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Sammelrez: W. Benz u.a. (Hrsg): Der Ort Das Vorhaben ist ebenso mutig wie ge-
des Terrors wagt, denn es geht dem Leiter des Zentrums
Benz, Wolfgang; Distel, Barbara (Hrsg.): Der für Antisemitismusforschung an der Techni-
Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialis- schen Universität Berlin und der Leiterin der
tischen Konzentrationslager. Bd. 1: Die Organi- KZ-Gedenkstätte Dachau um nichts weniger
sation des Terrors. München: C.H. Beck Verlag als um die Sammlung sämtlicher Informatio-
2005. ISBN: 3-406-52960-7; 400 S., 12 Abb. nen über die insgesamt 24 Hauptlager und
rund 1000 Außenlager des nationalsozialis-
Benz, Wolfgang; Distel, Barbara (Hrsg.): Der tischen Lagersystems. Eine Zusammenschau
Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialisti- der Forschungsergebnisse ist projektiert, eine
schen Konzentrationslager. Band 2: Frühe Lager; Bestandsaufnahme der Fakten und ihre Kol-
Dachau; Emslandlager. München: C.H. Beck lationierung zu einer Gesamtgeschichte. Dies
Verlag 2005. ISBN: 3406529623. ist zumal deshalb nicht einfach, weil trotz
des in den letzten Jahren immens verbreiter-
Benz, Wolfgang; Distel, Barbara (Hrsg.): Der ten Forschungsstroms, über den selbst Exper-
Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialisti- ten kaum noch einen Überblick besitzen, auch
schen Konzentrationslager. Band 3: Sachsenhau- große Lager noch nicht monographisch er-
sen, Buchenwald, Flossenbürg. München: C.H. forscht worden sind und mit Blick auf die
Beck Verlag 2006. ISBN: 3-406-52963-1. Außenlager zudem reichlich blinde Flecken
bestehen.1 Dass das Projekt, das ein Novum
Rezensiert von: Sybille Steinbacher, His- darstellt, gleichwohl gelingt, zeigen die be-
torisches Institut der Friedrich-Schiller- reits vorliegenden Bände, und schon jetzt lässt
Universität sich sagen, dass am Ende ein stupendes Nach-
schlagewerk vorliegen wird.2 Wer künftig
Dass in Bremen an einer Uferböschung des wissen will, wo während des Dritten Reiches
Flüßchens Ochtum ein alter – mit Stachel- der Standort eines Lagers gewesen ist, wird
draht bespannter – Schleppkahn als Konzen- nicht mühsam recherchieren müssen, sondern
trationslager gedient hat, erfährt, wer den zu den Büchern greifen und rasch Antwort
„Benz-Distel“ aufschlägt. Drei Bände des finden. Fachexpert/innen an Universitäten,
großen Werkes über die Geschichte der natio- Instituten und Gedenkstätten werden es den
nalsozialistischen Konzentrationslager liegen Herausgeber/innen zu danken wissen, aber
nun vor. Auf ursprünglich sieben, mittlerwei- auch Studierende, Schüler/innen und über-
le neun Bücher, die in halbjährlichem Abstand haupt die breite Öffentlichkeit, denn hier ent-
bis zum Frühjahr 2009 im Verlag C.H. Beck steht eine an Informations-, aber auch an De-
erscheinen werden, ist die Gesamtgeschichte
der Lager angelegt, die Wolfgang Benz und 1 Grundlegend: Herbert, Ulrich; Orth, Karin; Dieck-
Barbara Distel initiiert haben. Das mit dem mann, Christoph, Die nationalsozialistischen Konzen-
Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnete Her- trationslager. Geschichte, Erinnerung, Forschung, in:
dies. (Hgg.), Die nationalsozialistischen Konzentrati-
ausgeberteam der „Dachauer Hefte“ treibt be- onslager. Entwicklung und Struktur. 2 Bde., Göttingen
reits seit Jahrzehnten die Forschung zu den 1998, S. 16-40. Knapp 1000 selbständige Publikationen
nationalsozialistischen Konzentrationslagern zum Thema kamen in der zweiten Hälfte der 1990er-
Jahren auf den Markt: vgl. Ruck, Michael, Bibliogra-
voran. Im Zentrum des schon wegen sei-
phie zum Nationalsozialismus. 2 Bde. inkl. CD-Rom,
nes schieren Umfangs eindrucksvollen Pro- Darmstadt 2000. Zur jüngsten Zusammenschau der
jekts steht die Topografie der Lager, genau- Forschung: Wachsmann, Nikolaus, Looking into the
er: der Umstand, dass die Nationalsozialisten Abyss: Historians and the Nazi Concentration Camps,
in: European History Quarterly, Bd. 36, Heft 2/2006, S.
Deutschland und das gesamte besetzte Euro- 247-278.
pa flächendeckend mit einem Netz von Haft- 2 Das US-Holocaust Memorial Museum arbeitet gegen-
stätten überzogen haben. „Der Ort des Ter- wärtig an einem ähnlichen Vorhaben. Unter der Lei-
rors“ heißt denn auch die mit Mitteln der Kul- tung von Geoffrey Megargee entsteht dort eine (vor-
aussichtlich siebenbändige) Enzyklopädie der Lager
turstiftung des Bundes und des Auswärtigen und Ghettos im Dritten Reich mit dem Titel „Ency-
Amtes geförderte Gesamtdarstellung der La- clopedic History of Camps and Ghettos in Nazi Ger-
ger. many and Nazi-dominated Territories, 1933-1945“, vgl.
<www.ushmm.org/research/center/encyclopedia>.
schen Analyse prägnant, differenziert und an- zeigt, wie stark Kontrolle, Willkür und Ein-
hand anschaulicher Tabellen die Bedeutung schüchterung schon in der baulichen Anla-
der (erst ab 1937/38 standardisierten) Häft- ge verwirklicht waren, aber auch, wie seit
lingskategorisierung untersucht. Gleich im Kriegsbeginn Überfüllung und Infrastruktur-
Anschluss gibt Kurt Pätzolds Versuch über mängel Abstriche an den Planungen erfor-
die „Häftlingsgesellschaft“ allerdings Rätsel derten. In einem Beitrag über Häftlingskunst
auf. Denn der Autor spart die intensive For- skizziert sie künstlerische Betätigung im La-
schungsdiskussion über die Rolle der „ro- ger als Überlebensstrategie der Insassen. Da-
ten Kapos“ aus; mit leichter Hand attes- niel Blatman zeigt in seinen Ausführungen
tiert er zudem den so genannten kriminellen über die Phase der so genannten Evakuierung
Häftlingen „mafiaähnliche Strukturen“ und der Lager, dass noch reichlich Potential für
meint, Neues zu bieten, wenn er den SS- künftige Forschungen besteht.
Begriff „Häftlingsselbstverwaltung“ euphe- Um die Befreiung der Lager und die Re-
mistisch nennt. Weitaus klarer nimmt Det- aktion der Weltöffentlichkeit geht es Robert
lef Garbe unter dem Titel „Selbstbehauptung H. Abzug und Juliane Wetzel in ihrem ge-
und Widerstand“ die so genannte Häftlings- meinsam verfassten Beitrag. Jürgen Zarus-
gesellschaft in den Blick. Mit den Kategorien ky liefert in einer konzisen Zusammenschau,
Selbsthilfe, Solidarität, Verweigerung und Ge- die von den frühesten alliierten Militärge-
genwehr stellt er überdies wichtige Analyse- richtsverfahren bis zum Majdanek-Prozess
kriterien zur Diskussion. Dass Strukturverän- reicht, eine ebenso pointierte wie ernüch-
derungen in der SS-Wachtruppe keineswegs ternde Bilanz der juristischen Aufarbeitung
die Überlebenschancen der Häftlinge verbes- der Konzentrationslager-Verbrechen. Um li-
serten, führt Karin Orth aus. Sie konturiert terarische Quellen der Lagerforschung geht
den Kommandanturstab der Lager als „Kern- es bei Mona Körte, die sich mit autobiografi-
truppe des Terrors“ und richtet den Blick auf schen Berichten von Häftlingen auseinander-
das „soziale Netz der Konzentrationslager- setzt. Jürgen Matthäus, der Leiter der For-
SS“. Jan-Erik Schulte stellt den engen Zusam- schungsabteilung des US-Holocaust Memori-
menhang zwischen der (den ökonomischen al Museum in Washington D.C., beklagt die
Erfordernissen der Kriegswirtschaft geschul- zersplitterte und unübersichtliche Archivsi-
deten) Expansion des Lagersystems und dem tuation, mit der sich NS-Forscher/innen in
gleichzeitigen Ausbau der Verwaltungs- und Deutschland offenbar abzufinden haben. Ge-
Wirtschaftsorganisationen der SS dar. Die Ra- rade in Amerika geriet unlängst das Archiv
dikalisierungsschübe, die mit den drei syste- des Internationalen Suchdienstes des Roten
matischen Masseneinweisungen in die Kon- Kreuzes in Bad Arolsen in die Kritik. Für
zentrationslager einhergingen, der „Aktion die Geschichte der nationalsozialistischen La-
Arbeitsscheu Reich“, den Novemberpogro- ger ist Arolsen eine Schlüsselinstitution, denn
men und der noch kaum erforschten „Ak- dort lagern nicht nur nach Kilometern zäh-
tion Gewitter“, untersucht Stefanie Schüler- lende Akten speziell über die Opfer des NS-
Springorum. Regimes, sondern auch Originaldokumente
Den medizinischen Experimenten (Rolf aus vielen Lagern, darunter die Häftlingskar-
Winau), der Zwangsarbeit (Hermann Kaien- teien von Buchenwald und Dachau. Dass das
burg) und den Frauen, die als Insassen, aber Archiv in Arolsen der Wissenschaft noch bis
auch als Bewacherinnen in den Lagern wa- vor kurzem verschlossen gewesen war, ob-
ren (Barbara Distel), sind ebenfalls Beiträge wohl Historiker/innen hierzulande schon seit
gewidmet. Mit den Lagern als Tötungsstät- Jahren massiv für die Öffnung eingetreten
ten beschäftigt sich Wolfgang Dreßen. Brigit- sind, ist ein international zu Recht angepran-
te Kepplinger und Hartmut Reese handeln gerter – mittlerweile endlich Folgen zeitigen-
das unter dem Verwaltungskürzel „14f13“ in der – Skandal. Die Bände schließen jedoch be-
die Lager verlegte Euthanasiemordprogramm reits ein, was das Archiv von Arolsen an ein-
ebenfalls ab. Einen verhältnismäßig neuen schlägiger Information birgt, denn zu den ins-
Aspekt thematisiert Stefanie Endlich, die sich gesamt jeweils über 70 Autor/innen, die die
mit der Architektur der Lager befasst. Sie Herausgeber/innen für die Bände 2 und 3
mationen über die einzelnen Orte.7 Diese hausen im dritten Band dar und vernach-
Lücke schließt der zweite Band, der auf fast lässigt auch die Phase nicht, als das Are-
250 Seiten (begleitet von informativen Karten al nach Kriegsende sowjetisches Spezialla-
und über Register gut erschlossen) das weit- ger wurde. Mindestens 85 Außenlager ge-
verzweigte Dachauer Netzwerk präsentiert. hörten zu Sachsenhausen, besonders wichtig
Gezeigt wird beispielsweise, daß im letzten war jenes in Berlin-Lichterfelde, dem gleich
Kriegsjahr selbst im heutigen Polen ein Au- einige Dutzend so genannte Außenkomman-
ßenlager bestand, was neu und damit zu er- dos unterstanden. Wie präsent die Häftlin-
klären ist, dass ein Berliner Musikverlag von ge im Alltag Berlins gewesen sind, führt der
einem Dachauer Häftling sein im damaligen Band eindrucksvoll vor Augen. Häftlings-
Woxfelde östlich der Oder gelegenes Noten- Außenkommandos waren nicht nur in den
archiv sortieren ließ. Dies ist freilich ein Be- staatlichen Ministerien und den Dienststellen
fund, der die skurrilen Seiten wissenschaft- der SS, sondern auch an vielen Stellen der
licher Systematisieung zeigt, deren Aufwand Stadt tätig, beispielsweise immer dann, wenn
manchen SS-Funktionär charmieren würde. nach Bombenangriffen Aufräumarbeiten zu
Während Dachau in der Hand der SS lag, leisten waren. Zu den Orten solcher Einsätze
war für den im Emsland entstandenen La- zählte auch das Hotel Adlon.
gerkomplex anfangs das preußische Innen- Zum Lagernetz von Buchenwald gehörten
ministerium zuständig. Amtschef Hermann rund 130 Außenlager. Im Westen reichten sie
Göring ließ in Börgermoor, Esterwegen und nicht nur bis Duisburg, sondern fast bis an
Neusustrum, einem Moorgebiet im Nordos- den Atlantik, da Lager im besetzten Frank-
ten des Reiches, Häftlingsbaracken errichten, reich und im eroberten Belgien ebenfalls da-
um in Konkurrenz zu Himmlers SS eine ei- zuzählten. Ganz im Osten bildete Lauenburg
gene Form staatlicher Gegnerbekämpfung zu bei Gdingen nahe der Danziger Bucht den äu-
etablieren. Verwaltung und Justiz spielten im ßerten Außenposten von Buchenwald. Jedes
Emsland eine führende Rolle, ehe nach etwa Außenlager wird im dritten Band ausführlich
einem Jahr die SS schließlich auch dort das beschrieben. Harry Stein schildert zudem die
Kommando übernahm. Habbo Knoch kontu- komplexe Geschichte des Stammlagers von
riert die Ereignisse der Frühphase überzeu- der Standortwahl bis zu den Nachkriegspro-
gend als prototypisch für die internen Span- zessen und bezieht auch das spätere sowjeti-
nungen in den NS-Herrschaftszirkeln. Aller- sche Speziallager ein.
dings unterzieht er die nach 1936 einsetzen- Im Ergebnis bleibt festzuhalten: Während
de Ausweitung zum weiträumigen, auf viele die Geschichte der Hauptlager bereits weit-
Orte verteilten Lagerkomplex nur einer kur- gehend bekannt ist, wurden die Außenlager
sorischen Betrachtung, weshalb die Geschich- der großen KZ-Anlagen noch nicht in ähnli-
te der Straf- und Kriegsgefangenenlager im cher Dichte, Systematik und Gründlichkeit er-
Emsland recht kurz ausfällt. forscht. In der dargebotenen Informationsfül-
Der Bau von Sachsenhausen im Jahr von le, im gebündelt vermittelten Faktenreichtum
Himmlers Ernennung zum Chef der deut- und nicht zuletzt in der Präsentation mancher
schen Polizei bildete den Auftakt zur Funkti- (kurioser) neuer Details liegen Stärke und
onsausweitung und zentralen Organisierung Verdienst des Werkes von Wolfgang Benz und
der Konzentrationslager. Denn das als „neu- Barbara Distel. Die Bände wollen keine neue
zeitlich“ und „modern“ ausgegebene Sach- Perspektive auf die Geschichte der NS-Lager
senhausen, das der Reichsführer SS erbauen eröffnen. Aber sie profilieren durch die akri-
ließ, als er sein Agitationszentrum von Mün- bische Rekonstruktion der Geschichte der ein-
chen nach Berlin verlegte, war nicht nur das zelnen Stätten die Komplexität des Lagersys-
„Konzentrationslager der Reichshauptstadt“, tems. Über Konzeption, Zielsetzung und Mo-
sondern auch die neue Verwaltungszentrale tivation ihres Unternehmens äußern sich die
und fortan das Vorbild der Lager. Hermann Herausgeber allerdings denkbar knapp; ge-
Kaienburg stellt die (bislang nicht monogra- rade einmal zweieinhalb Seiten füllt die Ein-
fisch untersuchte) Geschichte von Sachsen- leitung des Auftaktbandes. In der Kürze er-
schließt sich nicht, was genau gemeint ist,
7 Dagegen wird auf dem Einband die Zahl 152 genannt.