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Andreas Umland

Restauratives versus revolutionäres imperiales Denken im


Elitendiskurs des postsowjetischen Rußlands.
Eine spektralanalytische Interpretation der antiwestlichen
Wende in der Putinschen Außenpolitik

Die Zielstrebigkeit mit der Moskau im August 2008 den faktischen An-
schluß Abchasiens und Südossetiens an Rußland betrieb oder die apodikti-
sche Art, mit der Präsident Dmitrij Medvedev in seiner Rede vom 5. No-
vember 2008 die Stationierung neuer Kurzstreckenraketen im Gebiet Kali-
ningrad ankündigte, wie auch andere Aktionen oder Verlautbarungen Mos-
kaus im neuen Jahrhundert wirkten auf den Westen ernüchternd. Diese und
ähnliche russische Rhetorik und Handlungen der letzten Jahre stellen aus
westlicher Sicht Überreaktionen des Kremls auf Aktivitäten des Westens
auf dem Territorium des ehemaligen Ostblocks dar. Der schrittweise Rich-
tungswechsel in der russischen Außenpolitik der letzten Jahre wirkt vor
dem Hintergrund westlicher Koordinatensysteme politischen Handelns un-
verständlich, da er vermuteten strategischen Interessen Rußlands, ja schein-
bar gesundem Menschenverstand widerspricht.1
Die sowohl im öffentlichen Diskurs als auch in der Spezialistengemeinde
vorherrschenden Erklärungen für den mit jedem Jahr immer – so scheint es
– tiefergehenden Wandel im russischen politischen Handeln sowie außenpo-
litischen Denken lassen sich in zwei Gruppen teilen: personalistisch-
biographische Ansätze einerseits sowie geschichtsphilosophische Interpreta-
tionen andererseits. Analysten, die ersteren Ansatz vertreten, konzentrieren

1
Zum folgenden Interpretationsversuch komplementäre Erklärungsansätze finden sich
bei: Luks, Leonid: „Weimar Russia?“ Notes on a Controversial Concept, in: Russian
Politics and Law, 46. Jg., H. 4, 2008, S. 47-65; ders.: Irreführende Parallelen. Das autori-
täre Russland ist nicht faschistisch, in: Osteuropa, 59. Jg., H. 4, S. 119-128; Umland,
Andreas: Orange Revolution als Scheideweg. Demokratisierungsschub in der Ukraine,
Restaurationsimpuls in Russland, in: Osteuropa, 59. Jg., H. 11, 2009, S. 109-120.

Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte, 13. Jahrgang, Heft 2


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sich auf die Biographien der wichtigsten Entscheidungsträger, etwa auf den
KGB- oder/und militärischen bzw. polizeilichen Hintergrund der dominan-
ten Führungseliten nach Boris El’cin. Historiosophisch engagierte Interpre-
ten hingegen entwickeln ein „tiefes“ Verständnis der russischen Politik und
bewerten den jüngsten Verlauf der russischen Geschichte vor dem Hinter-
grund als axiomatisch angesehener Gesetzmäßigkeiten der historischen
Entwicklung Rußlands, wenn nicht der Menschheitsgeschichte insgesamt.2
Auch einzelne nichtrussische Putinapologeten unterstützen das heute in
Rußland vorherrschende Diktum, daß Rußland seinen eigenen geschichtli-
chen (Sonder-)Weg gehen müsse,3 daß es keine europäische Nation, son-
dern eine eigenständige Zivilisation darstelle, kein gewöhnlicher National-
staat, sondern ein natürlich gewachsenes Imperium sei sowie keine westli-
che, sondern eine eigene „souveräne“ Demokratie benötige.4 Andere ge-
schichtsphilosophisch engagierte Beobachter und Akteure, darunter schein-
bar auch Präsident Medvedev, gehen davon aus, daß Rußland heute in einer
Übergangsphase ist und die jüngsten Einschränkungen politischer Freihei-
ten im Land temporär sind.5 Wieder andere Geschichtsphilosophen, so etwa

2
Für letzteren Ansatz siehe z.B. Maresch, Rudolf: Zwischen Ressentiment und Appea-
sement, in: Eurasisches Magazin, Nr. 1, 2009, URL (zuletzt geöffnet am 27.11.2009)
http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikelID=20090109; ders.: Die Entwestli-
chung der Welt ist längst im vollen Gang, in: Eurasisches Magazin, Nr. 3, 2009, URL
(zuletzt geöffnet am 27.11.2009) http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikel
ID=20090311.
3
Siehe zur Sonderwegsidee z.B. Luks, Leonid: Der russische „Sonderweg“? Aufsätze
zur neuesten Geschichte Rußlands im europäischen Kontext. Stuttgart: ibidem-Verlag
2005; ders.: Freiheit oder imperiale Größe? Essays zu einem russischen Dilemma. Stutt-
gart: ibidem-Verlag 2009.
4
Zu diesem Konzept Kazancev, Andrej: „Suverennaja demokratija“. Struktura i
social’no-političeskie funkcii koncepcii, in: Forum novejšej vostočnoevropejskoj istorii i
kul’tury, 4. Jg., Nr. 1, 2007, URL (zuletzt geöffnet am 27.11.2009) http://www1.ku-
eichstaett.de/ZIMOS/forumruss.html; Schulze, Peter W.: Souveräne Demokratie. Kampf-
begriff oder Hilfskonstruktion für einen eigenständigen Entwicklungsweg? Die Ideologi-
sche Offensive des Vladislav Surkov, in: Buhbe, Matthes/Gorzka, Gabriele
(Hg.): Russland heute. Rezentralisierung des Staates unter Putin. Wiesbaden: VS-Verlag
2007, S. 293-312; Casula, Philipp/Perovic, Jeronim (Hg.): Identities and Politics During
the Putin Presidency. The Discursive Foundations of Russia's Stability. Stuttgart: ibidem-
Verlag 2009.
5
Z.B. Ehlers, Kai: Putin – ein Fehler?, in: Eurasisches Magazin, Nr. 11, 2008, URL (zu-
letzt geöffnet am 27.11.2009) http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/?artikelID
=20081107; ders.: Worüber lohnt es zu diskutieren?, in: Eurasisches Magazin, Nr. 1,
2009, URL (zuletzt geöffnet am 27.11.2009) http://www.eurasischesmagazin.de/artikel/
?artikelID=20090108.
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der prominente US-amerikanische, rußlandstämmige Politologe Aleksandr


Janov,6 sehen die Entwicklung der russischen Geschichte als einen sich
wiederholenden und quasi pathologischen Zyklus sich ablösender proto-
revolutionärer, restaurativer und konservativer Phasen an – eine Art Teu-
felskreis, aus welchem sich Rußland bisher nicht befreien konnte.
Obwohl beide Erklärungsansätze – der personalistische sowie der ge-
schichtsphilosophische – als plausibel und gegenüber politökonomischen
Interpretationen des Demokratieverfalls in Rußland7 ebenbürtig, wenn nicht
überlegen erscheinen, befriedigen sie nur teilweise. Der personalistische
Ansatz überzeichnet die Rolle einzelner politischer Figuren und ist auf die
unmittelbare Akteurs- bzw. Mikroebene fixiert. Die verschiedenen historio-
sophischen Ansätze hingegen tragen fatalistische Züge und operieren auf
einer Makro- wenn nicht sogar Metaebene, ja scheinen letztlich eher Welt-
anschauungen als sozialwissenschaftliche Theorien zu sein.
Ob man obige Ansätze befürwortet oder nicht – was Not tut, sind Inter-
pretationsvorschläge auf der Meso- bzw. mittleren Ebene, also Erklärungs-
ansätze, die zwischen den Charakteristika einzelner involvierter Individuen
einerseits und den Deduktionen aus historischer Metapolitologie anderer-
seits operieren. Im weiteren wird versucht, die jüngste antiwestliche Wende
in der russischen Innen- und Außenpolitik anhand einer Analyse des sich
restrukturierenden politischen Spektrums unter Putin zu interpretieren.8 Die
Veränderungen im internationalen Verhalten Moskaus sollen verständlicher
gemacht werden, indem jüngere Modifikationen im innerrussischen intel-
lektuellen und Mediendiskurs sowie entsprechende Verschiebungen in der
Komposition des Moskauer Establishments und des politischen Main-
streams einschließlich der teilautonomen Zivilgesellschaft bzw. „unzivilen
Gesellschaft“ berücksichtigt werden.9 Wie unten deutlich werden wird, sind

6
Yanov, Alexander: The Origins of Autocracy. Ivan the Terrible in Russian History.
Transl. by Stephen Dunn. London: University of California Press 1981; Janov, Alek-
sandr: Russkaja ideja i 2000-j god. New York: Liberty 1988. Siehe auch Kantor, Vladi-
mir: Willkür oder Freiheit? Beiträge zur russischen Geschichtsphilosophie. Stuttgart: ibi-
dem-Verlag 2006.
7
Fish, Steven M.: Democracy Derailed in Russia. The Failure of Open Politics. New
York: Cambridge University Press 2005.
8
Umland, Andreas: Das postsowjetische Russland zwischen Demokratie und Autorita-
rismus, in: Eurasisches Magazin, Nr. 11, 2008, S. 14-21.
9
Umland, Andreas: Die rechtsextremistische APO im heutigen Rußland. Ultranationalis-
tische Denkfabriken als Bestandteil der postsowjetischen „unzivilen Gesellschaft“, in:
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auf Grundlage heutiger westlicher Ideologietypologien entwickelte euro-


zentrische oder gar postmaterialistische Denkschablonen für die Konzipie-
rung des Spektrums relevanter politischer Ideen im Putinschen Rußland nur
teilweise geeignet.
Im Folgenden wird versucht, zu einer Art „Hermeneutik“ jüngster russi-
scher politischer Rhetorik beizutragen. In diesem Zusammenhang wird da-
rauf verwiesen, daß eine – aus westlicher Sicht – ungewöhnlich aggressive
Form von Neoimperialismus, die in den Neunzigern noch marginal war,10
heute politisch hoffähig geworden ist. Dieser revolutionäre Imperialismus
hat sich rechts vom derzeit dominanten restaurativen Irredentismus als ein
öffentlich akzeptiertes politisches Teillager etabliert und ist in den relevan-
ten Massenmedien, Expertenrunden und Sozialwissenschaften inzwischen
kontinuierlich präsent. Im Zuge der Konsolidierung der gesellschaftlichen
Positionen der sog. Liberal-Demokratischen Partei Vladimir Žirinovskijs
sowie der Internationalen Eurasischen Bewegung Aleksandr Dugins im of-
fiziell zugelassenen TV- sowie intellektuellen Diskurs der letzten Jahre kam
es zu einer Verschiebung des politischen Zentrums nach rechts. Diese Re-
strukturierung des politischen Spektrums kann entweder (bzw. sowohl) als
ein Bestimmungsfaktor oder aber als ein Ergebnis von Veränderungen in
der personellen Komposition und/oder den politischen Einstellungen der
obersten Führungsspitze betrachtet werden.11 Sie stellt jedoch in jedem Fall
einen beachtenswerten Begleitumstand des Wandels politischer Debatten
unter Putin dar. Obwohl der dritte Präsident Rußlands Medvedev weiterhin

Wegner, Michael/Haney, Vera/Jahn, Andrea (Hg.): Rußland – ein starker Staat? Jena:
Thüringer Forum für Bildung und Wissenschaft 2003, S. 123-143; Umland, Andreas: Das
Konzept der „unzivilen Gesellschaft“ als Instrument vergleichender und rußlandbezoge-
ner Rechtsextremismusforschung, in: Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschich-
te, 13. Jg., H. 1, 2009, S. 129-147.
10
Orttung, Robert W.: The Russian Right and the Dilemmas of Party Organisation, in:
Soviet Studies, Bd. 44, H. 3, 1992, S. 445-478; Williams, Christopher/Hanson, Stephen
E.: National-Socialism, Left Patriotism, or Superimperialism? The Radical Right in Rus-
sia, in: Ramet, Sabrina (Hg.): The Radical Right in Central and Eastern Europe Since
1989. University Park: Pennsylvania State University Press 1999, S. 257-278.
11
Die eingestandene Ambivalenz der unten beschriebenen Erscheinung als gleichzeitiger
Bestimmungsfaktor und Effekt der antiwestlichen Wende in der Putinschen Außenpolitik
ist unbefriedigend, dürfte jedoch Beobachtern, die mit methodologischen Problemen so-
zialwissenschaftlicher Analyse vertraut sind, als generelle Herausforderung derartiger
Forschungsprojekte bekannt sein. Siehe z.B. Bailey, Kenneth: Methods of Social Re-
search. 4. Aufl. New York: Free Press 2007, S. 50.
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als liberaler und prowestlich eingestellter Reformer zu bewerten ist, muß


auch er bei seiner Positionierung und Koalitionsbildung im Zentrum des
russischen politischen Spektrums dieser Koordinatenverschiebung im nach
wie vor existenten Moskauer Ideenwettbewerb Rechnung tragen. Die revo-
lutionäre Spielart des postsowjetischen Imperialismus operiert, wie unten
gezeigt wird, zwar mit ausgesprochen phantastischen Ideen, manifesten
Utopien, bizarren Geschichtsbildern und extravaganten Konzepten. Nichts-
destoweniger stellt die jüngste Verankerung dieser politischen Strömung im
offiziellen russischen Politikdiskurs eine relevante Facette der Verschlechte-
rung in den russisch-westlichen Beziehungen der letzten Jahre dar.

Konzipierungen politischer Spektra in der modernen


westlichen Welt und im heutigen Rußland

Westliche Sichtweisen auf ideologische Konfliktlinien der Nachkriegszeit


sind typischerweise von einer zwar in verschiedenen Ländern unterschied-
lich abgestuften, aber doch insgesamt uniformen Zwei- bzw. Dreiteilung
politischer Spektren geprägt (Schema 1).
Auf der linken Seite des ideologischen Spektrums – und nun folgt eine
stark vereinfachte Darstellung – werden in der Regel Ideengebäude und au-
ßenpolitische Doktrinen angesiedelt, die auf einem optimistischen Men-
schenbild beruhen sowie auf innenpolitischen oder internationalen mehr
oder minder radikalen, als „Demokratisierung“ verstandenen Wandel ausge-
richtet sind.12 Diese Teilspektra umfassen heute in der westlichen Hemi-
sphäre, je nach Land, sozialistische, sozialdemokratische, linksliberale,

12
Bobbio, Norberto: Rechts und Links. Gründe und Bedeutungen einer politischen Unter-
scheidung. Berlin: Wagenbach 1994; Backes, Uwe/Jesse, Eckhard: Die Rechts-Links-
Unterscheidung. Betrachtungen zu ihrer Geschichte, Logik, Leistungsfähigkeit und Prob-
lematik, in: dies.: Vergleichende Extremismusforschung. Baden-Baden: Nomos 2005, S.
99-120 (dort auch weitere Literaturverweise).
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grüne und ähnliche Akteure, in Deutschland etwa die SPD, Bündnis 90/Die
Grünen sowie, mit Abstrichen, Die Linke.13
Erstaunlicherweise ähneln sich die USA und das heutige Rußland be-
treffs dieser Teile ihrer Parteienspektra in gewisser Hinsicht (Schema 2). In
beiden – ansonsten grundverschiedenen – Staaten befinden sich links vom
Zentrum relativ ähnlich ausgerichtete liberale Demokraten: in Rußland etwa
die Jabloko-Partei sowie die so genannte „Union Rechter [sic!] Kräfte“ und
in den USA die Demokratische Partei bzw. deren linke Fraktionen. Diese
beiden Staaten reproduzieren damit bis heute die klassische Rechts-Links-
Unterscheidung, wie sie nach der Französischen Revolution entstanden war.

Schema I: Simplifizierte Darstellung ideologischer Spektra im politischen Main-


stream ausgewählter zeitgeschichtlicher Situationen: „Westen“

„Linke“ „Mitte“ „Rechte“ (Konservative,


„Realisten“)
Sozialisten, Sozialdemokra- Zentristische Fraktio- Rechte Fraktionen der
ten, Grüne, Sozialliberale, nen und Parteien Christdemokraten, GOP,
Labour, Democrats etc. Tories etc.

Auf der rechten Seite des politischen Spektrums werden in der heutigen
Selbstbetrachtung des Westens in der Regel solche Ideengebäude verortet,
die auf einem mehr oder minder skeptischen Menschenbild beruhen und
daher radikalen gesellschaftlichen sowie internationalen Wandlungsprozes-
sen distanziert bzw. kritisch gegenüberstehen. Derlei Zweifel in bezug auf
die Sinnhaftigkeit von Reformen oder Revolutionen hängt bei Vertretern
dieses politischen Lagers mit der Auffassung zusammen, daß rapide Trans-
formationen gesellschaftlicher Verhältnisse jene historisch gewachsenen
formellen oder informellen Institutionengefüge gefährden, welche dazu ge-
eignet sind, die Auswirkungen menschlicher Unvollkommenheit (Naivität,
Egoismus, Aggressivität usw.) einzugrenzen.14 Der für diese Denkfigur zu-
meist gebrauchte Begriff lautet „Konservatismus“ bzw. „Konservativis-

13
Olsen, Jonathan: Germany’s PDS. Between East and West, in: Central European Polit-
ical Studies Review, 4. Jg., Nr. 1-2, 2002, http://www.cepsr.com/clanek.php?ID=39.
14
Eatwell, Roger/O’Sullivan, Noël (Hg.): The Nature of the Right. American and European
Politics and Political Thought Since 1789. London: Pinter 1989.
Restauratives versus revolutionäres imperiales Denken 107

mus“.15 Was außenpolitisches Denken betrifft, wird hier oft der umstrittene
Terminus „Realismus“ verwendet, mit dem weniger eine per se „realisti-
sche“ Sichtweise auf internationale Konflikte gemeint ist, sondern ein weit-
gehend wertfreies Denken in Macht- und nationalstaatlichen Kategorien be-
zeichnet wird.16 Die rechten Flügel der modernen christdemokratischen Par-
teien Europas oder der amerikanischen Republikaner sowie der ihnen nahe-
stehenden Think-Tanks können diesem Teilspektrum zugeordnet werden.
Im in der politischen Mitte angesiedelten ideologischen Zentrum hingegen
werden im heutigen Westen schließlich jene Kräfte vermutet, die – zumin-
dest in ihrer Selbstdarstellung – einen Ausgleich reformerischer und kon-
servativer Bestrebungen bzw. idealistischer und „realistischer“ Impulse ver-
suchen sowie einen schrittweisen, an aktuelle Herausforderungen angepaß-
ten, moderaten Wandel befürworten. Dieses vereinfachte, viele Teilphäno-
mene ignorierende Schema zur Konzipierung moderner ideologischer Kon-
flikte dürfte trotz seiner Simplizität ein Axiom zeitgenössischen weltpoliti-
schen Denkens im Westen sein. Zumindest kann ein Großteil heutiger inter-
nationaler und innerstaatlicher Auseinandersetzung in der westlichen Welt
unter Zuhilfenahme des beschriebenen Schemas mehr oder minder erhel-
lend interpretiert werden.
Auch für innen- und außenpolitische Programme der neuen gesellschaft-
lichen Kräfte und Eliten der Russischen Föderation der neunziger Jahre
schien diese Zwei- bzw. Dreiteilung zumindest teilweise Geltung zu haben
(Schema 2).17 Der erste russische Präsident Boris El’cin versuchte während
seiner Amtszeit die reformerischen Impulse der prowestlich eingestellten
liberalen Demokraten auf der einen Seite und die reaktionären Widerstände
der antiwestlich orientierten alten Eliten auf der anderen zu balancieren. Al-
lerdings war schon damals eine Abweichung von im heutigen Westen typi-
schen Konfliktlinien zu beobachten. Dies betraf zum einen das Paradoxon,
daß die „rechts“ vom „Zentrum“ angesiedelten politischen Kräfte nach

15
Huntington, Samuel P.: Conservatism as Ideology, in: American Political Science Review,
51. Jg., H. 2, 1957, S. 454-473; Schumann, Hans-Gerd (Hg.): Konservativismus. Köln:
Kiepenheuer & Witsch 1974.
16
Freyberg-Inan, Annette: What Moves Man. The Realist Theory of International Rela-
tions and Its Judgement of Human Nature. Albany: SUNY Press 2004.
17
Simonsen, Sven Gunnar: Nationalism and the Russian Political Spectrum. Locating and
Evaluating the Extremes, in: Journal of Political Ideologies, 6. Jg., H. 3, 2001, S. 263-
288.
108 Andreas Umland

1991 auch bzw. in erster Linie die (man muß womöglich sagen: so genann-
ten) „Kommunisten“ umfaßte, da diese eindeutig rückwärtsgewandt waren
und sind.18 Zwar wird die heutige Kommunistische Partei in der Russischen
Föderation als „links“ und die Demokraten als „rechts“ bezeichnet. Jedoch
war bereits in der ausgehenden UdSSR klar, daß die Gruppierungen aus de-
nen später die KPRF und andere kommunistische Parteien hervorgingen
keine reformerisch-emanzipatorischen, sondern – im Gegenteil – reaktio-
när-traditionalistische politische Kräfte darstellten.19
Eine noch folgenträchtigere Abweichung von politischen Spektren heuti-
ger westlicher Staaten war bereits unter El’cin, daß die postsowjetischen
russischen „Rechten“ nicht einen Erhalt des Status quo, sondern eine zu-
mindest teilweise Wiederherstellung der Zustände während des Kalten
Krieges, nicht zuletzt des von Moskau kontrollierten Territoriums und in
vieler Hinsicht eine mehr oder minder weitgehende Neubelebung des
zarisch-sowjetischen Imperiums anstrebten. Es scheint daher gerechtfertigt,
solche Bestrebungen weniger als „konservativ“, denn als, enger gefaßt,
„restaurativ“ sowie, weiter gefaßt, „revanchistisch“ zu klassifizieren.20 Die
„rechts“ vom politischen Zentrum angesiedelten Kräfte des postsowjeti-
schen Rußlands strebten bereits in der ausgehenden Perestrojka-Periode un-
ter Gorbačev 1990-1991 sowie unter El’cin ab Ende 1991 – im Gegensatz
zu den gemäßigt rechten Akteuren des heutigen Westen – einen neuerlichen
Wandel und keine Konservierung der heftig kritisierten neu entstandenen
Verhältnisse an.21 Ihr Ziel war und ist bis heute eine Teilrestauration des

18
Urban, Joan Barth/Solovei, Valerii: Russia’s Communists at the Crossroads. Boulder:
Westview 1997; Sakwa, Richard: Left or Right? The CPRF and the Problem of Demo-
cratic Consolidation in Russia, in: The Journal of Communist Studies and Transition
Politics, Bd. 14, H. 1-2, 1998, S. 128-158; Vujačić, Veljko: Serving Mother Russia. The
Communist Left and Nationalist Right in the Struggle for Power, 1991-1998, in: Bonnell.
Victoria E./Breslauer, George W. (Hg.), Russia in the New Century. Stability and Disord-
er? Boulder: Westview 2001, S. 290-325.
19
Glybowski, Juri/Winkel, Jörg: Rückwärts marsch! Zum Konservatismusphänomen in
der UdSSR, in: Osteuropa, Bd. 41, H. 8, 1991, S. 791-801; Moses, Joel C.: The Chal-
lenge to Soviet Democracy from the Political Right, in: Robert T. Hubert and Donald R.
Kelley (Hg.): Perestroika-Era Politics. The New Soviet Legislature and Gorbachev's Po-
litical Reforms. Armonk: M.E. Sharpe, 1991, S. 105-128.
20
Andreas Umland: Die Sprachrohre des russischen Revanchismus, in: Die Neue Gesell-
schaft. Frankfurter Hefte, Bd. 42, H. 10, 1995, S. 916-921.
21
Hughes, Michael: The Never-Ending Story. Russian Nationalism, National Commun-
ism and Opposition to Reform in the USSR and Russia, in: The Journal of Communist
Restauratives versus revolutionäres imperiales Denken 109

Sowjetreiches samt einer Rückkehr zur Ost-West-Konfrontation, also jener


Zustände, die sich in den vorhergehenden 70 Jahren – zumindest aus Sicht
solcher „Sowjetreaktionäre“ – „organisch“ entwickelt hatten und somit Be-
standteile der „russischen Tradition“ geworden waren.22

Schema II: Simplifizierte Darstellung ideologischer Spektra im politischen


Mainstream ausgewählter zeitgeschichtlicher Situationen: El’cins Rußland 1991-
1999

„Linke“ „Mitte“ „Rechte“ (Restauration)


Demokraten, Jabloko, Zentristische Gruppie- Nationalisten, „Kommunis-
Demokratische Wahl rungen und Zentrismus ten“, Imperiumsbewahrer
Rußlands der föderalen Regierung

Daneben gab es unter El’cin und gibt es bis heute eine Reihe antisowjetisch
eingestellter Nationalisten, der wohl bekannteste unter ihnen ist der vor
kurzem verstorbene Literaturnobelpreisträger Aleksandr Solženicyn, die
zwar mit den Kommunisten und Repräsentanten der alten Eliten nicht deren
Sowjetnostalgie teilen, jedoch ebenfalls eine zumindest teilweise Restaura-
tion des russischen Reiches befürworten. Diese Bestrebungen betreffen vor
allem die Wiedervereinigung Rußlands mit den anderen Ostslawen, also mit
der Ukraine und Belarus, aber auch mit solchen von russischen bzw.
russophonen Minderheiten bewohnten Gebieten, wie Nordkasachstan oder
Narwa. Obwohl sich das Geschichtsbild und die Biographien dieser radikal
antikommunistischen Vertreter eines restaurativen imperialen Denkens
prinzipiell vom Vergangenheitsverständnis und den Lebensläufen der „Sow-
jetreaktionäre“ unterscheiden, hat sich im Zuge der Herausbildung des post-
sowjetischen öffentlichen Diskurses de facto ein politisches Zweckbündnis
dieser beiden sich ansonsten kritisch gegenüberstehenden Denkschulen des
russischen Imperialismus herausgebildet. Der markanteste Ausdruck der
informellen Allianz der nationalistischen Dissidenten mit den alten Eliten

Studies, Bd. 9, H. 9, 1993, S. 41-61; O’Connor, Kevin: Intellectuals and Apparatchiks.


Russian Nationalism and the Gorbachev Revolution. Lanham: Lexington Books 2006.
22
Tolz, Vera: The Radical Right in Post-Communist Russian Politics, in: Merkl, Peter
H./Weinberg, Leon (Hg.): The Revival of Right-Wing Extremism in the Nineties. London:
Frank Cass 1997, S. 177-202; Devlin, Judith: Slavophiles and Commissars. Enemies of
Democracy in Modern Russia. Basingstoke: Macmillan 1999.
110 Andreas Umland

der Sowjetunion waren die vom russischen Staatsfernsehen ausführlich do-


kumentierten Treffen zwischen Vladimir Putin und Aleksandr Solženicyn.
Restaurativer Imperialismus bildete somit auch schon unter El’cin einen
gewichtigen Bestandteil des politisch relevanten russischen ideologischen
Spektrums. Der Ruf nach einer „Korrektur“ der Grenzen des russischen
Staates sowie zumindest teilweisen Wiederherstellung des Imperiums un-
terwanderte bereits im ersten Jahrzehnt der Existenz der jungen russischen
Demokratie deren Stabilität und behinderte die Entstehung eines genuin
nachsowjetischen, postimperialen und territorial saturierten Konservatis-
mus.23
Dieser Unterschied in den rechten politischen Spektren des unmittelbar
postsowjetischen Rußlands einerseits und des zeitgenössischen Westens an-
dererseits wurde von politischen Beobachtern auch außerhalb Rußlands er-
kannt. Das mag nicht zuletzt damit zusammenhängen, daß es auch in den
nachimperialen politischen Spektren westlicher ehemaliger Kolonialmächte
nach dem Zerfall des jeweiligen Weltreiches (etwa in Deutschland, Großbri-
tannien, Frankreich usw.) ähnlich streitbare, ideologisch eher restaurativ als
konservativ orientierte Gruppierungen gegeben hat, welche erst allmählich
aus dem politischen Mainstream des jeweiligen Landes verdrängt wurden.24
Das nachel’cinsche Rußland unterscheidet sich von den postimperialen
Nachkriegsstaaten des Westens allerdings inzwischen nicht nur dadurch,
daß irredentistisches Denken in den Mainstream des Elitendiskurses Ein-
gang gefunden hat. Ein noch gravierenderer Unterschied zwischen dem
heutigen einerseits westlichen und andererseits russischen politischen
Spektrum ist, daß im Establishment Rußlands Politiker und Intellektuelle an
Einfluß gewonnen haben, deren neoimperiale Visionen ebenfalls revanchis-

23
Die entsprechende Literatur zu diesen Entwicklungen ist aufgelistet in: Umland, And-
reas: The Post-Soviet Russian Extreme Right, in: Problems of Post-Communism, Bd. 44,
H. 4, 1997, S. 53-61; ders.: Rußlands postsowjetische extreme Rechte. Ein Literaturbe-
richt, in: Benz, Wolfgang (Hg.): Jahrbuch für Antisemitismusforschung, Bd. 7. Frankfurt
am Main: Campus 1998, S. 332-351; Umland, Andreas: Rascvet russkogo ul’tranacio-
nalizma i stanovlenie soobščestva ego issledovatelej, in: Forum novejšej vostočno-
evropejskoj istorii i kul’tury, 6. Jg., Nr. 1, 2009, S. 5-38, URL (zuletzt geöffnet am
27.11.2009) http://www1.ku-eichstaett.de/ZIMOS/forumruss.html.
24
Siehe z.B. Greiffenhagen, Martin: Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland.
Frankfurt: Suhrkamp 1986.
Restauratives versus revolutionäres imperiales Denken 111

tischer Natur sind, deren Bestrebungen jedoch nicht als restaurativ zu be-
zeichnen sind, sondern als klar revolutionär klassifiziert werden müssen.25

Schema III: Simplifizierte Darstellung ideologischer Spektra im politischen


Mainstream ausgewählter zeitgeschichtlicher Situationen: Putins Rußland 2000-
2008

Marginalisierte Ehemalige „Mitte“ „Rechte“ (Restaurati- „Extreme Rechte“


„Linke“ on) (Revolution)
Jabloko, Union Relativ prowestliche Nationalisten, „Kom- Sog. „Liberal-
Rechter Kräfte, Fraktionen in Regie- munisten“, Impe- Demokraten“,
Sozialdemokra- rung, Zivilgesell- riumsbewahrer im Internationale Eu-
ten schaft und „Einiges Staatsapparat und in rasische Bewe-
Rußland“ „Einiges Rußland“ gung

Heutiges politisches Zentrum in Rußland

Žirinovskijs politische Laufbahn und Expansionspläne

Der wohl berüchtigtste Vertreter der revolutionären Spielart des postsowje-


tischen Neoimperialismus ist Vladimir Žirinovskij, Führer der so genannten
Liberal-Demokratischen Partei (LDP).26 Žirinovskijs Partei entstand unter
diesem Namen 1990 zunächst als ein „polittechnologisches“ Projekt des
KGB.27 Die LDP hatte, ähnlich einer Reihe anderer damaliger Pseudopar-
teien mit ebenfalls irreführenden Namen, Anfang der 1990iger offenbar die
Aufgabe, eine innere Zerrüttung, politische Spaltung und öffentliche Diffa-

25
Tsygankov, Andrei P.: From Internationalism to Revolutionary Expansionism. The
Foreign Policy Discourse of Contemporary Russia, in: Mershon International Studies
Review. Bd. 41, H. 2, 1997, S. 247-268.
26
Eichwede, Wolfgang (Hg.): Der Schirinowski-Effekt. Wohin treibt Rußland? Reinbek:
Rowohlt 1994; Conradi, Peter: Schirinowski und der neue russische Nationalismus. Düs-
seldorf: ECON 1995; Oschlies, Wolf: Wladimir Schirinowski. Der häßliche Russe und
das postkommunistische Osteuropa. Köln: Böhlau 1995.
27
Wilson, Andrew: Virtual Politics. Faking Democracy in the Post-Soviet World. New
Haven: Yale University Press 2007.
112 Andreas Umland

mierung der genuinen liberal-demokratischen Bewegung sowie eine allge-


meine Untergrabung des sich herausbildenden pluralistischen Diskurses in
der zerfallenden Sowjetunion zu bewirken. Obwohl das Žirinovskij-Projekt
dieses offensichtliche Ziel seinerzeit nicht oder nur teilweise erreichte, be-
wies der Jungpolitiker 1990-1991 größeres politisches Talent und Organisa-
tionsvermögen als seine verschiedenen, offenbar ebenfalls vom KGB unter-
stützten Konkurrenten im pseudodemokratischen Miniparteienspektrum des
ancien régimes, wie etwa Valerij Skurlatov von der sog. Russischen Volks-
front oder Vladimir Voronin von der sog. Sacharov-Union.28
Es kam im weiteren zu einer Art „Umwidmung“ des politischen Profils
der LDP und zu ihrer Verwandlung in ein Sammelbecken antikommuni-
stisch eingestellter Nostalgiker des russischen Imperiums. Auch emanzi-
pierte sich Žirinovskij von seinen geheimdienstlichen Ziehvätern insofern,
als er die zunächst tatsächlich liberal anmutende politische Programmatik
seiner Partei nicht nur schrittweise in eine manifest neoimperialistische
verwandelte, sondern die zunehmend ultranationalistische Doktrin der LDP
auch seiner spezifischen fachlichen Expertise und politischen Überzeugung
anpaßte.29 In den Jahren 1992-1995 entwickelte Žirinovskij in den offiziel-
len Organen der LDP sowie weiteren Zeitungs- und Buchpublikationen eine
weltpolitische Vision, deren Inhalt seiner persönlichen Biographie und be-
ruflichen Qualifikation geschuldet war.30
Žirinovskij war in Kasachstan aufgewachsen, hatte eine Schule unter
KGB-Patronat in Almaty absolviert und im Anschluß am damaligen Ost-
spracheninstitut der Moskauer Staatlichen Universität Asienkunde mit dem
Schwerpunkt Turkologie studiert. Er absolvierte als Student ein Praktikum
in der Türkei und war während seines anschließenden Wehrdienstes in Ge-
orgien, nach eigenen Aussagen, einer Aufklärungseinheit zugeteilt, die
Funksendungen aus der Türkei analysierte.31 Zum Ende der Zweiten Russi-

28
Umland, Andreas: Zhirinovskii Enters Politics. A Chronology of the Emergence of the
Liberal-Democratic Party of the Soviet Union, 1990-1991, in: The Journal of Slavic Mili-
tary Studies, Bd. 18, H. 1, 2005, S. 15-30.
29
Umland, Andreas: Zhirinovskii in the First Russian Republic. A Chronology of Events
1991-1993, in: The Journal of Slavic Military Studies, Bd. 19, H. 2, 2006, S. 193-241.
30
Umland, Andreas: Wladimir Shirinowskij in der russischen Politik. Einige Hintergrün-
de des Aufstiegs der Liberal-Demokratischen Partei Rußlands, in: Osteuropa, Bd. 44, H.
12, 1994, S. 1117-1131.
31
Umland, Andreas: Zhirinovsky Before Politics. A Curriculum Vitae 1946-1989, in: The
Journal of Slavic Military Studies, Bd. 17, H. 3, 2004, S. 425-447.
Restauratives versus revolutionäres imperiales Denken 113

schen Republik,32 also des politischen Regimes, das von 1991-1993 exis-
tierte, entwickelte der nun zum landesweit bekannten Politiker aufgestiege-
ne Turkologe schrittweise eine eigene weltpolitische Vision. Žirinovskij
stellte zunächst in den letzten Nummern des ersten LDP-Organs, der unre-
gelmäßig erscheinenden Zeitung „Liberal“ 1992-1993, in einem Interview
mit mir im August 1993 in seiner damaligen Moskauer Parteizentrale in der
Rybnikov-Gasse33 und schließlich in seiner im September 1993 erschiene-
nen autobiographischen Schrift „Der Letzte Sprung nach Süden“ ein revolu-
tionäres außenpolitisches Programm vor.34 Ausgangspunkt seiner neuartigen
imperialistischen Doktrin war, daß die von Žirinovskij so bezeichneten
„Südler“ („južane“) schuldig an den historischen Mißerfolgen, verantwort-
lich für die gegenwärtigen Misere und Träger einer künftigen Bedrohung
der Russen seien. Mit „Südlern“ meint Žirinovskij die südlich von Rußland
lebenden – in seiner Beschreibung barbarischen und kriegstreiberischen –
Völker Vorder- und Zentralasiens einschließlich des Kaukasus. Der LDP-
Führer entwirft das Schreckbild einer jahrhundertelangen Unterwanderung
und künftigen Spaltung Rußlands durch den zersetzenden Einfluß dieses
„Südens“. Um die von den „Südlern“ ausgehende Gefahr für die Stabilität
Rußlands zu bannen, müsse sich Rußland nicht isolieren, sondern – im Ge-
genteil – nach Süden ausweiten.35
Žirinovskij schlug in seinen damaligen Reden und Publikationen wieder-
holt und ausdrücklich vor, daß Afghanistan, der Iran sowie die Türkei Teile
des russischen Staates werden und daß in diesen Ländern die russische Ar-
mee („russkaja armija“) und der russische Rubel („russkij rubl’“) eingeführt
werden müßten.36 Daß es dabei zu Menschenopfern kommen würde, nimmt
Žirinovskij billigend in Kauf. Er bemerkt zudem, daß, „auch wenn die ge-
samte türkische Nation zugrunde ginge, würde die Welt dies verschmer-

32
Als Erste Russische Republik kann die weitgehend pluralistische Periode der Provisori-
schen Regierung bzw. Doppelherrschaft vom März bis Oktober 1917 gelten.
33
Umland, Andreas: The Zhirinovsky Interview, in: The Woodstock Road Editorial. An
Oxford Magazine of International Affairs, H. 16, 1994, S. 3-5 bzw. ders.: Ein Gespräch
mit Wladimir Schirinowski, in: Die Neue Gesellschaft. Frankfurter Hefte, Bd. 41, H. 2,
1994, S. 114-117.
34
Umland, Andreas: Zhirinovsky's „Last Thrust to the South“ and the Definition of Fasc-
ism, in: Russian Politics and Law, Bd. 46, H. 4, 2008, S. 31-46.
35
Koman, Alan J.: The Last Surge to the South. The New Enemies of Russia in the Rhetoric
of Zhirinovsky, in: Studies in Conflict & Terrorism, Bd. 19, 1996, S. 279-327.
36
Žirinovskij, Vladimir: O politike vnutrennej i vnešnej, in: Liberal, Nr. 2(12), 1993, S. 4.
114 Andreas Umland

zen.“37 Die militärische Aktion zur Verwirklichung von Rußlands „letztem


Sprung nach Süden“ würde eine „Wiedergeburt“ der russischen Armee und
„Reinigung“ des gesamten russischen Volkes herbeiführen sowie ein „neu-
es“, „glückliches“ Rußland schaffen.
Zudem würde die Welt insgesamt von der russischen „Beruhigung“
(„uspokoenie“) des „Südens“ profitieren. Die Verwirklichung von Rußlands
„letztem Sprung nach Süden“ würde die Neuordnung des internationalen
Systems insgesamt einleiten. Der von Žirinovskij als „Süden“ bezeichnete
Teil Asiens würde zu Rußlands Einflußsphäre werden, während Europa Af-
rika, den USA Südamerika und Japan Ostasien als Einflußsphären zufallen
würden. Darüber hinaus stellt der LDP-Führer einen „gesamteuropäischen
Staat“ in Aussicht, „in dem starke Staaten existieren: Rußland, Deutschland,
Frankreich [und] Italien. Sie wären die Grundlage dieses [paneuropäischen]
Staates.“38 Dies wäre die letzte Neuaufteilung der Welt. Erst wenn „die rus-
sischen Soldaten ihre Stiefel im Indischen Ozean waschen“, wird – so
Žirinovskij – Rußland seine historische Mission erfüllt und sich selbst so-
wie die Welt vor „Kriegen, die immer vom Süden ausgingen,“ endgültig ge-
rettet haben.39
Von Interesse bezüglich des Žirinovskij-Phänomen ist weniger dieses ei-
genartige Programm als solches. Bemerkenswert ist vielmehr, daß seine
LDP im Dezember 1993, d.h. nur wenige Wochen nach der öffentlichen
Vorstellung von Žirinovskijs Plan eines „letzten Sprungs nach Süden“ in
seinem gleichnamigen autobiographisch-programmatischen Buch im Sep-
tember 1993,40 mit 22,92% die ersten russischen postsowjetischen Parla-
mentswahlen auf Mehrparteienbasis gewann.41 In den folgenden zwei Jah-
ren stellte die LDP eine der stärksten Fraktionen in der Fünften Staatsduma.
Es wurde sowohl von politischen Beobachtern als auch Konkurrenten der
LDP darüber spekuliert, ob und inwiefern der beeindruckende Wahlerfolg
der Partei 1993 sowie ihr offenes Eintreten für militärische Operationen im
„Süden“ einen Bestimmungsfaktor bzw. sogar eine notwendige Bedingung
für den Ausbruch des Ersten Tschetschenienkrieges im Dezember 1994 dar-
37
Žirinovskij, Vladimir: Poslednij brosok na Jug. Moskva: Bukvica, Pisatel‘ 1993, S. 130.
38
Žirinovskij: O politike vnutrennej i vnešnej, S. 5.
39
Žirinovskij: Poslednij brosok na Jug, S. 76.
40
Žirinovskij: Poslednij brosok na Jug.
41
Morrison, James W.: Vladimir Zhirinovsky. An Assessment of a Russian Ultra-
Nationalist. Washington: National Defense University 1994.
Restauratives versus revolutionäres imperiales Denken 115

stellten.42 Bedeutsam war ebenfalls, daß Žirinovskijs Triumph vom Dezem-


ber 1993 zwar der bislang größte Wahlerfolg der LDP blieb, die Partei je-
doch in den folgenden vier Staatsdumawahlen stets die Fünf- bzw. inzwi-
schen Siebenprozenthürde zum Eintritt in das Unterhaus der Föderalen Ver-
sammlung überwand und damit als die inzwischen älteste postsowjetische
politisch relevante Partei gelten darf (insofern als die ohnehin jüngere
KPRF, 1993 gegründet, nicht als uneingeschränkt „postsowjetisch“ klassifi-
ziert werden kann).43
Das aus zeithistorischer Sicht Interessante an Žirinovskij ist weniger die
offensichtliche Absurdität seiner Agenda als solche, sondern daß er es nach
dessen Veröffentlichung vermochte, mit seiner Partei auf den politischen
Olymp aufzusteigen und bis heute dort zu verbleiben. Es gab und gibt im
postsowjetischen Rußland eine Vielzahl mehr oder minder profilierter poli-
tischer Akteure und Publizisten mit ähnlich widersinnigen Zukunftsvisio-
nen, wie die Žirinovskijs. Allerdings sind nur wenige Konkurrenten
Žirinovskijs am rechten Rand, wie z.B. der Juraprofessor und langjährige
Parlamentsabgeordnete Sergej Baburin, politisch so hoch aufgestiegen wie
der LDP-Führer. Kein anderer ähnlich ausgerichteter Parlamentarier Ruß-
lands hat so dauerhaft solch hohe politische Ämter in Rußland bekleidet wie
Žirinovskij. Der LDP-Chef fungierte zunächst für einige Zeit als Fraktions-
chef seiner Partei in der Staatsduma und bekleidet nun bereits seit etlichen
Jahren die Funktion eines Stellvertretenden Vorsitzenden der Staatsduma,

42
Diese Meinung haben unter anderem geäußert: der führende russische demokratische
Politiker Grigorij Javlinskij in der Fernsehsendung Itogi auf dem Kanal „NTV“
(Nezavisimoe televidenie) am 18.12.1995 und Klepikova, Elena/Solovyov, Vladimir:
Zhirinovsky. The Paradoxes of Russian Fascism. Harmonsworth: Viking/Penguin 1995, S.
VII.
43
Ishiyama, John T.: Red Phoenix? The Communist Party of Post-Soviet Russian Poli-
tics, in: Party Politics, Bd. 2, 1996, S. 147-175; Urban, Joan Barth/ Solovei, Valerii: Rus-
sia’s Communists at the Crossroads. Boulder 1997; Timmermann, Heinz: Rußlands KP.
Zwischen angepaßtem Leninismus und Volkspatriotismus, in: Osteuropa, Bd. 47, 1997,
S. 749-761; Davidheiser, Evelyn: The CPRF. Towards Social Democracy or National
Socialism?, in: Wyman, Matthew/White, Stephen/ Oates, Sarah (Hg.): Elections and Vot-
ers in Post-Communist Russia. Cheltenham: Edward Elgar 1998, S. 240-271; Flikke,
Geir: Patriotic Left-Centrism. The Zigzags of the Communist Party of the Russian Feder-
ation. In: Europe-Asia Studies, Bd. 51, H. 2, 1999, S. 275-298; March, Luke: For Victo-
ry? The Crisis and Dilemmas of the Communist Party of the Russian Federation, in: Eu-
rope-Asia Studies, Bd. 53, H. 2, 2001, S. 263-290.
116 Andreas Umland

also eines der formal höchsten politischen Ämter der Russischen Föderati-
on.
Žirinovskijs Ideen liegen zwar nach wie vor außerhalb des ideologischen
Zentrums der russischen Politik. Anders als noch zu Zeiten El’cins sind er
und die Mitglieder seiner Staatsdumafraktion jedoch inzwischen integrale
Bestandteile des politischen Establishments Rußlands geworden. Das im
postsowjetisch-russischen Kontext hohe Alter der LDP und ihre kontinuier-
liche politische sowie Medienpräsenz haben dazu geführt, daß die Partei ein
unerwartet nachhaltig relevantes politisches Phänomen geworden ist. Etli-
che LDP-Funktionäre machten sowohl unter El’cin als auch unter Putin po-
litische Karrieren. Im Jahr 2007 wurde z.B. ein LDP-Deputierter, der lang-
jährige Putin-Vertraute und ehemalige St. Petersburger Lokalpolitiker Vla-
dimir Čurov, mit einer für das neoautoritäre Regime Rußlands bedeutsamen
öffentlichen Funktion betraut – Čurov wurde zum Vorsitzenden der Zentra-
len Wahlkommission der Russischen Föderation ernannt.
Insbesondere war es dem LDP-Führer gelungen seine Partei sowohl über
den Machtwechsel von El’cin zu Putin 1999-2000 hinüberzuretten als auch
den neuen politischen Gegebenheiten unter dem zweiten russischen Präsi-
denten ab Frühjahr 2000 anzupassen. Womöglich aufgrund seines KGB-
Hintergrundes schaffte es der Ultranationalist offenbar, einen modus viven-
di mit den „Polittechnologen“ des Kreml zu finden und sich als „rechter“
Flügel der informellen Koalition proputinscher Fraktionen in der Staatsdu-
ma neu zu erfinden, ja seine Position im russischen Politestablishment wei-
ter zu stärken. 2006 wurde Žirinovskij von Präsident Putin persönlich mit
dem „Orden für Verdienste um das Vaterland 4. Grades“ ausgezeichnet –
ein Vorgang, der unter El’cin kaum vorstellbar gewesen wäre. Es ist bemer-
kenswert, daß die LDP von den Polittechnologen des Kreml offenbar be-
wußt funktionstüchtig gehalten und in der Staatsduma belassen wurde. Auf-
grund dieser und anderer Entwicklungen kann man Žirinovskij und seine
Partei als zwar immer noch am äußersten rechten Rand des kremlkontrol-
lierten Parteienspektrums angesiedelt, jedoch nichtsdestoweniger als nun-
mehr als vollwertigen Teil des relevanten politischen Spektrums der Russi-
schen Föderation betrachten.
Restauratives versus revolutionäres imperiales Denken 117

Aleksandr Dugin und seine „neoeurasische“ Bewegung

Ähnliches gilt für einen anderen Moskauer politischen Akteur, Aleksandr


Dugin, Gründer und Vorsitzender der Meždunarodnoe „Evrazijskoe dviže-
nie“ (Internationalen „Eurasischen Bewegung“ – MED).44 Dugins Neoim-
perialismus unterscheidet sich zwar in vielen Punkten von der außenpoliti-
schen Vision Žirinovskijs. Das expansionistische Programm des Führers der
MED kann jedoch ebenfalls als „revolutionär“ bezeichnet werden – auch
wenn sich das Dugin- und Žirinovskij-Phänomen in anderer Hinsicht prin-
zipiell unterscheiden.
Dugin ist im Gegensatz zu Žirinovskij nicht nur kein Parteipolitiker und
agiert stattdessen auf der metapolitischen Ebene;45 d.h. Dugin versucht mit
einer Vielzahl von Publikationen, Netzwerkaktivitäten und Medienauftritten
auf das Denken der politischen und intellektuellen Eliten Rußlands Einfluß
zu nehmen.46 Dugin unterscheidet sich auch dahingehend von Žirinovskij,
daß er nicht primär auf den „Süden“, sondern auf den „Westen“ fixiert ist.
Dugin betrachtet stärker noch als Žirinovskij die USA als historischen, ge-
genwärtigen sowie künftigen Hauptfeind Rußlands und gründet diese An-
sicht auf eine verschwörungstheoretische Reinterpretation der gesamten
Menschheitsgeschichte.
Der Führer der russischen, so genannten „Neoeurasier“ entwirft in seinen
Hunderten von elektronischen und gedruckten Veröffentlichungen das Bild
einer uralten Auseinandersetzung zwischen den atlantischen, liberalen See-
mächten („Thallasokratien“), die nunmehr unter der Führung der USA ste-

44
Leonid Luks: Zum „geopolitischen“ Programm Aleksandr Dugins und der Zeitschrift
Ėlementy – eine manichäische Versuchung?, in: Forum für osteuropäische Ideen- und
Zeitgeschichte, Bd. 6, H. 1, 2002, S. 43-58; ders.: Eurasien aus neototalitärer Sicht. Zur
Renaissance einer Ideologie im heutigen Rußland, in: Totalitarismus und Demokratie,
Bd. 1, H. 1, 2004, S. 63-76; Höllwerth, Alexander: Das sakrale eurasische Imperium des
Aleksandr Dugin. Eine Diskursanalyse zum postsowjetischen russischen Rechtsextremis-
mus. Stuttgart: ibidem-Verlag 2007.
45
Umland, Andreas: Postsowjetische Gegeneliten und ihr wachsender Einfluss auf Ju-
gendkultur und Intellektuellendiskurs in Rußland. Der Fall Aleksandr Dugin 1991-2004,
in: Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte, Bd. 10, H. 1, 2006, S. 115-47.
46
Ivanov, Vladimir: Alexander Dugin und die rechtsextremen Netzwerke. Fakten und
Hypothesen zu den internationalen Verflechtungen der russischen Neuen Rechten. Stutt-
gart: ibidem-Verlag 2007.
118 Andreas Umland

hen, auf der einen Seite und den eurasischen, traditionalistischen Land-
mächten („Tellurokratien“), welche heute von Rußland angeführt werden,
auf der anderen Seite. Der zivilisatorische, politische und militärische Kon-
flikt „Eurasiens“ mit der See nähert sich heute seinem „Endkampf“, wobei
Dugin diesen historisch belasteten deutschen Begriff teils ohne Übersetzung
ins Russische verwendet. Rußland müsse für seine Neugeburt im Innern ei-
ne „konservative Revolution“, d.h. eine Ausmerzung jeglichen westlichen
Einflusses in seinem gesellschaftlichen Leben, verwirklichen und in seinen
Außenbeziehungen auf die Schaffung eines mächtigen eurasischen Super-
imperiums bestehend aus mehreren Teilimperien unter der Führung Ruß-
lands drängen. Wie genau diese verschiedenen imperialen Groß- und Teil-
projekte aussehen, unterscheidet sich erheblich in Dugins Zukunftsvisionen
– je nach Buch, Rede bzw. Artikel. Klar ist lediglich, daß Rußland langfri-
stig nur als Imperium existieren kann und als Nationalstaat in seinen jetzi-
gen Grenzen sowie mit seinem derzeitigen Einflußbereich untergehen wird.
Im Idealfall würde ein Großimperium von Dublin bis Vladivostok mit der
Hauptstadt Moskau entstehen oder sich zumindest eine Achse Paris-Berlin-
Moskau-Teheran-Tokio bzw. -Peking herausbilden, die sich gemeinsam der
Expansion der angloamerikanischen maritimen Zivilisation entgegenstellen
würde. Damit geht Dugin weit über den restaurativen Expansionismus der
„Sowjetreaktionäre“ hinaus und kann, wie auch der LDP-Führer, als revolu-
tionärer Imperialist klassifiziert werden.47
Dugin bezeichnet sich selbst als „Neoeurasier“ und nimmt für sich in
Anspruch, die Tradition der klassischen Eurasier der russischen Emigration
im Europa der Zwischenkriegszeit fortzusetzen.48 Tatsächlich jedoch ist
seine intellektuelle Biographie vom Einfluß nichtrussischer, meist westli-
cher Autoren geprägt – allen voran vom euroamerikanischen so genannten
„Integralen Traditionalismus“ des 20. Jahrhunderts,49 vom deutschen so ge-

47
Shekhovtsov, Anton: The Palingenetic Thrust of Russian Neo-Eurasianism. Ideas of
Rebirth in Aleksandr Dugin’s Worldview, in: Totalitarian Movements and Political Reli-
gions, 9. Jg., H. 4, 2008, S. 491-506.
48
Wiederkehr, Stefan: „Kontinent Evrazija“ – Klassischer Eurasismus und Geopolitik in
der Lesart Alexander Dugins, in: Kaiser, Markus (Hg.): Auf der Suche nach Eurasien.
Politik, Religion und Alltagskultur zwischen Russland und Europa. Bielefeld: Transcript
2004, S. 25-138.
49
Sedgwick, Mark: Against the Modern World: Traditionalism and the Secret Intellectual
History of the Twentieth Century. New York: Oxford University Press, 2004; Shekhovt-
Restauratives versus revolutionäres imperiales Denken 119

nannten „Nationalbolschewismus“ und „Jungkonservatismus“ der zwanzi-


ger Jahre50 und von der heutigen frankophonen „Neuen Rechten“,51 die sich
in Reaktion auf die 68er-Bewegung und Anlehnung an die deutsche „Kon-
servative Revolution“ der Zwischenkriegszeit Ende der 1960er formiert
hat.52 In den 1990ern, als er noch eine relative marginale Figur in der Mos-
kauer Politikszene war,53 ging Dugin überdies soweit, seine Ideologie offen
in die Tradition des internationalen Faschismus zu stellen, bestimmte As-
pekte des Nazismus zu loben und das Dritte Reich als wichtigste Ausprä-
gung des von ihm präferierten „Dritten Weges“ vorzustellen.54 In einer sei-
ner Frühschriften bezeichnete er den Organisator des Holocaust SS-
Obergruppenführer Reinhard Heydrich gar als „überzeugten Eurasier“. Un-
ter dem Pseudonym „Aleksandr Šternberg“ publizierte Dugin 1994 ein Ge-
dicht bzw. einen Liedtext, in welchem er die Wiederauferstehung von Hein-
rich Himmler beschwört.55 In einer weiteren seiner frühen politischen

sov, Anton/Umland, Andreas: Is Dugin a Traditionalist? „Neo-Eurasianism“ and Perenni-


al Philosophy, in: The Russian Review, Bd. 68, H. 4, 2009, S. 662-67.
50
Luks, Leonid: Der „Dritte Weg“ der „neo-eurasischen“ Zeitschrift „Ėlementy“ – zurück
ins Dritte Reich? in: Studies in East European Thought, Bd. 52, H. 1-2, 2000, S. 49-71.
51
Marlène Laruelle: Aleksandr Dugin. A Russian Version of the European Radical
Right?, in: Kennan Institute Occasional Papers, Nr. 294, 2006, URL (zuletzt geöffnet am
27.11.2009) http://www.wilsoncenter.org/news/docs/OP294.pdf; Shekhovtsov, Anton:
Aleksandr Dugin’s Neo-Eurasianism. The New Right à la Russe, in: Religion Compass,
Bd. 3, Nr. 4, 2009, S. 697-716.
52
Bar-On, Tamir: Where Have All the Fascists Gone? Aldershot: Ashgate, 2007; Griffin,
Roger: Plus ça change! The Fascist Pedigree of the Nouvelle Droite, in: Arnold, Edward
(Hg.): The Development of the Radical Right in France, 1890-1995. London: Routledge
2000, S. 217-52; Griffin, Roger: Between Metapolitics and Apoliteia. The Nouvelle
Droite's Strategy for Conserving the Fascist Vision in the „Interregnum“, in: Modern and
Contemporary France, 8. Jg., H. 1, 2000, S. 35-53; Spektorowski, Alberto: The New
Right. Ethno-regionalism, Ethno-pluralism and the Emergence of a Neo-fascist „Third
Way“, in: Journal of Political Ideologies, 8. Jg., H. 1, 2003, S. 111-30.
53
Mathyl, Markus: „Die offenkundige Nisse und der rassenmäßige Feind“. Die National-
Bolschewistische Partei als Beispiel der Radikalisierung des russischen Nationalismus,
in: Halbjahresschrift für südosteuropäische Geschichte, Literatur und Politik, Bd. 9, Nr.
2, 1997, S. 7-15 sowie Bd. 10, Nr. 1, 1998, S. 23-36.
54
Umland, Andreas: Faschismus à la Dugin, in: Blätter für deutsche und internationale
Politik, H. 12, 2007, S. 1432-1435.
55
Šternberg, Aleksandr: Neždannyj nikem Avatara (1994), in: Barbelo-Gnozis (sbornik
stikhov), o.O. o.D., URL (zuletzt geöffnet am 27.11.2009) http://www.arctogaia.com/
public/stihi1.htm. Siehe auch ders.: Absoljutnyj rassvet, in: Imperium.Lenin.ru, o.D. URL
(zuletzt geöffnet am 27.11.2009) http://imperium.lenin.ru /LENIN/27/avatara.html; später
nochmals veröffentlicht auf Dugins WWW-Seite Arcto.ru als Šternberg, Aleksandr:
120 Andreas Umland

WWW-Publikationen begrüßte er begeistert den Aufstieg eines „faschisti-


schen Faschismus“ in Rußland.56
Trotz dieser Entgleisungen und vieler anderer Verletzungen der russi-
schen politischen Korrektheit gelang Dugin Ende der 1990er ein – wie sich
später herausstellte – nachhaltiger Aufstieg ins Moskauer politische Estab-
lishment.57 Er wurde 1998 zunächst offizieller Berater des damaligen Vor-
sitzenden der Staatsduma und KPRF-Abgeordneten Gennadij Seleznev.
Später verstand Dugin es, eine Reihe weiterer prominenter politischer und
gesellschaftlicher Figuren an seine 2001 gegründete Eurasien-Bewegung
zeitweise oder dauerhaft zu binden bzw. von seinen Ideen zu überzeugen.
Dies betraf etwa den ehemaligen russischen Kulturminister Aleksandr
Sokolov oder den Stellvertretenden Vorsitzenden des Föderationsrates Ruß-
lands Aleksandr Toršin. Auch hat Dugin Verbindungen in die Medienland-
schaft und Präsidialadministration geknüpft, so etwa zu dem populären TV-
Kommentator und angeblichen „Lieblingsjournalisten Putins“ Michail
Leont’ev, dem putinnahen hohen Regierungsbeamten und ehemaligen
KGB-Offizier Viktor Čerkesov58 oder zum ehemaligen Leiter der Ideologie-
sektion des Exekutivkomitees von Putins Partei „Einiges Rußland“ und
heutigen Abteilungsleiter bei der Präsidialadministration der RF Ivan
Demidov.59 Nur wenige Monate vor der Übernahme des Amtes des Chef-
ideologen von Rußlands alles beherrschender, so genannter „Partei der
Macht“ („partija vlasti“) bezeichnete sich Demidov 2007 in einem Inter-
view für Dugins WWW-Seite Evrazia.org – unter ausdrücklichem Bezug
auf die Ideologie Dugins – selbst als einen „überzeugten Eurasier“ und ge-
brauchte damit ironischerweise dieselbe Formulierung, die Dugin 15 Jahre

Neždannyj nikem Avatara, in: Vtorženie. Otdel’nyj vypusk, Nr. 2, 2001, URL (zuletzt ge-
öffnet am 27.11.2009) http://arcto.ru/modules.php?name=News&file=article&sid=723.
56
Dugin, Aleksandr: Fascism – borderless and red, in: Griffin, Roger/Loh, Wern-
er/Umland, Andreas (Hg.): Fascism Past and Present, West and East. An International
Debate on Concepts and Cases in the Comparative Study of the Extreme Right. Stuttgart:
ibidem-Verlag, 2006, S. 505-510.
57
Markus Mathyl: Der „unaufhaltsame Aufstieg“ des Aleksandr Dugin. Neo-
Nationalbolschewismus und Neue Rechte in Russland, in: Osteuropa, Bd. 52, H. 7, 2002,
S. 885-900.
58
Limonov, Eduard: Kak nado ponimat‘, in: Limonka, Nr. 306, 2006, URL (zuletzt ge-
öffnet am 27.11.2009) http://limonka.nbp-info.ru/306_article_1159259357.html.
59
Umland, Andreas: Moscow's New Chief Ideologist – Ivan Demidov, in: OpEdNews,
26.8.2008, URL (zuletzt geöffnet am 27.11.2009) http://www.opednews.com/articles/
genera_andreas__080423_moscow_s_new_chief_i.htm.
Restauratives versus revolutionäres imperiales Denken 121

zuvor, wie erwähnt, für den „Stellvertreter des Reichsführers SS“ Heydrich
verwandt hatte.60
Zwar hat Dugin im Zusammenhang mit seinem Aufstieg ins Moskauer
politische Establishment seit Ende der Neunziger eindeutige profaschisti-
sche Aussagen wie die oben zitierten vermieden. Er gebärdet sich heute gar
als „Antifaschist“ und scheut sich nicht, politische Gegner als „Faschisten“
oder „Nazis“ zu verunglimpfen. Allerdings gab Dugin noch im Jahre 2006
in verklausulierter, aber letztlich eindeutiger Form neuerlich seine Nähe
zum deutschen Faschismus zu. In einer Rundfunksendung erklärte er frei-
mütig, daß er den Ideen der deutschen Gebrüder Strasser nahe steht, wobei
Dugin in diesem Radiointerview die Strasser-Brüder als Gegner Adolf Hit-
lers darstellte. Dugin „vergaß“ allerdings zu erwähnen, daß Otto und Gre-
gor Strasser seinerzeit selbst führende Nazis sowie Ende der Zwanziger
maßgeblich an der Umwandlung der NSDAP in eine Massenpartei beteiligt
waren. Die Strasser-Brüder entwickelten sich später zu Opponenten Hitlers
innerhalb der NSDAP, bevor sie schließlich einer nach dem anderen als
Konkurrenten des „Führers“ die Nazipartei verlassen mußten.61
Obwohl Dugin somit vor nicht allzu langer Zeit nochmals implizit seine
Nähe zum klassischen Faschismus der Zwischenkriegszeit bekräftigt und an
keiner Stelle seine explizit profaschistischen Aussagen aus den Neunzigern
dementiert oder zurückgenommen hat, ist er nach wie vor ein angesehener
bzw. weiter an Ansehen gewinnender Politikkommentator in den kremlge-
steuerten Massenmedien. Er wird als „Experte“ auf der Webseite Kreml.org
geführt und wurde im Sommer 2008 von der renommiertesten Hochschule
Rußlands, der Moskauer Staatlichen Universität, zum Professor sowie Lei-
ter des sog. Zentrums für konservative Studien der Fakultät für Soziologie
der Lomonosov-Universität ernannt.62
Freilich kann Dugin aufgrund derartiger Beobachtungen noch nicht als
Chefideologe Putins oder Repräsentant der heutigen russischen außenpoliti-
60
Umland, Andreas: Koričnevaja strelka. Vzlet Meždunrodnogo „Evrazijskogo
dviženija“, in: Kontinent, Nr. 141, 2009, URL (zuletzt geöffnet am 27.11.2009)
http://magazines.russ.ru/continent/2009/141/um13.html.
61
Umland, Andreas: Pathological Tendencies in Russian „Neo-Eurasianism“. The Signi-
ficance of the Rise of Aleksandr Dugin for the Interpretation of Public Life in Contempo-
rary Russia, in: Russian Politics and Law, Bd. 47, H. 1, 2009, S. 76-89.
62
Umland, Andreas: Fascist Tendencies in Russia's Political Establishment. The Rise of
the International Eurasian Movement, in: Russian Analytical Digest, Nr. 60, 2009, S. 13-
17.
122 Andreas Umland

schen Doktrin gelten. Nichtsdestoweniger stellt Dugins extremer Antiame-


rikanismus und revolutionärer Neoimperialismus heute – ähnlich wie
Žirinovskijs Ideologie – einen zwar am Rande des politischen Mainstreams
gelegenen, aber noch innerhalb der Hauptströmungen der russischen Politik
befindlichen integralen Bestandteil des gesamtnationalen öffentlichen Dis-
kurses der postsowjetischen Eliten dar.63 Es würde zwar zu weit gehen, ei-
nen direkten Einfluß Žirinovskijs oder Dugins auf die heutige russische Au-
ßenpolitik zu behaupten, wie dies bezüglich des „Neoeurasiers“ etwa der
Rußlandreporter der Financial Times Charles Clover bereits 1999 getan hat-
te.64 Jedoch ist unbestreitbar, daß diese beiden Ideologen sowie eine Reihe
weiterer, ähnlich extravaganter revanchistischer politischer Publizisten sich
unter Putin stärker als zuvor an der Strukturierung des russischen Ideen-
spektrums sowie außenpolitischen Denkens beteiligen.65 In den neunziger
Jahren waren Žirinovskij, Dugin und Co. zwar bereits in den Massenmedien
und im Elitendiskurs präsent, jedoch ideologisch marginalisiert und poli-
tisch stigmatisiert. Heute dagegen sind sie gleichberechtigte Teilnehmer an
tagespolitischen Diskussionen in den zentralen Fernsehkanälen sowie mehr
oder minder vielbeachtete Beiträger zu politischen Debatten auf Konferen-
zen und Workshops sowie in Periodika mit föderaler, ja teilweise internati-
onaler Bedeutung.66

63
Umland, Andreas: Pravoradikal’nyj ideolog stanovitsja professorom veduščego VUZa
Rossii, in: InoSMI.ru, 20.11.2008, URL (zuletzt geöffnet am 27.11.2009)
http://inosmi.ru/world/20081120/245520.html.
64
Clover, Charles: Dreams of the Eurasian Heartland. The Re-emergence of Geopolitics,
in: Foreign Affairs, Bd. 78, H. 2, 1999, S. 9-13.
65
Shenfield, Stephen D.: Russian Fascism. Traditions, Tendencies, Movements. Armonk:
M.E. Sharpe 2001.
66
Siehe z.B. Dugin, Alexander: Kondopoga. A Warning Bell, in: Russia in Global
Affairs, Nr. 4, 2006, URL (zuletzt geöffnet am 27.11.2009) http://eng.globalaffairs.ru/
engsmi/1061.html. Zum im WWW annoncierten Redaktionskollegium dieser Zeitschrift
gehören, neben mehreren prominenten Russen, auch bekannte Vertreter der westlichen
Öffentlichkeit wie z.B. Martti Ahtisaari, Graham Allison, Helmut Kohl, Carl Bildt, Karl
Kaiser und Horst Teltschik. Vgl. URL (zuletzt geöffnet am 27.11.2009)
http://eng.globalaffairs.ru/about/#board.
Restauratives versus revolutionäres imperiales Denken 123

Schlußfolgerungen

Ein restaurativer Neoimperialismus, der in den Neunzigern noch am Rande


des politischen Mainstreams vegetierte, ist heute Bestandteil der außenpoli-
tischen Doktrin Rußlands. Das hat, wie zu zeigen versucht wurde, u.a. da-
mit zu tun, daß sich „rechts“ von dieser irredentistischen Strömung eine
weitere revanchistische Denkschule im politischen Spektrum etabliert hat,
die als revolutionär zu bezeichnen ist und u.a. von Žirinovskij sowie Dugin
repräsentiert wird. Zwar lassen sich in der Politik des russischen Außenmi-
nisteriums bislang noch keine offen revolutionär-imperialistischen Elemen-
te entdecken. Der innerrussische Diskurs um künftige Ziele und Methoden
russischer Außenpolitik wird jedoch von den besonders radikalen Forde-
rungen Žirinovskijs, Dugins und ähnlicher Ideologen heute mitbeeinflußt.67
Vor diesem Hintergrund lassen sich auch die Gründe für die Aggressivi-
tät der jüngeren Verlautbarungen Putins und nunmehr auch Medvedevs in-
terpretieren. Als Medvedev vor seiner Amtsübernahme noch relativ niedrige
Positionen in der Putinschen Machtvertikale einnahm und unter direkter
Patronage des damaligen Präsidenten stand, war er ungebunden genug, sei-
ne Nähe zu europäischen Grundwerten wiederholt öffentlich deutlich ma-
chen zu können.68 Seit seiner Machtübernahme als Präsident der Russischen
Föderation ist Medvedev allerdings gezwungen, sich mit den verschiedenen
Gruppierungen des gesamten Spektrums des russischen politischen
Mainstreams auseinanderzusetzen. Er sieht sich hierbei nicht nur mit star-
ken restaurativen imperialen Tendenzen in vielen Teilen des Staatsapparates
und der Zivilgesellschaft konfrontiert, sondern muß beim Versuch, seine
Position im föderalen Machtgefüge zu konsolidieren, auch die noch extre-
meren Forderungen revolutionärer Revanchisten wie Žirinovskij und Dugin
berücksichtigen.
Insofern als Putin und seine Gehilfen in den vergangenen Jahren einen
radikalen Antiamerikanismus hof- und mehrheitsfähig gemacht haben, ver-
67
Umland, Andreas: Neue ideologische Fusionen im russischen Antidemokratismus.
Westliche Konzepte, antiwestliche Doktrinen und das postsowjetische politische Spekt-
rum, in: Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hg.): Gefährdungen der Freiheit. Extremistische
Ideologien im Vergleich. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2006, S. 371-406.
68
Umland, Andreas: A second Gorbachev?, in: Prospect, 28.3.2008, URL (zuletzt geöff-
net am 27.11.2009) http://www.prospectmagazine.co.uk/2008/03/asecondgorbachev/.
124 Andreas Umland

schaffte der ehemalige KGB-Offizier Demagogen wie Dugin politischen


Raum. Im Ergebnis der unter Putin grundlegend gewandelten Medien- und
Informationspolitik ist es heute in der Russischen Föderation ein kaum noch
hinterfragter Allgemeinplatz, daß weniger die Erblasten der sowjetischen
Vergangenheit als der Westen und insbesondere die USA für eine Vielzahl
jüngerer, aus russischer Sicht negativer Entwicklungen in und um Rußland
verantwortlich sind. Vor diesem Hintergrund erscheint die noch umfassen-
dere Kampfansage Žirinovskijs, Dugins und ähnlich ausgerichteter Ideolo-
gen an die westliche Welt sowie deren Vorschlag der Bildung völlig neuer
Großreiche, ihr revolutionärer Imperialismus, in gewisser Hinsicht eine
konsequentere Antwort auf die angebliche amerikanische Bedrohung zu
sein, als die lediglich irredentistischen Bestrebungen der „Sowjetreaktionä-
re“.69 Putins und Medvedevs Statements reflektieren zwar nicht die revolu-
tionär-imperialen Pläne der extremen Rechten. Ihre öffentlichen Positionie-
rungen sind jedoch teilweise der inzwischen kontinuierlichen Präsenz von
revolutionärem Expansionismus in den allwöchentlich von Massenmedien
und auf Expertenforen transmittierten politischen, journalistischen und aka-
demischen Debatten geschuldet.70
So ist der relativ liberal eingestellte, neue russische Präsident gezwun-
gen, gegen potentielle und tatsächliche Rechtsaußenkritik eine hinreichend
breite Allianz zu bilden, die es ihm erlaubt, eine Festigung seiner Stellung
als formal mächtigster Politiker Rußlands durchzusetzen. Die Logik des
zwar verdeckten, aber weiterhin existenten russischen politischen Wettbe-
werbs treibt ihn vor dem Hintergrund der oben illustrierten Neuaufteilung
des politischen Spektrums in die Arme der „Sowjetreaktionäre“. Würde
Medvedev auf einer ungeschmälerten Implementierung seiner im wesentli-
chen prowestlichen Agenda und einer weitgehenden Annäherung mit der
EU und den USA insistieren, liefe er Gefahr, eine breite Allianz aus macht-
politischen Zynikern, „Sowjetreaktionären“ sowie extremen Rechten gegen
sich zu mobilisieren und damit womöglich seine politische Marginalisie-
rung oder gar Entmachtung zu provozieren.
69
Umland, Andreas: Russischer Rechtsextremismus im Lichte der jüngeren theoretischen
und empirischen Faschismusforschung in: Osteuropa, Bd. 52, H. 7, 2002, S. 901-913;
ders.: „Neoeurasismus“ und Antiamerikanismus als Grundbestandteile des außenpoliti-
schen Denkens in Russland, in: Russland-Analysen, Nr. 174, 2008, S. 11-14.
70
Ders.: Conceptual and Contextual Problems in the Interpretation of Contemporary Rus-
sian Ultranationalism, in: Russian Politics and Law, Bd. 46, H. 4, 2008, S. 6-30.
Restauratives versus revolutionäres imperiales Denken 125

Abschließend kann man daher prognostizieren, daß wenn der erstarkte


russische Rechtsextremismus und revolutionäre Imperialismus nicht einge-
dämmt, als neofaschistisch stigmatisiert und aus den Massenmedien ver-
drängt wird, zu erwarten ist, daß sich die Beziehungen zwischen Rußland
und dem Westen weiter verschlechtern werden. So lange wie relativ pro-
westliche Akteure an der Spitze Rußlands gezwungen sein werden, um
mehrheitsfähige Koalitionen im Kontext eines politischen Establishments
zu ringen, welches revolutionäre Revanchisten als legitime öffentliche Dis-
kursteilnehmer einschließt, wird sich das politische Zentrum des heutigen
Rußlands weiterhin um das Ziel einer wenigstens teilweisen Restauration
des russischen Reiches gruppieren.71

71
Ders.: The Unpopular Prospect of World War III. The 20th Century Is Not Over Yet,
in: History News Network, 16.1.2009, URL (zuletzt geöffnet am 27.11.2009)
http://hnn.us/roundup/entries/60004.html.

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