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Caspar Hirschi

Wissen und Macht


Über eine heikle, aber potentiell
nachhaltige Beziehung
„Wissen ist Macht.“ („knowledge is power.“)
• Francis Bacon (1561-1626)
• Gilt als Wegbereiter der
modernen
Naturwissenschaften
• War ein wichtiger Berater von
König James I. (1566-1625)
• Schrieb 1620 in seinem Werk
Novum organum scientiarum:
„Wissen und Macht des
Menschen fallen zusammen,
weil Unkenntnis der Ursache
über deren Wirkung täuscht.“
• Wurde 1621 wegen Korruption
verurteilt, vom König entlassen
und entmachtet.
Verleiht Wissen Macht? Ein modernes Beispiel
• Robert Oppenheimer
(1904-1967):
Atomphysiker und „Vater
der Atombombe“
• Nach 1945 amerikanischer
Held und einflussreicher
Regierungsberater
• Sprach sich 1949 gegen
den Bau einer
Wasserstoffbombe aus.
• Wurde 1954 von Präsident
Eisenhower entmachtet
und entwürdigt.
Erstes Zwischenfazit

Wissen verleiht manchmal Macht,


aber auch dann nicht für lange.

Wissenschaftler gehören selten zu den


Mächtigen.
Der Skandal um Professor David Nutt
2009
Frage

Welches ist die gefährlichste


Droge in unserer Gesellschaft?
Die Antwort
von Professor
David Nutt
2010
Wer ist David Nutt?

Professor für
Psychopharmakologie am
Imperial College London:
untersucht die Wirkung von
Drogen auf das Gehirn

Januar 2008: Wahl zum


Präsidenten des Advisory
Council on the Misuse of
Drugs, d.h. der staatlichen
Expertenkommission für
Drogenpolitik.
Welche Aufgabe hat der Advisory Council on the
Misuse of Drugs?
Er soll illegale Drogen nach wissenschaftlichen Kriterien
in drei Gefährdungsklassen einordnen.
Diese Gefährdungsklassen bilden die Grundlage für das
rechtliche Strafmaß bei Drogenkonsum und
Drogenhandel.
Wie wurde Nutt Präsident des Advisory Council?
Er publizierte bereits 2006 einen Artikel zur Gefährlichkeit von
Drogen im Lancet :
- Aussage: Wir brauchen eine bessere wissenschaftliche
Beurteilung der Gefährlichkeit von Drogen, in der wir möglichst
alle Schäden, die Drogen versuchen, berücksichtigen.
- Vorschlag von Nutt:
Wie wurde Nutt Präsident des Advisory Council?
Das Ergebnis
der neuen
Beurteilung
von Nutt:
Fazit der Studie von Nutt

Die strafrechtliche Beurteilung von Drogen in


Großbritannien ist unwissenschaftlich und
damit schädlich für die Gesellschaft.

Die britische Regierung muss ihre Drogenpolitik


nach wissenschaftlichen Maßstäben
reformieren.
Reaktion der Labour-Regierung von
Gordon Brown

David Nutt wird zum Präsidenten des Advisory


Council gewählt mit dem Auftrag, der Regierung
und dem Parlament wissenschaftlich basierte
Empfehlungen für eine Reform der
Gefährdungsklassen von Drogen zu unterbreiten.
Zweites Zwischenfazit

Wissen scheint Macht zu werden.

David Nutt macht sich mit dem Advisory


Council an die Arbeit.
Erste dunkle Wolken am Horizont

Die Regierung von


Gordon Brown fällt
nach der Absage
von Neuwahlen in
ein Popularitätstief.
Die Reaktion auf die Meinungsumfragen?
Eine Meinungsumfrage!
Die Regierung beauftragt den Advisory Council, eine
Wählerumfrage zu den Meinungen über Cannabis
durchzuführen.
Resultat:
Konsequenz aus der
Meinungsumfrage:
Die Innenministerin
Jacqui Smith
entscheidet gegen den
Rat des Advisory
Council:
- Cannabis wird von
der Klasse C in die
Klasse B angehoben;
- Ecstasy bleibt in der
Klasse A.
Wie reagiert Professor Nutt?

- Wird von einer Million Briten jährlich


konsumiert, darunter Jugendlichen und
Kindern.
- Löst die Ausschüttung von Adrenalin und
Endorphinen aus.
- Führt jährlich zu hundert schweren
Straßenunfällen und einem Mehrfachen an
Gehirnschäden.
- Zehn Tote pro Jahr.
Die Droge Equasy...

- Fazit: Equasy um ein Mehrfaches gefährlicher


als Ecstasy!
Was ist Equasy?
- Equine addiction syndrome
- Auf Deutsch: PFERDEREITSUCHT!

Folgerung des Artikels:


- Die Risiken von illegalen Drogen können erst dann
richtig eingeschätzt werden, wenn sie mit
riskanten Tätigkeiten, die legal sind, verglichen
werden (wie z.B. Reiten, Motorradfahren,
Gleitschirmspringen, Tauchen usw.)!
Die Medien
greifen ein
Daily Telegraph:

9. Februar 2009

Vorwurf:
Nutt will Ecstasy
legalisieren und ist damit
als Präsident der
Expertenkommission
nicht mehr tragbar.
Jacqui Smith ruft David Nutt an

Telefonisches Donnerwetter
aus dem Innenministerium:
David Nutt muss sich bei den
Angehörigen von Leah Betts starb
1995, nachdem sie
Drogenopfern entschuldigen, Ecstasy plus
Unmengen Wasser
will er sein Präsidentenamt konsumiert hatte.
behalten.
Der Skandal kündigt sich an...
Öffentliche Vorlesung von David Nutt am King’s
College London, Juli 2009:
Nutts Kritik an Regierung und Medien

• Die Regierung schlägt Expertenrat in den Wind.


• Die Regierung hat die Wählerumfragen falsch interpretiert.
• Die Medien vermitteln ein falsches Bild über
gesellschaftliche Risiken: Ein toter Motorradfahrer ist kaum
eine Meldung wert, eine tote Ecstasy-Konsumentin landet
gleich auf der Frontseite.

Konsequenz:
• Wenn die Regierung kein Gehör hat, dann vielleicht die
Öffentlichkeit: Es braucht eine öffentliche Diskussion über
die Risiken von Drogen und die Risiken von anderen
Tätigkeiten, damit Menschen wissen, welchen Gefahren sie
sich jeweils aussetzen!
Drei Monate später: Der Vortrag wird gedruckt

David Nutt gibt Interviews


in der BBC und schreibt
für den Guardian.
Der neue Innenminister Alan Johnson...
... entlässt David
Nutt mit sofortiger
Wirkung!
Johnsons Begründung der Kündigung
Schlussfrage

Was ist passiert?


Wie ist es zum Skandal gekommen?
Schlussfazit 1
• David Nutt hat als Wissenschaftler rational gehandelt:
Er wollte sein Expertenwissen erst mit Hilfe der
Regierung und dann mit Hilfe der Medien in die
Realität umsetzen.
• Jacqui Smith und Alan Johnson haben als Politiker
rational gehandelt: Sie wollten in ihrem Amt populäre
Entscheidungen treffen, um die Labour-Partei aus dem
Umfragetief und zu einem nächsten Wahlsieg zu
führen.
• Die Zeitungen und Fernsehsender haben als Medien
rational gehandelt: Sie wollten einen brisanten Konflikt
zum Skandal hochkochen, um Leser bzw. Zuschauer zu
gewinnen.
Schlussfazit 2
• In der modernen Demokratie können die
Handlungslogiken der Wissenschaft, der Politik und der
Medien leicht auf Kollisionskurs geraten.
• Wenn es zum Knall kommt, sind die Wissenschaftler in
der Regel die ersten Verlierer, die Politiker die zweiten
und die Medien die großen Sieger.
• Eine nachhaltige Lösung gesellschaftlicher Probleme ist
nur möglich, wenn Politiker die Interessen der
Wissenschaftler und Wissenschaftler die Interessen der
Politiker respektieren und in ihrem eigenen Handeln
reflektieren. Dadurch werden Kompromisse möglich, und
Kompromisse sind nicht selten die nachhaltigsten
Lösungen.
Ich danke Ihnen für die Aufmersamkeit!

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