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WAS SOLL DENN DIESE REALITÄT SEIN VON DER ALLE

REDEN?

§1

Anna Reiter ist unserer Zeit voraus. Wenn sie nämlich


Probleme ereilen, dann googelt sie nach Lösungen. Tatsächlich,
das hilft fast immer. Wenn nicht, geht sie in die Kirche, und
wenn auch der dreifaltige Mainstream-Gott nicht hilft, bietet sie
eben einer lange vergessenen Gottheit eine Opferung dar.
Solange das Preisleistungsverhältnis stimmt. In einem Graffito
am Arbeitsplatz entdeckt sie also ein Omen und Anna Reiter
erscheint Bakeneko, die japanische Gespensterkatze, die Tote
wie Marionetten steuern kann und aus Hauskatzen hervorgeht,
die zu fett geworden sind. Für die nekoromantische Atmosphäre
zündet Anna noch Duftkerzen an (Note Waldspaziergang) und
überweist an die Hohepriester der Katzenhilfe im Tierheim den
symbolischen Betrag von 6 Euro 66.

Nur von Buddha hält Anna Reiter nichts, denn, Zitat Anfang, der
Dude hat seine Frau verlassen, grad als sie ihr Kind bekommen
hat, um die Erlösung zu suchen. Aus dieser Motivation heraus
ist der Buddhismus entstanden. Anna Reiter hält es daher für
ratsam alle geistigen Theorien auf die Frage zu prüfen: und
wenn du Kinder hast? Das nimmt dem ganzen Shit meistens
den Wind aus den Segeln, Zitat Ende. Internet-Suchmaschinen
jedenfalls lassen auch schwangere Frauen nicht alleine, Jesus
adoptiert die Kuckuckskegel und Bakeneko tötet Embryonen.
Summa Summarum: Gott, Garfield und Google sind
gleichwertige Entitäten.

§2 In dieser Gleichwertigkeit begegnet einem auch Anna


Reiters Kunst. Die Malerei ist ja, das muss man wissen, vor
einigen Jahren gestorben und vor wenigen wieder
auferstanden. Weniger bekannt ist, dass sie dabei nun von
Bakeneko gesteuert wird und Bakeneko verabscheut
hierarchische Epochalisierung und historische
Verwünschungen, sondern verwebt die Stile und Sujets zu einer
einzigen Legende, vermählt Völker und Zeiten, fusioniert
luxuriöse, hieratische und profane Allegorien, lässt sich aber
anstacheln durch die unruhigen Deutlichkeiten einer
zeitgenössischen Nervosität, ist schmerzlich besessen von den
Symbolen der Verruchtheit und der übermenschlichen Liebe,
wie der göttlichen Schändung zögerlicher Hingabe und ernster
Hoffnung. Sich aus diesen entsetzlichen Phantasien der
Gespensterkatze windend und sich wieder in sie hinein
versenkend streicht Anna Reiter dann etwa Theotokopolus,
dem El Greco den Christus und stiehlt die seltsamen,
wachsigen Farbtöne, die übertriebenen Verrenkungen, die mit
verstörter Energie wild bemalten Radiputzen. Mit dem
sardonischen Stumpfsinn und der kindlichen Kokettiere
Kippenbergers in seinen akrobatischen Albernheiten
aufgetakelt, gekleidet in der ausschweifenden Komposition
eines frühen Tintoretto, dem und seinen Malbrüdern sie auch
das Genre, ob Herrschaftsportrait oder Vespernbild entmimt,
geschminkt jedoch in den gärenden Visionen Francis Bacons,
heben sich die malerischen Moden gegenseitig auf und das ist
epochal.

Die düster-fantastischen und rasenden Schauspiele


menschlicher Erregungs- und Verdrängungskurzschlüsse der
Outsiderkunst, getränkt von Füsslis Fieberträumen, umwickelt
Anna Reiter in Warhol’scher Wollust mit plakativem Krepp,
wobei aber der Pop immer, wie bei Odilon Redon, ein
Menschenantlitz beherbergt, wenn in den Wolken und Herzen
etwa rachsüchtige oder tröstende Augenlider blinzeln. So
gebären sich aus den Symbolen selbst Lebewesen, mit
eigenen, grell schimmernden Gedanken und tief schürfenden
Gefühlen. Von Komposition und Symbolik zum Duktus: Die
kräuselnden, salzgepuderten Algen präraffaelitischer
Katarakten teilen sich japonistische Konturen, und falten sich zu
einem figurativen Gewirr alraunwurzelnder Unförmigkeit Van
Gogh’scher Glieder. Die impressionistische Lumineszenz
gleichsam der expressionistischen Kontrastierung tritt allerdings
zurück, und zwar hinter die hoch empfindsamen Körpersprache
der Figuren untereinander, aber auch zu abwesenden Figuren,
und schließlich zu den anwesenden Betrachtenden, was hier an
Maria Lassnig erinnert. Diese Relationen, die Beziehungen der
Figuren, die doch durch ihre farbfeldmalerischen Flächigkeit
trotz Körnung immer Schatten ihrer selbst bleiben, halte ich für
die zentrale malerischer Errungenschaft Anna Reiters, die in
der Kunstgeschichte in dieser subtilen Intensität kein Vorbild
kennt, aber selbst zu stundenlangen feenhaften Reflexionen
einlädt. Das gestisch-gewaltige Gefühlsgewirr in seiner
farbenfroher Flächigkeit und zwischen der krakeelig-
kombinativen Konturierung macht nämlich mehr Dimensionen
sichtbar als die bekannten vier, obwohl doch Anna Reiter ihre
Bilder in demonstrativer Deutlichkeit auf zwei Dimensionen
herunterbricht.

§3

Die String-Theorie behauptet: Wir leben in 11 Dimensionen. Mit


kriegen wir davon aber nur vier. Höhe, Breite, Tiefe, Zeit. Die
Figuren in Reiters Gemälden sind in zwei Dimensionen
gedrückt, hinzu kommt die Begrenzung des Papiers. Und
trotzdem scheinen Zeit und Raum durch die Fläche hindurch.

Die Zeit wird - gegen den Trend - nicht durch narrative,


comiceske Konstellationen bloß illustriert. Viel mehr grenzt sich
Anna Reiter, die auch Gedichte schreibt, von literarischen
Verfahren eindeutig hab. Sie inszeniert eigentümliche
Legenden in einem einzigen Moment, der nicht gegenwärtig ist,
sondern in dem Vergangenheit und Zukunft zusammenfließen.
In der Gleichzeitigkeit der Figuren, Gesten und vor allem ihrer
Empfindungen, in der Verknotung und der Verwirbelungen
jener, lesen sich Annas Bilder wie ein Buch, aber ein Buch, das
nur aus einem einzigen Satz besteht und trotzdem in Gänze
offenbar wird. Durch den streng relationalen Bildaufbau und die
farbenfrohe Tränkung in überwältigendem Gefühl und
einnehmender Sinnlichkeit offenbart sich eine Geschichte und
macht damit trotz Gleichzeitigkeit der Bildinhalte den Zeitlauf
sichtbar.

Der Raum hingegen wird nicht illusioniert. Was bei Anna Reiter
besonders Eindruck macht, sind die stark gemalten, eindeutig
ambivalenten Relationen, in den Figuren zueinander stehen,
die unglaublich sinnlichen Empfindungen, die sich wie
Puzzleteile aneinander fügen. Man erkennt durch die
Empfindungen, wie die Figuren miteinander verbunden sind.
Und das bezieht sich nicht nur auf die Figuren im Bild, sondern
manchmal scheint es, als ginge es auch um eine Person, die im
Bildraum abwesend ist. Entweder gar nicht da und vermisst,
oder sie steht imaginiert vor dem Bild oder das Bild baut
zusammen mit einem selbst, den es anspricht, einen
imaginierten Raum auf. So baut das zweidimensionale Bild
einen Raum auf, aus Figuren, die im Bilde sind, und welchen,
die nicht im Bilde sind: Das Gemälde erschließt sich den Raum,
der vor einem steht. Mehr Dimensionen lassen sich aus einer
Fläche nicht herausholen, vor allem nicht einer Fläche, die
Raum oder Zeit nicht illusionieren will, sondern deren
Flächigkeit demonstrativ bewahrt und gestärkt wird.

§4

Die Welt ist eine Zitrone und Kunst ihr ausgepresster Saft,
sagte Jakob Burkhard 1889 und fragte prophetisch schon
damals: Warum konnte Anna Reiters Kunst nur hier und jetzt
entstanden sein? Was sagt sie aus über unsere Befindlich-
Zeitlich- und Örtlichkeiten? Wohin weist sie? Wir leben in einer
Perfi-Perfect World, also an einem Ort, der uns schon durch
seine Phonetik in zuckersüßes Staunen versetzt. Sie haben es
vielleicht mitgekriegt: Mit der Globalisierung und dem Internet,
dem größten Archiv das jemals entstanden ist, sind Zeiten und
Orte zusammengerückt und auf dem Smartphone macht es
keinen Unterschied mehr, ob man mit jemandem in Buxtehude
oder Bangcock chattet. Aber: Der Eindruck bleibt zwei-
dimensional. Und sind wir ehrlich: Keine Kunst- oder Kulturkritik
darf ohne den Hinweis auskommen, dass die Welt immer
oberflächlicher wird. Nur diesmal ist es empirisch beweisbar.
Sie, werte Fleischeswesen, sind der Beweis, wenn Sie sich
zuhause dieses Video angucken, auf Ihrem Bildschirm, statt die
Kunst in voller Dimensionalität und Größe im Museum zu
erleben. Anna Reiter hält der Oberflächlichkeit unserer Welt den
Spiegel vor. Die Verdrängungen und Übertragungen unserer
Zeit kämpfen sich ans Licht. Ihre Majestizität und ihr Stolz
jedoch kennt keine Tiefe, ist nur Oberfläche und Farce, fixiert
aber die Liebe, die widerständig hervorquellt, die frostigen
Ängste und das schäumende Glück und die kochende Wut, die
zärtliche Sinnlichkeit und das Isvinjetrr, das Gefühl einer
abgestanden Cola. All diese Lebenselixiere kämpfen sich durch
die zwei Dimensionen, die harten Grenzen der Malerei. Und
auch, wenn unsere Welt so zweidimensional geworden ist, weil
es einfacher ist mit nur zwei Dimensionen zu planen und zu
denken, so müssen wir immer kämpfen für die anderen neun
Dimensionen. Wir müssen kämpfen für die Anerkennung
unserer Gefühle und ihr Ausleben in einer rationalisierten,
autistischen Welt, wir müssen die Trommeln schlagen für
andere Menschen und selbst Gegenstände, nichts unversucht
lassen, wenn unsere Beziehungen zu ihnen und Beziehungen
anderer untereinander halten und sich neue knüpfen sollen.
Relationen und Emotionen sind der Sinn des Lebens, auch in
einer oberflächlichen Welt. Und wenn sie nächste Woche mit
ihren ArbeitskollegInnen zoomen, wissen Sie, was Bakeneko
meint.

Leonard Palm & Viola Adam

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