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zuschnitt 55
Holz bildet
schöne Lern- und Schulräume. Diese sind materiell hoch-
wertig, ökologisch nachhaltig und haben Atmosphäre.
Wie könnte man besser seine Wertschätzung gegenüber
unseren Kindern und Jugendlichen zeigen?
Inhalt Zuschnitt 55.2014
Editorial
Inhalt
Anne Isopp
Schulen aus Holz: Für diesen Zuschnitt haben wir eine ganze Reihe an Beispie-
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len aus dem In- und Ausland zusammengetragen. Die jeweiligen Gründe,
warum man sich für Holz entschieden hat, sind vielfältig. Sie reichen von den
zuschnitt 55.2014
atmosphärischen, haptischen Qualitäten des Holzes über ökologische und
nachhaltige Beweggründe, der Förderung der regionalen Wertschöpfung bis
hin zu den Möglichkeiten der Vorfertigung. Gerade in Städten wie Zürich oder
Wien, in denen die wachsenden Schülerzahlen einen enormen Bedarf an
neuen Klassenräumen hervorrufen, werden der hohe Vorfertigungsgrad, den
der Holzbau ermöglicht, und die damit verbundene kurze Bauzeit besonders
geschätzt. Aber nicht nur in den Städten, auch am Land und in den Gemeinden
muss in den nächsten Jahren eine Vielzahl an Schulbauten saniert, umgebaut
und erweitert werden.
„Schule ist kein Selbstzweck, sondern ein Ort, an dem man Erfahrungen
machen kann“, schreibt unser Essayist Gert Kähler. Doch welchen Beitrag kann
der Werkstoff Holz dazu leisten? Kähler zeichnet hierzu das Bild vom Baum,
unter dem sich der Lehrer und seine Schüler versammeln. Die Krone des Baumes
schützt vor der Witterung, spendet Schatten und vereint die Menschen darunter
in ihrer Ambition, etwas zu lernen. Dieses Bild sollte man in den Klassenraum
übertragen: Kinder gehen ja in die Schule, um die Welt kennen zu lernen und
zu begreifen. Holz mit seinen haptischen, atmosphärischen und olfaktorischen
Qualitäten ist als Material bestens dazu geeignet, eine gute Lernatmosphäre
zu schaffen und aus Schule wieder Erfahrung zu machen. „Es liegt nahe, gerade
in Bauten für Kinder Holz zu verwenden, weil man für sie in besonderem Maße
eine gesunde, warme und freundliche Atmosphäre wünscht“, schreibt unsere
Frankreich-Korrespondentin Dominique Gauzin-Müller.
Der Blick ins Ausland ist überhaupt beeindruckend: Britische und französische
Architekten, die jahrelang den Holzbau hierzulande studiert haben, scheinen
inzwischen – gerade im Bildungsbau – mehr mit Holz zu bauen als die österrei-
chischen Architekten. Jetzt ist es an uns, diese Überzeugungskraft für das
Material Holz zurückzugewinnen und uns für bessere Bauten im Bildungswesen
einzusetzen.
Gert Kähler
„Das Gebäude bewirkt schon selbst Cultur, wenn man es von Es ist ja viel schlimmer: Das „Normale“, das „Lernen im Gleich-
außen ansieht und hineintritt. Die rohsten Kinder, die solche schritt“ (Otto Seydel) ist genau die Absicht. Und wenn der
Treppen auf- und abgehen, durch solche Vorräume durchlaufen, Schulbau-Architekt Arno Lederer über Schulbauarchitektur sagt,
in solchen heiteren Sälen Unterricht empfangen, sind schon auf sie sei „eine öffentliche Sache und nicht die Privatangelegenheit
der Stelle aller düstern Dummheit entrückt und sie können einer von einzelnen Lehrern, Schülern oder Schulgemeinschaften. Sie ist
heitern Thätigkeit ungehindert entgegen gehen.“ Was hier der Teil der Stadt und Teil einer Gemeinschaft von Gebäuden, die
alte Geheimrat von Goethe zu einer Schule schreibt, deren Ent- unseren gemeinsamen öffentlichen Raum ausmachen“, dann hat
stehung er begleitet hat, klingt schön – zu schön? Es muss drin- er natürlich recht – aber wie viel Qualität (und damit auch: wie viel
gend hinterfragt werden: Kommt es bei unseren Schulen heute Geld) sind wir bereit, dem öffentlichen Raum zu geben? Wie sehr
wirklich darauf an, heiteren Tätigkeiten nachzugehen? Und wird sind wir bereit, das Nicht-Angepasste zum Maßstab zu machen
man in unseren sehr viel schöneren Schulgebäuden wirklich aller und zu fördern?
düsteren Dummheit entrückt? Das Nicht-Angepasste zum Maßstab machen – das ist ein Wider-
spruch in sich, und deshalb wird es auch nur in Einzelfällen
gelingen. Aber es bleibt ein, nein: das Ziel. Man kann ja die Erfin-
Macht die Dinge kostbar, nicht nur praktisch, der von Regeln, von Schulbaurichtlinien, von Vorschriften über
haltbar und pflegeleicht. Klassengrößen, Finanzierungskonzepten, von allem, was genormt
werden kann und deshalb genormt wird, man kann sie ja verste-
hen: Es hilft uns, uns zurechtzufinden. Es hilft uns, zu prüfen,
Eines war schon zu Goethes Zeiten klar: Die Schule ist eine Verschwendung zu begrenzen. Es hilft uns, Ordnung in der Welt
Angelegenheit des Staates; was es an privaten Einrichtungen herzustellen. Nur den Schulkindern hilft es nicht, denn deren
gibt, von Waldorf bis Salem, kann hier vernachlässigt werden. Perspektive ist die Zukunft, nicht die Reproduktion, die das Ver-
Der Staat bestimmt, was zu tun ist; er behauptet, es sei „seine gangene als Maßstab hat.
Verantwortung“ – gemeint ist damit: Der Staat will seine eigene Schule muss – müsste! – das Denken des Neuen möglich machen
Reproduktion sichern. Schule dient nicht in erster Linie dazu, die und fördern, nicht das Korsett des Gestern, das ja schon im Begriff
Freiheit der Entscheidung nach Maßgabe der maximalen Fähig- der „Re-Produktion“ liegt. Wie man das macht? Da gibt es keine
keiten der Schüler zu fördern, sie dient nicht dem Ziel der Selbst- Rezepte (das „Rezept“ wäre ja wieder genau das Gegenteil).
verwirklichung der Individuen, sondern sie dient der Reproduktion Es gilt: Offenheit für Neues. Neugierig machen. Chancen bieten.
von Staatsbürgern. Das schließt nicht aus, dass sich zwischen den Unerlässlich ist: Die Schule muss in die Stadt. Schule ist kein
beiden Zielen Berührungspunkte ergeben, es ist aber nicht zwin- Selbstzweck, sondern ein Ort, an dem man Erfahrungen machen
gend der Fall – Diktaturen haben andere Ziele als Demokratien. kann. Und das geht in einem Umfeld am besten, in dem man nicht
Der Bau, in dem das geschieht, soll diese Ziele in Architektur isoliert ist. Die Stadt – das Umfeld – ist der Erfahrungsschatz,
umsetzen – der Bauherr ist schließlich derselbe, der die Lernziele einschließlich ihrer ungenutzten Räume. Dann eröffnen sich neue
vorgibt. Deshalb sehen Schulen aus der Kaiserzeit in Deutschland Chancen zur Einbindung von Schule in die Öffentlichkeit.
und Österreich wie Kasernen aus. Deshalb sind Schulbauten wie Louis I. Kahn hat gesagt, die „Schule nahm dort ihren Anfang,
die von Hans Scharoun, Günter Behnisch oder Peter Hübner wo ein Mensch, der nicht wusste, dass er ein Lehrer war, seine
ebenso selten wie die von Szyszkowitz-Kowalski. Sie sind Glücks- Erkenntnisse mit ein paar anderen Menschen unter einem Baum
fälle im System. Möglicherweise sind diese Schulbauten auch diskutierte, die nicht wussten, dass sie Schüler waren“. Diese
teurer als die „normalen“ aus addierten rechteckigen Klassenein- Unschuld gilt es wieder zu erreichen, und es wird – buchstäblich! –
heiten, die immer noch den Schulbau dominieren; aber was ist eine Sisyphusarbeit sein, weil sie unsere, die erwachsene Reflexion
„zu teuer“, wenn es um die Reproduktion des Staates geht? infrage stellen muss.
Was ist „zu teuer“, wenn, wie überall verkündet, Bildung das Und ein zweiter Punkt: Schule muss nicht nur im „Schulgebäude“
höchste Ziel der Menschheit, zumindest aber einer erfolgreichen stattfinden; sie kann sich andere Räume suchen. Was sagt uns
Volkswirtschaft ist? Nehmen wir einmal an, eine Schule der die Tatsache, dass die Rütlischule in Berlin vor zehn Jahren als
genannten Architek ten sei 10 Prozent teurer, schaffe es aber, schlimmster „sozialer Brennpunkt“ galt und heute als Vorzeige-
durch die Vermittlung Goethe’scher „Heiterkeit“ die Schüler um projekt gilt – im selben Gebäude? Der Rest ist einfach: Macht
20 Prozent besser zu machen als eine „normale“ Schule: die Dinge kostbar, nicht nur praktisch, haltbar und pflegeleicht.
Was rechnet sich dann? Und: Vertraut den Kindern, nicht den Vorschriften!
Gert Kähler
freiberuflicher Journalist und Wissenschaftler, geboren 1942 in Hamburg, Studium
der Architektur an der tu Berlin, 1981 Promotion, 1985 Habilitation, seit 1988
zahlreiche Veröffentlichungen zu Themen der Stadt und der Architektur des
20. Jahrhunderts, Autor mehrerer Schulbücher über Architektur
Themenschwerpunkt Holz bildet
Schule am Kiefernwäldchen⁄ D
Lern-Werkstatt Volksschule Bad Blumau
Karin Tschavgova
Seit Jahren fordern engagierte Pädagogen und Bürger in Öster- ohne Sockel, liegt flach in der Wiese. Kein mächtiges Dach krönt
reich eine Schulreform – das System mit Frontalunterricht, Stamm- das Haus, kein Ehrfurcht gebietender Zugang mit Stufen oder
klassen und Halbtagsunterricht hat längst ausgedient. Eine neue Schwellen ist sein Entree. Morgens gehen die Kinder auf einen
Schule bräuchte nicht nur neue Lehrmethoden, sondern auch leicht nach hinten geneigten Vorbau zu, der mit der gleichen
neue Räume. Zurzeit wird viel geredet darüber, aber noch nicht dunklen Folie gepolstert und tapeziert ist wie das flache Dach.
viel getan. Anstelle eines teuren Windfangs, dessen Türen zu Unterrichts-
In Bad Blumau in der Oststeiermark steht eine neu errichtete beginn und -ende sowieso immer offen stehen, wurde ein ein-
Volksschule, die zeigt, wie es mit großem Einsatz vieler trotzdem facher Industrievorhang aus reißfesten Gummistreifen installiert.
gehen kann, die einlädt zu konzentrierter Arbeit und freigeis- Manch einem Kind werden die von den Architekten eingesetzten
tigem Denken. Auch wenn das Raumprogramm konventionell einfachen industriellen Materialien – Folie, sägeraue Bretter,
war – fünf Stammklassen, ein Werkraum, ein Turnsaal, ein Raum Sichtbeton – aus den landwirtschaftlichen Betrieben ihrer Heimat
für die Nachmittagsbetreuung –, so war doch schon der Anfang vertraut sein.
ambitioniert. Das Land Steiermark als Fördergeber empfahl, fünf Schon hier zeigt sich eine besondere Qualität dieser Schule: Sie
Architekten zu einem Architekturwettbewerb einzuladen, der entspricht ganz und gar nicht dem Bild eines klassischen Schul-
Bürgermeister entschied, aus den Beiträgen von mindestens zehn hauses. Diese Schule will gar kein Autorität ausstrahlendes
Teams die beste Auswahl zu treffen. Bauwerk sein, fern von der Lebensrealität der Menschen im Ort.
Die Schule der Grazer Architekten Feyferlik⁄ Fritzer steht außer- Sie hat Werkstattcharakter.
halb des Ortskerns auf einem Plateau über dem Safenbach. Betritt man die Schule, so wechseln Anmutung und Atmosphäre.
Auf der anderen Seite der Zufahrtsstraße entstand ein neues Holz am Boden, an den Wänden und an der Decke prägt den
Tribünengebäude für den Fußballplatz. Sportplätze, Schule und ersten Eindruck. In so viel Materialwärme fügt sich die lange
Schulvorplatz bilden ein kleines Ensemble der Ortserweiterung. Sichtbetonwand harmonisch ein, die das Rückgrat der Klassen-
Bei der Annäherung könnte man das Schulgebäude fast überse- räume bildet. Der Klassentrakt, der aus Gründen eines optimalen,
hen – ein lang gezogener Baukörper, nur ein Geschoss hoch und kostengünstigen Schallschutzes in Beton konzipiert wurde, bildet
Bei gutem Wetter dürfen die Kinder auch mal im Freien ihren Arbeitsplatz wählen. Holz prägt innen wie außen das Erscheinungsbild und die Atmosphäre.
Eva Guttmann
Wohnbevölkerung In Österreich gibt es etwa 120.000 Lehrkräfte sowie 1,2 Mio. Schüler, die während ihrer Schulzeit
gesamt 8.426.311 12.000 bis 15.000 Stunden in der Schule verbringen. Gemeinden, Bund und Länder erhalten gemein-
sam knapp 7.000 Schulen, wobei laut einer Umfrage im Jahr 2010 über 80 Prozent der Gebäude
vor 1970 errichtet wurden1. Diese wurden in den vergangenen Jahrzehnten zwar teilweise reno-
viert, dennoch besteht immer noch bei einem Großteil Sanierungs- bzw. Adaptionsbedarf hinsicht-
lich Energie- und Haustechnik, aber auch zeitgemäßer pädagogischer Konzepte und geänderter
Nutzungsanforderungen, wie z. B. Nachmittagsbetreuung oder das Lernen in Kleingruppen.
Eine österreichweite übergreifende Planungsstrategie liegt nicht vor, es existiert jedoch ein Schul-
erhaltungs- und Entwicklungsprogramm des Bundes (schep 2008), in dem geplante Baumaßnah-
men (inkl. Neubau) festgehalten werden. Darin sind die vorgesehenen Gesamtinvestitionen für die
Jahre 2009 bis 2018 mit 1,66 Mrd. Euro beziffert.1 Allein die Stadt Wien hat in ihrem Schulsanie-
rungspaket, das die Sanierung von bzw. die substanzerhaltenden Maßnahmen an 242 allgemein-
bildenden Pflichtschulen für die Jahre 2008 bis 2017 beinhaltet, ein Budget von 570 Mio. Euro
veranschlagt. Bis Ende des Jahres werden voraussichtlich 76 Schulen fertig saniert sein.2 Damit
stellen die laufenden und bevorstehenden Investitionen in Bildungsbauten ein enormes wirt-
schaftliches Potenzial dar, das auch regionale Wirksamkeit entfaltet.
1 Österreichischer Baukulturreport 2011 (laut Statistik Austria 1,15 Mio. Schüler).
2 www.wien.gv.at⁄ verwaltung⁄ schulen⁄ schulsanierung.html, August 2014.
Schüler 476.726 14 bis 18 + 1.698 Polytechnische Schulen; ahs-Oberstufe; Berufsbildende mittlere und höhere Schulen
1.142.726 324.055 10 bis 14 1.864 Hauptschulen, Neue Mittelschulen; ahs-Unterstufe
13.809 6 bis 14 310 Sonderschulen
328.136 6 bis 10 3.095 Volksschulen
„Die Zahl der Studienanfänger Jährliche Ausgaben pro Schüler ⁄ Student in euro
für öffentliche und private Bildungseinrichtungen (Primar-, Sekundar- und Tertiarbereich), Quelle: Eurostat 2011
in Österreich liegt nach wie vor
unter dem oecd-Durchschnitt.“ Deutschland
Finnland
Frankreich
„Österreich gibt je Schüler Großbritannien
Italien
erheblich mehr für die Primar-
Niederlande
und Sekundarbildung aus, Österreich 9.449 euro
als dies im eu und im oecd- Schweden
Slowakei
Durchschnitt der Fall ist. Grund Slowenien
dafür sind kleinere Klassengrößen Spanien
Tschechische Republik
und höhere Lehrergehälter.“ USA
EU (28)
Quelle: oecd, Österreich – Ländernotiz – Bildung
auf einen Blick 2013 3.000 6.000 9.000 12.000
Wiener Schulbauprogramm 5
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Holz bildet
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Anne Isopp
Wien wächst. Bis 2030 – so die Prognosen – wird die Stadt die Modulbauweise
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Zwei-Millionen-Marke erreicht haben. Wien braucht damit nicht Acht Schulerweiterungen werden in Modulbauweise errichtet. Für
nur Wohnraum, sondern auch entsprechende soziale Infrastruk- die ersten fünf Standorte, die bis August 2014 realisiert wurden,
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turen, wie Kindergarten- und Schulplätze. Allein in elf neue hat die wip (Wiener Infrastruktur Projekt GmbH) im Auftrag der
Schulstandorte für knapp 200 neue Klassen investiert die Stadt Stadt Wien ein Vergabeverfahren mit einer funktionalen Ausschrei-
rund 700 Mio. Euro. bung gleichzeitig für mehrere Schulerweiterungen durchgeführt.
Zusätzlich will die Stadt Wien in den Jahren 2014 bis 2016 beste- Gefertigt wurden die Module von einer auf Modulgebäude spe-
hende Schulen um 94 Klassen erweitern. Von diesen Schuler- zialisierten Firma, die hierfür eng mit einem Brett sperrholzprodu-
weiterungen an 15 Standorten werden zehn in Holz errichtet, ein zenten zusammengearbeitet hat. Das Holz wird vorwiegend als
Großteil mit vorgefertigten Modulen als Ergebnis einer funktio- verdeckte Unterkonstruktion verwendet. Zwischen der Beauftra-
nalen Ausschreibung. Bei den anderen Schulen ging die Initiative, gung der wip für die Schulerweiterungen an fünf Standorten im
in Holz zu bauen, von den Architekten aus. Schnelligkeit und Oktober 2013 bis zur Inbetriebnahme im August 2014 liegt nicht
Nachhaltigkeit der Holzbauweise sind überzeugende Argumente. einmal ein Jahr. Dieser Zeitplan zeigt, wie sportlich die Stadt
Alle hier involvierten Architekten erzählen, dass die Stadt Wien Wien hier unterwegs war. Drei weitere Schulstandorte werden bis
als Bauherr dabei erste Erfahrungen gemacht hat, mit Holz zu September 2015 nach ähnlichem Zeitplan erweitert.
bauen. „Aus anfänglicher Skepsis entwickelte sich eine Freude
am Material“, erzählt Christian Aulinger von trans_city. Standorte 1) Braunhubergasse 3, 1110 Wien⁄ A; 2) Molitorgasse 11, 1110 Wien⁄ A;
3) Karl-Toldt-Weg 12, 1140 Wien⁄ A; 4) Herzmanovsky-Orlando-Gasse 11⁄ Herchenhahngasse 6,
1210 Wien⁄ A; 5) Lavantgasse 35, 1210 Wien⁄ A
Fertigstellung August 2014
Erste dreigeschossige Holzschule in Wien Wunderwuzzi Eine Holzschule mit Holz erweitern
Die Architekten von trans_city hatten für In der Baslergasse wird die Volksschule Architekt Michael Schluder setzt sich
die Stadt Wien eine Studie erarbeitet, nicht erweitert, sondern hier werden vier schon seit Jahren für mehr Holzbau in der
wie man vorgefertigte Module aus Holz alte Holzbaracken durch einen Neubau Stadt ein. Mit der Schulbauerweiterung in
für temporäre Schulbauten einsetzen ersetzt. Trotzdem soll sie hier nicht fehlen: der Prücklmayergasse in Wien hat er vor
kann. Bei der Erweiterung der Volksschule Vier Klassen gruppieren sich um einen zwei Jahren schon eindrücklich vorgeführt,
in der Felbigergasse entschied sich die zentralen Verteilerraum, der Neubau ist dass man in Holz schnell, nachhaltig und
Stadt aber dann doch für einen fixen Neu- mit einem Glasgang an die bestehende platzsparend bauen kann. Diese Erfah-
bau mit drei Geschossen. Der Baustoff Schule angedockt (diese ist übrigens von rungen sollte er bei der Erweiterung der
Holz wurde dabei nie infrage gestellt. Roland Rainer und steht unter Denkmal- Volksschule in der Dr.-Schober-Straße er-
Pro Geschoss gibt es zwei Klassen und schutz). Die Vorgabe der Stadt lautete: neut einbringen. Bei diesem Schulstandort
zwischen den Klassen immer einen Ver- Die neue Schule soll demontierbar sein ist der bestehende Schulbau ebenfalls ein
bindungsraum, der neues pädagogisches und auch um ein Geschoss erweiterbar. Holzbau aus den 1960er Jahren. Die Er-
Arbeiten ermöglicht. Das Brettsperrholz Über einem Streifenfundament erhebt sich weiterung besteht aus zwei voneinander
der vorgefertigten Wand- und Decken- nun ein reiner Holzbau: Boden, Wände getrennten Bauteilen: einem vorgelager-
elemente ist innen sichtbar belassen und Decken sind aus Brettsperrholz, die ten Baukörper und einem zweiten, der di-
und außen mit einer hinterlüfteten Holz- Wände sind aus Fichte und weiß lasiert, rekt an den Altbestand anschließt und da-
fassade verkleidet. die Decken aus Weißtanne. mit das u-förmige Bestandsgebäude um
einen Innenhof bereichert.
Standort 6) Felbigergasse 97, 1140 Wien⁄ A Standort 8) Baslergasse 43, 1230 Wien⁄ A
Planung trans_city zt GmbH, Wien⁄ A, www.trans-city.at Planung Kirsch zt GmbH, Wien⁄ A, www.ckirsch.at Standort 7) Dr.-Schober-Straße 1, 1130 Wien⁄ A
Holzbau Strobl Bau – Holzbau GmbH, Weiz⁄ A, www.strobl.at Holzbau Schmid Holzbau GmbH, Frankenburg⁄ A, Planung schluder architektur, Wien⁄ A, www.architecture.at
Fertigstellung September 2014 www.schmid-baugruppe.at Holzbau Strobl Bau – Holzbau GmbH, Weiz⁄ A, www.strobl.at
Fertigstellung September 2014 Fertigstellung September 2014
Impulsgeber Gartenbauschule Ritzlhof
Recht auf Schulraum Gründerzeit und Klassische Moderne Schulbauboom der 1960er Jahre
Schulen stehen heute, im Zeichen von Die Schule der Zukunft wird also auch Nach dem Zweiten Weltkrieg werden ge-
globaler Migrationsgesellschaft und Verar- künftig weitgehend in Bestandsbauten mäß der Charta von Athen die Schulen der
mungstendenz ganzer Gesellschaftsschich- stattfinden. Wie sehen diese Schulhäuser Freizeitsphäre zugeordnet. Die Pavillon-
ten, vor einigen Herausforderungen. Die in aus? Welche Entwicklungen fanden statt schulen dieser Zeit sind meist eingeschos-
der österreichischen Verfassung veranker- in der Schularchitek tur im 20. und zu Be- sig und mit üppigen Grün- und Freiraum-
ten Ziele der Bildung – Chancengerechtig- ginn des 21. Jahrhunderts? Grundlegendes bereichen ausgestattet. In den 1960er
keit und Ermöglichung selbstbestimmter Element der Schulen in Österreich ist bis Jahren kommt es durch die Schulreform
Teilhabe aller in der Gesellschaft – werden heute das Klassenzimmer aus der zweiten 1962 und das Bevölkerungswachstum zu
teilweise verfehlt. Der sozioökonomische Hälfte des 19. Jahrhunderts, als die Schul- einem Schulbauboom. Funktionalismus
Hintergrund und – in ländlichen Regionen – pflicht größtenteils umgesetzt wurde. Erst und Experimente mit Fertigteilbauweise
der Wohnort der Eltern bestimmen in im Laufe des 20. Jahrhunderts gewinnen sind tonangebend; beispielhaft sei hier
hohem Maße die Bildungskarriere ihrer die Pausen-, Freizeit- und Freiraumbereiche die Stahlbetonfertigteilbauweise der Volks-
Kinder und deren Lernleistungen. Die an Bedeutung. Den Großteil der Schulen und Hauptschule Roda-Roda-Gasse von
Ursache für die Vererbung der Bildungs- bilden gründerzeitliche Schulgebäude (in Elise Sundt (1966) genannt. Im Rahmen
chancen sowie für die wachsende Zahl Wien 56 Prozent des Gesamtbestands) mit der Bildungs offensive und Demokratisie-
an Risikoschülerinnen und -schüler liegt robuster Baukonstruktion und hohen Räu- rung des Zugangs zu Bildung in den
unter anderem in der frühen Selek tion men, somit gutem Raumklima und gerin- 1970ern gab es sowohl eine Weiter ent-
und dem differenzierten Schulsystem mit ger sommerlicher Überhitzung. Es fehlen wicklung der Hallenschule als auch die
starker Konzentration auf bestimmte jedoch Pausenbereiche oder die Potenziale, Entwicklung erster „Cluster“-Konzepte,
Schultypen. Dabei wird ins österreichische im Inneren zu entkernen, was in Hinblick etwa Fred Freylers Volk schule am Eisen-
Bildungssystem überdurchschnittlich viel auf eine neue oder flexible Raumnutzung stadtplatz im 10. Bezirk (1966). Während
investiert, wobei die Gelder großteils in nötig wäre. Der Schulbau der Klassischen sich Cluster in komplexerer Form heute
den laufenden Betrieb und in Personal- Moderne ist geprägt durch die Reformpä- z. B. im Bildungscampus Sonnwendviertel
kosten fließen. dagogik und Heliotherapie. Im Vergleich (2014) von ppag wiederfinden, entwickelte
Welche Rolle spielt nun der Schulbau? Die zu europäischen Innovationen (Reform- sich die Hallenschule oder auch das radi-
knapp bemessenen Investitionen für Neu- schulen des Neuen Frankfurt, Freiluftschu- kale Raumkonzept der Ursulinen-Schule
bau und Sanierung von Schulgebäuden sind len in Suresnes und Amsterdam) sind die von Josef Lackner (Innsbruck, 1971 – 80)
seit 2001 rückläufig (2013 nur 2,4 Prozent wenigen österreichischen Schulen aus die- in jenen Schultypologien weiter, die große
der Bildungsausgaben, Statistik Austria). ser Zeit eher traditionell gestaltet. Raumvolumen (z. B. die Sporthalle) ins
Dabei steigt der Raumbedarf vor allem in In Frankfurt am Main entwickelte der Zentrum rücken und das Erdgeschoss als
wachsenden Städten durch die Senkung österreichische Architekt Franz Schuster öffentlichen Begegnungsort definieren.
der Klassenschülerhöchstzahl (2008), durch eine typologische Neuerung, den so Bis heute funktioniert die Haupt schule
Individualisierung, die Ganz tagsschule oder genannten „Schustertypus“ mit „durch- Schwarzautal (jetzt: Neue Mittelschule)
die Notwendigkeit von Arbeitsplätzen für gesteckten“ Klassenräumen. mit ihren sechseckigen, zum Zentrum hin
Lehrende. In Zeiten ökonomischer Krise und offenen Klassenzimmern als echte Groß-
Sparpolitik bräuchte es also ein klares poli- raumschule (Friedrich Pammer und Anton
tisches Bekenntnis zu Investitionen in qua- Pessl, 1973 ⁄ 74).
litätsvollen Schulraum. Zusätzlich reduziert In den 1990er Jahren – der Postmoderne –
wird das Baubudget durch steigende nor- kommt es zur Pluralisierung der Typen und
mative Anforderungen von Energieeffi- Stile. Als genuin postfordistische Form des
zienz, Erdbebensicherheit, Brandschutz und Schulbaus ließe sich die dänische Hellerup-
Barrierefreiheit. Schule (Arkitema, 2003) nennen, mit radi-
kal offenem Grundriss, in der sich – ähnlich
früheren Bürolandschaften – Schülerinnen
und Schüler Arbeitsorte frei wählen (was
wiederum einiges an Stress erzeugt).
Gabu Heindl
Das nordeuropäische Konzept der „Venster-
Architektin mit Schwerpunkt öffentliche Bauten. Forschung zu schoolen“ (in Großbritannien „Community
Arbeits- und Schulräumen im Post fordismus, öffentlichem Raum, education“, in Deutschland „Lokale Bil-
Gerechtigkeit als Planungsparameter, Vorstandsvorsitzende der dungslandschaft“) hingegen beschreibt die
ögfa, www.gabuheindl.at auch hierzulande nötige Öffnung der Schu-
le, um Synergien zu nutzen und mit ande-
Maja Lorbek
Architektin und Wissenschaftlerin, lebt in Wien, Forschungspro- ren sozialen und kulturellen Einrichtungen
jekte zu Schulbau, nachhaltiger Sanierung und Informations- und Mehrwert für ganze Stadtteile zu erzielen.
Kommunikationstechnologie im Wohnumfeld
Was ist Atmosphäre?
Holz bildet
Susanne Hofmann
Analog zum Wetter spüren wir die Ausstrahlung eines Ortes, eines Raumes
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oder einer Architektur, und wie das Wetter kann auch ein Gebäude auf be-
stimmbare Parameter zurückgeführt werden. Die Weite oder Enge eines
zuschnitt 55.2014
Raumes, die Beschaffenheit seiner Wände, der Decke und des Fußbodens, das
Material, aus dem sie geschaffen sind, die Dinge, die sich im Raum befinden,
die haptische und optische Qualität, insbesondere die Farbe ihrer Oberflächen,
die Intensität des einfallenden Lichts, die künstliche Beleuchtung, die Akustik
der Räume, also ihr Klang, die Ausblicke aus den Fenstern, die Art, wie das Ge-
bäude in seine Umgebung eingebunden ist – all dies sind Parameter, die die
Raumatmosphäre und deren Qualität beeinflussen. Es geht bei der atmosphä-
rischen Wirkung der Architektur vor allem um deren sinnliche Erfahrung. Denn
wenn die Atmosphäre ein Wesenselement des Raumes und seiner Erfahrung
ist, muss sie auch ein wesentlicher Teil des architektonischen Entwurfs sein.
Die Erfahrung räumlicher Atmosphäre ist also auch ein Erkenntnisprozess, der
sich im architektonischen Entwurf niederschlagen sollte.
Das Wetter ist eines unserer wichtigsten Gesprächsthemen, bestimmt es doch
Erika-Mann-Grundschule in Berlin (Umbau: die Baupiloten) die Qualität der Atmosphäre unseres Planeten für unseren täglichen Gebrauch.
Auch über die Atmosphäre eines Raumes und ihre Erfahrung können wir uns
austauschen. Sie sind Teil eines Diskurses, der sich nicht nur unter den Nutzern
dieser Architektur ergibt, sondern auch zwischen Nutzern und Architekten. Für
Letztere ist das ungeheuer hilfreich, denn wenn sie durch Atmosphären die
Wünsche und Vorlieben der Menschen, die ihre Architektur benutzen sollen,
direkt erfahren, bleibt ihnen bei der Entwurfsarbeit die Unsicherheit der Inter-
pretation von Nutzerbedürfnissen erspart.
Im Schulbau hat sich die Erkenntnis des Reformpädagogen Loris Malaguzzi
durchgesetzt, dass der Raum nach den Mitschülern und dem Lehrer der dritte
Heutige Anforderung: flexibel und Pädagoge sei. Für die Projekte, die ich mit meinem Büro in diesem, aber auch
adaptierbar in anderen Baubereichen durchgeführt habe, war diese Erkenntnis wesentlich.
Eine der wichtigsten Herausforderungen In aufwendigen Beteiligungsverfahren haben wir uns den atmosphärischen
für den Schulbau-Bestand aber ist – Wunschwelten der Nutzer genähert und sie zum Kernstück unseres architekto-
neben der (thermischen) Sanierung –, nischen Konzepts gemacht. Selbstverständlich spielte das Material, das beim
auf neue Unterrichtskonzepte zu rea- Bauen verwendet wird, eine Schlüsselrolle – ebenso wie seine haptische und
gieren. Bei Sanierung und Neubau ist visuelle Beschaffenheit und die Raumatmosphäre, die es erzeugt.
künftig auf größtmögliche Flexibilität Die Transparenz und Offenheit, die Holzskelettkonstruktionen ermöglichen,
und Adaptabilität zu achten. Insbeson- waren wichtige Aspekte bei der Konstruktion der Kindertagesstätte Lichten-
dere das „Open Building“, ein Konzept bergweg in Leipzig. Sie sollte in bewusstem Gegensatz zur Raumerfahrung des
von John N. Habraken aus den 1960er steinernen Bauteils desselben Gebäudes stehen. Die Kinder hatten sich sowohl
Jahren, kann dabei als Designmaxime die bergende Massivität von Vulkanwelten als auch die spielerische Leichtig-
fungieren: Standortspezifischer Bedarf keit des Waldes und von „Regenbogengärten“ als prägende Raumatmosphären
und Nutzerwünsche können durch ihrer Lebensumwelt gewünscht.
spezifische schulische „Infills“ erfüllt Für die Kindertagesstätte Taka-Tuka-Land in Berlin-Spandau (s. Zuschnitt 37)
werden, die von innovativen Trennwand- fiel die Wahl auf eine Holz- statt eine Stahlkonstruktion, weil sich die Kinder
lösungen über akustische Baukompo- Pippi Langstrumpf, die Heldin ihrer Alltagswelt, eher mit Hammer und Nägeln
nenten bis zu innovativer Möblierung in der Hand vorstellen konnten als mit einem Schweißbrenner. In anderen
reichen – eine Ebene, auf der Nutzer- Fällen bekamen Gipskarton, Mineralputz oder Stahlbleche den Vorzug. Selbst-
Partizipation wichtig ist und Sinn ergibt. verständlich spielen dabei baupolizeiliche, brandschutztechnische und andere
Nicht zuletzt sei angemerkt: Schule und Bestimmungen eine wesentliche Rolle. Entscheidend ist aber immer auch,
Schulbau sind eine öffentliche Aufgabe, wie Baumaterialien auf die Erfahrung der Menschen, die mit ihnen täglich
ein öffentliches Gut. Die Gestaltungs- umgehen, wirken, sind sie doch Schlüsselelemente für die Herstellung von
möglichkeit bei der Errichtung und Raumatmosphären.
auch in der Bewirtschaftung soll auch
künftig nicht in Form von ppp- Modellen
Susanne Hofmann
privaten Financiers zufallen. Denn
Architektin mit eigenem Büro in Berlin, Initiatorin des Studienprojekts „Die Baupiloten“ an der
wie zu Beginn gesagt: Schule ist Teil tu Berlin, das sie seit 2014 als unabhängiges Büro mit Fokus auf partizipativ entwickelte Bildungs-
unserer Verfassung und Bildung eine und Wohnbauten weiterführt. Sie hat derzeit eine Vertretungsprofessur an der tu Berlin inne
wesentliche Säule des Wohlfahrtstaats. und promovierte 2012 über „Atmosphäre als partizipative Entwurfsstrategie“. www. baupiloten.com
Groupe scolaire à Rillieux-la-Pape⁄ FR
Schulbauprogramme im Ausland
In Deutschland
Mittelschule Buchloe
Standort Münchener Str. 22, Buchloe⁄ D Michael-Grzimek-Schule
Bauherr Hauptschulverband Buchloe, Buchloe⁄ D, www.mittelschule-buchloe.de Standort An der Walkmühle 10, Frankfurt-Niedereschbach⁄ D
Planung müllerschurr.architekten, Marktoberdorf⁄ D, www.muellerschurr-architekten.de Bauherr Hochbauamt Frankfurt am Main, Frankfurt am Main⁄ D, www.hochbauamt.stadt-frankfurt.de
Holzbau Anton Ambros GmbH, Hopferau⁄ D, www.ambros-haus.de Planung Juri Troy, Wien⁄ A, www.juritroy.com; hein architekten, Bregenz⁄ A, www.hein-arch.at
Fertigstellung 2011 Holzbau Holzbau Pfeiffer GmbH, Remptendorf⁄ D, www.holzbau-pfeiffer.com
Fertigstellung Schule 2009, Turnhalle 2011
Schule am Kiefernwäldchen
Standort Am Kiefernwäldchen 2, Griesheim⁄ D
Bauherr Da-Di-Werk Eigenbetrieb Gebäude- und Umweltmanagement, Darmstadt⁄ D, www.da-di-werk.de
Planung Ramona Buxbaum Architekten, Darmstadt⁄ D, www.ramonabuxbaum.de
Holzbau Holzbau Amann GmbH, Weilheim-Bannholz⁄ D, www.holzbau-amann.de
Fertigstellung September 2011
Sabine Djahanschah
Es gibt derzeit in Deutschland einzelne Bauvorhaben, die das Darüber hinaus kann der Holzbau mit sehr kurzen Bauzeiten
große Potenzial des Holzbaus auch für den Schulbau aufzeigen. punkten, was gerade zur Nutzung der Ferienzeiten deutliche Vor-
teile bringt. Holz hat als nachwachsender Rohstoff im gesamten
Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt hat einen Schwerpunkt in Lebenszyklus ökologische Vorteile, die Möglichkeiten zur Vorferti-
der Förderung zukunftsfähiger Bildungsbauten in Neubau- und gung eröffnen eine verbesserte Qualitätssicherung und Recyc-
Sanierungsvorhaben gesetzt. Gefördert werden insbesondere die lingfähigkeit. Das geringe Gewicht bei guter Dämm- und Tragfä-
Mehraufwendungen integraler Planungen, mit denen innovative higkeit prädestiniert den Holzbau für Aufstockungen und
energie- und ressourceneffiziente Konzepte entwickelt, umge- energieeffiziente Fassaden. Über sichtbare Oberflächen schafft
setzt und dokumentiert werden. Da der Energieverbrauch im Ge- der Holzbau weiterhin lichte und angenehme Innenräume, die
bäudebetrieb durch effiziente Gebäudehüllen und Haustechnik der Schule als Lebensraum eine warme und wohnliche Atmosphä-
deutlich reduziert werden kann, erhält die Auswahl von Bau- re verleihen. Obwohl der Einsatz von Holz im Schulbau derzeit in
stoffen und Konstruktionen in der ökologischen Gesamtbilanz Deutschland von der Politik nicht explizit gefördert wird, gibt es
eines Gebäudes eine nahezu gleichwertige Bedeutung. Exempla- doch ein wachsendes Bewusstsein für die Thematik der Ressour-
rische Berechnungen konnten beispielhaft zeigen, dass durch den ceneffizienz und ein verstärktes Interesse am Bauen mit Holz.
Einsatz von Holz in der Primärkonstruktion das Treibhauspoten-
zial um bis zu 75 Prozent und der Primärenergiebedarf um bis zu
Sabine Djahanschah
50 Prozent reduziert werden können.
leitet das Referat für Architektur und Bauwesen der Deutschen Bundesstif-
Ein Modellbauvorhaben in Diedorf bei Augsburg setzt im Zusam- tung Umwelt.
menhang mit einem neuen pädagogischen Konzept für ein Gym-
nasium den Holzbau im Plusenergiestandard erstmalig in einer
Größenordnung von knapp 13.000 m2 um (Architekten: Hermann
Kaufmann und Florian Nagler, Fertigstellung: 2015). Eine umfas-
sende Dokumentation des Projekts soll die ökologische und öko-
nomische Effizienz des Holzbaus verbreiten. Auch Schulsanie-
rungen wie beispielsweise in den Allgäuer Städten Buchloe und
Sonthofen wurden mittels vorgefertigter Holz fassaden und Auf-
stockungen ausgeführt.
In der Schweiz
Holz bildet
Adi Kälin
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bau weit verbreitet und unumstritten.
zuschnitt 55.2014
Am Anfang der Geschichte steht eine Fehleinschätzung der In Zürich ist die Verwendung der Pavillons weitgehend unum-
Zürcher Schulraumplaner. Ende der 1990er Jahre fehlten in einem stritten. 46 sind bereits im Einsatz, für weitere 16 haben die
Quartier plötzlich Schulräume für rund 400 Kinder. Die Stadt Zürcher in einer Volksabstimmung soeben einen Kredit von
beauftragte das Büro Bauart Architekten mit dem Bau von Provi- 50 Mio. Franken bewilligt. 76,6 Prozent, von denen die gewählt
sorien. Diese hatten beim Neubau des Bundesamts für Statistik haben, sagten Ja dazu. Die Schülerzahlen in Zürich entwickeln
in Neuenburg Pavillons für die provisorische Unterbringung der sich weiter rasant: Heute gehen dort 26.900 Kinder zur Schule,
Mitarbeiter entwickelt. Weil Nachhaltigkeit zentral war, sollten laut Prognosen werden es im Jahr 2020 wohl um die 30.000 sein.
auch die Provisorien nicht aus Stahl und Kunststoff, sondern aus Die Pavillons sind ein wichtiges Mittel, um auf die Entwicklung
Holz sein, wie Peter C. Jakob vom Büro Bauart erklärt. Modular-t in den einzelnen Quartieren flexibel reagieren zu können.
hieß die Konstruktion, die wenig später für die Städte Thun und
Zürich weiterentwickelt wurde. Seit 1998 kommt nun das Modell
Adi Kälin
Züri-Modular zum Einsatz, das später in einer zweiten Generation
ist Historiker und arbeitet als Redakteur bei der nzz in Zürich. Er befasst sich
noch etwas großzügiger ausgestaltet wurde. neben lokalpolitischen Themen vor allem mit Architektur und Stadtentwicklung.
Die heutigen Züri-Modular-Pavillons bestehen aus zehn Modulen,
mit denen eine Fläche von 260 m2 pro Stockwerk hergestellt
werden kann. Auf dieser Fläche entstehen zwei Schul- oder
Betreuungszimmer nebst Garderoben- und Eingangsbereich sowie
Technik- und Putzräumen. Die Räume sind großzügig und dank
Fensterreihen auf beiden Seiten sehr hell. Am häufigsten werden
die Elemente zu zwei- bis dreistöckigen Pavillons kombiniert. Die
neueste Generation erfüllt den Minergiestandard (schweizerische
Niedrigenergie-Zertifizierung) und kann weitgehend in der Groß-
zimmerei vorproduziert werden. Die Vorteile der Pavillons liegen
auf der Hand: Sie sind viel rascher einsatzbereit und kosten auch
rund 20 Prozent weniger als übliche Schulhausbauten. Je nach
Bedarf können sie zudem versetzt werden.
Kindergarten und Grundschule in Rillieux-la-Pape sind In Limeil-Brévannes, östlich von Paris, liegt die größte
verbunden durch eine begehbare, intensiv begrünte Holzschulanlage Frankreichs für insgesamt fünfzig Vor-
Dachlandschaft. Das Schulzentrum Aimé Césaire ist der geheimnisvollste und Volksschulklassen.
Bau aus Holz: Ein „Mantel“ aus unregelmäßigen Latten
schützt Kindergarten und Grundschule. Groupe Scolaire Pasteur
Groupe scolaire à Rillieux-la-Pape Standort 8 Rue des Herbages de Sèze, Limeil-Brévannes⁄ FR
Standort 17 Rue Fleury Salignat, Rillieux-la-Pape⁄ FR Bauherr Ville Limeil-Brévannes, Limeil-Brévannes⁄ FR, www.limeil-brevannes.fr
Bauherr Direction Cadre de Vie, Ville de Rillieux-la-Pape⁄ FR, www.ville-rillieux-la-pape.fr Planung r2k architectes, Grenoble⁄ FR, www.r2k-architecte.com
Planung Tectoniques, Lyon⁄ FR, www.tectoniques.com Holzbau Holzbau Amann GmbH, Weilheim-Bannholz⁄ D, www.holzbau-amann.de
Holzbau Favrat Construction Bois, Orcier⁄ FR, www.favrat.fr Fertigstellung 2012
Fertigstellung 2013
Dominique Gauzin-Müller
Nach zwanzig Jahren „Wallfahrt“ nach Österreich hat der Schilf unterstützt. Ende 2013 wurde dazu die Wald- und Holz-
französische Holzbau eine eigene Dynamik entwickelt – branche zur „Filière industrielle d’avenir“, zur Industriebranche
ein breites Spektrum an Projekten aus Holz ist entstanden, der Zukunft, gekürt. Heute liegt der Marktanteil von Holz bei
darunter viele Schulbauten. 10 Prozent für Büros und öffentliche Bauten, darunter viele
Schulen, Kindergärten sowie Tagesbetreuungseinrichtungen.
Die Geburtenrate Frankreichs ist eine der höchsten in Europa. Holz wird allgemein als „sanftes“ Material gesehen. Daher liegt
Sie lag 2012 bei 2,01 verglichen mit 1,44 in Österreich. Das fran- es nahe, es gerade in Bauten für Kinder zu verwenden, weil man
zösische Sozialsystem unterstützt die Familien: Jedes Kind ab für sie in besonderem Maße eine gesunde, warme und freund-
zwei Jahren hat Anspruch auf einen Platz im Kindergarten und liche Atmosphäre wünscht. Für den Bau von Grundschulen und
auch Ganztagsschulen sind sehr verbreitet. Die Bevölkerung Kindergärten sind die Gemeinden verantwortlich. Wenn eine
wächst und verlangt nach neuen Wohnvierteln, die immer öfter Gemeinde Holz bevorzugt, dann meist, weil sie einen Schritt in
auf Industrie-, Militär-, Bahn- oder Hafenbrachen errichtet Richtung Nachhaltigkeit setzen will: weniger graue Energie und
werden, genauso wie nach neuen Schulen. Zudem müssen jene weniger Heizkosten dank einer besseren Isolierung. Manche
Schulbauten, die von 1950 bis 1970 in Zeiten von Babyboom Gemeinden bevorzugen zudem lokale Holzarten, davon immer
und Landflucht schnell und meist in schlechter Qualität gebaut öfter Laubholz, da der französische Wald aus zwei Dritteln Laub-
wurden, renoviert bzw. ersetzt werden. holz und einem Drittel Nadelholz besteht. Meistens sind es jedoch
Das Verwenden von Holz im Bauwesen ist Teil eines Trends, die Architekten, die Holz für die Tragstruktur, oft auch für Innen-
der 2001 durch die Charta „Holz Bau Umwelt“ (Charte „Bois und Außenverkleidung, vorschlagen. Im Vordergrund steht dabei
Construction Environnement“) entstand und 2009 im Zuge immer das Wohl der Kinder.
der Loi Grenelle, dem staatlichen Engagement für die Umwelt,
bekräftigt wurde. 2011 hat auch das Programm „100 öffentliche
Dominique Gauzin-Müller
Bauten mit lokalem Holz“ (www.100constructionsbois.com)
französische Architektin, lebt seit 1986 in Deutschland, lehrt an den Architek-
von Gemeinden, die selbst Waldflächen besitzen, für neuen turschulen Straßburg und Stuttgart. Sie ist Chefredakteurin des französischen
Schwung gesorgt. Im Jahr darauf wurde das Gütezeichen Magazins „EcologiK“ (EK).
„Bâtiment biosourcé“ für Gebäude aus organischen Baustoffen Die von ihr kuratierte Wanderausstellung „Die Leichtigkeit des Seins – aktuelle
geschaffen, das auch die Verwendung von Hanf, Stroh und Bauten aus Holz in Frankreich“ wird im Herbst in Dornbirn zu sehen sein.
In Großbritannien
Holz bildet
Oliver Lowenstein
Brettsperrholz hat sich in Großbritannien als Baumaterial eta- Zwei weitere Schulgebäude beleuchten den Einsatz von Massiv-
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bliert. Vor allem Schulen werden damit gerne gebaut. holz bei Schulgebäuden. Sheppard Robson, ein großes Londoner
Architekturbüro, hat schon früh Brettsperrholz für eine Vielzahl von
zuschnitt 55.2014
Zehn Jahre nach seiner Einführung in Großbritannien ist Brett- Bildungsbauten verwendet, z. B. 2011 für das Waingels-Academy-
sperrholz zu einem bevorzugten Baustoff vieler – kleiner wie Projekt in Reading. Hierbei wurden 12.000 m2 verbaut, zu dieser
großer – britischer Architekturbüros geworden. Das gilt besonders Zeit das bei weitem größte Gebäude, das mit Brett sperrholz ge-
für den Bau neuer Schulen, die gerne mit Brettsperrholz realisiert baut wurde. Im Vergleich dazu ist die Sandal-Magna-Volksschule
werden, obwohl das groß angelegte Programm zum „Bauen von in Wakefield von Sarah Wigglesworth relativ bescheiden, wobei
Schulen für die Zukunft“ („Building Schools for the Future“) bereits hier Brettsperrholz für das Interieur und für experimentell expres-
seit 2010 nicht mehr existiert. Ein Beweis für diesen Trend in sive Abschlüsse verwendet wurde, Wigglesworth nennt Sigurd
Großbritannien ist das erst kürzlich erbaute Ritblat Building für Lewerentz als wesentlichen Einfluss dafür. Das Sandal-Magna-Ge-
die Hilden Grange Schule in Tonbridge, Kent, von Hawkins\Brown bäude repräsentiert die erste experimentelle Phase des Arbeitens
aus London. Die beiden Gebäude, die einander gegenüberstehen, mit Brettsperrholz. Das Experiment mag der Vergangenheit
folgen dem Hangverlauf und sind mit kanadischer Rot-Zeder angehören, es hat jedoch einen beachtlichen Wissens- und Erfah-
und sibirischer Lärche verkleidet. Obwohl Brettsperrholz ein eher rungsschatz mit sich gebracht und die Überzeugungskraft von
neues Material für Hawkins\Brown ist, setzen die Architekten Brettsperrholz unter den britischen Architekten und am Holzbau-
es gleich in zwei weiteren Projekten ein, darunter auch bei einer sektor kaum gemindert.
weiteren Schule. Das zeigt, dass Brettsperrholz bei den modernen
Architekturbüros Akzeptanz gefunden hat. Begonnen hat dies
Oliver Lowenstein
um das Jahr 2000, als eine Reihe von Vorzeigeprojekten Brett-
ist Chefredakteur von Fourth Door Review, einem britischen Kultur- und Öko-
sperrholz im ganzen Architektursektor bekannt gemacht hat. logiemagazin. www.fourthdoor.co.uk
Ein Schlüsselfaktor für die Popularität dieses Baumaterials ist
seine Belastbarkeit und die Möglichkeit, den CO2-Fußabdruck
signifikant zu reduzieren, was durch die zunehmend strenger
werdenden Vorschriften, die von der Regierung erlassen werden,
erforderlich ist. Die Geschwindigkeit, mit der gebaut werden
kann – das Tragwerk des Ritblat Building wurde in sechs Wochen
aufgestellt – sowie die steigenden Kosten für Stahl am inter-
nationalen Markt werden oft als zusätzliche Entscheidungskrite-
rien für Brettsperrholz genannt.
Ebene 0 Ebene +1
Eva Guttmann
Literatur In der Charta der plattform SchulUMbau wird unter anderem festgehalten:
Schulen planen und bauen: „Die Qualität von Bildungsbauten – von den Kindergärten über Schulen und
Grundlagen und Prozesse Hochschulen bis hin zu Orten der Erwachsenenbildung – spiegelt die Wert-
Montag Stiftungen Jugend
schätzung wider, die eine Gesellschaft dem Thema Bildung sowie den dort
und Gesellschaft I Urbane
Räume (Hg.) Lernenden und Lehrenden entgegenbringt.“ Diese Qualität hinsichtlich funk-
Jovis, Berlin 2012 tionaler, ökologischer, wirtschaftlicher und atmosphärischer Parameter kann
Euro 34,80 durch die Verwendung von Holz bei der Sanierung von Bildungsbauten sowohl
im konstruktiven Bereich als auch beim Innenausbau gewährleistet werden:
Raumpilot Die Leichtigkeit des Materials erlaubt unproblematische Auf- und Zubauten in
Wüstenrot Stiftung (Hg.)
Karl Krämer Verlag,
statischer Hinsicht; durch den hohen Vorfertigungsgrad von Holzelementen
Stuttgart 2010 bleiben Errichtungszeiten kurz und entfallen Austrocknungszeiten gänzlich;
Euro 49,50 die regionale, oft klein strukturierte Wirtschaft profitiert von Bauprojekten,
bei denen heimisches Know-how und Material zum Einsatz kommen; haus- und
archplus 178 energietechnische Adaptierungen sind im Rahmen von Holzkonstruktionen gut
Die Produktion von Präsenz
zu bewerkstelligen; Holz ist ein nachhaltiger Baustoff, der sowohl für die Her-
Archplus Verlag,
Aachen Juni 2006
stellung als auch bei etwaigem Abbruch im Vergleich zu anderen Materialien
wenig Energie benötigt, CO2 bindet und gut recycelbar ist. Und nicht zuletzt
Im Internet trägt Holz aufgrund seiner bauphysikalischen, haptischen und olfaktorischen
Archiv der Zukunft Eigenschaften maßgeblich zum Wohlbefinden der Nutzer bei – ein Aspekt, der
Das Archiv der Zukunft gerade im Schulbau stets im Mittelpunkt der Überlegungen stehen sollte.
sammelt und verbreitet
gelungene Bilder rund
um das Thema Lernen.
www.archiv-der-zukunft.de
Symposium zu Lernwelten
und Baukultur
Nachzulesen und nachzu-
hören unter
www.schulraumkultur.at
plattform SchulUMbau
mit Charta für die Gestal-
tung von Bildungseinrich-
tungen des 21. Jahrhunderts
www.schulumbau.at
zu bestellen unter:
shop.proholz.at
Wertschöpfungskette
Holz bildet
Sonja Bettel
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Im Nationalpark Gesäuse Für den Nationalpark ist die Hilfe aus zweierlei
Vor vier Jahren hat Maria Schlögl an ihrer Schule in Gründen wertvoll: Erstens ist die Neophytenbekämp-
Volders in Tirol an einem Neophytenprojekt mitge- fung ein arbeitsintensiver und langwieriger Prozess.
zuschnitt 55.2014
macht. Jetzt studiert sie Biologie und wollte in den Man muss über Jahre konsequent die Pflanzen ent-
Sommerferien Freiwilligenarbeit machen. Sie schaute fernen und jedes Jahr kontrollieren, ob sie sich neu-
auf der Website des Alpenvereins die „Umwelt- erlich angesiedelt haben. Zweitens ist die Umwelt-
baustellen“ durch, bei denen junge Menschen im baustelle wichtig für die Öffentlichkeitswirkung.
Sommer in ganz Österreich bei verschiedenen Denn die invasiven Arten können nur dann effektiv
Arbeiten in der Natur helfen können. Schließlich bekämpft werden, wenn sie überall zurückgedrängt
entdeckte sie ein Projekt zur Bekämpfung von Neo- werden. Vielen Grundbesitzern ist aber noch nicht
phyten im Nationalpark Gesäuse in der Steiermark bewusst, dass Neophyten eine Gefahr für ganze
und wusste: Das ist es! Ökosysteme sind. Manche weigern sich sogar, sie zu
Im Nationalpark Gesäuse wurde vor zehn Jahren entfernen, weil sie doch so schön seien.
eine erste Erhebung der Neophyten gemacht und
auf dieser Basis ein Managementplan zu deren
Bekämpfung entwickelt. Drüsiges Springkraut,
Goldrute und Japanischer Staudenknöterich sind
ins Gesäuse vergleichsweise spät eingedrungen,
doch in den vergangenen zehn Jahren haben sie
sich rasch verbreitet. Das Springkraut verdrängt in
den Auen vor allem heimische Pflanzen, die Gold-
rute in den Lawinenrinnen, sie bedrohen damit den
Artenreichtum. Die Mitarbeiter des Nationalparks
haben deshalb in den vergangenen Jahren immer
wieder Pflanzen gemäht und ausgerissen, bevor
diese Samen tragen und sich noch weiter ausbreiten.
Heuer haben sie sich erstmals Hilfe geholt: Zehn
junge Menschen im Alter von 18 bis 26 Jahren haben
im Juli eine Woche lang bei der Neophytenbekämp- Neophyten Neophyten sind eine Gefahr
fung geholfen. Im Bereich Gstatterboden sind sie Neophyten sind gebietsfremde Pflanzenarten, die fürs ganze Ökosystem – dabei
rund um die Enns, an den Forststraßen und auf den durch weltweiten Handel und Verkehr absichtlich sehen sie oft schön aus.
offenen Flächen der Lawinenrinnen dem Spring- oder unabsichtlich in ein Land eingeschleppt wurden.
kraut, der Goldrute und dem Staudenknöterich zu Viele der eingeschleppten Arten sind invasiv, das
Leibe gerückt. Christina Remschak, Leiterin des heißt, sie vermehren sich stark und neigen dazu,
Neophytenprojekts im Nationalpark, hat eine ein- heimische Arten zu verdrängen, Habitate zu domi-
fache Anleitung dafür geliefert: „Ich drücke ihnen nieren und durch Auswirkungen auf Insekten und
eine Pflanze in die Hand, die sie dann mit den andere Lebewesen ganze Ökosysteme zu verändern.
anderen vergleichen können.“ Das Springkraut und In der Forstwirtschaft können Neophyten die Natur-
die Goldrute werden mit den Händen ausgerissen verjüngung auf Schlagflächen verhindern, die Pflege
und zum Trocknen auf einen Ast gehängt, dann von Jungwäldern erschweren, die Zusammenset-
können sie nicht wieder austreiben. Schwieriger ist zung der Krautschicht verändern oder dominieren,
es beim Staudenknöterich, der zwei Meter tiefe anderen Pflanzen Nährstoffe wegnehmen oder
Wurzeln hat. Er wird immer wieder geschnitten und Bestäuber gefährden. Neophyten bilden oft auch
so zumindest geschwächt. Gewohnt und gefrüh- keine stabile Wurzelschicht, frieren im Winter ober- Weitere Infos zu Neophyten:
stückt wird am Campingplatz in Gstatterboden, flächlich ab und fördern so die Erosion des Bodens www.waldwissen.net
zum Abendessen gehen die „Umweltbauarbeiter“ und der Flussufer. www.neophyten.net
in den Nationalpark-Pavillon. Im Gesäuse sind das Große (auch Drüsige) Spring- www.infoflora.ch
kraut (Impatiens glandulifera), die Kanadische
Umweltbaustellen:
Goldrute (Solidago canadensis), die Riesen-Goldrute
Die Mithilfe von Jugendlichen
(S. gigantea), der Japanische Staudenknöterich in der Natur ist an vielen
(Fallopia japonica) und der Sachalin-Staudenknöte- Orten in Österreich gefragt.
rich (F. sachalinensis) invasiv. www.alpenverein⁄ jugend
Sonja Bettel
freie Journalistin mit den Schwerpunkten Wissenschaft,
Nachhaltigkeit und Bauen, lebt in Wien
Seitenware
Mensch, lies mal wieder!
Bulgarien In diesem
Hammam wird jetzt
nicht mehr gebadet,
sondern gelesen: Studio
8 1 ⁄ 2 haben in Plovdiv
ein türkisches Bad aus
dem 16. Jahrhundert
zu einer temporären
Bibliothek umfunk-
tioniert.
www.studio812.eu
Holzrealien
Seitenware
Michael Hausenblas
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Bankangelegenheiten
Die Schulbank nimmt innerhalb der Möbelwelt eine
ganz besondere Stellung ein, gedankt wird es ihr
zuschnitt 55.2014
kaum. Sesselentwürfe vermehren sich wie die buch-
stäblichen Karnickel, aber ich kann mich an keine
Lifestyle-Gazette oder Möbelmesse erinnern, die
das Thema Schulbank gebührend behandelt hätte.
Dabei verbringen wir auf der Schulbank unsere halbe
Kindheit und Jugend. Sie war nicht nur für mich
eine langjährige Stätte der Emsigkeit wie auch der
Langeweile, eine Art Alltagsaltar, auf der ich Höl-
lenqualen ebenso erlebte wie so manche Erlösung.
Die Schulbank ist der erste Platz im Leben, der mir
fix zugeteilt wurde, der mich schützte und zugleich
preisgab. Sehr gut erinnere ich mich an die ersten Manfred Russo
Schultage, an denen mir die Schulbank samt Nach-
bar zugeordnet wurde, wie ich über die Mitte des Marginalien
Tisches schielte, wenn ich mich einer schier unlös- Die Frage nach Erinnerungen an die Schulbank fördert mehr zutage, als man
bar scheinenden Aufgabe gegenübersah, oder eben zunächst vermuten kann, hat man doch Hunderte, wenn nicht Tausende
der Nachbar herüberlugte und hoffte, Lernversäum- Stunden auf dieser zugebracht, und es scheint hier möglicherweise eine Art
nisse durch Schummeln wettzumachen. Ja, der von Gedächtnis des Sitzens zu existieren, über dessen Sitz man nur Vermu-
Schulnachbar – eine ganz besondere Art der Soziali- tungen anstellen kann. Insgesamt erinnere ich mich an einen Übergang von
sation im jungen Leben eines Schülers. Wie wohl- der geschlossenen und verbundenen Kombination Bank und Pult, die wohl
tuend ist die Erinnerung in meinem Kopf, als ich zur nachhaltigen Demonstration der stabilitas loci gedacht war, zur offenen
nach dem Klingeln der Schulglocke den Sessel auf Kombination von Stuhl und Tisch, die die Ankunft eines liberaleren Geistes
den Tisch stellte und Tag für Tag in die Freiheit ent- anzeigte.
lassen wurde. Doch die Schulbank war nicht nur Obwohl mir aus der Volksschulzeit – Volksschulen waren zum Teil noch mit
Mittel zum Zweck! Nicht nur meine wurde auch zum Bänken ausgerüstet –, keine körperlichen Einschränkungen erinnerlich sind,
Kunstwerk, denn nicht selten verewigte ich mich so war doch der Anblick eines Klassenzimmers mit Stühlen und Tischen an-
auf ihr mittels Kritzel- oder gar Schnitzereien, die fangs eine nahezu luxuriöse Wahrnehmung, die einem geradezu Lust auf die
ganze Schülergenerationen überdauerten, ganz zu Schule machen konnte, zumindest für den ersten Schultag. Natürlich waren
schweigen von so manchem Chaos im Inneren des auch die Stühle hart und mein Gedächtnis spuckt noch eine merkwürdige
Möbels. Dabei ist der Ausdruck Schulbank in der Begebenheit aus. Eines Tages erschien ein Kommilitone mit einem Sitzpolster,
Regel kein gültiger mehr, denn auch schon zu mei- um sich ein wenig Bequemlichkeit zu verschaffen, und sein Beispiel machte
nen Schulzeiten bestand das Mobiliar aus Tisch und in wenigen Tagen Schule. Diese Erleichterung wurde seitens der Lehrerschaft
Stuhl, die Tage, in denen Bank und Tisch unverrück- zunächst ignoriert, konnte aber nach einer gewissen Zeit – möglicherweise
bar und massiv verbunden waren, sind passé wie aufgrund von durch den Raum segelnden Sitzpolstern – nicht länger hinge-
Rohrstock und Zwicker als Lehrerutensilien. Dass nommen werden und wurde dann, ich weiß die Begründung nicht mehr,
dies zum Wohle der Schüler geschah, weiß auch ein verboten. So verlief meine Sozialisation zum kleinen homo sedens ohne
Topdesigner wie Konstantin Grcic, der über das stief- besondere Zwischenfälle und dramatische Ereignisse, vom Zertrümmern eines
mütterlich behandelte Objekt sagt, dass Beweglich- ohnehin schon beschädigten Stuhles durch einen rabiaten Mitschüler abgese-
keit ein wichtiges Ventil in Sachen Konzentration und hen. Dessen Vater war, wie wir erst später erfahren haben, ein Wiener Möbel-
auch ein Vorteil für den Körper sei. Der Kabarettist fabrikant, der der Schule einige Klassenzimmer als Spende eingerichtet hatte,
Gerhard Polt setzt dem ordentlich eins drauf und in der klugen Voraussicht, dass dies wohl den Direktor bei der Beurteilung
bezeichnet überhaupt die Hängematte als das idea- seines außerordentlich trägen und phlegmatischen Filius milder stimmen
le Schulmöbel. Da die Schule ein durch und durch möge. Das Kalkül scheiterte letztlich am übermächtigen Désengagement des
ernstes Thema ist, soll das Schlusswort allerdings Sohnes, der, soweit ich mich erinnere, seine Laufbahn im Betrieb seines Vaters
einem gehören, dessen Namen viele seit Schulzeiten fortsetzte. So fand er jedenfalls in der Holzbranche Aufnahme, zu welchem
nicht mehr gehört haben. Friedrich Hebbel meinte: Ergebnis ist mir unbekannt.
„Nach der Seelenwanderung ist es möglich, dass Pla-
to jetzt wieder auf einer Schulbank Prügel bekommt,
weil er den Plato nicht versteht.“ Manfred Russo
Kultursoziologe und Stadtforscher, seit 2012 Gastprofessor an der Bauhaus-Universität Weimar,
Koeditor der Zeitschrift dérive, zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Büchern
Michael Hausenblas
Mitarbeiter der Tageszeitung Der Standard
Holz(an)stoß Dan Peterman
Stefan Tasch
Dan Peterman Der Gebäudekomplex „The Building“ an der Ecke Mit dem Neubau entstanden auch neue Aktivitäten,
geboren 1960 in Minneapolis 61st Street und Blackstone Avenue in Chicago wurde wie ein wöchentlich stattfindender Bauernmarkt
lebt und arbeitet in Chicago Anfang der 1970er Jahre zur Basis des größten ge- oder die Unterstützung der Chicago Free School,
Studium an der M.F.A.
meinnützigen Recycling-Betriebs der Stadt, dem einer alternativen Volksschule mit Kindergarten.
University of Chicago,
B.F.A. University of Resource Center. Gegründet und betrieben vom Eines der Prinzipien der Chicago Free School ist die
Wisconsin-Eau Claire Philosophen Ken Dunn lag das ehemalige Parkhaus Autonomie und Freiheit der Schüler, jene Fächer
zwischen zwei unterschiedlichen Welten. Auf der und Exkursionen zu wählen, die in ihrem Interesse
Einzelausstellungen einen Seite die Universität und der Mittelklassebe- liegen oder ihrem Talent entsprechen. Ein unmittel-
(Auswahl) zirk Hyde Park, auf der anderen Seite eine durch barer und persönlicher Bezug zwischen Lehrern und
2012 deCordova Sculpture Park Abriss und Verfall gekennzeichnete Gegend, in der Schülern wird durch die maximale Anzahl von
and Museum, Lincoln⁄ MA
vorwiegend die schwarze Arbeiterschicht lebte. 15 Schülern pro Klasse erreicht. Nach einem ähnli-
2011 La Plage (Plastic Bones),
Klosterfelde, Berlin 1986 begann Dan Peterman, der gerade sein Kunst- chen Prinzip entwarf Dan Peterman 2004 für seine
2010 Villa du Parc, Centre d’Art studium abgeschlossen hatte, im Resource Center erste große Einzelausstellung in den usa die hier
Contemporain, Annemasse⁄ FR zu arbeiten, und bezog zeitgleich ein Atelier im Ge- abgebildete Arbeit „Carbon Bank (classroom)“. Die
Overbeck-Gesellschaft, bäude. Mit der Weiterverarbeitung von recycelten im Museum of Contemporary Art in Chicago ausge-
Lübeck Materialien setzt er seither Prozesse in Gang, die stellte Installation zeigt ein etwa 21 Meter langes
2006 ⁄ 07 Andrea Rosen Gallery,
New York
dem scheinbar Wertlosen wieder eine Bedeutung Gewächshaus, dessen Innenraum mit Rindenmulch
2006 Adaptations, Klosterfelde, und Funktion zuschreiben. Petermans Aktivitäten ausgelegt ist und in dem Baumstämme als Hocker
Berlin innerhalb der Organisation, die er 1996 übernahm, dienen. Das Licht, das durch die transparente Kunst-
2004 Plastic Economys, Museum of sind eng mit seiner eigenen künstlerischen Praxis stoffplane gefiltert wird, erzeugt eine beruhigende,
Contemporary Art, Chicago an der Schnittstelle von Kunst, Ökologie und Öko- fast sakrale Atmosphäre. Der Rindenmulch bzw.
nomie verbunden. Das von Peterman initiierte „Ex- die Holzspäne entwickeln einen vertrauten Geruch
Gruppenausstellungen
(Auswahl)
perimentieren mit mikroökonomischen Strukturen“ und bilden das transitorische Element zwischen der
2014 Between Critique and Ab- innerhalb des Resource Center führte zu einem inneren und der äußeren Welt. Es ist ein Ort, an
sorption – Contemporary Art produktiven Nebeneinander von unterschiedlichen dem die Lehrer mit ihren Schülern auf Augenhöhe
and Consumer Culture, Unternehmungen. in einen Dialog treten können. Architektonische
Haggerty Museum of Art, 2001 brannte The Building bis auf die äußeren Hierarchien werden durch das schlichte Nebenei-
Marquette University,
Mauern ab. Nach einem jahrelangen Rechtsstreit nander der Baumstämme ausgeschaltet und ihre
Milwaukee
2012 Struktur & Organismus,
mit der Stadt Chicago konnte Dan Peterman den Einzigartigkeit soll wohl auch daran erinnern, dass
Marillenhof – Destillerie Gebäudekomplex schließlich neu auf bauen, 2004 Schüler Individuen sind, die nicht nach einem star-
Kausl, Mühldorf⁄ Wachau wiedereröffnen und führt ihn bis heute unter dem ren, uniformen Lehrplan unterrichtet werden können.
L’Institut des archives Namen „Experimental Station“ weiter.
sauvages, Villa Arson, Nizza Carbon Bank (classroom) mca Chicago, 2004
2011 Über die Metapher des
Wachsens, Kunstverein
Hannover, Hannover,
Kunsthaus Baselland,
Muttenz/CH, und Frankfurter
Kunstverein, Frankfurt
2010 Zur Nachahmung empfohlen!
Uferhallen, Berlin
En présence, ceaac, Straßburg
Stefan Tasch
Studium der Kunstgeschich-
te in Wien und Edinburgh,
arbeit in verschiedenen
Museen und Galerien Bi ddti
Bi
Bil dtttitel
Bildtiteltteel