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3/14/2020 Coronavirus – "Wer soll denn die alten Menschen sonst versorgen?

" | Politik

13. März 2020, 20:30 Uhr Coronavirus

"Wer soll denn die alten Menschen sonst versorgen?"

Durch Schulschließungen soll die Ausbreitung des Coronavirus in der Gesellschaft verhindert
werden - vor allem, um die Alten zu schützen.

Aber oft springen Großeltern bei der Betreuung ein und sind deshalb noch mehr gefährdet.

Besonders Mediziner, Pfleger und Sanitäter stehen bei Betreuung und Quarantäne vor einem
Problem. Sie werden auf der Arbeit besonders gebraucht.

Von Kristiana Ludwig, Berlin

Die Jüngsten sollen die Ältesten schützen - so kann man die Entscheidung der meisten
Bundesländer erklären, von kommender Woche an Schulen und Kindergärten zu schließen. Denn
das Coronavirus, das mittlerweile in ganz Deutschland grassiert, ist vor allem für alte und
gesundheitlich geschwächte Menschen gefährlich. Für sie ist es wichtig, dass die Übertragung der
Krankheit in der Bevölkerung verlangsamt wird. Damit Ärzte und Pfleger jedem Menschen, der in
Zukunft an einer Lungenentzündung erkrankt, gut helfen können. Ihnen gilt im Augenblick die
besondere Aufmerksamkeit der Mediziner und der Politik.

Viele Bundesländer erließen am Freitag neben den Schulschließungen auch gleich Besuchsverbote
für Pflegeheime, Behinderteneinrichtungen und Kliniken. Doch offenbar sind die Regeln für
Angehörige regional sehr verschieden. Sie reichen von sehr strengen Verboten bis zu der Maßgabe:
ein Besucher pro Tag. In besonders schwierigen Situationen, zum Beispiel, wenn ein Mensch im
Sterben liegt, sollen Familien aber wohl ans Bett kommen dürfen. Schon in der vergangenen Woche
hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) dazu aufgerufen, in der kommenden Zeit die
Großeltern besser anzurufen, statt sie zu besuchen. Auch der Appell der Kanzlerin, Sozialkontakte
auf ein Minimum zu reduzieren, war unmissverständlich. Jetzt gilt es, Abstand zu halten.

Doch so gut gemeint die Schulschließungen auch sind, so viele Fragen werfen sie auch auf, und
zwar genau für die Menschen, um die es eigentlich gehen soll - die Alten und Hilfsbedürftigen. Das
beginnt mit einem Problem, auf das auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD)
aufmerksam machte: "Häufig springen die Großeltern bei der Betreuung ein. Damit würden die

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Älteren gerade aber umso mehr gefährdet", sagte sie in einem Interview. Mütter und Väter stehen
jetzt vor der Herausforderung, ihre Kinder zu betreuen und gleichzeitig ihre eigenen Eltern vor
einer Ansteckung zu schützen. Das dürfte für viele Familien nicht einfach werden.

Besonders schwierig aber wird es für diejenigen, die in dieser Krise schon jetzt unter dem größten
Druck stehen: die Mitarbeiter des Gesundheitswesens. Wenn Pflegekräfte, Labormitarbeiter und
Ärzte sich jetzt um Kinderbetreuung Gedanken machen müssen, statt Lungenkranken zu helfen,
kann das zu einem fatalen Engpass führen. Viele Bundesländer haben zwar für die Kinder von
Medizinern, Pflegern und Sanitätern eine Notbetreuung eingerichtet. Doch die Kriterien dafür sind
meist sehr streng: Nur wenn beispielsweise eine Pflegerin alleinerziehend ist oder ihr Partner auch
im Gesundheitswesen arbeitet, dürfen die Kinder weiter zur Schule gehen. Ansonsten muss der
Partner aufpassen. Es ist eine Regelung, die jeder einzelnen Familie Kopfzerbrechen bereiten wird.

Quarantäne macht P egern große Sorgen


"Wir können es uns in der jetzigen Situation schlichtweg nicht leisten, Personal zu verlieren, das für
die Behandlung von Patienten oder an anderer Stelle dringend gebraucht wird", sagt die
Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna. Genau diese Befürchtung
hatte auch die Bundesregierung bislang von der Entscheidung abgehalten, den Kultusministern der
Länder zu Schulschließungen zu raten. Nun wird sich zeigen müssen, ob die Sonderbetreuung den
Mitarbeitern des Gesundheitswesens den Rücken freihalten kann.

Dabei sind die familiären Pflichten ihrer Angestellten noch längst nicht die einzige Hürde für
Kliniken und Altenheime in Zeiten von Corona. Es ist besonders ein Szenario, das Pflegern zurzeit
große Sorgen macht: die Quarantäne. Sollten Altenpfleger jetzt wegen eines Corona-Verdachtsfalls
in ihrem Umfeld ausfallen, könnte das die Pflegeeinrichtungen in ernste Schwierigkeiten bringen.
"Wir haben gar nicht so viele Leute, die diese Ausfälle auffangen könnten", sagt etwa Johannes
Hermann, der in einem Dresdener Heim arbeitet: "Das kann ganz schnell solche Lücken reißen,
dass die verbleibenden Kollegen dann rund um die Uhr arbeiten müssten" - mit entsprechenden
Folgen für deren Gesundheit.

Bleiben die P eger zu Hause, ist die Gesundheit der Alten bedroht. Kommen
sie zur Arbeit, ist sie es ebenfalls
Die Sprecherin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe geht schon jetzt davon aus, dass
viele Heime Mitarbeiter, die Kontakt zu Corona-Infizierten hatten, trotzdem einsetzen werden:

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"Wer soll denn die alten Menschen sonst versorgen?" Schließlich könne man zurzeit
Pflegebedürftige auch nicht einfach in ein Krankenhaus schicken. "Sie müssen Betten für zu
isolierende Corona-Patienten freimachen", meint sie. Der Pflegebevollmächtigte der
Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, sieht allerdings gerade die Kliniken als
Ausweichmöglichkeit für Heime unter Quarantäne: "Im äußersten Fall müssen Pflegebedürftige ins
Krankenhaus verlegt werden oder sie werden von anderen Trägern übernommen", sagt er. Ob
Pflegekräfte, die "nur in der Nähe eines Infizierten" waren, weiterarbeiten dürfen, nennt er eine
"individuelle Abwägung" - der Gesundheitsämter vor Ort. Wie so viele wichtige Entscheidungen in
der Krise liegt auch diese eher bei den Bürgermeistern als beim Bund.

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Schon jetzt zeichnet sich ab, dass das Coronavirus für die Pflegeheime, die schon zu normalen
Zeiten unter Personalnot leiden, in ein Dilemma führen wird: Bleiben die Mitarbeiter wie
empfohlen zu Hause, ist die Gesundheit der Alten bedroht. Kommen sie zur Arbeit und bringen
womöglich das Virus mit, ist sie es ebenfalls.

Während sich nun also in ganz Deutschland die Schulen, Kongresshallen und Büros leeren, beginnt
für das medizinische Personal ein Arbeiten unter Hochdruck. Und je höher die Arbeitsbelastung
wird, das besorgt auch die Gewerkschaft Verdi, umso weniger Zeit bleibt für das Desinfizieren der
Hände und Stationen. Es gilt, sie zu unterstützen. Mit Mundschutz und Desinfektionsmittel, auf
das man selbst verzichtet, mit Kinderbetreuung und mit Verständnis. Denn sie sind es, die
Großeltern und kranke Familienmitglieder jetzt vor dem Coronavirus schützen müssen.

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Quelle: SZ vom 14.03.2020/saul

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