Sie sind auf Seite 1von 2

19

Agonie des
Denkens
Byung Chul-Han gilt als der Philosoph der Stunde.
Wie konnte es dazu kommen?

VON JENS-CHRISTIAN RABE Idee aufgehe". Die tumbe Masse wieder-


um wird dann verstörenderweise gefeiert
yung-Chul Han, ein Essayist, Zeitdi- als das 'gute Gegenteil des ,,digitalen
agnostiker und Philosophie-Profes- Schwarms", denn: ,,In der Masse besitzt
sor an der Berliner Universität der der Einzelne keine Kontur, kein eigenes
Künste, gilt inzwischen nicht wenigen als Profil. Er geht in ihr ganz auf. Er ist kein
neuer intellektueller Star. Fünf Bücher be- Ego." Der Mann würde für eine steile The-
reiteten in den vergangenen drei Jahren se wirklich seine Mutter verkaufen. Hier
den Weg zum Ruhm: ,,Müdigkeitsgesell* wird also im Zeichen der populistischen
schaft" (zoro), ,,Topoiogie der Gewalt,, Netzkritik und unter dem Deci<mantel der
(zott), ,,shanzhai - Dekonstruktion auf Rettung des Politischen mai eben im reakti-
Chinesisch", und zuletzt 2012 i,Transpa- onären Affekt die hart errungene Grundla-
renzgesellschaft" und ,,Agonie des Eros". ge der westlichen Demokratie über Bord
Byung-Chul Hans Auftritte sind gut be- geworfen.
sucht, das öffentlich-rechtliche Fernsehen Im großen Ressentiment-Preisschie-
produziert ehrfürchtige Poriräts, und ein ßen ist das allerdings ein beliebtes Manö-
paar derwichtigsten Blätter des Landes las- ver. Nichts ist dem Kulturpessimisten
sen sich von ihm die Welt erklären. Aber mehr zuwider als die zähen prozesse der li-
auch wenn man den nun erscheinenden, beralen Demokratie. Konsense sind für ihn
kaum vierzig kleine Seiten langen neuen grundsätzlich faule Kompromisse.
Essay Byung-Chul Hans iiest, der ,,Digitale Im Text soll dann ein langes Zitat des
Rationalitätund das Erbe des kommunika- r991 gestorbenen Medienphilosophen
tiven Handelns" heißt, fragt man sich: Wie Vil€m Flusser ein Beleg für den,,medial be-
konnte es eigentlich so weit kommen? dingten Zerfall des öffentlichen Raumes*
Denn was hier Philosophie sein soll, sein. Das Problem ist nur: Vil6m Flusser
ernst gemeintes Denken, ist nichts als die hat genauso assoziativ hypothetisch philo-
Befriedigung eines Publikums, das nicht sophiert wie Byung-Chul Han. Dass er ein
gedankiich herausgefordert, sondern nur paar Jahre früher eine ähnliche Idee hatte,
immerwieder in seiner gefühltenAbscheu beweist deshalb leider nicht sehr viel.
vor der Gegenwart bestätigt werden will. Außer vielleicht, dass in Großkollektiven,
Früher war mehr Lametta. Los geht es wie eswestiiche Demokratienseit einer gu-
gleich mit der These, dass im Netz all das tenWeile nun einmal sind, keine heimeiige
zerfillt, was wir unter Öffentlichkeitverste- Polis-Demokratie mehr mögüch istwie im
hen. Sie wird leider als so selbstverständ- alten Athen mit seinen 5ooö Bürgern. Das
lich angesehen, dass keine weitere Begrün- freilich ist nicht gerade eine bahnbrechen-
dung geliefert wird. de Erkenntnis.
Aber - und hier fangen die Probleme die- Überraschenderweise bekam Byung-
ses Denkens schon an.- stimmt das denn? Chul Han hierjedoch offenbar Skrupel gä-
Was kann man heute sinnvollerweise über- genüber seinem eigenen Klischee. Viel-
haupt unter Öffentlichkeit verstehen? Und ieicht langweilten ihn endlich auch seine
woran lässt sich unzweifelhaft ihr Verfall immer gleichen Intuitionen, seine pseudo-
festmachen? All das wüsste man doch ger- Plausibilitäten. Jedenfalis wili er plötzlich
ne erst einmal genauer, denn alles \Meitere den Zerfall des öffentlichen Raumes ins
steht und fällt damit, ob diese These rich- ,,Positive wenden" und fragt sich, ob nicht
tig oder falsch ist. so etwas wie eine ,,schwarmdemokratie"
denkbar sei, eine ,,unsichtbare Hand impo-
Mit kulturpessimistischem Iitischen", der es mögiich ist, ,,Egos, die
Herumgemeine wird man zum nicht miteinander kommunizieren, doch
zusammenzuführen und zu politisieren,.?
Star der Zeitdiagnose Kurz: Ist eine ,,repräsentative Demokraiie
denkbar, die ohne Partei" auskommt?
Nun ist der rg5g in Seoul geborene Han, Hier hätte es - so man der Zerfallshypo-
der rgg4 in Freiburg promoviert wurde these einmal probehalber zustimmt - in-
und sich 2ooo in Basel habilitierte, natür- teressant werden können. Hätte. Aber um
lich nicht der einzige Zeitdiagnostiter, der die peinliche Angelegenheit abzukürzen:
sich durch eine kleine Reeherche eine gro- Mehr als die gute Frage, ein paar Seiten
ße These nicht kaputt machen lässt. Aber Habermas-Referat, einbisschen tlilfs-Psy-
er tut es besonders dreist. Man kann hier choanalyse (,,Jedes neue Medium offen-
kaum vierzig kleine Seiten langen neuen grundsatzllch laule Kompromrsse.
- Im Text soll dann ein langes Zitat des
Essay Byung-Chul Hans liest, der ,,Digitale
Rationaiität und das Erbe des kommunika- 1991 gestorbenen Medienphilosophen
tiven Handelns" heißt, fragt man sich: Wie Vil6m Flusser ein Beleg für den,,medial be-
konnte es eigentlich so weit kommen? dingten Zerfall des öffentlichen Raumes"
Denn was hier Philosophie sein soll, seiri. Das Problem ist nur: Vii6m Flusser
ernst gemeintes Denken, ist nichts als die hat genauso assoziativ hypothetisch philo-
Befriedigung eines Publikums, das nicht sopfiiert wie Byung-Chul Han. Dass er ein
gedanklich herausgefordert, sondern nur paar Jahre früher eine ähnliche Idee hatte,
immerwieder in seiner gefühltenAbscheu teweist deshalb leider nicht sehr viel.
vor der Gegenwart bestätigt werden will. Außer vielleicht, dass in Großkollektiven,
Früher war mehr Lametta. Los geht es wie eswestliche Demokratienseit einer gu-
gleich mit der These,.dass im Netz all das tenWeile nun einmal sind, keine heimelige
zerfällt, was wir unter Offentiichkeit verste- Polis-Demokratie mehr rnöglich ist wie im
hen. Sie wird ieider als so selbstverständ- alten Athen mit seinen 5ooo Bürgern. Das
lich angesehen, dass keine weitere.Begrün- freilich ist nicht gerade eine bahnbrechen-
dung geliefert wird. de Erkenntnis.
Aber - undhierfangen die Probleme die- überraschender-weise bekam Byung-
ses Denkens schon an - stimmt das denn? Chul Han hierjedoch offenbar Skrupel ge-
Was kann man heute sinnvollerweise über- genüber seinem eigenen Klischee. Viel-
haupt unter Öffentlichkeit verstehen? Und t-eicht langweilten ihn endlich auch seine
worän lässt sich unzweifelhaft ihr Verfa[ immer gleichen Intuitionen, seine Pseudo-
festmachen? All das wüsste man doch'ger-
plausibilitäten. Jedenfalis wili er plötzlich
ne erst einmal genauer, denn alles Weitere den Zerfall des öffentlichen Raumes ins
steht und fälit damit, ob diese These rich- ,,Positive wenden" und fragt sich, ob nicht
tig oder falsch ist. io etwas wie eine ,,schwarmdemokratie"
denkbar sei, eine ,,unsichtbare Hand im Po-
Mit kulturpessimistischem litischen", der es möglich ist, ,,Egos, die
nicht miteinander kommunizieren, doch
Herumgemeine wird man zum zusammenzuführen und zu politisieren"?
Star der Zeitdiagnose Kurz: Ist eine ,,repräsentative Demokratie
denkbar, die ohne Partei" auskommt?
Nun ist der t959 in Seoul geborene Han, Hier hätte es - so man der Zerfailshypo-
der rgg4 in Freiburg promoviert wurde these einmal probehalber zustimmt - in-
und sich 2ooo in Basel habilitierte, natür- teressant werden können. Hätte. Aber um
Iich nicht der einzige Zeitdiagnostiker, der die peinliche Angelegenheit abzukürzen:
sich durch eine kleine Recherche eine gro- Metrr als die gute Frage, ein paar Seiten'
ße These nicht kaputt machen 1ässt. Aber Habermas-Referat, ein bisschen Hilf s-Psy-
er tut es besonders dreist' Man kann hier choanalyse (,,Jedes neue Medium offen-
sehen, was philosophische Zeitdiagnostik bart ein Unbewusstes") und der llinweis
ohne Soziologie oder auchnur einminirna- auf die Existenz einer Big-Data-Diskussi*
ies empirisches Interesse ist: idiosynkrati- on über die Auswertrrng der mittlerweiie
sche Schwafelei, haltloses Herumgemeine' verfügbaren Datenmassen, wird nicht
Und damit im Übrigen auch exakt das, was mehr geboten. Mit anderenWorten: Byung-
- noch so eine Han'sche These - doch erst Chul Han hält eine repräsentative Demo-
zum,,Zerfall der Öffentlichkeit" geführt ha- kratie ohne Parteien für denkbar. Begrün-
ben soll: ,,Entpolitisierend", schreibt er, den kann er diese Ansicht nicht' Dazu wäre
wirke die ,,Vereinzelung und Egoisierung" auch etwas mehr nötig gewesen als der
der ,,Netzteilnehmer". Wie jetzt? Der Philo- zwanghafte Drang, der kulturpessimisti-
soph darf haltlos herummeinen, bei den schen Masse zu gefallen. Wissbegier zum
,,Netzteilnehmern" aber führt es gerade- Beispiel. Echtes Interesse daran, wie
wegs in die KatastroPhe? genau die Datenauswertung.politisch wirk-
Lieblingssport B1'ung-Chul Hans ist es, iam werden könnte. Stattdessen gibt es
immer irgendeine, selbstverständlich hier am Ende doch wieder nur eine schale
nichtswürdige Geselischaft auszurufen: kulturpessimistische Pointe: Die Politiker,
Tranzparenzgesellschaft, Kontroilgesell- so Byung-Chul Han, würden ln Zukunft
schaft, Pornogesellschaft. Im neuen Essay nicht rnehr im Parlament, sondern vor
solien wir eine,,Meinungsgesellschaft" dem Bildschirm sitzen, um zu erfahren,
sein, in der unglückiicherweise,jeder Ein- wie die vielen Egos so ticken, die sie regie-
zelne seine individuelle Meinung haben ren sollen.
kann". Ja, wo kämen wir denn auch hin, Jeder Westentaschen-Pessimismus
wenn in einer Geseilschaft, in der die Mei- braucht offenbar einen, der ihn als Er-
nungsfreiheit herrscht, auch noch tatsäch- kenntnis verkauft..Und wenn er ein paar
lich leder davon Gebrauch macht? Journalisten dazu bringen kann, ihm zu
Der irre Stil Byung-Chul Hans, eine Art glauben, dann wird er zum Philosophen
Hauptsatzbeschuss, der keine Belege äer Stunde ernannt. YiPPie.
kennt, tut das Übrige. Was der Autor wohl
sagen wi1l, ist, dass das Netz, in das er au-s
Gründen, die er selbst haum kennen dürf-
te, gleich leichterhand die gesamte demo-
kraiische Öffentlichkeit abgewandert
sieht - dass dieses Netz keine Welt ist, in Byung-Chul Han: Digitale
der die Ansichten der alten Voiksparteien Rationalität und das

ffi
den Ton angeben. Vielmehr kann dort je- Ende des kommunikativen
der tun und lassen, was er will. Unerhört. Handelns. Gedanken
Denn, so Han, ebendies habe die Folge, zur Krise der Demokratie.
dass im Netz keine ,,politische Masse" ent- Matthes & Seitz, Berlin 20t3.
stehen könne, die ,,in einer politischen 44 Seiten, 5 Euro.

Das könnte Ihnen auch gefallen