Arkaden der Frührenaissance in der Toskana
Der perfekte Eindruck eines Platzes, der
allseitig mit den leichten Bögen der
Frührenaissance umstanden ist, ist
nirgendwo verwirklicht; am ehesten noch
der auf drei Seiten von Arkaden gesäumte
Florentiner Platz bei Ss. Annunziata. Sehr
störend wirkt hier allerdings das große
Denkmal des Medicifürsten in der
Platzmitte. Etwas störend wirken auch die
Verschiedenartigkeit des
Zusammenwirkens der Arkadenreihen mit
ihren Fassaden, sowie die Kombination
von Arkaden, Fassaden und vorgelagerten
Treppen.
Als gelungene Einleitung zur richtigen
Würdigung von Florentiner Arkaden
erscheint mir ein Textausschnitt aus
Hetzers „Italienische Architektur bestens
geeignet zu sein [T. Hetzer: Italienische
Architektur, S. 28ff.]:.
…Man kam zur Einheit des Raums,
indem man die Gesetze der Perspektive
entdeckte, man lernte die Dinge in ihrem
richtigen Verhältnis zueinander darstellen.
Man widmete sich dem Studium des
menschlichen Körpers, man gewann ein
Interesse an der tatsächlichen äußeren
Erscheinung des Irdischen. War das 14.Jh.
wesentlich spirituell gewesen, so wurde
jetzt die Vielheit und Mannigfaltigkeit des
irdischen Seins wichtig. In diesem Sinne
ist auch die Antike eine Lehrmeisterin des
15. Jhs. gewesen..
Die Architektur scheint als nicht
nachahmende Kunst an diesem Prozess
des Natürlichen keinen Anteil zu haben,
allein, wenn wir schärfer hinhören, so
vernehmen wir auch hier Töne, die in
Malerei und Plastik erklingen. Die
Gebäude treten zur Landschaft in eine
neue und entschiedenere Beziehung. Luft
und Licht und Sonne nehmen in der Halle Gestaltens, und nach
des Ospedale degli Innocenti [des Regelmäßigkeit strebt
Findelhauses] in ganz anderer Weise schon im 14. Jh. Die
ihren Wohnsitz als in der Loggia die italienische Architektur,
Lanzi. Während die Gebäude der Gotik in der Renaissance aber
Ausdruck einer inneren Welt oder des kondensiert
Gemeinwesens sind, sind die der Loggia dei Lanzi auf der
Piazza della Signoria Florenz
Renaissance Ausdruck des empfindenden,
von der Sinnlichkeit getroffenen
Menschen, dem auch das Göttliche in der
Form der sinnlichen Welt erscheint. So,
wenn man jetzt Licht und Luft in die
Kirchen haben will, wenn Alberti die
Fenster so hoch angebracht haben will,
dass man nur den Himmel sieht. Aber
eben den Himmel, das Sinnliche und
Sichtbare führt ihn zum Göttlichen, nicht
mehr die reine Vorstellung und Lehre…
Als ein zweites und in der Architektur
wichtigeres Moment der Renaissance
wollen wir die künstlerische Organisation,
die Ordnung betonen. Ordnung ist freilich
ein Wesenszug allen künstlerischen
 druck der Harmonie
und Vollendung, den
die Buten der
Renaissance in hohem
Maße erwecken, beruht
gerade auf dieser
künstlerischen Strenge.
Das

Bilder:

Oben: Findelhaus von Brunneleschi

Mitte: Vorhalle vor Ss. Annunziata

als zentrale Platzwand

Anthropozentrische.. allem unten: die Säulenhalle von Sangallo

d. Ä
Italienischen zugrundeliegend
– tritt in der Renaissance in

und konzentriert sich dieses Bestreben,

und vor allem, es wird den Künstlern be-
wusst. Die Renaissance wird sich ih-res
Schaffens bewusst, sie strebt bewusst
nach dem Schönen. Das Schaffen wird
von der Theorie begleitet. Mit Alberti
beginnen die großen Architekturtraktate,
die die theoretische Grundlage aller spä-
teren Architekten werden… Das Moment
der bewussten Gestaltung, der Überle-
gung, des Strebens nach dem Gesetzli-
chen ist einer der stärksten Eindrücke, den
man von den Bauten der Renaissance
empfängt, einer der wichtigsten Unter- eine besonders intensive Phase. Dass die uns in einem Raum der
schiede gegenüber der Gotik. Hieraus Architektur sich nach dem Menschen zu Renaissance, sei es
entwickelt sich ..die Lehre von den Ver- richten habe, dass die menschlichen Maße einem kirchlichen oder
hältnissen, die mit großer Konsequenz die Maße der Architektur seien, ist ein mit profanen, befinden.
und Strenge gehandhabt worden. Der Ein- vollem Be-
wusstsein
theoretisch
geäußerter
Gedanke..
Dass die
Architektur
vom
Menschen
ausgeht,
auf den
Menschen
Bezug hat, der Mensch als Maß aller
spüren wir Dinge, hier eine Skizze von
sofort, Leonardo da Vinci, die den
wenn wir Menschen mit
ausgebreiteten Armen in einen Kreis und ein
Quadrat einschreibt
Das Wohlbefinden, das uns ergreift, das
Gefühl, in den Raum hineinzugehören,
ihn zu erfassen, zu überschauen. Gegen-
über der Gotik auch hier Konzentration.
Der Mensch kommt in seinem Wert, in
der Erscheinung und Funktion ganz an-
ders zur Geltung. Er verliert sich nicht,
wird nicht erdrückt….
[Ein weiteres wichtiges Moment besteht
auch darin] den Fantasiecharakter der Re-
naissance zu erkennen, zu begreifen, dass
jeder Palazzo, jeder Zentralbau nicht je-
nen einfachen Charakter des Seins hat wie
bei den Alten, nicht rein gestaltete Mate-
rie ist, sondern eine Sichtbarmachung der
Einbildungskraft, ein Traum gleichsam
ist…
Dieses Ideenreich der Renaissance be-
wirkt, dass die Kunst nicht so völlig mit
der Materie in Harmonie ist wie im Alter-
tum, dass die Form nicht in demselben
Maße den Bedingungen des Stoffes und
des Gegenstandes angemessen ist, son-
dern als eine Idee dem Gegenstand aufer-
legt wird, und dass die einzelne Form, na-
mentlich das Detail, nicht mit derselben
Sinnlichkeit behandelt ist wie in der
Antike.
Die Renaissance unterscheidet sich aber
noch durch etwas anderes wesentlich von
der Antike und setzt die Gotik fort. Das
ist das vollkommen veränderte Verhältnis
zum Raum.
Die Renaissance hat das Bewusstsein vom
Raum, das von da an gültig geblieben ist,
das Bewusstsein vom Raum an sich, vom
Raum als der ordnenden Kategorie aller
Erscheinungen, als dem Bedingenden al-
ler Erscheinungen. Für die Antike ist der
Raum mit dem Körper gleichbedeutend.
Nur was Körper hat, existiert, der Raum
entsteht aus dem Beisammensein vieler
Volumina.
Die Renaissance hat die Linearperspekti-
ve gefunden, wodurch die Bedingtheit,
die Verbundenheit, die Einheit alles Sicht-
baren bestimmt wird. Die Renaissance
findet den Raum als das, was allen Er-
scheinungen übergeordnet ist.. Das ver-
änderte Verhältnis zum Raum muss sich
auch in der Architektur bemerkbar ma-
chen. Und tatsächlich ist dem so..
[ Das angenehme Gefühl, wenn man unter
den Arkaden des Findelhauses steht oder
sonst einer dieser Bogenhallen, das zum
Herumschauen, zum Wandeln im Schutz
der Bogenhalle, mit dem Rücken zur
Wand auf den Platz und die anderen
Gebäude darauf zu blicken, muss wohl
jeder selbst nachvollziehen; dabei gibt es
wirklich nur diesen einen Platz vor der
Kirch der Ss. Annunziata in Florenz, wo
die Bogenhallen einen auf drei Seiten
umgeben. ]
Bild unten:
Säulenhalle des ehem.
Klosters S. Paolo, Piazza S.
Maria Novella Florenz
[Sobald man S. Marco in Venedig, also
einen spätbyzantinischen Kirchenbau
betritt], versinkt die Welt, aus der man
kommt. Treten wir in einen Raum der
Renaissance, und sei es der strengste Zen-
tralbau, so bleibt man sich stets bewusst,
am allgemeinen Raum teilzuhaben. Die
Empfindung ist unmittelbar, die Gründe
dafür anzugeben, nicht ganz leicht. Es
mag an der Gliederung der Wände, des
gesamten Gebäudes liegen, an der Größe
der Fenster, an der Bewegung des Grund-
risses und Aufrisses. Betrachtet man
Grundrisse von Zentralbauten der Renais-
sance und solche aus der römischen Anti-
ke und der byzantinischen Kunst – und es
gibt sher ähnliche – so wird schon im
Grundriss ersichtlich, wieviel inniger die
Renaissance die einzelnen Räume unter-
einander verbindet, wie sie Mauern und
Pfeiler leichter hält, wie sie die einzelnen
Teilräume gegeneinander öffnet, wo die
Antike und die byzantinische Kunst ab-
schließen, wie der Raum fluktuiert und
durch diese Bewegung sich mit dem Au-
ßenraum verbindet..
Dieses Verwachsen nun des Innenraumes
mit dem Außenraum beginnt bereits in der
Gotik sich anzukündigen..
Die Auflösung der Mauern, die die Gotik
vollzieht, das Fließende und Gleitende
ihrer Bewegungen, das Moment der Be-
wegung überhaupt, wie es sich in den
Pfeilern und Rippen ausdrückt, bereitet
die Vereinheitlichung des Raumes vor.
Wir dürfen also die Gotik nicht als eine
Intermezzo in Italien betrachten, das auch
hätte wegbleiben können… wir müssen
sie vielmehr als einen der Faktoren be-
trachten, die wesentliche an der Renais-
sance geformt haben. Was die Kuppeln
Brunelleschis und Michelangelos von den
antiken unterscheidet, ist auch dies, dass
das gotische Rippengewölbe
dazwischenliegt….
Der sehr auffällige Fries aus farbiger Ke-
ramik am Krankenhaus in Pistoia aus der
Werkstatt der Robbia bringt – im Gegen-
satz zu den sehr zurückgenommenen
Friesen am Florentiner Findelhaus und an
den Arkaden von S. Paolo auf der Piazza
vor S. Maria Novella eine zu große
Aufdringlichkeit in die Fassade. Auch die
direkt oberhalb des farbigen Bandes
aufgesetzten Fenster stören die Ruhe der
Fassade. Unberücksichtigt bleiben hier
auch die zahlreichen Innenhöfe.
Bild unten:
Ospedale des Ceppo, Pistoia
Arezzo, Sta Maria delle Grazie
Hetzer: Italienische Architektur, S. 100:
Als letzte der Florentiner Vorhallen des
Quattrocento die der Kirche Sta Maria
delle Grazie in Arezzo. Die kleine
mittelalterliche Kirche tritt hinter dieser
Vorhalle ganz zurück, die Vorhalle
besteht um ihrer selbst willen, scheint der
Freude ihr Dasein zu verdanken, ein so
schönes, meisterlich beherrschtes Motiv
in eine reizende Umgebung zu stellen.
Vasari schreibt diese Vorhalle dem
Benedetto da Maiano zu. Die Vorhalle ist
der Inbegriff des Lichten, Offenen,
Durchsichtigen. Bei aller Offenheit
entsteht jedoch ein vollkommen klar
umgrenztes körperliches Gebilde, im
Gegensatz zu Oberitalien nicht von jener
Offenheit, die Weite ist und das Gefühl
des Unbegrenzten, Unendlichen erweckt.
Der Grundriss ist der eines Rechtecks, 2:7
Arkaden, wobei aber zu bemerken ist,
dass die Arkaden der Schmalseite weiter
gespannt sind. Eine Freiheit, die sich
Brunelleschi wahrscheinlich nicht erlaubt
hätte. Die ganze Vorhalle ist um eine
Stufe über den Erdboden erhöht. Auf
vergleichsweise stämmigen Säulen sitzt
ein sehr hoher Kämpfer mit weit
ausspringender Deckplatte. Darauf erst
die Bogen. Unmittelbar über den Bogen
folgt der Architrav, dann ein Fries mit
Fruchtkränzen, ein Gesims und ein weit
vorspringendes Dach. Die
Zwickel mit Kreisen, Wappen und
Rankenornamenten geschmückt. Das
Ganze von den Hallen, die wir bisher
gesehen haben, abweichend. Ein mehr
kapriziöser und nach Originellem
strebender Geist.
Das Motiv des Kämpfers von
Brunelleschi in San Lorenzo angegeben,
hier durch überstrake Betonung zu einem
geistvollen, eleganten Einfall gemacht.
Eine Schärfung und Spannung, wie sie
überhaupt in der fortschreitenden
florentinischen Entwicklung sich findet…
Das Elastische des Florentinischen hier
ganz besonders zutage tretend. Der
Kämpfer wird hier zu einem
selbstständigen Teil, der sich zwischen
Säule und Bogen schiebt. Er ist nicht
mehr, wie bei Brunelleschi, auf engste mit
der Säule verbunden...Ganz ausgezeichnet
sind die weit vorspringenden Platten
berechnet. Nur eine Kleinigkeit kleiner,
und der Bau würde unmöglich, die
Vertikalen wüchsen ins Unendliche, die
Bogen würden zu voll in ihrer
Schwingung, der Kontakt mit dem Dach
ginge verloren. Die Vorhalle ist eine sehr
sichere Leistung, von einer Munterkeit,
einem Geist, der fast ans Unverfrorene
streift. In der Schärfe und Spannung der
Konturen, in dem bewegten,
reichfüllenden Ornament zeigt sich der
Geist des späteren 15. Jahrhunderts.