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Weiterbildung vrierbare Masse, die nur eine ausführende


Rolle spielt, . . . Die Frustration, die Dequa-

Selbstverantwortliches lifizierung und die mangelnde Anerken-


nung der Arbeit, die sie leisten, ist einer
der Gründe, weshalb sich die Pfleger nach

Handeln lernen einer gewissen Zeit fast immer dareinfü-


gen, sich in Gefängniswärter und kleine
Bürokraten zu verwandeln, die unengagiert
Von Ulrich Kobbe, Salzkotten von oben kommende Befehle ausführen."

Aus-, Fort- und Weiterbildungen sind für sich genommen Maßnahmen der
Erwachsenenbildung, die der Deutsche Bildungsrat (1970, S. 51) wie folgt definiert:
Eigenständig und selbstverantwortlich
„Der Begriff der ständigen Weiterbildung schließt ein, daß ein organisiertes Lernen auf
spätere Phasen des Lebens ausgedehnt wird und daß sich die Bildungsmentalität Entsprechend sollen Schwestern und
weitgehend ändert. Die traditionelle Vorstellung von zwei Lebensphasen, die Pfleger dazu befähigt werden, eigenstän-
ausschließlich und voneinander getrennt, entweder mit der Aneignung oder mit der dig und selbstverantwortlich zu handeln.
Anwendung von Bildung zusammenfallen, wird abgelöst durch die Auffassung, daß sich Die inhaltliche Vorbestimmung des Berufs-
organisiertes Lernen nicht auf eine Bildungsphase am Anfang des Lebens beschränken bildes erfolgt so weitgehend durch den Ar-
kann." beitgeber/Träger, der Weiterbildungsricht-
linien erläßt und dezentral oder zentral
I(, "~'ner solchen offiziellen Begriffsbestürmung kommen Menschen, Sie und ich, also gar
Weiterbildungsstätten einrichtet. Abgese-
nicht vor: wir erscheinen wohl nur als Bestandteil, nicht als Subjekt der Weiterbildung.
hen vom Erwerb von Fähigkeiten, Fertig-
So werden im allgemeinen derartige Ausbildungen aus der Perspektive der Gesellschaft
keiten und bestimmten Fachkenntnissen,
als Qualifikation von Individuen für bestimmte pflegerische Aufgaben formuliert -
erstrecken sich Weiterbildungsleistungen
keineswegs aus der Sicht einzelner als Prozeß der Bildung einer Individualität, als
ebenso auf das Einüben von Erwartungen,
persönliche Weiterentwicklung (vergl. Kade 1982).
Verhaltensroutinen und kulturellen Orien-
tierungen.
Unter den Gesichtspunkten der Bedarfs- und verwaltungsmäßigen Maßnahmen
Hiermit sind sowohl Anpassungsleistun-
planung, Arbeitsorganisation und Wirt- überlassen bleiben. Die hierarchische Pyra-
gen an fortschrittliche Konzeptionen zu
schaftlichkeit wird die Aus-, Fort- und mide, die die tragende Struktur der Institu-
verwirklichen wie auch die Sicherung hier-
Weiterbildung von Pflegepersonal als Mit- tion bildet, muß durch sie in Frage gestellt
archischer Betriebsbedürfnisse.
tel zur Reform eingesetzt; sie ist offensicht- werden, die absolute Macht der Anstalts-
lich planbar, über die Köpfe der Betroffe- leitung muß eingeschränkt werden, die
nen hinweg (vergl. Finzen und Schädle- Macht der Ärzte muß stark reduziert wer-
den, und endlich müssen die Pfleger nicht Loyales Verhalten gefragt
j Hierarchische Pyramiden nur fachlich eine verantwortlichere Rolle
Theoretische und empirische Studien,
erhalten, sondern auch . . . eine Rolle, die
| sollten in Frage gestellt Selbstverwaltung und Kritik einschließt.
die sich auf die Erfahrung lernender neben
! werden! Generell sind die Pfleger in den psychiatri-
Absichten schuloffizieller Lernpläne bezie-
hen, relativieren die Bedeutung „offener"
schen Krankenhäusern eine riesige manö-
Deminger 1979, S. 220/221). Döraerund oder „offizieller" Lehrpläne (vergl. Snyder
Plog (1978, S. 413) sagen dies mit folgen- 1971 und Gintis 1971). Sogenannte „ver-
den Worten für die in der psychiatrischen steckte" Unterrichtspläne tragen demnach
Pflege Beschäftigten: „Es wird Sie viel- auch auf rein technisch orientierten Bil-
leicht wundern, daß wir dies zu den dungslehrgängen zur Verbreitung loyaler
Grundsätzen der Versorgung rechnen. Es Verhaltensorientierungen bei. Dies dürfte
ist aber eine der häufigsten und schwer- um so mehr gegeben sein, wenn Weiterbil-
wiegendsten Fehler der Versorgungspla- dungseinrichtung und Dienststelle dersel-
nung, zwar bauliche Strukturen zu verän- ben vorgesetzten Behörde unterstehen und
dern, jedoch nicht dafür zu sorgen, daß die der Erfolg letztlich das spätere berufliche
psychiatrisch Tätigen in ihrem Handeln Schicksal und damit die Lebenschancen
sich angemessen entwickeln können." des einzelnen beeinflussen kann. Nach
Gorz (1972) ist Weiterbildung als ein So-
zialisationsprozeß zu betrachten, der die
Selbstverwaltung und Kritik
Einordnung in die Betriebshierarchie und
Jerris (1978, S. 134/135) konkretisiert in begrenzte systemkonforme Erwartungen
dies in einer längeren Beschreibung für die bereits durch seine formale Bildungsorga-
Psychiatrie: nisation bewirkt. Auch Nuthmänn und
„Wenn die Erneuerung der Irrenanstalt Härtung (1973) weisen darauf hin, daß be-
eine reale und nicht mystifizierte Tatsache reits die Institutionalisierung der Weiterbil-
werden soll, darf sie nicht rein technischen dung „herrschaftsstabilisierend" sei.

Altenpflege 10/1985
Dementsprechend hängen „die Unter-
richtenden und Praxisanleiter in Weiterbil-
dungen sozusagen zwischen den gesell-
schaftlichen Anforderungen der betreffen-
den Einrichtung oder vorgesetzten Dienst-
stelle einerseits und den individuellen Er-

Weiterbildung umfaßt auch


kulturelle Orientierung.
Wartungen von Schwestern und Pflegern
nach wissensvermittelnder grunderfah-
rungsorientierter Erwachsenenbildung auf
der anderen Seite.

Verhaltensspielraum eingeengt
Innerhalb stationärer Einrichtungen sind
Beförderungsstellen rar, Hierarchien und
Dynastien zu beobachten, so daß für den Weiterbildung soll die Möglichkeit
einzelnen kaum Möglichkeiten des berufli- befreiten Arbeitens beinhalten
chen Vorwärtskommens gegeben sind.
Hier dürfte die Freistellung zur Weiterbil-
dung gelegentlich auch eine beruhigende Sinne konservativer pflegerischer Tätigkei- sern, nicht selten als Störfaktor empfunden
Funktion haben. D. h., es werden Hoffnun- ten mit Abgrenzung zu anderen Berufs- (vergl. Finzen und Schädle-Deininger 1979,
gen auf einen individuellen sozialen Auf- gruppen. Derartig den Handlungsspiel- S. 58). Zugleich sagte mir derselbe Direk-
stieg geweckt, andererseits bei denjenigen, raum begrenzende innerbetriebliche Maß- tor eines Landeskrankenhauses bei einer
die beruflich ohne Erfolg bleiben, die Vor- nahmen sind z. B. Anordnungen, institutio- Tagung der Aktion Psychisch Kranke in
stellung gefördert, dies durch persönliches nalisierte und z. T. ungeschriebene Nor-
Versagen oder mangelnde Fähigkeiten men und Arbeitsvorschriften, sogenannte Mangelnde Anerkennung
selbst verursacht zu haben. Sachzwänge. Nur so scheint der einzelne der Arbeit führt zu Frust!
Andererseits sind die Arbeitgeber nicht eine Gewähr dafür zu bieten, daß er Spiel-
Wunstorf zum Thema Aus-, Fort- und Wei-
immer in dem Maße an den Teilnehmern räume für Initiativen und eigene Entschei-
terbildung, eine Weiterbildungsstätte, die
von Weiterbildungslehrgängen interessiert, dungen im Sinne der Sicherung der beste-
nicht unbequem sei, habe in seinen Augen
wie sich diese für den Einsatz den entspre- henden Bedingungen wahrnimmt. Nur so
ihr Ziel verfehlt, arbeite seines Erachtens
chenden Funktionen anbieten. Da sich Sta- scheint für die Einrichtung die Delegation
an ihrem impliziten Auftrag vorbei.
tusansprüche gegenwärtig mit den in der von Aufgaben oder Befugnissen in kalku-
Weiterbildung erworbenen Zeugnissen lierbaren Grenzen zu bleiben.
nicht einklagen lassen, bleiben die meisten Keine Chance für
Teilnehmer in Positionen, die ihren müh- Verbesserung der Kooperation „Persönlichen Bildungsprozeß"?
sam erworbenen Qualifikationen im Ver-
gleich mit Kollegen nicht angemessen Da Weiterbildung andererseits offiziell Ich schrieb bereits zu Anfang, daß sich
sind. D. h., sie haben weiter Funktionen eine Verbesserung der wechselseitigen • Weiterbildung wesentlich von früheren
oder Positionen inne, die sie auch ohne kollegialen Kooperation zum Ziel hat, wo- Formen der Vermittlung und des Erwerbs
Weiterbildung hätten erreichen können. bei der einzelne im stärkeren Ausmaße von Fähigkeiten und Kenntnissen unter-
Die eben ausgeführten Bedingungen und selbständig und eigenverantwortlich han- scheidet, wie sie noch im Begriff der Al-
Funktionen von Weiterbildung lassen insti- deln sowie persönliche Initiative bei seiner terserfahrung zu finden ist. Lernen durch
tutionelle Zwänge erkennen, mit denen die Arbeit entwickeln muß, lassen sich die Erfahrung begründet mit der Einführung
Aufgaben von Altenpflegern, ja von Pfle- einer formell definierten Weiterbildung im-
Der Lehrplan gepersonal schlechthin, immer weniger mer weniger Ansprüche auf soziale Wert-
beinhaltet Veränderung durch Anweisungen, Vorschriften oder schätzung, sachliche Autorität, erst recht
Normen bestimmen. Dies kann und muß nicht auf Höherstufung oder Beförderung.
von Einstellungen. wahrscheinlich sogar zu einem Funktions- Dies kommt im Grunde einer Dequalifizie-
Verhaltensspielräume des Pflegepersonals verlust der Vorgesetzten, zu einer sich ver- rung älterer Mitarbeiter gleich und bein-
trotz entsprechender Qualifikation einge- schärfenden Krise autoritärer hierarchi- haltet ein grundsätzliches - und z. T. si-
engt werden. Entsprechend formalistisch scher Arbeitsorganisation führen. Folge- cher auch gerechtfertigtes - Mißtrauen
' definieren Arbeitgeber oder Vorgesetzte richtig werden Weiterbildungsmöglichkei- über ihre Lebens- und Berufserfahrung, die
die Aufgaben des Pflegepersonals mög- | ten, die dazu dienen sollen, die Funktions- sie in einem eher verwahrend-versorgen-
lichst eindeutig und lückenlos, d. h. im i fähigkeit des Pflegepersonals zu verbes- den Pflegedienst erworben haben.

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Eine vom Heimträger der Arbeitgeber gen und Einstellungen, aber auch Erwar- tuationen zu konstellieren, in denen Akti-
initiierte Weiterbildung läßt eine Ausein- tungen an eine subjektivitäts- und erfah- vität wie Erfahrung gleichermaßen zuge-
andersetzung über den Unterrichtsgegen- rungsorientierte Erwachsenenbildung. lassen werden, in denen die Teilnehmer
stand und die Inhalte grundlegend nicht Die individuelle Entwicklung zum Er- weder ihre sinnlichen Erlebnismöglichkei-
zu. Die Abhängigkeit der Weiterbildung wachsenen ist ja auch mit einem Verlust ten abwehren, noch in ihnen aufgehen
und ihrer Teilnehmer an der betrieblichen von Fähigkeiten, Kenntnissen, Erfahrungen (vergl. Geissler 1982). So sind ein Umher-
Organisation des Heimes und/oder des und Gefühlen verbunden. Die gesellschaft- und Abschweifen, das Verfolgen von Tram-
Krankenhauses beeinflußt dementspre- lich problematische Individualität des ein- pelpfaden, das Fördern von Phantasien,
chend auch die Art ihrer individuellen zelnen wurde gezähmt, auf Normen und
Werte ausgerichtet. Kade (1982, S, 46) be- Weiterbildung soll kein
Dient die Freistellung zur schreibt Arbeit auch als Zwang und Zerstö- Ärgernis sein!
Weiterbildung der rung von Subjektivität, nicht nur als teil-
weise Erweiterung der Subjektivität. Er
Mitarbeiterberuhigung? fragt: „Warum soll Erwachsenenbildung
Einfallen und Assoziationen Bedingungen,
unter denen die Teilnehmer an der Weiter-
Wahrnehmung. Bei der gegenwärtigen Or- sich da nicht auch positiv auf die zumin- bildung Spontaneität und Kooperation ent-
ganisation der Arbeitsbedingungen können dest zeitweise gegebenen Möglichkeiten wickeln können.
berufliche Sicherheit oder beruflicher Er- befreiten Arbeitens beziehen und diese In alledem soll Weiterbildung für die
folg kaum als eine Auswirkung von Wei- entwickeln?" So hat die Weiterbildung Heime, Krankenhäuser, Stationen, Vorge-
terbildung erscheinen. „Bildungsfeindlich m. E. auch im Bereich der Altenpflege setzten und Kollegen wenn nötig kein Är-
erscheint weniger die Einstellung der (An- „keine andere Alternative, als den Rah- gernis sein, in dem sie Neues einbringt,
gestellten) als eine Arbeitsorganisation zu men, in dem sie die Spontaneität der Teil- Initiative, Individualität und Spontaneität
sein, die ihnen kaum eine Chance für eine nehmer zuläßt und provoziert, so weit zu fördert.
individuelle Entwicklung läßt, die man Ich möchte daher mit einem einleitenden
.Persönlichen Bildungsprozeß' nennt" Eine Weiterbildungsstätte Satz von Bede u. a. (1983) schließen: „Wo
(Lenhardt 1974, S. 191). muß unbequem sein! Erziehung weitgehend zur Verziehung,
Verschulung und Anpassung an falsche
spannen, wie es in Verantwortung aller Zustände, zur Auslöschung schöpferischer
Verlust von Erfahrungen
eben möglich erscheint". Ziel kann und Differenz geworden ist, kann Bildung als
Wenn ich zuvor von einem „offiziellen" soll m. E. hierbei sein, sich anderen gegen- das Besondere des einzelnen Menschen
und einem „versteckten" Lehrplan gespro- über möglichst spontan und kooperativ vielleicht nur in seinem Bestehen auf Ver-
chen habe, so ist unter dem „offiziellen" verhalten zu können. Dies sind die indivi- schiedenheit, auf Ungezogenheit liegen."
die Vermittlung des in Fächer oder Unter- duelle und gesellschaftliche Seite des Le-
richtseinheiten gegliederten Wissens zu bens in einer Gemeinschaft überhaupt, so
verstehen. „Versteckt" sind in jedem Lehr- daß Aus-, Fort- und Weiterbildungen erst
plan Veränderungen von inneren Haltun- recht nach den Prinzipien der Kreativität
und Kooperation strukturiert sein müssen.
Kooperatives und eigenständiges
Das bedeutet, sich Freiräume innerhalb der Literatur
Handeln werden vermittelt
Fotos: Gp/Altenpflege (DGB, Kassel 1984) offiziellen Unterrichtspläne zu schaffen, Si- Beck, ]., H. Dauber, M. Gronemeyer, Chr. Marzahn, W.
Sachs und H. Stubenrauch (1983): Das Recht auf Unge?
genheit. Rowohlt TB 7767, Reinbek
Becker, Hellmut (1971): Bildungsforschung und Bildungs-
planung. Suhrkamp es 483, Frankfurt
Deutscher Bildungsrat (1970): Empfehlungen der Bil-
dungskommission. Bonn
Dörner, K. und U, Plog (1978): Irren ist menschlich oder
Lehrbuch der Psychiatrie/Psychotherapie. Psychiatrie Ver-
lag, Rehburg-Loccum
Geissler, K, H. undJ, Kade (1982): Die Bildung Erwach-
sener. Perspektiven einer subjektivitäts- und erfahrungs-
orientierten Erwachsenenbildung. Urban & Schwarzen-
beck, München
Gintis, E (1971): Education, Technology and the Charac-
teristics of Worker Productivity. In: American Economie
Review 61, 226 ff,
Gorz, A. (1972): Technologie, Techniker und Klassen-
kampf. In: ders. (Hrsg.): Schule und Fabrik. Berlin
Finzen, A. und H. Schädle-Deininger (1979): ,,Unter men-
schenwürdigen Umständen." Die Psychiatiieenquete.
Werkstattschriften zur Sozialpsychiatrie. Bd. 25,
Psychiatrie Verlag, Rehburg-Loccum
Jervis, Giovanni (1978): Kritisches Handbuch der
Psychiatrie. Syndikat, Frankfurt
Lenhardt, Gero (1974): Berufliche Weiterbildung und Ar-
beitsteilung in der Industrieproduktion, Suhrkamp es 744,
Frankfurt
Nuthmann, R. und D, Härtung (1973): Status und Rekru-
tierungsprobleme als Folgen der Expansion des Bildungs-
systems. Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Ber-
lin

Altenpflege 10/1985

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