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Ulrich Kobbe
Zusammenfassung
Das Langzeitklientel des Maliregelvollzugs stellt Geduld, Können und Ehrgeiz der Thera-
peuten auf eine immer wieder nur schwer erträgliche Probe. Denn fraglos kann nicht jeder
Patient "erfolgreich" behandelt werden. Diese Realität anzuerkennen, bedarf eines anderen
Verständnisses therapeutischer Wirksamkeit, Reichweite und Allmacht(sphantasien). Die
chronisch Kranken/Gestörten in ihrer geängstigten Verweigerung, paranoiden Gegenwehr,
aggressiven Trotzmacht, auch ihrem Symptom als stützendem drittem Bein ("Überbein"),
ohnmächtig anzunehmen, stellt Fragen an das therapeutische wie ethische Selbstverständnis.
Als psychoanalytische Erkenntnisfigur und diskursiver Interpretationsrahmen dienen hier
das Rätsel der Sphinx im Mythos des Ödipus und die Struktur der antiken Tragödie: Wenn
jedermann Ödipus ist. erscheinen Selbstbescheidenheit und Zuversicht versus Heilungsan-
spruch oder Fatalismus als psychologische Berufsaufgabe zwischen Scheitern und Erfolg.
Schlüsselwörter
Summary
Long-term Clients undergoing the Implementation of disciplinary measures constantly put the
patience, ability and ambitkm of therapists to the lest, which becomes increasingly ditficult
to bear. For it remains without question (hat not every patient can be 'successfully' treated.
To recognise this reality one requires a different understanding of therapeutic effectiveness,
reach and omnipotence. By way of their anxious refusal, paranoid resistance and aggressive
obstinacy, also accepting unconsciously their Symptom of the supporting so-called 'third leg'
(exostosis), those who are chronically ill or disturbed put to the question what is otherwise
therapeutically and ethically comprehensible. The mystery of the sphinx in the myth of
Oedipus and the structure of antique tragedy serves here äs a psycho-analytic recognition
pattern and discursiveframeworkfor Interpretation: If every man is Oedipus thenunassuming
modesty and trust appear versus the expectation of healing or fatalism äs the psychological
occupational task between failure and success.
WsFPIM.Jg. (1997) H. l l 17
Key words and phrases mehr auf den Erfinder, den Therapeuten also. Dieser mag sich aus der
aussichtslos erscheinenden Situation mit dem Kunstgriff zu befreien
chronic illness - myth of heing ahle to he healed - perversion - forensic psychiatry - the ethics suchen, daß er den Patienten als 'eigentlich' gesund, normal, nichtgestört
of therapy
o.a. phantasiert, wäre da nicht zusätzlich doch dieses lästige Symptom, das
sich als "päderastrisches Überbein" phantasieren und isolieren läßt.
Resume
La clientele chronique de l'internement medico-legal inet la patience, le savoiret l'ambition Als Überbein, das - so der Pschyrembel - eben nur Geschwulstbildung ist,
des therapeutes tuujours de nouveau ä une epreuve qui est difficile a supporter. Car il est ein im Grunde existentiell irrelevantes Körpersymptom, das unter Bela-
evident que non pas tout malade peut etre traite «avec succes». Pour reconnaitre cette realite, stung oder Druck auftritt, die Beweglichkeit des Gelenks schmerzhaft
une nouvelle comprehension de l'efficacite therapeutique, de la portee et des phantaisies einschränken und bei besonderen Gelenkstellungen hervortreten kann: In
d'omnipotence sont indispensables. L'exigence de prendre, d'une maniere evanouie, soins
des chroniques/troubles caracterises par un refus effraye, une resistance paranoide, une
ähnlicher Weise wird die pädophile Wahl des Sexualpartners nur in
puissance aggressive de depit et par leur Symptome comme troisieme Jambe appuyante besonderen Drucksituationen auffällig und verweist das Präfix "über"
(«exostose»), implique des questions sur l'ideal therapeutique et ethique. Le mystere du darauf, daß diese pädosexuelle Neigung aus therapeutischer Sicht sozusa-
sphinx d'Oedipe et la structure de la tragedie antique servent ici comme Symbole analytique gen über, übrig, ja geradezu überflüssig und lästig ist. "er ist mir ein
de la connaissance et comme cadre discursif pour l'interpretation. Si chacun est Oedipe, le
therapeute a l'Impression que sä täche psychoiogique est situee entre son auto-modestie et
Überbein", heißt es 1797 bei Sterz, der den Begriff zur Bezeichnung eines
son assurance d'une pari, et sä pretenion de guerir ou un certain fatalisme d'autre part; son bildlich als "überbeinigkeit" zu begreifenden Fehlers, kurzum für Wider-
travail est couronne de sucees ou voue ä l'echec. spenstigkeit benutzt (Dollmayr 1936, 138). Womit wir erneut zur Thema-
tik der sogenannten Therapieresistenz, auch zur feindseligen Ablehnung
Mots-Cles zurückkämen ...
maladie chronique - curabilite - perversion - psychiatrie torenesique - ethique therapeutique "Ist es denn nicht erlaubt,
gegen Subjekt, wie gegen Prädikat und Objekt,
nachgerade ein wenig ironisch zu sein?"
"Die Sage vom Phallus: (Nietzsche 1886, 39)
Stolz autgerichtet soll er die Angst verdecken,
die tiefer sitzt." Die Phantasie vom Über-Bein erschafft zugleich ein drittes Bein, das als
Dreibein an ein Stativ (von lat. stare = stehen) denken läßt und auf die
... es war ein Irrtum, das allzu komplexe Thema der bislang erfolglos Garantie einer sonst instabilen Statik hinweist, insofern transparent macht,
Behandelten zufriedenstellend oder gar erfolgreich in einen Vortrag daß dieser Patient mit einem dritten Bein zwar sicheren Stand erhält,
zwingen zu wollen. Ich will aber im folgenden die Programmatik des jedoch nur humpelnd gehfähig ist. "Wir wollen da doch etwas Neueres
Vortragstitels in einer Art "doppeltem Diskurs" (Devereux 1972, 11-12) beitragen und greifen zu einer Form, die Freud hinter sich gelassen zu
abarbeiten und verflochtene Diskursstränge zur Therapeutenposition, zur haben nie behauptet hat: zu der des Mythos" (Lacan 1960/64, 224). Denn:
Perversion, zum Mythos und zur antiken Tragödie entwickeln. Hierbei Mit diesem Bild des Dreibeins befinden wir uns inmitten des Mythos des
werde ich mir die latente Wahrheit im Unbewußten eines Therapeuten Ödipus, der während seiner Wanderschaft das Wagnis eingeht, das Rätsel
zunutze machen und zunächst mit dem Begriff des "päderastrischen der junge Männer und Jungfrauen verschlingenden Sphinx zu lösen. Das
Überbeins" beginnen 1 : Gefunden habe ich diese Wortneuschöpfung im aufgegebene Rätsel lautet:
Behandlungsplan eines Patienten, der als sogenannter "Kernpädophiler"
jede Behandlung seiner pädosexuellen Neigung verweigert, damit von "Vierfüßig, zwei- und dreifüßig ist es auf Erden,
vorn herein jede Teilnahme an einer Psychotherapie ablehnt und insofern doch eine Stimme nur hat es,
als "therapieresistent" gilt. Der terminus technicus verweist allerdings vertauscht seine Haltung allein von den Wesen,