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DOM H.

VAN DER LAAN

DER ARCHITEKTONISCHE RAU


--
DER
ARCHITEKTONISCHE
RAUM
FÜNFZEHN LEKTIONEN ÜBER DIE DISPOSITION
DER MENSCHLICHEN BEHAUSUNG

von

DOM H. VAN DER LAAN


Mönch der Abtei St. Benedictusberg,Vaa/s

E.J. BRILL
LEIDEN • NEW YORK • KÖLN
1992
The paper in this book meets the guidelines for permanence and durability of
the Committee on Production Guidelines for Book Longevity of tbe Council on
Library Resources.

VORWORT
Lieferbare Titel von Dom H. van der Laan, verlegt von E.J. Brill, Leiden: La riflexionordonneeet suivie replacenolre intelligenceen posses-
sion de notions oubliees (Dom Prosper Gueranger, Abt von
Laan, H. van der. L'espace architectonique. Quinze lei;ons sur la disposition
de la dem eure humaine. 1989. ISBN 9004090207.
Solesmes). Dieser Satz, mit dem das Vorwort der nieder-
Laan, H. van der. Architectonic space. Fifteen lessons on the disposition of the ländischen Originalausgabe dieses Buches anfängt, kenn-
human habitat. Tr. by Richard Padovan. 1983. ISBN 9004069437. zeichnet das Lebenswerk Dom Hans van der Laans
Laan, H. van der. Le nombre plastique. Quinze lessons sur l'ordonnance
architectonique. 1960. lSBN 9004012656. (1904-1991). In den zwanziger und dreißiger Jahren ent-
Laan, H. van der. De architectonische ruimte. Vijftien Jessen over de wickelte er einige fundamentale Einsichten in das Wesen
dispositie van het menselijk verblijf. 3. revidierte Auflage. 1992. lSBN der Architektur. In der darauf folgenden ununterbrochenen
9004096388.
Laan, H. van der. Der architectonische Raum. 1992. ISBN 9004096396. Lehrtätigkeit von drei Jahrzehnten hat er seine Erkennt-
Laan, H. van der. Het vormenspel der Liturgie. 1985. ISBN 9004076182. nisse zu einer ausgewogenen und umfassenden Theorie der
Architektur ausgebaut. Wichtig für sein bis zum Schluß ge-
ordnetes Beobachten und Nachdenken war der 'Kurs kirch-
licher Architektur' (1953-1973), in dem eine große Gruppe
von Architekten unter der Leitung seines Bruders Nico van
der Laan ( 1908-1986) über kirchliche Architektur nach-
dachte. Ausgangspunkt war dabei die wiedergewonnene
und grundlegende Einsicht, daß kirchliche Bauten, was ihre
Form betrifft, weder eine Projektion theologischer Ideen
noch eine Verkörperung geistlicher Werte, sondern reine
ISBN 90 04 09639 6 Architektur sind. Die weiteren Erkenntnisse, die Dom van
der Laan im Laufe der Zeit gewann, beziehen sich daher
© Copyright1!JY:lhy E.j. Bri/1, Leiden, Tht N,therlands
auf die menschliche Behausung als solche. Er faßte sie
All righu rtserved.No part oj this publicationmay he r,produ«d, translated,stortd in 1974-1976 in dem Buch De architectonische ruimte zusammen,
a rttn"tvalsysttm, or transmitttdin anyform or by any means,tlutronic, das 1977 bei E.J. Brill erschien. 1985 veröffentlichte er bei
mtchanical,pholoeopying,recordingur otherwise,withou/ prior wrillm
pmnission of tht publisher
demselben Verlag Het vormenspelder Liturgie,in dem er seine
Ansichten bezüglich liturgischer Formgebung darlegte.
A ulhorizationto photocopyilemsJor intunal or personal Dieses kleine Buch ist ein Resümee seiner Gedanken über
ust is granttd by E.J. Bri/1providtd that
tht appropn'at,Jeesart paid dirtel/y to Copyright
Natur, Kunst und Liturgie und bildet den Hintergrund
ClearanceCenter,27 CongressStrett, SALEM MA seiner Architekturtheorie.
01970, USA. Feesart sulyectto ,hange. Anläßlich der englischen Übersetzung ArchitectonicSpace
PRINTED IN THE NETHERI..ANDS (Brill 1983), die Dom van der Laan als prägnante und
VI VORWORT

straffe Abfassung seiner Gedanken besonders schätzte, hat


er den niederländischen Text an mehreren Stellen verbes-
sert und mit drei neuen Abbildungen versehen (3. revi-
dierte Auflage, Brill 1992). Während die französische Aus-
gabe L 'espacearchitectonique(Brill 1~89) dem Originaltext
folgt, ist die vorliegende deutsche Ubersetzung eine Syn- INHALTSVERZEICHNIS
these des korrigierten niederländischen und des englischen
Textes. Sie entstand in der Zusammenarbeit von Ulrich I NATUR UND ARCHITEKTUR ....... 1
Hahn (Architekt), Anne Tebartz-van Elst (Germanistin)
II RAUM, FORM UND GRÖSSE........ 13
und Unterzeichnetem. Die vorliegende Ausgabe wurde
vom Autor vor seinem Tode genehmigt und bietet in Ver- III INNEN UND AUSSEN . . . . . . . . . . . . . . . 24
gleich zu den beiden anderen Übersetzungen einige IV VOLL UND HOHL . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
wichtige nachträgliche Verbesserungen. Besonders zu er-
wähnen ist die Korrektur des vierten und fünften Absatzes V LINIE, FLÄCHE UND VOLUMEN .... 52
von Kap. V .12; hier wurde auch eine neue Abbildung ein- VI DIE DREIFACHE FUNKTION ........ 70
gefügt.
VII DAS GRUNDVERHÄLTNIS .......... 81
Vaals, den 19. August 1992 Br. Kees den Biesen OSB VIII MASS-SYSTEME .................... 97
IX DIE SYMMETRIE ................... 113
X DIE EURHYTHMIE ................. 129
XI DIE DISPOSITION DER WAND . . . . . . 149
XII DIE DISPOSITION DES HAUSES . . . . . 163
XIII DIE DISPOSITION DER STADT . . . . . . 179
XIV DIE DREIFACHE EXPRESSION ...... 193
XV BEISPIEL ........................... 207
I
NATUR UND ARCHITEKTUR

1. Das Haus gehört zu den ersten Dingen, die der


Mensch benötigt, um sich in der Natur behaupten zu kön-
nen: 'Das Wichtigste zum Leben sind Brot und Wasser,
Kleidung und ein Haus' (Sir 29,21). Anders als andere Le-
bewesen werden wir nicht von der Natur mit Nahrung,
Kleidung und einer Behausung versorgt, sondern sind auf
unsere eigenen Fähigkeiten angewiesen; unser Verstand,
der uns von diesen anderen Lebewesen unterscheidet, ver-
setzt uns in die Lage, die geeignete Form für jeden dieser
Zusätze zu wählen.
Da der Boden zu hart für unsere nackten Füße ist,
machen wir Sandalen aus weicherem Material als der
Boden, aber aus härterem als unsere Füße. Wären sie so
hart wie der Boden oder so weich wie unsere Füße, wären
sie nutzlos. Da sie aber gerade hart genug sind, um nicht
zu schnell zu verschleißen, und dennoch weich genug, um
bequem zu sein, bringen sie unsere weichen Füße und den
rauhen Boden in Einklang zueinander.
Beim Haus geht es nicht nur um den Kontakt zwischen Das Haus
unseren Füßen und dem Boden, sondern um die Begeg- eine Ver-
vollständi-
nung unseres ganzen Seins mit der ganzen natürlichen Um-
gung der
gebung. Das Mittel, durch das der Einklang zwischen Natur
beiden zustande kommt, ist nicht mehr ein 'kleines Stück
weicher Boden', das wir an unseren Füßen tragen, sondern
ein 'Stück bewohnbarer Raum', das wir durch Wände von
der natürlichen Umgebung abtrennen. Während die San-
dale am Fuß befestigt ist, um den Körper zu vervollständi-
gen und ihn in die Lage zu versetzen, den rauhen Boden zu
ertragen, muß das Haus als Zusatz zur Natur angesehen
2 NATUR UND ARCHITEKTUR 1.2 1.3 NATUR UND ARCHITEKTUR 3

werden, durch den der natürliche Raum vervollständigt Bevor der Mensch sein Haus bewohnen kann, müssen
und für uns bewohnbar gemacht wird. zwei Vorgänge einander folgen: zunächst müssen die für
Ebenso wie Material und Form der Sandale so gewählt das Haus benötigten Materialien aus ihrem natürlichen
werden, daß sie sowohl mit dem rauhen Boden als auch mit Zusammenhang herausgelöst werden, und danach müssen
den weichen Füßen in Einkl~g stehen, muß auch der sie irgendwo anders in einem neuen technischen Zusam-
künstlich abgetrennte Raum in Ubereinstimmung mit den menhang zusammengesetzt werden, um das künstliche
Anforderungen der natürlichen Umgebung und denen un- Ganze, das Haus, hervorzubringen.
serer eigenen Konstitution geschaffen werden. Zwischen den äußeren Termen des Hausbauprozesses -
Für den Fuß stellt die Oberseite der Sohle ein kleines Mensch und Natur - gibt es daher zwei intermediäre
Stück weicher Boden dar, während sich ihre Unterseite zum Terme: erstens das der Erde entnommene Baumaterial und
Boden wie ein Stück verstärkter Fuß verhält. In gleicher zweitens das Haus, das technische Gefüge, in welches dieses
Weise ist das Haus von innen für den Menschen ein Stück Material eingegliedert wird.
bewohnbare Umgebung, während es von außen, wo es der a
Natur gegenübertritt, für das unantastbare menschliche
Dasein steht.
Das Haus erscheint so als ein aussöhnendes Element
zwischen den beiden Termen Mensch und Natur, das den
Menschen in die Lage versetzt, sich in der Natur zu be-
haupten.

2. Die Elemente des Hauses können nur der Natur ent-


nommen werden: denn die Urgegebenheit für den du~ch
Wände abgetrennten Raum ist das unbegrenzte Massiv der
Erde mit dem grenzenlosen Raum darüber. Daher muß das
begrenzte Massiv der Wände der Erde entzogen werden mit Im vollständigen Hausbauprozeß stehen immer vier Die 4
dem Ziel, dem Raum der Natur ein begrenztes Stück Raum Terme in Funktion zueinander: die Natur, das Material, Termedes
zu entziehen. das Haus und der Mensch. Die Materialien werden der Hausbau-
Offensichtlich kann jedoch die Wand, die den Raum prozesses
Natur entnommen, das Haus wird aus den Materialien
umschließt, der Erde nicht in einem Stück entnommen wer-
zusammengesetzt, und der Mensch bewohnt das Haus.
den. Die in sich geschlossene, gerundete Form des Materi-
Wohnen, Bautechnik und Zubereitung der Materialien
als, das wir der Erde entnehmen, sei es ein Steinblock, ein
sind also die drei Funktionen, durch die die vier Terme
Stück Holz oder ein Klumpen Lehm, kann die umschlos-
sene Form des Innenraumes nicht unmittelbar hervorbrin- Mensch, Haus, Material und Natur in Beziehung zuein-
gen. Dazu müssen mindestens ein paar Stücke Material ander gebracht werden.
zusammengefügt werden. Hünengräber und andere mega-
lithische Monumente sind Beispiele für solch primitive 3. Die Gliederung des Hausbauprozesses in vier Terme
Raumbildung mithilfe einer minimalen Anzahl von Teilen und drei Funktionen zeigt deutlich die Grenzen, innerhalb
(Abb. a). derer der Architekt sein Fach ausübt. Dieses ist auf die mitt-
4 NATUR UND ARCHITEKTUR 1.4 1.5 NATUR UND ARCHITEKTUR 5

lere Funktion beschränkt, d.h. auf das technische Zusam- Material berücksichtigen, sondern muß die allgemeine
menfügen von Materialien zur Form des Hauses. Eigenschaft der massiven Materie, Räume abgrenzen und
Das Fach In einer primitiven Gesellschaft ist es dem einzelnen ordnen zu können, ergründen. Und letztlich darf er nicht
des Archi- möglich, sein eigenes Haus zu bauen und die Materialien nur ein Auge für die technischen Prozesse haben, die der
tekten dafür selbst der Natur zu entnehmen; das Fach des Ar- Verarbeitung der Materialien zu Wänden und Dächern
chitekten gibt es hier noch nicht. In einem weiterentwik- dienen, vielmehr muß er sich mit der allgemeinen Notwen-
kelten Gesellschaftsstadium aber tritt die Gestalt des Ar- digkeit beschäftigen, eine Anzahl von massiven Elementen
chitekten in Erscheinung: der Mann, der Häuser baut, in zusammenzufügen, um damit Räume zu umschließen.
denen andere wohnen werden, mit Materialien, die gleich- Denn von vorrangiger Bedeutung für die allgemeine Form
falls von anderen der Natur entnommen wurden. Seine be- des Hauses ist nicht, welchem Zweck es dient, sondern daß
sondere Funktion innerhalb des Hausbauprozesses besteht es dient; nicht, woraus es gemacht ist, sondern daß es
darin, die Beziehung zwischen den mittleren Termen des gemacht ist; und nicht, wie es zusammengesetzt ist, son-
Prozesses, Material und Haus, herzustellen, kurz: in der dern daß es zusammengesetzt ist.
Technik des Bauens.
5. Wäre das menschliche Dasein rein materiell wie das
4. Da das Fach des Architekten auf die mittlere Funktion eines Stückes Holz oder Stein, könnte es durch eine
des gesamten Hausbauprozesses beschränkt ist, besteht materielle Form, die es dicht umschließt, geschützt werden,
eine große Gefahr darin, daß er die allgemeine Funktion des so wie ein Edelstein in einer wattierten Dose aufbewahrt
Hauses, die Versöhnung von Mensch und Natur, aus den wird. Doch ein lebendiges Dasein, das sich in spontaner Be-
Augen verliert und so den ersten Grundlagen der Form des wegung äußert, braucht einen Schutz, der genug Raum für
Hauses nicht die notwendige Aufmerksamkeit schenkt. Bewegung übrig läßt. Hinzu kommt, daß diese Bewegung
Um dies zu verhindern, genügt es nicht, daß er vertraut durch die Sinne geleitet wird, die ebenfalls bestimmte An-
ist mit den Eigenschaften bestimmter Materialien, die beim forderungen stellen; schließlich muß der Verstand sowohl
Bau des Hauses verwendet werden, oder mit den Anfor- die Bewegung des Körpers als auch die Tätigkeit der Sinne
derungen, die durch einzelne Individuen oder Gruppen an frei auf ihr Ziel ausrichten.
seine Bewohnbarkeit gestellt werden. Diese Information er- Auf jeder dieser drei Ebenen unseres Daseins kommen
laubt es ihm lediglich, das Haus zu bauen, das unter den wir mit der räumlichen Gegebenheit der Natur in Be-
gegebenen Umständen machbar und erwünscht ist; aber rührung. Zusätzlich zur Beherrschung des Raumes, den
das genügt nicht, denn die Form des Hauses muß vor allem wir für unsere Bewegung brauchen, bilden wir uns auch
die Verwirklichung der menschlichen Behausung sein, die eine klare Vorstellung von ihm und erkennen, daß ein Teil
unser Dasein aufgrund seiner Natur fordert. des natürlichen Raumes in unser Dasein einbezogen ist.
Die allge- Um Einblick in diese allgemeine Form zu erlangen, darf Diesen Teil nennen wir unseren Erfahrungsraum.
meine Form sich der Architekt nicht nur auf besondere Wohnbedürf-
des Hauses nisse stützen, sondern er muß vom allgemeinen Bedürfnis 6. Unser Erfahrungsraum steht notwendigerweise im
nach Behausung ausgehen, welches aus der physischen und Widerspruch zum natürlichen Raum. Der Raum, den die
psychischen Natur des Menschen hervorgeht. Er darf nicht Natur uns anbietet, erhebt sich über dem Boden und ist
nur die praktische Verwendbarkeit von diesem oder jenem gänzlich an der Erdoberfläche orientiert. Der Gegensatz
6 NATUR UND ARCHITEKTUR I. 7 1.9 NATUR UND ARCHITEKTUR 7

zwischen dem Massiv der Erde unten und dem Raum der Das einzige, was wir von dieser natürlichen Gegebenheit
Luft darüber, die sich an der Erdoberfläche begegnen, ist wahrnehmen, ist die horizontale Oberflächeder Erde, denn
die U rgegebenheit dieses Raumes. Durch ihr Gewicht sind bei dieser Urgegebenheit kann weder von räumlicher noch
alle materiellen Wesen in dieser räumlichen Ordnung auf- von massiver Form die Rede sein. Die Erde und die Luft
genommen und leben gleichsam gegen die Erde. über ihr könnten nur dann eine Form für uns haben, wenn
Durch seinen Verstand und seine aufrechte Körperhal- sie eine Anzahl von sich gegenseitig entsprechenden,
tung kann sich der Mensch aus dieser Ordnung lösen und begrenzenden Oberflächen als Terme ihres Volumens hät-
den Teil des Raumes auf sich beziehen, den er für seine ten. Aber es gibt keine andere Oberfläche, die der Tren-
Handlungen und Bewegungen benötigt. Er ist sich einer nungsfläche zwischen Erde und Luft entspricht; wir sehen
horizontalen Orientierung bewußt, die sich auf ihn selbst nur einen Term und betrachten diesen als den Term des
bezieht inmitten der vertikalen Orientierung, die sich auf Massivs und sprechen so von der 'Erdoberfläche'.
die Erde bezieht - eines Raumes um ihn inmitten eines Falten in dieser Oberfläche mögen hier und da konvexe
Raumes über der Erde. und konkave Formen - Berge und Täler - hervorrufen, doch
müssen wir klar zwischen diesen und genuinen Formen un-
7. Die Architektur geht aus diesem ursprünglichen terscheiden, die nicht auf dem Gegensatz von konvex und
Gegensatz zwischen den beiden Räumen - dem horizontal konkav, sondern auf dem von voll und leer basieren. Berge
orientierten Raum unserer Erfahrung und dem vertikal und Täler werden der Oberfläche der Erde, jedoch nicht
orientierten Raum der Natur - hervor. Sie beginnt, wenn ihrem Volumen zugeordnet. Für uns ist die Erdoberfläche
wir zur horizontalen Erdoberfläche vertikale Wände hin- horizontal, ohne daß ihr eine andere horizontale Oberfläche
zufügen. entspricht; wir wissen, daß die Erde rund ist, aber während
Durch die Architektur wird ein Stück natürlicher Raum wir auf ihr leben, können wir uns kein Bild von ihrer Form
gleichsam auf seine Seite gestellt, um so unserem Er- machen.
fahrungsraum zu entsprechen. In diesem neuen Raum le-
ben wir nicht so sehr gegen die Erde als gegen die Wände; 9. Unsere Erfahrung der Erdoberfläche ist vergleichbar
unser Raum liegt nicht auf der Erde, sondern zwischen mit der des 'Jetzt' in der Zeit, denn das Jetzt ist in ähnlicher
Wänden. Weise das einzige Phänomen, das wir vom Zeitablauf er-
Wofür das Dieser Raum bewirkt eine Vervollständigung des na- fahren. Es stellt sich als eine Trennung zwischen einer Ver-
Haus ge- türlichen Raumes, die es ermöglicht, ihn zu unserem Er- gangenheit ohne Anfang und einer Zukunft ohne Ende dar,
macht wird wiederum ein Anfang und ein Ende, die sich uns beide ent-
fahrungsraum in Beziehung zu setzen; gleichzeitig er-
möglicht sie die Aufnahme unseres spezifisch menschlichen ziehen.
Raumes in die homogene Ordnung der Natur. Unser Jetzt kann sich ausdehnen zu einem 'Heute' oder
'dieses Jahr'; es hat dann eine gewisse Dauer, wie Berge
8. Der Gegensatz zwischen dem Massiv der Wand und und Täler der Erdoberfläche eine Art Form geben. Aber
dem an ihm orientierten Raum ist nichts anderes als eine das Jetzt ist prinzipiell ohne Dauer, ohne eine bestimmte
besondere Form des großen Gegensatzes zwischen dem Ausdehnung in der Zeit. Um eine Zeitdauer zu erfahren,
Massiv der Erde und der offenen Luft darüber, dem wir in müssen zwei Zeitpunkte herausgenommen und im Ge-
der Natur begegnen. dächtnis aufeinander bezogen werden. Die beiden Zeit-
NATUR UND ARCHITEKTUR I.10 I.12 NATUR UND ARCHITEKTUR 9
8
punkte entsprechen dann einander als Anfang und ~nde wird, entstehen vertikale Flächen, die einander in einer
und machen die Dauer der Zeit abschätzbar. In ähnhcher solchen Weise entsprechen, daß sie einen eigenständigen
Weise kann die Ausdehnung des Raumes nur abgeschätzt Raum hervorrufen. Dieser Raum unterscheidet sich vom
werden, indem wir in unserem Vorstellungsvermögen eine großen Raum über der Erde, und vorausgesetzt, daß er
Entsprechung zwischen Oberflächen herstellen. groß genug ist, könnten wir in ihm leben.
Von Natur aus beziehen wir das Jetzt, das Vergangen- . Man könnte fragen, warum wir nicht, anstatt das Mate-
heit und Zukunft trennt, eher auf die realisierte Vergangen- rial anderswo zu verwenden, um Räume vom natürlichen
heit, die es abschließt, als auf die noch nicht existierende Raum abzutrennen, und dabei die entstandenen Gruben
Zukunft die es einleitet. Dies paßt zu unserer Bewertung ungenutzt. zu~ckz~lassen, ..die festen Materialien aufge-
der Tre~nungsfläche zwischen Luft und Erde, die wir _auf ben und die kunsthchen Hohlen bewohnen, so wie Maul-
die Erde beziehen; wir können die feste Erde sehen, nicht würfe in ihren Gängen leben und die ausgegrabene Erde
aber die Luft, so wie wir die Vergangenheit kennen können, als Maulwurfhügel zurücklassen. Tatsächlich haben sich
die Zukunft jedoch nicht. Menschen aus Not oder aus Askese manchmal mit Höhlen
oder Grubenwohnungen dieser Art begnügt.
10. Wenn wir im Raum über der Erdoberfläche irgend- D.och ~ine ?erartig~ Fo~m der menschlichen Behausung Wie das
Wovon das
Haus ge- eine Unterscheidung machen wollen, können wir dies nur bewirkt m kemer Weise die Versöhnung von Mensch und Haus nicht
macht wird mithilfe von massiven Elementen tun, die der Erde selbst Natur. Indem der Mensch sich in eine Höhle zurückzieht gemacht
rd
entzogen und ihrer .:Natur nach dem offen~n Raum ent- flieht er vor dem Raum der Natur anstatt ihn an sei~ wi
gegengesetzt sind. Ahnlich können wir Sulle nur durch Dasein anzupassen. Gerade im Diens{e dieses Daseins müs-
Laute und Ruhe nur durch Bewegung unterbrechen. Diese ~en wir s_elbst unsere Umgebung vervollständigen, genau
dem unbegrenzten Massiv der Erde _entnomm~nen ~le- mdem wir den natürlichen Gegensatz von unbegrenztem
mente nehmen durch ihre Begrenztheit zwangslaufig eme Voll und Leer zwischen Erde und Luft bereichern durch
Form an: sie erhalten Oberflächen, die einander ent- den Gegensatz von begrenztem Voll und Leer in Form von
durch Wände abgegrenzten Räumen, die wir Häuser
sprechen.
Solche geformte Massive sind schon in der Natur vorhan- nennen.
den: Bäume und Steine können direkt zum Trennen von
Raum dienen. Wir müssen jedoch bedenken, daß auch 12. So entsteht die echte menschliche Behausung nicht
diese Elemente durch die Kraft der Natur gleichfalls dem durch das Aushöhlen des Erdmassivs, sondern durch das
Erdmassiv entnommen sind. Abtrennen begrenzter Räume vom großen Raum der
Natur mithilfe der massiven Form von Wänden. Wir müs-
11. Wo ein Steinblock der Erde entnommen wird, ent· s:n von ~nfang an eine klare Unterscheidung zwischen
steht von selbst eine räumlicheForm, die wie eine Matrix der diese? ~eiden Weisen der Raumbildung treffen.
massivenForm des Steines entspricht. Solange die Tiefe die- Bei emer Aushöhlung des Erdmassivs wird der entstan-
ser räumlichen Form im Verhältnis zu ihrer Grundfläche dene. Raum durch Oberflächen begrenzt, ebenso wie ein
gering ist, beeinträchtigt sie die Erdoberfläche kaum, u°:d massives Volumen im offenen Raum durch Oberflächen
es entsteht kein echter geformter Raum. Doch wenn die b~grenzt wird. Daß die Oberflächen einander entsprechen,
Erdoberfläche an einer bestimmten Stelle genügend vertieft gibt dem ausgehöhlten Raum eine eigene, hohle Form, so
NATUR UND ARCHITEKTUR I.13 I.15 NATUR UND ARCHITEKTUR 11
10

wie es auf entgegengesetzte Weise dem massiven Volu~e~ klein wird, daß sie ihren Bezug zur Erdoberfläche verliert.
eine volle Form verleiht. Es ist jedoch völlig anders bei ei- Das Massiv erhält so seine eigenständige Form und damit
nem Raum, der vom großen unbegrenzten ~aum _durch auch seinen Wert für das Abtrennen von Räumen zurück.
das begrenzte Massiv der Wände abgetrennt wird. Hier ge- Die aufrechte Stabform des Pfeilers muß daher als die
hört die Form nicht zum abgetrennten Raum, sondern zum erste architektonische Gegebenheit angesehen werden.
Massiv der Wand. Nun ist Raum von Raum durch eine
massive Formabgetrennt, während sich vorher beim ausge- 14. Offensichtlich können wir den Raum nicht trennen
höhlten Raum Massiv und Raum in einer Oberflächebe- noch weniger abtrennen, indem wir ein einziges stabför-'
gegneten. miges Massiv aufrichten, genausowenig wie wir auf einem
Daher muß man, um zu verhindern, daß diesem ab- weißen Blatt Papier mit einem einzigen Punkt zwei Teile
getrennten Raum die Erscheinung eines_ausgehöhlten ~as- voneinander trennen können; denn wie sich ein aufrechter
sivs gegeben wird, sicherstellen, daß die Trennung~flache Stab zum Raum verhält, so verhält sich ein Punkt zur
zwischen dem begrenzten Raum und dem_ Massiv _der Fläche. Doch sobald sich dieser Punkt zu einer Linie, gar
Wand dem Massiv zugeordnet bleibt, so daß die Form nicht zu einer punktierten Linie entwickelt, wird die Fläche in
vom Massiv auf den Raum übergeht, wie es bei der nicht zwei Teile, einen auf jeder Seite von ihm, geteilt.
architektonischen Höhle der Fall ist. Um den Raum in zwei Teile zu gliedern, muß analog Die Wand
dazu die Stabform zu einer Plattenform verbreitert werden.
13. Ein einzelnes massives Element in Form eines der Durch diese horizontale Verbreiterung der aufrechten
Wie das Stabform entsteht die Wand, die als die zweite architek-
Haus wohl Erde entnommenen Blockes genügt nicht, um einen ab-
gemacht getrennten Raum zu schaffen. _Denn sob~ld ein s_olcher tonische Gegebenheit betrachtet werden muß.
wird Block irgendwo auf der Erde hingesetzt wird, verliert. er
seine eigenständige Form. Seine untere Fläche verschwm- 15. Eine Trennung, die durch eine einzige Wand zu-
det zusammen mit dem Teil der Erdoberfläche, der ver- stande kommt, läßt die Unbegrenztheit des ursprünglichen
deckt wird und der nun durch die obere Fläche des Blockes Raumes unberührt; nur von unten durch die horizontale
ersetzt wird. Der Block hebt einen Teil der Erdoberfläche Erdoberfläche begrenzt, ist er ja zu allen anderen Seiten hin
an, bewirkt jedoch keine Trennung im darüber liegenden unbegrenzt. Eine einzige vertikale Wand halbiert den
Raum. Wenn weitere Blöcke neben den ersten gestellt wer- Raum und erzeugt zwei Teile, die in der Tat auf einer Seite
den entsteht eine flachere Form, die noch weniger eigen- durch die Wand begrenzt werden, aber auf der entgegen-
stä~dig ist. Ihre obere Fläche ist noch größer im Verhältnis gesetzten offenen Seite ihre ursprüngliche Unbegrenztheit
zu ihrer Höhe über der Erdoberfläche und wird daher noch bewahren. Kein Raum wird vom großen Raum abge-
mehr mit ihr gleichgesetzt. trennt, ~ber es ist, als wäre dieser durch eine Juxtaposition
Das Gegenteil tritt ein, wenn man ~eitere Ste~~bl~cke von zwei großen Halbräumen ersetzt worden.
Der Pfeiler
auf den ersten stapelt und ihn so zu emem stabformigen Um jedoch ein Stück Raum vom großen Raum abzutren- Der archi-
Pfeiler aufbaut. Mit jedem weiteren aufgesetzten Block nen, wird eine zweite Wand benötigt, die sich so zur ersten tektonische
verkleinert sich die Größe der oberen Fläche stetig im verhält, daß ein neuer Raum zwischen den beiden entsteht. Raum
Verhältnis zu den Seitenflächen, bis sie nach und nach so Neben einer Trennung des großen Raumes durch jede ein-
NATUR UND ARCHITEKTUR I.15
12
zeine Wand selbst, kommt hier zwischen den Wänden die
Abtrennung eines Raumes zustande, und es entsteht als
dritte Gegebenheit der architektonischeRa~m. ..
Im architektonischen Raum kommt rucht nur auf kun_st-
liche Weise eine Trennung zwischen Raum und Massiv,
zwischen Leer und Voll zustande, wie sie auf natürliche II
Weise bereits durch die Erdoberfläche gegeben ist; auch
geht es hier nicht nu~ ~m e_ine b~oß~ Zweiteilun~ d~s RAUM, FORM UND GRÖSSE
natürlichen Raumes mithilfe emes einzigen, platte~formi-
gen Massivs. Der architektonische Raum stellt __ viel~ehr 1. Der architektonische Raum muß als Zusatz zum
einen neuen Raum dar, der künstlich vom ursprunghchen natürlichen Raum betrachtet werden, wodurch der Kon-
Raum abgetrennt wird und durch die wechselseitige Ent- flikt zwischen diesem Raum und unserem Erfahrungsraum
sprechung von zwei Trennungswänden zu~tande k?mmt. überwunden wird, so wie der Konflikt zwischen dem rau-
Der große Raum macht in diesem Fall mcht zwei neu~n hen Boden und den weichen Füßen mithilfe von Sandalen
unbegrenzten Halbräumen Platz, __so~dern es entsteht em überwunden wurde. Sandalen und Kleidung im allgemei-
neuer Raum, während der ursprunghche Raum besteh~n nen vervollständigen den menschlichen Körper; das Haus
bleibt. Vor dem Hintergrund des natürlichen Raumes zeigt vervollständigt den natürlichen Raum.
sich durch Superposition der architektonische Raum, der Aus dieser Bereicherung des natürlichen Raumes durch Raumbild
Gegenstand dieser Studie ist. den architektonischen Raum entsteht das Raumbild der der Natur
Natur, das mit dem Raumbild unsererErfahrung in Einklang und Raum-
bild der
gebracht werden kann. Die beiden Raumbilder können so Erfahrung
aufeinander abgestimmt werden, daß sie sich wechselseitig
voll ergänzen und gleichsam ein Ganzes bilden. Unser Er-
fahrungsraum wird dabei vollständig in den Raum der
Natur aufgenommen.
Die Raumbilder stimmen darin überein, daß es sich in
beiden Fällen um ein begrenztes Stück Raum im unermeß-
lichen, sich über der Erdoberfläche grenzenlos ausdehnen-
den Raum der Natur handelt. Die Begrenzung dieses
Stücks kommt jedoch in jedem Fall ganz unterschiedlich
zustande.
Der architektonische Raum verdankt seine Begrenzung
dem Massiv der Wand, die den Raum von außen abgrenzt.
Im Gegensatz dazu erhält der Raum, den wir um uns he-
rum erfahren und auf uns selbst beziehen, seine Begren-
z1;1n~durch die Aktivität unserer verschiedenen Vermögen,
die 1hn von innen bestimmen. Der erste Raum stellt sich als
RAUM, FORM UND GRÖSSE 11.2 11.4 RAUM, FORM UND GRÖSSE 15
14
'Schalenraum' dar, da seine Begrenzung durch die äuß~re das ganz analog zu dem äußeren Verhältnis ist, das jeder
Schale massiver Wände entsteht, während sich der zweite für sich zum natürlichen Raum hat.
Raum als 'Kernraum' darstellt, da seine Begrenzung vom
Kern aus durch unsere Anwesenheit bestimmt wird. 4. Gerade weil die beiden Raumbilder diametral ent-
gegengesetzt sind, können sie einander exakt ergänzen wie
2. Außerdem sind die beiden Raumbilder ihrem Wesen die Form eines Stempels und sein Abdruck in Wachs. Die
Gegensätz-
licher nach gegensätzlich. Wir betrachte~ den archite~tonischen allgemeine Funktion des Hauses, die Versöhnung von
Charakter Raum der auf künstliche Weise zwischen den Wanden ent- Mensch und Natur, ist im Wesen nichts anderes als dieses
der beiden steht ctlseine Art Leerein bezug auf den natürlichen Raum. Zusammenpassen der beiden Raumbilder: das des ab-
Raumbilder Durdh die auseinander stehenden Wände wird diese Leere getrennten Raumes auf der einen und das des erfahrenen
sozusagen der homogenen Fülle des natürlichen Rau~es Raumes auf der anderen Seite.
entzogen und befindet sich in ihr wie eine Luftblase 1m Die natürliche Leere zwischen den Wänden wird dann
Wasser. · d gleichgesetzt mit dem Raum der menschlichen Erfahrung,
Parallel zu dieser Betrachtungsweise müssen wir en und gleichzeitig wird die menschliche Leere um dem Er-
menschlichen Raum, den wir um uns herum erfahren, als fahrungsraum herum gleichgesetzt mit dem Raum der
eine von Leere umgebene Fülle betrachten. _!n ~iese~ Fall Natur. Die Mauern, die uns vom natürlichen Raum zu
ist der natürliche Raum eine Leere im Verhältnis zu einem trennen scheinen, ermöglichen vielmehr die Aufnahme un-
Raum den wir als Fülle erfahren und der sie~ im natür- seres Erfahrungsraumes in den großen Raum, so daß wir
lichen Raum befmdet - nicht wie eine Luftblase im Wasser, durch die Vermittlung des Hauses den natürlichen Raum
sondern wie ein Wassertropfen in der Luft. . in seiner ganzen U nermeßlichkeit ertragen und bewohnen
Daraus folgt, daß bei der Raumbildung die F~lle ~7:1
ei?e können.
Leere liegt, während bei der Raumerfahrung die Fulle in- Dieses Phänomen könnte man wie folgt beschreiben: In-
mitten einer Leere liegt. dem wir den architektonischen Raum als eine Leere dem
natürlichen Raum entziehen und ihn mit dem Raum aus-
3. Diese Darstellungsweise der beiden Raui:nb_ilder füllen, den wir uns durch unsere Erfahrung aneignen, ent-
stimmt vollkommen überein mit der Weise, auf die Jedes ziehen wir diesen menschlichen Erfahrungsraum der Leere
von ihnen entsteht. Es ist leicht, sich das Raumbild des ar- des ihn umgebenden natürlichen Raumes.
chitektonischen Raumes inmitten des natürlichen Raumes
als eine von Fülle umgebene Leere vorzustellen, da ~er
5. Im Hausbauprozeß verschmelzen so die beiden Raum- Das Binom
architektonische Raum selbst von außen durch massive
bilder, jedes mit seiner Fülle und Leere, um ein Ganzes zu Innen-
Wände geformt wird. Das Raumbild des Er~ahrun?s-
bilden, und nur zwei von den vier Termen bleiben übrig: Außen
raumes in der Mitte des natürlichen Raumes eignet sich
einmal die durch unseren Erfahrungsraum gefüllte Leere,
seinerseits für die Vorstellung einer von Leere umgebenen
Fülle da der Erfahrungsraum selbst durch unsere körper- die wir zwischen Wänden haben entstehen lassen, und
zweitens die durch den Raum der Natur gefüllte Leere um
liche 'Anwesenheit von innen bestimmt wird.
Daraus folgt, daß sowohl im architektonisc.?en_ Raum als unseren Erfahrungsnium herum, die wir uns weder aneig-
auch im Erfahrungsraum ein inneres Verhältnis besteht, nen noch auf uns beziehen konnten.
16 RAUM, FORM UND GRÖSSE II.6 II. 7 RAUM, FORM UND GRÖSSE 17
Der erste dieser beiden verbleibenden Terme kann ein- Massiv der Erde begegnet, das ihn begrenzt. Aber auch das
fach als 'Innen', der andere als 'Außen' bezeichnet werden. Erdmassiv ist ohne Form; es zeigt nur eine Oberfläche
Das Zusammengehen von Innen und Außen muß als das während zwei einander gegenübergestellte und entsprech~
Endergebnis des Hausbauprozesses betrachtet werden, auf ende Oberflächen für eine Form benötigt werden. Von
das die Funktionalität des Hauses abzielt. Wir dürfen die diesem Massiv können wir uns also gleichfalls kein Bild
menschliche Behausung nicht auf ein Innen beschränken, machen.
sondern müssen sie aJs ein Zusammengehen von Innen und Der architektonische Raum bietet uns jedoch in seinen
Außen ansehen. Wänden und im Raum zwischen ihnen sowohl ein be-
Jedes Raumbild enthält seine eigene Negation, die wir grenztes Massiv als auch einen begrenzten Raum. Beide
Leere genannt haben. Im einen Fall ist dies eine 'Leere an nehmen durch ihre Begrenzung eine Form an, so daß der
natürlichem Raum', im anderen eine 'Leere an Erfah- architektonische Raum auch unserem Sinnesvermögen
rungsraum'. Wenn die beiden Bilder verschmelzen, wer- entgegenkommt.
den ihre Negationen aufgehoben, und es bleiben nur die
beiden positiven Terme: das Binom Innen-Außen. Das Innen 7. Ebenso wie wir in bezug auf den Raum von zwei Formenvon
ist nun nicht mehr eine Leere, eine Negation des natür- Raumbildern sprachen, können wir hier von zwei Formbil- Massiv und
lichen Raumes, sondern hat durch seine Entsprechung zu dern sprechen, die je ihre eigene Negation beinhalten. Die Raum
unserem Erfahrungsraum einen positiven Wert erhalten. Fon~ des Massivs ist nur wahrnehmbar, wenn sie sich ge- schliesun
Auch das Außen hat einen positiven Wert erhalten: es ist einander
gen ihren Gegensatz, den ungeformten Raum, abzeichnet. aus
nicht mehr die unwirtliche Leere, die wir uns nicht aneig- AhnJ}ch kann der Raum sich nur als Form zeigen, indem
nen können, die Negation unseres Erfahrungsraumes, son- er seine Oberfläche dem Massiv entlehnt, das ihn begrenzt,
dern die natürliche Umgebung, ganz bezogen auf das und dabei diesem seine eigene Form nimmt. So haben wir
Haus, das zwischen seinen Wänden unseren Erfahrungs- einerseits ein Massiv, das sich als sichtbare Form vor dem
raum birgt. Hintergrund des ungeformten Raumes abzeichnet ' ande-
Der begrenzte Raum, den wir auf unser Dasein bezie- . .
rerse1ts emen Raum, der eine sichtbare Form auf Kosten
hen, hat dem unbegrenzten Außen Platz gemacht, das auf der Form des begrenzenden Massivs annimmt.
das Innen des Hauses bezogen ist. Auch hier begegnen wir einem Konflikt, den die Archi-
tektur lösen muß: die Formen von Raum und Massiv müs-
6. Den Raum um uns beziehen wir nicht nur dadurch auf sen nebeneinander vorkommen, ohne einander auszu-
uns, daß wir uns in ihm fortbewegen, sondern auch, indem schließen; die beiden Formbilder müssen miteinander zu
wir uns ein Bild von ihm machen. Wir sind nicht nur leben- einem Ganzen mit zwei positiven Termen verschmelzen.
dig, so daß wir uns fortbewegen können, sondern verfügen Der ungeformte Hintergrund, vor dem sich die massive
auch über Sinnesorgane, durch wir Eindrücke aufnehmen Form der Wand abzeichnet, muß mit dem geformten
können die wir als Bilder zum Zwecke unserer Verstan- Raum zusammenfallen, wie seinerseits das Massiv von
'
destätigkeit aufbewahren. welchem der Raum seine Form entlehnt, mit der gefo;mten
Diese Bilder beruhen volJständig auf der Form, die die Wand zusammenfallen muß.
Dinge haben. Der unbegrenzte Raum, in dem wir uns be- _Wir_habe~ gesehen, daß die beiden Raumbilder, jedes Das Binom
finden, hat jedoch keine Form und ist folglich unsichtbar. mit semer eigenen Negation, miteinander verschmelzen, Voll-Hohl
Er wird erst in dem Augenblick sichtbar, in dem er dem
RAUM, FORM UND GRÖSSE II.8 II.9 RAUM, FORM UND GRÖSSE 19
18
um die beiden positiven Terme des architektonischen daher, daß der Form der Wand die größte Aufmerksamkeit
Raumes zu geben: das Innen und das Außen. Weil in entgegengebracht wird. So wie wir in bezug auf die Ausbil-
diesem architektonischen Raum auch beide Formbilder dung des lnnens von architektonischem Raum sprechen,
zusammenfallen, wird das Raumbinom Innen-Außen können wir hier von architektonischerForm sprechen.
durch ein Formbinom bereichert, das wir Voll-Hohl nennen
werden. Sowohl das Voll als auch das Hohl haben nun 9. Es ist nun zu beachten, daß wir das Innen des architek- Das Innen
tonischen Raumes nacheinander auf zwei verschiedene als Raum
einen eigenen positiven Wert bekommen. Doch wie das und als
Außen gänzlich auf das Innen bezogen ist, so ist hier das Weisen betrachtet haben. Form
Hohl, die Form des Raumes, vollständig auf das Voll, auf Im Binom Innen-Außen spielt das Innen die aktive Rolle:
die Form des Massivs, bezogen. Der Raum erhält seine Wir machen das Innen, indem wir es abgrenzen, und
Form und somit seine Sichtbarkeit durch seine Bezogenheit dadurch entsteht das Außen, das ganz auf das Innen bezo-
auf die Form der Wand. gen ist. Diese Betrachtung betrifft den Raum, insofern wir
ihn durch unsere physische Anwesenheit und unsere Be-
8. Diese Betrachtungsweise stimmt völlig init dem wegung in ihm erfahren.
zweifachen Tempo des technischen Bauprozesses überein: Im Binom Voll-Hohl jedoch spielt der Innenraum eine
massive Elemente, dem unbegrenzten Massiv der Erde ent- völlig andere Rolle. Der Raum wird hier nicht betrachtet,
nommen, werden zu Wänden zusammengesetzt, und mit- insoweit wir ihn erfahren, sondern insofern wir uns in un-
hilfe dieser Wände werden begrenzte Räume dem unbe- serem Vorstellungsvermögen ein Bild von ihm machen. Die
grenzten Raum der Natur entnommen. Sowohl das Massiv Form der Wand hat hier die aktive Rolle, während der
als auch der Raum verdanken ihre Form ihrer Begrenzt- Raum völlig passiv ist; wir formen die Wände, und von
heit, aber die Begrenztheit des abgeteilten Raumes ist gänz- ihnen muß der Innenraum, der zwischen ihnen entsteht,
lich abhängig von der des Massivs. Die Wände werden seine Form erhalten.
gemacht, der Innenraum entsteht. Unter dem Aspekt der Sichtbarkeit ist der Innenraum
Weil der Raum von der Wand abhängig ist, kann die völlig auf die Wand bezogen, so wie unter dem Aspekt der
Form des Raumes gleichsam neben der des Massivs liegen, Bewohnbarkeit das Außen auf das Innen bezogen ist. In be-
ungeachtet der Tatsache, daß jede Form nur dank der zug auf die beiden Terme des Binoms Innen-Außen ist die
Ungeformtheit ihrer näheren Umgebung bestehen kann. Wand nur der begrenzende Faktor; in bezug auf das Binom
Der Schlüssel dazu liegt darin, daß die Form des Massivs Voll-Hohl ist sie selbst einer der beiden Terme, und die
aus der wechselseitigen Entsprechung gegenüberliegender Oberfläche des Volls ist hier der begrenzende Faktor.
Flächen entsteht, während die Form des Raumes aus der
wechselseitigen Entsprechung der gegenüberliegenden 10. Es gibt noch eine dritte Weise, auf die wir mit der
Formen der Wände entsteht. räumlichen Gegebenheit in Berührung kommen; der Ver-
Der architektonische Raum macht den natürlichen stand will über die räumliche Ausdehnung informiert wer-
Raum bewohnbar, indem er in seiner Mitte zustande den, und das geschieht durch ihre Quantität. Auch hier muß
kommt· die Form der Wand macht den architektonischen das Haus die vermittelnde Funktion erfüllen, die sein
Raum ~ichtbar, indem sie ihn abgrenzt. Die Funktionalität wesentlicher Zweck ist, nämlich unsere vollständige phy-
des Hauses auf der Ebene der Sinneswahrnehmung fordert sische, sinnliche und verstandesmäßige Versöhnung mit
20 RAUM, FORM UND GRÖSSE Il.11 Il.12 RAUM, FORM UND GRÖSSE 21

dem natürlichen Raum. Wie wir uns des Zeitablaufs durch messen; zunächst können wir mit der Einheit ein stab-
die Ereignisse bewußt werden, die in der Zeit stattfinden, förmiges Volumen messen, dann mit diesem Stab ein plat-
können wir durch die Gegenstände, die im Raum angeord- tenförmiges Volumen und schließlich mit dieser Platte das
net sind, die räumliche Ausdehnung messen und dadurch große blockförmige Volumen. Wir kennen dann die Größe
kennen. dieses Volumens durch seine dreifache Relation zur Einheit,
Die Quantität der Dinge, sowohl ihre Größe als auch ihre mit anderen Worten durch seine Höhe, Länge und Breite.
Menge, läßt sich jedoch nicht direkt erfassen. Sie ist un- Alle drei sind lineare Relationen zu einer der Dimensionen
serem Verstand nur mittels der Zahl zugänglich, d.h. durch der Volumeneinheit. Die Größe des Volumens als solche
ihr Verhältnis zu einer an sich bekannten Einheit. entgeht uns.
Die Einheit für die diskrete Quantität, die Menge der
Dinge, ist durch die Natur der Zahl selbst gegeben: es ist die 12. Die Quantität von Raum und Massiv stellt sich im-
individuelle Einheit der Dinge, die wir zählen. Die Quan- mer als die Quantität einer dreidimensionalen Gegebenheit
tität der räumlichen Gegebenheit ist aber nicht diskret, son- dar und ist als solche nicht erkennbar. Wir können nur
dern kontinuierlich; es geht nicht um eine Menge, die wir lineare Größen messen, doch diese können nicht an und (ür
zählen, sondern um eine Größe, die wir messen. Die Ein- sich bestehen. Wiederum begegnen wir einem Konflikt -
heit für diese Quantität muß künstlich festgesetzt werden, dieses Mal auf verstandesmäßiger Ebene -, der nun eben-
indem eine bestimmte Größe als unteilbares Ganzes falls durch das Haus gelöst werden muß.
betrachtet wird. Wenn dann die Größe der Dinge als eine Wie zwei Raumbilder und zwei Formbilder sich auf den Unrmß-
arithmetische Relation zu dieser festgesetzten Einheit aus- niedrigeren Ebenen von physischer Erfahrung und sinn- baresreales
gedrückt wird, ist sie uns durch die Zahl gewissermaßen licher Wahrnehmung jeweils ergänzen müssen, so müssen Vo/urmn
und meß-
bekannt. hier zwei entgegengesetzte Aspekte der Quantität aufein-
bare i"ea/e
ander abgestimmt werden: einerseits die nicht meßbare, Linie
11. Die Maßeinheit muß natürlich von derselben Art sein dreidimensionale Realität, andererseits die nicht reale, aber
wie das, was damit gemessen wird: wir messen das Gewicht meßbare Linie.
mit einer Gewichtseinheit, die Länge mit einer Längenein- Die Linie kann in der dreidimensionalen Realität nur da
heit. Der Raum und das Massiv der Wände müssen folglich erscheinen, wo zwei flache Begrenzungen eines massiven
mit einer Volumeneinheit gemessen werden. Um zu mes- Volumens aufeinandertreffen. Das Quadern der architek-
sen, müssen wir diese Einheit sukzessive - folglich in eine tonischen Form der Wand ist daher der logische Weg, den
einzige Richtung - aneinanderfügen. Von den drei Dimen- der Quantität eigenen Konflikt zu überwinden. Die gerade
sionen der Einheit gebrauchen wir daher nur die eine, die Linie erscheint dann als die Begrenzung von Flächen, die
mit der Richtung übereinstimmt, in die wir messen. So selbst das Volumen begrenzen. Und da die drei Dimen-
können wir mit einer blockförmigen Einheit nur ein stabför- sionen Höhe, Länge und Breite hierdurch als Linien sicht-
miges Volumen messen; diese Messung wird dann als ein bar geworden sind, bringt uns das Maß dieser Linien in-
lineares Verhältnis zu einer der Dimensionen der Einheit direkt mit der Größe des Volumens in Berührung.
ausgedrückt. So wie der Raum der Natur mittels des architektonischen
Um ein blockförmiges Volumen mit einer blockförmigen Raumes bewohnbar und dieser durch die Form der Wand
Einheit zu messen, müssen wir dreimal hintereinander sichtbar und vorstellbar gemacht wird, so wird schließlich
22 RAUM, FORM UND GRÖSSE 11.13 II.15 RAUM, FORM UND GRÖSSE 23
die Quantität jener Form unserem Verstand durch die ihrem ~olum~n. Raum, Form und Größe spiegeln dann im
lineare Größe der Begrenzung ihrer Oberfläche enthüllt. Haus die drei Ebenen des menschlichen Daseins wieder
Hier müssen wir von architektonischerGrößesprechen. ~nd E~f~rung, Wahrnehmung und Erkenntnis finde~
1hrerse1ts 1m Haus die Stütze, die sie benötigen.
Das Tn·- 13. Das Volumen wird nicht direkt durch die Linie, son-
nom linie- dern nur über die Fläche begrenzt. Wir kennen die Größe
Fläche- eines Volumens über die Größe seiner begrenzenden Ober-
Volumen
flächen, die wiederum ihre Größe dem Maß der sie begren-
zenden Linien entlehnen. Daher treffen wir hier nicht auf
ein Binom wie bei Raum und Form, sondern auf ein Tri-
nom: Linie-Fläche-Volumen. Durch das Zusammengehen
dieser drei Elemente in der gequaderten Form des Massivs
wird der dem Maß eigene Konflikt gelöst.

Die Wand 14. Wie der abgegrenzte Raum kann auch das Massiv
als Form der geformten Wand auf zwei verschiedene Weisen be-
und als
Quantität
trachtet werden. Im Binom Voll-Hohl spielt die Form der
Wand die aktive Rolle: die Wände werden geformt und der
Raum, der zwischen ihnen entsteht, muß seine eigene Form
diesem geformten Massiv entlehnen. Unter dem Aspekt der
Sichtbarkeit ist das Innen völlig abhängig von der Form der
Wand. Doch beim Abschätzen der Quantität dieser mas-
siven Form spielt das Volumen dieser Form nur eine pas-
sive Rolle. Im Trinom Linie-Fläche-Volumen ist die Linie
das aktive Element; sie ist es, die direkt gemessen wird, und
es ist das Maß der Linie, dem das Volumen mittels seiner
Oberfläche die Erkennbarkeit seiner Größe verdankt.

15. Der dreifache Kontakt unseres menschlichen Daseins


mit der räumlichen Gegebenheit der Natur - die physische
Erfahrung des Raumes, die sinnliche Wahrnehmung der
Form und die verstandesmäßige Abschätzung der Größe -
gibt also Anlaß zur Ausbildung eines architektonischen
Raumes mit seinem Innen und Außen, einer architek-
tonischen Form mit ihrem Voll und Hohl und schließlich
einer architektonischen Größe mit ihrer Linie, Fläche und
III.2 INNEN UND AUSSEN 25
2. In dieser Lektion wenden wir uns dem Raum zu, den
wir durch unsere Bewegung in unser Dasein einbeziehen.
Unfähig, sich zu bewegen, scheinen unbelebte Dinge nur
den Raum zu beanspruchen, den sie materiell einnehmen.
Aber tatsächlich sind sie in das Ganze des natürlichen
III Raumes einbezogen. Durch ihr Gewicht streben sie
danach, einen möglichst niedrigen Ort einzunehmen, um
INNEN UND AUSSEN zusammen mit dem Massiv der Erde den ganzen Raum zu
beherrschen.
Als materielle Wesen teilen wir diesen Zustand und sind
1. Die räumliche Gegebenheit der Natur, in die wir auf-
in gleicher Weise Teil des Erdmassivs, an das wir durch
genommen sind - das Massiv der Erde un~en und ?er Raum unser Gewicht gebunden sind. Wenn die Lebensäußerun-
der Luft darüber -, beziehen wir für emen Teil auf uns gen im Schlaf auf ein Minimum reduziert sind, liegen auch
selbst: einen Teil, dessen Mittelpunkt wir durch unse~e wir wie unbelebte Dinge auf der Erde. Beim Erwachen
Anwesenheit sind. Dies folgt aus der Tatsache,_ daß wir richten wir uns jedoch sofort auf: unser Leben manifestiert
einen Teil der homogenen Ordnung der Natur bilden und sich gerade in unserer Fähigkeit, uns aufzurichten und zu
uns zugleich von ihr unterscheid~n. . . bewegen und so der Abwärtsbewegung entgegenzuwirken,
Menschliche Als lebende Wesen können wir uns teilweise von den die durch das Gewicht verursacht wird.
Freiheitim Kräften befreien, die die unbelebte Natur z~sammen-
natürlichen halten. Wir können unsere Gliedmaßen trotz ihre~ Ge- 3. Der Körper besteht aus dem Rumpf und den Glied- Beherr-
Raum wichtes bewegen und so der Schwerkraft entgegenwirken;
maßen und ist durch den Kopf mit seinen Sinnesorganen schungdes
wir können uns außerdem fortbewegen und sind daher ausgezeichnet. Bei der Bewegung verhält sich der Rumpf Raumes
nicht an den einen Ort gebunden, den wir mit unserem als statischer, die Gliedmaßen als dynamischer Teil: die durch die
Bewegung
Körper einnehmen. . . Arme und Beine bewegen sich in bezug auf den Rumpf, der
Wir können nicht nur jeden beliebigen Ort auf der Erde in Ruhe bleibt.
einnehmen dank der Beweglichkeit unseres Körpers, son- Im Gegensatz zu den vierbeinigen Tieren, die ihre
dern uns auch durch unsere Sinne und unser _Y orstellung~- Vorder- und Hinterläufe in einer ziemlich ähnlichen Weise
vermögen ein Bild von der Form machen, _d1eda~ Massiv gebrauchen, gebraucht der Mensch seine Arme und Beine
im Raum annehmen kann. Wir können dieses Bild sogar sehr verschieden: mit ersteren handelt er, mit letzteren geht
festhalten, ohne anwesend zu sein; obwohl es völli_gvon ~er er. Die Bewegung des Handelns ist der durch das Gewicht
realen Form in der Natur abhängig ist, befre~t es s~ch verursachten Abwärtsbewegung ganz entgegengerichtet,
davon, indem es in unserem Vorstellungsvermogen eme während die Bewegung des Gebens eine Koordinierung
eigene Existenz erhält. . . dieser Abwärtsbewegung mit der freien Aufwärtsbewegung
Schließlich können wir durch unseren Verstand Ems1cht des Lebens ist.
in die räumliche Ausdehnung erlangen, eine Einsicht, _d~_e Indem wir abwechselnd Halt auf dem Boden suchen und
sogar frei von Bildern ist, da sie nur auf der Quantitat uns von ihm erheben, bewegen wir nicht nur die Beine in
beruht. bezug auf den Rumpf, sondern auch den ganzen Körper in
26 INNEN UND AUSSEN 111.4 111.6 INNEN UND A USSEN 27

bezug auf die stabile Umgebung. I?dem wir gehen, b~- Weise und können so unser Handeln und Gehen in ihm
freien wir den ganzen Körper von seiner Verwurzelu~~ ~n situieren.
einem Ort. So wie die Gliedmaßen sich von der Stabilitat Wir sehen mit zwei Augen, die uns durch ihren Abstand
des Rumpfes durch eine Bewegung befreien, die_ vom voneinander zwei verschiedene Bilder auf einmal liefern,
Rumpf selbst ausgeht, so ist der Körper als ganzer m der jedes unter einem eigenen Blickwinkel; indem wir diese
Lage, sich von der Stabilität der Umgeb~mg eb~? ..dank beiden kombinieren, bekommen wir eine Vorstellung von
dieser Stabilität zu lösen. Wir brauchen die Stabihtat des der Entfernung. Landvermesser ermitteln große Entfer-
Rumpfes, um unsere Gliedmaßen zu bewegen; .. wir nungen in genau dieser Weise durch Dreiecksaufnahme
brauchen die Stabilität der Umgebung, um unseren Korper auf der Basis eines festgelegten Abstandes zwischen zwei
von einem Ort zum anderen zu bewegen. Punkten. Beim Sehen dient der Abstand zwischen den
Augen als festgelegte Basis; indem wir beide Blickwinkel in-
4. Diese beiden Formen von Bewegung - Handeln und stinktiv kombinieren, können wir jede Entfernung vor uns
Gehen - verbinden sich im Leben auf unterschiedlic~e abtasten.
Weise. Wir können stehend oder sitzend handeln, und wir Da die Linse des Auges beweglich ist, können wir unse-
können gehen, ohne zu handeln; wenn wir im ~ehen _die ren Blick zudem auf verschiedene Entfernungen scharf ein-
Arme bewegen, geschieht das nur, um uns~r Gle~chgev.:icht stellen und so unseren Sichtkontakt zu unserer Umgebung
zu halten. Daneben erfordern viele Tätigkeiten em gewisses verstärken. Mit dem Blick können wir gleichsam einen
Maß an Umhergehen, und das U m~ergehen. ist ?ft mit langen Weg durchlaufen, von nahe bis weit entfernt, bis zu
irgendeiner Handlung verbunden - wie z.B. beim saenden einem Punkt, an dem wir die Entfernungen nicht mehr zu
Landmann. unterscheiden vermögen.
Raum Der Raum der für alle diese Bewegungen nötig ist, ist Wenn diese Sicht mit der Bewegung der Augen, des Das
far das um so größe;, je mehr gegangen, und um so kleiner, je Kopfes und des Körpers kombiniert wird, erweitert sich den Gesichtsfeld
Handeln mehr gehandelt wird. Daher ist d~r Erfahrungsraum, d~n
und Raum Teil des Raumes, den wir mit unserem Blick beherrschen,
wir in unser Dasein einbeziehen, mcht homogen; er enthält auf das ganze Gesichtsfeld um uns herum.
far das
Gehen
eine intime Zone für das Handeln und eine weitere Zone für
das Gehen. 6. Die Bewegung der Gliedmaßen entwickelt sich zur Be-
wegung des ganzen Körpers, indem sie auf dem unbe-
5. All diese Bewegungen werden durch die ~inne geleitet, weglichen Boden Halt findet; die Sicht unserer beiden
vor allem durch die Augen. Wir können gewisse Handlun- Augen entwickelt sich zum ganzen Gesichtsfeld, indem sie
gen noch im Dunkeln durch Ta_sten ausführen, doch_ u~ sich die Bewegung des Körpers zunutze macht.Jede höhere
zielbewußt zu gehen, brauchen wir unsere Augen, damit sie
Manifestation unseres Seins muß auf einer niedrigeren auf-
uns den Weg zeigen. . . bauen, um sich voll entwickeln zu können. Deshalb sind
Es ist zu beachten, daß das Sehvermögen hier mcht dazu
auch die Zonen unseres Erfahrungsraumes, die den
dient Bilder für einen verstandesmäßigen Gebrauch zu
Manifestationen unseres lebendigen Daseins entsprechen,
sam~eln sondern dazu, unsere Bewegungen unter der
wesentlich aufeinander bezogen; wir müssen den Geh-
Führung 'des Verstandes zu leiten. Durch d_iese~visuellen
Raum als eine Erweiterung des Handlungs-Raumes und
Kontakt beherrschen wir den Raum auf eme uberlegene
28 INNEN UND AUSSEN III. 7 IIl.8 INNEN UND AUSSEN 29

das Gesichtsfeld als die volle Entfaltung des Geh-Raumes jedoch, daß unser Erfahrungsraum verschiedene Zonen hat;
betrachten. darum werden mehrere Abgrenzungen benötigt, so daß der
Dreifacher Der Erfahrungsraum ist also zusammengesetzt - eine architekt~nische_ Raum notwendig zusammengesetzt ist.
Erfahrungs- Superposition von zunehmend größeren Räumen: einem Daher ist es mcht genug, nur den intimen, für das Han- Dreifache
raum Handlungs-Raum, einem Geh-Raum und einem Gesichtsfeld, dein benötigten Raum abzugrenzen. Wir können uns wohl Abgrenzung
wobei der kleinere immer im Mittelpunkt des größeren eine Zeitlang in diesen Raum zurückziehen, aber unver-
liegt. meidlich werden wir bald das Bedürfnis nach einem größe-
Die für die Entfaltung unserer physischen Vermögen ren Raum haben, in dem wir gehen können, und auch
notwendige Ausdehnung der Räume ist nicht an ein be- dieser muß mithilfe vertikaler Wände auf unser Dasein
stimmtes Maß gebunden. Sie hängt von einer subjektiven bezogen werden. Schließlich wird unser Gesichtsfeld auch
Bewertung ab, die nicht für jeden und unter allen B~- durch diese zweite Abgrenzung noch zu sehr beschränkt
dingungen dieselbe ist: der eine Mensch benötigt mehr, em und benötigt daher eine eigene, weitere Abgrenzung. So er-
anderer weniger; daher liegt sie im Bereich weiterer ode~ fordert die vollständige menschliche Behausung eine drei-
engerer Grenzen. Dies gilt mehr oder weniger für alle drei fache Abgrenzung des Raumes.
Zonen, so daß die Wechselbeziehung zwischen den Ausdeh- Diese drei räumlichen Abgrenzungen werden immer
nungen der drei Zonen ziemlich festgelegt ist; sie hängt von weiter, und die jeweils größere umschließt die kleinere.
der allgemeinen physischen Verfassung ab, die uns allen Nach außen hin nimmt die architektonische Wirkung der
gemeinsam ist. Abgrenzungen stetig ab, denn je weiter der Raum ist, desto
schwächer wird die orientierende Kraft der vertikalen
7. Die Dreigliedrigkeit des Erfahrungsraumes hat ihre Wand. In Relation zur Weite des Gesichtsfeldes oder sogar
Konsequenzen für die Architektur. Wir haben bereits gese- d~s Geh-Rau1?es ist die Höhe der Wand sehr gering und
hen daß die Funktionalität des Hauses darin besteht, daß bietet daher eme sehr schwache Basis für den Raum um
'
der architektonische Raum, der zwischen Wänden entsteht, uns, den wir auf uns beziehen.
und unser Erfahrungsraum ineinander passen. Wir habe~ Obwohl wir nun, nachdem wir uns eine Zeitlang im inti-
dieses Ineinanderpassen als eine Verschmelzung von zwei men Handlungs-Raum aufgehalten haben, diese weiteren
Raumbildern dargestellt. Auf der einen Seite haben wir den Räume aufsuchen, kann dies nicht für lange sein. Innerhalb
Raum der Natur, in dem ein begrenzter Raum zwischen der weiten Umgrenzung des Gesichtsfeldes, die das Innen
vertikalen Wänden freigesetzt wird, und auf der anderen von der Natur abtrennt, haben wir wieder das Bedürfnis
ein begrenztes Stück Raum in der Mitte der Natur, welches nach einer engeren Abgrenzung, die den Raum stärker auf
wir auf unsere Anwesenheit als seinen Kern beziehen. Wir unsere Anwesenheit bezieht.
haben gesehen, daß die Verschmelzung dieser beiden ~o ist die menschliche Behausung wie ein Spiel zwischen
Raumbilder zu dem Binom Innen-Außen führt: bewohn- drei Abgrenzungen, die sich wechselseitig hervorrufen und
bare menschliche Behausung innen, bewohnbar gemachter zurückweisen. Wir nennen sie der Ordnung ihrer Größe
natürlicher Raum außen. nach Zelle, Hof und Domäne.
Wäre unsere Raumerfahrung völlig undifferenziert,
würde eine einzige Abgrenzung ausreichen, um das abso- 8. J?a die ~rchitekto_nische Wirkung der drei Abgrenzun-
1ute Innen vom absoluten Außen zu trennen. Es ergibt sich gen mcht gleich stark ist, entsteht in jedem Fall ein anders-
30 INNEN UND AUSSEN III.9 Ill.9 INNEN UND AUSSEN 31
Sekundäre geartetes 'Innen'. Für den intimen Innenraum der Zelle ist daß sich die Zelle in der Mitte des Hofes und der Hof in der
&zie- der weitere Geh-Raum des Hofes ein Außen, verglichen
Mitte der Domäne befände. Wie das natürliche Außen die
hungen jedoch mit der großen Domäne gilt er als ein Innen. Die
.zwischen Domäne umgibt, würde dann die Domäne als ein sekun-
Innen und
dreifache Gliederung des absoluten Innen inmitten des ab- däres Außen den Hof und der Hof wiederum die Zelle um-
Außen soluten Außen der Natur führt uns also zu zwei sekundären geben (Abb. a).
Innen-Außen -Relationen: zwischen Zelle und Hof sowie . Dies ist jedoch nicht notwendig. Jeder begrenzte Raum
zwischen Hof und Domäne. hegt selbstverständlich im Mittelpunkt des natürlichen
Innerhalb des architektonischen Raumes spielt sich da- Raumes. Die Absicht der Architektur ist eben in der Mitte
her auf sekundärer Ebene dasselbe ab, wie zwischen dem des vertikal orientierten natürlichen Raumes ~it vertikalen
architektonischen Raum als Ganzem und dem natürlichen Wänden einen Raum abzugrenzen, der der horizontalen
Raum. Wir werden diesem Phänomen in bezug auf die Orientierung unseres Erfahrungsraumes als Basis dienen
Form und die Größe wiederbegegnen. Dies ermöglicht es
uns, innerhalb der Grenzen des begrenzten Raumes dessen b
Relation zum unbegrenzten Raum, innerhalb der Grenzen
des geformten Massivs dessen Relation zum ungeformten
Raum und innerhalb der Grenzen der gemessenen Quan-
tität deren Relation zur unermeßlichen Quantität in ver-

gleichbarer Weise zu erfahren und vor Augen zu haben. 1 '--------1 2'------..J

a
3 '------'--l

1 Zentraler Hof mit zentraler Zelle


2 Zentraler Hof mit periphererZelle
3 PeriphererHof mit zentraler Zelle
4 PeriphererHof mit periphererZelle

~ann. Beim absoluten Innen und Außen ist das Innen also
9. Die drei Zonen des Erfahrungsraumes sind konzen- immer in einer zentralen Position, doch beim sekundären
trisch: Der Handlungs-Raum ist vom Geh-Raum umge- Innen und _Außen muß dies nicht unbedingt der Fall sein.
ben, und diesen wiederum umschließt das große Gesichts- Jeder ~ch1tektonische Raum ist begrenzt, und wenn ein
feld. Es könnte naheliegend scheinen, daß auch die Ra~m m_ bezug au~ einen anderen als Außen wirkt, ge-
abgegrenzten Räume konzentrisch angelegt sein sollten, so sc~1eht _dies trotz semer Begrenzung und einfach, weil er
großer 1st.
32 INNEN UND AUSSEN 111.10 111.11 INNEN UND AUSSEN 33

Zentrale Der größere architektonische Raum hat durch seine von Mensch und Natur, sondern ist auch für die gegen-
und Begrenzung nicht nur ein Zentrum, sondern auch eine seitige Beziehung der Menschen untereinander von größter
periphere Peripherie, was beim unbegrenzten Raum der Natur nicht Bedeutun~. Das gemeinsame Wohnen in einer Zelle, einem
Disposition der Fall ist. Daher muß der kleinere Raum nicht unbedingt Hof oder emer Domäne bezeichnet und konsolidiert die un-
zentral angeordnet sein, sondern kann auch peripher terschiedlichen Beziehungen zwischen den Menschen auf
liegen. individuellem, familiärem und gesellschaftlichem Niveau.
Es gibt daher zwei Möglichkeiten: eine zentrale und eine
periphere Lage, sowohl der Zelle in bezug auf den Hof als 11. Die Zelle kann, besonders wenn sie groß ist, von
auch des Hofes in bezug auf die Domäne. Damit erhöht sich mehreren Menschen geteilt werden; trotzdem muß sie dem
die Anzahl möglicher Dispositionen des dreigliedrigen einzelnen den intimen Handlungs-Raum geben, den er um
architektonischen Raumes auf vier (Abb. b). sich herum braucht. Um jedoch eine große Gruppe unter-
zubringen, muß die Zelle so groß werden, daß sie die In-
10. Wir können den Raum, den wir um uns erfahren, mit timität, die der einzelne für sich selbst wünscht, verliert.
anderen teilen, was bei dem Raum, den wir mit unserem Dem architektonischen Raum wird dann eine seiner
Körper einnehmen, nicht der Fall ist. Jede massive Form wesentlichen Eigenschaften, seine dreigliedrige Natur, ge-
beansprucht ihren eigenen Platz unter Ausschluß aller nommen; es ist, als würde eine seiner 'Dimensionen' feh-
anderen. Aufgrund ihrer Materialität .schließen sich alle len, denn ohne die Zelle, die die intime Zone umschließt,
Formen wechselseitig aus, wobei der Mensch keine Aus- in der wir handeln, ist das Spiel der Abgrenzungen unvoll-
nahme bildet. ständig. Diese Schwierigkeit kann durch die Juxtaposition
Da wir einen bestimmten Raum in unser physisches einer Anzahl von Zellen überwunden werden, denn der Hof
Dasein einbeziehen, ist es jedoch möglich, den Raum in kann innerhalb seiner Grenzen mehrere Zellen enthalten.
gewisser Weise mit anderen zu teilen. Wir sagen, daß wir Lebt eine so große Gruppe von Menschen zusammen,
mit anderen zusammen an einem Ort sind, und mit 'Ort' da~ d~r Hof mit Zelle~ zugebaut werden muß, um jedem
meinen wir neben dem Raum, den wir selbst einnehmen, ~1tghed der Gruppe die erforderliche Intimität zu geben,
auch den Erfahrungsraum, den wir für unser Dasein bean- wird der notwendige Geh-Raum fehlen. Wieder liegt die
spruchen. Lösung in einer Juxtaposition, diesmal jedoch von Höfen
Da der Erfahrungsraum mehrere Zonen umfaßt, hat innerhalb der Domäne.
auch dieses Teilen von Raum verschiedene Stufen von In- Schließlich kann es sogar notwendig sein, mehrere
timität. Beim Teilen der Intimität desselben Handlungs- Domänen aneinanderzureihen, so daß eine möglichst große
Raumes oder beim Teilen desselben Gesichtsfeldes handelt Gruppe zusammenwohnen kann.
es sich um sehr verschiedene Weisen von Zusammensein;
wir können ein Gesichtsfeld mit vielen Menschen teilen, . 12. Die zentrale und periphere Dispositionen, die für Zentrale
einen intimen Handlungs-Raum jedoch nur mit wenigen. eme Zelle innerhalb des Hof es und für einen Hof innerhalb und
Zahl und Intimität verhalten sich hier umgekehrt propor- der_Do~äne möglich sind, geben Anlaß zu zwei ganz unter- periphere
tional. sch1edhchen Formen der Juxtaposition sowohl für die Juxta-
position
Der architektonische Raum, der den Erfahrungsraum Zellen als auch für die Höfe. Der verfügbare Raum ist
konsolidiert, bedeutet daher nicht nur eine Versöhnung merklich eher bei einer zentralenjuxtaposition erschöpft als
34 INNEN UND AUSSEN III.12 IIl.13 INNEN UND A USSEN 35

bei einer peripheren. Wenn z.B. die Länge und Breite eines e
Hofes das Vierfache der Zelle betragen, wird eine zentrale
Juxtaposition von zwei Zellen in beide Richtungen den Hof
bereits ernsthaft beeinträchtigen; bei einer dreifachen
Juxtaposition ist er beinahe vollständig zugebaut (Abb. c). □
1 ._____ ___, 2.__ ___ __. 3L..------'
C

EB 4 .____ □
__.___.

tl CJ □ □
Eine periphere Juxtaposition von vier Zellen läßt den Hof □ □
jedoch vollständig intakt und kann sogar auf eine zwölf-
□ □
fache Juxtaposition erhöht werden, ohne ihn zu beein-
trächtigen (Abb. d). Das gleiche gilt für die Disposition von
Höfen innerhalb der Domäne.

d 1 ZentralerHof mit zentralerZelle


2 ZentralerHof mit periphererZelle
3 ZentralerHof mit periphererJuxtaposition von Zellen
4 PeriphererHof mit zentralerZelle
5 PeriphererHof mit periphererZelle
6 PeriphererHof mit periphererJuxtaposition von Zellen
7 PeriphereJuxtaposition von Höfen mit zentralerZelle
8 PeriphereJuxtaposition von Höfen mit periphererZelle
9 Periphere
Juxtaposition von Höfen mit peripherer
Juxtaposition von Zellen
Zu den vier Fällen, die wir anläßlich der zentralen und
peripheren Disposition unterschieden haben, können wir 13. Die periphere Juxtaposition ist neben ihrer sozialen
nun fünf Fälle von peripherer Juxtaposition hinzufügen, so Notwendigkeit von großem Vorteil für die Architektur.
daß wir neun verschiedene Schemata erhalten (Abb. e). Liegt die Zelle peripher im Hof, dann übernimmt sie von
selbst einen Teil der Abgrenzung des Hofes. Durch die
36 INNEN UND AUSSEN III.14 Ill.15 INNEN UND AUSSEN 37

Juxtaposition von mehreren peripheren Zellen wird dieser Eine Juxtaposition von vier Domänen ist jedoch gut mög-
Anteil immer größer, bis der Hof schließlich vollständig lich, und in der Tat finden wir viele Städte, die in Viertel
durch Zellen abgegrenzt wird. eingeteilt sind, jedes mit seinem eigenen Platz, mit seinen
Innenhof Daraus ergibt sich eine Art Umkehrung: der Hof, der die lnnenhöf en und Zellen.
und Platz Zelle umschloß, als sie zentral lag, wird nun vollständig von
Zellen umschlossen: er wird zum Innenhof Ungeachtet der 15. Diese Kombination der peripheren Juxtaposition von Die Stadt
Tatsache, daß der Hof für jede einzelne Zelle ein Außen Zellen um den Innenhof mit der von Innenhöfen um den
darstellt, liegt er innerhalb des geschlossenen Kreises der Platz schafft die große Einheit des dreigliedrigen architek-
Zellen. Das gleiche gilt für Höfe innerhalb einer Domäne: tonischen Raumes. Dieser Raum, der unserer dreigliedri-
auch diese können in einer peripheren Juxtaposition an- gen Raumerfahrung entsprechen muß, kommt nun nicht
geordnet werden. Sie fungieren dann als Abgrenzung der länger durch unabhängige, konzentrische Abgrenzungen
Domäne, die sie wie ein Dorfpark oder eine Allmende um- zustande; dieselbe Wand, die die Zelle entstehen läßt,
schließen. bringt nun durch die Zelle den Innenhof und durch den In-
Wenn schließlich die Zellen peripher um die Höfe gereiht nenhof den Platz hervor. Solch eine hervorragende Disposi-
sind und diese wiederum um die Domäne, so wird die tion des architektonischen Raumes ist der Stadt eigen, in ~er
Domäne nicht mehr durch die Höfe abgegrenzt, sondern zum Nutzen einer größtmöglichen Zahl von Menschen der
durch die Zellen, die diese Höfe umschließen. Dieselben Erfahrungsraum von Handeln, Gehen und Sehen durch
Wände, die unmittelbar die Zellen umschließen, um- einen einzigen, dreifach gegliederten architektonischen
schließen nun indirekt über die Zellen die Höfe und über Raum zu einem sicheren Innen ausgebildet wird.
die Höfe auch die Domäne. Wir nennen solch eine um-
schlossene Domäne einen Platz.

14. Eine periphere Juxtaposition von Domänen ist aus-


geschlossen, weil der unbegrenzte Raum der Natur, in dem
die Domäne liegt, per definitionem keine Peripherie hat. In
bezug auf den natürlichen Raum ist die Domäne immer
zentral. Man kann sich jedoch eine zentrale Juxtaposition
von mehreren Domänen leicht vorstellen, obwohl eine
solche ihre Grenzen bat.
Bei der Zelle und dem Hof ist das Binom Innen-Außen
nur in sekundärer Form gegeben, doch bei der Domäne ist
es in seiner vollen Bedeutung von unbegrenztem Außen
und begrenztem Innen verwirklicht. Würde folglich bei
einer Juxtaposition von Domänen eine von ihnen von den
anderen so umschlossen werden, daß sie den Kontakt zum
unbegrenzten Raum der Natur verlieren würde, dann wür-
de sie ihren architektonischen Wert als Domäne verlieren.

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