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Religiöser Ursprung des Sexismus

„Ich erlaube aber einer Frau nicht zu lehren, auch nicht über den Mann zu herrschen, sondern ich will,
dass sie sich in der Stille halte, denn Adam wurde zuerst gebildet, danach Eva; und Adam wurde nicht
betrogen, die Frau aber wurde betrogen und fiel in Übertretung. Sie wird aber durch das Kindergebären
gerettet werden, wenn sie bleiben in Glauben und Liebe und Heiligkeit mit Sittsamkeit.“ 1
Das Kind sitzt da, im Unterricht, die Langeweile überrollt es. Es greift in seine Tasche, in der Hand hat
es ein Lineal und einen Radiergummi. Daraus baut es eine Wippe, ganz klein und einfach. Wenn das
Kind es geschafft hat, dass die mit Lineal und Radiergummi gebaut Wippe in Gleichgewicht ist, hat es
den emotionalen Höhepunkt im Unterricht erreicht. Zwei Kräfte, die gegeneinanderstehen und sich
durchgehend bestimmen, trotzdem einzeln sind. Sind sie ausgeglichen, kehrt Ruhe ein. Diese Ruhe ist
so oft erstrebt. Vom Kind und von allen anderen. Ein perfektes Gleichgewicht. Stabilität.
So erzählen es viele Geschichten, auch die biblische Schöpfungsgeschichte von Gott, der Mann und
Frau als einzelne schuf,2 damit sie sich dann zusammentun und eins werden.3 Sie sollen zusammen im
Gleichgewicht leben.
Es ist unumstritten, dass dieses Gleichgewicht gestört ist. Sexismus4 ist fast überall spürbar 5 – man
findet ihn selbst in der Kirche, obwohl vor Gott alle Menschen gleich sein sollen.6 Beschränkt man sich
nur auf die katholischen Christen so sieht man Frauen*7, welche nicht die Position des Priesters und erst
recht nicht die des Papstes einnehmen dürfen.8 Die Kirche ist sexistisch. Aber wollte das Gott so?
Als Legitimation für dieses Ungleichgewicht, für die Abwertung der Frau*, bezieht man sich auf Jesus,
unter dessen Aposteln keine Frauen* zu finden sind und auf das erste Buch Mose. Genesis ist nicht nur
der Punkt, an dem sich die Geschlechter, sondern auch die Geister scheiden. Da die in der Bibel
gesammelten Texte von unterschiedlichen Verfassern aus unterschiedlicher Zeit sind, gibt es zwei
Geschichten der Schöpfung. Im ersten Kapitel geht es um die populärere der beiden Geschichten, in der
Gott die Welt in sieben Tagen erschafft. Im zweiten Kapitel – respektive der zweiten Geschichte – wurde
das Fundament für Sexismus gesetzt. Der hebräische Originaltext benutzt oft Wortspiele, welche aber
in den Übersetzungen unter gehen. Im neuen Testament geht man davon aus, wie im obigen Bibelzitat
aus dem Buch Tim gezeigt, dass Eva aus Adam, folglich die Frau aus dem Mann geschaffen wurde.
Jedoch steht im Originaltext etwas anderes geschrieben. Wir kennen Adam als Eigenname des ersten
Menschen und Mannes. Damals wurde das hebräische Wort 'adam aber für Erdling/Mensch genutzt,
abgeleitet von 'adamah, dem Erdboden. Hierbei sollte kenntlich gemacht werden, dass der Mensch aus
Erde geschaffen wurde. Demzufolge wollte Gott lediglich einen Menschen aus dem Erdboden schaffen,
aber ihm noch kein Geschlecht geben. Später entnahm er diesem Wesen dann eine Rippe. Aus dieser
wurde 'ischah, die Frau und der Rippenlose Erdling zu 'isch, dem Mann. Es lässt sich deutlich erkennen,

1
1 Tim 2,12-15
2
Genesis 1,27
3
Genesis 2, 27
4
Definition: Vorstellung, nach der ein Geschlecht dem anderen von Natur aus überlegen sei, und die [daher für
gerechtfertigt gehaltene] Diskriminierung, Unterdrückung, Zurücksetzung, Benachteiligung von Menschen,
besonders der Frauen, aufgrund ihres Geschlechts. https://www.duden.de/rechtschreibung/Sexismus , letzter
Zugriff: 10.05.2021.
5
https://www.bmfsfj.de/resource/blob/141246/6e1f0de0d740c8028e3fed6cfb8510fd/sexismus-im-alltag-
pilotstudie-data.pdf , letzter Zugriff: 09.05.2021.
6
Galater 3,28
7
Im Text findet man das Gendersternchen, um zu zeigen, dass alle Frauen* und Männer*, also beispielsweise
auch Transfrauen, eingeschlossen werden. Auf diese Kennzeichnung wird verzichtet, wenn sich auf die biblische
Schöpfungsgeschichte bezogen wird, da es hier im historischen Kontext nicht erforderlich ist.
Des Weiteren wird aufgrund des historischen/biblischen Kontext auch nur auf diese beiden Geschlechter
eingegangen. Damit soll niemand diskriminiert oder verletzt werden.
8
https://taz.de/Debatte-Religion-und-Sexismus/!5366884/
, letzter Zugriff: 09.05.2021
dass Mann und Frau sowohl gleichzeitig, als auch aus dem gleichen geschaffen wurden.9 Dieser Teil
der Geschichte ergibt ebenfalls in Verbindung mit der ersten Schöpfungsgeschichte Sinn. Hier entsteht
der Mensch in einem Atemzug gleichzeitig als Mann und Frau aus Gottes Hand.10
Leider ist damit die Erzählung nicht beendet. Die Grammatik und die Logik der Geschichte befinden
sich in einem Kampf, welcher in den nächsten Sätzen deutlich hervortritt. Die erste Sprechhandlung
eines menschlichen Wesens in der Bibel erfolgt, nachdem die Rippe aus der Seite des 'adam genommen
wurde. Demzufolge sollte hier eigentlich stehen, dass der Mann, also 'isch spricht. Im Bibeltext ist dies
aber nicht der Fall. Es steht geschrieben, dass der Mensch, 'adam, etwas sagt. Hier ist von 'adam die
Rede, obwohl ihm schon die Rippe fehlt und er somit zu 'isch geworden ist. Im weitere Sprechverlauf
behauptet er dann zusätzlich, dass die Frau aus ihm geschaffen sei. Dieser erste Ausruf des Menschen
ist ein hoch problematischer, da er direkt die Abhängigkeit der Frau von dem Mann konstruiert. Denn
jetzt ist das Menschenwesen zwar ein Mann, aber davor, während der Operation, war er ein
ungeschlechtliches Wesen. Somit behauptet diese Bibelstelle nicht nur, dass die Frau aus dem Mann
entstanden ist, sondern stellt gleichzeitig den Mann mit 'adam gleich. Also ergibt die Geschichte hier
nicht nur sehr wenig Sinn, sondern zeigt auch mehrfache falsche Übersetzung und einen der Ursprünge
des Sexismus.
Dieser Anfang ist in der Bibel nicht nur der Anfang der Welt, sondern auch der Anfang der
Unterordnung der Frau*. Wenige Zeilen später findet man das noch einmal deutlich hervorgehoben.
Denn hier spricht Gott davon, dass die Frau den Mann lieben und der Mann über sie herrschen soll.11
An diesem Punkt ist es naheliegend, über die Umstände der Schreiber nachzudenken. Sie lebten in einem
Patriarchat und kannten es nicht anders. Wollte es Gott so haben oder die Schreiber? Es gibt also zwei
Komponenten, die das Geschriebene beeinflussten, in einer Wechselwirkung. Die Gesellschaft, die die
Schreiber der Bibel und damit die Schrift selbst beeinflussen. Und die heilige Schrift, auf die sich die
Gesellschaft beruft, um Normen oder Einstellungen eine Daseinsberechtigung zu geben.
Ein weiteres Beispiel für diese Wechselwirkung der Kräfte bildet die Septuaginta. In den Schriften tritt
Gott in unterschiedlichen Weisen oder Wesen auf – meistens als Vater oder Hirte. Es gibt aber auch
weibliche Gottesmetaphorik, Gott als Bärin, Mutter oder Hausfrau. In den ursprünglichen hebräischen
Texten findet man das Wort rûaḥ, was so viel wie Wind, Geist und Lebenskraft bedeutet (es hat noch
viel mehr Bedeutungsnuancen, welche aber nur schwer übersetzt werden können).12 Heute wird es meist
mit „Geist“ übersetzt. Damals war es nicht nur grammatikalisch feminin, sondern wurde ebenfalls
inhaltlich weiblich* beschrieben. In der ersten griechischen Übersetzung wurde dann pneuma, ein
Neutrum, daraus und später im Latein spiritus, maskulin.13 Damit ging nicht nur die weit umfassende
Bedeutung, sondern auch die Weiblichkeit* verloren. Ähnliches passierte mit sophia, der Weisheit, doch
hier wurde nicht der Sinn verändert, sondern sie ist schlicht weg in den Hintergrund getreten.
Daraus entstand ein Teufelskreis gegen den Willen Gottes. Die Geschichten, in denen Gott mit
Weiblichkeit* verbunden wurde, gingen unter. Diese und auch die Übersetzungen wurden von
Männern* verfasst, Männer* vermännlichten viel, Männer* verbreiteten nichts, was der
Männer*herrschaft schaden könnte und diese Männer* nutzten das, was sie selbst geschrieben haben,
um ihre Privilegien zu rechtfertigen. Widersprüche von Frauen*, die aufkamen, wurden unterdrückt.
Beispielsweise beschäftigten sich schon im 17. Jahrhundert Frauen* mit der Auslegung der

9
https://bibliographie.uni-tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/93288/Wacker_173.pdf?sequence=1 ,
letzter Zugriff: 10.05.2021
10
Genesis 1,27
11
Genesis 3,16
12
https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/geist-
at/ch/b8bb01260d6c027fc953d5b2a186f0f4/
, letzter Zugriff: 09.05.2021
13
https://elibrary.utb.de/doi/pdf/10.3224/fzg.v9i2.11 , letzter Zugriff: 10.05.2021
Schöpfungsgeschichte, aber kaum jemand hat von diesen Frauen* gehört.14 Den Männern* wurde
geglaubt, denn warum sollte man einem so hohen Mann*, wie dem Papst misstrauen? Sehr vorteilhaft,
dass Frauen* eine solche Position nicht einmal einnehmen durften und dürfen.
„… Hier ist nicht Mann noch Frau, denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,28) Gottes
Wunsch nach Gleichgewicht wurde nicht erfüllt.
Man/frau ist nun auf dem Weg an diesen Punkt der scheinbaren Verzweiflung angekommen. Wir
befinden uns in einem Teufelskreis des Sexismus. Weder ist dieses Problem neu entdeckt, noch
unlösbar. Das Gleichgewicht muss hergestellt werden und dafür müssen beide Seiten auf einander
zukommen. Hier muss vor allem das Wissen oder die eigenen Prinzipien und Privilegien hinterfragt
werden. Man/frau muss die gesellschaftlichen Missstände und die Macht, die Religion und Sprache
haben, erkennen. Es lohnt sich zurückzuschauen und anzufangen, wo es begonnen hat. Nicht nur das
Kind mit der Wippe macht ein Gleichgewicht glücklich, sondern es macht auch unsere Gesellschaft und
unser Leben stabil.

Quellen:

Lutherbibel 2017

Duden Sexismus: https://www.duden.de/rechtschreibung/Sexismus

Sexismus im Alltag:
https://www.bmfsfj.de/resource/blob/141246/6e1f0de0d740c8028e3fed6cfb8510fd/sexismus-im-
alltag-pilotstudie-data.pdf

Taz: Der Salafismus in der Katholischen Kirche: https://taz.de/Debatte-Religion-und-


Sexismus/!5366884/

Gender Trouble im Paradies, Marie-Theres Wacker: https://bibliographie.uni-


tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/93288/Wacker_173.pdf?sequence=1

Bibellexikon „Geist“ im Alten Testament: https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-


bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/geist-at/ch/b8bb01260d6c027fc953d5b2a186f0f4/

Gender Studies und Theologie, Angela Kaupp: https://elibrary.utb.de/doi/pdf/10.3224/fzg.v9i2.11

14
https://bibliographie.uni-tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/93288/Wacker_173.pdf?sequence=1
letzter Zugriff: 09.05.2021

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