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Falkenstrasse 1 8630 Rüti

Predigt vom 02. Dezember 2007

Er-wartung heisst, dass man etwas ihr Leben auf einer geraden Linie (d.h.
erreicht dadurch, dass man wartet. ohne Pendeln zwischen An– und Ent-
Das ist ein furchtbar unmoderner Ge- spannung) führen würden, sind wir!“
danke! Wir wollen doch gerne etwas sagte er und grinste lausbübisch. Als
tun, damit wir ans Ziel kommen, nicht ob er damit ein kleines Geheimnis
nur „warten“! Wir sind es gewohnt, zu verraten hätte. Und fast denke ich, er
er-ringen, er-streben, er-arbeiten, hätte recht. Wir wollen doch alle ger-
aber nicht zu er-warten! „Warten“ ist ne „Macher“ sein, oder?
„Nichtstun“ - oder?
Ich war einmal auf einer Konferenz, Liebe Gemeinde, wenn ich so unser
wo ein Sportspezialist sprach, der den Gemeindeprogramm anschaue und
Führungskräften einen interessanten überlege, wie viele Sitzungen, Pro-
Ratschlag gab: Unser ganzes Leben gramme, Ereignisse und vor allem
hat Rhythmen. Egal, was man im Kör- Gottesdienste wir für das nächste
per anschaut, ob Atmung, Herz- Jahr schon geplant haben, dann be-
schlag, Muskelanspannung oder an- fällt mich vor allem ein Gedanke: Das
deres: Alles pulsiert, es gibt keine uns das nämlich mal sehr gut tut—
Körperteile, die ständig angespannt sich auf‘s Warten besinnen. Wir tun
sind und sich immer nur zusammen- etwas, wir tun sehr viel, und das ist
ziehen, irgendwann müssen sie sich auch richtig so, aber es ist gut, dass
auch einmal entspannen. Die einen uns Gott besonders einmal im Jahr
mehr, die anderen weniger, manche die Zeit der Besinnung schenkt: Das
in schnellerem Rhythmus, manche in Wesentliche kommt trotz allem nicht
langsamerem, aber alle pendeln sie von uns, sondern ist Geschenk von
zwischen Anspannung und Entspan- ihm. Draussen fällt der Schnee, wir
nung. „Die einzigen, die am liebsten kommen etwas schwerer voran und
freuen uns auf warme, gemütliche Schöpfers: Er und er allein hat gehan-
Abende zu Hause und auch unserer delt, zum Staunen und zur Verblüf-
Seele tut es wohl, wenn sie das Ge- fung aller Beteiligten.
genmittel gegen den frommen Stress
erhält: Wir spüren instinktiv die Sehn- Stellen wir uns die Szene doch einmal
sucht nach Ruhe, nach Einkehr, deko- vor, wie sich das plastisch darstellt:
rieren liebevoll zu Hause (gestern ha- Maria und Josef sind
ben David und ich mit grosser Freude
Schneefiguren mit Sprühschnee an
die Fenster gesprüht) und geniessen
den Gedanken, mal ein paar stille Ta-
ge zu Hause verbringen zu können.
Und genau das, was für den Arbeits- Der Theologe Johann Hinrich Wichern
ablauf gilt, hat auch für unsere Seele
Gültigkeit: Wir sind das ganze Jahr so
mit Planen und Durchführen beschäf-
tigt, dass uns die Zeit zum Atemholen
oft fehlt.
Advent ist die Gelegenheit, bei der wir
dazu in besonderer Weise eingeladen
sind: Innehalten und spüren, dass die
entscheidenden Dinge in unserem
(1808 - 1881)
Leben nicht von uns aus geschehen.
gab obdachlosen Kindern und Ju-
Wir können tun, machen, planen und
gendlichen im "Rauhen Haus", ein
durchführen—aber letzten Endes sind
von ihm 1833 eingerichtetes Hambur-
alle unsere Aktivitäten nur ein schwa-
ger Waisenhaus, neben der lebens-
cher Abglanz dessen, was uns an
wichtigen Versorgung die Möglichkeit,
unbändiger Liebe und barrikadenbre-
einen Beruf zu erlernen.
chendem Durchsetzungsvermögen
von Gott her entgegenströmt. Sein soziales Engagement kann nur
Vorbild für uns alle sein. Seiner Liebe
zu bedürftigen Kindern verdanken wir
Tun wir unserer Seele etwas Gutes einen der schönsten Adventsbräuche.
und gönnen wir uns etwas Unge-
Kerzenandachten und Singstunden im
wöhnliches: Strecken wir geistlich mal
Rauhen Haus waren stimmungsvoll
alle Viere von uns und denken wir uns
begleitet von unzähligen flackernden
ganz intensiv: „Was ich will, ist eigent-
Lichtern. 1839 ließ Wichern im Bet-
lich gar nicht wichtig. Was ich tue, ist
saal einen hölzernen Leuchter mit 23
eigentlich gar nicht so weltbewegend
Kerzen (19 kleine rote für die Werkta-
relevant, wenn es nur mein eigenes
ge und 4 große weiße für die Sonnta-
Tun ist.“
ge) aufhängen.

Zu Weihnachten und schon in der


Adventszeit werden wir mit hineinge-
nommen in das grenzenlose Staunen
der Kreatur über die Güte ihres
Jeden Tag vom 1. Advent bis zum
Heiligen Abend entzündete Bruder
Hansen (so ist es in Wicherns Tage-
buch festgehalten) eine weitere Ker-
ze.

Erwartung—und wir sind doch schon


mittendrin! 

 
Wolfgang v. Ungern-Sternberg
055 241 16 35
wolfgang.vonungern@chrischona.ch

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