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106 (2009) Jahwekrieg und Heilsgeschichte 265

Jahwekrieg und Heilsgeschichte

von

Reinhard Müller

Das Alte Testament erzählt von Kriegen, die Israels Feinden den Unter­gang
Univ.- & Landesbibliothek Muenster 128.176.254.19 Thu, 02 Mar 2017 11:45:01

bringen. Diese Kriege werden von Jahwe, dem Gott Israels, geführt.
Am Schilfmeer kämpft Jahwe sogar allein auf der Seite Israels. Die Israeliten
nehmen das Schwert, wenn Jahwe es befiehlt: Sie erobern das Land und rotten
die Kanaanäer aus. Weil Jahwe ihnen beisteht, kön­nen sie sich in der Zeit der
Richter und Köni­ge ihrer über­mächti­gen Feinde er­weh­ren. Immer wieder greift
Is­raels Gott in die Kriege seines Volkes ein: Er lässt Stadt­mauern ein­stür­zen,
schleudert Steine vom Himmel, erweckt geisterfüllte Hel­den, die Israel in die
Schlacht füh­ren, stiftet unter den Feinden sol­che Ver­wirrung, dass sie überein-
ander herfallen, und rettet Jerusalem vor den Assyrern, indem er durch seinen
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Engel eine gewaltige Zahl von Kriegern tötet.


Wie und wann ist die Vor­stellung des Jahwekrieges entstan­den? Und wie
verhält sie sich dazu, dass Jahwe nach dem Alten Testament nicht nur der Gott
Israels ist, sondern auch der einzige Gott aller Welt?

1. Der gemeinsame Kampf von Gott und König


im Alten Orient und in Israel

Die Kriegstheologien des Alten Orients stimmen in einem Punkt überein:


Kriege werden von Königen geführt, und die Gott­heit des Königs kämpft auf
seiner Seite1. Ein Beispiel, das dieses Zusammenwirken zur Sprache bringt, ist
eine Inschrift des syrischen Königs Zakkur (ca. 785 v. Chr.). Der König erzählt
von seiner Inthronisation und dem Sieg über ein Bünd­nis syrischer und anato-
lischer Könige:
»[…] Ich bin Zakkur, der König von Hamath und Lu≠asch. Ein einfacher Mann war ich,
aber Be≠elschemayn [berief mich] und stand mir bei. Und Be≠elschema[yn] machte mich
zum König [über Ha]zrak. Aber Birhadad, der Sohn des Haza}el, der König von Aram,
vereinigte s[ieb]zehn Könige gegen mich: [es folgt die Aufzählung der Könige]. Und all

1  Vgl. S.-M. Kang, Divine War in the Old Testament and in the Ancient Near East

(BZAW 177), 1989, 108; B. Oded, War, Peace and Empire. Justifications for War in As-
syrian Royal Inscriptions, 1992, 9–27.

Zeitschrift für Theologie und Kirche, Bd. 106 (2009),  S. 265–283


© Mohr Siebeck – ISSN 0044-3549
266 Reinhard Müller ZThK

diese Könige belagerten Hazrak. Und sie richteten einen Wall auf, höher als der Wall von
Hazrak; und sie hoben einen Graben aus, tiefer als [sein] Grabe[n]. Aber ich erhob meine
Hände zu Be≠elsche[may]n, worauf Be≠elschemay[n] mir antwortete […]. Be≠elschemayn
[wandte sich] zu mir durch Seher und durch Wahrsager. [Und] Be≠elschemayn [sagte zu
mir:] Fürchte dich nicht; denn [ich] habe [dich] zum Köni[g] gemacht, [und ich werde] dir
[beiste]hen, und ich werde dich befreien von all [diesen Königen, die] eine Belagerung ge-
gen dich eröffnet haben […].«2

Zakkur leitet seine Königswürde nicht von einer dynastischen Linie her,
sondern davon, dass Be≠elschemayn, der Wettergott des Himmels3, ihn berufen
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hat; anscheinend hatte er den Thron usurpiert4. Deshalb stellt er den Angriff
Birhadads und seiner Verbündeten als Testfall für seine Berufung dar: Ange-
sichts der feindlichen Übermacht betet der König zu dem Wettergott, und die-
ser antwortet mit einem Heilsorakel, das »durch Seher und durch Wahrsager«
übermittelt wird. Das Orakel bestätigt, dass Be≠elschemayn auf der Seite Zak-
kurs steht: Der Gott beginnt seine Rede an den König mit der geprägten For-
mel »Fürchte dich nicht!«5. Zur Begründung erinnert Be≠elschemayn an Zak-
kurs Inthronisation und verheißt ihm seinen Beistand für den Kampf. Zakkurs
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Sieg gerät so zum Beweis für die göttliche Legitimation des Usurpators. Indem
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Zakkur in der zweiten Hälfte der Inschrift berichtet, dass er die zerstörten
Festun­gen wiederhergestellt und Tempel gebaut hat6, bezeugt er, wie nachhal-
tig sein Triumph gewesen ist.
Auch in Israel sprach man davon, dass Gott und König im Krieg zusammen-
wirken. Am deutlichsten lässt sich das aus frühen Psalmen entnehmen, die für
einen königlichen Beter gedichtet wurden. Ein Beispiel ist Ps 3, ein Gebet um
Rettung aus der Belagerung:
»Jahwe, wie zahlreich sind meine Feinde,
viele sind, die gegen mich aufstehen!
Aber du, Jahwe, bist mir ein Schild,
meine Ehre und der mein Haupt erhebt.

2  A:2–15 (Übersetzung von W. C. Delsman, in: TUAT I, 1985, 626f; Text: H. Don-

ner / W. Röllig, Kanaanäische und aramäische Inschriften [KAI] I, 20025, Nr. 202).


3  Zur Geschichte dieses Gottes vgl. H. Niehr, Ba≠alšamem. Studien zu Herkunft,

Geschichte und Rezeptionsgeschichte eines phönizischen Gottes (Studia Phoenicia


XVII), Leuven u. a. 2003, bes. 89–92 anhand der Zakkurinschrift sowie zusammenfas-
send 181–184 über die Stellung des Gottes in der aramäischen Religion.
4  Vgl. Delsman (s. Anm. 2), 626, Anm. 1.
5  Zum prophetischen und königsideologischen Hintergrund der Formel vgl. M. Nis-

sinen, Fear Not: A Study on an Ancient Near Eastern Phrase (in: M. A. Sweeney / E.
Ben Zvi [Hg.], The Changing Face of Form Criticism for the Twenty-First Century,
Grand Rapids/MI / Cambridge 2003, 122–161), 148ff.
6  B:1–28 (Übersetzung von Delsman [s. Anm. 2]).
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Ich fürchte mich nicht vor Zehntausenden an Kriegsvolk,


die ringsum gegen mich gelagert haben.
Steh auf, Jahwe,
rette mich, mein Gott!«7

Der Beter beginnt, indem er die Übermacht seiner Feinde beklagt. Sein Aus-
ruf »wie zahlreich sind …!« (V. 2) ist allerdings keine geprägte Form der Klage,
sondern entspricht dem Bewunderungsruf, der die Fülle der göttlichen Werke
preist8: Auch wenn die Feinde noch so zahlreich sind, ist der Beter gewiss, dass
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Jahwe ihn bewahren kann. Das wird in der Mitte des Psalms (V. 4.7) entfaltet:
Jahwe ist dem Beter Schild9 und Ehre10; indem er das Haupt des Beters erhebt,
beendet er die Not, in der dieser sein Haupt sinken ließ11. Der Beter bekennt,
dass er die Belagerer nicht fürchtet; er spricht von »Zehntausenden an Kriegs-
volk«, um zu betonen, wie sehr er auf Jahwes Überlegenheit vertraut12. Weil die
Feinde gegen ihn aufgestanden sind (V. 2), beschließt er sein Gebet, indem er
Jahwe bittet, zu seiner Rettung aufzustehen (V. 8*)13.
Das Triumphlied, das in Ps 18,33ff* enthalten ist, beschreibt, wie Gott und
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König in der Schlacht zusammenwirken:


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»Der Gott, der mich mit Kraft umgürtet


und meinen Weg vollkommen macht,
lässt meine Füße den Hinden gleichen
und stellt mich auf meine Höhen.
Er lehrt meine Hände für die Schlacht,
und meine Arme spannen den Bogen.

7 
Ps 3,2.4.7.8aa. – Durch verschiedene Nachträge wurde das Gebet in den Horizont
der nachexilischen Frömmigkeit gestellt: In V. 3 wird die Feindbedrängnis als religiöse
Anfeindung gedeutet, indem die Vielen von V. 2 hier über die Gottverlassenheit des Be-
ters sprechen. Demgegenüber heben V. 5f die Erhörungsgewissheit des Beters hervor. In
V. 8ab.b wird das Motiv der Feinde mit der Gruppe der Frevler (vgl. Ps 1) verknüpft. V. 9
ist eine wahrscheinlich ältere Ergänzung, die das Motiv der Rettung aus V. 8aa auf das
Gottesvolk bezieht.
8  So in Ps 104,24; vgl. 36,8; 66,3; 92,6.
9  Vgl. Ps 18,3.36; 28,7; 144,2.
10  Die nächste Parallele bietet Ps 21,6: Die Ehre des Königs verdankt sich Jahwe.
11  In der Liturgie von Ps 24,7–10, die die Rückkehr des triumphierenden Jahwe der

Heerscharen aus der mythischen Schlacht inszeniert, wird die Erhebung des Hauptes
von den Toren der Stadt ausgesagt; vgl. R. Müller, Jahwe als Wettergott. Studien zur
althebräischen Kultlyrik anhand ausgewählter Psalmen (BZAW 387), 2008, 149–154.
12  Vgl. Ps 27,3; zu den »Zehntausenden« vgl. Ps 91,7.
13  Die Bitte zitiert wahrscheinlich den sog. Ladespruch Num 10,35, eine kurze Ge-

betsformel, die auf den Beginn der Schlacht blickt, ursprünglich jedoch nichts mit der
Lade zu tun hat.
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Ich jage meinen Feinden nach und hole sie ein,


und ich kehre nicht zurück, bis ich sie aufgerieben habe.
Ich zerschmettere sie, und sie stehen nicht auf,
sie fallen unter meine Füße.«14

Der irdische Krieger ist Abbild des göttlichen: Er wird mit Kraft umgürtet,
wie Jahwe sich »mit Macht gürtet« (Ps 93,1; vgl. 65,7); er wird auf seine Höhen
gestellt, wie Jahwe über die Höhen der Erde schreitet (Dtn 33,29; Am 4,13;
Mi  1,315). Der Beter wird von seinem Gott im Kriegshandwerk unterwiesen
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und zum Bogenschützen ausgebildet, wie auf ägyptischen Darstellungen ein


Gott die Hände des Königs beim Bogenschuss führt16; in einer Inschrift des
neuassyrischen Königs Assurbanipal (669–627 v. Chr.) findet sich eine ähnliche
Aussage: »Sie [sc. die großen Götter] lehrten mich die Ausübung von Kampf
und Schlacht […]«17. Am Ende des Liedes lobt der Beter sich selbst: Mit Bil-
dern, die an altorientalische Herrscherdarstellungen erinnern18, malt er seinen
triumphalen Sieg aus (V. 38f).
Der Gedanke, dass der König von seinem Gott im Gebrauch von Pfeil und
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Bogen unterwiesen wird (V. 35*), entspricht einem Ritual, das in einer Episode
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des Elisazyklus begegnet (2Kön 13,14–17)19. Als der israelitische König Joasch

14  Ps 18,33f.35*.38f. – In V. 36f.40f.43 lässt sich eine Bearbeitung greifen, die sich

durch die Anrede an Jahwe von dem ursprünglichen Lied abhebt; sie diente zusammen
mit V. 3.30 dazu, das Triumphlied mit dem Danklied zu verknüpfen, das in V. 4–20 ent-
halten ist (dazu Müller, Jahwe [s. Anm. 11], 18–42). Kern dieses Danklieds ist eine poe-
tische Schilderung der Theophanie eines Wettergottes, der als zorniger Bogenschütze
vorgestellt ist (V. 8–16). Wahrscheinlich wurden die beiden Stücke zusammengestellt,
weil der königliche Bogenschütze in V. 35 als Abbild des göttlichen verstanden werden
kann. Umfangreiche jüngere Nachträge finden sich in V. 2.21–29.31f.42.44–51.
15  Eine Variante bietet Hi 9,8, wo von den »Höhen des Meeres« die Rede ist. Der iko-

nographische Hintergrund verweist auf Wettergottgestalten (vgl. A. Vanel, L’icono­


graphie du dieu de l’orage. Dans le Proche-Orient ancien jusqu’au VIIe siècle avant J.-C.
[CRB 3], Paris 1965, 162 sowie Abb. 17, 31, 34, 35, 58).
16  Vgl. O. Keel, Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testa-

ment. Am Beispiel der Psalmen, 19965, 242f.


17  K 2867:Vs. 13 = M. Streck, Assurbanipal und die letzten assyrischen Könige bis

zum Untergange Niniveh’s, Bd. II: Texte: Die Inschriften Assurbanipals und der letzten
assyrischen Könige (Vorderasiatische Bibliothek 7/2), 1916, 210f. Das Motiv hebt hervor,
dass die Götter dem König beistanden, während er von der Kindheit zum Mannesalter
heranwuchs. Zur Parallele mit Ps 18,35 vgl. E. Otto, Politische Theologie in den Kö-
nigspsalmen zwischen Ägypten und Assyrien. Die Herrscherlegitimation in den Psal-
men 2 und 18 in ihren altorientalischen Kontexten (in: Ders. / E. Zenger [Hg.], »Mein
Sohn bist du« (Ps 2,7). Studien zu den Königspsalmen [SBS 192], 2002, 33–65), 53.
18  Vgl. Keel (s. Anm. 16), 272–277.
19  Zu einem vergleichbaren neuassyrischen Ritual vgl. Otto (s. Anm. 17), 52f; G.

Karner, »Ein Siegespfeil von Jahwe«. Eine neuassyrische Parallele zu 2Kön 13,14–20
(WZKM 96, 2006, 159–195).
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(802–787 v. Chr.) den todkranken Jahwepropheten Elisa besucht, beklagt er


dessen Ende mit dem Ruf: »Mein Va­ter, mein Vater! Wagen Israels und sein
Lenker!«20 Elisa hatte den Usurpator Jehu, den Gründer der Dynas­tie, salben
lassen (2Kön 9,1–13*21). Dem Jehuiden Joasch gilt er deshalb genauso viel wie
der eigene Vater; Elisas numinose Macht wiegt in den Augen des Königs die ge-
samte Streitwa­gentruppe auf22. Noch aber lebt der Prophet: Er be­fiehlt dem
König, Pfeil und Bogen zu ergrei­fen, und legt seine Hände auf dessen Hände,
während der König schießt. Elisa ruft aus:
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»Ein Pfeil der Rettung für Jahwe!


Ein Pfeil der Rettung gegen Aram!
Du wirst Aram bei Afek schlagen, bis du sie aufgerieben hast!«23

Der Prophet wirkt als Mitt­ler zwi­schen Jahwe und dem König: Er überträgt
die göttliche Kraft auf die kö­niglichen Hände, um den König zur Schlacht zu
befähigen; indem er ihm zuspricht, dass sein Sieg Jahwe gelten wird, schließt
sich der Kreis der magischen Kraftübertragung. Die Vollständigkeit des Sieges
wird von dem Propheten mit einer Wendung benannt, die auch in dem könig­
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lichen Triumphlied von Ps 18* begegnet (V. 38).


Das Gewicht liegt auf dem Begriff der »Rettung« (j ešû≠ah). Aus ihm lässt
sich entnehmen, dass die Theologie des Krieges in den Mythos der Weltord-
nung eingezeichnet war: Alle Kriege dienten dazu, die brüchige Lebenswelt des
Menschen vor dem Chaos zu bewahren 24; in ihnen verteidi­gten der göttliche
König und sein irdischer Stellver­treter den Kosmos gegen heranstürmende
Mächte der Zer­störung25.

20  Nach der Septuaginta. Derselbe Ruf begegnet auch bei der Himmelfahrt Elias im

Mund Elisas (2Kön 2,12); er dürfte von Elisa auf Elia übertragen worden sein (vgl. E.
Würthwein, Die Bücher der Könige, Teil 2: 1. Kön. 17–2. Kön. 25 [ATD 11,2], 1984,
275).
21  Genauer V. 1–6*.10b.11–13* (vgl. Y. Minokami, Die Revolution des Jehu [GThA

38], 1989, 124–126).


22  Vgl. H.-Ch. Schmitt, Elisa. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur

vorklassi­schen nordisraelitischen Prophetie, 1972, 176.


23  2Kön 13,17. ­– V. 18f sind ein königskritischer Nachtrag, der Joaschs glanzvollen

Sieg in einen unvollständigen Sieg ummünzt (vgl. Würthwein, Könige [s. Anm. 20],
365f).
24  Vgl. M. Weippert, »Heiliger Krieg« in Israel und Assyrien. Kritische Anmerkun-

gen zu Gerhard von Rads Konzept des »Heiligen Krieges im alten Israel« (in: Ders.,
Jahwe und die anderen Götter. Studien zur Religionsgeschichte des antiken Israel in ih-
rem syrisch-palästinischen Kontext [FAT 18], 1997, 71–97), 97; S. M. Maul, Der Sieg
über die Mächte des Bösen. Götterkampf, Triumphrituale und Torarchitektur in Assy-
rien (in: E. Zenger [Hg.], Ritual und Poesie. Formen und Orte religiöser Dichtung im
Alten Orient, im Judentum und im Christentum [HBS 36], 2003, 47–71), bes. 55f, 70f.
25  Vgl. Müller, Jahwe (s. Anm. 11), 236–248.
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2. Jahwes Kampf für die königslosen Israeliten

Im Zusammenhang des Alten Testaments hat sich das Bild des Krieges jedoch
tiefgreifend gewandelt. Am deut­lichsten zeigt sich das an der Erzählung von Is-
raels Rettung am Meer (Ex 14). Die äl­teste Fassung ist das Urbild des heilsge-
schichtlichen Jahwekrieges26:
»[…] Als die Israeliten ihre Augen aufhoben, siehe, da war Ägypten aufgebro­chen hinter
ihnen her, und sie fürchteten sich sehr. Mose aber sprach zu dem Volk:
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›Fürchtet euch nicht!


Jahwe wird für euch kämpfen;
ihr aber sollt euch still verhalten.‹
Und Jahwe ließ in der ganzen Nacht das Meer durch einen starken Ost­wind gehen und
legte das Meer trocke­n. In der Morgenwache blickte Jahwe hinaus zum Heer Ägyptens
und verwirrte das Heer Ägyptens. Da sprach Ägyp­ten: ›Ich will vor Israel fliehen, denn
Jahwe kämpft für sie gegen Ägypten.‹ Das Meer aber kehrte, als sich der Morgen wandte,
zu seinem Bett zurück, und die Ägyp­ter flohen ihm entgegen, und Jahwe schüttelte die
Ägypter mitten ins Meer.«27
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Hier kämpfen Gott und Mensch nicht gemeinsam: Jahwe allein streitet ge-
gen Ägypten (V. 25b).
Das Motiv der göttlichen Alleinwirksamkeit im Krieg gibt es auch au­ßerhalb
des Alten Testaments. Ein Beispiel findet sich in einem Abschnitt einer In-
schrift des Assurbanipal, in dem der neuassyrische König von einem überaus
gefährlichen Gegner erzählt: Als der Angriff Assurbanipal in äußerste Furcht
versetzt, schildert er der Göttin Ištar die Not­lage. Sie antwor­tet mit der Formel
»Fürchte dich nicht!« und fährt fort: »Wegen deines Gebetes, das du ausgespro-
chen hast, wobei deine Au­gen sich mit Trä­nen füllten, erbarme ich mich.«28 In
einem Traum empfängt ein Prophet eine weitere Botschaft der Göttin an den
König:
»Du sollst hier bleiben an deinem Platz. Iss Speise, trinke Bier, veranstalte Musik und
preise meine Gottheit, während ich hin­gehe, die fragliche Arbeit erledige und (dich) die
Wünsche deines Herzens er­reichen lasse! Dein Antlitz lasse ich nicht fahl werden, deine
Füße sollen nicht schwanken, du sollst nicht deinen Schweiß abtupfen in der Hitze des
Gefech­tes!«29

26 
Vgl. Ch. Levin, Der Jahwist (FRLANT 157), 1993, 343.
27 
V. 10ba.13aa(bis tîra’u).14.21a(ab wajjôlæk).24aa.b.27(ab wajjašåb).
28  Prismenklasse B V 63–70. Übersetzung nach R. Borger, Beiträge zum Inschrif-

tenwerk Assurbanipals. Die Prismen­k lassen A, B, C = K, D, E, F, G, H, und T, 1996, 225


(vgl. K. Hecker, in: TUAT.NF 2, 2005, 82).
29  Übersetzung: Borger (s. Anm. 28), ebd.
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Der König muss nicht selbst in die Schlacht ziehen. Die Göttin erle­digt seine
kriegerische »Arbeit«. Anschließend berichtet Assurbanipal freilich im üb­
lichen Stil der Königsinschriften, dass er den Feldzug durch den Beistand der
Götter zum Sieg geführt habe30. Dass er vorher behauptet, die Göttin allein
habe die Bedrohung abgewehrt, soll ihn als rechtmäßigen Herrscher erweisen.
Der Vergleich mit dieser Inschrift macht die Eigenheit der Er­zählung vom
Meerwunder sichtbar: Jahwe kämpft nicht für ei­nen König, son­dern für Israel
(V. 25b). Mose tritt zwar als traditioneller Heils­prophet auf; er richtet sein Ora-
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kel aber nicht an einen Herrscher, son­dern an die Israeliten (V. 13f*). Dass diese
nicht selbst kämpfen, erhält so einen vollkommen anderen Sinn: Sie verfügen
über keinerlei militärische Macht, sind aber in ihrer Gesamtheit genauso gott­
unmittelbar wie ein König. Israel braucht kein Königtum, um als Volk beste-
hen zu können. Dieser Gedanke sucht im Alten Orient seinesgleichen.
Die Überlieferung vom Meerwunder mag eine alte Erinnerung ent­halten,
die auf die Zeit der Anfänge Israels zurückgeht (vgl. Ex 15,21). Die vorliegende
Ges­talt der Erzählung setzt jedoch Formen voraus, die aus dem Kö­nigtum
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stammen: Das Heilsora­kel (V. 13f*) und die kriegsentscheiden­de göttli­che Hilfe
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am Morgen (V. 24*) waren ursprünglich auf die Theologie der Weltord­nung be-
zogen, die am Kö­nigshof ausgebildet wurde31.
Entscheidend ist aber die Distanz zum König­tum, die die Erzählung gleich-
zeitig einnimmt: So wie hier dürfte man kaum von Israel geredet haben, so-
lange es noch ein Kö­nigreich dieses Na­mens gab. Wahrscheinlich setzt der Text
bereits dessen Untergang vor­aus, zu dem es durch die assyrischen Feldzüge der
Jahre 734–32 und 724–22 v. Chr. kam.
Redaktionsgeschichtliche Erwägungen lassen umgekehrt ver­muten, dass die
Urform der Erzählung schon früh zu ei­nem Erzählzyklus über Israels Auszug
aus Ägypten gehört hat32. Die Erzählung selbst könnte bald nach 722 entstan-

30 
B V 77ff (vgl. aaO 225f); Hecker (s. Anm. 28), 83f.
31 
Zum Heilsorakel vgl. Nissinen (s. Anm. 5), 148–158; zum Motiv der Gotteshilfe
am Morgen, die dem Beginn der Schlachten im Morgengrauen (1Sam 11,11) entspricht,
vgl. vor allem Ps 46,6; 57,8–12; 59,17 sowie B. Janowski, Rettungsgewißheit und Epi-
phanie des Heils. Das Motiv der Hilfe Gottes »am Morgen« im Alten Orient und im Al-
ten Testament, Band I: Alter Orient (BWANT 59), 1989.
32  Als Gerüst der Exoduserzählung erweist sich wahrscheinlich das sogenannte

Wüstenitinerar, das mit dem Aufbruch der Israeliten aus dem ägyptischen Ramses (Ex
12,37a) beginnt und mit der Ankunft in der Oase Kadesch endet (Num 20,1ab). Ex 14*
(mit 15,20f.22aa) wurde zwar erst nachträglich zwischen die Itinerarnotizen Ex 13,20
und 15,22ab eingeschoben; die Meerwundererzählung dürfte aber bereits zur ältesten
Moseerzählung gehört haben, die im Rahmen des Wüstenitinerars entstand: Die Mose-
überlieferung, die in Ex 2* vor das Wüstenitinerar gestellt wurde, zielte ursprünglich
wahrscheinlich vor allem auf die zentrale Rolle des Mose in Ex 14*; die beiden Todes-
und Begräbnisnotizen, die in Num 20,1b (Mirjam) und Dtn 34,5f* (Mose) schon früh
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den sein: Das Motiv der »Israeli­ten« (benê ji5ra’el) als einer wehrlosen Men-
schengruppe lässt an Angehörige des einstigen Nordreiches den­ken, die vor den
Assyrern auf der Flucht waren.
Vor dem altorientalischen Hintergrund zeigt sich die geistesgeschichtliche
Bedeutung des Textes: In Ex 14* wird das Motiv des kämpfenden Gottes von
der Macht des Königs getrennt. In der Erzählung spricht bereits eine Gemein-
schaft, die sich jenseits eines eigenen Königtums befindet. Sie definiert sich da-
durch, dass sie ihre Verteidigung ganz ihrem Gott überlässt.
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3. Späte Nachträge zum Jahwekrieg in Kriegsüberlieferungen


des Königtums

Dass Jahwe allein den Krieg führt, findet sich im Alten Testament allerdings
nur selten. An­ders als in Ex 14 tritt das Gottesvolk in den meisten alttestament­
li­chen Kriegserzählungen durchaus han­delnd auf. Warum stehen die beiden
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Vorstellungen nebeneinander?
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Die Literargeschichte gibt eine Antwort: Der Grundstock der alt­testament­


lichen Kriegstexte stammt aus dem Königtum und kennt die Idee des Gottes-
volkes noch nicht33. Sie wurde erst nach dem Ende des Königtums in die Texte
eingearbeitet. Dabei musste die königliche Kriegstheologie umge­formt werden.
Das geschah auf zweierlei Weise: Einerseits nahm man traditionsgeschichtlich
alte, syner­gistisch geprägte Motive auf und übertrug sie auf das Geschick des
Gottesvolkes im Krieg. Andererseits fügte man Motive ein, die un­terstreichen,
dass Jahwe allein die Kriege seines Volkes führt.

3.1. Die heilsgeschichtliche Perspektive in den Kriegsgesetzen


des Deuteronomiums

Ein Beispiel, an dem sich der Wandel zur heilsgeschichtlichen Perspektive grei-
fen lässt, sind die Kriegsgeset­ze von Dtn 20. Ihr Kern, der wahrscheinlich in
der späten Königszeit verfasst wurde, gibt militärische Anwei­sungen zur Be­
lagerung von Städten34. Irgendwann nach dem Ende des judäischen Königtums
(586 v. Chr.) wurde das deuteronomische Gesetzbuch in einen Erzählzusam-

mit dem Itinerar verknüpft wurden, entsprechen der Tatsache, dass Mose und Mirjam in
Ex 14* und 15,21f hintereinander als Schlüsselfiguren auftreten. Die meisten anderen
Szenen mit Mose als Hauptperson kamen nachweislich später hinzu.
33  Jos 2*; Ri 3*; 4*; 7*; 9*; 11*; 14–16*; 1Sam 11*; 13f*; 23*; 30*; 31*; 2Sam 5*; 10–12*;

1Kön 20*; 22*; 2Kön 3*.


34  Dtn 20,10–12.13b.14a*.19f.
106 (2009) Jahwekrieg und Heilsgeschichte 273

menhang gestellt, der vom Exodus, von Israels Wanderung durch die Wüste
und der Eroberung des verheißenen Landes handelt. Im Blick auf diesen heils-
geschichtlichen Rahmen wurde den Kriegsgesetzen eine Präambel hinzuge-
fügt:
»Wenn du zur Schlacht ausziehst gegen deine Feinde und Pferde und Wagen siehst,
Kriegsvolk zahlreicher als du, sollst du dich nicht vor ihnen fürchten; denn Jahwe, dein
Gott, ist bei dir, der dich hinaufführt aus dem Land Ägypten« (Dtn 20,1f).

Hier ist an die Landnahme gedacht. In ihr kommt der Exodus zum Ziel:
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Jahwe führt sein Volk aus Ägypten nach Palästina hinauf und lässt es das Land
erobern. Mit dem Motiv der überlegenen Feinde, das aus der Kriegstheologie
des Königtums stammt, dürfte die Militärmacht der Kanaanäer im Blick sein 35.
Die Glieder des Heilsorakels werden in Anlehnung an ältere Kriegsgesetze36
in einen Rechtssatz eingebettet und entsprechend abgewandelt: Die beruhi-
gende Formel »Fürchte dich nicht!« wird durch das strikte Verbot »Du sollst
dich nicht fürchten!« (lo’ tîra’) ersetzt, das für den Moment erlassen wird, in
dem die Israeliten die stärkeren Feinde erblicken. Die traditionelle Verheißung
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des göttlichen Beistands wird mit dem Exoduscredo verknüpft, das Israels ge-
schichtlich begründete Gottunmittelbarkeit zum Gegenstand hat.
Dass die Furcht untersagt wird, ist durch den heilsgeschichtlichen Hori-
zont begründet: Bei der Einnahme des versprochenen Landes käme Furcht
vor den Feinden dem Abfall von dem Gott des Exodus gleich37. Der Rechtssatz
von Dtn 20,1 wurde also nicht als zeitlos gültiges Gesetz verfasst: Er ist viel-
mehr auf den einmaligen Eroberungskrieg bezogen, der Israel bevorsteht, als
Mose seine große Abschiedsrede hält.
Eine jüngere Bearbeitung ergänzt, dass vor der Schlacht ein Priester auftre-
ten soll, um eine kurze Ansprache zu halten:
»Höre Israel! Ihr nähert euch heute der Schlacht gegen eure Feinde: Euer Herz werde
nicht weich, fürchtet euch nicht, entsetzt euch nicht und erschreckt nicht vor ih­nen. Denn
Jahwe ist euer Gott, der mit euch geht, um für euch mit euren Feinden zu kämpfen, dass
er euch rette« (Dtn 20,3f).

Der Priester beginnt mit den ersten Worten von Israels Grundbekenntnis
(Dtn 6,4): »Höre Is­rael!« Danach redet er wie Mose am Meer (Ex 14,13f) die Is-
raeliten in der Mehrzahl an, um sie angesichts des nahen Kampfes zur Furcht-
losigkeit zu mahnen. Unter den paränetischen Wendungen begegnet auch die
Formel der Beruhigung, die in der Form »Fürchtet euch nicht!« mit Ex 14,13
übereinstimmt. Anschließend werden die Mahnungen wie in einem Heilsora-

Vgl. Jos 11,4. 35 


36 
Vgl. vor allem den Beginn von Dtn 20,1 (»Wenn du zur Schlacht ausziehst gegen
deine Feinde …«) mit 21,10; 23,10.
37  Vgl. die Erzählung von den Kundschaftern (Num 13f; Dtn 1).
274 Reinhard Müller ZThK

kel begründet. Auch dazu dient Ex 14 als Vorlage. Von dort wird das Motiv des
Gottes, der für Israel kämpft (V. 14.25), übernommen und in einen Satz über Is-
raels Gottesverhältnis eingefügt: Indem Jahwe für die Israeliten kämpft und sie
vor der feindlichen Übermacht bewahrt, erweist er sich als ihr Gott. In der
Wendung »Jahwe ist euer Gott« klingt das Bekenntnis von Dtn 6,4 zum zwei-
ten Mal an (»Jahwe, unser Gott […]«)38.
Die Ansprache des Priesters mildert das Verbot der Furcht, das die Präam-
bel zu den Kriegsgesetzen (Dtn 20,1) ausspricht, ab: Dazu lehnt sie sich an die
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klassische Form des Heilsorakels an, hebt aber nach dem Vorbild von Ex 14
ausschließlich Jahwes Handeln hervor. Auf diese Weise wird der traditionsge-
schichtlich vorgegebene Synergismus von Jahwe und Israel korrigiert.

3.2. »Jahwe hat eure Feinde in eure Hand gegeben!«

Bearbeitungen, die Kriegsüberlieferungen des Königtums zu heilsgeschicht­


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lichen Jahwekriegen umgeformt haben, finden sich in fast allen Kriegserzäh-


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lungen des Alten Testaments. Ein vielerorts belegtes Element, das zu diesen Be-
arbeitungen gehört, ist die Formel der Übergabe­: »Jahwe hat eure Feinde in
eure Hand gegeben!« (Jos 10,19). Auch sie wurde im Königtum geprägt: Ihr
Sitz im Leben war das Heilsorakel, das vor der Schlacht an den König erging.
In dieser Funktion findet sich die Formel in außeralt­testamentli­chen Prophe-
tien39 und vereinzelt auch im Alten Testament40.
Nach dem Verlust des Königtums legte es sich nahe, die Formel im umgekehr-
ten Sinn zu verwenden. Das zeigt das redaktionelle Rahmenwerk des Richter­
buches, das wahrscheinlich in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts verfasst
wurde: Immer wenn die Israeliten Jahwe verlassen, gibt Jahwe sie in die Hand ih-
rer Feinde41. In diesem Gebrauch der Formel spiegeln sich die Katastrophen des
Königtums, die sich seit dem 8. Jahrhundert ereignet und im 6. Jahrhundert zum
endgültigen Verlust der Eigenstaatlichkeit geführt hatten42.
In der Mehrzahl der Belege wird die Formel jedoch wie im Heilsorakel ge-
braucht; freilich ist dabei nicht vom König die Rede, sondern vom Gottesvolk:
Beginnend mit der Land­nahme gibt Jahwe die Feinde, die stets als weitaus

38 
Vgl. Jos 24,17: »Denn Jahwe ist unser Gott […]«.
Vgl. Kang (s. Anm. 1), 43f. 39 
40  Vgl. 1Sam 23,4; 1Kön 22,6.12.15.
41  Ri 2,14; 6,1; 13,1. Eine Variante bietet das Motiv, dass Jahwe die Israeliten in die

Hand ihrer Feinde »verkauft« (Ri 2,14; 3,8; 4,2; 10,7).


42  Vgl. 2Kön 17,20; 21,14; Jer 20,4; Ez 11,9 usw.
106 (2009) Jahwekrieg und Heilsgeschichte 275

überlegen gezeichnet werden, in die Hand der Israeliten43. In diesem Sinn hebt
die Formel hervor, dass das Gottesvolk seine Siege allein Jahwes überwältigen-
der Macht verdankt. Literargeschichtliche Erwägungen machen wahrschein-
lich, dass diese Stellen weder quellenhaft sind, noch zu den ersten Redaktionen
des Geschichtswerks gehören; sie dürften viel später in die Texte eingetragen
worden sein.
Im Rahmen der Geschichte des Gottesvolkes unterstreicht die For­mel der
Übergabe also zweierlei: Einerseits hat sich Jahwe im Krieg immer dann gegen
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Israel gewandt, wenn es ihm den Anlass bot. Andererseits hat Israel seine
Feinde nur durch das geschichtliche Wirken seines Gottes besiegen können.

3.3. Der Vorrang des göttlichen Handelns

Die heilsgeschichtliche Deutung des Krieges führte dazu, dass das menschliche
Handeln neu bewertet wurde. Das zeigt sich besonders am Motiv des Geis­tes
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Jahwes, das das Bild der Richterzeit und der An­fänge des Königtums ge­prägt
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hat: Die Richter, die Israel immer wieder aus der Hand der Feinde retten, wer-
den von Jahwes Geist zum Kampf befähigt44. Lite­rarkriti­sche Argu­mente füh-
ren zu dem Schluss, dass dieses Mo­tiv nicht aus den alten Helden­erzählungen
stammt, die im Rich­terbuch enthalten sind45: Ehud, Gideon und Jiftach werden
ursprünglich nicht als charismatische Führer des Gottesvolkes gezeichnet, son-
dern als Kriegs­helden mit königlichen Zügen. Noch das re­daktionelle Rah­
menwerk des Richter­buches schreibt das Bild fort, indem es die Richter als kö-
nigsgleiche Herr­scher darstellt46. Dass hingegen Jahwes Geist die Richter er-
füllt und zur Ret­tung Israels bewegt habe, wird erst viel später in die Texte
ein­getragen. Durch die­ses Motiv werden aus Heldenfigu­ren göttliche Werk­
zeuge, die für sich selbst keine Macht beanspruchen. Der ge­schichtsmächtige
Geist Jahwes, der je und dann einzelnen Menschen verlie­hen wird, unterstreicht
Israels Got­tunmittel­barkeit.
Denselben Zweck erfüllen die Szenen, in denen Jahwe in den Kampf ein-
greift. Mit ihnen wird der Anteil des menschlichen Handelns zurückgedrängt:
Bei einer Ent­schei­dungsschlacht der Landnahme wirft Jahwe ge­waltige Hagel-

43  Vgl. z. B. Ex 23,31; Num 21,2f; Dtn 2,24; Jos 10,19; 11,8; 21,44; 24,8.11; Ri 3,28; 7,15;

1Sam 17,47. Die Formel kann auch auf den jeweiligen Anführer des Gottesvolkes bezo-
gen sein, worin im Horizont der heilsgeschichtlichen Erzählung der alte königstheologi-
sche Gebrauch nachklingt, vgl. z. B. Num 21,34; Jos 6,2; 8,1; Ri 3,10; 4,7; 7,9.
44  Vgl. Ri 3,10; 6,34; 11,29; 14,6.19; 15,14; 1Sam 11,6.
45  Vgl. R. Müller, Königtum und Gottesherrschaft. Untersuchungen zur

alttestamentli­chen Monarchiekritik (FAT II/3), 2004, 48.


46  Vgl. aaO 45–64.
276 Reinhard Müller ZThK

steine vom Him­mel, so dass, wie es heißt, »mehr waren, die durch die Hagel-
steine star­ben, als die Israeliten durch das Schwert getötet hatten« (Jos 10,11).
Gi­deon wird von Jahwe vor der Schlacht beauftragt, den Großteil der Israeliten
nach Hause zu schicken, damit, wie Jahwe sagt, »Israel sich nicht gegen mich
rühme und spreche: ›Meine Hand hat mich gerettet.‹« (Ri 7,2). Jahwe schreckt
die Feinde durch Donner und Erdbeben47 und lässt sie das Schwert gegeneinan­
der rich­ten48. Literargeschichtlich erwei­sen sich die fragli­chen Stellen als späte
Nachträge. Sie rücken Jah­wes Handeln in den Vordergrund, um zu zeigen, wie
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sehr Is­rael auf seinen Gott angewiesen ist.


Dementsprechend heben die Bearbeitungen immer wieder die religiösen
Akte hervor, die die Kriege begleiten: Der Kampf gegen die Amalekiter wird
durch Moses Gebet entschieden (Ex 17,8ff). Samuel bewegt Jahwe durch Für-
bitte und Opfer, den Israeliten gegen die Philister zu helfen (1Sam 7,8f). Jona-
than be­gründet seinen Überfall auf den Wachtposten der Philis­ter mit den de-
mütigen Worten: »Vielleicht wird Jahwe für uns handeln, denn Jahwe hindert
nichts daran, durch viel oder durch wenig zu retten« (1Sam 14,6). Gideon und
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David werden als Vorbilder der Frömmigkeit gezeichnet. Im Verhältnis zu die-


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sen Motiven verlieren die militärischen Handlungen der Israeliten an Gewicht.

3.4. Aktivistische und quietistische Tendenzen

Die Vorstellung des Jahwekrieges bleibt jedoch traditionsgeschichtlich im


­sy­nergisti­schen Denken des Alten Orients verwurzelt49. Aus diesem Grund ist
ein ver­wirren­des Ge­samt­bild entstanden. Man kann von aktivistischen und
quie­tistischen Tendenzen sprechen50.
Das aktivisti­sche Mo­ment kommt besonders im Motiv des Banns zum Aus­
druck: Das Josuabuch ent­hält ein System später Notizen, nach denen die Is­
raeliten die Be­wohner des Landes mit dem Bann belegt, das heißt vollständig
ausgerottet haben sollen51. Damit soll das spätdeute­ronomistische Gebot aus

1Sam 7,10; 14,15. 47 

Ri 7,22; 1Sam 14,20. 48 


49  Vgl. I. L. Seeligmann, Menschliches Heldentum und göttliche Hilfe. Die dop-

pelte Kausalität im alttestamentlichen Geschichtsdenken (in: Ders., Gesammelte Stu-


dien zur Hebräischen Bibel, hg. von E. Blum, [FAT 41], 2004, 137–159), 150: »Im israeli-
tischen wie im außerisraelitischen Denken werden […] der göttliche und der menschliche
Faktor der Geschehnisse nicht auseinandergehalten.«
50  Vgl. A. Rofé, Ephraimite versus Deuteronomistic History (in: D. Garrone / F.

Israel [Hg.], Storia e tradizioni di Israele, FS J. A. Soggin, Brescia 1991, 221–235),


229–231.
51  Jos 6,18.21; 8,26; 10,1.28.35.37.39f; 11,11f.20f; vgl. Num 21,2f; Dtn 2,34; 3,6; Ri

1,17; 1Sam 15,3ff.


106 (2009) Jahwekrieg und Heilsgeschichte 277

Dtn 7,2 (vgl. 20,17) befolgt worden sein. Zwar ist das mit Si­cherheit unhisto-
risch52; in der Ge­schichte des Got­tesvolkes räumt das Gebot des Banns den Is-
raeliten aber eine überraschend aktive Rolle ein. Den Anlass bot die Fiktion der
Landnahme und das darin enthaltene Bild der Landesbewohner: Der Bann zielt
darauf, dass die Israeliten bei der Eroberung des Landes nicht mit dem Götzen-
dienst der Kanaanäer in Berührung kommen53.
Die umge­kehrte Tendenz lässt sich beispielhaft in Jo­suas Ab­schieds­rede
greifen (Jos 24). Im Rückblick auf Meer­w under und Land­nahme betont Josua
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die Ausschließlichkeit von Jahwes Handeln: Israels Gott allein habe die Lan-
desbewohner vertrieben; das Gottesvolk habe das Land weder mit dem Bogen
noch mit dem Schwert in Besitz ge­nommen (V. 12)54. Dieser Tendenz ent-
spricht, dass die Erzählung vom Meerwunder den Nachträgen zum Jahwekrieg
mehrfach als Vorbild gedient hat55.

4. Zur Theologie des Jahwekrieges als heilsgeschichtlicher Fiktion


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Welche theologische Bedeutung kommt dem Jahwekrieg im Alten Testa­ment


zu? Auszugehen ist von der redakti­onsgeschichtlichen Analyse, die zu einem
historischen Urteil führt: Kei­ner der alttestament­lichen Jah­wekriege hat sich
tatsächlich ereignet56. Vielmehr erweist sich der Jahwe­krieg überall als litera­
rische Kon­struktion, die das ebenso literarische Bild des Got­tesvolkes voraus­
setzt. Beides lebt von der Distanz zum Kö­nig­tum. Ihr dürfte ein erheblicher
historischer Abstand ent­spro­chen haben: Die Bearbeitungen, die die Motive
des Jahwe­krieges in die heilsgeschichtlichen Erzählungen eingetragen haben,
sind kaum früher als in die fortgeschrittene Perserzeit zu datieren. Die heilsge-
schichtliche Fiktion des Jahwekrieges setzt die Erfah­r ung anhaltender politi-
scher Machtlo­sigkeit voraus57.
Die Überlebenden von 586 v. Chr. hofften noch mehrere Jahrzehnte lang auf
die Rückkehr des Königs aus dem Exil. Es verstrich erhebliche Zeit, bis sich die
judäische Elite mit dem unwiederbringlichen Verlust der davidischen Herr-

Vgl. N. Lohfink, Art. haram, heræm, ThWAT III, (192–213) 206f.


52 
53 
Vgl. T. Veijola, Das 5. Buch Mose. Deuteronomium, Teil 1: Kapitel 1,1–16,17
(ATD 8/1), 2004, 198.
54  Die Stelle wendet sich wahrscheinlich gegen Gen 48,22, wo von der kriegerischen

Einnahme der Stadt Sichem (vgl. Gen 34,26–29) durch Jakob die Rede ist. Einen Beweis
für das theologische Gewicht von Jos 24,2–13 bietet das späte Klagelied des Volkes Ps 44,
dessen Beginn auf Jos 24,12 anspielt (V. 4; vgl. V. 7).
55  Vgl. Ex 14,24b mit Jos 10,10; Ri 4,15; 1Sam 7,10 und Ex 14,28b mit Ri 4,16.
56  Vgl. R. Smend, Das alte Israel im Alten Testament (in: Ders., Bibel und Wissen-

schaft. Historische Aufsätze, 2004, 1–14), 14 zu den Landnahmekriegen.


57  Vgl. ebd.
278 Reinhard Müller ZThK

schaft abfand58. Frühestens gegen Ende des 6. Jahrhunderts begannen die Ju-
däer, sich im Bild des heilsgeschichtlichen Israel als königslose Religionsge-
meinde zu verstehen59. Erst seither konnte sich die Frage stellen, wie der Krieg
jenseits der Königsherrschaft neu zu bewerten sei.
Das literargeschichtliche Gefälle, das in den Texten beobachtet werden
kann, zeigt allerdings, dass die Motive des Jahwekrieges erst verhältnismäßig
spät in die Erzählungen eingetragen wurden. Die Bearbeitungen bauen bereits
auf einer vielschichtigen theologischen Entwicklung auf.
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4.1. Der bundestheologische Hintergrund

Die Neubewertung des Krieges musste davon ausgehen, dass sich Jahwes krie-
gerisches Handeln zuletzt gegen seine Verehrer gerichtet hatte. Das lehrten die
Katastrophen des Kö­nigtums, die sich zwischen 734 und 586 v. Chr. ereignet
hatten, und die vielfältige Deutung dieser Katastrophen in den pro­phetischen
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Schriften: Anders als im Königtum konnte es nicht mehr als selbstverständ­lich


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erscheinen, dass Jahwe für Israel kämpft.


Aus diesem Grund machen die Motive des Jah­wekrieges, die in die Erzäh-
lungen ein­gearbeitet wurden, den engen Zusammenhang sichtbar, der zwischen
kriegerischem Erfolg und Gehorsam gegenüber Jahwe besteht: Jahwekriege er-
eignen sich nur dort, wo die Israe­liten das Erste Gebot befolgen oder nach Zei-
ten des Abfalls zu ihrem Gott zurückkehren60. Sündigen die Israeliten hinge-
gen an Jahwe, gibt dieser sein Volk der Niederlage preis61. Die Nachträge zum
Jahwekrieg fußen auf der deuterono­mistischen Bun­destheolo­gie, in deren Mitte
das Gebot der ausschließli­chen Vereh­r ung Jahwes steht62.

58 
Vgl. Müller, Königtum (s. Anm. 45), 238–246.
Vgl. aaO 245f. 59 
60  Besonders deutlich lässt sich dieser Zusammenhang in 1Sam 7,2–14* erkennen.

Vgl. auch Ri 3,10.28; 4,6–9.15f; 7,2–8.10–15.22; 11,29.32f. Dasselbe gilt für das Ge-
schichtsbild der Chronik: »Für den Chronisten ist ›Krieg‹ per definitionem ein Krite-
rium für das Verhältnis der betroffenen Menschen zu Gott: Gott wohlgefälliges Verhal-
ten wird durch einen günstigen Ausgang der Schlacht belohnt, wobei es von untergeord-
neter Bedeutung ist, wie dieses Resultat erzielt wird« (S. Japhet, 2 Chronik [HThKAT],
2003, 245).
61  Vgl. Num 14,40–45; Dtn 1,41–45; Jos 7,1–5; Ri 3,12f; 4,1–3; 6,1–6; 10,7–9; 1Sam

4,1–11.
62  Vgl. dazu Ch. Levin, Die Verheißung des neuen Bundes in ihrem theologiege-

schichtlichen Zusammenhang ausgelegt (FRLANT 137), bes. 79–129, sowie für das
Deuteronomium zusammenfassend Veijola, Deuteronomium (s. Anm. 53), 4f.
106 (2009) Jahwekrieg und Heilsgeschichte 279

4.2. Der monotheistische Horizont

An manchen Stellen geht der theologische Horizont der Bearbeitungen bereits


über die exklusive Monolatrie, die das Erste Gebot fordert, hinaus: Jahwe, der
die Kriege der Heilsgeschichte führt, wird als einziger Gott der Welt gezeich-
net. Das eindrücklichste Beispiel ist die Rede Davids an Goliat, die zu den jüng-
sten Schichten der Erzählung von 1Sam 17 gehört63:
»Du bist zu mir gekommen mit Schwert, Speer und Sichelschwert. Ich aber bin zu dir ge­
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kommen im Namen Jahwes der Heerscharen, des Gottes der Schlachtreihen Israels, die
du ge­schmäht hast. An diesem Tag wird dich Jahwe ausliefern in meine Hand, und ich
werde dich erschlagen und deinen Kopf von dir abtrennen, und die Leiche des Philisterhee­
res werde ich an diesem Tag den Vögeln des Himmels und dem Getier der Erde geben, so
dass die ganze Erde erkennt, dass Gott bei Israel ist.
Und diese ganze Ge­meinde soll erken­nen, dass Jahwe nicht durch Schwert und Speer
rettet, denn Jahwe ge­hört der Krieg, und er wird euch in un­sere Hand geben!« (1Sam
17,45f.47).

Obwohl David dem schwer bewaffneten Goliat hoffnungslos unterlegen ist,


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vertraut er auf die Macht des göttlichen Kriegers Jahwe64; die Vögel des Him-
mels und die Tiere der Erde verleihen dem Geschehen kosmische Dimensio-
nen65. Vor diesem Hintergrund wird das monotheistische Gottesbild enthüllt:
Davids Tat zeigt der Welt, dass Gott in Israel zu finden ist. Der universale An­
spruch, den der jüdische Monotheismus erhebt, tritt unübersehbar hervor66.
Ein Nachtrag nimmt die jüdische Ge­meinde in den Blick: Durch Davids
wunderbaren Sieg soll sie erkennen, dass der Krieg allein Jahwes Sache ist; als
einziger Gott aller Welt kämpft Jahwe für sein Volk, ohne dass die Israeliten
Kriegswaffen in die Hand nehmen.
Eine nahezu gleichlautende Parallele findet sich in der chronistischen Erzäh-
lung von Joschafats Verteidigungskrieg gegen Ammoniter und Moabiter (2Chr
20): »[…] nicht euer ist der Krieg, sondern Gottes« (V. 15). Dementsprechend
wehren die Judäer den Angriff ausschließlich durch Psalmgesänge ab. Unter

63  Zur Staffelung und literargeschichtlichen Stellung des Abschnitts vgl. E. Aure-

lius, Wie David ursprüng­lich zu Saul kam (in: Ch. Bultmann / W. Dietrich / Ch.
Levin [Hg.], Vergegenwärtigung des Alten Testaments. Beiträge zur biblischen Herme-
neutik, FS R. Smend, 2002, 44–68), 58–60.
64  Zur Gottesbezeichnung »Jahwe der Heerscharen« vgl. bes. Ps 24,10 (dazu Mül-

ler, Jahwe [s. Anm. 11], 153f).


65  Die Begriffe verweisen auf die Schöpfungserzählung der Priesterschrift (Gen

1,28.30; vgl. 9,2).


66  Vgl. Aurelius (s. Anm. 63), 59, der auf die Parallelen 1Kön 18,36f; 2Kön 19,19;

Ps 59,14; 83,19 verweist.


280 Reinhard Müller ZThK

der Voraussetzung eines konsequenten Monotheismus67 erneuern diese späten


Texte68 das quietistische Idealbild des Krieges, das aus Ex 14 stammt69.

4.3. Die eschatologische Dimension

Im Bild des Jahwekrieges spiegelt sich die militärische Machtlosigkeit der Re­
ligionsgemeinde. Ihre Kehrseite waren die Anfeindungen, unter denen das Ju-
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dentum zunehmend zu leiden hatte. Sie ließen sich in mancher überlieferten


Kriegssituation wiedererkennen, was von ent­sprechenden Bearbeitungen her­
vorgehoben wurde: Als die Midianiter Jahr für Jahr in das Land einfielen und
ihre Kamele die frische Saat abweiden ließen, sei »Israel sehr niedrig vor Mi­
dians Angesicht« gewesen (Ri 6,6a); Gideon habe deshalb im Namen des Vol-
kes geklagt: »[…] Wenn Jahwe bei uns ist, warum hat uns dann all dies getrof-
fen? […]« (Ri 6,13). Dem grausamen Am­moniterfürsten Nahasch, der nach ei-
ner alten Kriegserzählung eine Stadt in Gilead über­fällt, wird nach­träglich in
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den Mund gelegt, er wolle »Schmach über ganz Israel« bringen (1Sam 11,2b).
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Auch von Goliat wird erzählt, dass er die Israeli­ten verhöhnt habe (1Sam 17,10
u. ö.). Dieselben Begriffe und Wendun­gen finden sich in spä­ten Klage­liedern,
die von der Zerstreuung des Gottesvolkes und fortdau­ernden Schmähungen
durch die Völker handeln70.
Im Blick auf Jahwes rettendes Handeln in Israels Frühgeschichte wurde die
Spannung zwi­schen der heilvollen Vergangenheit und der bedrückenden Ge-
genwart bewusst: Einst hatte Jahwe Israel von den Feinden be­freit; jetzt war
nichts davon zu spüren. Das Ju­dentum fand sich in der Situation der Unter­
drückung wieder, die in den heilsgeschichtli­chen Jahwekrie­gen oft am Anfang
steht71. Damit legte es sich nahe, dass Jahwes kriegerisches Handeln eine escha-
tologische Dimension hat. Dieser Gedanke deutet sich bereits in einer frühen
Bear­bei­tung der Er­zählung vom Meerwunder an, die das Heils­orakel des Mose
erweitert hat:

67 
Vgl. Joschafats Gebet in 2Chr 20,6 sowie Ri 7,14; 1Sam 4,8; 1Kön 20,28.
68 
Vgl. auch Ri 7 sowie 2Chr 13,2–19 und 14,8–14.
69  Vgl. 2Chr 20,17, wo auf Moses Rede in Ex 14,13f angespielt wird (vgl. Japhet [s.

Anm. 60], 254).


70  Zu Ri 6,13 vgl. T. Veijola, Das Klagegebet in Literatur und Leben der Exilsgene-

ration (in: Ders., Moses Erben. Studien zum Dekalog, zum Deuteronomismus und zum
Schriftgelehrtentum [BWANT 149], 2000, 176–191), 181–185. Zu Ri 6,6a vgl. Ps 79,8; zu
1Sam 11,2b vgl. Ps 44,14; 79,4; zu 1Sam 17,10 vgl. Ps 44,17; 74,10.18; 79,12.
71  Vgl. neben Ex 14 bes. Ri 3,8.12–14; 4,2f; 6,1ff; 10,7ff; 13,1; 14,4; 1Sam 7,2ff;

13,3–7.19–22; 17,1ff; 23,1.


106 (2009) Jahwekrieg und Heilsgeschichte 281

»Stellt euch hin und seht die Rettungstat Jahwes, die er heute für euch tun wird! Denn
wie ihr die Ägypter heute gesehen habt, werdet ihr sie nie wieder sehen für immer«
(Ex 14,13).

Das wiederholte »heute« lädt die Leser ein, sich mit den Israeliten zu identifi-
zieren, denen die Rettung durch das Meerwunder noch bevorsteht. In den
Ägyptern werden die Feinde der Religionsgemeinde sichtbar72. Die »Rettungs-
tat Jahwes« (j ešû≠at jhwh) besteht in dieser Perspektive darin, dass Israels Gott
sein Volk in der Zukunft davor bewahren wird, von seinen Feinden vernichtet
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zu werden. Die endgültige Befreiung von den Feinden erhält einen eschatologi-
schen Sinn: Der Jahwekrieg in Israels Frühzeit nimmt vorweg, dass Jahwe in
der Endzeit die Feinde seines Volkes »für immer« besiegen wird. Die Motive
der heilsgeschichtlichen Jahwe­kriege finden sich daher auch in Ab­schnitten der
prophetischen Bücher, die Jahwes endzeitlichen Kampf gegen Israels Feinde
ausmalen (vgl. vor allem Jes 13; Ez 38f; Joel 4; Sach 14).
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5. Ergebnis und Ausblick


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Die alttesta­mentli­che Sicht des Krieges wurzelt im Denken des Alten Orients.
In den eisenzeitlichen Königtümern Israel und Juda, aus denen die ältesten
Kriegsüberlieferungen des Alten Testaments stammen, hat man dieses Denken
geteilt: Gott und König wirken im Krieg zusammen, um die Ordnung der Welt
gegen übermächtige Feinde zu verteidigen. Diese Vorstellung zählt nicht zu
den Propria des Alten Testaments.
In den alttestamentlichen Erzählungen ist der Jahwekrieg jedoch streng auf
die Geschichte des Gottesvolkes bezogen, die sich aus dem Alten Orient he­raus­
hebt und der religionsgeschichtlich einzigar­tigen Stellung des Judentums jenseits
des Königtums entspricht. Schon das Urbild des Jahwekrieges, die Erzählung
vom Meerwunder (Ex 14), setzt wahrscheinlich den Untergang des Nordreiches
Israel voraus. Die Kriegstexte aus den Königtümern Israel und Juda dürften hin-
gegen erst weit nach dem Ende des judäischen Königtums an die heilsgeschicht­
liche Perspektive angepasst worden sein.
Für die theologische Deutung sind besonders zwei Aspekte wichtig: Zum
einen zeigt sich, dass der Religionsgemeinde nur eine quietistische Haltung
zum Krieg angemessen ist. Obwohl Jahwe in den heilsgeschichtlichen Kriegs-
erzählungen häufig mit den Israeliten zusammenwirkt, lässt sich immer wieder
zwischen den Zeilen lesen, dass die Gemeinde nicht zum Schwert greift, son­
dern den Krieg ihrem Gott überlässt. Das verweist auf die Tatsache, dass die
militärische Machtlosig­keit eine entscheidende Be­dingung für die Entstehung

72  Vgl. Levin, Jahwist (s. Anm. 26), 342.


282 Reinhard Müller ZThK

des Judentums war73. Zum anderen ist der Jahwekrieg nicht da­von zu trennen,
dass Jahwe sich gegen Is­rael wen­den konnte; die Kriegserzählungen schildern,
wie er sein Volk beschützt, es aber auch für seinen Ungehorsam straft. Der par-
tikularen Ausrichtung des Jahwekrieges steht Jah­wes geschichtsmächtige Un­
abhän­gigkeit von seinem Volk entgegen, die im monotheistischen Gottesbild
gipfelt.
Zwischen der Vorstellung des Jahwekrieges, die vom Königtum auf das Got-
tesvolk übertragen wurde, und dem Universalismus der monotheistischen Re-
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ligion besteht zudem eine sachliche Spannung: Jahwe kämpft auf der Seite sei-
nes Volkes und beansprucht zugleich, der einzige Gott aller Welt zu sein. Aus
diesem Grund betonen manche eschatologische Texte, dass Israels Gott in ei-
ner heilvollen Zukunft den Krieg überwinden wird: Er wird die Kriegswaffen
der Erde zerstören, damit die Völker ihn als Gott erkennen (Ps 46,9–12) und
sein Volk in Sicherheit wohnen kann (Hos 2,20; Sach 9,10; Ps 76,4–7). Die Völ-
ker werden zum Zion pilgern, wo Jahwes Rich­ter­spruch sie dazu bringen wird,
dass sie ihre Kriegswaffen zu Geräten des Ackerbaus umschmieden (Jes 2,4 /
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Mi 4,3). Ägypter, Philister und Assyrer, einst Israels Feinde im Jahwekrieg,


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werden sich dem Gottesvolk anschließen74. Dass die Völker Anteil an Israels
Heil erhalten werden, wurde sogar nachträglich in Weissagungen über den end­
zeitlichen Völkerkampf eingefügt75. Der Gedanke, dass Jahwe die Feinde seines
Volkes besiegt, ist nicht das letzte Wort des Alten Testaments zum Krieg ge-
blieben.
Das Bild des Jahwekrieges behält jedoch ein hohes Gewicht. Die Wirkungs-
geschichte, die im Ganzen schwer überschaubar ist, lässt erahnen, dass der
heilsgeschichtliche Rahmen den Jahwekrieg nicht davor feien konnte, in voll-
kommen andere Zusammenhänge übertragen zu werden: Die Erzählungen la-
den die Leser ein, sich in den Israeliten wiederzuerkennen, und die Kriege, die
das Gottesvolk gegen übermächtige Feinde führt, können für die religiöse Deu-
tung neuer Kriege zum Vorbild dienen; angesichts des vielfach bezeugten
Syner­gismus gerät das quietistische Ideal leicht aus den Augen. Ein Urteil über
diese Dimension der alttestamentlichen Kriegstexte sollte aber nicht gefällt
werden, ohne dass ihr traditionsgeschichtlicher Hintergrund, ihr literarischer
Zusammenhang und ihr theologiegeschichtlicher Ort berücksichtigt werden.
Außerdem ist nicht zu vergessen, dass das Alte Testament mit dem priester-
schriftlichen Motiv der Gottebenbildlichkeit des Menschen einen ebenso wirk-
mächtigen Gedanken enthält, der die religiös-partikulare Wertung des Krieges

73  Dass die Makkabäer die militärische Enthaltsamkeit aufgaben, musste daher frü-

her oder später zum Widerstand der Frommen führen.


74  Jes 19; Sach 9,8; vgl. Zeph 2,11.
75  Jes 66,18f; Joel 3; Sach 14,16.
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in letzter Konsequenz ausschließt. Wie die Vorstellung des Jahwekrieges wur-


zelt auch dieser Gedanke im altorientalischen Königtum76. Im Horizont eines
strengen Monotheismus trägt er jedoch dazu bei, die partikulare Sicht der Welt
zu überwinden, weil er nicht auf das Gottesvolk übertragen worden ist, son-
dern auf jeden einzelnen Menschen.

Summary
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The motives of the Yahweh war in the Old Testament are rooted in the war theology of the
Ancient Near East, according to which God and king collaborate in a battle in order to
­defend order in the world against the powers of chaos. In the war narratives of the Old
Testament, beginning with Exodus 14*, kingship was replaced by Israel as God’s people.
During the Persian period, the idea of Yahweh was incorporated subsequently into the war
texts from the kingship era. This presupposes the kingship catastrophes between 722 and
586 BCE and reflects the enduring military powerlessness of the Jewish community.
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76  Vgl. O. Kaiser, Der Gott des Alten Testaments. Wesen und Wirken, Theologie

des Alten Testaments, Bd. 2: Jahwe, der Gott Israels, Schöpfer der Welt und des Men-
schen, 1998, 301–312.

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