verfassungswidrigen Regierungswechsel 2023 in
die damit verbundene Nato-Operation „Unified Gabun und den Bürgerkriegen in der erweiter-
Protector“ problematisch. Da es sich bei Libyen ten Sahelzone, einschließlich im Sudan, sowie mit
um einen AU-Mitgliedstaat handelte, hätte man es internen Konflikten in einigen Staaten der Regi-
bevorzugt, wenn anstelle der militärischen Inter- on der Großen Afrikanischen Seen könnte mög-
vention ausländischer Streitkräfte, in diesem Fall licherweise eine Unterstützung durch die Nato
von Nato-Staaten geführt, das Rahmenwerk der von Vorteil sein. Anstelle eines bilateralen Enga-
AU für Frieden und Sicherheit zur Anwendung ge- gements von Nato-Mitgliedern wie Frankreich
kommen wäre. Entsprechend argumentierten AU sollte sich die Allianz darum bemühen, der afri-
und die SSA-Staaten, dass die Intervention nicht ge- kanischen Seite zu vermitteln, dass sie für dauer-
rechtfertigt gewesen sei und unerwünschte Konse- haften Frieden und Sicherheit eintreten will. Die
quenzen nach sich gezogen habe.22 Die Interventi- Rolle der Nato könnte beispielsweise See- und
on von Nato-Staaten 2011 hat andererseits gezeigt, Lufttransporte sowie logistische Unterstützung in
dass man seitens des Westens kein Vertrauen in die Kamerun umfassen, das in unmittelbarer Nähe zu
afrikanischen institutionellen Mechanismen der den von Bürgerkrieg betroffenen Ländern ­liegt.
Entscheidungsfindung und Maßnahmen hat. Da- Die SSA-Staaten und der afrikanische Kon-
bei sei angemerkt, dass die Entscheidungskapazitä- tinent insgesamt sind auf panafrikanische Wer-
ten der AU auf gegenseitigem Respekt beruhen und te und Strategien ausgerichtet.24 Demokratische
man keine Möglichkeit sah, Muammar Gaddafi als Staatsführung ist Teil der SSA-Reformagenda für
libysches Staatsoberhaupt unter Druck zu setzen. eine dynamische politische Öffentlichkeit. Auch
Die Nato-Mitglieder wiederum hatten kein ernst- die Erfahrung der Nato bei der Förderung de-
haftes Interesse an einer afrikanischen Lösung, als mokratischer Prinzipien wäre für die SSA-Staa-
sie Gaddafi ins Visier nahmen. Schließlich zeigte ten, die durchaus Unterstützung bei politischen
die Intervention auch, dass aus dem Kreis der Na- Reformen benötigen, sicher von großem Nutzen.
to-Staaten auf internationaler Ebene militärischen In diesem Zusammenhang sollte man jedoch klar-
Ansätzen gegenüber friedensorientierten Lösun- stellen, dass die SSA-Staaten im Mittelpunkt der
gen oft Vorrang gegeben wird. Dieser Ansatz hat Reformagenda stehen müssen, im Gegensatz zu
sich an anderer Stelle auch bewährt: So kann man früheren bilateralen Erfahrungen. Im Gegenzug
die Nato-Operation „Ocean Shield“ von 2009 bis sollten die SSA-Länder internationale Entwick-
2016 vor der Küste Somalias als Erfolg bezeichnen, lungsinitiativen nicht zu stark politisch aufladen,
wo die Bedrohung durch Piraterie von Erdöltrans- da dies faktisch oft zu Entwicklungsrückschritten
porten inklusive Geiselnahmen von Schiffsbesat- führt. Man sollte sie in diesem Fall nicht als Ein-
zungen ein virulentes Problem war. Die Operation mischung in interne Angelegenheiten verstehen,
hat nicht nur die Sicherheit in der Meerenge erhöht, sondern eher als Konsolidierung universeller de-
sondern hat auch die illegale Finanzierung bewaff- mokratischer Grundsätze.
neter und terroristischer Gruppen eingeschränkt. Neben dem Aufbau von Kapazitäten und lo-
gistischer Unterstützung kann die SSA-Region
REFORMVORHABEN auch etwas über die komplizierte Lastenvertei-
lung25 auf kontinentaler und subregionaler Ebene
Derzeit ist unter den SSA-Staaten eine verstärkte
Bekräftigung von Reformvorhaben zu beobach-
ten, die auch die Intensität und den Umfang der 23 Vgl. African Union, Linking Agenda 2063 and the SDGs,
o. D., h­ ttps://au.int/agenda2063/sdgs.
24 Vgl. Timothy Murithi, The African Union: Pan-Africanism,
22 Vgl. William Boettcher, Military Intervention Decisions Peacebuilding and Development, London 2017.
Regarding Humanitarian Crisis: Framing Induced Risk Behavior, 25 Vgl. Ida Oma, Explaining States’ Burden-Sharing Behavior
in: The Journal of Conflict Resolution 3/2004, S. 331–355. Within NATO, in: Cooperation and Conflict 4/2012, S. 562–573.

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lernen. Die Aushandlung von Lastenverteilung lands und Indiens entgegenzuwirken. In der von
für regionale Vorhaben stellt für diese Staaten den SSA-Staaten angestrebten neuen internatio-
eine nennenswerte Herausforderung dar. Oft sind nalen Ordnung ist Afrika nicht untätiger Part-
in den öffentlichen Haushalten nur minimale Be- ner, der Unterstützung und Führung von außen
träge dafür vorgesehen, Staaten sind miteinander benötigt, sondern man versteht sich als selbstbe-
verfeindet, und es bestehen unterschiedliche Pri- stimmter Akteur mit gemeinsamen Interessen.
oritäten bei der Bewertung der Sicherheits- und Expansionismus, ob er nun vom Osten, Westen,
Bedrohungslagen. Zugleich bestehen in den SSA- Norden oder Süden ausgeht, steht daher im Wi-
Ländern viele gemeinsame Interessen und Bedro- derspruch zu den derzeitigen afrikanischen Vor-
hungen, die einen finanziellen und militärischen stellungen.
Beitrag erfordern, der für die Verhinderung und
Eindämmung von bewaffneten Konflikten von Aus dem Englischen von Heike Schlatterer, Pforzheim
Bedeutung ist. Diese gemeinsamen Interessen
sollten stärker wiegen als die genannten Hemm-
nisse. ANITA KIAMBA
Schließlich herrscht in den SSA-Staaten der ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Senior
Eindruck vor, dass die Nato bestrebt sei, ihren Lecturer am Institut für Diplomatie und Inter­nationale
Einfluss im südlichen Afrika auszubauen, um der Studien an der University of Nairobi, Kenia.
offensichtlichen Anziehungskraft Chinas, Russ- akiamba@uonbi.ac.ke

Der APuZ-Podcast
Ein Thema, 30 Minuten,
jeden 1. Mittwoch im Monat APuZ – Der Podcast

bpb.de/
apuz-podcast
AUS POLITIK
UND ZEITGESCHICHTE

APuZ – Der Podcast

0:00 -31:20

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Nato APuZ

ALTE PARTNER, NEUE ROLLEN?


Ein Blick auf Deutschland und die USA
Stormy-Annika Mildner · Lennart Nientit

„Deutschland kommt jetzt die wesentliche Auf- desregierung noch, militärische Güter zu liefern,
gabe zu, als einer der Hauptgaranten für die Si- da sie eine Eskalation des Kriegs mit Russland
cherheit in Europa Verantwortung zu überneh- befürchtete. Mittlerweile belaufen sich die deut-
men, indem wir in unsere Streitkräfte investieren, schen Hilfen auf rund 24 Milliarden Euro. Dies
die europäische Rüstungsindustrie stärken, unse- beinhaltet sowohl Waffenlieferungen als auch hu-
re militärische Präsenz an der Nato-Ostflanke er- manitäre Unterstützung.03
höhen und die ukrainischen Streitkräfte ausbilden Laut Olaf Scholz werden für die Bewälti-
und ausrüsten,“ führte der deutsche Bundeskanz- gung zukünftiger Herausforderungen die trans-
ler Olaf Scholz im Dezember 2022 in dem außen- atlantischen Beziehungen „zentral“ sein. In sei-
politischen Magazin „Foreign Affairs“ aus.01 In nem „Foreign Affairs“-Beitrag betonte er, dass das
dem Artikel mit dem Titel „Die globale Zeiten- transatlantische Bündnis nach der großangelegten
wende“ schrieb er unter anderem, dass Deutsch- russischen Invasion der Ukraine „stärker als je zu-
land zukünftig danach streben werde „ein Garant vor“ sei. Dies findet sich auch in der neuen Sicher-
europäischer Sicherheit zu werden, so wie es un- heitsstrategie, die die Bundesregierung im Sommer
sere Verbündeten von uns erwarten“. Damit re- 2023 vorgelegt hat.04 Darin wird „die Festigung der
agierte Scholz auf die sich massiv gewandelte si- transatlantischen Allianz und der engen und ver-
cherheitspolitische Lage. trauensvollen Partnerschaft mit den Vereinigten
Im Februar 2022 hatte der großangelegte Mi- Staaten von Amerika“ als ein wichtiges Interesse
litärangriff Russlands gegen die Ukraine die Welt Deutschlands identifiziert. Auch die Nato spielt
erschüttert. Seitdem ist die sicherheitspolitische eine zentrale Rolle in der Sicherheitsstrategie der
Ordnung der Post-1989-Ära ins Wanken gera- Bundesregierung: „Glaubwürdige Abschreckungs-
ten, und kurz vor dem 75. Geburtstag der Nato und Verteidigungsfähigkeit im transatlantischen
scheint eine Neugestaltung der europäischen Si- Bündnis der Nato ist das unverzichtbare Funda-
cherheitsarchitektur unumgänglich. Deutschland ment deutscher, europäischer und transatlantischer
hat mit seiner „Zeitenwende“ einen Prozess zur Sicherheit. Die Nato ist oberste Garantin für den
Neuausrichtung seiner Außen- und Sicherheits- Schutz vor militärischen Bedrohungen.“
politik eingeleitet und muss nun, als bevölke- Nach vier schwierigen Jahren während der
rungsreichstes und wirtschaftlich stärkstes Land US-Präsidentschaft von Donald Trump, die durch
der EU, eine europäische Führungsrolle überneh- zahlreiche Konflikte geprägt waren, erlaubte die
men – eine Führungsrolle wie sie seit Jahren so- Wahl von Joe Biden einen Neustart in den transat-
wohl von europäischen als auch transatlantischen lantischen Beziehungen. Während des Besuchs von
Partnern eingefordert wird. Olaf Scholz in Washington, D. C. Anfang März
Die Bundesregierung kündigte an, deutlich 2023 bedankte sich Biden für die „profunde“ Un-
mehr in Verteidigung zu investieren. Nicht nur terstützung Deutschlands in der Ukraine-Frage:
wolle sie in Zukunft das von der Nato festgelegte „Ich möchte Ihnen für Ihre starke und beständige
Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduk- Führung danken. Ich meine das aufrichtig. Sie hat
tes (BIP) in Verteidigungsausgaben erreichen.02 einen großen Unterschied gemacht.“05
Zudem wurde von der Ampel-Koalition ein Doch sind die transatlantischen Beziehungen
100 Milliarden Euro umfassendes, schuldenfinan- wirklich so stark, wie sie der Bundeskanzler be-
ziertes Sondervermögen aufgesetzt. Besonders schreibt? Ist die Zeitenwende aus US-amerikani-
deutlich zeigt sich die Zeitenwende in der Unter- scher Sicht ausreichend, und kommt sie rechtzei-
stützung der Ukraine. Anfangs zögerte die Bun- tig und schnell genug?

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APuZ 47–48/2023

VON OBAMA Staatschefs ab. Zum Beispiel verteidigte sie 2019


ÜBER TRUMP ZU BIDEN die Nato nachdrücklich gegen verbale Attacken
des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Die deutsch-amerikanischen Beziehungen zeich- Dieser hatte die Organisation kurz vor ihrem
nen sich seit Jahrzehnten durch ein starkes Funda- 70. Geburtstag als „hirntot“ bezeichnet und den
ment gemeinsamer Werte, Traditionen, Interessen USA vorgeworfen, kein verlässlicher Partner mehr
und Ziele aus. Gleichwohl sind die Beziehungen für Europa zu sein. Merkel reagierte darauf, indem
nie frei von Konflikten. Während ihrer 16-jähri- sie die transatlantische Partnerschaft als „unab-
gen Amtszeit, die vier US-Präsidenten umspann- dingbar“ für die Sicherheit Europas ­bezeichnete.07
te – George W. Bush, Barack Obama, Donald
Trump und Joe Biden – musste Bundeskanzle- Präsident Obama
rin Angela Merkel mehrere Krisen und Konflik- (2009–2017)
te meistern.12345 Während der Präsidentschaft von Barack Obama
Dabei zeichnete sich Merkels Führung durch arbeiteten die transatlantischen Partner eng zu-
eine gewisse Kontinuität und pragmatische He- sammen, um die Nato an neue Sicherheitsbe-
rangehensweise an die transatlantischen Bezie- drohungen anzupassen. Dazu gehörten Bereiche
hungen aus. Sie befürwortete konsequent einen wie Cybersecurity, Terrorismusbekämpfung und
multilateralen Ansatz in der deutschen Außen- Rüstungskontrolle.08 Deutschland war darüber
und Sicherheitspolitik: Sie setzte sich für vertief- hinaus Teil der E3/EU+3-Gruppe (China, Frank-
te Integration innerhalb der EU und der Nato reich, Deutschland, Russland, das Vereinigte Kö-
ein und förderte die Zusammenarbeit in mul- nigreich und die Vereinigten Staaten), die Ver-
tilateralen Organisationen wie den Vereinten handlungen mit dem Iran führten, die 2015 zur
Nationen und der Organisation für Sicherheit Unterzeichnung des „Joint Comprehensive Plan
und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Mer- of Action“ (JCPOA) führten.09
kel spielte auch eine wichtige Rolle in informel- Allerdings gab es auch immer wieder Spannun-
len internationalen Foren wie der G7, G20 oder gen zwischen den beiden Ländern. Im Zuge der
dem Normandie-Format zwischen Deutsch- Abhöraffäre um den US-Geheimdienst National
land, Frankreich, Russland und der Ukraine.06 Security Agency (NSA) 2013 ging viel Vertrauen
Mit dieser klaren multilateralen Haltung im deutsch-amerikanischen Verhältnis verloren.
grenzte sie sich mitunter von anderen westlichen Nach Russlands Invasion der Krim und der Ost-
ukraine 2014 befürworteten die USA härtere Sank-
01 Olaf Scholz, The Global Zeitenwende. How to Avoid a New tionen gegen Russland und warnten vor einer zu
Cold War in a Multipolar Era, 5. 12. 2022, www.foreignaf- großen Abhängigkeit von Russland in Energiefra-
fairs.com/germany/olaf-​scholz-​global-​zeitenwende-​how-​avoid-​
gen. Deutschland war aufgrund seiner engen Bezie-
new-​cold-​war. Siehe auch: Bundesregierung, Regierungserklä-
rung in der Sondersitzung zum Krieg gegen die Ukraine vor dem
hungen mit Russland hingegen über die wirtschaft-
Deutschen Bundestag am 27. Februar 2022 in Berlin. lichen Auswirkungen der Sanktionen besorgt.
02 Vgl. Bundesministerium der Verteidigung, Verteidigungsetat Ein stetiger Zankapfel waren die Verteidi-
2024 wächst um 1,7 Milliarden Euro – NATO-Quote wird gungsausgaben der europäischen Nato-Staaten –
erreicht, 6. 7. 2023, www.bmvg.de/de/aktuelles/gruenes-​licht-​im-​
insbesondere Deutschlands. Obama drängte wie-
kabinett-​verteidigungsetat-​2024-​5648648.
03 Vgl. Bundesregierung, Humanitäre, finanzielle und militä-
derholt darauf, dass die Mitglieder der Allianz
rische Hilfe aus Deutschland. So unterstützt Deutschland die ihre Verteidigungsausgaben erhöhen und das Ziel
Ukraine, 19. 9. 2023, www.bundesregierung.de/-2160274. von zwei Prozent des BIP erreichen. Ein weiteres
04 Vgl. Auswärtiges Amt, Integrierte Sicherheit für Deutschland
– Nationale Sicherheitsstrategie. Wehrhaft. Resilient. Nachhal-
tig, 21. 6. 2023, www.auswaertiges-​amt.de/blueprint/servlet/ 07 Macron nennt Nato „hirntot“: Merkel kritisiert „drastische
blob/​2604006/​857b2e75fade2a89cc5232a59fca997b/natio- Worte“ des französischen Präsidenten, 7. 11. 2019, www.tages-
nale-​sicherheitsstrategie-​data.pdf. spiegel.de/-​5833246.html.
05 The White House, Remarks by President Biden and Chan- 08 Vgl. Karl-Heinz Kamp, Unter neuen Vorzeichen: Deutsch-
cellor Scholz of Germany Before Bilateral Meeting, 3. 3. 2023, amerikanische Sicherheitsbeziehungen, Bundesakademie für
www.whitehouse.gov/briefing-​room/speeches-​remarks/​2023/​ Sicherheitspolitik, Arbeitspapier Sicherheitspolitik 2/2015.
03/​03/remarks-​by-​president-​biden-​and-​chancellor-​scholz-​of-​ 09 Vgl. European External Action Service, The Joint Compre-
germany-​before-​bilateral-​meeting, (eig. Übersetzung). hensive Plan of Action (JCPOA) and Its Implementation, Nuclear
06 Vgl. 75 Jahre UNO: Merkel hält Plädoyer für Multilateralis- Agreement with Iran, 18. 8. 2021, www.eeas.europa.eu/eeas/
mus, 22. 9. 2020, www.faz.net/16965497.html. nuclear-​agreement-%​E2%​80%​93-​jcpoa_en.

50
Nato APuZ

wichtiges Thema war der Afghanistan-Konflikt. nen nach Polen zu verlegen, war ein brisantes
Deutschland beteiligte sich seit 2003 an der Nato- Thema, das das langfristige Engagement der USA
geführten ISAF-Mission (International Security für die Sicherheit Europas infrage stellte.15 Die
Assistance Force). In der deutschen Öffentlich- 70. Gründungsfeier der Nato 2019 war daher von
keit war der Einsatz umstritten. 2014 hielten le- Pessimismus geprägt.
diglich 35 Prozent der Bevölkerung das deutsche
Engagement für „sinnvoll“, während nur 27 Pro- Präsident Biden
zent der Aussage zustimmten, dass der Aufwand (seit 2021)
für den Einsatz gerechtfertigt sei.10 Gleich nach Amtsantritt arbeitete Präsident Bi-
den intensiv daran, die Beziehungen zwischen den
Präsident Trump USA und ihren internationalen Partnern zu stär-
(2017–2021) ken. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz im
Während der Präsidentschaft von Donald Trump Februar 2021 bekannte er sich zur Nato und den
kühlten sich die Beziehungen zwischen den USA transatlantischen Beziehungen. Die USA stün-
und Deutschland spürbar ab. 2018 verhängte den zum Bündnis und zur Beistandspflicht in Ar-
Trump Sonderzölle auf Stahl und Aluminium aus tikel 5.16 Gleichzeitig betonte er jedoch auch die
Europa mit dem Argument, dass diese eine Be- Notwendigkeit einer gerechteren Lasten­teilung.
drohung für die nationale Sicherheit Amerikas Ein wichtiges Thema für Biden, das bereits
darstellten. Die Europäische Union reagierte ih- während der Amtszeit von Trump an Bedeu-
rerseits mit Zöllen auf US-Waren.11 tung für die transatlantischen Beziehungen ge-
Schon vor seinem Amtsantritt äußerte sich wonnen hatte, ist China. Obwohl Biden in vie-
Trump kritisch gegenüber der Nato. So bezeich- len Bereichen eine Abkehr von der Außenpolitik
nete er das Bündnis beispielsweise als „obsolet“.12 seines Vorgängers vollzog, setzte er den Kon-
Die Sorgen der Bündnispartner wurden bei sei- frontationskurs mit der Volksrepublik fort, ge-
nem ersten Nato-Gipfel im Mai 2017 noch ver- rade auch in Fragen von Menschenrechten und
stärkt, als er sich weigerte, sich zur gegenseitigen Sicherheit.17 Dies führte innerhalb der Nato zu
Unterstützung gemäß Artikel 5 des Nordatlan- Spannungen, da nicht alle europäischen Länder
tikvertrags zu verpflichten.13 Trump kritisierte eine derart harte Linie gegenüber China unter-
die als zu gering angesehenen Verteidigungsaus- stützen. Insbesondere Deutschland äußerte Be-
gaben der europäischen Nato-Mitglieder, aber denken. Trotzdem spricht die neueste Version
auch die wirtschaftliche Abhängigkeit Deutsch- des strategischen Konzepts deutlich von Chi-
lands von Russland. Vor der UN-Generalver- na als Herausforderung für „Interessen, Sicher-
sammlung in New York bezeichnete er Deutsch- heit und Werte“ des Bündnisses. Außerdem kri-
land in diesem Zusammenhang als „Gefangenen tisiert die Nato die chinesischen Versuche, „die
Russlands“.14 auf Regeln basierende internationale Ordnung
Auch die Ankündigung, US-Truppen aus zu unter­graben“.18
Deutschland abzuziehen und einen Teil von ih-

15 Vgl. Thomas Wiegold, US-Truppen in Deutschland: An-


10 Vgl. Statista, Stimmen Sie den folgenden Aussagen zum geblich deutliche Reduzierung geplant, mit harter Obergrenze
Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zu oder stimmen Sie nicht (Nachtrag), 5. 6. 2020, h­ ttps://augengeradeaus.net/​2020/​06/
zu?, 20. 12. 2014, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/​ us-​truppen-​in-​deutschland-​angeblich-​deutliche-​reduzierung-​ge-
381465. plant-​mit-​harter-​obergrenze.
11 Vgl. Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Drei 16 Vgl. Amanda Macias, „An attack on one is an attack on
Fragen an Sabine Stephan: Handelsstreit zwischen USA und EU, all“ – Biden Backs NATO Military Alliance in Sharp Contrast to
www.imk-​boeckler.de/de/drei-​fragen-​an--15384-​22455.htm. Trump, 19. 2. 2021, www.cnbc.com/​2021/​02/​19/munich-​security-​
12 Trump nennt Nato „nicht länger obsolet“, 13. 4. 2017, conference-​biden-​backs-​nato-​in-​sharp-​contrast-​to-​trump.html.
www.spiegel.de/a-​1143173.html. 17 Vgl. US-China Relations in the Biden Era: A Timeline,
13 Vgl. Thilo Kößler, Vor dem Nato-Jubiläum: Trumps Haltung 25. 10. 2023, www.china-​briefing.com/news/us-​china-​relations-​
zur Allianz, 2. 4. 2019, www.deutschlandfunk.de/vor-​dem-​nato-​ in-​the-​biden-​era-​a-​timeline.
jubilaeum-​trumps-​haltung-​zur-​allianz-​100.html. 18 Zit. in Hans Binnendijk/Daniel S. Hamilton, Implementing
14 Chad P. Bown, Trump’s Steel and Aluminum Tariffs Are NATO’s Strategic Concept on China, 2. 2. 2023, www.atlantic-
Cascading Out of Control, 4. 2. 2020, www.piie.com/blogs/ council.org/in-​depth-​research-​reports/report/implementing-​na-
trade-​and-​investment-​policy-​watch/trumps-​steel-​and-​aluminum-​ tos-​strategic-​concept-​on-​china/#​h-​ii-​addressing-​china-​s-​challen-
tariffs-​are-​cascading-​out-​control. ges-​in-​nato-​s-​strategic-​concept.

51
APuZ 47–48/2023

Zweifel an der Verlässlichkeit der USA als indem sie nötige Ausrüstung und Generatoren
Bündnispartner entstanden im Rahmen der Grün- geliefert haben.20
dung des trilateralen Militärbündnisses zwischen Deutschland befand sich zu Beginn der groß-
Australien, dem Vereinigten Königreich und den angelegten russischen Invasion in einer komple-
USA 2021 (AUKUS). Frankreich, das Australien xen Lage. Aufgrund der Sorge vor einer Eskalation
mit Diesel-U-Booten beliefern sollte, wurde von und der Ausbreitung des Kriegs zögerte die Bun-
den USA und dem Vereinigten Königreich über- desrepublik anfänglich, die Ukraine mit schweren
boten, die nun ihrerseits das pazifische Land mit Waffen zu unterstützen. Erst unter internationa-
nuklearbetrieben U-Booten beliefern. Frankreich len Druck entschied sie sich, militärische Güter
entstand dadurch ein Schaden in Milliardenhöhe. zu liefern. Deutschland hat im Verlauf des Jahres
Der chaotische Abzug der US-Truppen aus Af- 2022 seine Position entscheidend angepasst und
ghanistan markierte einen weiteren Rückschlag in eine wesentliche Rolle bei der Unterstützung der
den transatlantischen Beziehungen. Europäische Ukraine eingenommen. Neben humanitärer Hilfe
Verbündete äußerten Besorgnis über die einseiti- stattete Deutschland die Ukraine auch mit schwe-
gen Entscheidungen der USA. rer Ausrüstung aus, darunter Raketenwerfer,
selbstfahrende Haubitzen, Flugabwehrgeschütze,
TRANSATLANTISCHE gepanzerte Fahrzeuge, Luftverteidigungssyste-
BEZIEHUNGEN IN DER me und schließlich auch Kampfpanzer. Deutsche
ZEITENWENDE Bundeswehr-Standorte dienten darüber hinaus
als Orte für die Ausbildung ukrainischer Solda-
Seit dem Beginn der großangelegten russischen ten. Gleichzeitig ergriff Deutschland eine Vielzahl
Invasion ist die Ukraine in den Mittelpunkt der von Maßnahmen, um seine Energieabhängigkeit
sicherheitspolitischen Beziehungen zwischen den von Russland zu reduzieren.
USA und Deutschland gerückt. Die USA haben Die transatlantische Dimension der deutschen
zweifellos eine herausragende Rolle in der Unter- Waffenlieferungen wurde besonders bei der Debat-
stützung des Landes eingenommen und sind mit te über die Lieferung von Kampfpanzern im Januar
insgesamt zugesagten 113 Milliarden US-Dollar 2023 deutlich. Deutschland stimmte der Lieferung
der größte Einzelunterstützer der Ukraine.19 Die seiner Leopard-2-Panzer nur unter der Bedingung
Ukraine Security Assistance Initiative (USAI) zu, dass die USA gleichzeitig M1-Abrams-Panzer
der USA hat eine breite Palette militärischer Aus- an die Ukraine liefern würden. Obwohl dies anfangs
rüstung in beträchtlichem Umfang bereitgestellt. Unstimmigkeiten in der Nato und den USA auslös-
Dazu gehörten unbemannte Luftfahrzeuge, Aus- te, lenkte die US-Seite schließlich ein, und Deutsch-
rüstung zur Abwehr russischer Drohnen, elektro- land lieferte Leopard-Panzer an die U ­ kraine.21
nische Kriegsführungserkennung und Munition.
Darüber hinaus haben die USA ein umfang- WIE DIE DEUTSCHE ZEITENWENDE
reiches Sicherheitsunterstützungspaket für die IN DEN USA ANKOMMT
Ukraine geschnürt, das Luftüberwachungsradare
und Panzerabwehrwaffen einschließt. Zusätz- Seit der Zeitenwende-Rede von Olaf Scholz
lich zur militärischen Unterstützung leisten die schaut die Welt auf Deutschland und beobach-
USA auch durch die Bereitstellung von Geheim- tet genau, ob die Bundesregierung ihrem An-
dienstinformationen und Satellitenaufnahmen ei- spruch, mehr Verantwortung innerhalb der Nato
nen beachtlichen Beitrag. Im Bereich der huma- zu übernehmen, gerecht wird.
nitären Hilfe haben die USA rund 9,9 Milliarden Amy Gutmann, die US-Botschafterin in
US-Dollar zur Verfügung gestellt, um dringende Deutschland, lobte in einer Rede die Entschei-
Bedürfnisse im Gesundheitswesen, Bildungswe-
sen und bei Notdiensten in der Ukraine zu un- 20 Vgl. USAID, The United States Begins Disbursing $ 9.9 Billion
terstützen. Sie haben außerdem dazu beigetragen, to Further Support the Government of Ukraine, 24. 2. 2023,
die Energieinfrastruktur des Landes zu stärken, www.usaid.gov/news-​information/press-​releases/feb-​24-​2023-​
united-​states-​begins-​disbursing-​99-​billion-​further-​support-​
government-​ukraine.
19 Vgl. Committee for a Responsible Federal Budget, Congress 21 Vgl. Christoph Hickmann, Entscheidung in Berlin: Deutsch-
Approved $ 113 Billion of Aid to Ukraine in 2022, 5. 1. 2023, www. land schickt Leopard-Panzer in die Ukraine, 24. 1. 2023,
crfb.org/blogs/congress-​approved-​113-​billion-​aid-​ukraine-​2022. www.spiegel.de/a-​e2dde871-​88d0-​4cf5-​8aae-​482d58fd850f.

52
Nato APuZ

dung Deutschlands, seine Streitkräfte zu stärken, einem internationalistischen Ansatz festhalten,


als „kühn und historisch“.22 Sie betonte, dass die hat die Republikanische Partei unter dem Druck
modernisierten Fähigkeiten der Bundesrepublik des sogenannten MAGA-Flügels („Make Ameri-
einen Beitrag zum Erhalt der internationalen re- ca Great Again“) von Ex-Präsident Trump einen
gelbasierten Ordnung leisten würden. Auch US- eher isolationistischen Kurs eingeschlagen.
Außenminister Anthony Blinken drückte seine Auch in der US-Bevölkerung wird diese
Anerkennung aus. Er betonte, dass Deutschland Spaltung deutlich. Laut Umfragen des Pew Re-
einer der größten Unterstützer der Ukraine sei search Centers sind 60 Prozent der Demokraten
und wichtige Hilfeleistungen, einschließlich der der Meinung, dass es für die Zukunft des Lan-
Lieferung schwerer Waffen, geleistet habe. Er be- des am besten ist, sich weiterhin in der Weltpoli-
zeichnete Deutschland in diesem Zusammenhang tik zu engagieren. Bei den Republikanern vertritt
als einen starken Partner und eine wichtige Füh- eine überwältigende Mehrheit von 71 Prozent die
rungsnation.23 Meinung, dass sich die USA stärker auf inländi-
Nicht alle in den USA teilen jedoch diese sche Angelegenheiten konzentrieren sollten. Die
Meinung. Der republikanische Senator J. D. Van- meisten Amerikaner haben eine positive Einstel-
ce aus Ohio, der dem ehemaligen US-Präsiden- lung zur Nato: 62 Prozent äußerten sich positiv,
ten Donald Trump politisch nahesteht, kritisier- während 35 Prozent eine negative Meinung über
te beispielsweise Deutschlands Engagement und die Organisation haben. Auch hier gibt es aller-
bezeichnete es als unzureichend. Er nannte die dings Unterschiede entlang von Parteilinien: Bei
deutsche Energiepolitik der vergangenen Jahre Demokraten und den Demokraten nahestehen-
„idiotisch“ und bezeichnete die Verteidigungspo- den Wählern liegt der Anteil bei 76 Prozent, bei
litik als schwach und als Belastung für US-Steuer- Republikanern und der „Grand Old Party“ nahe-
zahler.24 Sein Parteifreund Senator Mike Lee aus stehenden Personen nur bei 49 Prozent.26
Utah äußerte ähnliche Bedenken und warf den
Nato-Verbündeten vor, die USA auszunutzen DIE US-WAHLEN
und nicht verteidigungsbezogenen Ausgaben auf UND DAS „DANACH“
Kosten der USA zu finanzieren.25
Diese unterschiedlichen Einschätzungen ver- Die transatlantischen Beziehungen sind zurzeit
weisen auf eine wachsende Kluft innerhalb der so gut wie seit Jahren nicht mehr. Russlands Krieg
US-Außenpolitik. Sie sind Ausdruck einer zu- gegen die Ukraine hat die Nato wiederbelebt.
nehmenden Frustration einiger Republikaner Von „hirntot“, inneren Zerwürfnissen oder einer
über die Rollenverteilung innerhalb der Nato im Erosion ist keine Rede mehr. Ob sich dieser po-
Allgemeinen und mit dem sicherheitspolitischen sitive Trend jedoch fortsetzt, bleibt abzuwarten.
Engagement von Deutschland und einigen ande- Jenseits des Atlantiks wird dies nicht zuletzt
ren europäischen Partnern im Speziellen. Die un- vom Ausgang der nächsten Präsidentschafts- und
terschiedlichen Ansichten der Demokraten und Kongresswahlen 2024 abhängen. Bei den Demo-
Republikaner spiegeln darüber hinaus auch die kraten gilt die Nominierung des amtierenden Prä-
unterschiedlichen Auffassungen über die Rolle sidenten Joe Biden als so gut wie sicher. Sollte er
der USA in der Weltpolitik wider. Während die das Rennen um das Weiße Haus gewinnen, wür-
Demokraten unter Präsident Biden weiterhin an de dies mit hoher Wahrscheinlichkeit eine gewis-
se Kontinuität in der US-Politik bedeuten. Biden
dürfte sich auch in einer zweiten Amtszeit für eine
22 US Botschaft in Deutschland, Eine Zeitenwende und neue Festigung der Beziehungen zwischen den USA
Impulse für die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten
und Europa einsetzen und multilaterale Ansätze
und Deutschland, 5. 4. 2022, h­ ttps://de.usembassy.gov/de/eine-​
zeitenwende-​und-​neue-​impulse-​fuer-​die-​beziehungen-​z wischen-​
zur Konfliktlösung priorisieren. Die Fortsetzung
den-​vereinigten-​staaten-​und-​deutschland. der Hilfslieferungen an die Ukraine wäre unter
23 Vgl. U. S. Department of State, Secretary Antony J. Blinken
at a Press Availability, 4. 11. 2022, www.state.gov/secretary-​ant-
ony-​j-​blinken-​at-​a-​press-​availability-​25. 26 Vgl. Jacob Poushter et al., Americans Hold Positive
24 Tweet vom 3. 3. 2023, h­ ttps://twitter.com/JDVance1/status/​ Feelings Toward NATO and Ukraine, See Russia as an Enemy,
1631727079107751937. 10. 5. 2023, www.pewresearch.org/global/​2023/​05/​10/ameri-
25 Tweet vom 27. 3. 2023, ­https://twitter.com/BasedMikeLee/ cans-​hold-​positive-​feelings-​toward-​nato-​and-​ukraine-​see-​russia-​
status/​1640407639837515776. as-​an-​enemy.

53
APuZ 47–48/2023

ihm deutlich wahrscheinlicher als unter einem re- USA zu und forderte den Kongress auf, mög-
publikanischen Präsidenten. Allerdings wird auch lichst rasch neue Hilfen für Kyjiw zu beschlie-
Biden stärker unter Druck geraten, je länger der ßen. Mit dem internen Machtkampf in der Repu-
Krieg andauert. Entsprechend lauter dürften die blikanischen Partei um den Posten des Sprechers
Forderungen an die Bündnispartner – gerade auch des Repräsentantenhauses war der Kongress Ende
Deutschland – werden, sich noch stärker an der Oktober jedoch zeitweise gelähmt. Neue Hilfspa-
sicherheitspolitischen Lastenverteilung zu beteili- kete konnten zu diesem Zeitpunkt daher nicht be-
gen und ihre Verteidigungsausgaben zu steigern. schlossen werden.
Zudem dürfte auch unter einer zweiten Biden- Deutschland dürfte, unabhängig vom Ergeb-
Administration der Blick immer mehr nach Asien nis der US-Wahlen, weiterhin bestrebt sein, seine
gerichtet sein. Die EU wird ein wichtiger Partner Rolle in der Nato zu stärken und seine nationa-
bleiben – aber nicht der einzige, um neue sicher- len Sicherheitsfähigkeiten auszubauen. Umfra-
heitspolitische Bedrohungen zu meistern. gen deuten auf eine gewisse Unterstützung in der
Der Sieg eines Republikanischen Kandidaten deutschen Bevölkerung hin. So gibt eine Mehr-
– insbesondere, wenn es sich um eine Rückkehr heit von 54 Prozent an, Vertrauen in die Nato
von Trump handeln würde – könnte dahingegen zu haben.29 45 Prozent befürworten darüber hi-
erhebliche Veränderungen in der US-Politik zur naus das Zwei-Prozent Ziel, nur 18 Prozent leh-
Folge haben. Nicht nur Trump, sondern auch an- nen es ab.30 Wie beherzt die Bundesregierung zu-
dere Republikanische Anwärter auf die Präsident- künftig vorgehen wird, bleibt jedoch ebenfalls
schaftskandidatur haben sich kritisch zur Nato ge- ­abzuwarten.
äußert. So beispielsweise der Unternehmer Vivek Sicher ist: die transatlantische Partnerschaft
Ramaswamy, der den Nato-Beitritt der Ukraine wird auch in Zukunft von entscheidender Bedeu-
ablehnt und dem Militärbündnis eine „internati- tung für die Sicherheit und Stabilität in Europa
onalistische Agenda“ vorwirft.27 Solche Ansich- und der Welt sein. Deutschland und die USA
ten finden sich besonders im Trump-nahen Flügel werden zwangsläufig eng zusammenarbeiten
der Republikaner. Die sogenannten MAGA-Ver- müssen, um gemeinsame Herausforderungen wie
treter stehen außenpolitische Interventionen zur Russlands Invasion in der Ukraine, den Aufstieg
Verteidigung von Demokratie und Freiheit kri- der Volksrepublik China und den globalen Kli-
tisch gegenüber. In Bezug auf die Unterstützung mawandel zu meistern. Die Zukunft der deutsch-
der Ukraine warnen Teile der Republikanischen amerikanischen Beziehungen und der Nato wird
Partei vor einer erneuten Verstrickung der USA von der Fähigkeit beider Seiten abhängen, ge-
in einen „never-ending war“.28 Dass2930 die Republi- meinsame Interessen und Ziele zu definieren und
kanische Partei nicht geschlossen hinter der Un- in konkrete bi- und multilaterale Zusammenar-
terstützung der Ukraine steht, wurde jüngst wäh- beit zu übersetzen. Dabei müssen trotz eventuel-
rend der Verhandlungen über den Bundeshaushalt ler politischer Differenzen auch neue Formen der
deutlich. Nachdem sich die Republikaner und De- Kooperation entwickelt werden. Potenzial dafür
mokraten Anfang Oktober 2023 auf einen Über- bieten beispielsweise die Bereiche Cybersicher-
gangshaushalt verständigt und so in letzter Minu- heit, Konfliktprävention und Krisenmanagement.
te einen government shutdown verhindert hatten,
sicherte Biden der Ukraine die Unterstützung der

27 Vgl. Jacob Heilbrunn, The Emptiness of the Ramaswamy STORMY-ANNIKA MILDNER


Doctrine, 31. 8. 2023, www.theatlantic.com/ideas/archive/​2023/​ ist Direktorin des Aspen Institute Deutschland sowie
08/vivek-​ramaswamy-​foreign-​policy/​675191.
External Lecturer an der Hertie School in Berlin.
28 Vgl. Dominik Tolksdorf, Die US-Wahlen 2024 und die Ukra-
ine: Was bestimmt Amerikas Politik, und was kann Europa tun?,
mildner@aspeninstitute.de
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, DGAP-Bericht 8.
29 Vgl. Statista, Wie sehr vertrauen Sie der NATO?, LENNART NIENTIT
12. 10. 2023, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/​ studiert International Affairs an der Hertie School
1269217.
in Berlin und arbeitet derzeit im Europäischen
30 Vgl. Mehrheit der Deutschen unterstützt Zwei-Prozent-Ziel
der Nato, 10. 7. 2023, www.rnd.de/politik/nato-​mehrheit-​der-​
Dialogprogramm der Friedrich-Naumann-Stiftung für
deutschen-​unterstuetzt-​z wei-​prozent-​ziel-​bei-​verteidigungsaus- die Freiheit in Brüssel.
gaben-​WZ42NGJOV5JA3H2XU6LCQXDJCE.html. lennart.nientit@freiheit.org

54
Impressum
Herausgegeben von der
Bundeszentrale für politische Bildung
Adenauerallee 86, 53113 Bonn

Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 10. November 2023

REDAKTION
Lorenz Abu Ayyash Nächste Ausgabe
Anne-Sophie Friedel 49–50/2023, 2. Dezember 2023
Jacob Hirsch (Volontär)
Sascha Kneip ALLGEMEINE
Johannes Piepenbrink ERKLÄRUNG DER
Saskia Podzimek (Praktikantin)
Martin Schiller (verantwortlich für diese Ausgabe)
MENSCHEN­R ECHTE
Hannah Stadler (Praktikantin)
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