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Carolin Müller-Spitzer Marco Gierke / Laurenz Kornfeld / Astrid Adler / Maria Ribeiro Silveira
Zahlungsart Geschlechtergerechte Sprache: Sarah Torres Cajo Welche Dialekte werden in der
Ich bezahle die Jahresrechnung per Bankeinzug. Ich ermächtige das IDS, den Rechnungsbetrag von 10,- € von meinem Zumutung, Herausforderung, Das Internationale Doktorand- Familie weitergegeben?
Konto abzubuchen. Notwendigkeit? Innen-Netzwerk des IDS: Sprache in Zahlen: Folge 3
IBAN Erfahrungen, Pläne, Perspektiven
14 46
Christopher Georgi 34 Gisela Zifonun
Sprache in Politik und Gesell- Valerie Michaux / Eine Linguistin denkt nach über
BIC
schaft. Perspektiven und Josefine Méndez / Heiner Apel den Genderstern
Zugänge. Bericht von der Mündlich Gendern? Gerne. Aber
57. Jahrestagung des Leibniz- wie genau? Ergebnisse einer 52
Instituts für Deutsche Sprache Akzeptanzuntersuchung zu Christine Möhrs
Ich warte auf die Jahresrechnung und überweise den Betrag auf das dort genannte Konto.
(als Online-Konferenz), 9. bis 11. Formen des Genderns in der Runter vom Sofa, auf zum Gotcha!
Die Rechnung wird an die oben genannte Adresse zugestellt. Ich kann die Printversion eine Woche nach Erhalt des ersten Heftes
März 2021 Mündlichkeit (Aus der Rubrik Neuer Wort-
schriftlich widerrufen. Ich bestätige durch meine 2. Unterschrift, dass ich mein Widerrufsrecht zur Kenntnis genommen habe.
schatz)
Ort, Datum 2. Unterschrift 22
Sabine Krome
An die Autorinnen und Autoren Gendern zwischen Sprachpolitik,
Wir bitten Sie, Ihre Beiträge orthografischer Norm, Sprach-
als WINWORD oder Die Zeitschrift SPRACHREPORT kann als Printversion nur pro Kalenderjahr bestellt werden. SPRACHREPORT-Ausgaben, und Schreibgebrauch. Bestands-
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https://doi.org/10.14618/sr-1-2021
Auflage: 1.900
Erscheinungsweise: vierteljährlich
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Hinweis:
Die SPRACHREPORT-Redaktion
befürwortet einen gendergerechten
Sprachgebrauch. Sie überlässt die
Umsetzung und Form aber den
Autorinnen und Autoren.
Carolin Müller-Spitzer
GESCHLECHTERGERECHTE SPRACHE:
ZUMUTUNG, HERAUSFORDERUNG,
NOTWENDIGKEIT?
Um das Thema Gendern oder geschlechtergerechte Sprache das Geschlecht ihrer Mitmenschen interessieren. Dass die Die Autorin ist Lei-
hat sich eine hitzige gesellschaftliche Debatte entwickelt. Zuweisung des grammatischen Geschlechts semantisch ge- terin des Proramm-
bereichs „Lexik empi-
Allerdings erschöpft sich die Diskussion leicht in Pro- und steuert wird, findet sich (in vielen Sprachen) dementspre-
risch und digital“ und
Kontra-Positionen. Dabei gibt es eine ganze Bandbreite von chend nur bei belebten Entitäten, v.a. im Bereich von Perso- des Projekts „Empiri-
Aspekten rund um das Thema ‚geschlechtergerechte Sprache‘ nen. Zwar scheint es auch bei Dingen semantische Grup- sche Genderlinguis-
zu betrachten, die eine differenziertere Diskussion ermögli- pen zu geben, z. B. sind die meisten Früchte außer Apfel und tik “ in der Abteilung
Lexik am Leibniz-In-
chen können. Ziel dieses Beitrags ist es, einige dieser Aspekte Pfirsich Feminina (die Kirsche, die Pflaume, die Apfelsine, die stitut für Deutsche
knapp und möglichst verständlich in die Debatte einzubringen. Orange), gleichzeitig ist dieses Muster aber formal stark ge- Sprache, Mannheim.
stützt, denn auslautendes -e ist ein charakteristischer Femi-
Genus und Sexus ninauslaut (die Gabe, die Lampe etc.). Die Mitglieder solcher
Das Deutsche hat bekanntlich drei grammatische Genera: Gruppen
Maskulinum, Femininum und Neutrum. Das Genussystem bewegen sich also bevorzugt innerhalb formaler Regelmäßig-
im Deutschen wird daher auch den geschlechtsspezifischen keiten für die Zuweisung bzw. verstoßen nicht wesentlich ge-
Genussystemen zugeordnet (Corbett 2013). Andere Spra- gen sie. Oder anders: Die semantischen Cluster sind formal
chen, z. B. die meisten romanischen Sprachen wie Franzö- stark gestützt. Das gilt für belebte Entitäten keinesfalls. Die
sisch oder Spanisch, unterscheiden zwei Genera. Genauso phonologische Zuweisung ist hier häufig der semantischen un-
gibt es Sprachen wie das Finnische oder Türkische, die gar tergeordnet (der Junge, Matrose etc.). (Klein i. Ersch., S. 2)
kein Genussystem aufweisen. Das Genussystem im Deut-
schen folgt bestimmten Regularitäten, die – vereinfacht ge- Dass darüber hinaus Personenbezeichnungen, die von der
sagt – teilweise aus der Morphologie (Wortgestalt) und teil- Genus-Sexus-Regel abweichen (indem z. B. eine Personen-
weise aus der Semantik (Wortbedeutung) abzuleiten sind. bezeichnung im grammatischen Neutrum eine biologisch
Beispielsweise sind alle Verniedlichungen (sog. Diminutiva) weibliche Person bezeichnet, z. B. das Fräulein, das Mäd-
Neutrum, z. B. der Mann → das Männchen, die Frau → das chen), trotzdem Bedeutungsregularitäten aufweisen, ist in
Frauchen. Dies ist ein Beispiel für eine morphologische Re- verschiedenen Studien angedeutet worden (z. B. Nübling 2018).
gel. Im Bereich der natürlichen Personen ist es in der Regel
so, dass biologisch männliche Personen auch mit einem Das sogenannte generische Maskulinum mit Blick
maskulinen Nomen bezeichnet werden, andersherum ist in die Geschichte
eine Personenbezeichnung für eine weibliche Person in der Dreh- und Angelpunkt der Auseinandersetzung um ge-
Regel ein Femininum (der Mann, der Vater, der Arzt vs. die Frau, schlechtergerechte Sprache ist das sogenannte generische
die Mutter, die Ärztin). Maskulinum. Es bezeichnet den Sprachgebrauch, dass männ-
liche Bezeichnungen für alle Personen ‚gelten‘, d. h. dass z. B.
BEI PERSONENBEZEICHNUNGEN WIRD Schüler eine neutrale Bezeichnung für Schüler*innen jegli-
chen Geschlechts sei (vgl. z. B. Eisenberg 2018; 2020). Dabei
DAS GRAMMATISCHE GENUS OFT GENUTZT, ist es nicht so, dass dieses sogenannte generische oder ge-
UM AUF DIE GESCHLECHTSIDENTITÄT schlechtsübergreifende Maskulinum schon immer die Stan-
ZU VERWEISEN dardverwendung war. So fasst z. B. Gottsched in seiner Grund-
legung einer deutschen Sprachkunst aus dem Jahr 1748 zu-
Dies sind Regeln, die mit der Bedeutung der Wörter zusam- sammen: „Wörter, die männliche Namen, Ämter, Würden
menhängen. Dass diese Genus-Sexus-Kongruenz, d. h. die oder Verrichtungen bedeuten, sind auch männliches Ge-
Verwendung des grammatischen Geschlechts zur Kenn- schlechts. Z. E. der Mann, der Herr, der Graf, der Fürst, der
zeichnung der Geschlechtsidentität (Gender) der bezeichne- König, der Kaiser; [...]“ (Gottsched 1748, S. 161). Zum Femi-
ten Person, (nur) bei Personenbezeichnungen in vielen ge- ninum schreibt er: „Alle Namen und Benennungen, Ämter
schlechtsspezifischen Sprachen vorzufinden ist, liegt laut und Titel, Würden und Verrichtungen des Frauenvolkes
Corbett (2013) daran, dass Menschen sich nun einmal für sind weibliches Geschlechtes. Z. E. [...] Benennungen,1 Frau,
Mutter, Tochter, Schwester [...], Ämter, Kaiserin, Königinn,
Auch das in der Diskussion immer wieder heftig kritisierte die mentalen Prozesse bei der Verarbeitung sprachlichen In-
Lexem „Studierende“ ist lange im Sprachgebrauch vorhan- puts, in der Regel kein bewusster Prozess ist. Wenn mir je-
den (vgl. Abb. 1 und 2). Als anekdotische Evidenz war für mand sagt – „Bei uns in der Nachbarschaft wird eine kleine
mich zudem ein privater Fund interessant: Zufällig habe ich Katze vermisst.“ – mache ich mir in der Regel keine explizi-
in einem Bauplan von 1914 zum großelterlichen Hof in Ost- ten Gedanken, an welche Art von Katze ich dabei denke. An
friesland gesehen, dass mein Großvater Hinrich Müller als eine schwarze, eine getigerte, eine mit kurzem oder langen
„Bauherrin“ unterschrieben hat. Seine Mutter, zu der Zeit Fell? Genauso denke ich nicht explizit darüber nach, ob ich
schon verwitwet, scheint die Auftraggeberin gewesen zu in einem Satz – „Die Zahnärzte haben in der Corona-Krise
sein (vgl. Abb. 2). Dies ist ein interessanter Kontrast zur Dis- besonders schwierige Arbeitsbedingungen“ – nur an männ-
kussion um Kundin vs. Kunde im Sparkassen-BGH-Urteil liche oder an männliche, weibliche oder nicht binäre
(Müller-Spitzer 2018). Zahnärzt*innen denke. Deshalb ist die explizite Frage nach
dem „Mitmeinen“ an Frauen (also z. B. Wissenschaftlerinnen
Die Sicht, dass das geschlechtsübergreifende Maskulinum zu fragen: „Fühlen Sie sich mitgemeint, wenn Sie als „Wis-
im Deutschen sozusagen von Natur aus angelegt oder ein senschaftler“ angesprochen werden?“), nicht unbedingt ein
systemimmanenter Bestandteil sei, vermittelt außerdem ein vielverprechender Ausgangspunkt, von dem aus man unter-
zumindest diskussionswürdiges Bild davon, was Gramma- suchen kann, ob das generische Maskulinum auch wirklich
tik überhaupt ist. Eine lebendige Sprache entwickelt sich im das ihm nachgesagte geschlechtsübergreifende Potenzial
Wesentlichen durch Sprech- und Schreibhandlungen der an hat. Besser sind geschickter aufgebaute empirische Studien,
der Sprache Teilnehmenden. Eine Grammatik könnte man in denen man versucht, einen Blick auf die Verarbeitung ge-
dabei als eine Art Deutungskonstrukt für den Sprachge- schlechtsübergreifender Maskulina zu werfen.
brauch bezeichnen, um diesen Gebrauch für andere erklär-
und analysierbar zu machen. Und auf diesem Weg – eine DAS GRAMMATISCHE GESCHLECHT
Erklärung für den vorherrschenden Sprachgebrauch zu fin-
den und seine Regularitäten zu erklären – ist vermutlich STEUERT DIE ASSOZIATIONSRICHTUNG
auch der Terminus „generisches Maskulinum“ in die Gram-
matikschreibung getreten. Diese Regel wurde eher aus dem Zahlreiche solcher Studien weisen darauf hin, dass gramma-
Usus abgeleitet als dass sie den Usus vorhergesagt hat. Nun tisch männliche Personenbezeichnungen im Sprachver-
folgt aber – wie immer – aus diesem Sein kein Sollen. D.h., ständnis oft nicht neutral verstanden, sondern eher als Re-
wenn wir lange mit grammatisch männlichen Personenbe- ferenzen auf männliche Personen verstanden werden. Bei-
zeichnungen auf alle Geschlechter verwiesen haben, heißt spielsweise wurde diese Forschungsfrage in einer Studie
das nicht, dass das auf immer der bessere, natürlichere, stim-über mögliche Satzfortsetzungen untersucht (Gygax et al.
migere Weg sein muss. Interessant dabei ist auch, dass den 2008). Die Proband*innen bekamen verschiedene Sätze, in
wenigen Grundwörtern, bei denen die Bezeichnung für die denen eine Personenbezeichnung im generischen Maskuli-
männliche Person die Ableitung ist (Braut - Bräutigam, Wit- num formuliert war, z. B. „Die Sozialarbeiter liefen durch
we – Witwer, Hexe – Hexer) kein geschlechtsübergreifendes den Bahnhof.“ Im Anschluss bekamen sie einen zweiten
Potenzial zugewiesen wird. Zumindest habe ich noch nie die Satz, bei dem sie angeben sollten, ob der zweite Satz eine
Forderung gehört, dass man einen Mann, der heiratet, als sinnvolle Fortsetzung des ersten ist, z. B. „Wegen der schö-
„Braut“ bezeichnen sollte. nen Wetterprognose trugen mehrere der Frauen keine Ja-
cke.“ (ebd., S. 472). Gemessen wurde dann u. a. die Zeit, bevor
Empirische Studien zum generischen Maskulinum die Proband*innen „ja“ drückten. Es zeigte sich in dieser Stu-
Die feministische Linguistik kritisiert schon seit den 1970er die, dass in der deutschsprachigen Version des Experiments
Jahren den Sprachgebrauch des generischen Maskulinums. unabhängig von der stereotypen Berufsvorstellung (z. B.
Die Schwierigkeit ist allerdings, dass Sprachverstehen, also Kosmetik und Krankenpflege eher weiblich) die Proband*in-
nen für die Satzfortsetzungen mit weiblichen Personen län-
ger brauchten als für die, in die Männer eingesetzt wurden
(ebd., S. 477). Im Englischen dagegen zeigte sich, dass die
Die aktuelle Debatte um Personenbezeichnungen den? etc. (Müller-Spitzer 2014). Dass jemand den Duden on-
im Duden line konsultiert, weil die Person sich unsicher ist, ob sie ein
Seit Anfang des Jahres ist die Diskussion um geschlechter- Wort wie „Arzt“ auch geschlechtsübergreifend verwenden
gerechte Sprache medial wieder besonders präsent. Hinter- kann, ist meines Erachtens eher hypothetisch. Das würde
grund der aktuellen Debatte ist eine Überarbeitung der Be- voraussetzen, dass die geschlechtsübergreifende Verwen-
deutungsbeschreibungen im Duden online. Dort wurden dung, die für viele noch der üblichere Sprachgebrauch ist, in
und werden sukzessive über 12.000 Personenbezeichnun- Frage gestellt werden würde. Wenn man sich generell über
gen systematisch überarbeitet. Bisher stand bei einem Ein- geschlechtsübergreifende Verwendungen von Wörtern in-
trag wie „Lehrerin“ nur: „weibliche Form zu Lehrer“. Im ge- formieren möchte, liegt es allerdings viel näher, sich auch
druckten Wörterbuch fiel das nicht so ins Gewicht, weil die im Allgemeinen über das generische Maskulinum und ge-
beiden Einträge „Lehrer“ und „Lehrerin“ meist nah beiein- schlechtergerechte Sprache zu informieren. Es ist sehr frag-
anderstehen. Im Onlinewörterbuch wird aber immer nur lich, ob das Nachschlagen von ganz konkreten Wörtern im
der gesuchte Artikel angezeigt. Sucht also jemand nach Wörterbuch hier wirklich ein verbreitetes Verhalten ist. Zu-
„Lehrerin“, wurden nur die o. g. kurzen Informationen ange- mindest gibt es dafür, meinem Kenntnisstand nach, keine
zeigt. Dafür hatte der Duden von Nutzer*innen viel Kritik empirische Evidenz.
bekommen. Dies wird nun anders gehandhabt: Bei „Lehrer“
steht nun z.B.: „männliche Person, die in einer Schule unter- EIN WÖRTERBUCH KANN DIE BEDEUTUNG
richtet“ und bei Lehrerin: „weibliche Person, die in einer
Schule unterrichtet“. Hintergrund ist die Annahme, dass die HOCHFREQUENTER WÖRTER NICHT IM
geschlechtsübergreifende Funktion von „Lehrer“ nicht Teil ALLEINGANG VERÄNDERN
der lexikalischen Bedeutung, sondern eine konversationelle
Implikatur ist. Das heißt, die eigentliche Wortbedeutung Durch verschiedene Presseberichte wurde es aber ein gro-
umfasst eine männliche Person, aber im aktuellen Sprach- ßes öffentliches Thema. Angefangen mit einem Artikel in
usus wird die Bezeichnung auch geschlechtsübergreifend der WELT am 8.1.2021 mit dem Titel „Wie der Duden heim-
verwendet. Es ist aber sicher ungewöhnlich, den sprachli- lich gegendert wird“ (Lorenz 2021), in dem ausgeführt wird,
chen Usus des generischen Maskulinums, der immer noch dass der Duden sich quasi gegen die Sprachgemeinschaft
weit verbreitet ist, nicht auch in den Bedeutungsbeschrei- richtet und sich bewusst weigert, das generische Maskuli-
bungen, sondern nur in den Hinweisen zur Verwendung ab- num weiter abzubilden, über einen Artikel von Eisenberg im
zubilden. Um dies noch deutlicher zu machen als in der ers- Feuilleton der FAZ zum Thema mit dem sprechenden Unter-
ten Umarbeitung, hat der Duden bei solchen Personenbe- titel: „Jetzt knickt auch noch der Duden ein“ (Eisenberg
zeichnungen deshalb nun einen entsprechenden Hinweis 2021) bis hin zum VDS-Aufruf „Rettet die deutsche Sprache
ergänzt (vgl. Abb. 4). vor dem Duden!“.7 In diesem ist u. a. zu lesen, dass der BGH
„letztinstanzlich“ festgelegt habe, dass das generische Mas-
Das Ganze wäre trotzdem an der Öffentlichkeit vermutlich kulinum die adäquate geschlechtsübergreifende Bezeich-
eher vorbeigegangen, denn Wörterbücher werden in der nung sei. Im Grund sind es ansonsten vorwiegend die glei-
Regel konsultiert, wenn Fragen auftauchen: Wie wird ein chen Argumente aus dem Bereich Genus-ist-nicht-gleich-
Wort geschrieben? Was bedeutet ein Wort? Welche alterna- Sexus (siehe dazu eine entgegnende Stellungnahme von 200
tiven Formulierungen kann ich zur Abwechslung verwen- Forschenden hier: <https://t1p.de/aedf> (Stand: 26.4.2021)),
Pfaffel, Dorothee (2021): Audianer_innen: Audi setzt ab sofort auf ungefähr in die Welt geworfen werden, sondern von Menschen
gendergerechte Sprache. In: Augsburger Allgemeine, 2.3.2021. in eine schon bestehende Menschenwelt geboren werden, geht
<www.augsburger-allgemeine.de/wirtschaft/Audianer-innen- das Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten allem ein-
Audi-setzt-ab-sofort-auf-gendergerechte-Sprache-id59221141. zelnen Handeln und Sprechen voraus, so daß sowohl die Ent-
html> (Stand: 4.3.2021). hüllung des Neuankömmlings durch das Sprechen wie der
Neunanfang, den das Handeln setzt, wie Fäden sind, die in ein
Samuel, Steven / Cole, Geoff / Eacott, Madeline J. (2019): Grammati-
bereits vorgewebtes Muster geschlagen werden“ (Arendt 2008,
cal gender and linguistic relativity: a systematic review. In: Psy-
S. 226).
chonomic Bulletin & Review 26, 6, S. 1767-1786. <https://doi.
org/10.3758/s13423-019-01652-3> (Stand: 16.3.2021). <https://en.unesco.org/system/files/ge_guidelines_for_publi
6
ge affects cognition and when it does not: an analysis of gram- che-vor-dem-duden/> (Stand: 26.4.2021).
matical gender and classification. In: Journal of Experimental Noch ein Hinweis zur Sprachgeschichte (mit einem Dank an
8
Psychology General 131, 3, S. 377-397. Damaris Nübling): Selbst das Substantiv Student geht seiner-
Stefanowitsch, Anatol (2020): Warum Sprachwandel notwendig seits auf ein lateinisches Partizip zurück, genau von der Sorte,
ist: Der Professor, die Professor, das Professor. In: Der Tages- die Eisenberg mit den immer gleichen Einwürfen bekämpft
spiegel, 3.9.2020. <www.tagesspiegel.de/wissen/warum-sprach (aus lat. studens, Pl. studentes ‚strebend, suchend‘).
wandel-notwendig-ist-der-professor-die-professor-das-professor/ Antragsteller*innen sind Damaris Nübling (Universität Mainz),
9
26155414.html> (Stand: 22.2.2021). Helga Kotthoff und Evelyn Ferstl (beide Universität Freiburg).
Timsit, Annabelle (2017): The push to make French gender-neu- Eine Kurzbeschreibung des Projekts findet sich unter <https://
tral. Can changing the structure of a language improve women’s portal.uni-freiburg.de/sdd/personen/ehemalige/kotthoff/index.
status in society? In: The Atlantic, 24.11.2017. <www.theatlantic. html/dfg_gender/> (Stand: 26.4.2021).
com/international/archive/2017/11/inclusive-writing-france-femi 10
<www.zeit.de/zeit-magazin/2021/01/gendern-staedte-schreibwei
nism/545048/> (Stand: 11.3.2021). se-sprache-deutschlandkarte> (Stand: 26.4.2021). I
Vergoossen, Hellen P. / Pärnamets, Philip / Renström, Emma A. /
Gustafsson Sendén, Marie (2020): Are new gender-neutral pro-
nouns difficult to process in reading? The case of Hen in SWE-
DISH. In: Frontiers in Psychology 11. <www.frontiersin.org/ar
ticles/10.3389/fpsyg.2020.574356/full> (Stand: 11.3.2021).
NEU ERSCHIENEN
Band 58
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IDS-Verlag, c/o Leibniz-Institut für Deutsche Sprache, Postfach 10 16 21, 68016 Mannheim
verlag@ids-mannheim.de • www.amades.de • Bestellservice: Tel. 0621/1581-171
Der Autor ist wissen- Der Fokus der diesjährigen Tagung lag auf der Wechselbe- Kontext“ ein frei verfügbares, mehrfach annotiertes Song-
schaftlicher Mitar- ziehung zwischen Sprachgebrauch bzw. sprachlichem Han- textkorpus vor. Dieses stellte bislang ein Desiderat dar. An-
beiter am Institut
deln und der gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit. Da- hand der Fragestellung, ob und in welchem Ausmaß deutsch-
für Germanistik und
Vergleichende bei stellte sich die grundlegende Frage nach der Positionie- sprachige Songtexte neben alltäglich-banalen Inhalten auch
Literaturwissen- rung der Geisteswissenschaften angesichts der gegenwär- gesellschaftlich-politische Motive ansprechen, verdeutlich-
schaft der Univer- tigen Herausforderungen in Politik und Gesellschaft. Die ten die Vortragenden exemplarisch das Erkenntnispotenzial
sität Paderborn.
Positionierung bewegt sich dabei zwischen den Polen der der vorgestellten Ressource. Dabei fanden Keyword-Analy-
Deskription und Präskription. Grundsätzlich wurde im Rah- sen und wortvektorbasierte Verfahren ebenso wie korpus-
men der Tagung ein reflexiver Umgang mit der eigenen Dis- vergleichende Studien anhand von n-Grammen Anwen-
ziplin angestoßen, etwa verbunden mit der Verortung der dung. Das Kooperationsprojekt „ZuMult: Neue Zugangswege
Politolinguistik oder anhand verschiedener Strategien der zu Korpora gesprochener Sprache“ wurde von den Partnern
Selbstpositionierung der Sprachwissenschaft als soziale Ak- der einzelnen Standorte Christian Fandrych, Franziska
teurin. Dabei spielt auch die aktuelle ‚Landschaft‘ der poli- Wallner (Leipzig), Elena Frick, Julia Kaiser, Thomas
tischen Kommunikation eine wichtige Rolle, die etwa im Schmidt (IDS), Cordula Meißner (Innsbruck) und Kai
Rahmen der Plenardebatte zu Sprache und Gewalt aus Wörner (Hamburg) präsentiert. Das Ziel des Projekts be-
transdisziplinärer Perspektive in den Fokus genommen und steht in der Ausarbeitung einer Software-Architektur für
auf diverse Handlungsmöglichkeiten hin überprüft wurde. den multimodalen Zugang zu mündlichen Korpusdaten, die
Ergänzt wurde jene Perspektive der Positionierung der Dis- sich insbesondere an Forschende und Lehrende im Bereich
ziplin – die wiederum hinsichtlich der Kommunikation bzw. Deutsch als Fremd- und Zweitsprache richtet. Im Rahmen
Nutzbarmachung der Ergebnisse der einzelnen Beiträge im- des Vortrags wurden verschiedene Anwendungs-Prototy-
mer wieder aufgenommen wurde – um sprachwissenschaft- pen präsentiert, wie etwa der Prototyp „ZuHand“, der einen
liche und historische Perspektiven auf gesellschaftliche Zugang zu manuell annotierten Handlungssequenzen und
Kommunikation. So wurde gezielt die Art und Weise des Ar- Themen aus dem FOLK-Korpus ermöglicht. Eva Gredel
gumentierens in den Blick genommen, verbunden mit spe- (Duisburg-Essen) und Leonie Bröcher (Mannheim) lenk-
zifischen Textsorten, die wiederum in bestimmte politische ten anschließend in ihrer Kurzvorstellung des Projekts „Wi-
Systeme eingebettet sind. Außerdem wurden multimodale kilog@bw: Linguistische Analysen zum Gender Bias in der
Diskurskonstitutionen neben Praktiken der Selbst- und Online-Enzyklopädie Wikipedia“ den Fokus auf die Aus-
Fremdkonstitution thematisiert. Im letzten Teil der Tagung handlung von Fragen der Qualität, Glaubwürdigkeit und
wurde schließlich der Fokus auf mögliche Untersuchungs- Neutralität von Informationen und deren Quellen, wie sie
methoden gelegt, um das komplexe Zusammenspiel zwi- im Rahmen der linguistischen Wikipedistik bearbeitet wer-
schen Sprache, Politik und Gesellschaft erfassen zu können. den. Dabei lag der Schwerpunkt auf dem Thema Gender
Diese bewegten sich zwischen Einzelfallstudien mit einem Bias, worunter die Vortragenden die Verzerrung in der Dar-
theoriegeleiteten Instrumentarium und explorativ ausge- stellung von Wissen aufgrund der Unterrepräsentanz der
richteten, quantitativen Studien. Frauen als Bearbeiterinnen von Wikipedia-Artikeln verste-
hen. Schließlich wurde die Frage thematisiert, ob sich Wis-
Die Tagung begann mit einer Methodenmesse. Nach je- senschaftler/innen etwa mit Ergebnissen zu gendergerech-
weils zehnminütigen Präsentationen konnten weiterfüh- ter Sprache in der Online-Community der Wikipedia aktiv
rende Diskussionen online in Breakout-Sessions geführt wer- beteiligen sollten. Annamária Fábián (Bamberg), Torsten
den. Roman Schneider, Sandra Hansen und Christian Leuschner (Gent) und Igor Trost (Passau) stellten die Ak-
Lang (IDS) stellten unter dem Titel „Vokabular und Formel-
haftigkeit von Songtexten im gesellschaftlich-politischen
tivitäten des „Internationalen Arbeitskreises Sprache, Ge- kus auf thematischen Schwerpunkten einsehbar. Schließlich
schichte, Politik und Kommunikation (SGPK)“ vor. Dieser kann das Korpus selbst mit Hilfe der Web-Applikation „cOWID
widmet sich der inter- und transdisziplinären Erforschung plus Viewer“ exploriert werden. Darüber hinaus wurde mit
der politischen Kommunikation unter Berücksichtigung des „OWIDplus LIVE“ eine API (Anwendungsschnittstelle) vor-
historisch-gesellschaftlich-medialen Kontexts. Der themati- gestellt, die weiterführende Berechnungen sowie Visualisie-
sche Fokus liegt u. a. auf der sprachlichen Manifestation der rungen direkt im Browser ermöglicht und sich momentan
politischen Kultur des 19. Jahrhunderts, Mediendiskursen im noch in der Entwicklung befindet.
Kontext von Flucht und Migration sowie Verschwörungs-
mythen. Es wurde angekündigt, dass die nächste Arbeits- Auf die Methodenmesse folgten die Verlagspräsentationen.
kreistagung von 15.-17. April 2021 online unter dem Titel Gezielte Rückfragen waren wiederum in Breakout-Sessions
„National, transnational, anational: Konzepte der NATION möglich.
im europäischen Kontext im 21. Jahrhundert“ stattfindet. Au-
ßerdem wurde auf die Buchreihe „Linguistik in Empirie und Anschließend erfolgte die traditionelle Begrüßung durch
Theorie / Empirical and Theoretical Linguistics“ sowie die den Direktor des IDS, Henning Lobin. Das Grußwort hielt
Unterreihe „Sprache, Geschichte, Politik und Kommunikati- der Oberbürgermeister der Stadt Mannheim, Peter Kurz, in
on“ verwiesen, die durch den Arbeitskreis herausgegeben dem er das Bekenntnis der Sprachwissenschaft zu gesell-
werden. Als nächstes thematisierten Silke Reineke und schaftlicher Verantwortung in der gegenwärtigen politisier-
Thomas Schmidt (IDS) „Das Archiv für Gesprochenes ten Zeit, wie es in der Jahrestagung ersichtlich wurde, her-
Deutsch und das Forschungs- und Lehrkorpus für Gespro- vorhob. Zunächst erfolgte ein kurzer Überblick über die
chenes Deutsch – Audiovisuelle Dokumentation von Sprach- Aktivitäten des IDS im Jahr 2020 / 21 (nachzulesen im Jahres-
gebrauch in Gesellschaft und Politik“. Anhand von verschie- bericht des IDS) durch Henning Lobin. In diesem Zusam-
denen Schlaglichtern, etwa dem Berliner Wendekorpus aus menhang gilt es hervorzuheben, dass Christa Dürscheid
Interviews mit Ost- und Westberliner/innen zum Tag des die diesjährige Preisträgerin des Konrad-Duden-Preises
Mauerfalls oder den Schlichtungsgesprächen zu Stuttgart21 ist. Die Verleihung soll in Präsenz im Rahmen der nächsten
sowie weiteren Gesprächen im Rahmen politischer Entschei- IDS-Jahrestagung erfolgen. Im Anschluss führte Heidrun
dungsfindung, wurden die Erkenntnispotenziale der nach zeit- Deborah Kämper (IDS) in das Thema der Tagung ein. Da-
gemäßen Standards erschlossenen Daten der Projekte „Ar- bei betonte Kämper noch einmal die gesellschaftliche Ver-
chiv für Gesprochenes Deutsch“ (AGD) und „Forschungs- antwortung der Sprachwissenschaft, die mit der Erfor-
und Lehrkorpus Gesprochenes Deutsch“ (FOLK) veranschau- schung von Sprache und Politik seit etwa 75 Jahren eine lan-
licht. Den Abschluss der Methodenmesse bildete der Vor- ge Tradition aufweise. Der Zugang zu diesem Thema müsse
trag von Sascha Wolfer, Alexander Koplenig, Frank Mi- notwendigerweise transdisziplinär erfolgen und angrenzende
chaelis, Carolin Müller-Spitzer und Jan Oliver Rüdiger Disziplinen, wie die Politologie und die Geschichtswissen-
(IDS) mit der zentralen Fragestellung: „Wie können wir den schaft einschließen. Auch innerhalb der Sprachwissenschaft
Einfluss der Corona-Pandemie auf die Verteilungen im deut- ermöglichen etwa korpusanalytische Methoden neue Er-
schen Online-Pressewortschatz messen und explorieren?“ kenntnisse und setzen den Fokus auf die Pragmatik. Neue
Einen Zugang bieten drei Ressourcen, die im Anschluss vor- sprachgebrauchsgeschichtliche Befunde führen zudem dazu,
gestellt wurden. Die erste stellt die Datenbasis dar, welche dass neben der gegenwartsbezogenen auch die geschichtli-
aus einem RSS-Korpus deutschsprachiger Online-Presse be- che Dimension von Sprache, Politik und Gesellschaft Ein-
steht. Diese ist wiederum über die kontinuierlich aktuali- gang in den Forschungsdiskurs findet.
sierte Internetseite der „cOWIDplus Analyse“ mit dem Fo-
Den ersten Vortrag der Tagung hielt Thomas Niehr (Aa- Schließlich ging Römmele auf grundsätzliche Regeln für
chen) zum Thema „Politolinguistik – Bestandsaufnahme den politischen Streit ein, die neben den Regulierungen
und Perspektiven“. Zunächst betonte Niehr, dass der Polito- durch Gesetze und den Social Media-Plattformen auch Teil
linguistik bereits seit den Anfängen in der Nachkriegszeit einer politischen Kultur seien.
des 20. Jahrhunderts ein aufklärerischer Impetus und somit
Bezüge zur Sprachkritik eigen seien. Der zentrale Impuls Zum Abschluss des ersten Tages folgte eine Podiumsdiskus-
der Disziplin bestand schließlich darin, die Wirkmechanis- sion zum Thema „Sprache und Gewalt“, an der Renate
men der Sprache des Nationalsozialismus zu erklären. Mit Künast (MdB), Christian Gudehus (Sozialpsychologe,
der Veränderung der untersuchten sprachlichen Einheiten – Ruhr-Universität Bochum), Konstanze Marx (Sprachwis-
ausgehend vom Einzelwort zum Text, zur Intertextualität senschaftlerin, Universität Greifswald) und Christian Holtz-
und schließlich zur Transtextualität – wurden auch die Me- hauer (Schauspielintendant am Nationaltheater Mannheim)
thoden angepasst. Dabei zeichnete Niehr die zentrale Ent- teilnahmen. Die Moderation erfolgte durch Henning Lobin
wicklung nach: ausgehend von der seit den 60er Jahren an- (IDS). Auf die Frage hin, wie sich die öffentlichen Diskurse
gestrebten Maxime der vorurteilslosen Beschreibung des zu verändert haben und welche Gründe es hierfür gibt, wurde
analysierenden Sprachmaterials hin zu einer durch die kri- von Marx wiederum auf die Zersplitterung der Öffentlich-
tische Diskursanalyse angestoßenen und nicht zuletzt auch keit in ‚Filterblasen‘ im Rahmen der sozialen Medien ver-
im Rahmen dieser Tagung diskutierten Fragestellung, in- wiesen. Dabei verglich Marx die öffentlichen Diskurse in
wiefern dieser deskriptive Zugang angesichts der Brisanz den verschiedensten Plattformen mit Mosaiksteinen. Die
politischer Themen tatsächlich ausreichend ist. In einem traditionellen Medien können dabei die Rolle übernehmen,
Ausblick attestierte Niehr der Politolinguistik, angesichts diese zu ordnen und sachlich zu informieren. Ebenso wie
der Verlegung politischer Kampagnen in die Massenmedien, Marx betonte auch Künast, dass diese Rolle nicht wahrge-
einen Trend hin zur Multimodalitätsforschung. nommen werde, da die traditionellen Medien mit den Dyna-
miken in den sozialen Medien, etwa gezielten ‚Shitstorms‘,
Andrea Römmele (Berlin) sprach in ihrem Beitrag mit zum Teil überfordert seien und unbewusst negative Effekte
dem Titel „Politik und Kommunikation“ über die Bedeutung verstärken. Gudehus betonte im Gegensatz die integrative
politischer Kommunikation in repräsentativen Demokrati- Funktion der sozialen Medien. Bestimmte Bevölkerungs-
en. So legitimiere die Kommunikation politische Sachver- gruppen, die bislang im politischen Diskurs überhört wur-
halte und sei eine wesentliche Bedingung für das Gelingen den, können sich mit Hilfe der sozialen Medien Gehör ver-
der Demokratie, indem ein andauernder Dialog zwischen schaffen. Holtzhauer wies auf das Problem hin, dass die Kom-
Bürger/innen und Politiker/innen stattfindet. Dabei sprach munikation durch die sozialen Medien beschleunigt werde
sich Römmele für eine Streitkultur innerhalb der politischen und ein schnelles ‚Stellung-Beziehen‘ gefragt sei. Dies führe
Auseinandersetzung aus und betonte, dass diese in den letz- wiederum zu sprachlichen Vermeidungs- oder Abgren-
ten Jahren, unter anderem in Folge der drei großen Koali- zungshandlungen. Künast zufolge werde mit der sprachli-
tionen, die nah aufeinander folgten und konsensorientiert chen Wucht und der Vielzahl der Äußerungen eine Umge-
waren, zu kurz gekommen sei. Auf die Frage hin, wo gestrit- bung geschaffen, in der Unsagbares sagbar werde. Bei ein-
ten wird, stellte Römmele heraus, dass die Gegenwart von zelnen Menschen schlage diese Umgebung schließlich in
geteilten Öffentlichkeiten bestimmt werde. Diese lassen Handlungen um. Eine direkte Kausalität zwischen Sprache
sich beispielsweise in ‚Filterblasen‘ und ‚Echokammern‘ der und Gewalt gebe es nach Künast somit nicht. Es gelte dem-
sozialen Medien finden. Dabei stehen sie im Gegensatz zum zufolge herauszufinden, wo geredet werden kann bzw. muss
Idealtypus der Habermasschen „politischen Öffentlichkeit“, und wo nicht. Die Grenzziehung sollte auf der Grundlage
in der alle Themen und Kontroversen ausgetragen werden
und zu der alle Bürger/innen den gleichen Zugang haben.
des Strafrechts, etwa bei Beleidigungen, und zudem durch senschaft als ‚Versteherin‘ der Öffentlichkeit wirkt die „Spie-
die Plattformen selbst im Rahmen des Netzwerkdurchset- gelungs-Strategie“, bezogen auf das Selbstverständnis der
zungsgesetzes erfolgen. Gudehus verwies in diesem Kontext Sprachwissenschaft, entgegen. In diesem Zusammenhang
darauf, dass die Spaltung der Gesellschaft ein weitaus grö- sprach sich Spitzmüller für die systematische Reflexion be-
ßeres Problem darstelle, dem nicht mit Regulation begegnet züglich des Geltungsbereiches und der Rolle der Sprachwis-
werden kann. Anschließend wurden Perspektiven disku- senschaft aus. In der sich anschließenden Diskussion wurde
tiert, wie mit der Parzellierung in der Gesellschaft umgegan- die Metapher der Spiegelung kritisiert, da sie potenziell die
gen werden soll. Marx betonte die Rolle der Bildungsstätten. Frage nach der Rolle des spiegelnden Mediums unterschla-
So solle es Teil der Lehrpläne sein, Diskurspraktiken in den ge. Spitzmüller betonte dabei, dass auch die anderen Meta-
sozialen Medien zu erlernen und die Rolle der Algorithmen phern zu einer Diskussion zu möglichen Problemen bezüg-
im Rahmen von Aufmerksamkeitsökonomien zu kennen. lich der einzelnen Positionierungsstrategien einladen.
Holtzhauer sprach sich wiederum für das Zuhören und die
Kraft des sachlichen Argumentierens aus. Außerdem wurde Juliane Schröter (Genf) sprach über „Argumentation in der
betont, dass die neuen Medien einen Zeitenumbruch und direkten Demokratie. Zugänge – Ergebnisse – Perspektiven“.
somit eine neue Herausforderung darstellen, wobei aus me- Nicht zuletzt aufgrund des internationalen Interesses an di-
dialen Umbrüchen in der Vergangenheit Rückschlüsse für rekter Demokratie, wie eine Kookkurenz-Analyse für die
die Gegenwart gezogen werden können. Gudehus hob schließ- deutsche Alltagssprache im DeReKo offenbare, und der po-
lich hervor, dass das ‚Sich-Einbringen‘ bzw. die Investition sitiven Einschätzung dieser Regierungsform bezüglich wirt-
in die Gesellschaft attraktiv sein müssen. Gegenwärtig seien schaftlicher und gesellschaftlicher Effekte in der sozialwis-
keine Anreize gegeben, sodass eine breite gesellschaftliche senschaftlichen Literatur untersuchte sie das Verhältnis zwi-
Beteiligung an öffentlichen Diskussionen ausbleibe. schen der politischen Argumentation und dem politischen
System in der Schweiz. Dabei wurde deutlich, dass die di-
Den zweiten Tag der Jahrestagung eröffnete Jürgen Spitz- rektdemokratischen Instrumente zu besonderen, mehrspra-
müller (Wien) mit einem Beitrag unter dem Titel „‘Ya shall chigen Textsorten wie Abstimmungsbroschüren oder Argu-
know the truth, and the truth shall make you free‘: Die mentarien vor Volksabstimmungen führen. Diese zeichnen
Sprachwissenschaft als soziale Akteurin und ihr Kampf um sich wiederum durch ein besonderes Institutionsvokabular
sprachideologische Deutungshoheit“. Unter der Fragestel- wie Staatsvertragsreferendum oder doppeltes Ja aus. Im SNF-
lung, wie sich die Sprachwissenschaft in und zur Öffentlich- Forschungsprojekt „Politisches Argumentieren in der Schweiz“
keit verhalten soll, wenn sie eine Rolle der „Voice innerhalb werden die verschiedenen Textsorten vergleichend unter-
der Gesellschaft“ beansprucht, diskutierte Spitzmüller vier sucht. Der Vorteil bestehe dabei in einer einheitlichen Ter-
sowohl synchron als auch diachron beobachtbare Positio- minologie, einer vergleichbaren Methodik sowie einer seri-
nierungsstrategien. Die „Souveränitätsstrategie“ ist im We- ellen und thematisch vielfältigen Datengrundlage. Die Er-
sentlichen mit dem Anspruch auf Deutungshoheit der Spra- kenntnisse verdeutlichen, dass sich die Diskurse, bedingt
che verknüpft, der zum Entstehen der Disziplin beigetragen durch die Textsorten, durch eine deutliche Dominanz des
hat. Die „Aufklärungs- oder Erleuchtungsstrategie“ bezieht sachlichen Argumentierens, überwiegend realisiert durch
sich auf die ähnlich abgrenzende Vorstellung des für Lingu- pragmatische Argumente, und ein hohes Maß an intertex-
ist/innen exklusiv zugänglichen, ontologisch wahren Wis- tuellen Bezügen auszeichnen. Ein Konsens bestehe darüber
sens, welches wiederum autoritative Aussagen ermöglicht. hinaus in der Orientierung am Gemeinwohl, die wiederum
Die Bemühungen der Sprachreflexionsforschung zu Laien- neben den genannten sprachlichen Phänomenen zum Ge-
wissen, verknüpft mit der Vorstellung von multiplen Wis- lingen des direktdemokratischen Systems beitrage. Schließ-
senshorizonten, können nach Spitzmüller der „Ethnologi- lich wies Schröter jedoch auch auf Beispiele für problemati-
schen Strategie“ zugeordnet werden. Einer damit mögli-
cherweise einhergehenden, eher ungünstigen Rolle der Wis-
Die Autorin ist Dass die deutsche Sprache und Rechtschreibung offenbar Dabei ist das Thema gesellschaftlicher und sprachlicher ge-
Geschäftsführerin als besondere Ankerpunkte einer ausgeprägten persönli- schlechtlicher Gleichstellung nicht neu: Seit Jahrhunderten
des Rats für deut-
sche Rechtschrei-
chen und kulturellen Identifikation betrachtet werden, hat treten Frauen konsequent und entschlossen für eine gleich-
bung mit Sitz am bereits die vehemente Auseinandersetzung um die Recht- berechtigte Wahrnehmung ihrer Identitäten, Anliegen und
Leibniz-Institut für schreibreform 1996 gezeigt. Dabei scheint der Zusammen- Interessen ein, seit 1949 ist die Gleichberechtigung in Artikel 3
Deutsche Sprache, hang mit der Frage, ob der Rat für deutsche Rechtschrei- des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland ver-
Mannheim.
bung eine Schreibung mit Genderstern, x-Form oder Unter- ankert. Nach den jüngsten Urteilen zeigt die Entwicklung
strich als adäquate Bezeichnung für Geschlechtsidentitäten aber, dass das Thema gesellschafts- und sprachpolitisch
anerkennt, die über etablierte binäre Geschlechtsvorstellun- nochmals an Fahrt aufgenommen hat und eine kontroverse
gen hinausgeht und ausnahmslos alle Menschen umfassen Debatte befeuert.3
möchte, auf den ersten Blick ein Spezialthema zu sein, das
die breite Mehrheit der Sprachgemeinschaft unberührt lässt. DIE ENTWICKLUNG DES SCHREIBGEBRAUCHS
Und doch zeigt sich an den zahlreichen Anfragen, die an die
Geschäftsstelle des Rats adressiert sind, dass in der Diskus- IST IN DEN VERSCHIEDENSTEN TEXT-
sion über dieses Thema ein ganz wesentliches Anliegen „zur SORTEN INTENSIV BEOBACHTET WORDEN
Sprache gebracht“ werden soll, das über grammatische und
orthografische Fragestellungen weit hinausgeht: die Rechte Dies belegt neben dem in den Jahren 2019 und 2020
und Selbstverwirklichung der einzelnen Person und Persön- überproportional starken Anstieg der Anfragen an den Rat
lichkeit, die Wertschätzung von Minderheiten, aber auch aus Politik, Administration und Öffentlichkeit auch die zu-
eine verstärkte Abwehr dagegen. Gerade diese Verschrän- nehmende Anzahl offizieller Richtlinien zu geschlechterge-
kung der verschiedenen Ebenen macht es dem Rat für deut- rechter Schreibung vor allem in verschiedenen Kommunal-
sche Rechtschreibung so schwer, die Formkriterien und Re- verwaltungen und Hochschulen. Dabei scheint das Thema
geln für geschlechtergerechte Schreibung zu beschreiben besonders in Deutschland relevant zu sein. Aber auch An-
und anzuwenden und gleichzeitig den Auftrag der staatli- fragen, Petitionen und Rückmeldungen aus Österreich und
chen Stellen zur Schreibbeobachtung und „Anpassung des der Schweiz erreichen die Geschäftsstelle. Darin wird vor
Amtlichen Regelwerks in unerlässlichem Umfang“ zu erfül- allem dem Wunsch Ausdruck verliehen, Antworten auf die
len, mit dem Ziel der Wahrung der Einheitlichkeit der Frage zu erhalten, ob und wenn ja, für welche Kurzformen
Rechtschreibung im gesamten deutschen Sprachraum.1 geschlechtergerechter Schreibung der Rat Anwendungs-
empfehlungen aussprechen könne.
Juristische Bestätigung individueller Geschlechts
identitäten – Motiv und Motor für geschlechter Amtliche Normierung von Geschlechtergerechtig
gerechte Schreibung keit – ein Paradoxon?
Seit der Rat als Konsequenz der höchstrichterlichen Urteile Das Amtliche Regelwerk (= Deutsche Rechtschreibung – Re-
in Deutschland und Österreich zur Anerkennung individu- geln und Wörterverzeichnis) ist für Schulen und öffentliche
eller Geschlechtsidentitäten auch im Personenstandsregis- Verwaltungen je nach den rechtlichen Grundlagen in den
ter seinen ersten Beschluss „Empfehlungen zur geschlech- verschiedenen Ländern des deutschsprachigen Raums ver-
tergerechten Schreibung“ vom 16. November 2018 veröf- bindlich, wenn es von den staatlichen Stellen aufgrund von
fentlicht hat,2 ist die Entwicklung des Schreibgebrauchs in Empfehlungen des Rats für deutsche Rechtschreibung be-
den verschiedensten Textsorten intensiv beobachtet wor- schlossen worden ist. Aufgaben des Rats sind
den. Ziel war es, auf einer noch breiteren Belegbasis zu er- • die ständige Beobachtung der Schreibentwicklung,
mitteln, ob die sich abzeichnenden Tendenzen in der ge- • die Klärung von orthografischen Zweifelsfällen,
schriebenen Sprache Indizien für einen möglichen Schreib-
wandel sind.
Abb 3: Formen der Ansprache in ausgewählten Stellenanzeigen des Jahres 2019 IN STELLENANZEIGEN TRITT IN DER DIREKTEN
ANSPRACHE DIE GENERISCHE BEDEUTUNG
Analysiert wurden exemplarisch insgesamt 44 Stellenanzei-
ZUGUNSTEN DER GENUSEINDEUTIGEN
gen aus drei Internet-Angeboten: dem Bundesverwaltungs-
amt, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und dem Bund ZURÜCK
für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (BUND). Die
Anzeigen wurden im Zeitraum vom 16. bis 22. Januar 2019 Zwar scheinen die Berufssparte und ggf. die gesellschafts-
veröffentlicht. Während es sich beim Bundesverwaltungs- politische Ausrichtung der jeweiligen Organisation (z. B.
amt um eine Behörde des öffentlichen Dienstes mit Stellen- Hochschulen, Verwaltung, PR-Agenturen o. Ä.) eine gewis-
ausschreibungen in verschiedenen Berufsbereichen han- se Rolle bei der Wahl der Möglichkeiten geschlechterge-
delt, erscheinen in der FAZ Stellenangebote verschiedenster rechter Schreibung zu spielen, zuverlässige Aussagen zu be-
Anbieter, deren Anzeigen unverändert in die Zeitung über- stimmten Berufs- und Verwaltungsbereichen können jedoch
nommen wurden. Der BUND hingegen ist eine nichtstaatliche zurzeit noch nicht gemacht werden. Einer Öffnung zur fle-
Umwelt- und Naturschutzorganisation mit einer bestimm- xibleren Verwendung geschlechtergerechter Schreibung schei-
ten einheitlichen Philosophie auch im Hinblick auf die sprach- nen grammatische Strukturen entgegenzuwirken, so z. B. im
lich-gesellschaftspolitische Gestaltung von Texten. Auch Hinblick auf Kompositabildungen (Ansprechpartner), Plu-
von Umfang und Anzahl der Stellenanzeigen ist die Analyse ralbildungen (Patienten) sowie auf die Notwendigkeit zur
daher nur bedingt als repräsentativ zu bezeichnen, sie kann syntaktischen Erweiterung der Texte etwa bei geschlechts-
aber dennoch Tendenzen aufzeigen. neutralen Formulierungen, die durch Relativsätze eingelei-
tet werden müssen (Personen, die…). Aber auch etablierte
Berufsbezeichnungen (Schornsteinfeger) sind offenbar ein
UNTERSCHIEDLICHE UMSETZUNGEN Grund dafür, dass seltener Doppel- und weitere Personen-
GESCHLECHTERGERECHTER SCHREIBUNG, formen gebildet werden. Der Asterisk wird vor allem dann
UM VERSCHIEDENE ZIELGRUPPEN ZU vermieden, wenn ein (bestimmter oder unbestimmter) Arti-
kel vorangeht (der / des Akademischen Mitarbeiterin / Mitar-
ADRESSIEREN beiters) trotz vorangegangenem: Partner*innen). Dennoch
finden sich vereinzelt auch in solchen Fällen Umsetzungen
Im Titel der Stellenanzeigen findet sich inzwischen in mehr mit verkürzten Formen (eine*r), Lesbarkeit und Verständ-
als 50 % der Fälle (22 ×) der Zusatz (m / w / d), (w / m / d) oder lichkeit des Textes können dadurch jedoch erheblich einge-
(d /m / w), in Einzelfällen auch (m / w / i) oder (m / w / divers). schränkt werden. Da der Asterisk aber die einzige prozen-
Die anderen 50 % verteilen sich auf die Nennung männlicher tual relevante non-binäre Markierung geschlechtergerech-
und weiblicher Formen (15 ×), die Verwendung geschlechts- ter Schreibung durch verkürzte Formen ist, deutet sich auch
neutraler allgemeiner Formulierungen (2 ×) sowie – beim bei dieser Textsorte an, dass er sich als dominante Variante
BUND – die konsequente Verwendung des Gendersterns (4 × weiter durchsetzen wird.
in allen vier Anzeigen). Bei der Berufsbezeichnung (z. B.
Sachbearbeiter) wird bis auf einen Fall immer die maskuline DER ASTERISK IST DIE AKTUELL EINZIGE
Form genannt.
PROZENTUAL RELEVANTE NON-BINÄRE
Bei den Fließtexten hingegen dominiert immer noch das ge- MARKIERUNG GESCHLECHTERGERECHTER
nerische Maskulinum mit fast 45 %, gefolgt von Doppelnen-
SCHREIBUNG DURCH VERKÜRZTE FORMEN
nungen. Mit weitem Abstand dahinter erscheint jedoch mit
rund 15 % zuerst der Asterisk (Genderstern) zur Bezeichnung
wertung des Themas „Geschlechtergerechte Schreibung“ in der den digitalen Textdaten aller deutschsprachigen Länder die Va-
Beobachtung des Schreibgebrauchs 2018-2020. Gebilligt am riante Bürger/-in(nen) in den österreichischen Quellen mit 60 %
26.03.2021. Verfügbar unter: <www.rechtschreibrat.com/DOX/ den höchsten Beleganteil aus. Mehr als 90 % der Belege für die
rfdr_2018-11-28_anlage_3_bericht_ag_geschlechterger_schrei Schreibung Bürger*in(nen) stammen aus deutschen Quellen,
bung.pdf (Stand: 13.04.2021). wie eine Korpusanalyse im Kernkorpus des Rats für deutsche
Stefanowitsch, Anatol (2018): Eine Frage der Moral: Warum wir Rechtschreibung im Deutschen Referenzkorpus (DeReKo) des
politisch korrekte Sprache brauchen. Berlin: Dudenverlag. IDS vom 24.11.2020 zeigt.
Zifonun, Gisela (2018): Die demokratische Pflicht und das Sprach- Vgl. dazu den Überblick über verschiedene Leitfäden und Stra-
5
system: erneute Diskussion um einen geschlechtergerechten tegien geschlechtergerechter Schreibung in den deutschspra-
Sprachgebrauch. Sprachreport 3/20, S. 44-56. chigen Ländern sowie die „Synopse aktueller Publikationen“ in:
Rat für deutsche Rechtschreibung (2018), S. 3-7. Erst 2020 ist im
Duden-Verlag erschienen: „Handbuch geschlechtergerechte
Anmerkungen Sprache. Wie Sie angemessen und verständlich gendern“.
Statut des Rats für deutsche Rechtschreibung vom 17.6.2005
1
Vgl. dazu die gegensätzlichen Positionen etwa von Eisenberg
6
i. d . F. vom 30.3.2015. (2018) oder Zifonun (2018) und Diewald / Steinhauer (2017).
Vgl. Bericht und Vorschläge der AG „Geschlechtergerechte
2
Am weitaus meisten verbreitet ist nach wie vor das „generische
7
Schreibung“ zur Sitzung des Rats für deutsche Rechtschreibung Maskulinum“ mit mehr als 2 Mio. Treffern. Dem stehen alle an-
am 16.11.2018. Die Empfehlungen sind verfügbar auf der Web- deren Markierungen mit ca. 15.000 Treffern gegenüber. Dieser
site des Rats unter <www.rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_2018- Befund stützt die Beobachtung, dass in Zeitungstexten die neu-
11-28_anlage_3_bericht_ag_geschlechterger_schreibung.pdf> en Ansätze zu geschlechtergerechter Schreibung weniger prä-
(Stand: 29.3.2021). Seit dem 26.03.2021 liegen die Empfehlungen sent sind, v. a. deshalb, weil der Fokus in diesen Texten zu gro-
in aktualisierter Form vor: <www.rechtschreibrat.com/DOX/ ßen Teilen auf der Wiedergabe von sach- und fachspezifischen
rfdr_PM_2021-03-26_Anlage1_Geschlechtergerechte_Schrei Kerninformationen liegt.I
bung_seit_2018.pdf> (Stand: 13.04.2021).
Als vehemente Kritiker forcierter geschlechtergerechter Spra-
3
Marco Gierke ist Seit nun bereits drei Jahren besteht das Internationale Dok- Louis Cotgrove (Nottingham, Vereinigtes Königreich):
wissenschaftlicher torandInnen-Netzwerk des IDS (kurz: IDN). Es wurde im „#GlockeAktiv: eine korpuslinguistische Erforschung der
Mitarbeiter der Ab-
Jahr 2019 vom (Wissenschaftlichen) Direktor des Leibniz- deutschen Online-Jugendsprache in YouTube-Kommenta-
teilung Grammatik,
Instituts für Deutsche Sprache unter Zusammenarbeit mit ren“; voraussichtliche Fertigstellung: Ende 2021
Laurenz Kornfeld ist dem Internationalen Rat des IDS ins Leben gerufen, um den
wissenschaftlicher internationalen Austausch junger WissenschaftlerInnen schon Marco Gierke (IDS Mannheim): „Wie verhält sich das Eng-
Mitarbeiter der Ab-
teilung Pragmatik
früh in ihrer Karriere zu fördern. Die Mitglieder des Inter- lische im deutschen Schriftsystem? Orthografische Zwei-
und nationalen Rats schlugen KandidatInnen für ein Reisesti- felsfälle zwischen Norm und Schreibgebrauch“; voraussicht-
pendium für die Teilnahme an der IDS-Jahrestagung 2019 liche Fertigstellung: 2023
Sarah Torres Cajo vor, von denen zehn ausgewählt wurden. Gemeinsam mit
ist wissenschaftli-
che Mitarbeiterin den Promovierenden des IDS fanden sich die internationa- Jesse Juopperi (Uppsala, Schweden): „Komparative Unter-
der Abteilung Lexik len NachwuchswissenschaftlerInnen zu ihrem ersten Netz- suchung der Bedeutungsvarianz in ausgewählten rechtspo-
am Leibniz-Institut werktreffen zusammen. So konstituierte sich das erste IDN- pulistischen und mainstreamorientierten Medienquellen“;
für Deutsche Spra- Treffen als Programmpunkt der Jahrestagung 2019. Auch im voraussichtliche Fertigstellung: Anfang 2024
che, Mannheim.
Folgejahr 2020 war das Treffen des IDN fester Teil des Ta-
gungsprogramms. Zusätzlich erhielten die Mitglieder die Laurenz Kornfeld (IDS Mannheim): „Regeln im Alltag.
Gelegenheit, ihre Dissertationsprojekte im Rahmen einer Eine konversationsanalytische Untersuchung“; voraussichtli-
Poster-Session vorzustellen. che Fertigstellung: 2023
In diesem Jahr fand die IDS-Jahrestagung unter dem Rah- Petr Kuthan (Brünn, Tschechien/Würzburg): „Verände-
menthema „Sprache in Politik und Gesellschaft“ im Online- rungen in der sprachlichen Raumkonstruktion/Ortsherstel-
Format statt, wodurch eine sehr große Zahl an Wissen- lung im Terrorismusdiskurs“; voraussichtliche Fertigstellung:
schaftlerInnen aus allen Teilen der Welt teilnehmen konnte Anfang 2021
– so auch die Mitglieder des Internationalen DoktorandIn-
nen-Netzwerks des IDS. Zur mittlerweile traditionellen Zeit Martina Lemmetti (Pisa, Italien): „Die deutschen Modal-
nach dem Schlusswort des Direktors und als letzter Pro- partikeln in Fragesätzen und ihre Funktionsäquivalente im
grammpunkt der Tagung trafen sich die Netzwerkmitglie- Italienischen“; voraussichtliche Fertigstellung: Anfang 2021
der im digitalen Raum, um sich über Erfahrungen, Pläne
und Perspektiven auszutauschen. Die diesjährigen Teilneh- Christina Mack (IDS Mannheim): „Deontische Momente
merInnen der Netzwerksitzung möchten wir Ihnen kurz mit des Sprechens im Deutschen und Italienischen – sprachliche
ihren jeweiligen Dissertationsprojekten vorstellen: Modalität und soziales Handeln in informeller Interaktion“;
voraussichtliche Fertigstellung: Ende 2023
Margo Blevins (Austin, USA): „Towards Comparative
Speech Island Research: The Orthographic Normalization Aleksandra Molenda (Breslau, Polen): „Variation des seg-
and Language Tagging of Spoken Mixed Language Corpora“; mentalen Merkmals Quantität auf höheren Ebenen der pho-
voraussichtliche Fertigstellung: 2022 netischen Manifestation“; voraussichtliche Fertigstellung:
Ende 2022
Nachdem bei der letzten IDS-Jahrestagung 2020 noch die jekte erfolgreich abschließen zu können. Ebenfalls erfreu-
Anwesenheit in Mannheim möglich war, die Pandemie aber lich ist, dass einige Netzwerkmitglieder im vergangenen
auch hier schon ein Thema war, erkundigte sich Herr Lobin Jahr ihre Dissertationen einreichen konnten und bei ande-
bei den DoktorandInnen nach ihren Erfahrungen in diesen ren die Abgabe im kommenden Jahr bevorsteht. Die IDN-
besonderen Zeiten. Der Austausch über unterschiedliche Mitglieder schauen somit trotz der erschwerten Situation
Regelungen in den diversen Ländern und an den unter- positiv auf das kommende Jahr und die bevorstehenden
schiedlichen Universitäten stand in diesem Teil des Gesprächs Aufgaben im Rahmen ihrer Dissertationsvorhaben.
im Mittelpunkt. Trotz diverser Hürden, wie der Beschaffung
von Literatur, wurde von individuellen Lösungen berichtet, Nach dem Austausch zwischen den Promovierenden und
teilweise auch von Verlängerungen der Promotionszeit. Es dem Direktor verabschiedete sich dieser, und die Doktorand-
zeigte sich die allgemeine Zuversicht, die Dissertationspro- Innen des IDN stiegen in die Diskussion von zukünftigen
Plänen und Vorhaben ein. Die allgemeine Zuversicht fand
BEITRITTSERKLÄRUNG
Name, Vorname
Straße, Nummer
Tel. E-Mail-Adresse
Beruf
Hiermit trete ich dem Verein „Freunde des Leibniz-Instituts für Deutsche
Sprache e.V.“ als Mitglied bei.
Die Satzung des Freundeskreises habe ich zur Kenntnis genommen
<www.ids-mannheim.de/org/freundeskreis.html>. Die Mitgliedschaft wird
Bitte schicken Sie die wirksam mit Eingang der ersten Beitragszahlung auf das unten genannte Konto.
Beitrittserklärung an das: Der Verein „Freunde des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache e.V.“ ist vom
Leibniz-Institut für Finanzamt Mannheim als gemeinnützig anerkannt.
Deutsche Sprache
Postfach 10 16 21
68016 Mannheim
Ort, Datum Unterschrift
oder an die Fax Nr.:
+49 621 / 1581 - 200
oder per E-Mail an: Bankverbindung (Commerzbank Mannheim):
trabold@ids-mannheim.de IBAN: DE34 6708 0050 0695 2537 00 BIC: DRESDEFF670
Die Autor*innen Status Quo – Einstieg Unsere Ausgangsüberlegung war daher, mögliche sprachli-
studieren und lehren Im SPRACHREPORT 3 / 2018 begann Damaris Nübling ihren che Formen des Genderns in der Mündlichkeit zu erfassen
an der RWTH Aachen.
Artikel über den Zusammenhang zwischen Genus und Se- und daran anschließend zu untersuchen, wie Sprachnut-
Valerie Michaux ist xus mit den Worten: zer*innen diese unterschiedlichen Formen a) rezeptiv be-
Masterstudentin für Die F.A.Z. hat in den letzten Monaten mehrere Beiträge von werten und b) produktiv in ihrem mündlichen Sprachge-
Digitale Medien- Sprachwissenschaftlern publiziert, die einen Genus-Sexus-Bezug brauch einsetzen. Das Ziel dieser Pilotstudie war es, die For-
kommunikation,
in Abrede stellen und damit das generische Maskulinum als ge- men des Genderns im Mündlichen auf ihre Akzeptanz hin
Josefine Méndez ist schlechtsübergreifend legitimieren möchten. (Nübling 2018, S. 44) zu prüfen. Darüber hinaus – und hier kommt doch das ge-
wissenschaftliche nerische Maskulinum ins Spiel – haben wir untersucht, wie
Mitarbeiterin am Heute, knapp zwei Jahre später, könnten wir auf dieselbe die Formen des mündlichen Genderns im Vergleich zu For-
Center für Lehr- und
Lernservices und Art und Weise einsteigen: In den letzten Monaten wurden men, die mit dem generischen Maskulinum realisiert wur-
weiterhin in der F.A.Z. Beiträge mit dem genannten Tenor den, beurteilt wurden.
Heiner Apel arbeitet veröffentlicht, flankiert von Leserbriefen, die deutlich emo-
als Lehrkraft für
tionaler in die gleiche Kerbe schlugen. Die Thematik der Ausgangspunkt: mögliche Formen des Genderns –
besondere Aufgaben
am Lehrstuhl für sprachlichen Gleichbehandlung aller Geschlechter ist aktu- schriftlich vs. mündlich
Deutsche Sprache ell und v. a. öffentlich sehr wirksam. Ursprünglich ausge- Grundsätzlich lassen sich beim Gendern unter Betrachtung
der Gegenwart. hend von einer eher präskriptiv orientierten feministischen eines binären Geschlechtersystems zwei Strategien diffe-
Linguistik (vgl. z. B. Pusch 1990) entstehen heute allerdings renzieren: Zum einen die Feminisierung, bei der Frauen di-
zahlreiche eher deskriptiv orientierte wissenschaftliche Ar- rekt angesprochen werden; Formen sind hier: ausführliche
beiten im Kontext der Genderlinguistik (vgl. Kotthoff / Nüb- und verkürzte Doppelnennung, Binnen-I sowie das generi-
ling 2018). Daher möchten wir die eben erwähnte Debatte sche Femininum. Zum anderen die Neutralisierung, bei der
um das generische Maskulinum hier an dieser Stelle nicht das Geschlecht unsichtbar gemacht wird; Formen sind hier:
noch einmal aufrollen, sondern einen Aspekt des Genderns substantivierte Partizipien und Adjektive, Ableitungen in
aufgreifen, der empirisch u. E. bisher noch unzureichend er- geschlechtsneutrale Bezeichnungen, Bezeichnungen der Funk-
forscht wurde: das Gendern in der Mündlichkeit. tion bzw. der Institution, unpersönliche Pronomen, Verwen-
dung des Passivs, Umschreibung mit Adjektiven, die Nutzung
Das Ziel der Etablierung einer geschlechtergerechten Spra- von Verben statt Personenbezeichnungen, die Verwendung
che hat sich im öffentlichen Diskurs im deutschsprachigen von Kurzwörtern sowie nicht differenzierende Pluralformen
Raum mittlerweile durchgesetzt (vgl. Diewald / Steinhauer (vgl. Diewald /Steinhauer 2019, S. 20-35).
2017, S. 5). Um hier Orientierung zu bieten, hat bspw. die
Gesellschaft für deutsche Sprache online „Leitlinien der GfdS VIELES IST ZUM GENDERN IM
zu den Möglichkeiten des Genderings“ (Gesellschaft für
deutsche Sprache e. V. 2020) veröffentlicht. Diese Empfeh-
SCHRIFTLICHEN BEREITS DISKUTIERT
lungen beziehen sich jedoch vorrangig auf eine schriftba- WORDEN. ABER WIE STEHT ES
sierte Kommunikation. Öffentlich sicht- bzw. hörbar wird
IN DER MÜNDLICHKEIT?
das mündliche Gendern in Medien wie dem Rundfunk oder
dem Fernsehen sowie in videobasierten Formaten im Inter- Ergänzend dazu lassen sich die Formen Gender-*, Gender-Lü-
net. Allerdings zeigt sich auch hier – wie generell im Jour- cke / -Gap, Gender-Doppelpunkt als eine Form der Entbinari-
nalismus – noch keine einheitliche Verwendung von münd- sierung bezeichnen; sie sollen das binäre Geschlechtssystem
lichen Formen des Genderns (vgl. z. B. Deutschlandfunk 2020). durchbrechen und somit alle Geschlechter inkludieren. Diese
Formen lassen sich im Hinblick auf ihre Praktikabilität (z. B.
Länge und Handhabung im Text) sowie ggf. auftretende syn-
taktische Probleme hin diskutieren (vgl. ebd.).
Tab. 1: Bewertung der Formen aus Hörbeispiel 1 (n=945); Transkription: siehe unten im Text
spielen erfragt, wie passend / unpassend die verschiedenen wurde bei der Variante der Doppelnennung die Reihenfolge
Formen des Genderns in einer beschriebenen Situation der männlichen und weiblichen Form variiert, um Sequenz-
empfunden wurden. Zur Veranschaulichung hier Hörbei- effekte auszuschließen.
spiel 1:
In einem zweiten Abschnitt ging es um den aktuellen
Wie passend finden Sie die jeweilige Form in der unten be- Sprachgebrauch der Versuchspersonen. Hier wurde wieder
schriebenen Situation? Es geht um gemischtgeschlechtliche im Hinblick auf die verschiedenen gegenderten Formen da-
Gruppen und jemand erzählt Ihnen: nach gefragt, welche Variante sie momentan in einer be-
a) „Wir suchen Mitarbeitende mit Erfahrung.“ schriebenen Situation verwenden würden. Hier mussten die
(...[ˈmɪtˀaʶbaɛ̯təndə]...) Versuchspersonen sich somit für eine Variante entscheiden.
b) „Wir suchen Mitarbeiter[Ɂ]innen mit Erfahrung.“ Zur Veranschaulichung die Hörbeispiele 4 und 5 (jeweils
(...[ˌmɪtˀaʶbaɛ̯tɐˈˀɪnən]...) nacheinander in Anführungszeichen):
c) „Wir suchen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit
Erfahrung.“ (...[ˈmɪtˀaʶbaɛ̯tɐ ʊnt ˌmɪtˀaʶbaɛ̯tɐˈʁɪnən]...) Welche der folgenden Formen würden Sie momentan, wenn Sie
d) „Wir suchen Mitarbeiter mit Erfahrung.“ jemandem etwas erzählen, anwenden? Bitte wählen Sie eine
(...[ˈmɪtˀaʶbaɛ̯tɐ]...) Option aus. Auch hier sind, wie in den vorherigen Beispielen,
e) „Wir suchen Mitarbeiterinnen mit Erfahrung.“ gemischtgeschlechtliche Gruppen gemeint.
(...[ˈmɪtˀaʶbaɛ̯tɐˌʁɪnən]...) a) „Die Veranstaltung richtet sich an Studierende der
MINT-Fächer.“ (...[ʃtuˈdi:ʁəndə]...); „Wir suchen an unse-
Die Proband*innen konnten als Antwortmöglichkeit einen rer Schule neues Lehrpersonal.“ (...[ˈle:ɐpɛʶzoˌna:l]...)
Schieberegler zwischen den Polen „überhaupt nicht pas- b) „Die Veranstaltung richtet sich an Studentinnen der
send“ und „absolut passend“ bewegen, dessen Position dann MINT-Fächer.“ (...[ʃtuˈdɛntɪnən]...); „Wir suchen an unse-
mit einem Zahlenwert zwischen 1 und 10 operationalisiert rer Schule neue Lehrerinnen.“ (...[ˈle:ʁɐʁɪnən]...)
wurde. Neben den verschiedenen gegenderten Formen war c) „Die Veranstaltung richtet sich an Studenten und Stu-
in diesen Beispielen ebenfalls das generische Maskulinum dentinnen der MINT-Fächer.“ (...[ʃtuˈdɛntn̩ ʊnt ʃtuˈdɛn-
enthalten, um den Versuchspersonen, die das Gendern ge- tɪnən]...); „Wir suchen an unserer Schule neue Lehrer
nerell ablehnen, eine mögliche Option zu bieten. Zudem und Lehrerinnen.“ (...[ˈle:ʁɐ ʊnt ˈle:ʁɐˌʁɪnən]...)
Arithmetisches Standard-
Gender-Variante Beispielsatz
Mittel (M) abweichung (SD)
Tab. 2: Bewertung der Formen aus Hörbeispiel 2 (n=945); Transkription: „Bewerber[Ɂ]innen…“ = [bəˈvɛʶbɐˌˀɪnən]; „Bewerberinnen oder
Bewerber…“ = [bəˈvɛʶbɐˌʁɪnən o:dɐ bəˈvɛʶbɐ]; „Bewerber…“ = [bəˈvɛʶbɐ]; „Bewerberinnen…“ = [bəˈvɛʶbɐˌʁɪnən]
Tab. 3: Bewertung der Formen aus Hörbeispiel 3 (n=945); Transkription: „…Schüler[Ɂ]innen … Lehrer[Ɂ]innen.“ = [ˌʃʏ:lɐˈˀɪnən …ˌle:ʁɐˈˀɪnən]…); „…Schülerinnen und
Schüler … Lehrerinnen und Lehrern“ = [ˈʃʏ:lɐˌʁɪnən ʊnt ˈʃʏ:lɐ … ˈle:ʁɐˌʁɪnən ʊnt ˈle:ʁɐn]; „…Schüler … Lehrern“ = [ˈʃʏ:lɐ … ˈle:ʁɐn]; „…Schülerinnen … Lehrerinnen“
= [ˈʃʏ:lɐˌʁɪnən … ˈle:ʁɐˌʁɪnən]
d) „Die Veranstaltung richtet sich an Student[Ɂ]innen der bezeichnen“ stimmten 34,6 % der Versuchspersonen voll zu,
MINT-Fächer.“ (...[ʃtuˌdɛntˈˀɪnən]...); „Wir suchen an un- während 32,4 % der Versuchspersonen diese Aussage kom-
serer Schule neue Lehrer[Ɂ]innen.“ (...[ˌle:ʁɐˈˀɪnən]...) plett ablehnten.
e) „Die Veranstaltung richtet sich an Studenten der MINT-
Fächer.“ (...[ʃtuˈdɛntn̩]...); „Wir suchen an unserer Schule Ein Großteil der Versuchspersonen (43,7 %) stimmten der
neue Lehrer.“ (...[ˈle:ʁɐ]...) Aussage nicht zu, dass das Gendern in der Mündlichkeit
mehr störe als im Schriftlichen. Insgesamt 27,7 % der Befrag-
Eine letzte Frage beschäftigte sich mit dem sprachlichen ten gaben jedoch an, dass sie nicht wissen, wie Formen wie
Verhalten der Versuchspersonen in der Zukunft. Hier wurde Schüler*innen oder Schüler_innen richtig ausgesprochen wer-
wie folgt gefragt (mit Hörbeispiel 6): den, demgegenüber waren 54,4 % der Versuchspersonen sich
sicher in der Aussprache dieser Formen (die fehlenden
Auch wenn Sie bisher in Ihrem mündlichen Sprachgebrauch 17,9 % für 100 % der Stichprobe waren eher unentschieden).
noch nie gegendert haben, welche der nachfolgenden Formen Zudem zeigte sich, dass knapp die Hälfte der Versuchsper-
können Sie sich zukünftig vorstellen, wenn Sie ein Wort gen- sonen, d. h. 48,1 % der Befragten, der Aussage zustimmten,
dern möchten? dass das Gendern in der Mündlichkeit aufwendig ist. Eine
a) „Die Begutachtungskommission tagt am Freitag.“ hohe Zustimmung (49,2 % der Versuchspersonen) erhält je-
(...[bəˈgu:tˀaxtʊŋskɔmɪsi ̯ˌo:n]...) doch die Aussage, dass, wenn schriftlich gegendert wird,
b) „Die Sitzung der Gutachter und Gutachterinnen findet dies auch in der Mündlichkeit so sein sollte (bei 30,2 % Ab-
am Freitag statt.“ (...[ˈgu:tˀaxtɐ ʊnt ˈgu:tˀaxtɐˌʁɪnən]...) lehnung und bei 20,6 % Unentschiedenheit).
c) „Die Sitzung der Gutachterinnen findet am Freitag statt.“
(...[ˈgu:tˀaxtɐˌʁɪnən]...) Beurteilung der verschiedenen Formen des Gen-
d) „Die Sitzung der Gutachter[Ɂ]innen findet am Freitag derns in der Mündlichkeit
statt.“ (...[ˌgu:tˀaxtɐˈˀɪnən]...) Hier zunächst die Ergebnisübersicht über die Angaben der
Versuchspersonen zur Bewertung der verschiedenen Mög-
Aufgabe für die Versuchspersonen war es dann, die Hörbei- lichkeiten des Genderns in der Mündlichkeit; die Beurtei-
spiele durch Verschieben in eine Rangfolge zu bringen. Im lung erfolgte von 1 („überhaupt nicht passend“) bis 10 („ab-
Anschluss und zum Abschluss der Umfrage wurden noch solut passend“) und wird in der Spalte „Arithmetisches Mit-
soziodemografische Angaben zu den Versuchspersonen er- tel“ dargestellt (siehe Tab. 1 bis 3).
hoben.
NEUTRALE FORMULIERUNGEN UND
Ergebnisse der Untersuchung
Einstellung zum Gendern / zum Gendern in der DOPPELNENNUNGEN SIND KLAR DIE
Mündlichkeit FAVORITEN DER BEFRAGTEN
In der Auswertung der Fragen zur Beurteilung des Gen-
derns generell zeigt sich, dass die Meinungen hierzu stark Aus diesen Bewertungen der Hörbeispiele durch die Ver-
divergieren. Der Aussage: „Ich finde das Gendern im Allge- suchspersonen unserer Studie lässt sich festhalten, dass die
meinen nicht nötig“ stimmten 35,1 % der Versuchspersonen Formulierungen, die Neutralisierungen und Doppelnennun-
gar nicht zu, während 31,6 % der Versuchspersonen dieser gen enthielten, besser bewertet wurden als die anderen
Aussage voll zustimmten. Die Aussage: „Meiner Meinung Varianten, wobei allerdings nur eine neutralisierende For-
nach kann man bei geschlechtlich gemischten Gruppen von mulierung („Personen, die…“, Hörbeispiel 2) deutlich in
Menschen maskuline Bezeichnungen verwenden: Also etwa Richtung absolut passend gewertet wurde. Alle anderen
eine Gruppe von Studentinnen und Studenten als Studenten Neutralisierungen und Doppelnennungen liegen leicht im
Die Autorinnen sind Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache (IDS) hat in Ko- wird. Wenn beide Elternteile Dialekt sprechen, dann gibt die
Mitarbeiterinnen operation mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsfor- befragte Person zu knapp 84 % an, Dialekt zu sprechen.
des Programmbe-
schung (DIW) eine deutschlandweite Repräsentativerhe- Wenn allerdings keiner der beiden Eltern Dialekt spricht,
reichs Sprache im
öffentlichen Raum bung unter 4.380 Personen zum Sprachrepertoire der dann sprechen auch 89 % der Befragten keinen Dialekt. Im
am Leibniz-Institut Menschen in Deutschland und zu ihren Spracheinstellun- Umkehrschluss bedeutet das, dass ca. 16 % der Befragten kei-
für Deutsche Spra- gen durchgeführt: die Deutschland-Erhebung 2017. Eine nen Dialekt sprechen, obwohl beide Eltern es tun, d.h. den
che, Mannheim.
Einführung in die Deutschland-Erhebung 2017 findet Dialekt oder die Dialekte der Eltern nicht übernehmen. Au-
sich im ersten Teil dieser Serie in Heft 4 / 2020. In dieser ßerdem heißt das auch, dass 11 % der Befragten einen Dialekt
Folge berichten wir darüber, welche Dialekte in Deutsch- sprechen, obwohl weder Mutter noch Vater Dialekt sprechen.
land in der Familie weitergegeben werden und welche
nicht. Man kann erwarten, dass eine Person in der Regel den Dia-
lekt spricht, den auch die Eltern sprechen. In den meisten
Die letzte Folge handelte davon, welche Dialekte in Deutsch- Fällen ist das auch so. Doch im Detail gibt es interessante
land gesprochen werden (Heft 1 / 2021). In der Deutschland- Unterschiede. Vergleicht man die Angaben der gesproche-
Erhebung 2017 wurden nicht nur die Dialekte der Befragten nen Dialekte der Eltern mit den Angaben zu den gesproche-
erhoben, sondern auch die Dialekte der Eltern der Befrag- nen Dialekten der Befragten (vgl. Abb. 1 und 2, hier sind die
ten. Somit sind Angaben über die Dialektkompetenz von unbearbeiteten Angaben jeweils in einer Wortwolke darge-
zwei Generationen vorhanden. Auf dieser Grundlage kön- stellt; je häufiger ein Dialekt genannt wird, desto größer er-
nen Aussagen über die Weitergabe von Dialekten getroffen scheint er in der Wortwolke), fällt zunächst auf, dass sich die
werden. Die gestellten Fragen lauten wie folgt: „Spricht bzw. häufigste Nennung unterscheidet: Der am häufigsten ange-
sprach Ihre Mutter einen deutschen Dialekt?” und “Spricht gebene Dialekt der Eltern ist Plattdeutsch,1 für die Befragten
bzw. sprach Ihr Vater einen deutschen Dialekt?“; jeweils im ist die häufigste Angabe Schwäbisch. Außerdem sind die Di-
Anschluss wurde die offene Frage zur Angabe des Dialekts alektnennungen der Befragten vielfältiger mit 286 unter-
gestellt: „Welcher deutsche Dialekt ist das?“ . schiedlichen Nennungen im Vergleich zu 176 unterschiedli-
chen Nennungen für die Dialekte der Eltern.
In Tabelle 1 ist aufgeführt, wie sich die Dialektkompetenz
der Befragten und ihrer Eltern jeweils verteilt: 40,7 % der Be- Zur weiteren Auswertung wurden die Daten aufbereitet
fragten geben an, einen Dialekt zu sprechen. Bei den Eltern (siehe Folge 2 in Heft 1 / 2021). Die aufbereiteten Nennungen
sind es 41,3 % (Mutter) und 40,1 % (Vater). Der Wert für die der gesprochenen Dialekte der Eltern sind neben den ge-
Befragten weicht also kaum von den Werten für Mutter und sprochenen Dialekten der befragten Personen – jeweils in
Vater ab. Das bedeutet, dass im Allgemeinen Personen, die relativen Häufigkeiten2 – in Abbildung 3 aufgeführt. In die-
Dialekt sprechen, auch angeben, dass ihr Vater und ihre ser Zusammenschau sind die Unterschiede zwischen den
Mutter Dialekt sprechen bzw. sprachen. Der Zusammen- genannten Dialekten deutlich sichtbar: Niederdeutsch ist der
hang zwischen diesen Angaben ist allerdings komplexer, als am häufigsten genannte Elterndialekt (ca. 13 % der Nennun-
er scheint. Die Daten ermöglichen es, diese Zusammenhän- gen). Von den Befragten jedoch wird Niederdeutsch erst an
ge genauer zu beleuchten. Die in Tabelle 2 aufgeführten fünfter Stelle genannt (mit ca. 7 % der Nennungen). Daneben
Werte illustrieren, wie wichtig es ist, dass beide Elternteile gibt es noch weitere Unterschiede zwischen den für die El-
Dialekt sprechen, damit ein Dialekt auch weitergegeben tern und die Befragten genannten Dialekte, z. B. bei Säch-
Tab. 1: Dialektkompetenz: Befragte, Mutter, Vater (Deutschland- Tab. 2: Weitergabe des Dialekts (Deutschland-Erhebung 2017)
Erhebung 2017)
sisch, Schwäbisch und Bayrisch. Die Unterschiede gehen da- relativen Häufigkeiten der Dialektnennungen wiederum pro-
bei nicht bei allen Dialekten in die gleiche Richtung: Wäh- zentual darzustellen (z. B. sind es etwa insgesamt bei Eltern
rend einige Dialekte von Befragten im Vergleich zu den und Befragten mehr Nennungen für Niederdeutsch als für
Nennungen für die Eltern seltener angegeben werden, d.h. Fränkisch; daher ist das genaue Ausmaß des Unterschiedes
über diese Generation nicht weitergegeben werden, gibt es in dieser Darstellung schwer einzuschätzen). Abbildung 4 stellt
andererseits auch Dialekte, die von Befragten häufiger an- entsprechend die gemittelte Differenz der relativen Häufigkei-
gegeben werden, d.h. Dialekte, die von Personen gespro- ten in den Nennungen der Befragten im Verhältnis zu den Nen-
chen werden, deren Eltern einen anderen Dialekt oder kei- nungen des jeweiligen Elternteils dar; sortiert sind die Diffe-
nen Dialekt sprechen oder sprachen. Diese Differenz ist renzen nach ihrem höchsten negativen bis zu ihrem höchs-
wiederum für die verschiedenen Dialekte unterschiedlich ten positiven Wert. Diese Darstellung zeigt deutlich, welche
stark ausgeprägt. Dialekte über die Generation hinweg sozusagen gewinnen
und welche verlieren. Niederdeutsch verzeichnet den höchsten
Da der Unterschied zwischen beiden Angaben stark abhän- Verlust an Nennungen. Es folgt mit ähnlich hohem Verlust
gig ist von der gesamten Größe der jeweiligen Nennungen Moselfränkisch. Dann folgen die Vertriebenenmundarten und
für einen Dialekt, ist es sinnvoll, die Differenz zwischen den Dialekte, die in der Kategorie deutschsprachiges Ausland zu-
sammengefasst sind, z. B. Schweizerdeutsch, schließlich Thü-
ringisch. Auf der anderen Seite gibt es auch Dialekte, die ei-
nen Zuwachs an Dialektsprechenden verzeichnen. Beson-
ders deutlich ist das bei Berlinisch; in dieser Kategorie gibt
es bei den Befragten deutlich mehr Sprecherinnen und Spre-
cher als bei den Eltern. Auch für Alemannisch und Badisch
sind die Verhältnisse vergleichbar. Es folgen auf ähnlichem
Niveau die Kategorien Fränkisch, Bayrisch, Hessisch, Schwä-
bisch, Hochdeutsch und Saarländisch. Sächsisch ist der einzi-
ge Dialekt, der stabil bleibt, also weder zu- noch abnimmt.
Sprecherinnen und Sprecher gewinnen (z. B. Berlinisch). I ten gelistet, da die absoluten Angaben keinen direkten Ver-
gleich über die Befragten und die Eltern ermöglichen. Das liegt
Literatur daran, dass im Prinzip auf jede befragte Person zwei Elternteile
kommen, deren Angaben zusammengenommen werden. Da-
Adler, Astrid / Ribeiro Silveira, Maria (2020): Spracheinstellungen durch ergibt sich eine deutlich höhere absolute Anzahl der Nen-
in Deutschland – Was die Menschen in Deutschland über Spra- nungen für die gesprochenen Dialekte der Eltern. I
che denken. In: Sprachreport 4 / 2020. Mannheim: Leibniz-Insti-
tut für Deutsche Sprache, S. 16-24.
Adler, Astrid / Ribeiro Silveira, Maria (2021): Welche Dialekte wer-
den in Deutschland gesprochen? Sprache in Zahlen: Folge 2. In:
Sprachreport 1 / 2021. Mannheim: Leibniz-Institut für Deutsche
Sprache, S. 52-53.
Der
Ausgabe 4 Newsletter des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache „IDS aktuell“ fasst für
Dezember
Sie 2020
die relevantesten Nachrichten rund um das Sprachinstitut zusammen und
gibt Ihnen einen kompakten Überblick über seine gegenwärtigen Tätigkeiten.
EDITORIAL AKTUELLES
Unverbindlich und kostenlos erhalten Sie interessante Informationen zu aktuellen
sprachlichen Themen, Tagungen, Neuerscheinungen, Projekten, Kooperationen
Liebe Leserinnen und Leser,
und Angeboten des IDS. Integrierte Links führen 57. Jahrestagung des IDSBerich-
direkt zu ausführlichen vom 9. - 11. März 2021
ein schwieriges,
ten, Projekten aber auch produktives
oder Services. - nur ONLINE
Jahr liegt bald hinter uns. Wir wissen,
dass uns die Coronakrise noch einige Sprache in Politik und Gesellschaft.
Der Newsletter erscheint
Zeit begleiten wird. alle zwei
Dennoch Monate. Alle Ausgaben sowie die
haben
Perspektiven und Zugänge
MöglichkeitwirzurunsAnmeldung
nicht entmutigengibt lassenes
undunter:
können Ihnen deshalb wieder eine
www.ids-mannheim.de/aktuell/newsletter/
neue Ausgabe von „IDS aktuell “ prä- Mit der Jahrestagung 2021 lenkt das matischen Dimensionen, die der Ge-
Haben Sie Fragen
sentieren,oder Anregungen?
die prall gefüllt ist mit denDannIDS schicken Siedieuns
den Blick auf eine E-Mail an:
Wechselbezie- genstand hat. Das transdisziplinär an-
neuesten Entwicklungen am IDS.
ids-aktuell@ids-mannheim.de hung zwischen Sprachgebrauch bzw. gelegte Tagungsthema ist nicht nur
sprachlichem Handeln und der gesell- adressiert an Fachkolleginnen und
Wir werfen noch einmal einen Blick schaftlich-politischen Wirklichkeit. Die Fachkollegen, sondern ebenso an Leh-
zurück auf die letzten Monate und in- Tagungsidee ist in einer Zeit entstan- rende und Lernende, Journalisten und
formieren unter anderem über Fort- den, in der sich Wissenschaft, und ins- Journalistinnen, Politiker und Politike-
schritte beim Projekt „Forum Deutsche besondere die Geisteswissenschaften, rinnen. Der Spannungsbogen von Theo-
Sprache“, stellen Ihnen aktuelle Neolo- die Frage nach ihrer Positionierung rie und Praxis soll deutlich gemacht wer-
gismen der Zehnerjahre vor und erklä- stellen. Die Diskussion dazu wird in- den, wenn Vertreterinnen und Vertreter
ren Ihnen, was Sie alles mit der Daten- nerhalb der Fächer geführt.IDSEs Jahresbericht
finden 2018
von 169
Wissenschaft, Kunst und Politik
36
34 bank „DeR eKo“ recherchieren können.
Beim Ausblick auf das nächste Jahr
sich eine Reihe von Ansätzen gesell-
schaftskritischer Perspektiven und die
das Thema „Sprache und Gewalt“ in
einer öffentlichen Veranstaltung disku-
möchten wir Ihre Aufmerksamkeit auf Frage, ob die Linguistik, Soziologie, tieren.
IDS SPRACHREPORT 2/2019 35
die Jahrestagung des IDS zum Thema Geschichtswissenschaft etc. politisch
„Sprache in Politik und Gesellschaft“ sein darf, muss oder sollte, scheint be- Weitere Infos finden IDS SPRACHREPORT 2/2021
Sie hier. 45
und auf die Arbeitstagung zur Gesprächs- jaht zu werden. Mit diesem Anspruch
forschung lenken, die beide im März und bekommen Themen aus dem Bereich
situationsbedingt nur online stattfinden Sprache und Politik sowohl gegenwarts-
Gisela Zifonun
Die Autorin war bis Der Gendergap und neuerdings vor allem der Genderstern mit ihren unterschiedlichen Deklinationsklassen hat noch
zu ihrem Ruhestand sind zwar (noch) nicht Teil des sanktionierten orthografi- eine ganze Reihe anderer Fälle parat, bei denen die masku-
Leiterin der Abtei-
lung Grammatik am schen Regelwerks, aber sie greifen um sich. Das gilt beson- line und die movierte feminine Form sich im Plural nicht
Leibniz-Institut für ders für Texte mit feministischem oder allgemeiner gender- einfach durch Addition von -innen unterscheiden. Man den-
Deutsche Sprache, bewusstem Anliegen und Anspruch, in erster Linie aus dem ke an die schwachen Maskulina wie in Dozenten und Dozen-
Mannheim. universitären sowie mittlerweile auch schulischen Umfeld tinnen (verkürzt zu Dozent/-inn-/-en). Bei den Maskulina mit
und aus Teilen des Kulturbetriebs. Aber auch der Glottis- e-Plural muss erst einmal das -e entfallen, bevor -innen her-
schlag, der Knacklaut, der, gefolgt von dem Suffix -innen, als antritt wie in Freunde und Freundinnen. Wie sollen wir das
gesprochene Version des Gendergaps oder -sterns verstan- verkürzen? Weder bei ??Freund/-inn-/-e/-n noch bei ??Freund/-
den werden soll, begegnet uns. So verfährt Anne Will bei e/-innen gebrauchen wir die grafischen Markierungen kon-
der Moderation der gleichnamigen Talkshow, z. B. Ende Mai form mit dem rein additiven Fall. Von Komplikationen wie
2020 bei „Bund der Steuerzahler_innen / Steuerzahler*innen“. in Franzosen und Französinnen oder Chefs und Chefinnen
Claus Kleber erweist sich im heute-Journal ebenfalls als An- ganz zu schweigen.
hänger dieser Praxis.
Und im Singular ist es schon gar nicht einfach mit der Hin-
Im Folgenden sollen unterschiedliche Deutungen des Gen- zufügung des Movierungssuffixes getan. Hier ist zum einen
dersterns diskutiert werden, um zu klären, was bei seiner die Form des Artikels (oder anderer Determinative) durch-
Verwendung sprachlich passiert und wie es linguistisch er- weg nach dem Genus unterschiedlich. Und die starken Mas-
klärt werden kann. kulina erfordern zudem ein -s im Genitiv. Es kann somit
kaum regelkonform verkürzt werden; man vgl. ??des / der
GRAFISCHE KÜRZUNGSVERFAHREN Steuerzahler/-s/-in. Die schwachen Maskulina verlangen in
allen Kasus außer dem Nominativ -en als Flexiv. Auch dies
UND IHRE TÜCKEN entfällt bei Movierung, so dass wiederum Kürzung nicht
möglich ist: ??des/der/den Dozent/-en/-in.
Konzentrieren wir uns hier auf die geschriebene Sprache,
sprich: Schreibungen mit Genderstern, denn sie wurden zu- Außerdem: Was eigentlich wird verkürzt? Offenbar soll es
erst geschaffen; die mündliche Realisierung ist erst sekun- sich um eine Verkürzung der Paarformeln handeln. Paarfor-
där.2 So lässt sich die Genese dieser wie auch der anderen meln wie Steuerzahler und Steuerzahlerinnen, Steuerzahler
neuen Markierung (des Gendergaps) herleiten aus verschie- oder Steuerzahlerinnen sind aber Syntagmen, die sich nur
denen „grafischen Kürzungsverfahren“,3 die über die Jahre scheinbar leicht durch Kürzung in Wörter verwandeln las-
mit unterschiedlichem Erfolg angewendet wurden, nämlich sen. Der Konjunktor und bzw. oder entfällt. Und es ist nicht
neben dem Binnen-I (SteuerzahlerInnen) der Gebrauch von immer gleichgültig, ob bei der mündlichen Realisierung als
Schrägstrichen (Steuerzahler/innen), Klammern (Steuerzah- Paarformel der eine oder der andere Konjunktor gesetzt
ler (innen)) oder die Kombination von Schräg- und Bindestrich wird.5
(Steuerzahler/-innen). Nur die letztgenannte Version ist übri-
gens als Kürzungsverfahren vom amtlichen Regelwerk der- Was nun die Formen mit Gendergap oder Genderstern von
zeit abgedeckt. Bereits dieses abgesegnete Verfahren, dies diesen Vorläufern unterscheidet, ist der Marker, der die „Bi-
wird im Ratgeber „Richtig gendern“ gezeigt,4 ist mit allerlei narität“ der Genderunterscheidungen, die in den Paarfor-
Tücken verbunden. So müsste, korrekterweise, im Dativ meln und ihren Verkürzungen kodiert war, aufheben soll. Es
Plural so geschrieben werden: (den) Steuerzahler/-inne-/-n. soll, so heißt es, ein „Raum zwischen den beiden Geschlech-
Wenn wir nämlich strikt durch copy and paste die maskuline tern“ eröffnet werden.6 Wird also mit vergleichsweise mini-
Form Steuerzahlern und die feminine Form Steuerzahlerin- malem Mitteleinsatz nur folgerichtig ein weiterer Schritt in
nen auf eine Form verkürzen, kommt eben das heraus. Al- Richtung einer gleichberechtigten, inklusiven Bezugnahme
lerdings, auch das gestehen die Autorinnen des Ratgebers auf Menschen ohne Diskriminierung nach Sexus oder Gen-
zu, ist das nicht üblich und dürfte die Schreiber und Schrei- der gemacht? Allerdings: Der „Raum“ zwischen den Be-
berinnen überfordern. Denn dies ist ja keineswegs ein Ein- zeichnungen für die beiden Geschlechter kann nicht ohne
zelfall. Die nominale Flexionsmorphologie des Deutschen
In dieser Sehweise bleiben also die morphosyntaktischen Ei- Wenn wir aber seinen Vorschlag, bei dem er primär die pho-
genschaften des Suffixes -in bei -*in erhalten. Peter Eisen- nologisch-morphologische Ausdrucksseite im Blick hat,
berg schildert in seinem neuen Beitrag in der FAZ die Kon- auch semantisch ernst nehmen, dann ist folgende Bestim-
sequenzen so: Eine Form wie Leser*innen sei auf jeden Fall mung sprachsystematisch konsequent. Nennen wir sie die
feminin. Die Singularform Leser*in sei ebenfalls feminin.
BEI DICHTERLING ODER TÖCHTERCHEN Modifikation wird in der Derivation des Deutschen für zwei
ENTSPRECHEN DER FORMALE UND semantische Operationen genutzt: Zum einen zur Bezeich-
DER SEMANTISCHE AUFBAU EINANDER nung von Teilklassen der von der Basis bezeichneten Klasse.
Begrifflich geht es dann um die Beziehung zwischen Ober-
OPTIMAL begriff (Basis) und Unterbegriff (Ableitung). Merkmalsse-
mantisch geschieht das, indem dem Merkmalsinventar der
Holen wir etwas aus und schauen uns die deutschen Suffixe Basis ein Merkmal hinzugefügt wird. Im Falle der Pejorativa
an, mit denen Personenbezeichnungen gebildet werden, um etwa ein Merkmal wie ,(aus Sicht des Sprechers / der Spre-
aus dieser Perspektive den Genderstern einschätzen zu kön- cherin) hinsichtlich der von der Basis zugeschriebenen Qua-
nen. Es gibt eine ganze Reihe solcher Suffixe, unter anderem litäten negativ zu bewerten‘. Dieser Fall ist unter Gesichts-
-er, -ler, -ner und -ling sowie die so genannten Fremdsuffixe punkten der Sprachökonomie optimal. Ein Mehr an Material
mit u.a. -ant/-ent, -eur, -ist und -(at) or. Die so suffigierten (also das Suffix) korrespondiert mit einem Zuwachs an se-
Substantive haben maskulines Genus und bezeichnen somit mantischen Merkmalen. Entsprechendes geschieht auch bei
Personen männlichen Geschlechts – es sei denn, man akzep- der Diminution, im Deutschen durch die Suffixe -chen bzw.
tiert die Idee des generischen Maskulinums. Alle diese Suf- -lein. Diese lassen – neben Adjektiven wie bei Sensibelchen
fixe lassen jedoch in der Regel keine Personenbezeichnun- oder Dummchen – grundsätzlich Substantive beliebiger se-
gen als Basis zu, sondern Stämme anderer Wortartenzugehö- mantischer Kategorien zu. Ähnlich wie bei den Pejorativa
rigkeit (wie bei Leser, Feigling zu dem Verb lesen und dem ist das hinzutretende Merkmal nicht auf objektive, messbare
Adjektiv feige) oder auch Stämme anderer semantischer Sub- oder beobachtbare, intersubjektiv ähnlich eingeschätzte Ei-
stantivklassen wie Kritiker zu Kritik, Idealist zu Ideal. Nur genschaften, etwa die Eigenschaft ,klein‘ reduzierbar. Das
-ling lässt unter anderem auch Personenbezeichnungen als gilt insbesondere bei Personenbezeichnungen. Das ändert
Basis zu wie in Schreiberling, Dichterling. Diese Bildungen aber nichts an der Tatsache, dass wir Menschen mehr an Ei-
drücken eine negative Bewertung einer Teilklasse der Schrei- genschaften zuschreiben, als durch die Basis der Wörter
ber bzw. Dichter aus; es handelt sich um ,Pejorativa‘. Die ne- ausgedrückt wird.
gative Wertung ist jedoch keineswegs grundsätzlich mit
dem Suffix -ling verbunden. Sie gilt weder bei Frühling, Röhr-
Diewald, Gabriele / Steinhauer, Anja (2018): Richtig gendern: Wie torin Joanne Rowling, die Verfasserin der Harry-Potter- und
Sie angemessen und verständlich schreiben. Berlin: Dudenverlag. Cormoran-Strike-Romane, einen Sprachgebrauch der LGBT-
Community kritisierte. Dabei geht es im Kern darum, ob der
Eisenberg, Peter (2021): Unter dem Muff von hundert Jahren. In:
Begriff ,Frau‘ im herkömmlichen Sinne nur auf Personen des
FAZ.net, 8.1.2021. <www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/der-
biologischen Sexus und mit den einschlägigen körperlichen
duden-und-der-unsinn-der-gegen derten-sprache-1713 5087.html
Merkmalen angewendet werden soll oder auf alle Personen, die
?premium=0x82b3127855255a8f6d62d0043cff334f&GEPC=s5>
sich als Frauen verstehen. Im Umkehrschluss sind aus letzterer
(Stand 12.1.21).
Sicht biologische Frauen nur eine Teilmenge der Frauen in je-
Kotthoff, Helga / Nübling, Damaris (2018): Genderlinguistik: Eine nem weiteren Sinne oder gar nur eine Kategorie, die auch in an-
Einführung in Sprache, Gespräch und Geschlecht. Tübingen: deren Genderkategorien vertreten sei, z. B. unter den Männern
Narr Francke Attempto. im weiteren Sinne. Für biologische Frauen wären dann aber
Krome, Sabine (2020): Zwischen gesellschaftlichem Diskurs und spezifischere Bezeichnungen wie die erwähnte zu gebrauchen.
Rechtschreibnormierung: Geschlechtergerechte Schreibung als Vgl. Stefanowitsch (2018).
9
Die Autorin ist Technische Innovationen, historische Ereignisse, sich wan- Alle orangefarbigen Beispielwörter im folgenden Beitrag können
wissenschaftliche delnde gesellschaftliche Gegebenheiten oder politische Neue- im Neologismenwörterbuch online und kostenlos (unter <www.
Mitarbeiterin in der
rungen – für eine funktionierende Verständigung muss sich owid.de/docs/neo/start.jsp>) nachgeschlagen werden.
Abteilung Lexik so-
wie wissenschaftli- der Wortschatz ständig anpassen. Da kann es schnell passie-
che Referentin in ren, dass man ein Wort hört oder liest, das man noch nicht Gotcha, Flexibar und ploggen
der Direktion am kennt oder bei dem man sich unsicher ist, wie man es Nach den langen Wintermonaten, die sich aufgrund von
Leibniz-Institut für
schreibt oder spricht. Und beim Nachschlagen in einem schlechtem Wetter und kalten Temperaturen gefühlt in die
Deutsche Sprache,
Mannheim. Wörterbuch, das neue Wörter verzeichnet, stellen sich wei- Länge ziehen, sind wir voller Tatendrang, wenn es draußen
tere Fragen: Welche Quellen werden für ein solches Neolo- wärmer wird und sich Frühling und Frühsommer ankündi-
gismenwörterbuch ausgewertet? Wie kommt ein Wort ins gen. Dieser Tatendrang kann sich z. B. in Projekten an Haus
Neologismenwörterbuch hinein? Ab wann gilt ein Wort als und Garten ausdrücken, in kreativ-musischen Experimen-
gut im allgemeinen Wortschatz integriert? Welche Typen ten oder auch in sportlichen Aktivitäten. Dann heißt es:
von Neologismen gibt es eigentlich? „Runter vom Sofa, auf zum Inlineskating, Gotcha oder auf
zum (vielleicht auch rein in den) Baumwipfelpfad !“ Die Aus-
In der SPRACHREPORT-Reihe „Neuer Wortschatz“ stellen wahl ist groß: Die letzten drei Jahrzehnte haben zahlreiche
Ihnen Mitarbeiterinnen unseres Neologismenwörterbuches neue sportliche bzw. spielerisch-bewegungsreiche Aktivitä-
einige der schönsten Entdeckungen, interessantesten Sach- ten hervorgebracht, die sich in einer Vielzahl von neuen
gruppen und verschiedene Typen von Neologismen vor, die sprachlichen Bezeichnungen niedergeschlagen haben.
ihnen bei der Arbeit begegnet sind.
Über den Zugriff Stichwörter in Sachgruppen können im
Neologismenwörterbuch Wortartikel nach Sachgruppen be-
trachtet werden. Nach einem Klick auf die Rubrik „Sport“
lassen sich insgesamt 135 verschiedene Stichwörter nach-
schlagen, die nach ihrem Aufkommen in den 90er-, den Nul-
ler- sowie den Zehnerjahren gruppiert sind (vgl. Abb. 1).
Gotcha Spiel, bei dem Spieler versuchen, gegnerische Mitspieler mithilfe eines Farbballs zu beschießen
Belegbeispiel:
Das Spiel, vor einigen Jahren unter „Paintball“ in den USA erfunden und hierzulande auch unter
„Gotcha“ (= Got you, auf gut österreichisch etwa „I hab di“) bekannt, „boomt“ gegenwärtig durch
Westeuropa. Die Franzosen sollen danach ganz verrückt sein, ebenso die Belgier und erst die Eng-
länder. (Salzburger Nachrichten, 8.9.1992)
Sportgerät
Flexibar langer biegsamer Stab, der in der Mitte einen schwarzen Gummigriff und an beiden Enden kleine
Gewichte hat, mit dem die Rumpfmuskulatur trainiert und die Haltung verbessert werden soll
Beispielbeleg:
Flexi-Bar ist ein Gerät, das ursprünglich aus dem physiotherapeutischen Bereich kommt. Es be-
steht aus einer Fiberglasstange, die in der Mitte einen Griff aus Gummi und an beiden Enden feste
Gewichte hat. Den Flexi-Bar nimmt man in die Hand und bringt ihn zum Schwingen und macht
verschiedene Übungen damit. (Berliner Zeitung, 17.2.2007)
Ausführende Person
Ort
Hochseilgarten meist in einem Waldstück aufgebaute ca. zehn Meter hohe Konstruktion aus Balken und Seilen,
in der die Besucher, entsprechend gesichert, klettern können
Belegbeispiel:
Den Helm festgezurrt, ein letzter Ruck am Gurtzeug, Luft holen und den ersten Schritt tun: In luf-
tiger Höhe balancierten gestern Kinder über einen hölzernern Stamm. Gut gesichert, versteht sich.
Ort des Abenteuers in luftiger Höhe: der jetzt eröffnete Hochseilgarten im Lahnsteiner Staatsforst.
(Rhein-Zeitung, 7.3.2002)
Tab. 1: Ausgewählte Beispiele (Stichwort, Bedeutungsangabe, exemplarischer Beleg) aus Stichwörter in Sachgruppen (Rubrik „Sport“)
im Neologismenwörterbuch2
Auch lassen sich ganze Wortgruppen identifizieren, die alle Die Bildungen mit Indoor- und Outdoor- können wir zu-
aufgrund eines gemeinsamen Wortstammes eine Wortfami- nächst einmal allgemein – und nicht explizit in Bezug auf
lie bilden. Meist liegt das Verb, die Bezeichnung der Tätig- neue Wörter – in den Texten in DeReKo betrachten. Eine
keit als Nomen und / oder die Personenbezeichnung vor: Korpusabfrage zu den Wortbildungen ergibt, dass sich sehr
● carven, Carver, Carving (Neologismen der 90er-Jahre) wenige Spuren vor den 1990er-Jahren finden lassen, aber ab
● Inlineskate, inlineskaten, Inlineskater, Inlineskating (Neo- den 1990er-Jahren dann ein verstärkt hohes Aufkommen an
logismen der 90er-Jahre) Wortbildungen in den Texten verzeichnet ist. In Tabelle 2
● kiten, Kiter, Kitesurfen, Kitesurfer (Neologismen der Nul- lässt sich dieser Trend anhand einer Gegenüberstellung der
ler Jahre) Ergebnisse ablesen, bei der nach Komposita und Wortbil-
● ploggen, Plogger, Plogging (Neologismen der Zehner Jahre) dungen zu den Suchausdrücken „&indoor“ und „&outdoor“
gesucht wurde. Die Treffer sind in den Ausschnitten in Ta-
Unter den Stichwörtern aus der Sachgruppe „Sport“ finden belle 2 aus COSMAS II4 nach Jahrzehnten sortiert.
sich einige, bei denen es sich um im Deutschen gebildete
Zusammensetzungen und Ableitungen handelt, darunter
sind Beispiele wie Bewegungspark, Fahrstuhlmannschaft, Gelb-
sperre, Herzschlagfinale oder Schwimmnudel. Wörter, die voll-
ständig aus dem Englischen entlehnt sind, dominieren men-
Tab. 2: Treffer zu den Suchen „&indoor“ und „&outdoor“ in DeReKo (Archiv W-gesamt, Stand der Abfrage: 5.2.2021)
Unter den Wortbildungen in der Wortformenliste zu der Su- schmack der Abgase annehmen. Der Ton kommt immer einen Tick
che „&indoor“ sind Beispiele wie Indoor-Erlebnispark, Indoor- zu leise aus den Lautsprechern und trotzdem fährt man wieder
Spielplatz, Indoor-Adventsmarkt oder auch eine Zusammen- hin. Ryan Trecartins Sound- und Video-basierte Rauminstallation
setzung wie 24-Stunden-Indoor-Mountainbike-Weltmeisterschaft „Site Visit“ im KW Institute for Comtemporary Art fühlt sich ge-
in DeReKo zu finden. Hier liegt bei den konkreten Aktivitäten nau wie so ein unästhetisches, aber anziehendes Outdoor-Kino
der Fokus darauf, dass diese normalerweise im Außenbe- an. Statt Autositzen braune Kunstledersessel. Es stinkt nicht nach
reich liegen würden (Spielplatz, Erlebnispark). Abgasen, sondern nach den Ausdünstungen der grünlichen Teppi-
Die Alternative bei schlechtem Wetter: „Kilala“, Berlins erster In- che, mit denen die Räume bis unter die Decke gepflastert sind. (die
door-Spielplatz mit angrenzendem Café, hat in der Albrecht tageszeitung, 6.11.2014)
strasse 12 in Steglitz eröffnet. Die sechsjährige Lina Delikat und ihr
fünfjähriger Bruder Dennis toben jedenfalls begeistert in den Schaum- Bei den Bezeichnungen für sportliche Aktivitäten aus dem
stoff-Bällen. Ihre Mutter Nadin Delikat hat diese Einrichtung mit Neologismenwörterbuch können wir sehen, dass sich in der
ihrer Freundin Gaby Tadesse gegründet. Der Spielbereich mit jüngeren Vergangenheit mehr innovative Sportarten für den
mehr als 100 Quadratmetern umfasst ein Klettergerüst, Rutsche, Außenbereich entwickelt haben (eher Indoorsport : 14 von
Lianen sowie eine Seilbahn auf drei Etagen. (Berliner Morgen- 135, eher Outdoorsport : 66 von 135). Findet indoor z. B. Aqua-
post, 14.6.2000) cycling, Aquajogging, Callanetics, das Workout mit dem Flexi-
bar, auf dem Crosstrainer oder der Powerplate statt, gibt es über
Bei Wortbildungen in der Wortformenliste zu „&outdoor“ alle drei Dekaden hinweg, aber mit besonderer Häufigkeit
ist es bei Beispielen wie Outdoor-Kleidung, Outdoor-Möbel, in den 90er- und Nullerjahren, zahlreiche Outdoorsportar-
Outdoor-Urlaub, Outdoor-Kino, Outdoor-Backofen oder der ten bzw. sportliche Aktivitäten: z. B. im Wasser (Canyoning,
komplexen Bildung Outdoor-Kinderwagen-Workout im Ge- Rafting, Riverrafting, Stand-up-Paddling, Wakeboarding ), zum
gensatz zu den Indoor-Bildungen wiederum häufig so, dass Springen im Freien (Bungeejumping ), auf der Straße (Nordic
sich das Grundwort auf etwas bezieht, das normalerweise Blading, Rollerblading, Skating, Streetball ), in Städten (Sight-
eher im Innenbereich zu finden ist bzw. stattfindet (Möbel, jogging, Parkour, Traceur ), in der Natur (Natural Running, Nor-
Backofen, Kino). Der Gegenstand oder die Aktivität sind dic Walking), in luftiger Höhe (Baumwipfelpfad, Hochseilgar-
dann ganz besonders für den Außenbereich konzipiert oder ten, Kletterwald ), am Strand (Beachvolleyball, Kitesurfen), im
ausgestattet, so auch bei Outdoor-Kino, wie der folgende Be- Schnee (Carving, Snowkiting) oder auf dem Fahrrad (Fatbike,
leg illustriert: Fixie, Gravelbike, Paracycling). Die neuartigen Sportarten und
Wer schon mal in einem Autokino in den USA war, kennt das: man ihre entsprechenden Bezeichnungen bilden damit den ge-
sitzt in Campingstühlen neben den Pick-Up-Trucks auf bröckeli- sellschaftlich ablesbaren Trend zu (sportlichen) Aktivitäten
gem Asphalt, stochert in Picknick-Salaten, die man im Dunkeln draußen (in der Natur) ab.
nicht erkennen kann, und versucht zu ignorieren, dass sie den Ge-
After-Corona-Body, Körper einer Person, der nach der COVID-19-Pandemie (durch Bewegungsmangel, Lange-
Coronafigur weile, Stress usw. während der Pandemie) unsportlicher und dicker ist als davor
Coronakilo, Coronaspeck, durch Bewegungsmangel, Langeweile, Stress usw. während der COVID-19-Pandemie zuge-
Lockdownspeck nommenes Körpergewicht bzw. angegessenes Fettgewebe
Sport zu Hause
Fahrrad
Fahrradrausch das vermeintlich exzessive Kaufen und Nutzen von Fahrrädern und Fahrradausstattung
das durch die während der COVID-19-Pandemie angeordneten Kontakt- und Ausgangs-
beschränkungen ausgelöste, vermeintlich exzessive Kaufen und Nutzen von Fahrrädern
und Fahrradausstattung
Geistermeister siegreiche Person oder Mannschaft in einem sportlichen Wettbewerb, der bedingt durch
die COVID-19-Pandemie ohne Zuschauer stattfindet
Geistermeisterschaft, sportlicher Wettbewerb, der, bedingt durch die COVID-19-Pandemie, ohne Zuschauer
Geisterturnier stattfindet
Geistermodus Veranstaltungsart, bei der, bedingt durch die COVID-19-Pandemie, keine Zuschauer anwe-
send sind
Geisterrennen sportlicher Wettbewerb im Laufen oder Fahren, der, bedingt durch die COVID-19-Pande-
mie, ohne Zuschauer stattfindet
Geisterspieltag Spieltag in der deutschen Fußballbundesliga, an dem die Begegnungen, bedingt durch die
COVID-19-Pandemie, ohne Publikum stattfinden
Geisterticket virtuell erworbene Eintrittskarte, die statt des Besuchs einer Veranstaltung zur finanziel-
len Unterstützung des Veranstaltungsbetreibers bzw. der Mitwirkenden dient
Geisterveranstaltung (meist sportliches) Event, bei dem aufgrund äußerer Umstände kein Publikum anwesend
sein kann oder möchte
Tab. 3: Wortschatz zum Thema „Sport“ in der Liste Neuer Wortschatz rund um die Coronapandemie
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Sprachkultur und Sprach- Name, Vorname Heft 2 / 2021
verständnis. 37. Jahrgang
Straße, Nummer
1 30 42
Carolin Müller-Spitzer Marco Gierke / Laurenz Kornfeld / Astrid Adler / Maria Ribeiro Silveira
Zahlungsart Geschlechtergerechte Sprache: Sarah Torres Cajo Welche Dialekte werden in der
Ich bezahle die Jahresrechnung per Bankeinzug. Ich ermächtige das IDS, den Rechnungsbetrag von 10,- € von meinem Zumutung, Herausforderung, Das Internationale Doktorand- Familie weitergegeben?
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Sprache in Politik und Gesell- Valerie Michaux / Eine Linguistin denkt nach über
BIC
schaft. Perspektiven und Josefine Méndez / Heiner Apel den Genderstern
Zugänge. Bericht von der Mündlich Gendern? Gerne. Aber
57. Jahrestagung des Leibniz- wie genau? Ergebnisse einer 52
Instituts für Deutsche Sprache Akzeptanzuntersuchung zu Christine Möhrs
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März 2021 Mündlichkeit (Aus der Rubrik Neuer Wort-
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