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Stand: 25.03.2021
Verbundvorhaben: enera
Förderprogramm: Schaufenster Intelligente Energie (SINTEG)
Förderkennzeichen: 03SIN300-03SIN325; 03SIN327-03SIN330; 03SIN332
Laufzeit des Vorhabens: 01.01.2017 - 31.03.2021
Verantwortlich für den Inhalt: Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt beim
Autor.
Herausgeber: EWE Aktiengesellschaft
Tirpitzstraße 39, 26122 Oldenburg
In Zusammenarbeit mit den Verbundpartnern, siehe Liste des Konsor-
tiums zum Projekt enera
Gefördert durch:
Verbundpartner Absprechpartner
Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Energiewirtschaft Herr Simon Voswinkel
Universitätsstr. 2
45141 Essen
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR) , Institut für Ver- Herr Rassmus Völker
netzte Energiesysteme
Carl-von-Ossietzky-Str. 15
26129 Oldenburg
EWE NETZ GmbH Frau Madeline Cassens
Konradstraße 30
26131 Oldenburg
SAP AG Herr Zoltan Nochta
Vincenz-Priessnitz-Str. 1
76131 Karlsruhe
PHOENIX CONTACT Energy Automation GmbH, Industry Management and Herr Dirk Riesenberg
Automation
Am Rosenhügel 1-7
42553 Velbert
OFFIS e.V. - Institut für Informatik , FuE Bereich Energie Frau Christine Rosinger
Escherweg 2
26121 Oldenburg
Power Plus Communications AG Herr Fabian Karl
Dudenstraße 6
68167 Mannheim
TenneT TSO GmbH Herr Steffen Hofer
Bernecker Str. 70
95448 Bayreuth
energy & meteo systems GmbH Herr Thomas Klose
Oskar-Homt-Str. 1
26131 Oldenburg
IABG mbH , Zertifizierte Prüfstelle CT04 Herr Konrad Rosmus
Einsteinstraße 20
85521 Ottobrunn
the peak lab. GmbH & Co. KG Herr Sascha Derschewsky
Alter Stadthafen 3b 3b
26122 Oldenburg
EWE VERTRIEB GmbH Herr Alexander Heilmann
Cloppenburger Str 318
26133 Oldenburg
Jacobs University Bremen gGmbH, Southhall Herr Dr. Marius Buchmann
Campus Ring 1 1
28759 Bremen
15. Abbildungen
356
18. Kurzfassung
Ziel von enera war es, Musterlösungen für eine klimafreundliche, wirtschaftliche und zuverlässige Energieversorgung nicht nur zu
entwickeln, sondern auch unter realen Bedingungen zu demonstrieren.
In der enera Modellregion wurden über vier Jahre zahlreiche Bausteine für das Energiesystem der Zukunft erprobt. Netzbetreiber
konnten auf ein größeres smartes Instrumentarium zugreifen, um mehr Erneuerbare Energie zu integrieren. Eine umfassende
Digitalisierung legte den Grundstein für neue, datenbasierte Geschäftsmodelle. Und wenn Wind und Sonne für zu viel Strom im
Netz sorgten, ließen sich Engpässe über einen börsenbasierten Markt auflösen.
enera war eines von fünf Projekten des „Schaufensters intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende“ (SINTEG).
Das Förderprogramm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) zielt auf Lösungen für eine umweltfreundliche,
effiziente und sichere Energieversorgung auf regenerativer Basis. Hierfür hat enera einen systemischen Lösungsansatz
entwickelt, der die Bereiche Netz, Markt und Daten verknüpft. Als eines der ersten Vorreiter für Reallabore hat enera Lösungen für
die Energiewende unter praxisnahen Bedingungen in einem Modellgebiet demonstriert. Gemeinsam mit Akteuren der Region
haben die Konsortialpartner ein digitales, transparentes und intelligent vernetztes Energiesystem geschaffen.
Dieser Abschlussbericht gibt im ersten Teil, dem enera Projektmagazin, einen Überblick zum Projekt enera. Die Modellregion und
das Partnerkonsortium werden vorgestellt, ebenso die Aufgabenstellung, die Voraussetzungen sowie der Lösungsansatz von
enera, der um Handlungsempfehlungen ergänzt wird. Teil zwei dieses Berichts, das enera Projektkompendium, bietet einen
Einblick in die Arbeitspakete.
19. Schlagwörter
Energiewende, Digitalisierung, Flexibilität, Smart Data und Service Plattform; Energienetz; Verteilnetz, Flexibilitätsmarkt,
Bürgerbeteiligung, Smart Meter, Smart Grid Operator, Netzregler, Regulierung, Lernplattform
20. Verlag 21. Preis
- -
BMWi-Vordr. 3831/03.07_3
Anlage Liste des Konsortiums zum Projekt enera
Verbundpartner Absprechpartner
SAP AG
Vincenz-Priessnitz-Str. 1
76131 Karlsruhe Herr Zoltan Nochta
Software AG
Altenkesselerstrasse 17
66115 Saarbrücken Herr Marc Dorchain
BMWi-Vordr. 3831/03.07_3
Verbundpartner Absprechpartner
Schneiderkruger Str. 12
49429 Visbek
devolo AG
Charlottenburger Allee 67
52068 Aachen Herr Dirk Förmer
MicrobEnergy GmbH
Bayernwerk 8
92421 Schwandorf Frau Dr. Doris Schmack
Likron GmbH
Bülowstraße 27
81679 München Herr Dr. Henryk Pinnow
BTC
Escherweg 5
26121 Oldenburg Herr Dr. Michael Stadler
Theben AG
Hohenbergstraße 32
72401 Haigerloch Herr Ruwen Konzelmann
Avacon AG
Schillerstraße 3
38350 Helmstedt Herr Benjamin Georg Petters
BMWi-Vordr. 3831/03.07_3
Verbundpartner Absprechpartner
Bosch Software Innovations GmbH Herr Kai Hackbarth
Ullsteinstraße 128
12109 Berlin
ENERCON GmbH
Dreekamp 5
26605 Aurich Johannes Brombach
BMWi-Vordr. 3831/03.07_3
Document Control Sheet
18. abstract
It was enera’s goal to find a sample solution for a climate friendly, economical and reliable power supply and to not only develop
but also demonstrate this under real life conditions. Over four years enera trialled many components for the power system of the
future. Network operators were able to access a large collection of comprehensive instruments in their pursuit to integrate more
renewable energies. An extensive digitalisation was the start for new, databased business models. And if volatile weather
conditions created an excess of electricity on the network, they were able to balance out shortages with an exchange based
market. Enera was one of the five projects of “Schaufensters Intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende”
(SINTEG). The funding programme of the Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) is set on finding solutions for an
economic friendly, efficient and safe power supply with a regenerative base. To achieve this enera developed a systematic
approach which combines the network, market and data. As a pioneer of Real-World Laboratories, enera has demonstrated a
solution for the energy transition in a model area under practical conditions. Together with participants of that area the consortial
partners developed a digital, transparent, intelligent and connected power system. In this first part, enera Projektmagazine, an
overview of the enera project is given. The model area and the partner consortium are introduced as well as the task, the
conditions and enera’s solution approach, to which a recommendation for action is added. The second part of this report, the
enera Projectmedium, gives an insight into the tasks that need to be done.
19. keywords
energy transition, digitization, flexibility, smart data and service platform; energy network; distribution network, flexibility market,
public participation, smart meters, smart grid operators, network regulators, regulation, learning platforms
20. publisher 21. price
BMWi-Vordr. 3832/03.07_3
Anlage Liste des Konsortiums zum Projekt enera
SAP AG
Vincenz-Priessnitz-Str. 1
76131 Karlsruhe Zoltan Nochta
Software AG
Altenkesselerstrasse 17
66115 Saarbrücken Marc Dorchain
BMWi-Vordr. 3832/03.07_3
partner responsible contact person
devolo AG
Charlottenburger Allee 67
52068 Aachen Dirk Förmer
MicrobEnergy GmbH
Bayernwerk 8
92421 Schwandorf Dr. Doris Schmack
Likron GmbH
Bülowstraße 27
81679 München Dr. Henryk Pinnow
BTC
Escherweg 5
26121 Oldenburg Dr. Michael Stadler
Theben AG
Hohenbergstraße 32
72401 Haigerloch Ruwen Konzelmann
Avacon AG
Schillerstraße 3
38350 Helmstedt Benjamin Georg Petters
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partner responsible contact person
ENERCON GmbH
Dreekamp 5
26605 Aurich Johannes Brombach
++++
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GEMEINSAMER ABSCHLUSSBERICHT 2021
DES KONSORTIUMS
MEDIUM 1/2
enera PROJEKTMAGAZIN
Energie vernetzen.
Gefördert durch:
D
as Förderprogramm „Schaufenster In den vergangenen vier Jahren haben Expertinnen und
intelligente Energie – Digitale Agenda Experten in fünf über das gesamte Bundesgebiet verteil-
für die Energiewende (SINTEG)“ ist ten Modellregionen entwickelt und erprobt, wie unser
seiner Zeit voraus. Die bereits vor- zukünftiges Energiesystem versorgungssicher, wirtschaft-
liegenden Ergebnisse zeigen, dass es lich und nachhaltig aufgestellt werden kann. Dabei sind
technisch möglich ist, sehr hohe An- auch viele Konzepte und Ideen aus der digitalen Wirt-
teile von Strom aus Solar- und Wind- schaft für die Energiewirtschaft erschlossen worden. Die
energie in die Stromnetze zu integrie- Fachleute haben gezeigt, dass intelligente Netze durch
ren und einen sicheren Systembetrieb zu gewährleisten. den Einsatz digitaler Technologien auch bei zeitweise
Es wurden Soft- und Hardwarelösungen entwickelt, bis zu 100 Prozent Stromeinspeisung aus erneuerbaren
mit denen Erzeuger erneuerbarer Energien und Strom- Energien ein stabiles und sicheres System gewähr-
verbraucher in die Lage versetzt werden, einen Beitrag leisten können. Es sind innovative Blaupausen für den
zur Netzstabilität zu leisten. SINTEG bestätigt auch, zukünftigen Netzbetrieb und für neue Geschäftsmodelle
dass die Digitalisierung ein Schlüssel zum Gelingen der entstanden.
Energiewende ist.
Es freut mich besonders, dass SINTEG Forscherteams
aus allen Regionen Deutschlands zusammengebracht,
vernetzt und gemeinsames Vertrauen in neue Lösun-
gen geschaffen hat. Denn neue Erkenntnisse entstehen
häufig nur im Dialog. Kreative Lösungen zu entwerfen
und dann auch in der Realität zu erproben, ist ein
wichtiger Schritt auf dem Weg der Energiewende: SINTEG
hat dazu einen bedeutsamen Beitrag geleistet.
PETER ALTMAIER
Bundesminister für Wirtschaft und Energie.
Modellregion
→ 12
enera
Projekt
magazin
Inhalt
//
Ein Reallabor für
eine klimafreundliche,
wirtschaftliche und
zuverlässige Energie
versorgung.
ARBEITSPAKETE IN ENERA
71 Digitale Infrastruktur
146 Impressum
147 Partner
6 // ENERA UND DER NÄCHSTE GROSSE SCHRITT DER ENERGIEWENDE
Volatile Stromproduktion
wird weiter ausgebaut.
Elektrifizierung von
Wärme und Mobilität.
Flexibilität einsetzen,
um die Stromnetze zu
entlasten.
Verzögerter Netzausbau,
Zunahme von Engpässen
im Netz.
Virtuelles Kraftwerk
regionalisieren und
digitale Automatisierung
Neue dezentrale Elemente vorantreiben.
müssen effizient in das
Energiesystem integriert
werden.
Neue Konzepte für das
Engpassmanagement
entwickeln und innovative
Netztechnologien
einsetzen.
Digitale Konnektivität
schaffen
31
Konsortialpartner mit hun- Durch den wachsenden Anteil erneuerbarer, volatiler
derten Beteiligten, ein Budget Stromerzeugung und den verzögerten Ausbau der
von mehr als 170 Millionen Netze sind diese immer häufiger überlastet. Erzeugung
Euro sowie mehrere hundert und Last sind ungleich verteilt. Auf dem Strommarkt
Arbeitsschritte, die in bestimmt lediglich der Preis den Zuschlag für die
13 Arbeitspaketen gebündelt Erzeugung, nicht aber der Standort. Um mehr Erneuer-
sind – enera ist eines der um- bare Energie in das System zu integrieren, sind innovati-
fangreichsten Förderprojekte in ve Lösungen für das Engpassmanagement gefragt.
Deutschland. Größe und Komplexität ergeben sich aus
der Aufgabenstellung: Musterlösungen für eine klima- Mit dem enera Flexmarkt konnten Netzbetreiber über
freundliche, wirtschaftliche und zuverlässige Energie- eine Handelsplattform der EPEX SPOT flexible Wirk-
versorgung nicht nur zu entwickeln, sondern auch unter leistung genau für den Ort beschaffen, an dem eine
realen Bedingungen zu demonstrieren. Überlastung des Netzes droht. Zuvor wurden an der
Börse nur Verträge gehandelt, die durch Ein- oder Aus-
In der enera Modellregion wurden über vier Jahre zahl- speisung von Strom an einem beliebigen Ort innerhalb
reiche Bausteine für das Energiesystem der Zukunft Deutschlands erfüllt werden können. Mit Einführung
erprobt. Netzbetreiber konnten auf ein größeres smartes einer lokalen Komponente im Energiehandel wurde die
Instrumentarium zugreifen, um mehr Erneuerbare Grundlage dafür gelegt, dass Netzbetreiber die Märkte
Energie zu integrieren. Eine umfassende Digitalisierung für ihr Engpassmanagement nutzen können. Enera hat
legte den Grundstein für neue, datenbasierte Geschäfts- gezeigt, dass die Börse mit Sitz in Paris auch Order-
modelle. Und wenn Wind und Sonne für zu viel Strom im bücher für kleine Netzbereiche, beispielsweise rund
Netz sorgten, ließen sich Engpässe über einen börsen- um ein Umspannwerk in Ostfriesland, integrieren kann.
basierten Markt auflösen. Über die Handelsplattform werden vor Ort →
8 // ENERA UND DER NÄCHSTE GROSSE SCHRITT DER ENERGIEWENDE
Nutzer für Strom gefunden, der sonst abgeregelt werden zusätzliche Wertschöpfungskette, die grundlegende Ver-
müsste. So können die bestehenden Netze mehr er- änderungen mit sich bringt. Als Abnehmer von Energie
neuerbar erzeugte Energie aufnehmen. Dass präventives werden Endkunden zugleich zu Produzenten von Daten.
anstelle von kurativem Engpassmanagement über alle
Spannungsebenen hinweg sowohl technisch als auch enera ist eines von fünf Projekten des „Schaufensters
prozessual funktioniert, ist ein zentrales Ergebnis des intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energie-
Projekts. wende“ (SINTEG). Das Förderprogramm des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) zielt
Der Flexmarkt basiert wie viele weitere in enera erarbei- auf Lösungen für eine umweltfreundliche, effiziente
tete Lösungen auf einer umfassenden Digitalisierung und sichere Energieversorgung auf regenerativer
und technischen Flexibilisierung der Modellregion. Basis. Hierfür hat enera einen systemischen Lösungs-
In Haushalten, Betrieben und im Netz installierte ansatz entwickelt, der die Bereiche Netz, Markt und
Kommunikations- und Messtechnik macht Stromflüsse Daten verknüpft. Als eines der ersten Vorreiter für
und Netzzustände transparent und Anlagen steuer- Reallabore hat enera Lösungen für die Energiewende
bar. Eine zentrale, eigens in enera entwickelte IT-Platt- unter praxisnahen Bedingungen in einem Modellgebiet
form führt eine Vielzahl von Daten aus unterschied- demonstriert. Gemeinsam mit Akteuren der Region
lichen Quellen zusammen. Indem diese Massendaten haben die Konsortialpartner ein digitales, transparentes
kombiniert und miteinander in Bezug gesetzt werden, und intelligent vernetztes Energiesystem geschaffen.
ermöglichen sie völlig neuartige Produkte und Services.
So werden Apps sekundenschnell mit Energie- Dieser Abschlussbericht gibt im ersten Teil einen Über-
verbrauchsdaten versorgt, kleinteilige Flexibilitäts- blick zum Projekt enera. Die Modellregion und das
geschäfte effizient nachvollzogen und komplexe Muster Partnerkonsortium werden vorgestellt, ebenso die Auf-
mit modernsten Data-Science-Methoden identifiziert. gabenstellung, die Voraussetzungen sowie der Lösungs-
ansatz von enera, der um Handlungsempfehlungen er-
Daten bilden die Grundlage für innovative Geschäfts- gänzt wird. Teil zwei dieses Berichts bietet einen Einblick
modelle, von denen viele branchenübergreifend mit in die Arbeitspakete. Ein gesonderter dritter Teil enthält
New-Economy-Unternehmen entwickelt wurden. Mit der im Projekt entwickelte Lösungselemente, die im Detail
Digitalisierung entsteht in der Energiewirtschaft eine vorgestellt werden. //
9
// 2
// 3
// 4
// 5
// MODELLREGION 1
Emden
Landkreis Aurich
Landkreis Friesland
Landkreis Wittmund
2018
2017 EPEX SPOT und EWE schließen
Vereinbarung zum Aufbau
einer Intraday-Flexibilitäts-
plattform
// AP 07, S. 112
// AP 11, S. 128
//
JAN FEB MÄR APR MAI JUN JUL AUG SEP OKT NOV DEZ JAN FEB MÄR APR MAI JUN JUL AUG SEP OKT NOV DEZ
// AP 06, S. 106
// AP 09, S. 122
AP = ARBEITSPAKET
2019
2020
Die SDSP ist jetzt die Daten-
drehscheibe für die enera
Apps Nachweisplattform,
Flexregister und Verbrauchs- Der 210. Regelbare Ortsnetz-
visualisierung trafo wird in Remels verbaut
// AP 02, S. 78
// AP 04, S. 86
JAN FEB MÄR APR MAI JUN JUL AUG SEP OKT NOV DEZ JAN FEB MÄR APR MAI JUN JUL AUG SEP OKT NOV DEZ
//
enera Partner stellen beim Erster Windpark ist für
Bundeswirtschaftsministerium STATCOM-Funktionalität Auswirkungen und Übertrag-
Thesenpapier für den energie- (erweiterte Blindleistungs- barkeit der enera Ansätze zum
wirtschaftlichen Rahmen der stellfähigkeit) ertüchtigt aktiven Verteilnetzbetrieb
Zukunft vor wurden in Systemstudien
// AP 05, S. 102 untersucht
// AP 08, S. 138
//
STATCOM-Container in
Erste reale Engpassauflösung Werlte aufgestellt, um dem Spitzenkappungsregler in
am Umspannwerk Manslagt Verteilnetz Blindleistungs- Wiesmoor erstmalig in Betrieb
durch EWE NETZ flexibilitäten bereitzustellen genommen
Küstenland voller
Energie: die enera
Modellregion
STADT OLDENBURG
1.642 EINWOHNER/KM2
MODELLREGION IN OSTFRIESLAND
146 EINWOHNER/KM2
BEVÖLKERUNGSDICHTEN
IM VERGLEICH.
13
//
In der Modell
-
region betrug
der Anteil
Erneuerbarer
Energien am
Anteil Erneuerbarer Energien am Bruttostrom-
verbrauch in Prozent in Deutschland bis 2019
Ziele der Bundesregierung bis 2030 Verbrauch bei
in Deutschland bis 2019
in der Modellregion 2017
Projektbeginn
235 Prozent.
D
ie enera Modellregion besteht
aus den drei Landkreisen Aurich,
Friesland und Wittmund sowie der
kreisfreien Stadt Emden. Sie umfasst
einen Großteil der ostfriesischen
Halbinsel. Mit der exponierten Lage
an der windreichen Nordseeküste
gibt es hier beste Voraussetzungen
für die Nutzung Erneuerbarer Energien. Allein die DAS STROMNETZ IN DER MODELLREGION
vielen Windkraftanlagen in Marsch, Moor und Geest
sowie auf See erzeugen mehr als doppelt so viel Strom Mit der Struktur ihres Stromnetzes kann die Modell-
wie vor Ort verbraucht wird. Damit ist die Region im region sowohl einen optimierten Verteilnetzbetrieb
Nordwesten Deutschlands ideal geeignet, Lösungen als auch die effiziente Integration großer Mengen
für zentrale Herausforderungen der Energiewende zu Erneuerbarer Energien in das Stromnetz demonstrieren.
finden: Bundesweit wird der Großteil des Strom bald Das Nieder- und Mittelspannungsnetz des Verteilnetz-
regenerativ erzeugt – wie zeitweise überschüssiger betreibers EWE NETZ geht an 24 Übergabepunkten in
Strom dann intelligent ins Netz zu integrieren ist, lässt das 110-Kilovolt-Netz des vorgelagerten Netzbetrei-
sich in der enera Modellregion schon heute zeigen. bers Avacon über. Dieses Hochspannungsnetz liegt als
geschlossener Doppelring in der Modellregion. Das
Übertragungsnetz von TenneT ist an drei Übergabe-
punkten mit dem regionalen Verteilnetz verbunden und
VORREITER BEIM AUSBAU ERNEUERBARER ENERGIEN nimmt zudem den Strom von Offshore-Windparks auf.
Kommunikationsseitig sind relevante Knotenpunkte im
Innerhalb von drei Jahrzehnten wurden mit Photo- Nieder- und Mittelspannungsnetz über eine moderne,
voltaik-, Biogas- und insbesondere Windkraftanlagen so großflächige Glasfaserinfrastruktur verbunden.
viele regenerative Stromerzeuger in der Modellregion
installiert, dass der Anteil Erneuerbarer Energien am Die Strukturen von Stromnetz und -erzeugung machen
Verbrauch bereits vor Projektbeginn bilanziell über die enera Modellregion zu einem idealen Demonstra-
235 Prozent lag. Das macht die Modellregion zu einem tionsfeld für das zukünftige Energieversorgungssystem.
grünen Großkraftwerk und einer Exportregion für Strom Zudem genießt die Energiewende großen Rückhalt vor
aus erneuerbaren Quellen. Die Städte sind die größten Ort. Bei Kommunen, Unternehmen und Privatpersonen
Stromverbraucher in der landwirtschaftlich geprägten findet auch das Projekt enera breite Unterstützung.
Region. Rund 390.000 Einwohner leben in Dörfern, Klein- Viele Menschen der Region sind durchaus stolz auf den
städten und sechs Mittelstädten. Bei einer Fläche von Beitrag zur Energiewende, insbesondere auf die zahlrei-
2.665 Quadratkilometern liegt die Bevölkerungsdichte chen Anlagen, die Strom mit Wind, Sonne und Biomasse
damit rund ein Drittel unter dem gesamtdeutschen erzeugen und den Nordwesten zum Vorreiter für eine
Durchschnitt. klimafreundliche Zukunft machen. //
14 // ENERA MODELLREGION
HAGE
ESENS
HOLTRIEM
NORDEN GROSS-
HEIDE WITTMUND
JEVER
WILHELMS-
HAVEN
BROOKMERLAND SCHORTENS
4
AURICH
SANDE
4 6 SÜDBROOKMER-
LAND
MANSLAGT FRIEDEBURG
2
KRUMMHÖRN
HINTE 3 4
IHLOW 5 6
GROSSEFEHN ZETEL
EMDEN WIESMOOR VAREL
6
6
EMDEN WEST
BORSSUM
BOCKHORN
enera Modellregion
weitere Gebiete
LEER
1 2
1
6 WERLTE
SÖGEL
GESAMTE MODELLREGION
15
// KINOWERBESPOT
// ZIELGRUPPENANALYSE
UM DIE BEWOHNER
DER MODELLREGION
BESSER ZU VERSTEHEN,
WURDEN AUF BASIS VIELER
INTERVIEWS PROFILE UND
PERSONAS ERSTELLT.
17
// ENERA AKTIONEN
MIT AUSSERGEWÖHNLICHEN
FORMATEN WIE DEM BARCAMP
DANGAST SORGTE ENERA
WIEDERHOLT FÜR AUFMERK-
SAMKEIT IN DER MODELL-
REGION UND DARÜBER HINAUS.
// ENERGIEWENDE-KOMMUNE
Aktivitäten des
enera Teams
JEVER
1
SCHORTENS
WILHELMS-
HAVEN
AURICH
DANGAST
2
EMDEN
enera Modellregion
weitere Gebiete
LEER
→ Nähere Infos: Arbeitspaket 11, S. 128 → Nähere Infos: Arbeitspaket 11, S. 128
19
ENERA FRIESENFEST
→ Nähere Infos: Arbeitspaket 11, S. 128 BARCAMPS 2017, 2018 & 2019
2
HAGE WESTERACCUM ESENS
NORDDEICH
2
BURHAFE
MARIENHAFE JEVER
EILSUM AURICH
MANSLAGT
2 3
UPLEWARD
WIESMOOR 4 5
2
NEUENBURG
VAREL
BORSSUM
enera Modellregion
weitere Gebiete
Standorte Biogasanlagen
LEER
enera hat demonstriert, wie man Überlastungen Bei den Stromerzeugern nahmen neben Wind-
im Netz präventiv begegnen kann. Auf dem und Solarkraftwerken viele Biogasanlagen am
börsenbasierten Flexmarkt meldeten Netz- Flexmarkt teil. Deren Nennleistung summiert
betreiber anhand von Prognosen ihren Bedarf an sich auf 47 Megawatt, davon ließ sich etwa die OLDEN-
Leistungsanpassung. Darauf reagierten Vermark- Hälfte netzdienlich einsetzen. Biogasanlagen BURG
ter, indem sie eine geringere Einspeisung oder sind besonders flexibel, weil sie das erzeugte Gas
einen erhöhten Verbrauch anboten. speichern können, bevor es in Blockheizkraft-
werken verstromt wird. Diese Flexibilität, die
Bei den Stromverbrauchern, die in den Flexmarkt manche Anlagen bereits überregional als
integriert waren, reicht das Spektrum von Heiz- Regelenergie vermarkten, diente im Projekt zur
geräten mit wenigen Kilowatt Leistung bis zu Auflösung lokaler Engpässe im Netz.
industriellen Megawatt-Anlagen. Kleine Anlagen
privater Haushalte wie Wärmepumpen, Nacht- → Nähere Infos: Arbeitspaket 05, S. 102
speicher oder Heizschwerter wurden über
Virtuelle Kraftwerke gebündelt und gesteuert.
Bei Speichern waren ebenfalls alle Größen
vertreten, Hausspeicher für Solarstrom ebenso
wie Batterien der Megawattklasse.
4 1
WERLTE
SÖGEL
21
3
// FLEXMARKT-TEILNEHMER
// ERSTE SAM-NUTZERIN
Hause verbaut
testet. Jetzt wird meine Heizungsanlage flexibel
mit Strom betrieben, wenn bei uns im Nord-
westen viel Wind weht. Ich finde das toll, denn
wurde.«
damit kann ich einen Beitrag dazu leisten, dass
grüne Energie auch tatsächlich verbraucht
und nicht ungenutzt vernichtet wird, wenn die
Leitungen in den Süden verstopft sind.
Die Windfront
über den Markt
abwettern
25
WEITERE INHALTE
Flexibilität & Markt
→ S. 102, Arbeitspaket 05
→ S. 106, Arbeitspaket 06
→ S. 112, Arbeitspaket 07
W
Mit dem Flexmarkt war erstmals Flexibilität, genauer
ie Stromangebot und -nachfrage gesagt der Einsatz von Anlagen zur Netzstabilisierung,
im Energiesystem der Zukunft ein Großhandelsprodukt. Bevor der Handel im Feldtest
lokal besser miteinander in Ein- gestartet werden konnte, wurden Marktregeln entwickelt,
klang gebracht werden können, Anlagen zur Marktteilnahme zertifiziert und virtuelle
zeigte enera mit dem Flexmarkt lokale Orderbücher definiert, in denen verbindliche
in einem Feldtest über einen Zeit- Gebote abgegeben werden. Außerdem galt es, die Ab-
raum von gut eineinhalb Jahren. wicklung von Lieferungen, die Dokumentation und die
Besonders viel Leistung wurde am Abrechnung automatisch zu ermöglichen. Das Zusam-
3. April 2020 abgerufen, um die Netze lokal zu entlas- menspiel von Netzbetreibern aller Spannungsebenen,
ten: Biogas- und Windkraftanlagen reduzierten kurz- Vermarktern und unterschiedlichen Technologien hat
fristig ihre Einspeisung, ein elektrischer Gasverdichter sich im Praxistest bewährt
und ein Großspeicher im friesländischen Varel nahmen
Strom auf. Innerhalb einer Stunde konnten die Netz-
betreiber 24 Megawatt Leistung nutzen, um das Netz zu WIE FUNKTIONIERT DIE NEUE HANDELSPLATTFOM?
stabilisieren.
Erkennt ein Übertragungs- oder Verteilnetzbetreiber
einen sich abzeichnenden Engpass, zum Beispiel wenn
Flexibilität bedeutet im Energiemarkt eine Abweichung durch ein Sturmtief viel Windstrom in das Netz einge-
von einer ursprünglich geplanten Einspeisung oder Ab- speist wird, trägt er seinen Bedarf und seine Zahlungs-
nahme von Strom. Bei dem genannten Beispiel war die bereitschaft in das Orderbuch des enera Flexmarkts ein:
Planabweichung ein Resultat des Flexmarkts. Netzbe- Ziel ist es, das Netz für einen bestimmten Zeitraum in
treiber hatten ihren Flexibilitätsbedarf und Vermarkter einem vorher definierten Marktgebiet von einer be-
ihr Flexibilitätsangebot als Gebote auf die Handelsplatt- stimmten Leistung zu entlasten. Auf die Nachfrage im
form gestellt. Die beiden Gebote wurden gematcht – und Orderbuch reagieren Vermarkter mit Geboten für eine
somit ein Preis für die Flexibilität marktbasiert ermittelt. geringere Einspeisung oder einen erhöhten Verbrauch.
Aufgebaut wurde die Plattform in Kooperation mit EPEX Treffen sich Angebot und Nachfrage, kommt ein Han-
SPOT. Die europäische Strombörse dient dem kurzfristi- delsgeschäft zustande und der drohende Engpass kann
gen Stromgroßhandel in zwölf nationalen Märkten. verhindert werden. →
26 // SPOTLIGHT FLEXMARKT
//
EPEX SPOT
Der Flexmarkt
Die Europäische Strombörse EPEX SPOT
SE und ihre Tochtergesellschaften deckt das gesamte
betreiben die Märkte für physischen
kurzfristigen Stromhandel in Zentral- Stromnetz bis hin
westeuropa, dem Vereinigten Königreich
und Dänemark, Finnland, Norwegen und zum Ortsnetz einer
Schweden. Als Teil der EEX Group, einer
auf internationale Commodity-Märkte Gemeinde ab.
spezialisierten Unternehmensgruppe,
hat sich die EPEX SPOT der Schaffung
eines gesamteuropäischen Strommarkts
verpflichtet. Über 300 Börsenmitglieder
handeln auf der EPEX SPOT Strom über
zwölf Länder hinweg. Über die Holding
HGRT sind Übertragungsnetzbetreiber mit
49 Prozent an der EPEX SPOT beteiligt.
Weitere Informationen unter
www.epexspot.com
27
VERMARKTER AGGREGATOR
Praxisprotokoll
Dispatcher und Direktvermarkter
verhindern einen Netzengpass
50
40
30
Last [MW]
20
10
-10
00:00 04:00 08:00 12:00 16:00 20:00 00:00 04:00 08:00 12:00 16:00 20:00
Zeit
14
12
10
Last [MW]
0
20:30 21:00 21:30 22:00 22:30 23:00 23:30 00:00 00:30 01:00 01:30
Zeit
//
Normalerweise würde
die Energieerzeugung
pauschal reduziert –
Drohende Engpässe im dank Flexmarkt kann
Stromnetz werden mithilfe anders reagiert werden.
von lokalen Prognosen identi-
fiziert und können über den
Flexmarkt vorausschauend
abgewendet werden. Eine
zentrale Rolle kommt dabei stellt der Netzbetreiber für das Marktgebiet Manslagt
dem sogenannten Dispatcher einen Bedarf an flexibler Leistung von 2 Megawatt für
den Lieferzeitraum von 22 bis 23 Uhr ein. Auf der Seite
beim Netzbetreiber zu, der der Flexibilitätsanbieter gibt es ein passendes Gebot,
über Beschaffung von Flexi- so dass es um 15:27 Uhr zu einem erfolgreichen Trade
kommt. Welcher Vermarkter hinter dem Gebot steht, ist
bilität entscheidet. Wie so ein dem Netzbetreiber nicht bekannt – er weiß auch nicht,
Prozess in der Praxis aussieht, ob sein Bedarf durch erhöhten Verbrauch oder reduzier-
te Einspeisung erfüllt wird. Diese Entscheidung trifft der
zeigt das Protokoll einer Vermarkter selbstständig, je nachdem welche Anlagen
Engpassauflösung an einem ihm zum Lieferzeitpunkt zur Verfügung stehen.
beispielhaften Feldtesttag. Die Flexibilität wurde in diesem Fall von einem Direkt-
vermarkter von Windenergieanlagen geliefert. Der
Vermarkter hat die Einspeiseleistung im geforderten
Zeitraum von 8 auf 6 Megawatt reduziert (Abbildung 2,
FREITAG, 11. OKTOBER 2019, 13 UHR: dunkelgrüne Kennlinie). So wird das Netz für eine Stun-
de um 2 Megawattstunden entlastet.
In der Oldenburger Leitstelle von EWE NETZ warnt das
Prognosetool vor einem Engpass im Umspannwerk Für Vermarkter hat der Flexmarkt den Vorteil einer
Manslagt in der ostfriesischen Krummhörn. Der Dispat- größeren Transparenz. Da er von einer Abregelung seiner
cher analysiert die lokalen Vorhersagen für die Wind- Anlagen über das Einspeisemanagement im Vorfeld
einspeisung (Abbildung 1, grüne Kennlinie) und die zu nichts erfährt, muss er unter Umständen hohe Aus-
erwartende Netzlast (Abbildung 1, graue Kennlinie). gleichszahlungen leisten, wenn er von einem Dritten die
Diese Netzlast ist die Summe der Einspeisungen und verlorene Energie zu einem höheren Preis nachkauft.
des Verbrauchs in dem Netzgebiet am Umspannwerk. Bei einer Flexibilitätsbereitstellung über den Flexmarkt
Durch eine Windfront wird voraussichtlich ab 22 Uhr so hätte der Vermarkter dagegen frühzeitig Klarheit über
viel Strom eingespeist, dass der Grenzwert (Abbildung 1, eine Abschaltung und ausreichend Zeit, die benötigte
oberer gekennzeichneter Bereich) eines Betriebsmittels Energie vergleichsweise günstig am Intradaymarkt zu
überschritten wird. beziehen. //
Erzeugung
regenerativer
Energie Einbindung von
Verbauchern
Netze
Märkte
Tele-
Speicher &
kommunikation
Power-to-Gas
Qualifi-
zierung
Szenarioraum
& Entwicklung
150 Leitszenario
Einzellösungen
8
Informations-
Handlungs- technik
Ursachen- &
felder Wirkungsanalyse
AN LÖSUNGEN ORIENTIERT
31 Das Projekt enera wurde in einem
Partner-
unternehmen 94 mehrstufigen Verfahren von Partnern
aus Energiewirtschaft, Industrie, IT
Lösungselemente und Wissenschaft vorbereitet. Dabei
stellte eine Matrix jedem identifizierten
in Problem einen Lösungsansatz gegen-
über.
58
Smart-Grid-Rahmen um Marktmecha-
nismen erweitert. Bei der Verknüpfung
von Netz und Markt rückten dann IT
Use Cases
sowie Big Data in den Fokus. So liegt
der Schwerpunkt auf Netz, Markt und
Daten.
// PHASE 04 // PHASE 05
I
m Verbundprojekt enera haben sich Im Jahr 2013 legte das BMWi mit einem Konsultations-
31 Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft papier den Grundstein für das Programm zur Förderung
zusammengeschlossen, um Lösungen für von „Schaufenstern für intelligente Energie“. Diese
die nächsten Schritte der Energiewende zu Marktabfrage ging an Einrichtungen und Unternehmen
entwickeln und zu erproben. Initiiert wurde der Energiewirtschaft, beschrieb zentrale Problem-
das Vorhaben mit einem Projektvolumen stellungen der Energiewende und stellte Fördermittel
von rund 170 Millionen Euro vom Konsor- für Demonstrationsprojekte in Aussicht. Im Fokus des
tialführer EWE. Das Bundesministerium für Konsultationspapiers standen Themen von Kommu-
Wirtschaft und Energie fördert das enera Projekt im nikationsinfrastruktur über Netzausbau bis zu Markt-
Rahmen des SINTEG-Programms mit rund 50 Millionen strukturen. Damit adressierte es die größten aktuellen
Euro, die Partner steuern Eigenmittel in Höhe von etwa Herausforderungen der deutschen Energiewirtschaft. →
120 Millionen Euro bei.
32 // ENERA KONSORTIUM
KOOPERATIVER SPIRIT
Unternehmensübergreifend ent-
wickelten Teams in enera Lösungen
für konkrete Problemstellungen der
Energiewende. Das dabei entstandene
Netzwerk fördert über das Projekt
hinaus die Kooperation.
Lenkungskreis
Strategisches Entscheidungsgremium
Besetzung: Management-Level
von allen Konsortialpartnern
Projektleitung
& Projektoffice
Initiierung des Projekts,
Schnittstelle zu externen
Stakeholdern,
operative Durchführung des
Projektmanagements
Projektsteuerungs-
kreis
Koordinatoren der
Arbeitspakete stimmen
sich im operativen
Gremium ab
Konsortialrunde
Vertreter aller Unternehmen
treffen Entscheidungen
13
Arbeitspakete
34 // INTERVIEW
HERR BROMMELMEIER,
Sie sind mit enera angetreten, etablierte Strukturen
und Überzeugungen aufzubrechen. Ihr Fazit am Ende
des Projekts?
entstanden.«
UB Bei den intensiven Vorarbeiten war schnell klar,
dass enera nicht das nächste reine Smart-Grid-Vorha-
ben werden sollte. Die intelligente und automatisierte
Netzführung zählt im Projekt zu den wichtigsten Bau-
steinen, löst die Probleme aber nicht allein. Wir mussten
uns genauso um die Flexibilisierung und Digitalisierung
kümmern. Über Smart Data wollten wir alle Akteure
aktivieren, die das Energiesystem stabilisieren können.
Erneuerbare Energieerzeuger, Speicherbetreiber und
flexible Verbraucher waren digital perfekt zu vernetzen,
um miteinander und mit den Netzbetreibern interagie-
ren zu können. Mit der europäischen Strombörse EPEX
SPOT haben wir einen Partner gefunden, der erstmals in
einem solchen Verbundvorhaben mitwirkte, um Smart
Markets zu realisieren – nicht auf dem Papier, sondern
als reale Handelsplattform, die Netz und Markt ver-
knüpft. Im Ergebnis haben Netzbetreiber gezeigt, dass
sie für überschüssigen Strom einen Abnehmer vor Ort
finden können, statt Windkraftanlagen abzuschalten.
Ein regulatorischer
Rahmen für das
Netz von morgen
01
Um diese auch über das
Projekt hinaus nutzen zu ENTGELT- UND UMLAGE-
SYSTEMATIK REFORMIEREN
können, sind Anpassungen
des Rechtsrahmens nötig. Eine umfassende Reform der
Energiepreissystematik sollte
Im Folgenden werden marktbasierte Anreize für ein netzdienliches
zentrale regulatorische Verhalten von Erzeugern, Verbrauchern und
Speichern setzen. Im Einzelnen sind folgende
Handlungsempfehlungen Anpassungen erforderlich:
aufgeführt.
• Umlage- und Steuerbefreiung für Strom, der
in Zeiten von überlasteten Netzen lokal durch
Lasten, Speicher oder Power-to-X-Anlagen
genutzt wird.
02
FLEXIBLE LASTEN UND SPEICHER POWER-TO-X
MARKTBASIERT IN DAS ENGPASS-
MANAGEMENT INTEGRIEREN Mit Power-to-X-Verfahren wird Strom
für alternative Nutzungen umgewan-
Durch den Ausbau der erneuer- delt bzw. speicherbar gemacht. So
baren, volatilen Stromerzeugung kann überschüssiger Strom aus Erneu-
und den verzögerten Netzausbau sind die Netze erbaren Energien zum Beispiel in Gas,
immer häufiger überlastet. Ein Grund hierfür ist Wärme oder synthetische Kraftstoffe
die ungleiche Verteilung von Last und Erzeugung. umgewandelt werden. Power-to-X-
Zudem bestimmt im überregional organisierten Technologie ist somit ein wesentlicher
Strommarkt lediglich der Preis den Zuschlag für Treiber für die Kopplung des Sektors
die Erzeugung, nicht aber der Standort. Somit Strom mit anderen Sektoren wie
wird das Engpassmanagement in Zukunft eine Wärme und Mobilität.
immer größere Rolle spielen. Beim Redispatch 2.0
sind bislang nur die Einbindung von Erzeugern
und einspeisenden Speichern vorgesehen. Im
nächsten Schritt müsste das Engpassmanage-
ment mit der Integration flexibler Lasten und
stromaufnehmender Speicher erweitert werden te sinnvoll weiterentwickeln oder ergänzen. Um
(„Redispatch 3.0“). Damit könnte beim Redispatch einen fairen Wettbewerb für diese und andere
beziehungsweise beim lokalen Engpassmanage- Instrumente zu gewährleisten, ist eine entspre-
ment des Netzbetreibers mehr Erneuerbare chende Anpassung der Anreizregulierungsverord-
Energie genutzt statt abgeregelt werden, wodurch nung zwingend erforderlich. Alle Kosten für das
die Redispatchkosten insgesamt sinken. Engpassmanagement – ob durch Lasten, Speicher
Im Projekt enera konnte gezeigt werden, dass prä- oder Erzeuger verursacht – müssen der gleichen
ventives anstelle von kurativem Engpassmanage- Kostenkategorie zugeordnet werden. Verursacht
ment über alle Spannungsebenen hinweg sowohl der Einsatz von Lasten und Speichern niedrigere
technisch als auch prozessual funktioniert. Kosten als die Steuerung von Erzeugern oder der
Netzbetreiber können mit ausreichendem Vorlauf Einsatz intelligenter Netztechnologie, ist dieser zu
bewerten, an welcher Stelle im Netz Flexibilität bevorzugen. So wird sichergestellt, dass Netz-
eingesetzt werden soll. Für die Auswahl und das betreiber einen unverzerrten Anreiz haben, die
Steuern flexibler Anlagen sind die Vermarkter effizienteste Lösung zu wählen.
verantwortlich. Diese können mit ihren Virtuel-
len Kraftwerken auf etablierte Steuerungsme-
04
chanismen zurückgreifen. Um das Potenzial des
präventiven Engpassmanagements bestmöglich AGGREGATOREN BENÖTIGEN
zu nutzen, sollten im Regulierungsrahmen nicht INVESTITIONSSICHERHEIT BEI
nur Erzeuger, sondern auch Lasten und Speicher DER ERSCHLIESSUNG KLEIN-
marktbasiert einbezogen werden. TEILIGER FLEXIBILITÄT
03
ALLE INSTRUMENTE FÜR DAS nicht nur die Installation von Hardware, sondern
ENGPASSMANAGEMENT GLEICH auch die Organisation effizienter digitaler Prozes-
ANREIZEN se. Im Projekt enera konnte gezeigt werden, dass
technisch sehr viel möglich ist und sich auch
enera hat mehrere neue Instru- kleinteilige Flexibilitäten über Virtuelle Kraftwer-
mente für das Engpassmanage- ke hochautomatisiert steuern lassen. Damit dies
ment demonstriert. Dazu gehören in der Praxis in größerem Maßstab geschehen
die automatisierte Echtzeitsteuerung von Erzeu- kann, ist neben der Regulatorik auch die digitale
gern im Rahmen der Spitzenkappung, intelligente Umsetzung auf Seiten der Flexibilitätsvermarkter
Netztechnologien sowie der marktbasierte Einsatz entscheidend. Hierzu sind zunächst entsprechend
von Flexibilitäten. Grundsätzlich wurde gezeigt, hohe Investitionen erforderlich, die durch einen
dass all diese Ansätze technisch funktionieren verlässlich stabilen gesetzlichen Rahmen begüns-
und bestehende Engpassmanagementinstrumen- tigt werden können. →
40 // HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
05
FLEXIBILITÄTSPLATTFORMEN
DURCH NEUTRALE DRITTE
BETREIBEN
07
FLEXIBILITÄTSMECHANISMEN
06
STRENG ÜBERWACHEN UND
MARKTEINTRITTSBARRIEREN TRANSPARENZ SCHAFFEN
FÜR FREIWILLIGE FLEXIBILITÄTS-
MECHANISMEN VERMEIDEN Flexibilitätsmechanismen brau-
chen eine strenge Überwachung
Bei marktbasierten, freiwilligen und müssen frei von Verzerrungen sein. Durch
Flexibilitätsmechanismen besteht Preisobergrenzen lässt sich die Marktmacht
das Risiko einer geringen Liquidität. Diese lässt einzelner Akteure verringern. Nötig sind ein klares
sich durch niedrige Markteintrittsbarrieren er- Regelwerk, eine Marktüberwachung und Strafen
höhen, indem Zertifizierungsverfahren vereinfacht bei Regelverstößen. Dies erschwert auch strategi-
und bestehende Systeme und Prozesse genutzt sches Verhalten wie Inc-Dec-Gaming.
werden. In enera ist es etwa durch die enge An-
lehnung an bestehende Produktspezifikationen
08
des Intraday-Markts oder durch die Nutzung des
etablierten M7-Handelssystems der EPEX SPOT NETZBETREIBERKOORDINATION
gelungen, die Markteintrittsbarrieren niedrig zu FÜR REDISPATCH 2.0 NUTZEN
halten. Mit sechs großen Vermarktern standen
insgesamt 360 Megawatt Flexibilität für den Han- Für den Abruf von Flexibilität
del zu Verfügung – damit waren knapp 20 Prozent wurde in enera ein Prozess zur
der Leistung erneuerbarer Energieerzeuger in der Koordination zwischen den Netz-
Modellregion für den Flexmarkt zertifiziert. betreibern entwickelt und erfolgreich demonst-
riert. Auch beim Engpassmanagement im Rahmen
des Redispatch 2.0 ist eine enge Zusammen-
arbeit der Netzbetreiber über die Spannungs-
ebenen hinweg notwendig, um die Netz- und
Versorgungssicherheit mit größtmöglicher Kosten-
effizienz zu gewährleisten. Es bietet sich an, den
in enera entwickelten Prozess über das Projekt
hinaus zu nutzen. Der Datenaustausch sowie
die operationelle Koordination wurden damit
vereinfacht und die Zusammenarbeit zwischen
Netzbetreibern verschiedener Spannungsebenen
erheblich verbessert. Dieses Potenzial sollte ge-
nutzt und weiter ausgebaut werden.
41
09 11
INNOVATIVE ALTERNATIVEN ANLAGENSTEUERUNG ÜBER
ZUM NETZAUSBAU IN DER NETZ- INTELLIGENTE MESSSYSTEME
PLANUNG BERÜCKSICHTIGEN
Für den effizienten Betrieb intel-
Flexibilität sollte auch in der Netz- ligenter Netze sind die dezentrale
planung berücksichtigt werden Stromerzeugung und der lokale
können. Während Flexibilität aus Erneuerbare- Stromverbrauch kontinuierlich zu messen und
Energie-Anlagen durch Nutzung der Spitzen- zu steuern. Mit dem Gesetz zur Digitalisierung
kappung bereits in der Netzplanung berück- der Energiewende wird der Messstellenbetreiber
sichtigt werden kann, fehlt bislang solch eine verpflichtet, intelligente Messsysteme zu instal-
Regelung für die Berücksichtigung flexibler Ver- lieren. Über diese lassen sich bestimmte Erzeuger
braucher und Speicher. und Verbraucher auch steuern. Die konkrete
Zuständigkeit, die genaue Verantwortung und
die technische Umsetzung für die netzdienliche
10
Steuerung von Erzeugungsanlagen und Verbrau-
MESSWESEN VOM VERBRAUCHER chern sind allerdings noch nicht näher geregelt.
HER DENKEN Netzbetreiber sollten verpflichtet werden, eine
Infrastruktur für das Steuern über den soge-
Mit dem Gesetz zur Digitalisierung nannten CLS-Kanal (Controllable Local Systems)
der Energiewende (→ Infobox) soll aufzubauen. Der damit verpflichtete Verteilnetz-
der Stromverbrauch transparent betreiber soll sich des grundzuständigen Mess-
werden. Es führt aber dazu, dass bei rund 80 Pro- stellenbetreibers als Dienstleister bedienen
zent der Kunden Messeinrichtungen mit digitalem dürfen.
Display, aber ohne digitale Konnektivität verbaut
werden. Das technische Potenzial, insbesondere
12
im Hinblick auf innovative Apps, die den Verbrau-
cher nachhaltig zum Energiesparen motivieren, EXPERIMENTIERRÄUME FÜR
bleibt so weitgehend ungenutzt. Für Messstellen- NEUE GESCHÄFTSMODELLE
betreiber sollte es daher einen Anreiz geben, alle SCHAFFEN
Verbraucher digital anzubinden, um die Infra-
strukturbasis für digitale Services zu schaffen. Mit der Experimentierklausel
Dafür müssen Messstellenbetreiber auch Kunden SINTEG-V (→ S. 65) wurde erst-
mit einem Jahresverbrauch unter 6000 kWh mit mals ein regulatorischer Rahmen geschaffen, in
intelligenten Messsystemen ausrüsten. dem finanzielle Nachteile ausgeglichen werden,
die aus dem projektbezogenen netzdienlichen
Betrieb von Anlagen resultieren. Grundsätzlich ist
das Instrument geeignet, um neue Geschäftsmo-
delle zu erproben. In der Praxis zeigte sich aber,
dass ein reiner Nachteilsausgleich keinen aus-
reichenden Anreiz bietet. Die Akteure setzten sich
dem Risiko aus, dass Nachteile nicht anerkannt
werden. Zudem bestanden hohe bürokratische
Hürden bei der Geltendmachung von Nachteilen.
Um neue Geschäftsmodelle unter Realbedingun-
GESETZ ZUR DIGITALISIERUNG gen zu demonstrieren und zu testen, ist ein Sys-
DER ENERGIEWENDE tem sinnvoller, bei dem bis zu einem bestimmten
Maximalbetrag auch Vorteile bei den Akteuren
Das Gesetz zur Digitalisierung der verbleiben.
Energiewende legt den Grundstein für
den Rollout moderner und intelligenter
Messsysteme. Darin wird geregelt, auf
Basis welcher Prozesse und in welchen
Zeiträumen die bisherigen analogen
Stromzähler durch neue Technologien
ausgetauscht werden.
42 // NEUEN HERAUSFORDERUNGEN INTELLIGENT BEGEGNEN
Neuen
Herausforderungen
intelligent begegnen
WARUM ENERA?
SMART GRID
DIGITALE WERTSCHÖPFUNGSKETTE
Smarte
Verbrauchs
datenerfassung
700 Haushalte und
Kommunen im Feldtest
47
D
er Stromverbrauch wird auch im Jahr
2020 meist noch mit einer altbewähr-
ten Technologie aus dem 19. Jahrhun-
dert gemessen. Ferraris-Zähler mit
der horizontal rotierenden Alumi-
niumscheibe und dem mechanischen
Zählwerk sind bis heute Standard in
Haushalten und kleinen Betrieben.
Die schwarzen Kästen sind ein Grund, weshalb das
Energiesystem eine wenig transparente Black Box ist.
Die enera App zeigt sekundengenau den aktuellen Am Smart Mirror lassen sich über Gesten verschiedene
Stromverbrauch und die Kosten an. Geht man mit dem Verbrauchswerte abrufen. Das Thema Energie wird damit
Smartphone durchs Haus und schaltet ein Gerät ein, in den Alltag integriert. Wenn sich variable Stromtarife
wird der zusätzliche Verbrauch sofort angezeigt. Nutzer etablieren, wäre auch eine Steuerung von Geräten über
kamen damit zum Beispiel der Ursache hoher Strom- den intelligenten Spiegel möglich.
verbräuche auf die Spur.
// EIVI-APP
// KOMMUNALER LIEGENSCHAFTSMONITOR
BLINDFLUG IM LOCKDOWN
Wie sich der Stromverbrauch im
Corona-Lockdown ändert, war für
viele Energieversorger mangels
Daten schwer einzuschätzen. Mit den
Smarten Auslesemodulen wurden die
DATEN ERHELLEN CORONA-EFFEKT Verbrauchsabweichungen dagegen
schnell sichtbar, so dass sich Einkauf
und Erzeugung von Strom anpassen
Ein weiterer Vorteil des Einsatzes hochauflösender ließen.
Stromzähler wurde während der Corona-Pandemie
sichtbar. Millionen Menschen arbeiteten im Home-Office,
Industrie und Gewerbe fuhren zeitweise die Produktion
herunter. Wie sich der Stromverbrauch dadurch ändert,
war für Energieversorger zunächst schwer einzuschätzen
– für das Pandemie-Szenario fehlte es sowohl an
Erfahrungs- als auch an Messwerten. Denn während der
Verbrauch vieler industrieller Kunden mit der sogenann-
ten Lastgangmessung viertelstundenscharf erfasst wird,
erfolgt dies bei kleineren Betrieben und in Privataushal- Insbesondere an Arbeitstagen ist ein deutlicher Anstieg
ten in der Regel nur mit der Jahresabrechnung. um 4,3 Prozent erkennbar. Während der Energiever-
brauch an Samstagen praktisch unverändert ist, zeigt
Für viele Versorger galt es, Einkauf und Erzeugung von sich sonntags ein verringerter Bedarf. Bei 42 Prozent
Energie auf den veränderten Verbrauch abzustimmen der untersuchten Haushalte hat sich der Verbrauch vom
ohne den Corona-Effekt vorab quantifizieren zu können. Wochenende in die Arbeitswoche verschoben. Rechnet
Dies war mit den Smarten Auslesemodulen als Daten- man den erhöhten durchschnittlichen Energiebedarf
quelle hingegen schnell möglich. In einer nicht reprä- eines Haushalts von rund 1,8 Prozent auf ein Jahr hoch,
sentativen Studie mit mehr als 200 Haushalten wurde so ergibt sich ein mittlerer Mehrverbrauch von rund
der tägliche Stromverbrauch im Lockdown erfasst, 70 Kilowattstunden – in etwa der Jahresverbrauch eines
unterschieden nach Arbeitstagen und Wochenenden. Die effizienten 150-Liter-Kühlschranks.
Werte wurden mit denen vor den Schul- und Geschäfts-
schließungen Mitte März verglichen (→ Tabelle). Erste Schätzungen von Versorgern zum Ausmaß des
Corona-Effekts bei Haushalten lagen teilweise weit über
den tatsächlichen Veränderungen. Das Beispiel zeigt,
wie eine genaue Erfassung des Verbrauchs den Energie-
versorgern dabei hilft, frühzeitig zu reagieren. Zugleich
kann ein Kunde abschätzen, wie sich etwa Home-Office
und -Schooling auf die Stromrechnung auswirken.
Darüber hinaus ermöglicht eine flächendeckende und
zeitnahe Erfassung des Stromverbrauchs bessere Vor-
hersagen und dadurch eine bedarfsgerechte Steuerung
des Energiesystems. //
50 // NETZ, MARKT UND DATEN
INTRADAY-MARKT
// MARKT
liegt die Verantwortung zur Steuerung einzelner Anlagen nen die Engpassmanagementkosten für Netzbetreiber
allerdings bei den Vermarktern und nicht wie beim Ein- begrenzen. Gleichzeitig eröffnen sich neue Erlösquellen
speisemanagement bei den Netzbetreibern. Damit wird für Vermarkter von Flexibilität. Die volkswirtschaftli-
sichergestellt, dass vorhandene Flexibilität besonders che Effizienz könnte allerdings durch Marktmacht oder
effizient eingesetzt wird – sowohl für das Engpassma- strategisches Verhalten beeinträchtigt werden, unter
nagement wie in enera als auch für Regelleistung zur anderem weil in lokalen Marktgebieten teilweise nur
Frequenzhaltung oder für andere Systemdienstleistun- sehr wenige Anlagen einspeisen oder nur wenige große
gen. Virtuelle Kraftwerke können Flexibilität dort bereit- Verbraucher Strom beziehen. Auf wissenschaftlicher
stellen, wo das Preissignal am stärksten und wo der Ebene wurde deshalb in enera untersucht, wie sich
Bedarf demnach am größten ist. Dies trägt zur Effizienz diese unerwünschten Effekte identifizieren und regula-
des gesamten Stromsystems bei. torisch unterbinden lassen. →
// DATEN
Energieverbraucher
rücken in der neuen
digitalen Wert
BASIS FÜR BESSERE STEUERUNG UND NEUE
GESCHÄFTSMODELLE
In enera werden diese Potenziale adressiert. Sie bilden Durch intelligente Vernetzung und eine durchgehende
die Grundlage für neue datenbasierte Geschäftsmodelle, Digitalisierung hat enera demonstriert, wie sich Innova-
Produkte und Services. Innovationen werden dabei im tionen im Energiesystem entwickeln lassen. Um Daten
kooperativen Ansatz gemeinsam umgesetzt – mit Part- erfassen, verarbeiten und auswerten zu können, wurden
nern des Projekts, innovativen New-Economy-Unterneh- verschiedenste Anlagen in der Modellregion mit Sensorik
men sowie mit privaten Anwendern. Letztere standen in und Aktorik versehen und in ein Kommunikationsnetz
der klassischen Wertschöpfungskette der Energiewirt- eingebunden – das Energiesystem wurde transparent.
schaft, beginnend bei der Energieerzeugung über den Informationen über den Zustand aller Komponenten des
Transport bis zum Verbrauch, ganz am Ende. Nun rücken Energiesystems ließen sich nahezu in Echtzeit erheben
die bisherigen „Letztverbraucher“ als Datenlieferanten und ermöglichten die Steuerung von Komponenten und
ganz an den Anfang der neuen digitalen Wertschöp- Prozessen. Hard- und Softwarelösungen sowie Kommu-
fungskette. Diese reicht von Erzeugung über Sicherheit nikationsarchitekturen wurden entwickelt und evaluiert,
und Transport bis zur Veredelung und Verwertung von um die jeweiligen Anwendungsfälle optimal zu unter-
Daten und bildet den Ausgangspunkt für die Entwicklung stützen.
digitaler Produkte. Ausgehend von gemeinsam identi-
fizierten Ideen wurden auf Data Science basierende Als zentrale Schaltstelle und Umschlagplatz aller Daten
Potenzialanalysen durchgeführt, in einem strukturierten diente die Smart Data und Service Plattform. Diese
Prozess in Prototypen überführt und zu konkreten nut- verknüpft die in der Modellregion erzeugten Daten mit
zerzentrierten Lösungen weiterentwickelt. weiteren Informationen, um etwa Prognosen zu erstel-
len und innovative Anwendungen oder Datenanalysen
zu ermöglichen. Beim Aufbau der Plattform und bei der
gesamten Kommunikationsinfrastruktur wurde größter
Wert auf Sicherheit, Datenschutz und standardisierte
Schnittstellen gelegt. Standards der Informationssicher-
heit wurden ebenso weiterentwickelt wie das Smart Grid
Architecture Model (SGAM). Da sich innerhalb von vier
WEITERE INHALTE Jahren der Stand der Technik insbesondere im IT-Bereich
verändert, wurde die ursprünglich auf lokalen Servern,
Spotlight SAM also als „on premise“-Lösung geplante und realisierte
→ S. 46 SDSP bereits innerhalb der Projektlaufzeit in individuel-
Handlungsoptionen zur Gestaltung lere und flexiblere Cloudlösungen überführt. //
des energierechtlichen Rahmens
→ S. 138, Arbeitspaket 08
Flexmarkt
→ S. 24, Spotlight Flexmarkt
→ ab S. 102, Arbeitspakete 05, 06 & 07
55
56 // SPOTLIGHT GRID4MOBILITY
ÜBERMITTLUNG
der individuellen „Fahrpläne“
für den Verbauch der
Haushalte an Grid4Mobility,
um Lasten voraussehen
und steuern zu können
GRID4MOBILITY
Ermittlung der besten und
fairsten „Fahrpläne“ für alle
teilnehmenden Haushalte TEILNEHMENDE HAUSHALTE
durch ein Optimierungs- Gesamtlast des Haushaltes
verfahren & Effekt für Ein- und Ausspeisung
in und aus dem Stromnetz
VERBRAUCHER
& EINSPEISER
ORTSNETZTRANSFORMATOR
Stromversorgung von circa
70 bis 200 Haushalten
NUTZERBEDÜRFNISSE IN
EINKLANG MIT NETZVER-
TRÄGLICHKEIT BRINGEN
Automatisierte
Ladesteuerung
Jeder Nachbar ein Agent
D
ie Energiewende erfasst zunehmend
auch den Bereich Mobilität, statt fos-
siler wird regenerative Energie ein-
gesetzt. Das bringt weitere Heraus-
forderungen für das Stromverteilnetz
mit sich. Wenn in naher Zukunft im-
mer mehr Pendler ihre Elektrofahr-
zeuge nach Feierabend zur gleichen
Uhrzeit an ihre heimischen Ladestationen anschließen,
sind Engpässe im Niederspannungsnetz absehbar.
Diese ließen sich durch eine Verstärkung der Verteil-
netze beseitigen, was aber mit großen Investitionen
verbunden wäre. Als Alternativen zum kostenträchtigen
Netzausbau kommen eine gleichmäßige Drosselung
der Ladeleistung für alle Nutzer oder ein preisbasiertes
Priorisieren einzelner Anschlüsse in Frage. Beide An-
sätze zur Engpassvermeidung berücksichtigen jedoch
EIN E-AUTO ZU LADEN, IST
KEIN PROBLEM FÜR DAS NETZ. nicht die individuellen Ladebedürfnisse aller Kunden.
BEI EINER GANZEN FLOTTE Eine faire, kostengünstige und komfortablere Alterna-
GEHT ES DAGEGEN NICHT tive ist die intelligente Ladesteuerung, die in enera mit
OHNE NETZAUSBAU – ODER
EINE INTELLIGENTE LADE- dem Projekt Grid4Mobility entwickelt und demonstriert
STEUERUNG. wurde. →
58 // SPOTLIGHT GRID4MOBILITY
BLOCKCHAIN-TECHNOLOGIE IM
DEZENTRALEN ENERGIESYSTEM
»Künstliche
Intelligenz und
Digitalisierung
anreizen«
61
HERR SAATHOFF,
Ihr Wahlkreis liegt in der enera Modellregion und
Sie koordinieren die Energiepolitik Ihrer Fraktion im
Bundestag. Wie weit liegen Ostfriesland und Berlin
AURICH-EMDEN
bei der Energiewende auseinander?
WAHLKREIS
JOHANN SAATHOFF Das Projekt hat viel Input für meine
Arbeit im Parlament geliefert. In meiner Heimat ging es
bei Terminen im Zusammenhang mit enera oft tief in die
energiewirtschaftlichen Details. Das war anstrengend,
hat aber deutlich gemacht, dass unheimlich viel Know-
how in enera steckt. Mir ist wiederholt bewusst gewor-
den, welches bislang nicht genutzte Potenzial unsere
bestehenden Leitungen bieten. Eine digitalisierte und
automatisierte Betriebsführung kann im Netz für weit
mehr Effizienz sorgen. Zum Beispiel wird von der Kapazi-
tät des deutschen Übertragungsnetzes nicht einmal ein
Drittel genutzt. Und wenn es zu wenig oder zu viel Strom
in Verteilnetzen gibt, können diese sich nicht für einen
Ausgleich direkt miteinander verbinden, sondern nur
über das Übertragungsnetz. Beim Netzausbau lässt sich
viel Geld sparen, wenn wir nicht wie in der Vergangen-
heit allein Beton und Kupfer anreizen sondern künst-
liche Intelligenz und Digitalisierung.
Wie groß ist die Bereitschaft der Menschen in der Wie geht es nach enera weiter?
Modellregion, zur Energiewende beizutragen?
JS Aus den einzelnen SINTEG-Programmen ergeben sich
JS Viele Haushalte haben sich an enera beteiligt und recht einheitliche Folgerungen für das Energiesystem
ihre Daten zum Stromverbrauch zur Verfügung gestellt. der Zukunft. Die müssen wir jetzt in Recht und Gesetz
Das wundert mich nicht, weil sich viele Menschen in der gießen. Allerdings habe ich die Sorge, dass die Erkennt-
Region mit der Energiewende identifizieren. Den meisten nisse aus den Forschungsprojekten mit den Abschluss-
ist klar, dass das fossile Energiezeitalter vorbei ist. Und berichten in der Schublade verschwinden – und damit
sie sind stolz, dass in Norddeutschland so viel klima- auch der innovative Schub. Das gilt es zu verhindern.
freundlicher Strom produziert wird. Leider gibt es noch Für die SINTEG-Vorhaben standen ja wegen einer lang-
keine flexiblen Stromtarife, bei denen Verbraucher auf wierigen Zertifizierung zunächst keine intelligenten
ein Überangebot an Erneuerbarer Energie reagieren. Bei Messsysteme zur Verfügung. Dadurch ließen sich für
enera konnten die Haushalte am Smartphone immerhin enera nicht wie geplant mehrere zehntausend Smart
ihren Verbrauch live verfolgen und auswerten. Die Be- Meter ausrollen, sondern nur mehrere hundert. Einige
reitschaft, sein Verhalten anzupassen, ist sicherlich vor- Lösungsansätze und datenbasierte Geschäftsmodelle
handen. Die Unterstützung für die Energiewende hängt konnten so nur eingeschränkt erprobt werden. Wenn wir
vielleicht auch damit zusammen, dass wir an der Küste als Parlamentarier neue Regeln für ein digitalisiertes
mit dem steigenden Meeresspiegel unmittelbar vom Energiesystem auf den Weg bringen sollen, brauchen
Klimawandel betroffen sind. Dass sich die Leute damit wir aber fundierte Entscheidungsgrundlagen – wir
auseinandersetzen, merke ich nicht nur als ehrenamt- müssen wissen, was funktioniert und was nicht. Deshalb
licher Deichrichter in der Krummhörn. In Ostfriesland wünsche ich mir so etwas wie ein Forschungsprogramm
gibt es ein Bewusstsein für den Klimawandel, das man SINTEG 2.0, das die vielen innovativen Ansätze in großem
in Berlin bei manchen eher alpin sozialisierten Abgeord- Stil auf ihre Umsetzbarkeit überprüft. //
neten vermisst.
Vom Experiment
zum Energiesystem
der Zukunft
E
in übergreifendes Förderprogramm wie
WEITERE INHALTE
SINTEG mit fünf Modellregionen hat
das Potenzial, sowohl auf nationaler Hybridmodell
als auch auf internationaler Ebene eine → S. 266 im enera Projektkompendium
Wirkung zu entfalten. In den Modell- unter www.projekt-enera.de
regionen erprobte Formen der Flexibi- Koordination Netzbetreiber
litätsvermarktung, innovative Smart- → S. 112, Arbeitspaket 07
Grid-Komponenten oder datenbasierte
Nachweisführung
Geschäftsmodelle können länderübergreifend in allen
→ S. 112, Arbeitspaket 07
großen Netzregionen als Blaupause dienen.
65
Die SINTEG-Experimentierklausel Aus enera ergeben sich nicht nur Folgerungen für den
wurde nach einem Beschluss des künftigen gesetzlichen Rahmen, sondern auch für die
Bundestags in das Energiewirt- konkrete Ausgestaltung bereits beschlossener Vorgaben.
schaftsgesetz aufgenommen und Dies gilt insbesondere für den sogenannten Redispatch
durch die SINTEG-Verordnung 2.0, der aus dem Gesetz zur Beschleunigung des Ener-
konkret umgesetzt. Sie bietet den gieleitungsausbaus (NABEG 2.0) resultiert. Dispatch be-
Projektpartnern die Möglichkeit, zeichnet die Einsatzplanung von Kraftwerken, Redispatch
sich wirtschaftliche Nachteile auf- deren kurzfristige Änderung bei Netzengpässen. Die Ab-
grund der Projekttätigkeit erstatten weichungen von den Fahrplänen werden bislang allein
zu lassen. Zudem erhalten Netz- von den Übertragungsnetzbetreibern angeordnet, künf-
betreiber die Freiheit, im Rahmen tig sind auch die Verteilnetzbetreiber am Redispatch
des Projekts die Funktionsweise beteiligt. Eine weitere wesentliche Änderung: Während
von Flexibilitätsplattformen zu bislang nur große konventionelle Erzeuger betroffen
erproben. sind, werden in der für Oktober 2021 anvisierten Neu-
ordnung auch die regenerative Stromproduktion sowie
die Kraft-Wärme-Kopplung einbezogen. Denn mit den
dezentralen Anlagen lässt sich ein lokaler Engpass meist
zielgenauer auflösen als mit konventionellen Großkraft-
werken. So sollen die Kosten für den Redispatch gesenkt
werden.
KOMPLETTPAKET FÜR DEN WELTMARKT Erkenntnisse aus enera können auch genutzt werden,
um zum Beispiel nachfrageseitige Flexibilität und kleine
Die im SINTEG-Programm entwickelten Ansätze sind Produktionsanlagen in den deutschen Redispatch-
nicht nur für Deutschland wegweisend. Sie können Mechanismus zu integrieren. Solche Anlagen, die nicht
auch auf andere Länder übertragen werden. Dement- im kostenbasierten Engpassmanagement gesteuert
sprechend erhielten die SINTEG-Projekte international werden, würden den Netzbetreibern einen größeren
von Anfang an viel Aufmerksamkeit. In der Reihe der Pool an Flexibilität zur Verfügung stellen und so die
europäischen Flexibilitätsprojekte nimmt enera die Gesamteffizienz des Engpassmanagements verbessern.
Rolle des Pioniers ein. Dadurch bestehen gute Chancen, Diese Idee eines Hybridmodells fasst ein Paper des
das Gesamtprodukt aus Regulierung, Marktdesign und enera Projekts zusammen. →
technischen Lösungen am Weltmarkt zu positionieren.
So können auch Ergebnisse verwertet werden, die in
Deutschland aufgrund des regulatorischen Rahmens
noch nicht außerhalb des Projekts möglich sind. Für die
internationale Vermarktung braucht es allerdings ge-
eignete industriepolitische Weichenstellungen und eine
begleitende strategische Verwertung der Blaupausen.
66 // ENERGIESYSTEM DER ZUKUNFT
ENERGIE VERNETZEN und umsetzen können. enera hat vielen Experten aus
Wissenschaft und Praxis ein Format geboten, in dem
Die Energiewende ist so weitreichend, dass sie nicht basierend auf konkreten Problemstellungen neue Ideen
nur aus der Perspektive einzelner Bereiche wie Handel, entwickelt und umgesetzt werden.
Transport oder Verteilung betrachtet werden kann. Als
Projekt mit historischer Dimension ist sie vielmehr ganz- Nicht nur die Lösungen wirken über das Projekt hinaus
heitlich zu sehen und umzusetzen. Dafür müssen nicht – ebenso wichtig ist das gewonnene Vertrauen zwischen
nur Experten aus einzelnen Disziplinen zusammen- den wichtigsten Akteuren des Energiesystems. Es ist die
kommen. Es ist auch eine gemeinsame Sprache zu Basis, um über enera hinaus gemeinsam an konkreten
finden, damit Fachleute innovative Ideen entwickeln Problemen zu arbeiten. //
Arbeitspakete
in enera
//
Die ITAnbindung
dezentraler Erzeuger
und Verbraucher
eröffnet neue Optionen
für Netz und Markt.
71 KAPITEL I
Digitale
Infrastruktur
ARBEITSPAKET 01 → S. 74
Digitale Konnektivität herstellen
ARBEITSPAKET 02 → S. 78
Etablierung einer Smart Data und Service
Plattform
ARBEITSPAKET 03 → S. 82
Smart Grid Operator konzipieren und
umsetzen
ARBEITSPAKET 04 → S. 86
Netzbetriebsmittel zur effizienten
Netzauslastung
ARBEITSPAKET 10 → S. 90
Aufbau des enera Kompetenz- und
Qualifizierungscenters
ARBEITSPAKET 12 → S. 94
Erstellung der standardisierten enera
Gesamtarchitektur und eines zugehörigen
Informationssicherheitskonzepts
72 // KAPITEL I DIGITALE INFRASTRUKTUR
011010101101
101101
Die digitale
Infrastruktur
aufbauen
73
Daten als
Basis der
Energiewende
D
er Digitalisierung kommt eine tragen-
de Rolle beim Umbau des Energiesys-
tems zu. Sie liefert Echtzeitinforma-
tionen zu dezentralen Erzeugern und
Verbrauchern, zu Batteriespeichern
und Netzen. So wird es möglich, die-
se Anlagen effizient zu steuern und
zu vernetzen. Die im Arbeitspaket 1
installierte digitale Sensorik und Aktorik schafft die
technischen Grundlagen für den Datenfluss im Projekt
enera.
LÖSUNGSELEMENTE
Detaillierte Projektberichte
finden Sie im enera Projekt-
kompendium unter:
www.projekt-enera.de
Roll-out iMSys
→ S. 18
Powerline
→ S. 30
Steuern über iMSys
→ S. 34
Messen und Steuern
→ S. 38
U
m die Energiewende weiter voran-
zutreiben, sind Massendaten aus LÖSUNGSELEMENTE
verschiedensten Quellen zusammen-
zuführen – dies ist eine Grundlage Detaillierte Projektberichte
für effizientes Steuern und Auto- finden Sie im enera Projekt-
kompendium unter:
matisieren. Zugleich ermöglicht der
www.projekt-enera.de
immense Datenpool neue Produkte,
Dienste und Geschäftsmodelle. Im SDSP-Plattform
→ S. 44
Arbeitspaket 2 wurde mit einer IT-Plattform die zentrale
Datendrehscheibe für enera aufgebaut. Smart Energy Services
→ S. 48
Massendatenkonzept
Im Forschungsprojekt diente die Smart Data und Service → S. 50
Plattform (SDSP) als übergreifende Informations- und Smart Grid Logical Data Model
Datensammlung für Quell- und Zielsysteme. Es fließen → S. 52
unterschiedlichste energiewirtschaftliche Daten ein: Sie
Microservices
stammen beispielsweise von Strombörsen oder Vir- → S. 56
tuellen Kraftwerken. Wetterprognosen werden ebenso
B2B-Koordination
erfasst wie der Netzzustand oder Verbrauchsdaten der
→ S. 60
Haushalte. Die Daten werden nicht nur gesammelt,
sondern auch auf Zusammenhänge untersucht und
analysiert – eine Basis für wertschöpfungsebenenüber-
greifende Geschäftsmodelle.
79 // enera TEAM
SaaS
DER SMART DATA UND PLATTFORM REGISTER APP APP
SERVICE PLATTFORM
API PORTAL/GATEWAY
Die IT-Plattform ist die zentrale Daten-
Zentraler Zugriffspunkt,
drehscheibe für enera und führt Mas- Benutzerverifikation und Accounting
sendaten aus verschiedensten Quellen
zusammen – etwa von Strombörsen,
Wetterprognosen oder Verbrauchern.
Sie ist die Basis für effizientes Steuern DATENSERVICES DATENSERVICES DATENSERVICES
DaaS
im Energiesystem und ermöglicht zu- Siemens ANM enera Kunden App Nachweisplattform
gleich neue Produkte und Services.
MANAGEMENT
DATEN-
STRUKTUREN IM DATENSEE
BETEILIGTE PARTNER
SAP SE
Mit rund 10 Terabyte wurde in enera eine Datenmen- BTC AG
ge erzeugt, die in der Energiewirtschaft in dieser Form EWE AG
bis dahin nicht verfügbar war. Neu sind sowohl die OFFIS e.V.
Siemens AG
Dimension als auch der Detailgrad, etwa bei Verbrauchs-
Software AG
informationen. Die auf der SDSP zusammengeführten Jacobs University Bremen gGmbH
Daten bilden die Grundlage, um unter anderem mittels EWE NETZ GmbH
81
FALLBEISPIEL I
D
er Ausbau der Stromnetze hält nicht
Schritt mit der wachsenden Erzeu-
gungsleistung der Erneuerbaren
Energien. Smart Grids helfen, mehr
Grünstrom aufzunehmen. Die Schalt-
meister in den Leitstellen bekom-
men dadurch eine neue Rolle – und
IM ENERGIELABOR DER JADE HOCHSCHULE
immer komplexere Aufgaben. Bei deren Bewältigung WURDEN NETZREGLER GETESTET.
helfen automatisierte Prozesse und Werkzeuge, die im DAMIT LASSEN SICH ERZEUGUNGSANLAGEN
Arbeitspaket 3 definiert und demonstriert wurden. AUTOMATISIERT UND BEDARFSGERECHT
STEUERN.
SMART GRIDS IN DER NETZPLANUNG Jahren. Für dieses fiktive Gebiet werden drei Varianten
durchgespielt, die den konventionellen Netzausbau,
In der Planung für den Ausbau der Energieversorgungs- den Einsatz regelbarer Ortsnetztransformatoren und
netze ist die zu erwartende Erzeugungs- und Ver- die Nutzung flexibler Leistung aus der Spitzenkappung
brauchssituation zu berücksichtigen. Da ein Smart Grid betrachten. Das Ergebnis: Gegenüber dem konventio-
Operator die Verteilnetze besser auslasten kann, ist dies nellen Netzausbau bieten beide Varianten deutliche
auch in der Netzplanung zu berücksichtigen. Dazu sind Kostenvorteile. Durch die Installation der regelbaren
zum einen die Wechselwirkungen zwischen dem Einsatz Ortsnetztransformatoren sind acht Prozent weniger auf-
flexibler Wirkleistung und dem Netzausbau abzubilden. zuwenden. Und bei der Variante mit der Spitzenkappung
Zum anderen sind der Einfluss neuer Betriebsmittel können die Netzausbaukosten um 14 Prozent reduziert
wie regelbarer Ortsnetztransformatoren oder Netzreg- werden.
lern, die Einspeiser im Rahmen der Spitzenkappung (→
Infokasten) feinstufig steuern, auf die Netzauslegung zu
beachten. AUTOMATISCH ABREGELN
Die komplexen Wechselwirkungen werden von einer in
enera entwickelten Software zur Netzplanung abgebil- Engpässe im Stromnetz treten immer häufiger wetter-
det. Das Tool unterstützt die Planer bei der Ermittlung abhängig durch die Einspeisung dezentraler Erzeuger
der kostengünstigsten Variante zur Erweiterung der auf – und häufig zeitgleich an mehreren Stellen im Netz.
Netzkapazität. Das neue Planungsverfahren berück- Um die Schaltmeister in der Netzleitstelle zu entlasten,
sichtigt einerseits den erwarteten Zubau von Erzeugern wurde in enera die Engpassauflösung im Stromnetz
Erneuerbarer Energien, die sich netzdienlich steuern
lassen. Andererseits lassen sich auch Szenarien einer
erhöhten Last durch Stromverbraucher wie Wärme-
pumpen oder Elektrofahrzeuge abbilden. Das Verfahren
ermittelt den optimalen Kapazitätsausbau sowohl aus
volks- als auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht. LÖSUNGSELEMENTE
Im Projekt wurde das Planungstool auf ein exemplari-
sches Mittelspannungsnetz angewendet, das 40 Nieder- Detaillierte Projektberichte finden Sie
spannungsnetze versorgt. Im Netzgebiet wird eine große im enera Projektkompendium unter:
www.projekt-enera.de
Menge an Erneuerbarer Energie eingespeist. Die Leis-
tung dieser Erzeuger verdoppelt sich innerhalb von zehn Prognosebasierte Engpassauflösung
→ S. 64
Engpassauflösung mit Flexibilität
→ S. 66
Teilautomatisierter Netzbetrieb
→ S. 68
Verteilnetzautomatisierung
WAS IST DIE SPITZENKAPPUNG? → S. 78
Blindleistung, STATCOMS und Verlustmodelle
Der Netzbetreiber ist zum Ausbau
→ S. 82
der Netze verpflichtet, um Erneue-
rbare Energien aufzunehmen. Er Einspeiser im umrichterdominierten Netz
→ S. 83
muss die Verteilnetze aber nicht
mehr „bis zur letzten Kilowatt- Ertüchtigung Netzlabor
stunde“ auslegen. Das wäre be- → S. 84
sonders teuer. Mit der gesetzlich Simulation Netznutzung
verankerten Spitzenkappung gilt → S. 88
die Netzausbaupflicht als erfüllt, Simulation aktiver Netzbetrieb
wenn maximal drei Prozent der → S. 92
theoretisch erzeugbaren Jahres-
Optimierte Ausbaupläne
energiemenge abgeregelt werden → S. 96
muss. Dadurch können deutlich
Validierung Kommunikationsnetze
mehr Erneuerbare Erzeuger an das
→ S. 10
Netz angeschlossen werden, ohne
das Stromnetz auszubauen.
85 // enera TEAM
M
it innovativen Betriebsmitteln
lässt sich die Kapazität des
Stromnetzes erhöhen. So kann
mehr Erneuerbare Energie aufge-
nommen werden – und der teure
konventionelle Netzausbau lässt
sich begrenzen. Im Arbeitspaket 4
wurden drei verschiedene Betriebsmittel in der enera Der regelbare Ortsnetztrafo war bereits vor Projektstart
Modellregion bewertet und getestet. etabliert, wird allerdings bislang nur punktuell ver-
wendet. Bei Feldtests in enera wurden dagegen mehr
als 200 Geräte flächendeckend installiert – mit kosten-
Soll das bestehende Verteilnetz zum Smart Grid werden, senkenden Effekten im Mittelspannungsnetz: Durch das
muss es flexibel auf den hochdynamischen Netzzustand smarte Umspannen konnte konventioneller Netzausbau
reagieren können. Dieses Ziel wurde in enera zum einen vermieden werden.
mit der Einbindung flexibler Verbraucher und Erzeuger
erreicht, zum anderen durch netztechnische Lösungen. Eine weitere Steuerungsoption im Smart Grid bietet die
Wie sich mit innovativen Betriebsmitteln die Netzkapazi- Kopplung von Mittelspannungsnetzen, die sich aus der
tät zusätzlich erhöhen lässt, hat die Projektgruppe des Untersuchung des supraleitenden Kurzschlussstrom-
Arbeitspakets 4 aufgezeigt. Dabei ist insbesondere der begrenzers ergeben hat. Dabei gibt es mehrere Varian-
großflächige Einsatz von regelbaren Ortsnetztransforma- ten, die im Projekt untersucht wurden. In den Analysen
toren zu nennen. Außerdem wurden Hochspannungs- und im abschließenden Feldtest hat sich gezeigt, dass
kompensationsspulen und supraleitende Kurzschluss- die Netzkopplung über die Parallelschaltung von zwei
strombegrenzer als weitere innovative Betriebsmittel Transformatoren sowohl technisch machbar als auch
analysiert. wirtschaftlich sinnvoll ist.
87
einsetzbar ist. Berücksichtigt wurden diverse Varianten unter welchen Bedingungen die Netzkopplung erfolgen
zu Netzkopplung sowie Ausbauszenarien dezentraler kann, wie sie technisch im Umspannwerk umgesetzt
Erzeugungsanlagen und der Transformatorbemessungs- wird und wie sie im Netzleitsystem abzubilden ist, um
leistung. Es hat sich gezeigt, dass sich Kurzschluss- einen sicheren Betrieb zu gewährleisten. Dieses Konzept
ströme lediglich bei einem erheblich veränderten Netz- wurde erfolgreich in einem Umspannwerk umgesetzt
betrieb unzulässig erhöhen würden. Diese Konstellation und getestet. Der Feldtest hat bestätigt, dass durch die
tritt in der Modellregion jedoch nicht auf, so dass der Kopplung der Leistungsfluss über die Transformatoren
Einsatz eines supraleitenden Kurzschlussstrombegren- deutlich reduziert beziehungsweise besser verteilt wird
zers dort weder aktuell noch in naher Zukunft technisch und somit die Netzkapazität erhöht werden kann.
erforderlich ist.
Bei der weiteren Untersuchung zur Netzkopplung hat
sich gezeigt, dass die Variante mit Schaltstelle bei räum- HOCHSPANNUNGSKOMPENSATIONSSPULE FÜR DAS
lich getrennten Transformatoren mit zu hohen Risiken BLINDLEISTUNGSMANAGEMENT
behaftet ist. Gründe sind unter anderem Transitflüsse
und der unbekannte Spannungswinkel aus dem Hoch- In enera wurden verschiedene Technologien zur Blind-
spannungsnetz sowie die notwendige Synchronisation leistungsbereitstellung analysiert. Im Fokus stand unter
der Schaltzustände. Die Variante mit parallel geschalte- anderem die Hochspannungskompensationsspule. Mit
ten Transformatoren im selben Umspannwerk hat sich dieser lässt sich Blindleistung flexibel, unabhängig von
dagegen als technisch umsetzbar und wirtschaftlich der Einspeisung von Windstrom und in großen Mengen
sinnvoll erwiesen. Zudem wurde die Annahme zur Ver- bereitstellen. Durch die Integration der Anlage auf der
teilung der Belastungsspitzen theoretisch nachgewiesen. Hochspannungsseite von Umspannwerken können meh-
Für die abschließende Demonstration wurde festgelegt, rere Verteilnetzbereiche gleichzeitig ausgeregelt werden.
LÖSUNGSELEMENTE
Detaillierte Projektberichte
finden Sie im enera Projekt-
kompendium unter:
www.projekt-enera.de
Supraleitender Kurzschluss-
strombegrenzer
→ S. 108
WENN MITTELSPANNUNGS- Kopplung Mittelspannungs-
NETZE IN UMSPANNWERKEN
netze
GEKOPPELT WERDEN, LAS-
SEN SICH MEHR ERZEUGER → S. 112
REGENERATIVEN STROMS
Gebündelter rONT-Einsatz
ANS VORHANDENE NETZ
ANSCHLIESSEN.
→ S. 116
89 // enera TEAM
//
Die Digitalisierung
bricht etablierte
Strukturen in der
Energiebranche auf.
Digitalisierung
braucht
Qualifizierung
D
BEDARFSANALYSE UND BILDUNGSPLAN
igitaler, flexibler und transparen-
ter: Der Wandel des Energiesys- Mit der Digitalisierung werden etablierte Strukturen in
tems beschränkt sich nicht darauf, der Energiebranche aufgebrochen, Arbeitsgebiete
Hard- und Software zu installieren. verändern sich und neue Anforderungen entstehen. Die
Innovative Technologien bringen für Beschäftigten sind für diese Veränderungen zu sensibili-
alle Beschäftigten der Branche viele sieren und koordiniert zu qualifizieren. Um exakt zu
Aufgaben mit sich. Neue Werkzeuge, bestimmen, welcher Bildungsbedarf besteht, erfolgte
Prozesse und Methoden erfordern eine umfassende zunächst eine umfassende Analyse bei Beschäftigten im
Qualifizierung, für die im Arbeitspaket 10 Schulungen in technischen Bereich. Sowohl bereits vorhandene als
diversen Formaten entwickelt wurden. auch die für enera aufzubauenden Kompetenzen
wurden ermittelt. Auf dieser Basis sind dann Qualifizie-
rungsbausteine definiert worden. Schulungsbedarf gab
Am Anfang stand eine umfassende Analyse, in wel- es insbesondere rund um die für enera zentralen
chen Bereichen besonderer Bedarf für Weiterbildungen Themen Digitalisierung, Flexibilisierung und Smart Grid
besteht. Auf dieser Grundlage entstanden dann Schu- sowie bei Themenfeldern wie Netzdesign und -planung,
lungen in vielen Formaten und Themenfeldern: von intelligente Messsysteme, regelbare Ortsnetztrans-
Online-Kursen zu Blockchain oder Blindleistung bis zu formatoren oder Batteriespeicher. Mit Informationsver-
Trainingseinheiten für methodische Fragestellungen. Alle anstaltungen vor Ort, Online-Lerneinheiten und weite-
Qualifizierungsbausteine sind auf einer digitalen Lern- ren Formaten wurde im Projektverlauf auf den
plattform abrufbar. Qualifizierungsbedarf reagiert. →
92 // ARBEITSPAKET 10 AUFBAU DES ENERA KOMPETENZ- UND QUALIFIZIERUNGSCENTERS
QUALIFIZIERUNGSBAUSTEINE IN VIELFÄLTIGEN
FORMATEN
»enera war kein Projekt wie jedes andere; allein ein Blick
auf die beteiligten Projektpartner genügt, um ein Gefühl
für die Dimension des Vorhabens zu bekommen.
Das Projekt ist mit all seinen Ergebnissen ein wahrer
Wegbereiter der Energiewelt von morgen – und ich
bin stolz, dass wir unseren Teil zur Demonstration der
Energiewende beisteuern konnten!«
E
in dezentrales und digitales Smart
Grid erhöht die Effizienz – und zugleich
die Zahl der Angriffspunkte. Umso
wichtiger ist es, trotz fundamenta-
ler Veränderungen im Stromnetz für
ein jederzeit hohes Schutzniveau zu
sorgen. Ziel im Arbeitspaket 12 war es,
im gesamten Projekt die Informations- und IT-Sicher-
heit zu gewährleisten.
Ein Managementsystem für Informationssicherheit Aus den im Projekt gewonnenen Erfahrungen lassen
(ISMS) umfasst die Bereiche Mitarbeiter, Management- sich Handlungsempfehlungen auf mehreren Ebenen
prinzipien, Ressourcen und Sicherheitsprozesse, wobei ableiten. Lücken zwischen Standards wurden identi-
der Fokus des Arbeitspakets 12 auf letzterem lag. Ziel fiziert und dokumentiert, um diese bei künftigen
war es, ein hohes Sicherheitsniveau möglichst effizient Standardisierungen schließen zu können. Empfohlen
für alle Teile des enera Projekts zu erreichen. wird insbesondere, die Methodik zur Erfassung der
In der Regel wird ein Managementsystem für die Anwendungsfälle hinsichtlich Security by Design zu
Informationssicherheit von einer Institution in ihrem verbessern. Bei diesem Prinzip aus der Software-
eigenen Verantwortungsbereich etabliert. Dies ist auch entwicklung wird von Beginn an vorgesorgt, um
bei den meisten Projektpartnern in enera der Fall. Um Schäden zu minimieren, falls zum Beispiel Angreifer
dennoch ein einheitliches Schutzniveau zu erreichen, eine Schwachstelle ausnutzen. Bösartige Angriffe auf
wurde ein übergreifendes System auf Basis der erfass- das System werden generell erwartet. Dauerhaft ist
ten Anwendungsfälle konzipiert. Es zielt darauf ab, in mit Security by Design ein höheres Schutzniveau zu
einem Energiesystem, das durch dezentrale Einspeisung erreichen, da Datenschutz und Informationssicherheit
dominiert ist, die Risiken für Geschäftsprozesse, Daten bereits in der Planung berücksichtigt werden. Weil teure
sowie Informations- und Kommunikationssysteme zu Nachbesserungen vermieden werden, ist die frühzeitige
minimieren. Zur Absicherung eines intelligenten und Integration zudem deutlich ressourcenschonender
komplexen Energienetzes müssen sich die Informations- und mit weniger Aufwand verbunden.
und Kommunikationstechnologien an etablierten
Vorgehensweisen und Standards orientieren. Zu nennen
sind hier die internationale ISO/IEC 27000-Reihe, der
vom Bundesamt für Sicherheit in der Informations-
technik definierte IT-Grundschutz sowie die gesetzlichen
Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit.
Das Managementsystem für Informationssicherheit LÖSUNGSELEMENTE
verbindet diese unterschiedlichen Standards und
kann auch auf zukünftige Gesetze und Regulierungen Detaillierte Projektberichte finden Sie
reagieren. im enera Projektkompendium unter:
www.projekt-enera.de
ISMS und SGAM Use Cases
SICHERHEIT DER IT-ARCHITEKTUR BEWERTEN → S. 126
Security by Design in Use Cases
In enera entwickelte Informations- und Kommunika- → S. 130
tionstechnologien sind Teil eines komplexen, neuartigen Erweiterung UCMR
Gesamtsystems. Darin sind insbesondere für Energie- → S. 142
dienstleistungen und Mehrwertdienste Standards und
IT-Grundschutz Virtuelles Kraftwerk
Modelle so weiterzuentwickeln, dass Datenschutz und → S. 148
Informationssicherheit gewährleistet sind. Beispiels-
Messen und Steuern via SMGW
weise gilt dies bei den digitalen Zählern für das Messen
→ S. 152
und Steuern via Smart Meter Gateway. Dazu erfolgten im
Arbeitspaket auf Basis der Anwendungsfälle gesonderte Security-Dashboard
→ S. 162
Analysen.
Um Ergebnisse von Sicherheitsanalysen übersicht- Sicherheitsanforderungen bei Dritten
lich darzustellen, wurde ein Dashboard entwickelt, → S. 166
das etwa Schutzbedarfe oder auch den Umsetzungs- Penetrationstest rONT und Netzregler
stand von Sicherheitsanforderungen visualisiert. → S. 176
Architektureigenschaften lassen sich darin anhand Assurance Cases für Use-Case-
eines softwaregestützten Kennzahlensystems bewerten, Erhebung
kategorisieren und vergleichen. → S. 180
Herstellerübergreifende
Sicherheitsarchitektur
→ S. 188
97 // enera TEAM
HACKER AM ORTSNETZTRAFO
DATENFLUSS HERSTELLERÜBERGREIFEND
ABSICHERN
//
Eine überwiegend
regenerative Strom
erzeugung erfordert
eine Abstimmung
mit dem Verbrauch.
99 KAPITEL II
Flexibilität
& Markt
ARBEITSPAKET 05 → S. 102
Technische Flexibilisierung von Erzeugern,
Verbrauchern und Speichern
ARBEITSPAKET 06 → S. 106
Marktseitige Aktivierung von regionalisier-
ten Systemdienstleistungen und Produkten
ARBEITSPAKET 07 → S. 112
Erweiterung des liquiden Energiemarkts um
regionalisierte Produkte
100 // KAPITEL II FLEXIBILITÄT & MARKT
Flexibilität
hat jetzt
einen Preis
//
Von 250 Anlagen wurden am
enera Flexmarkt mehr als
100.000 Kilowattstunden
Flexibilität abgerufen.
Bei 4.000 Geboten erfolgten
130 Transaktionen.
Auf dem Flexibilitätsmarkt
trafen drei Netzbetreiber
auf der Nachfrageseite auf
sechs Vermarkter auf der
Angebotsseite.
Vom Heizstab
bis zum Gasverdichter:
der flexible Anlagenpark
D
amit die Stromversorgung auch bei In den enera Flexmarkt waren auf der einen Seite Er-
einem hohen Anteil Erneuerbarer zeuger Erneuerbarer Energie eingebunden: Windkraft-,
Energien sicher und effizient funktio- Photovoltaik- und Biogasanlagen. Auf der Verbrauchs-
niert, sollen dezentrale Erzeuger, Ver- seite reicht die Spanne von Heizgeräten mit wenigen
braucher und Speicher flexibel auf Kilowatt Leistung bis zu industriellen Megawatt-Anlagen:
die aktuelle Netzsituation reagieren. Neben einem Verdichter für den Gastransport war der
Welche Anlagen sich für ein intelli- Dampferzeuger eines Industriebetriebs integriert. Auch
gentes Engpassmanagement bezie- bei Speichern sind unterschiedlichste Größen vertreten:
hungsweise für die Vermarktung auf dem Flexmarkt eig- kleine Hausspeicher für Photovoltaikstrom ebenso wie
nen und wie sie sich technisch anbinden lassen, wurde Batterien der Megawattklasse.
im Arbeitspaket 5 ermittelt.
103
FALLBEISPIEL
//
In Deutschland gibt es mehr als 13 Millionen
Gasheizungen. Wird ein Heizstab mit
5 Kilowatt Leistung im Pufferspeicher nach
gerüstet, ergibt sich daraus rechnerisch
ein Lastpotenzial von 65 Gigawatt.
Zum Vergleich: Alle Pumpspeicher im Land
können zusammen eine Leistung von
6,7 Gigawatt aufnehmen.
WARMWASSER MIT WIND: DAS GROSSE POTENZIAL Im Projekt wurden auch elektrische Hausspeicher inte-
DER SEKTORKOPPLUNG griert. Da die Leistung einer einzelnen Anlage zu gering
ist, werden diese von Aggregatoren, in diesem Fall die
Nicht nur in der Industrie lässt sich Wärme sinnvoll Hersteller der Systeme, zusammengeschlossen. Die
mit überschüssigem Strom erzeugen, sondern auch Hausspeicher sind in der Regel an eine Photovoltaik-
in Haushalten: Allein in Deutschland werden mehr als Anlage angeschlossen und nehmen den erzeugten
13 Millionen Gasheizungen betrieben. Würde man deren Strom auf, der nicht unmittelbar im Haus benötigt wird.
Pufferspeicher mit elektrischen Heizstäben aufrüsten, Abhängig von Sonneneinstrahlung und Strombedarf be-
stünde ein großes Potenzial flexibler Last bereit. Wie stehen freie Speicherkapazitäten, die netzdienlich ein-
diese in Abhängigkeit der Betriebsparameter für die gesetzt werden können. So ließen sich die Hausspeicher
Netzstabilität nutzbar ist, wurde im Feldversuch in rea- zum Beispiel mit überschüssigem Windstrom aufladen.
len Haushalten ermittelt. Eingebunden waren außerdem In zahlreichen Feldtests mit insgesamt 60 Kleinstanlagen
Wärmepumpen, Nachtspeichergeräte sowie Gasbrenn- wurden unter anderem Algorithmen entwickelt, über
wertthermen mit eingebautem elektrischem Durchlauf- die sich erkennen lässt, welche Last die Hausspeicher
erhitzer. Diese Gas-Hybrid-Geräte wurden als Prototypen in Abhängigkeit von der Sonneneinstrahlung und dem
eigens für enera entwickelt. Strombedarf des Haushalts aufnehmen können.
Einzelne Heizgeräte haben für einen Netzbetreiber eine Außerdem wurden Batteriespeicher der Megawattklasse
zu geringe Leistung, um Engpässe aufzulösen. Schaltet eingebunden. Ein in Containern installierter Hybrid-
man die Kleinstgeräte zu einem zentral steuerbaren Speicher nahe dem Umspannwerk in Varel gleicht mit
Pool zusammen, summiert sich deren Leistung auf seinen Lithium-Ionen-Batterien die Frequenzschwan-
eine relevante Größe, die in einem lokalen Netzgebiet kungen im Netz aus. Seine Natrium-Schwefel-Batterien
verfügbar ist. Um die Kleingeräte als regional steuer- eignen sich vor allem für die langfristige Speicherung
bare Last in das Energiesystem der Modellregion zu größerer Strommengen. Ein weiterer Speicher wurde
integrieren, wurden sowohl Kommunikationshardware bei einem Industriebetrieb errichtet. Dabei bestand die
als auch Softwarelösungen entwickelt und getestet. So Herausforderung vor allem darin, die Anforderungen des
wird etwa deutlich, welche Rolle Außenlufttemperatur Netzbetreibers mit dem primären Einsatzzweck in Ein-
und Tageszeit bei der Prognose einer möglichen Last- klang zu bringen.
aufnahme von Heizgeräten spielt. Es zeigte sich, dass Großspeicher beim Management
Mit dem Feldversuch konnte gezeigt werden, dass rele- von Netzengpässen besonders variabel einsetzbar sind.
vante Last netzdienlich zur Verfügung steht, ohne dass Überschüssiger Strom etwa von Windkraftanlagen lässt
die primäre Aufgabe der Anlagen eingeschränkt wird sich aufnehmen und bedarfsgerecht wieder abgeben, um
– der Wärmebedarf wird weiterhin ohne Komfortverlust Wirkleistungsengpässe aufzulösen. Außerdem liefern sie
gedeckt. dem Netzbetreiber sogenannte Systemdienstleistungen.
105 // enera TEAM
Kommunikation
unter Strom
A
uf dem enera Flexmarkt wird die netz-
dienliche Anpassung von Einspeisung
oder Verbrauch für das Engpass-
management genutzt. Die Nachfrage
der Netzbetreiber sowie das Angebot
an Flexibilität müssen dafür intelli-
gent verknüpft werden. Damit beide
Seiten am Markt miteinander kommu-
nizieren können, wurden im Arbeitspaket 6 technische
Grundlagen und Prozesse entwickelt und Abläufe weit-
gehend automatisiert – denn nur so können sich Ver-
markter von Virtuellen Kraftwerken an den komplexen
und hochdynamischen lokalen Märkten beteiligen.
BILANZKREIS AUTOMATISCH AUSGLEICHEN dem enera Flexmarkt eine vorab definierte Wirkleistung
zu liefern, steuert das Virtuelle Kraftwerk die Einzelan-
Wenn ein Vermarkter für den enera Flexmarkt die Ein- lagen so an, dass in Summe der vereinbarte Fahrplan
speise- oder Verbrauchsleistung innerhalb seines Virtu- eingehalten wird.
ellen Kraftwerks anpasst, führt dies zu einem Ungleich- Im deutschen Strommarkt wird Energie derzeit inner-
gewicht zwischen der gehandelten Position und der halb der vier großen Regelzonen vermarktet, für die
tatsächlichen Einspeisung im zugehörigen Bilanzkreis. ein deutschlandweit einheitlicher Strompreis gilt. Im
Das Bilanzkreismodell stellt sicher, dass überregional Demonstrationsbetrieb des Flexmarktes agierten vier
nur Energie verkauft oder geliefert wird, die tatsächlich Vermarkter mit ihren Virtuellen Kraftwerken über fast
produziert wurde. Um den Bilanzkreis nach einer Ver- eineinhalb Jahre nicht nur auf diesem Strommarkt für
haltensanpassung am Flexmarkt wieder auszugleichen, Gesamtdeutschland sondern auch in den kleinräumigen
braucht es daher ein Geschäft am Großhandelsmarkt enera Marktgebieten.
oder eine gegenläufige Steuerung von Anlagen in einem Dazu mussten zunächst alle angebundenen Anlagen
anderen Marktgebiet. Dieser Prozess wurde mit entspre- entsprechend ihrer Standorte den lokalen Orderbüchern
chenden Algorithmen automatisiert umgesetzt. des Flexmarktes zugeordnet werden. Im nächsten Schritt
war die Steuerungslogik des Virtuellen Kraftwerks so
anzupassen, dass eine regionale Netzstabilisierung über
VIRTUELLE KRAFTWERKE IM REGIONALEN EINSATZ die kostengünstigsten Anlagen erfolgt. Da Direktvermark-
ter auch auf dem Großhandelsmarkt tätig sind, mussten
Die Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien zudem die Steuerungsalgorithmen für den regionalen
schwankt je nach Wind und Wetter, während der Strom- Flexmarkt und den überregionalen Markt in den Regel-
verbrauch vom individuellen Bedarf abhängt – bei zonen abgestimmt werden, um Konflikte zu vermeiden.
Privathaushalten und bei der Industrie etwa vom Über die Marktagenten kommunizieren die Virtuellen
Betrieb leistungsstarker Geräte. Virtuelle Kraftwerke Kraftwerke permanent mit der Handelsplattform. Aktua-
gleichen die Schwankungen aus, indem sie Erzeuger und lisierungen werden laufend übermittelt. So können die
Verbraucher bündeln. Diese werden dann wie eine ein- Virtuellen Kraftwerke mit den angeschlossenen Anlagen
zelne Anlage an den Energiemärkten vermarktet. Um auf automatisch auf Preissignale reagieren. →
BETEILIGTE PARTNER
TenneT TSO GmbH
energy & meteo systems GmbH
BTC AG
EWE AG
EWE NETZ GmbH
EWE VERTRIEB GmbH
Likron GmbH
Universität Duisburg-Essen
Avacon Netz GmbH
Energiehandel Besicherung
FERNWIRKTECHNIK
BATTERIE-GROßSPEICHER IM FLEXMARKT
ANLAGEN
112 // ARBEITSPAKET 07 ERWEITERUNG DES LIQUIDEN ENERGIEMARKTS UM REGIONALISIERTE PRODUKTE
Alternative zum
Abregeln: belohnen
statt entschädigen
D
er enera Flexmarkt sorgt dafür,
dass Nachfrage und Angebot für
das regionale Produkt „Flexibilität“
zusammenfinden. Dies geschieht auf
einem transparenten Marktplatz,
der durch die europäische Strom-
börse EPEX SPOT betrieben wird. Im
Arbeitspaket 7 wurden das Markt-
design festgelegt, eine eigene Handelsplattform für
enera geschaffen und die Prozesse für Zertifizierung
und Nachweisführung entwickelt.
FLEXIBILITÄTSANGEBOT
LOKALES FLEXIBILITÄTSANGEBOT Auf der Marktplattform der EPEX
SPOT bieten Vermarkter eine gerin-
gere Einspeisung oder eine höhere
Abnahme von Strom an, nachdem
Netzbetreiber dort ihren Bedarf an
Flexibilität gemeldet haben.
FLEXIBILITÄTS-MARKTPLATTFORM
EPEX SPOT
STANDARDS
NEUTRALITÄT
TRANSPARENZ
LOKALE FLEXIBILITÄTSNACHFRAGE
FLEXIBILITÄTSNACHFRAGE
Der enera Flexmarkt wird von Netz-
TENNET TSO
Produkt
„18-19 RES“ Gebot für den Einsatz
von Flexibilität
Marktgebiet Erhöhter Vebrauch
oder verringerte
Produktion
Order-
Eingabebild DIE BENUTZER-
OBERFLÄCHE
DES ENERA
FLEXMARKTS
ENGPÄSSE ÜBER LOKALE MÄRKTE AUFLÖSEN ZENTRALES REGISTER FÜR FLEXIBLE ANLAGEN
Am Flexmarkt wird keine Energie gehandelt, sondern das Damit ein Erzeuger, Speicher oder Verbraucher am Flex-
standardisierte Produkt „Flexibilität“. Dies ist letztlich markt eingesetzt werden kann, muss der Vermarkter die
eine Abweichung von einem Verhalten, das ohne den jeweilige Anlage anmelden und zertifizieren lassen. Der
Handel zu erwarten oder geplant war. Das Marktdesign anschließende Netzbetreiber prüft die Anlagen und ord-
zielt darauf ab, börsenbasiert ein möglichst großes net sie dem richtigen Marktgebiet zu. Dieses entspricht
Potenzial an flexibler Leistung für das Engpassma- in enera dem Transformatorbereich eines Umspann-
nagement zu erschließen. Den durch die Netzbetreiber werkes zwischen der Hoch- und Mittelspannungsebene
definierten Marktgebieten sind Orderbücher zugeordnet, und umfasst alle für den Flexmarkt zertifizierten An-
die Angebot und Nachfrage zusammenführen. Innerhalb lagen in diesem Bereich. Für die Nachweisführung über
der 23 Gebiete stehen eine Vielzahl flexibler Erzeugungs- die tatsächlich erbrachte Leistung ist eine IT-technische
anlagen, Speicher und Verbraucher zur Engpassbehe- Anbindung der Erzeuger, Speicher oder Verbraucher an
bung zur Verfügung. die SDSP erforderlich. Zudem werden die Anlagen mit
ihren Stammdaten in einem zentralen Register hinter-
Rechte und Pflichten der einzelnen Akteure werden ein- legt. Damit ist
deutig festgelegt, veröffentlicht und vertraglich verein- sichergestellt, dass
bart. Die Teilnehmer am enera Flexmarkt nehmen Rollen beispielsweise fle- LÖSUNGSELEMENTE
ein, die auch auf dem etablierten Energiemarkt üblich xible Leistung nicht
sind. Der Besitzer einer Erzeugungs- oder Speicher- mehrfach oder aus Detaillierte Projektberichte
anlage beauftragt in der Regel einen Dritten mit deren nichtexistierenden finden Sie im enera Projekt-
kompendium unter:
Steuerung und Vermarktung. Dieser Aggregator bündelt Anlagen angeboten
www.projekt-enera.de
mehrere Anlagen und tritt als Vermarkter der Flexibilität wird. →
auf der Handelsplattform auf. Am Flexmarkt lassen sich Marktdesign Flexmarkt
→ S. 234
Anlagen zusammenfassen, wenn sie im selben Markt-
gebiet angeschlossen sind. Der Vermarkter ist darüber Flexibilitätshandel
hinaus mit seinem Portfolio zusätzlich auf anderen → S. 246
Märkten wie dem deutschlandweiten Großhandelsmarkt Identifikation Inc-Dec-Gaming
und dem Regelleistungsmarkt aktiv. Auf dem Flexmarkt → S. 252
können allein die Netzbetreiber als Käufer auftreten. Nachweisführung
Dem anschließenden Netzbetreiber kommt die Aufgabe → S. 256
zu, die an seinem Netz angeschlossenen Anlagen für
Netzbetreiberkoordination
den Flexmarkt freizugeben. Als zentraler Akteur tritt der → S. 264
Markt- und Plattformbetreiber auf: Er legt die Regeln
Complementing Redispatch
und Gestaltung des Handelsprodukts fest, lässt Teil-
with the enera Approach
nehmer für den Handel zu und überwacht die Preis- → S. 266
findung.
115 // enera TEAM
Simon Voswinkel forscht am Lehrstuhl für Jana Wilken ist eines der ersten Mitglieder des
Energiewirtschaft der Universität Duisburg-Essen enera Teams bei EWE und war maßgeblich an der
zum Thema Engpassmanagement im Verteil- und Konzeption des Gesamtprojektes beteiligt. Als
Übertragungsnetz. In enera hat er vor allem Wirtschaftsingenieurin mit Schwerpunkt zukunfts-
bei der Konzeption des Flexmarktes und damit fähige Energiesysteme begleitete sie die Entwick-
verbundenen regulatorischen Fragestellungen lung des enera Flexmarkts von Beginn an. Geprägt
mitgewirkt. Neben enera beschäftigt er sich mit durch ihre vorherigen beruflichen Erfahrungen
der Teilung von Redispatchkosten zwischen Netz- hatte sie dabei immer auch die Sicht der Netz-
betreibern, europäischem Strommarktdesign und betreiber im Blick und trug so dazu bei, eine
Auswirkungen von strategischem Verhalten auf Lösung zu entwickeln, die den Interessen aller
das Energiesystem. Stakeholder gerecht wurde.
116 // ARBEITSPAKET 07 ERWEITERUNG DES LIQUIDEN ENERGIEMARKTS UM REGIONALISIERTE PRODUKTE
REDISPATCH 2.0
kommunizieren über markter, dass Anlagen anders betrieben werden als dies
ursprünglich geplant war. Um zu überprüfen, ob diese
//
In enera erfasste
Daten ermöglichen
neuartige Dienste
und das Mitwirken an
der Energiewende.
119 KAPITEL III
Datenbasierte
Innovation &
Partizipation
ARBEITSPAKET 09 → S. 122
Neue Geschäftsmodelle im digitalen
Energiesystem
ARBEITSPAKET 11 → S. 128
Bürger gestalten die neue ENergieERA
120 // KAPITEL III DATENBASIERTE INNOVATION & PARTIZIPATION
Geschäftsmodelle
aus dem Wohnzimmer
121
D
ie Digitalisierung eröffnet nicht
nur technische Optionen für einen INNOVATIONEN GEMEINSAM ENTWICKELN
effizienten Netzbetrieb, sondern
auch große Potenziale für die Wert- Start-ups der digitalen New Economy und etablierte
schöpfung. Große Datenmengen Unternehmen werden oft als getrennte Teile der Wirt-
liegen in hoher Qualität vor und schaft wahrgenommen. Ein Grundgedanke von enera
machen neuartige Geschäftsmodelle, ist, diese beiden Welten zusammenzuführen, um das
Produkte und Kooperationen möglich. Die Wertschöp- Know-how der Energiebranche mit der Innovations-
fungspotenziale wurden im Arbeitspaket 9 systematisch freude, der Geschwindigkeit und dem nutzerorientierten
identifiziert und gehoben. Ansatz junger Digitalfirmen zu verknüpfen. Gelungen ist
dies zum Beispiel über den Wettbewerb PitchX, bei dem
sich Start-ups für eine gemeinsame Potenzialanalyse
Mit dem großangelegten Feldversuch enera liegen erst- ihrer Ideen qualifizieren. Dieses für Förderprojekte un-
mals sekundengenaue Daten zu Erzeugung, Netzzustand gewöhnliche Vorgehen verbindet für Start-ups gewohnte
und Verbrauch vieler hundert Haushalte in einer Region Pitchformate mit der Förderlogik eines Demonstration-
vor – die Black Box wird transparent. Diese Echtzeitinfor- projektes. Die Gewinner in den drei Kategorien Di-
mationen können die Basis für vielfältige neue Produkte gitalisierung, Energiewende und Kundeninteraktion
und Dienstleistungen sein, wenn sie beispielsweise entwickelten dann Prototypen, die konkrete energiewirt-
mittels Big-Data-Technologien erschlossen werden. schaftliche Probleme innovativ lösen: envelio ergänzte
ein digitales Assistenzsystem für Netzbetreiber um eine
Die Digitalisierung verändert nicht nur die Energie- automatische Überprüfung von Daten aus unterschied-
wirtschaft selbst, sondern erleichtert auch die Inter- lichen Quellen. logarithmo entwickelte eine App für die
aktion mit anderen Branchen. In enera sind Formen des Darstellung des deutschlandweiten Einspeisemanage-
Arbeitens entstanden, bei der Projektpartner, private ments und Senselab.io entwarf eine Anwendung, die
Anwender und Unternehmen der New Economy erfolg- Energieverbräuche von Haushaltsgeräten visualisiert.
reich kooperieren. Eigens für das Projekt entwickelte Insgesamt waren an PitchX und weiteren Pitch- und
Formate und die spürbare Begeisterung der Beteiligten Workshopformaten rund 160 Start-ups beteiligt.
führten zu zahlreichen konkreten Innovationen. Die er-
tragreichen Methoden der Zusammenarbeit sind ebenso Insbesondere in etablierten Unternehmen ist ein Be-
zukunftsweisend wie die technischen Neuerungen und wusstsein für den Wert von Daten als Rohstoff oft nur
Services, die sich aus enera ergeben. rudimentär vorhanden. Hier setzt das Format Data- →
124 // ARBEITSPAKET 09 NEUE GESCHÄFTSMODELLE IM DIGITALEN ENERGIESYSTEM
DISAGGREGATION
Mit Algorithmen und
maschinellem Lernen
lassen sich Haus-
haltsgeräte anhand
typischer Lastmuster
identifizieren.
Thinking an, bei dem Mitarbeitern der Konsortialpartner EIN SCHLÜSSEL ZU NEUEN SERVICES: VERBRAUCHS-
zunächst Grundlagen von Data-Science, Maschinellen GERÄTE IM LASTPROFIL AUFSCHLÜSSELN
Lernverfahren und Künstlicher Intelligenz vermittelt
werden. Im zweiten Schritt sind konkrete Problemlagen Der Stromverbrauch von rund 700 Haushalten wurde im
zu ermitteln, die mithilfe von Data-Science zu lösen Projekt enera sekundengenau erfasst, indem digitale
sind. Auf diese Weise wird ein breites Verständnis dafür Stromzähler mit einem sogenannten Smarten Auslese-
geschaffen, wie digitale Wertschöpfungsketten funktio- und Kommunikationsmodul, kurz SAM, versehen wurden.
nieren und wie diese für die Entwicklung von datenba- Mit den so gewonnenen Daten lassen sich grundlegende
sierten Mehrwerten erschlossen werden können. Verhaltensmuster unmittelbar erkennen. Damit Nutzer
eines Smart Meters darüber hinaus detaillierte Infor-
Neue Denkweisen und Ideen fördert auch das Format mationen zu ihren Elektrogeräten bekommen, muss
des Innovation Friday. Dahinter steckt die Idee, an einem der Energieverbrauch mittels Disaggregation zerlegt
Tag von einer Idee zur Skizze eines Geschäftsmodells werden. Um einzelne Geräte im Lastprofil identifizieren
zu gelangen. Hierfür wurde im Projekt eigens ein straff zu können, wurden Algorithmen und maschinelle Lern-
moderiertes Workshopformat entwickelt, das sich an verfahren entwickelt, die zum Beispiel Waschmaschine
den Prinzipien des Design Thinking orientiert, diese oder Trockner anhand typischer Muster der Energie-
methodische Grundlage aber bedarfsorientiert erwei- aufnahme identifizieren. Damit können die am Feldtest
tert. Aus dem ersten Testlauf eines Innovation Friday teilnehmenden Haushalte den Verbrauch und laufende
in kleiner Runde entstand im Projektverlauf rasch eine Kosten ihrer Geräte erkennen, verdeckte Verbraucher
breite Nutzung: Mehrere hundert Mitwirkende kamen entdecken und die Auswirkungen eines veränderten Ver-
regelmäßig zusammen, um interdisziplinär Ideen zu ent- haltens bewerten. Die jährliche Stromrechnung wird in
wickeln und gemeinsam Prototypen zu konzipieren. Auf einen detaillierten Kassenbon des gesamten Haushalts
diese für klassische Förderprojekte eher ungewöhnliche aufgeschlüsselt – wobei sich alle Positionen jederzeit
Weise entstanden konkrete Anwendungen wie die Ein- live verfolgen lassen.
speisevisualisierung oder der Bürgerspeicher. In ersten Feldtests hatten Teilnehmende mit digita-
len Stromzählern die Nutzung von Großgeräten wie
Um von einer Idee zu einer datenbasierten Lösung zu Waschmaschine und Geschirrspüler noch manuell
kommen, wird im Format BrainWave, einer ebenfalls erfasst, später wurde der Energieverbrauch direkt an
eigens für das Projekt entwickelten Methode zur Poten- den Verbrauchern gemessen. Mit diesen Daten ließen
zialanalyse, ein konkretes fachliches Problem innerhalb sich verschiedene Machine-Learning-Verfahren darauf
von zwölf Wochen unter Einsatz von Data-Science gelöst. trainieren, die Profile der Geräte im Gesamtprofil des
In dem agilen Verfahren arbeiten Fach- und Datenex- Haushalts wiederzuerkennen. Bei der Aufbereitung
perten zusammen. Sie wenden Methoden maschinellen und Analyse der Daten konnten wichtige Erkenntnisse
Lernens und künstlicher Intelligenz auf vorhandene zur Disaggregation gewonnen werden: Bei der Auflö-
Datensets an, um energiewirtschaftliche Prozesse und sung reicht eine viertelstundenscharfe Messung nicht,
Produkte effizienter zu machen. So wurden beispiels- um den Stromverbrauch zuverlässig aufzuschlüsseln.
weise Algorithmen für die Netzzustandsprognose, das Während Großgeräte bei bestimmten Voraussetzungen
Lichtcontracting und die Verbrauchsdaten-Disaggrega- erkennbar werden, ist dies bei kleineren Verbrauchern
tion entwickelt. für Beleuchtung und Entertainment ungleich schwieri-
125
//
Mit dem Format Brainwave wird ein konkretes
fachliches Problem innerhalb von zwölf Wochen
unter Einsatz von DataScience gelöst.
LÖSUNGSELEMENTE
Detaillierte Projektberichte ger. Doch nicht jede Waschmaschine lässt sich gleich gut
finden Sie im enera Projekt- identifizieren. Und auch unter Idealbedingungen ist es
kompendium unter:
nicht möglich, den Verbrauch eines Haushalts komplett
www.projekt-enera.de
zu zerlegen, weil insbesondere kleinere Verbraucher
Intelligenter Messstellenbetrieb im Gesamtverbrauch untergehen. Die Genauigkeit der
→ S. 282
Modelle zur Disaggregation hängt zudem von der Kom-
Einspeisevisualisierung plexität der Haushalte ab. Laufen viele Geräte parallel,
→ S. 286 lassen sich diese nur schwer voneinander trennen.
Energy Analyzer Für die Entwicklung von sehr zuverlässigen Lösungen
→ S. 288 müssen Trainingsdaten von deutlich mehr Haushalten
Smart Mirror erhoben werden, als es im Rahmen des Projekts mög-
→ S. 292 lich war. Gleichwohl hat enera mit den Verfahren für die
Disaggregation wichtige Grundlagen für die Nutzung der
Netzzustandsprognose
→ S. 294 Daten von Smart Metern geschaffen
Bürgerspeicher
→ S. 298
GRID4MOBILITY: ENERCOINS BELOHNEN
Grid4Mobility NETZDIENLICHES LADEN
→ S. 302
Lichtcontracting Die Elektromobilität ist eine große Herausforderung
→ S. 308 für das Verteilnetz. Dieses müsste ohne eine intelli-
Disaggregation gente Ladesteuerung massiv aufgerüstet werden, wenn
→ S. 310 Pendler ihre E-Fahrzeuge abends gleichzeitig laden.
Coronaeffekt Verbrauch Das Projekt Grid4Mobility zeigt einen Weg auf, wie sich
→ S. 312 Engpässe im Niederspannungsnetz auch ohne einen
kostenträchtigen Ausbau vermeiden lassen. Auch ein
Augmented Energy
→ S. 314 Drosseln der Hausanschlussleistung, das zu einem lang-
samen Laden führt, ist damit nicht erforderlich.
Lastprofil Personengruppen
Da abends nur wenige Fahrzeuge der E-Auto-Flotte in
→ S. 318
möglichst kurzer Zeit wieder verfügbar sein müssen,
Blockchain bei Energieversorgern lässt sich das Aufladen der Akkus in den Nachtstunden
→ S. 320
verteilen. In welcher Reihenfolge dies geschieht, ermit-
Innovation Friday telt ein Agentensystem automatisch. Alle Ladevorgänge
→ S. 322 werden in einer dezentralen Ethereum-Blockchain
DataThinking dokumentiert und mit einer virtuellen Bepreisung ver-
→ S. 326 knüpft: Wer sich flexibel und damit netzdienlich verhält,
BrainWave erhält sogenannte Enercoins. Wird ein Fahrzeug dann in
→ S. 328 Zeiten eines erhöhten Ladebedarfs bevorzugt, ist dies
mit Enercoins zu bezahlen.
PitchX
→ S. 330 Dass die technische Steuerung funktioniert, wurde mit
einem Feldtest belegt. In einer Simulation ließ sich
Start-up-Partnerschaften
zeigen, dass das gesteuerte Laden Engpässe im Netz
→ S. 334
vermeidet. Da das Agentensystem komplett im Hinter-
Schulung Data-Scientists grund abläuft, werden die Fahrzeuge ohne Komfortver-
→ S. 338
lust für die Nutzer bedarfsgerecht geladen. →
126 // ARBEITSPAKET 09 NEUE GESCHÄFTSMODELLE IM DIGITALEN ENERGIESYSTEM
BETEILIGTE PARTNER
BTC AG
Bosch.IO GmbH
EWE AG
EWE NETZ GmbH
Hochschule Fresenius gGmbH
OFFIS e.V.
Power Plus Communications AG (PPC)
Siemens AG
Software AG
the peak lab. GmbH & Co. KG
127
Vom Nutzer
her gedacht
DIALOG AM LASTENRAD:
BEI ROADTRIPS KAM
DAS ENERA TEAM MIT
VIELEN MENSCHEN
DER MODELLREGION IN
KONTAKT.
129
//
Freiwilligkeit, Vertrauen,
ein örtlicher Zusammen
hang und niedrige
Eintrittshürden sind
B
ei enera waren die Menschen der
Modellregion vielfach eingebunden Voraussetzung für gute
– zum Beispiel über Apps, bei Proto-
typen-Workshops im Wohnzimmer Bürgerbeteiligung.
oder dem enera Friesenfest. Denn der
Umbau unseres Energiesystems kann
nur mit einer breiten Akzeptanz gelin-
gen. Das Arbeitspaket 11 zielte darauf
ab, die Bevölkerung zu motivieren, die Energiewende
nicht nur zu verstehen, sondern mitzugestalten. Als zentrales methodisches Leitbild diente das soge-
nannte Human-Centered Design. Das iterative Verfahren
kommt auch in der Software- und Anwendungsentwick-
Wie muss eine Schnittstelle aufgebaut sein, um den lung zum Einsatz. Potenzielle Nutzer definieren dabei
Energieverbrauch im Haushalt transparent zu machen wiederholt Anforderungen und sind an der Evaluation
und das Stromsparen zu erleichtern? Das wurde bei und Lösungsfindung beteiligt. Dementsprechend ging
enera nicht von Programmierern entschieden, sondern es zunächst darum, mehr über die Bedürfnisse und
von Bürgerinnen und Bürgern, die von Anfang an ein- Interessen der Bürgerinnen und Bürger im Zusammen-
gebunden waren. Auch die Datenbasis für in enera ent- hang mit der Energiewende zu erfahren. In qualitativen
wickelte Lösungen wäre ohne die Beteiligung hunderter Interviews wurde unter anderem nach der technischen
Haushalte nicht zu erheben gewesen. Ausstattung eines Haushalts gefragt, außerdem nach der
digitalen und sozialen Vernetzung sowie persönlichen
Innerhalb von gut einem Jahr fanden sich 1500 Frei- Wertvorstellungen. Die Ergebnisse der Befragungen
willige für einen Feldtest mit digitalen Stromzählern, flossen in die Definition von Personas ein, die als fiktive
die dem Projekt ihre Verbrauchsdaten zur Verfügung Nutzer eine bestimmte Gruppe repräsentieren.
stellten. Geworben wurden sie mit Kampagnen in Social-
Media-Kanälen, Lokalzeitungen und mit Werbespots im
Kino und Radio. Vor allem aber über persönliche Be- MIT DEM E-LASTENRAD DURCH DIE MODELLREGION
gegnungen, die sich bei den vielfältigen Veranstaltungs-
formaten ergaben. Projektmitarbeiter waren mit dem Weitere Erkenntnisse über die Motivlagen in der Bevöl-
Lastenrad in der Region unterwegs und diskutierten kerung lieferten zwei enera Roadtrips. Für jeweils eine
über die Energiewende – ob beim Grillfest von Sportver- Woche tourten zwei Projektmitarbeiter mit elektrisch
einen, bei den Landfrauen oder Wirtschaftsvereinen. unterstützten Transporträdern durch die Modellregion.
In rund 600 persönlichen Gesprächen, über Social
Media, Presse und Rundfunk informierten sie über das
WIE GELINGT BÜRGERBETEILIGUNG? Projekt und knüpften Kontakte. Für öffentliche Aufmerk-
samkeit sorgten auch drei Barcamps. Bei diesem Format
Freiwilligkeit, Vertrauen, ein örtlicher Zusammenhang bestimmten die insgesamt 190 Teilnehmenden selbst
sowie niedrige Einstiegshürden – diese Kriterien wurden die jeweilige Agenda. Sie verhandelten etwa die Themen
zu Beginn des Projekts auf einer wissenschaftlichen Mobilität sowie Erneuerbare Energien und diskutierten
Basis als Voraussetzungen für eine erfolgreiche Bürger- über den Zusammenhang von Leben, Lernen und Digi-
beteiligung identifiziert. Förderlich ist zudem, wenn talisierung. Weitere Veranstaltungen vor Ort gab es zum
halböffentliche Räume die Begegnung erleichtern und Beispiel mit Gewerbe- und Wirtschaftsvereinen und bei
Informationen in nachbarschaftlichen und erweiterten Energiedialogen. Kooperationen mit Kommunen mün-
sozialen Netzwerken ausgetauscht werden. In jedem Fall deten unter anderem in ein enera Friesenfest. Und der
muss die Kommunikation auf Augenhöhe stattfinden. Kontakt zu einer Hochschule führte dazu, dass Studie-
Daran orientierten sich alle im Arbeitspaket 11 genutzten rende Social-Media-Beiträge und eine Reportage über
Formate. enera für ein TV-Magazin produzierten. →
130 // ARBEITSPAKET 11 BÜRGER GESTALTEN DIE NEUE ENergieERA
//
Die enera App zeigt den
aktuellen Stromverbrauch
auf einen Blick.
BETEILIGTE PARTNER
EWE AG
the peak lab. GmbH & Co. KG
Landkreis Aurich
OBEN:
BEI ZWEI TOUREN DURCH DIE WINDREICHE
MODELLREGION WURDE ÜBER DAS PROJEKT
INFORMIERT.
RECHTS:
DIALOG AUF AUGENHÖHE: DIE BEDÜRFNISSE DER
MENSCHEN IN SACHEN ENERGIE STANDEN IM
MITTELPUNKT.
UNTEN:
DIE KOMMUNALE WEBANWENDUNG SORGT FÜR
TRANSPARENZ BEIM ENERGIEVERBRAUCH VON
LIEGENSCHAFTEN.
LÖSUNGSELEMENTE
Detaillierte Projektberichte
finden Sie im enera Projekt-
kompendium unter:
www.projekt-enera.de
Human-Centred Design
→ S. 340
Interface der Energie
→ S. 346
Kommunikationsstrategie
→ S. 350
Prototypentests
→ S. 360
Verbrauchsdatenerfassung
→ S. 362
Partizipation
→ S. 366
Kommunale Energiewende
→ S. 370
Akzeptanz Energiewende
→ S. 371
133
//
Um in enera entwickelte
Ansätze bundesweit
umzusetzen, bedarf es
einer angepassten
Regulatorik.
135 KAPITEL IV
Rechts
rahmen &
Übertrag
barkeit
ARBEITSPAKET 08 → S. 138
Handlungsoptionen zur Gestaltung
des energierechtlichen Rahmens
ARBEITSPAKET 13 → S. 142
enera zusammenführen und
deutschlandweit übertragen
136 // KAPITEL IV RECHTSRAHMEN & ÜBERTRAGBARKEIT
Vom Projekt
in die Praxis
D
er Flexmarkt demonstriert, wie sich lässt sich mit dem Netzausbau Geld verdienen, mit dem
Engpässe im Netz marktbasiert konventionellen Engpassmanagement oder alternativen
auflösen lassen, ohne Erneuerbare Ansätzen für die Integration der Erneuerbaren Energien
Energien abzuregeln. Außerhalb hingegen nicht. Um die Nutzung von Flexibilitätsmärkten
eines Projekts wie enera wäre dies jedoch als weitere Möglichkeit zur Integration Erneuer-
aufgrund regulatorischer und recht- barer Energie, das heißt zur Auflösung von Netzeng-
licher Hürden aktuell nicht möglich. pässen, ins Spiel zu bringen, wurde im Projekt ein
Damit der Flexmarkt tatsächlich zur Anwendung kommt, Anreizmechanismus entwickelt, der hierfür den Rahmen
sind die Rahmenbedingungen in vielen Bereichen neu schaffen kann.
zu gestalten.
Auch für die Anbieter netzdienlicher Lasterhöhung lohnt
Welche Anreize brauchen die Teilnehmer auf dem Flex- es sich bislang häufig noch nicht, am Flexmarkt aktiv zu
markt, welche rechtlichen Anpassungen sind erforder- sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn durch Sektor-
lich und welche neue Rolle kommt den Netzbetreibern kopplung Energieträger mit vergleichsweise geringer
zu? Diese Fragestellungen wurden im Arbeitspaket 8 Entgelt-, Steuer- und Umlagenlast durch stromgeführte
analysiert. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Unter- Flexibilität ersetzt werden. Infolge der Vergütungen für
suchungen münden in umfassende Handlungsempfeh- Grünstrom kann die Preisbildung am Flexmarkt zudem
lungen. verzerrt sein. Dies wäre mit sogenannten Side Payments
zu beheben, wie ein in enera entwickeltes Modell auf-
Bislang ist es für Netzbetreiber betriebswirtschaftlich zeigt. Auch für Probleme durch marktbeherrschende
noch nicht attraktiv, einen Flexmarkt zu nutzen. Ver- Akteure oder strategisches Verhalten wurden innerhalb
einfacht formuliert: Beim regulatorischen Status Quo von enera Lösungsansätze erarbeitet.
139
Alternativen zum
Netzausbau sollten
NEUE ANREIZE SETZEN
durch ein verändertes
Wenn die Nutzung von Flexibilitätsmärkten zur Beseiti-
gung von Netzengpässen ermöglicht werden soll, ist der Anreizsystem
gesetzliche Rahmen anzupassen.
Der in enera entwickelte Ansatz „FlexShare und FOCS“ attraktiver werden.
zielt auf einen kosteneffizienten und technologieneutra-
len Rahmen. Kostenrisiken werden dabei zwischen Netz-
betreibern und Netzkunden aufgeteilt. Für den Flexmarkt
anfallende Betriebsausgaben und Kapitalausgaben für
Netzinvestitionen würden gleichbehandelt. Der Ansatz
wäre mit Mechanismen umsetzbar, die sich bereits in
der derzeit geltenden Anreizregulierungsverordnung
finden. Mit einer Simulation konnte gezeigt werden, dass
das Konzept gesamtwirtschaftlich von Vorteil sein kann.
An der Schnittstelle zwischen Netzbetreibern und Netz-
nutzern wurden zudem Anreize untersucht, die sich
durch zeitlich und räumlich differenzierte Netzentgelte
ergeben. Ziel eines solchen Modells ist es, das Netz in
den Hochlastzeiten zu entlasten. Die Analyse bestätigte,
dass Nutzer effizienter einzubinden sind, wenn die Ent- NETZBETREIBER IM GEFANGENENDILEMMA?
gelte die Netzkosten besser reflektieren. Eine Wechsel-
wirkung mit dem Flexmarkt ist allerdings sorgfältig zu Mit einem neuen Regulierungskonzept ließe sich zwar
prüfen. der Einsatz von flexibler Verbrauchslast und Erzeugung
fördern. Es könnten jedoch Effizienzverluste bei der
Koordination zwischen den Netzbetreibern auftreten.
Deren Zusammenarbeit wird indes immer wichtiger:
Dezentrale Erzeuger, Speicher und flexible Verbraucher
führen dazu, dass mehr netzdienlich einsetzbare Res-
sourcen in den Verteilnetzen entstehen. Ihr Einsatz kann
allerdings unbeabsichtigt negative Effekte haben, wenn
LÖSUNGSELEMENTE das Agieren der Netzbetreiber nicht abgestimmt ist.
Mit einer spieltheoretischen Analyse – Netzbetreiber
Detaillierte Projektberichte finden Sie können sich beim Engpassmanagement in Situationen
im enera Projektkompendium unter: befinden, die dem Gefangenendilemma oder dem
www.projekt-enera.de
Feiglingspiel entsprechen – wurde gezeigt, dass nicht
Anreizmechanismus nur fehlende Informationen über andere Netze zu
→ S. 382 Problemen führen können. Dies kann offenbar auch
Spieltheorie Netzbetreiberanreize geschehen, wenn Anreize fehlen, gemeinsam mit
→ S. 386 anderen Netzbetreibern effiziente Lösungen zu finden.
Netzausbaustrategien Im Rahmen von enera wurde deshalb eine spieltheoreti-
→ S. 390 sche Modellierung entwickelt, die Anreize für den
koordinierten Einsatz netzdienlicher Flexibilität beein-
Gasnetz als Flexibilität
→ S. 394 haltet. Die Ergebnisse der Analyse deuten darauf hin,
dass eine volkswirtschaftlich effiziente Koordination der
Rechtliche Bewertung Flexmarkt
Netzbetreiber einen Regelrahmen erfordert, der insbe-
→ S. 400
sondere den Informationsaustausch sichert, aber auch
US-Marktrollen und Geschäftsmodelle einen Anreiz für kooperatives Verhalten bietet. Dies
→ S. 404
könnte zum Beispiel durch Mechanismen gelingen, die
Side Payments alle Netzbetreiber an den Vorteilen der volkswirtschaft-
→ S. 408 lich optimalen Lösung teilhaben lassen. →
140 // ARBEITSPAKET 08 HANDLUNGSOPTIONEN ZUR GESTALTUNG DES ENERGIERECHTLICHEN RAHMENS
FLEXMARKT MIT SIDE PAYMENTS ENTZERREN Auf regionalen Flexibilitätsmärkten sind Anbieter zu
erwarten, die ihre marktbeherrschende Stellung zu
Mit dem Flexmarkt sollen die volkswirtschaftlich effizi- überhöhten Preisforderungen nutzen. Dem könnte
entesten Lösungen zur Anwendung kommen, ohne die mit Preisobergrenzen begegnet werden. Ein weiteres
Systemsicherheit zu gefährden. Aus den Analysen des Problem beim marktbasierten Engpassmanagement ist
regulatorischen Rahmens ergab sich, dass es sich für unerwünschtes strategisches Verhalten: Erwarten Händ-
viele Anbieter nicht lohnt, die Einspeisung von Strom ler einen Engpass, könnten sie ihre Spotmarkt-Gebote
aus erneuerbaren Quellen netzdienlich zu verringern. dem enera Flexibilitätsmarkt anpassen. Der Engpass
Grund ist vor allem die verzerrende Wirkung von wird damit verstärkt und dessen Behebung teurer. Mit
Marktprämien. Erneuerbare Erzeuger müssten in ihren einer gezielten Marktüberwachung ließe sich dieses
Geboten auch die garantierte Vergütung nach dem strategische Verhalten identifizieren und bei entspre-
chenden Marktregeln bestrafen.
141
Per Simulation
ins Jahr 2050
E
vier Szenarien für das
ine Blaupause für die Energiewende
liefern – mit diesem ambitionierten
künftige Energiesystem
Anspruch ging das Projekt enera an
den Start. Tatsächlich konnte in der
AKTIVER VERTEILNETZBETRIEB IN ALLEN Auf Basis dieser Simulationen erfolgte eine Bewertung,
NETZGEBIETEN in welchen Netzgebieten Engpässe mit einem Flexmarkt
behoben werden können und welche Produkte hierfür
Dass der enera Flexmarkt und der intelligente Netz- besonders relevant sind. Es zeigt sich, dass in ausge-
betrieb in der Modellregion funktionieren und sinnvoll dehnten windintensiven Netzen insbesondere flexible
sind, konnte erfolgreich demonstriert werden. Aber gilt Leistung von Erzeugern Erneuerbarer Energie genutzt
dies auch für anders strukturierte Verteilnetzgebiete, wird, um Engpässe aufzulösen. In Verteilnetzen, die nicht
in denen zum Beispiel weit weniger Windkraftleistung so stark von einem Anlagentyp geprägt sind, kommen
installiert ist? dagegen auch andere Flexibilitätsprodukte zum Einsatz.
Inwieweit zentrale enera Lösungen andernorts um-
setzbar und wirksam sind, wurde mittels Simulationen Gegenstand der Analysen war außerdem die Frage,
untersucht. Um Aussagen zur Übertragbarkeit treffen inwieweit ein aktiver Betrieb der Verteilnetze deren
zu können, muss die Struktur der Stromnetze in ande- Ausbau reduzieren kann. Erste Ergebnisse zeigen, dass
ren Regionen bekannt sein. Diese Daten sind jedoch sich der konventionelle Netzausbau durch die netzbe-
nicht umfassend öffentlich zugänglich. Deshalb wurden triebliche Engpassbehebung verzögern oder sogar
repräsentative Netzgebiete in Deutschland bestimmt vermeiden lässt – bislang fehlt es im Regulierungsrah-
und Verteilnetzstrukturen synthetisch erzeugt. Dabei galt men jedoch an Anreizen dafür. In ersten Untersuchungs-
es, die Vielfalt, Versorgungsaufgabe und künftige Ent- ergebnissen zeigen sich bereits wesentliche Unterschie-
wicklung der Netze abzubilden. de, die von der betrachteten Netzstruktur abhängig sind:
In den repräsentativen Gebieten wurde ein aktiver Ver- Der konventionelle Netzausbau lässt sich in ländlichen
teilnetzbetrieb simuliert. Dieser nutzt sowohl innovative Gebieten insbesondere durch das Abregeln von Erneuer-
netztechnische Betriebsmittel als auch den lokalen Flex- bare-Energie-Anlagen und den Einsatz regelbarer
markt. Auch deren wechselseitige Beeinflussung wurde Ortnetztransformatoren reduzieren, in städtischen
in den Simulationen berücksichtigt. Unterschiedliche Gebieten dagegen vor allem durch die netzdienliche
Entwicklungsverläufe ließen sich mit Szenarien für die Anpassung des Verbrauchs. →
Jahre 2030, 2040 und 2050 abbilden.
BETEILIGTE PARTNER
IAEW an der RWTH Aachen University
Universität Duisburg Essen
DLR-Institut für Vernetzte Energiesysteme e.V.
Öko-Institut e.V.
Forschungsgemeinschaft für elektrische
Anlagen und Stromwirtschaft e.V. (FGH e.V.)
Jacobs University Bremen gGmbH
OFFIS e.V.
Avacon Netz GmbH
EWE AG
144 // ARBEITSPAKET 13 ENERA ZUSAMMENFÜHREN UND DEUTSCHLANDWEIT ÜBERTRAGEN
lassen sich im Jahr 2030 mit Auswirkungen auf das Übertragungsnetz verbunden.
Dort kommt es beispielsweise zu Überlastungen, wenn
allein durch den Stromver Erzeugungs- und Verbrauchszentren räumlich weit aus-
einander liegen: Im Norden wird viel Windstrom einge-
brauch für Elektromobilität speist und in den Metropolregionen sowie im Süden viel
Strom verbraucht. Durch den netzdienlichen Handel auf
und Wärme mehr als 300 einem Flexmarkt könnten dann vor dem Netzengpass
zum Beispiel Batteriespeicher die erzeugte Energie auf-
dienlich verschieben. läufig. In Summe gleichen sich diese Effekte zwar aus,
räumlich liegen Erzeugung und Verbrauch aber näher
In MärkischOderland sind
beisammen oder orientieren sich an der aktuellen Netz-
auslastung. Durch einen koordinierten gemeinsamen
In die enera Roadmap fließen sowohl die Ergebnisse der Sirkka Porada hat an der RWTH Aachen Wirtschafts-
Simulationen im Arbeitspaket 13 als auch Erkenntnisse ingenieurwesen mit der Fachrichtung elektrische
aus anderen Arbeitspaketen ein. Im Fokus stehen der Energietechnik studiert und promoviert nun im sel-
aktive Netzbetrieb und der enera Flexmarkt sowie deren ben Fachbereich am Institut für Elektrische Anlagen
Wechselwirkungen. Anhand von Zukunftsszenarien wird und Netze, Digitalisierung und Energiewirtschaft der
gezeigt, in welchen Gebieten und bei welchen Voraus- RWTH Aachen. Dabei liegt ihr Forschungsschwer-
setzungen diese in enera demonstrierten Lösungen punkt im Bereich Energiesystembetrieb. Am enera
sinnvoll umsetzbar sind. Mit ihren Handlungsempfeh- Projekt hat sie seit 2017 im Arbeitspaket „enera
lungen macht die Roadmap deutlich, welche Heraus- zusammenführen und deutschlandweit übertragen“
forderungen dabei noch zu bewältigen sind. // mitgewirkt.
146
Impressum
Gefördert durch:
Auflage
500 Stück
Stand
aufgrund eines Beschlusses 02/2021
des Deutschen Bundestages
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Tirpitzstraße 39, 26122 Oldenburg tion enthaltenen Angaben und Informationen wurden, soweit nichts
www.ewe.de Anderweitiges vermerkt ist, von der EWE AG oder Dritten im Rahmen
Tel.: +49 441 4805-0 des Zumutbaren sorgfältig recherchiert und geprüft. Für Richtigkeit,
Fax: +49 441 4805-3999 Vollständigkeit und Aktualistät übernehmen jedoch weder die EWE AG
E-Mail: info@ewe.de noch Dritte eine Haftung oder Garantie. Die EWE AG haftet nicht für
direkte oder indirekte Schäden, einschließlich entgangener Gewinne,
Vertretungsberechtigte der EWE Aktiengesellschaft die aufgrund von oder in Verbindung mit Informationen entstehen, die
Vorsitzender des Vorstandes: Stefan Dohler in dieser Publikation enthalten sind.
Vorstand: Michael Heidkamp, Dr. Urban Keussen,
Wolfgang Mücher, Marion Rövekamp Fördermittelgeber
Vorsitzender des Aufsichtsrates: Bernhard Bramlage Mit dem Förderprogramm „Schaufenster intelligente Energie – Digitale
Agenda für die Energiewende“ (SINTEG) zielt das Bundesministerium
Verantwortlich im Sinne des Presserechts für Wirtschaft und Energie (BMWi) auf Musterlösungen für ein
Christian Arnold, EWE AG zukunftsfähiges Energiesystem. In fünf Modellregionen wird gezeigt,
wie eine umweltverträgliche, sichere und wirtschaftliche Versorgung
enera ist Teil des Förderprogramms „Schaufenster intelligente Energie auf der Basis Erneuerbarer Energien erfolgen kann. Die Schaufenster-
– Digitale Agenda für die Energiewende“ (SINTEG). Das Projekt wird regionen setzen dabei insbesondere auf Digitalisierung, innovative
durch den Konsortialführer EWE AG vertreten, der stellvertretend für Technologien sowie intelligente Netze und Märkte.
das Gesamtprojekt als Herausgeber auftritt.
Weitere Informationen unter: www.sinteg.de
Redaktion
Philip Goldkamp, EWE AG Projektträger
Reinhard Janssen, EWE AG Der Projektträger Jülich (PtJ) | Forschungszentrum Jülich GmbH setzt
Peter Ringel, Mediavanti GmbH Forschungs- und Innovationsförderprogramme von Bund, Ländern und
Europäischer Komission fachlich und organisatorisch um. Bei SINTEG
Autor*innen der Publikation ist PtJ für die Projektförderung und das flankierende Programm-
Ulf Brommelmeier, Marius Buchmann, Marie Clausen, Viktoria Déak, management verantwortlich.
Agnetha Flore, Frank Glanert, Philip Goldkamp, Steffen Hofer, Reinhard
Janssen, Thomas Klose, Pia Lehmkuhl, Ralf Müller, Sirkka Porada, Weitere Informationen unter: www.ptj.de/projektfoerderung/sinteg
Matthias Postina, Peter Ringel, Lukas Verheggen, Simon Vosswinkel,
Jens Walter, Jana Wilken, Björn Willers Bildnachweise
BPA/Steffen Kugler: Seite 3
Vielen Dank an alle weiteren Unterstützer*innen aus dem enera Büro Johann Saathoff: Seite 61
Konsortium. ENERCON GmbH: Seiten 7, 25, 70, 71
EWE AG: Seiten 16, 17, 22, 23, 24, 35, 37, 43, 46, 47, 48, 50, 51, 52, 53, 55, 57,
Konzeption & Gestaltung 59, 74, 75, 76, 77, 79, 82, 83, 85, 86, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 97, 100,
STOCKWERK2 Agentur für Kommunikation GmbH 101, 102, 104, 105, 106, 107, 108, 109, 115, 116, 118, 119, 120, 121, 122, 123
Donnerschweer Straße 90, 26123 Oldenburg Mitte, 126, 127, 128, 131, 132, 133, 138, 139, 141, 145
fotoduda, Ulf Duda: Seiten 1 (Cover), 4-5, 8, 12, 26, 33, 34, 60, 62, 63, 64,
Lektorat 67, 68, 69, 72, 78, 98, 99, 134, 135, 136, 137, 140, 142, 143
Mediavanti GmbH
Donnerschweer Straße 90, 26123 Oldenburg Online-Publikationen
www.projekt-enera.de
Druck
flyerheaven GmbH & Co.KG ISBN
Gerhard-Stalling-Straße 40, 26135 Oldenburg 978-3-9823068-0-3
147
Partner
3M Deutschland GmbH AVACON NETZ GmbH Bosch.IO GmbH BTC AG
devolo AG Deutsches Zentrum für Luft- und ENERCON GmbH energy & meteo systems GmbH
Raumfahrt e. V. (DLR)
Institut für Vernetzte Energiesysteme
IABG Industrieanlagen- Jacobs University Bremen gGmbH Landkreis Aurich Likron GmbH
Betriebsgesellschaft mbH
Software AG TenneT TSO GmbH the peak lab. GmbH & Co. KG Theben AG
enera PROJEKTKOMPENDIUM
Energie vernetzen.
Gefördert durch:
D
as Förderprogramm „Schaufenster In den vergangenen vier Jahren haben Expertinnen
intelligente Energie – Digitale Agenda und Experten in fünf über das gesamte Bundesgebiet
für die Energiewende (SINTEG)“ ist verteilten Modellregionen entwickelt und erprobt,
seiner Zeit voraus. Die bereits vor- wie unser zukünftiges Energiesystem versorgungs-
liegenden Ergebnisse zeigen, dass sicher, wirtschaftlich und nachhaltig aufgestellt werden
es technisch möglich ist, sehr hohe kann. Dabei sind auch viele Konzepte und Ideen aus
Anteile von Strom aus Solar- und der digitalen Wirtschaft für die Energiewirtschaft
Windenergie in die Stromnetze erschlossen worden. Die Fachleute haben gezeigt, dass
zu integrieren und einen sicheren Systembetrieb zu intelligente Netze durch den Einsatz digitaler Techno-
gewährleisten. Es wurden Soft- und Hardwarelösungen logien auch bei zeitweise bis zu 100 Prozent Strom-
entwickelt, mit denen Erzeuger erneuerbarer Energien einspeisung aus erneuerbaren Energien ein stabiles
und Stromverbraucher in die Lage versetzt werden, und sicheres System gewährleisten können. Es sind
einen Beitrag zur Netzstabilität zu leisten. SINTEG innovative Blaupausen für den zukünftigen Netzbetrieb
bestätigt auch, dass die Digitalisierung ein Schlüssel und für neue Geschäftsmodelle entstanden.
zum Gelingen der Energiewende ist.
Es freut mich besonders, dass SINTEG Forscherteams
aus allen Regionen Deutschlands zusammengebracht,
vernetzt und gemeinsames Vertrauen in neue Lösungen
geschaffen hat. Denn neue Erkenntnisse entstehen häu-
fig nur im Dialog. Kreative Lösungen zu entwerfen und
dann auch in der Realität zu erproben, ist ein wichtiger
Schritt auf dem Weg der Energiewende: SINTEG hat dazu
einen bedeutsamen Beitrag geleistet.
PETER ALTMAIER
Bundesminister für Wirtschaft und Energie.
Intelligente Lösungen
für die Energiewelt
von morgen
4 DIGITALE INFRASTRUKTUR
Das enera Konsortium
Die Modellregion
ziellen Projektbeteiligten entstand eine umfangreiche
Ursachen-Wirkungs-Analyse. Daraus wurden 58 konkrete
Anwendungsfälle abgeleitet, die in die 14 Arbeitspakete
des Projekts einflossen.
5
Netz, Markt und
Daten verbinden
wende
installiert und getestet. Automatisierte Prozesse und
belastbare Prognosen vergrößerten den Spielraum in
den Leitstellen. So lässt sich die Kapazität des Strom-
netzes optimal ausnutzen, um Engpässe im Netz effizient
aufzulösen.
Statt weniger konventioneller Großkraftwerke sind immer Mit der Digitalisierung entsteht in der Energiewirtschaft
mehr regenerative Stromerzeuger einzubinden. Im Zuge eine zusätzliche Wertschöpfungskette, die grundlegende
der Sektorkopplung kommen zudem weitere Verbraucher Veränderungen mit sich bringt. Als Abnehmer von Energie
wie Wärmepumpen und Elektrofahrzeuge, Batteriespei- werden Endkunden zugleich zum Produzenten von Daten,
cher sowie Anlagen zur Elektrolyse und Methanisierung auf denen innovative Geschäftsmodelle aufbauen. Mas-
hinzu. Mit der Dezentralisierung und der Elektrifizierung sendaten aus unterschiedlichen Quellen zu kombinieren
nimmt auch die Komplexität des Energiesystems enorm und miteinander in Bezug zu setzen, ermöglicht neuartige
zu. Um bei diesem Wandel eine wirtschaftliche und Produkte und Services. Apps wurden sekundenschnell
sichere Versorgung zu gewährleisten, bedarf es aus Sicht mit Energieverbrauchsdaten versorgt, komplexe Muster
von enera einer durchgehenden Digitalisierung und tech- mit Data-Science-Methoden identifiziert und kleinteilige
nischen Flexibilisierung des Energiesystems. Flexibilitätsgeschäfte effizient nachvollzogen.
6 DIGITALE INFRASTRUKTUR
//
Dass präventives anstelle
von kurativem Engpass-
Intelligenter management über alle
Netzbetrieb Spannungsebenen hin-
weg funktioniert, ist ein
zentrales Ergebnis des
Das Projekt enera hat erfolgreich demonstriert, wie eine
aktive Netzbetriebsführung und der netzdienliche Handel Projekts.
auf dem Flexmarkt zur Integration Erneuerbarer Energien
beitragen können. Mit einer Nachrüstung bei Erzeugern
und Verbrauchern, innovativen Betriebsmitteln, der Ins-
tallation von Speichern und Anlagen zur Sektorkopplung
sowie mit Leistungselektronik und Steueragenten wurde
das Energiesystem der Modellregion technisch flexibili-
siert. So bestehen sowohl bei der Wirkleistung als auch
bei der Blindleistung mehr Optionen zur Netzstabilisie- Mit der flächendeckenden Installation von regelbaren
rung. Ortsnetztrafos ließ sich untersuchen, wie eine große
Anzahl selbstständig steuernder Transformatoren die
Die im Projekt installierte Sensorik ermöglichte es durch Stabilität der Netze beeinflusst. Mit STATCOMs und STAT-
Mess- und Prognosedaten, viele Ansätze einer intelligen- COM-fähigen Windenergieanlagen wurde eine weitere
ten Netzführung zu demonstrieren. Zudem konnte in der innovative Technologie zur Spannungsregelung im Feld
Modellregion das Zusammenspiel verschiedener Kompo- getestet. Diese Anlagen ermöglichen auch in Zeiten
nenten des Smart Grid erprobt werden. Durch Netzregler niedriger Einspeisung die Steuerung der Blindleistung
wurde das Engpassmanagement automatisiert, wodurch im Netz. Bei einem weiteren Feldtest wurden zwei Mittel-
sich das Optimierungspotenzial durch den Einsatz von spannungsnetze miteinander gekoppelt. Damit lassen
Flexibilität und neuen Datenquellen im operativen Netz- sich Einspeisung und Bezug lokal ausgleichen und so die
betrieb ausschöpfen ließ. überlagerten Netze entlasten.
7
Marktbasierte
Flexibilität
Der Marktplatz für 23 Engpassgebiete wurde mehr als Erzeuger wie Biogas-, Photovoltaik-, und Windenergie-
eineinhalb Jahre rund um die Uhr betrieben. Der Intra- anlagen waren ebenso eingebunden wie flexible Strom-
day-Markt diente als etabliertes Vorbild, das um lokale abnehmer, die ihren Verbrauch netzdienlich anpassen
Orderbücher ergänzt wurde. Im Fall eines prognostizier- können. Dazu zählen Industriebetriebe und Großspeicher
ten Engpasses im Bereich eines Umspannwerks stellten sowie kleinere Anlagen, die über Virtuelle Kraftwerke
Netzbetreiber ihren Bedarf an flexibler Wirkleistung als gebündelt am Markt teilnehmen. Übertragungs- oder
Nachfrage auf der Plattform ein. Darauf reagierten Ver- Verteilnetzbetreiber erhalten mit dem Flexmarkt ein
markter mit Geboten für eine reduzierte Einspeisung effizientes Instrument für das prognosebasierte Engpass-
oder einen erhöhten Verbrauch. management, wobei die Verantwortung zur Steuerung
einzelner Anlagen bei den Vermarktern liegt.
//
An der Pariser Strom-
börse EPEX SPOT ließ
sich flexible Leistung
für Netzbereiche rund
um Umspannwerke in
Ostfriesland handeln.
8 DIGITALE INFRASTRUKTUR
//
Die konventionelle
Wertschöpfungskette
der Energieversorgung
hat einen digitalen
Zwilling erhalten.
Datenbasierte
Wertschöpfung
Zur neuen digitalen Wertschöpfungskette gehört ein Um Daten erfassen, verarbeiten und auswerten zu
grundlegender Perspektivwechsel. Verbraucher werden können, wurden verschiedene Anlagen in der Modell-
nicht nur als Abnehmer von Strom gesehen, sondern region mit Sensorik und Aktorik versehen und in ein
als Nutzer von Anwendungen von Beginn an in den Ent- Kommunikationsnetz eingebunden – so wurde das
wicklungsprozess datenbasierter Services eingebunden. Energiesystem transparent. Informationen über den
Ihre Bedürfnisse bestimmen, wie ein Produkt aussehen Zustand aller Komponenten des Energiesystems ließen
und funktionieren soll. Zu den in enera entwickelten sich nahezu in Echtzeit erheben und ermöglichten deren
Anwendungen zählen unter anderem Apps zur Analyse Steuerung. Rohdaten wurden über Plattformen struktu-
von Energieverbrauch oder Einspeisung, die Nachweis- riert und aufbereitet, so dass sie für Nutzung und Ver-
plattform für den Flexmarkt, die Ladesteuerung für trieb bereitstanden.
E-Auto-Flotten sowie smarte Objekte zur Visualisierung
des Stromverbrauchs. Als zentrale Schaltstelle und Umschlagplatz aller Daten
diente die Smart Data und Service Plattform. Diese
verknüpft die in der Modellregion erzeugten Daten mit
weiteren Informationen, um etwa Prognosen zu erstel-
len und innovative Anwendungen oder Datenanalysen
zu ermöglichen. Beim Aufbau der Plattform und bei der
gesamten Kommunikationsinfrastruktur wurde größter
Wert auf Sicherheit, Datenschutz und standardisierte
Schnittstellen gelegt. Standards der Informationssicher-
heit wurden ebenso weiterentwickelt wie das Smart Grid
Architecture Model.
9
KAPITEL I
AP 01 → S. 18
4 Lösungs-
13 Autoren &
8 Partner-
Infrastruktur
elemente Autorinnen unternehmen
AP 02 → S. 44
6 Lösungs-
elemente 10 Autoren &
Autorinnen 8 Partner-
unternehmen
AP 03 → S. 64
11 Lösungs-
elemente 18 Autoren &
Autorinnen 12 Partner-
unternehmen
3 Lösungs-
elemente 6 Autoren &
Autorinnen 3 Partner-
unternehmen
3 Lösungs-
elemente 2 Autoren &
Autorinnen 1 Partner-
unternehmen
10 Lösungs-
elemente 13 Autoren &
Autorinnen 11 Partner-
unternehmen
KAPITEL III
Datenbasierte
Neue Geschäftsmodelle im
AP 09 → S. 282
digitalen Energiesystem
19 22 10
Innovation &
Lösungs- Autoren & Partner-
elemente Autorinnen unternehmen
8 Lösungs-
elemente 7 Autoren &
Autorinnen 3 Partner-
unternehmen
KAPITEL II
AP 05 → S. 194
6 Lösungs-
21 Autoren &
12 Partner-
& Markt
elemente Autorinnen unternehmen
AP 06 → S. 218
Flexibilität aktivieren
5 Lösungs-
elemente 10 Autoren &
Autorinnen 9 Partner-
unternehmen
AP 07 → S. 234
Flexibilitätsmarkt
6 Lösungs-
elemente 11 Autoren &
Autorinnen 8 Partner-
unternehmen
KAPITEL IV
Rechtsrahmen &
AP 08 → S. 382
Energierechtlicher Rahmen
7 Lösungs-
12 Autoren &
8 Partner-
Übertragbarkeit
elemente Autorinnen unternehmen
6 Lösungs-
elemente 17 Autoren &
Autorinnen 9 Partner-
unternehmen
GESAMTZAHLEN
94 142 31
Lösungs- Autoren & Konsortial-
elemente Autorinnen partner
Inhalte
DIGITALE INFRASTRUKTUR......................................................................................................................................................... 16
Impressum.......................................................................................................................................................................................................................................................... 434
Partner.................................................................................................................................................................................................................................................................. 435
KAPITEL I
Digitale
Infrastruktur
ARBEITSPAKET 01
DIGITALE KONNEKTIVITÄT HERSTELLEN
Roll-out iMSys → S. 18
Powerline → S. 30
ARBEITSPAKET 04
Steuern über iMSys → S. 34
NETZBETRIEBSMITTEL ZUR EFFIZIENTEN
Messen und Steuern → S. 38
NETZAUSLASTUNG
ARBEITSPAKET 02 Supraleitender Kurzschlussstrombegrenzer → S. 108
SMART DATA UND SERVICE PLATTFORM Kopplung Mittelspannungsnetze → S. 112
Gebündelter rONT-Einsatz → S. 116
SDSP-Plattform → S. 44
Smart Energy Services → S. 48
ARBEITSPAKET 10
Massendatenkonzept → S. 50
KOMPETENZ- UND QUALIFIZIERUNGSCENTER
Smart Grid Logical Data Model → S. 52
Microservices → S. 56 Bedarfserhebungsmodell → S. 120
B2B-Koordination → S. 60 E-Training Blockchain & Blindleistung → S. 122
Digital Reality → S. 124
ARBEITSPAKET 03
SMART GRID OPERATOR ARBEITSPAKET 12
ARCHITEKTUR UND INFORMATIONSSICHERHEIT
Prognosebasierte Engpassauflösung → S. 64
Engpassauflösung mit Flexibilität → S. 66 ISMS und SGAM-Use-Cases → S. 126
Teilautomatisierter Netzbetrieb → S. 68 Security by Design in Use-Cases → S. 130
Verteilnetzautomatisierung → S. 76 Erweiterung UCMR → S. 142
Blindleistung, STATCOMS und Verlustmodelle → S. 82 IT-Grundschutz Virtuelles Kraftwerk → S. 148
Einspeiser im umrichterdominierten Netz → S. 83 Messen und Steuern via SMGW → S. 152
Ertüchtigung Netzlabor → S. 84 Security-Dashboard → S. 162
Simulation Netznutzung → S. 88 Sicherheitsanforderungen bei Dritten → S. 166
Simulation aktiver Netzbetrieb → S. 92 Penetrationstest rONT und Netzregler → S. 176
Optimierte Ausbaupläne → S. 96 Assurance Cases für Use-Case-Erhebung → S. 180
Validierung Kommunikationsnetze → S. 102 Herstellerübergreifende Sicherheitsarchitektur → S. 188
AP 01 AP 02 AP 03 AP 04 AP 05 AP 06 AP 07 AP 08 AP 09 AP 10 AP 11 AP 12 AP 13
DIGITALE KONNEKTIVITÄT HERSTELLEN I ARBEITSPAKET 01
ZigBee -- + ++ HAN
GSM -- -- - WAN
LTE + + √ - WAN
WIMAX - + -- WAN
18 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 01
Im Rahmen des Messstellenbetriebsgesetzes (MsbG), als Entscheidung durch Einflussfaktoren strategischer und
Teil des Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende technischer Natur beeinflusst. Bevor deshalb auf Basis
(GDEW), wurde der Roll-out von iMsys, bestehend aus einer favorisierten WAN-Technologie mit der konkreten
einem intelligenten Stromzähler (genannt: moderne Ausbauplanung begonnen werden kann, gilt es, einige
Messeinrichtung, mMe) und einem hochsicheren Kom- grundlegende Fragen zu klären und Rahmenbedingungen
munikationsgateway, einem sogenannten Smart Meter für den Roll-out zu schaffen.
Gateway (SMGW), für Endkunden gemäß der Preisober-
grenze vorgeschrieben (sog. Pflichteinbaufälle). Der
Fokus der Überlegungen im Rahmen der enera Projekt- Strategie: Personal:
laufzeit lag vor allem auf der Bereitstellung von Hand- • Grundlage für neue • Verfügbarkeit
lungsempfehlungen für die Errichtung einer kommunika- Geschäftsmodelle • Qualifikation
tionstechnischen Infrastruktur für alle Anwendungen, die • Dauerhafte • Motivation
sich entweder direkt aus dem GDEW ergeben, aber auch Etablierung als gMsb
darüber hinaus aus Anforderungen sogenannter „Smart • Vorbereitung als Wirtschaft:
Grid“-Anwendungen abzuleiten sind. Je nach vorhande- wMsb • Investitionsbedarf
ner Infrastruktur, Besiedlungsdichte und Anforderungen • Abschreibung
an die IKT in der Modellregion kommen für die kommuni- Technologie: • Wachstums-
kationstechnische Anbindung der iMsys unterschiedliche • Reifegrad der orientierung
Wide-Area-Network (WAN)-Technologien, basierend auf Technologie
Mobilfunktechnologien oder kabelgebundenen Kommu- • Nutzung der Er- Unternehmensimage:
nikationstechnologien, infrage. Da bei iMsys in der Regel fahrung anderer Msb • Verfügbarkeit
eine Betriebszeit von acht Jahren angenommen wird, sind • Nutzung von • Qualifikation
Alternativen wie die Anbindung eines Ethernet-SMGWs an Synergien • Motivation
den Kundenrouter keine realisierbare Option. In diesem
Fall ist davon auszugehen, dass die Erreichbarkeit bei- ABBILDUNG 2: EINFLUSSGRÖSSEN BEI DER WAHL DER ROLL-OUT-
spielsweise durch einen Wechsel des Internetproviders STRATEGIE, VGL. (FORSCHUNGSSTELLE FÜR ENERGIEWIRTSCHAFT
nicht für die gesamte Laufzeit gewährleistet werden kann E.V. (FFE), 2018)
• Funkverbindungen: Satellit, LoraWAN oder Mioty • für die bedarfsgerechte Steuerung von Verbrauchs-
• Stromleitungsgebunden: Schmalband Powerline und Erzeugungsanlagen,
(NB-PLC) • für die Übermittlung von Netzzustandsdaten, um die
• Kabelgebunden: Kabelmodem Netzbetriebsführung zu unterstützen,
• für die Überwachung und Steuerung von Netz-
Die Erstellung einer Roll-out-Strategie ist ein eher kom- betriebsmitteln,
plexes Unterfangen, welches sich vor allem dadurch • für die Überwachung von Anlagen und Fernwartung,
auszeichnet, dass mehrere Themenbereiche, die sich • für die Anbindung der Straßenbeleuchtung,
gegenseitig beeinflussen, gleichzeitig bewertet werden • für den Ersatz der Rundsteuertechnik,
müssen. Oftmals gibt es nicht eine einzige richtige Roll- • für Anwendungsfälle rund um das Thema E-Mobility,
out-Strategie. Es handelt sich vielmehr um eine Entschei- • für Anwendungsfälle rund um das Thema Smart
dung zwischen einer Vielzahl von Alternativen, die unter Home/Smart Building,
Berücksichtigung spezifischer Rahmenbedingungen • für Anwendungsfälle beim Betrieb von Virtuellen
und Annahmen getroffen wird. Nicht zuletzt wird diese Kraftwerken,
denkbar. Die vom Bundesamt für Sicherheit in der Infor- Zum Abschluss der Vorüberlegungen sollten die folgen-
mationstechnik (BSI) und dem Bundesministerium für den Punkte erledigt sein:
Wirtschaft und Energie (BMWi) vorgesehenen Einsatz-
bereiche des SMGW als sichere Kommunikationsplatt- • Use-Cases-Definition mithilfe der SGAM-Methodik
form können der Roadmap für intelligente Energienetze abgeschlossen – alle Use Cases sind auf dem
entnommen werden (vgl. (Bundesamt für Sicherheit in Component Layer definiert
der Informationstechnik; Bundesministerium für Wirt- • Anforderungen an die weiteren Ebenen des SGAM-
schaft und Energie, 2019)). Frameworks sind für jeden Use Case festgehalten
• Absehbare und künftig geplante IKT-Anwendungsfälle
sind in den Überlegungen berücksichtigt
20 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 01
Nach Abschluss dieser Betrachtung sollten die folgenden obergrenzen, die dem Endkunden für ein intelligentes
Informationen vorliegen: Messsystem in Rechnung gestellt werden können, ist
der Betrieb unterschiedlich lukrativ für den Messstellen-
• Das für den Ausbau relevante Verteilnetzgebiet wurde betreiber. Unter Berücksichtigung der turnusmäßigen
in sinnvolle Teilabschnitte (basierend auf deren NGK) Zählerwechsel kann es sich dennoch anbieten, auch
eingeteilt optionale Einbaufälle bereits frühzeitig zusammen mit
• Informationen über die Bebauungs- und den Pflichteinbaufällen mit intelligenten Messsystemen
Bevölkerungsdichte wurden bei der Einteilung des auszustatten. Die Anzahl der zu installierenden End-
Verteilnetzgebietes berücksichtigt punkte liefert einen weiteren wichtigen Input für die
detaillierte Roll-out-Planung.
Analyse der Pflichteinbaufälle und der optionalen Ein-
baufälle Nach der Analyse der Pflichteinbaufälle sollten die
In Deutschland besteht laut MsbG eine Roll-out-Ver- folgenden Informationen vorliegen:
pflichtung für Verbraucher mit einem Jahresstromver-
brauch von mehr als 6.000 kWh bzw. Anlagenbetreiber • Kenntnis der Pflichteinbaufälle und deren
mit einer Einspeiseleistung von mehr als 7 kWpeak sowie geografischer Lage
Verbraucher, die ein verringertes Netzentgelt für eine • Kenntnis der lukrativen optionalen Einbaufälle und
steuerbare Verbrauchseinrichtung vereinbart haben. deren geografischer Lage
Diese sogenannten Pflichteinbaufälle müssen spätestens • Entscheidung zur Ausbaustrategie (Vollroll-out vs.
ab 2020 mit einem iMsys ausgestattet werden (vgl. Abbil- Teilroll-out)
dung 4) und bilden je nach Roll-out-Strategie der Ver-
teilnetzbetreiber Fixpunkte für deren Planung. Auf Basis Entscheidung über die WAN-Technologie der intelligen-
der „Kosten-Nutzen-Analyse für einen flächendeckenden ten Messsysteme
Einsatz intelligenter Zähler“ von Ernst & Young (Ernst & Im Rahmen dieses Leitfadens werden insbesondere die
Young, 2013) wurden Preisobergrenzen festgelegt, die für kabelgebundene Technologie Breitband-Powerline sowie
unterschiedliche Kundengruppen anhand der Jahres- die beiden Mobilfunktechnologien CDMA450 und LTE ver-
stromverbräuche festgelegt wurden und als eine Grund- glichen. Im Folgenden sollen die drei WAN-Technologien
lage für die Betrachtung des verbundenen Business kurz beschrieben werden, um einen Vergleich der Alter-
Cases dienen (vgl. Abbildung 4). nativen zu vereinfachen. Je nach NGK kann in der Modell-
region auch eine Kombination mehrerer WAN-Tech-
nologien zu einem optimalen Kosten-Nutzen-Verhältnis
führen. Zur Verwaltung von Kommunikationsnetzwerken
bietet sich für Messstellenbetreiber oder VNBs die Ver-
wendung eines Netzwerkmanagementsystems (NMS)
an. Dieses bietet als zentrale Plattform die Möglichkeit
zur einfachen, komfortablen Überwachung und Verwal-
tung der Komponenten im Netz und unterstützt bereits
die Errichtung von Kommunikationsnetzen. Vor allem in
großen Installationen oder bei der Nutzung unterschied-
licher WAN-Technologien vereinfacht die Nutzung eines
NMS die Betriebsführung und die Netzwerkadministration.
22 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 01
Backend-Verbindung an beliebigen Anschlusspunkten Weitere Informationen zu den BPL-Produkten der Her-
mit LTE-Mobilfunkempfang herzustellen. steller finden sich auf den jeweiligen Homepages von
PPC1 und devolo2.
Ortsnetzstationen dienen der Spannungstransformation
der Mittel- zur Niederspannung und sind typischerweise Vorteile der BPL-Technologie gegenüber alternativen
primärseitig (Mittelspannung) über eine Ringstruktur WAN-Technologien sind:
miteinander verbunden. Im Gegensatz zur Nieder-
spannungstopologie ist somit die Verbindung zwischen • Keine Erdarbeiten notwendig, da die Infrastruktur in
zwei benachbarten Ortsnetzstationen direkt und ohne Form von Kabeln oder Leitungen in der Regel bereits
Stichleitungen gegeben. So können Netzcluster dank vorhanden ist
BPL-Technologie zu einem intelligenten Stromnetz aus- • Keine laufenden Kosten für übertragene
gebaut und vernetzt werden. Da auf die Kabel der Mittel- Datenvolumina
spannungsebene weniger Störeinflüsse durch elektrische • Anwendungsorientiert hohe Datenrate im Bereich
Anlagen wirken, können mit BPL in der Regel größere von mehreren Mbits für Smart-Metering, Smart-Grid
Distanzen als in der Niederspannung kommunikations- und Mehrwertdienst-Anwendungen
technisch erschlossen werden. Die tatsächliche Distanz • Kurze Reaktionszeiten im Bereich von Millisekunden:
sowie die erreichbare Datenrate hängen jedoch stark ideal für netzdienliche Anwendungen und Schalt-
von der Art und dem Zustand der verfügbaren Netzinfra- vorgänge
struktur ab. Die Datenübertragung über die Mittelspan- • Unabhängig von der Verfügbarkeit und Auslastung
nung kann beispielsweise genutzt werden, wenn einzelne anderer Netze wie z. B. Mobilfunknetze
Ortsnetzstationen nicht über eine Lichtwellenleiter- oder • Überwachung und Steuerung insbesondere von
Mobilfunkanbindung verfügen. Dann können die bereits kleineren Anlagen und weit abgelegenen Anlagen und
vorhandenen Kabel analog zur Niederspannung für damit ideal geeignet für die Überwindung der „letzten
die Datenkommunikation mittels Breitband-Powerline Meile“
dienen und die erfassten Messdaten über die Mittel- • Investitionssicherheit durch technologische
spannungsleitung zu einer entfernter liegenden Netz- Nachhaltigkeit von internationalen Standards
station übertragen werden, die wiederum über einen • Hohe Reichweite – zur Netzspannungsüberwachung
Backbone-Anschluss (oder eine Datenflatrate) verfügt. • 100 % Gebäudedurchdringung auch zu Zählpunkten
im Untergeschoss
Vorteile der LTE-Technologie gegenüber alternativen • Smart Meter zur Übermittlung von Messdaten
WAN-Technologien sind: • Smart Grid für Schalt- und Steuervorgänge
• Digitaler Betriebsfunk für abgesicherte Sprachdienste
• Kein Aufbau eigener Infrastruktur nötig
• Gut ausgebautes, öffentliches Mobilfunknetz Dazu kommen weitere Anwendungsfälle wie z. B.
• Hohe Datenraten und geringe Latenzen möglich Mehrwertdienste über das iMSys (Energiemanagement-
systeme, Smart Home, Senior-Care usw.) oder Alarm-
Nachteile der LTE-Technologie gegenüber alternativen systeme sowie Anwendungen insbesondere für kritische
WAN-Technologien sind: Infrastrukturen.
• Laufende Kosten für übertragene Datenvolumina Über das CDMA-Netz ist somit eine Vielzahl von Anwen-
• Empfangsqualität eingeschränkt, durch Zählerschrank dungsfällen abbildbar, wie beispielsweise die Anbindung
und Gebäudewände unter Umständen beeinträchtigt intelligenter Messsysteme, die Einspeisesteuerung und
Überwachung von erneuerbaren Energien oder das
CDMA 450 Steuern und Überwachen des Energienetzes mit regel-
CDMA bezeichnet einen Mobilfunkstandard der dritten baren Ortnetzstationen sowie eine stabile Kommunika-
Generation (3G). Die zugrunde liegende Kommunika- tion im Not- und Krisenfall.
tionstechnik Code Division Multiple Access (kurz CDMA)
wurde ursprünglich für die militärische Kommunikation
entwickelt.
24 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 01
Eine Entscheidung über die WAN-Technologie sollte die
folgenden Punkte berücksichtigen:
Nachteile der CDMA-Technologie gegenüber alternativen • Kosten-Nutzen-Betrachtung für die Auswahl der
WAN-Technologien sind: benötigten Anzahl an Modems bzw. Sendemasten bei
privaten Netzwerken
• Erhebliche Anfangsinvestitionen für den Aufbau einer • Festlegung der Einbauorte für die IKT-Infrastruktur
privaten IKT-Infrastruktur notwendig • Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit dem
• Langjähriger Betrieb einer eigenen Funkinfrastruktur Mobilfunkbetreiber bei der Nutzung öffentlicher
• Möglicherweise höhere Kosten je Gerät (abhängig von Mobilfunknetze
der Gerätemenge)
• Geringere Datenraten als bei BPL und LTE möglich Vorbereitungen und Ausbau
– für Smart-Meter- und Smart-Grid-Anwendungen In einem weiteren Schritt der Ausbauplanung werden
dennoch ausreichend innerhalb der zuvor definierten Use Cases Schwerpunkte
gesetzt, um eine sinnvolle Ausbaureihenfolge abzu-
Weitere Informationen zu den CDMA-Produkten von PPC leiten. Da iMsys für Metering-Anwendungsfälle in den
finden sich auf der Homepage des Herstellers5. oben beschriebenen Pflichteinbaufällen gesetzlich vor-
geschrieben sind, werden diese in der Regel hoch prio-
risiert werden. Sobald jedoch optionale Ausbaufälle mit
iMsys ausgestattet werden sollen, gibt es keine zeitlichen
Vorgaben mehr an den Roll-out. Demnach liegt es an den
Prioritäten des Verteilnetzbetreibers, ob und wann bei-
26 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 01
Anwendungsfälle zum Handeln am Energiemarkt ermög- gungen beachtet und wichtige Entscheidungen bei der
licht werden sollen, sodass aus diesem Gebiet erwar- Planung getroffen werden müssen. Da sich die Netzgebiete
tungsgemäß weitere Smart-Grid-Anwendungen relevant unterschiedlicher Verteilnetzbetreiber beispielsweise in
sein werden. der Bevölkerungsdichte bzw. der Bebauungsdichte unter-
scheiden, aber auch die Unternehmensstrategie und
Um hier künftige Situationen mitzudenken und damit die bereits vorhandene IKT-Infrastruktur eine wichtige Rolle
konkrete Kommunikationsinfrastrukturplanung und den bei der Roll-out-Planung darstellen, kann keine allge-
laufenden Ausbau zu begleiten können, werden aus kon- meingültige Aussage über das richtige Roll-out-Konzept
kreten Kommunikationsszenarien Modelle für eine Kom- getroffen werden. Vielmehr ist eine enge, kurzzyklische
munikationssimulation konstruiert. Diese umfassen u. a. Abstimmung mit dem Verteilnetzbetreiber nötig, um
Kommunikationsakteure, -technologien, -topologien und jeweils ein individuelles Roll-out-Konzept zu erstellen.
Smart-Grid-Anwendungen. Für die spezifische(n) Smart-
Grid-Anwendung(en) kann das Kommunikationsszenario Literaturverzeichnis
zum einen durch allgemeine Metriken wie die Dauer der
Nachrichtenübertragung oder die Anzahl der Paketver- ACCENTURE CONSULTING; FRAUNHOFER INSITUT FÜR EIN-
luste analysiert und mit anderen Szenarien verglichen GEBETTETE SYSTEME UND KOMMUNIKATIONSTECHNIK.
werden. Zum anderen können hierbei komplexere, (2017). Smart Grid = Connected Grid – Kommunikationstech-
anwendungsspezifische Metriken eingesetzt werden wie nologien als Grundlage des Smart Grid. München: Accenture.
bspw. die Gesamtberechnungsdauer eines auf physisch
verteilten Rechenknoten ausgeführten Algorithmus zum
Betrieb eines Virtuellen Kraftwerks oder die Genauigkeit APPELRATH, H.-J., KAGERMANN, H., & MAYER, C. (2012). Fu-
der Netzzustandsüberwachung (die durch fehlende/ver- ture Energy Grid – Migrationspfade ins Internet der Energie.
zögerte Informationen vermindert sein kann). München: acatech – Deutsche Akademie für Technikwissen-
schaften.
Neben den Normalbetriebszenarien können Smart-Grid-
Anwendung und Kommunikationstechnologie auch für
Störfälle evaluiert werden, um somit die Resilienz des BEE SMART CITY GMBH. (2019). Smart City/Smart Region –
Systems in unterschiedlichen Störszenarien zu ermitteln. Handlungsleitfaden für Praktiker*innen. Mühlheim an der
Da Störfälle teilweise sehr technologieabhängig sind, Ruhr.
können nicht immer Vergleiche zwischen den Techno-
logien hergestellt werden. Beispiele dafür sind:
BOGENSPERGER, A., KÖPPL, S., KIESSLING, A., & FALLER,
• Abschirmung des SMGW (durch Verortung im Keller) S. (2018). Kochrezept Use Case Methodik – Eine praktische
• Ausfall oder Überlastung im Mobilfunknetz Anwendungshilfe für alle C/sells-Partner. München: For-
• Störsender schungsstelle für Energiewirtschaft e.V.
• Topologiewechsel (bei BPL)
• Leitungsausfall
• Fehlkonfiguration von Kommunikationsinfrastruktur- BUNDESAMT FÜR SICHERHEIT IN DER INFORMATIONSTECH-
hardware (wie Routern) NIK; BUNDESMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND ENERGIE.
(2019). Standardisierungsstrategie zur sektorübergreifen-
Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass es Telekommuni- den Digitalisierung nach dem Gesetz zur Digitalisierung der
kations-, Verteilnetzbetreibern und anderen Stakeholden Energiewende – Roadmap für die Weiterentwicklung der
ein Werkzeug zur Bewertung von Technologien und Aus- technischen BSI-Standards in Form von Schutzprofilen und
baumaßnahmen für verschiedene Use Cases bietet. Die technischen Richtlinien. Bonn: Bundesamt für Sicherheit in
daraus gewonnenen Erkenntnisse können bei der spä- der Informationstechnik.
teren Umsetzung ins Feld einfließen und dadurch even-
tuelle Fehlinvestitionen im Vorhinein vermeiden. Jedoch
bilden Simulationen die Realität nur zu einem gewissen BUNDESAMT FÜR SICHERHEIT IN DER INFORMATIONSTECH-
Grad ab, da die Simulationsmodelle nur so detailliert NIK; BUNDESMINISTERIUM FÜR WIRTSCHAFT UND ENERGIE.
wie notwendig realisiert sind, weshalb Abweichungen in (2019). Standardisierungsstrategie zur sektorübergreifen-
realen Umsetzungen zu erwarten sind. den Digitalisierung nach dem Gesetz zur Digitalisierung der
Energiewende – Roadmap für die Weiterentwicklung der
Anforderungen an die Projektabwicklung technischen BSI-Standards in Form von Schutzprofilen und
Der Roll-out intelligenter Messsysteme ist ein komplexes Technischen Richtlinien. Bonn: Bundesamt für Sicherheit in
Unterfangen, bei dem eine Vielzahl von Rahmenbedin- der Informationstechnik.
SÖRRIES, B., LUCIDI, S., NETT, L., WISSNER, M., WIETFELD, C.,
BÖCKER, S., & DORSCH, N. (2019). Gutachten (Topthema 3):
Digitalisierung der Energiewende. Berlin: Bundesministe-
rium für Wirtschaft und Energie.
1 https://www.ppc-ag.de/produkte-services/bpl-produkte
2 https://www.devolo.de/smart-grid/produkte.html
3 https://www.ppc-ag.de/produkte-services/mobilfunk-produkte
4 https://www.devolo.de/devolo-smgwplus.html
5 https://www.ppc-ag.de/produkte-services/mobilfunk-produkte
28 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 01
Powerline-Kommunikation in der
Mittelspannung
aus einem Erdkabel mit einer Länge von 1.255 m. Es ist ein
AUTOR: MAIK SCHÄFER (EWE NETZ) VPE-Kabel vom Typ NA2XS2Y mit einem Querschnitt von
150 mm². Das VPE-Kabel ist ca. 30 Jahre alt und verfügt
über jeweils drei Verbindungsmuffen. Diese physischen
Hintergrund Eigenschaften der Strecke haben maßgeblichen Einfluss
Im Zeitalter der Digitalisierung sind Kommunikations- auf die Verbindungsqualität. Hohe Signalreichweiten
technologien das Rahmengerüst für den Aufbau einer mit BPL und induktiver Signaleinkopplung lassen sich
modernen Kommunikationsinfrastruktur. Neben den generell nur mit VPE-Kabeln erreichen. Die vorgestellten
klassischen Technologien wie Lichtwellenleiter oder Eigenschaften dieser Kabelstrecke sind typisch für Mit-
Mobilfunk kommen für Netzbetreiber auch vermehrt neu- telspannungskabelverbindungen im Netzgebiet von EWE
artige Technologien wie Powerline-Kommunikation (PLC) NETZ. Demnach ist diese Übertragungsstrecke ein guter
im Smart-Grid-Umfeld zum Einsatz. Powerline-Kommuni- Präzedenzfall für zukünftige PLC-Strecken.
kation ist allgemein bekannt unter der Phrase „Internet
aus der Steckdose“ und dient der Datenübertragung über Auf dieser Teststrecke wurde die PLC-Technik von PPC ver-
Stromkabel. Im Rahmen von AP1 werden Powerline-Über- baut, siehe Abbildung 1. Das schwarze BPL-Modem von
tragungsstrecken in der Mittelspannung zu Testzwecken PPC ist für den Frequenzbereich von 2-30 MHz ausgelegt.
aufgebaut. Die Mittelspannung stellt dabei andere Anfor- Die zwei grauen induktiven Ringkernwandler werden kurz
derungen als die Niederspannung an die Technologie vor den MS-Leistungsschaltern montiert. Über ein rotes
und erfordert neue Konzepte und technische Rahmenbe- Koaxialkabel sind die Wandler mit dem Modem verbun-
dingungen für die Umsetzung. Fragestellungen über die den. Damit wird das PLC-Signal symmetrisch zwischen
Leistungsfähigkeit der Kommunikationsstrecken müssen Phase 1 und Phase 2 eingekoppelt.
erarbeitet und beantwortet werden, um Aussagen über
die Einsetzbarkeit bei Netzbetreibern zu treffen. Hierzu
wurden zwei PLC-Teststrecken errichtet, um anhand
dieser eine Leistungsanalyse der PLC-Technik durchzu-
führen.
BPL-Übertragungsstrecke Sillenstede
Die BPL-Teststrecke befindet sich in Sillenstede in der
Netzregion NOV (Oldenburg-Varel). Das 20-kV-Mittelspan- Das Netzwerkkabel aus dem Modem führt zum Schrank
nungskabel verbindet die Schaltanlage (SA) Sillenstede der Fernwirktechnik in der SA. Von dort ist das Modem
mit der Ortsnetzstation (ONS) Wulfswarfe WEA und besteht über einen Switch in das Fernwirknetz von EWE NETZ inte-
30 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 01
griert. Die BPL-Komponenten auf der anderen Seite des
Mittelspannungskabels in der ONS Wulfswarfe sind ana-
log dazu montiert. Durch gasisolierte Schalter in der Sta-
tion ist nur wenig Platz vorhanden. Deshalb wurden die
Koppler vor den Endverschlüssen unter der Abdeckung
der Verschlüsse verbaut. Das Modem befindet sich im
Transformatorraum auf dem Schrank der Fernwirktech-
nik. Über ein Netzwerkkabel ist das PLC-Modem mit der
Fernwirkanlage verbunden. Diese kann aufgenommene
Messdaten über PLC senden.
SPL-Übertragungsstrecke Pewsum
In Pewsum, in der Netzregion NOF (Ostfriesland), befindet
sich die zweite Teststrecke. Das 20-kV-Mittelspannungs-
kabel verbindet die SA Pewsum mit der ONS Pewsum Ber-
liner Straße und hat eine Länge von 563 m. Das VPE-Kabel
ist vom gleichen Kabeltyp und ca. 26 Jahre alt, zudem
verfügt es über zwei Verbindungsmuffen.
32 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 01
ermittelt. Im Normalzustand beträgt der Datendurch- Zusammenfassung
satz im Mittel 33,3 kbit/s. Anschließend wird die Strecke Die verwendeten PLC-Techniken BPL und SPL sind
beidseitig freigeschaltet. Die Testgeräte können nicht hinsichtlich ihrer genutzten Frequenzbänder grund-
kommunizieren und es werden keine Daten übertragen. verschieden. Dieser Technologieunterschied führt zu
Demnach ist keine Verbindung der PLC-Modems mög- abweichenden Ergebnissen bei der Auswertung der
lich. Im geerdeten Zustand der Kabelstrecke ist eine Leistungsanalyse. Bezüglich der Paketumlaufzeit ist BPL
Datenübertragung wieder möglich. Die Messungen des deutlich besser als SPL. Für die Fernwirktechnik eines
maximalen Datendurchsatzes zeigen im Vergleich zum Energieversorgers ist diese Verzögerung jedoch eher
Normalbetrieb einen um ca. 50 % verminderten Wert. Es unwichtig. Die Unterschiede in den Datendurchsätzen
werden Datendurchsätze bis zu 17,2 kbit/s gemessen. Die sind noch deutlicher, die BPL-Strecke ist sehr leistungs-
Paketumlaufzeiten sind im geerdeten Zustand der Kabel- stark und damit überdimensioniert für viele heutige
verbindung etwas erhöht. Smart-Grid-Anwendungen. Der Datendurchsatz von SPL
ist bereits ausreichend bemessen, um z. B. Messdaten zu
Zusammenfassend wirkt sich der Netzbetrieb stark auf übertragen. Die Langzeitmessung ergab eine sehr stabile
die Datenübertragungsraten von PLC aus. Die Verbindung Verbindung mit beiden PLC-Techniken, die Daten können
wird dennoch mit BPL bei reduzierter Leistung aufrecht- bei konstanter Leistungsfähigkeit im Dauerbetrieb über-
erhalten. Mit SPL wird die Verbindung im freigeschalteten tragen werden. Im aktiven Netzbetrieb kommt es mit BPL
Zustand unterbrochen. Im geerdeten Zustand des MS- zu keinen Verbindungsunterbrechungen, die Übertragung
Kabels ergeben sich mit BPL deutlich höhere Datenraten, kann weiterhin erfolgen. Mit SPL ergeben sich im freige-
während mit SPL die Datenrate weiter absinkt. schalteten Zustand einige Einschränkungen. Dieses Pro-
jekt zeigt, dass die aufgebauten Kommunikationsstrecken
mit PLC erfolgreich für die Datenübertragung im Fern-
wirknetz eines Netzbetreibers genutzt werden können.
Auf der Ebene der Transportschicht zeigen Messungen,
wie hoch der Datendurchsatz der jeweiligen PLC-Technik
ist. Die Anforderungen seitens EWE NETZ können durch
beide Techniken erfüllt werden.
34 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 01
Anwendungsfälle können hierbei allen Clustern für die • Smart Home (Schalten/Hausautomatisierung über
Digitalisierung der Energiewende aus der Standardisie- CLS, Bilder/Videos, Rauchmelder etc.)
rungsstrategie (Bundesamt für Sicherheit in der Infor- • Netzdienliches Steuern von Ladeinfrastruktur beim
mationstechnik; Bundesministerium für Wirtschaft und Endkunden
Energie, 2019) des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi)
und des Bundesamts für die Sicherheit in der Informa- Anwendungsfälle, die nicht Haushaltskunden betreffen:
tionstechnik (BSI) zugeordnet werden. Hierzu zählen die
Bereiche Smart- und Sub-Metering, Smart Grid, Smart • Steuerung von Einspeiseanlagen wie PV-Anlagen oder
Mobility, Smart Home, Smart Building und Smart Services. Blockheizkraftwerken. Möglichkeit zur Integration in
Eine Themenlandkarte der AG Gateway-Standardisierung das Einspeisemanagement des Netzbetreibers
von BSI und BMWi gibt die technischen Einsatzkontexte • Leistungsreduktion von Einspeiseanlagen auf defi-
des Smart-Meter-Gateways wieder, die sich unter ande- nierte Leistungsstufen (0/30/60/100)
rem aus einer Branchenbefragung ergeben haben. Um • Steuerung der Straßenbeleuchtung und damit Ersatz
die Vielzahl der möglichen Anwendungsfälle für das für die bisherige Steuerung per TRE
Steuern von Anlagen im Projekt zu ordnen, wurden unter • Kostengünstige Integration kleinerer Anlagen
anderem die folgenden Use Cases definiert: in Virtuelle Kraftwerke bzw. Steuerung durch
Aggregatoren mithilfe standardisierter Hardware
Anwendungsfälle, die Haushaltskunden betreffen: • Netzdienliches Steuern von Ladeinfrastruktur im
halböffentlichen und öffentlichen Bereich
• Steuerung von Nachtspeicherheizungen beim End-
kunden und damit Ersatz für die bisherige Steuerung Anhand der Use Cases wird deutlich, dass die Steuerung
per Tonfrequenz-Rundsteuer-Empfänger (TRE) von Anlagen über den CLS-Kanal des SMGW eine Alter-
• Steuerung von Wärmepumpen beim Endkunden und native zur Steuerung über sog. Tonfrequenz-Rundsteuer-
damit Ersatz für die bisherige Steuerung per TRE Empfänger darstellt. Im Gegensatz zu TREs bietet sie den
• Steuerung von Einspeiseanlagen wie PV-Anlagen Vorteil, dass eine bidirektionale Kommunikation zwischen
oder kleinen Blockheizkraftwerken beim Endkunden. Backend-System und steuerbarer Anlage möglich ist
Möglichkeit zur Integration in das Einspeisemanage- und damit beispielsweise Rückmeldungen über erfolgte
ment des Netzbetreibers Schaltvorgänge erfolgen können. Wie der Kanalaufbau
• Leistungsreduktion von Einspeiseanlagen beim End- und das Steuern von Anlagen erfolgt, ist im Folgenden
kunden auf definierte Leistungsstufen (0/30/60/100) beschrieben.
ABBILDUNG 1: THEMENLANDKARTE DER AG GATEWAY-STANDARDISIERUNG VON BMWI UND BSI, STAND DEZEMBER 2019. © BMWI
Funktion von Schalt- und Steuerungsprozessen über Nach Ablauf dieser Schritte baut das Smart Meter Gate-
die gesicherte Infrastruktur intelligenter Messsysteme way (SMGW) eine verschlüsselte Verbindung zwischen
dem CLS-Managementsystem und der Steuerbox bzw. den
Schritte bei der mit Steuerungs- und Schaltprozessen anzusteuernden Systemen auf (6). Auf diese Weise wird
beauftragten Partei (Externer Marktteilnehmer, EMT): mithilfe des SMGW und des CLS-Managementsystems
ein gesicherter, protokollbezogener oder transparenter
1. Schalt- & Steuerungsprozesse werden von einem Kanal – also ein prinzipiell für beliebige Kommunika-
auslösenden System initiiert. Hierbei sind sowohl tionsanwendungen nutzbarer Kanal – zwischen steuer-
Einzel- wie auch Gruppenbefehle entsprechend den barer Anlage und Backendsystem des aktiven externen
marktüblichen Strukturen nutzbar. Das EMT-System Marktteilnehmers aufgebaut.
prüft die Berechtigung des Marktpartners sowie den
Auftrag für die ausgewählten Messlokationen. Die Kommunikationskanäle werden über verfügbare
2. Das CLS-Managementsystem nimmt die Schaltaufga- WAN- Kommunikationswege oder in speziellen Fällen
ben entgegen und übersetzt diese in endgerätespezi- über lokale Netze bereitgestellt. Im letzten Schritt (7)
fische Protokolle. Nachfolgend werden die Adressen kann nun der EMT über diesen Kanal Schalt- und Steue-
den Endgeräten zugeordnet und eine Prüfung der rungshandlungen ausführen oder den Kanal für die
Verfügbarkeit des gesicherten Kanals durchgeführt. anderweitige Datenübertragung von Inhaltsdaten nutzen.
Sollte der Kanal nicht verfügbar sein, wird je nach
HAN-Kommunikationsszenario (HKS) über den Service Arbeiten in enera zur Entwicklung von Software-
des Gateway Administrator (GWA) ein Kanal initiiert. Funktionsmustern für einen CLS-Manager
Diese Anforderung erfolgt aktuell über systemische Wie aus der Erläuterung am Anfang des Abschnitts her-
Kopplungen zwischen dem EMT und dem GWA. vorgeht, kann der CLS-Kanal eines Smart Meter Gateways
3. Nach erfolgter Schalthandlung werden die Schalt- für einen bidirektionalen Datenaustausch zwischen IP-
quittungen sowie bei Bedarf Echtzeitmessdaten in die basierten Endgeräten und einer IP-basierten Backend
Zielsysteme übertragen, sodass hier eine bidirektio- -Infrastruktur im Sinne eines transparenten Proxys
nale Kopplung der Systeme nahezu beliebige Mehr- genutzt werden. Für die Anbindung der Endgeräte kann
werte für den Endkunden ermöglicht. Das EMT-System eine Steuerbox als sicherer Terminierungspunkt des
ist aus Sicht der führenden Systeme immer als CLS-Kanals genutzt werden, um beispielsweise Bestands-
Subsystem einzustufen. anlagen für die Kommunikation über das SMGW zu
ertüchtigen.
Schritte bei der vertrauenswürdigen Instanz, welche die
Aufgabe der Konfiguration von Smart Meter Gateways Die Nutzung des CLS-Kanals ist dabei nicht auf die
übernimmt (Gateway Administrator, GWA): Übermittlung von Schalt- und Steuersignalen begrenzt,
sondern kann darüber hinaus genutzt werden, um Sen-
4. Initiale Konfiguration der CLS-Geräteverbindung zum sor- oder Messdaten in einer hohen zeitlichen Auflösung
EMT-System entsprechend der Marktrolle und den einem Zielsystem zuzuführen.
Berechtigungsstrukturen sowie der erforderlichen HKS.
5. Überwachung der SMGW-Infrastruktur entsprechend Im Projekt wurden Software-Funktionsmuster zur Initi-
den vorgegebenen Aufgabenstellungen. ierung transparenter Kanäle unter Einbeziehung eines
36 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 01
Gateway-Administrators entwickelt. Dieses wurde in Tests
einerseits dafür genutzt, um eine Kommunikation über
unterschiedliche Protokolle zwischen einem Energie-
managementsystem und Endgeräten zu ermöglichen,
und andererseits, um die Funktion der Übermittlung
von Messdaten in hoher zeitlicher Auflösung über einen
transparenten Kanal zu erproben.
AUTOREN: ANDREAS MÜLLER (EWE NETZ), THEIS GLOYSTEIN • Stichstation, Station am Ende einer Leitung, wenn
(EWE NETZ), KAI GRONING (PHOENIX CONTACT), CHRISTINE dies keine Übergabe für eine Erzeugungsanlage (d. h.
BUND (3M), JENS WEICHOLD (3M) keine fremde Station) ist und min. zwei Stationen
davor sind (Variante 1a/1b: orange)
• T-Stationen (Dreibein), an deren Unterleitung min.
Konzept erweiterte Mittelspannungsmessung zwei Unterstationen angeschlossen sind (Variante
Für eine automatisierte Netzführung durch den Einsatz 2a/2b)
von Netzreglern und für eine effizientere Netzplanung • T-Stationen (Dreibein), die drei Schaltstationen ver-
wurde im Rahmen von enera ein erweitertes Messkonzept binden (Variante 2a/2b: rot)
zu den bereits bestehenden Messungen innerhalb der • Installation der Messsensorik innerhalb einer
Modellregion der EWE NETZ entwickelt. Die erweiterte Schaltstation direkt am Kabelende (Endverschluss)
Messung wurde innerhalb der Mittelspannungsleitung in (Variante 3: weiß)
den Ortsnetzstationen und an anstehenden Kabelenden
in Schaltstationen installiert. Eine umfassende Netz- Im Folgenden sind die Konzepte für Variante 1 und 2 ein-
studie gab Aufschluss darüber, welche Stationen mit dem mal exemplarisch dargestellt. Diese gelten für Stationen
neuen Konzept ausgerüstet werden sollten. mit und auch ohne regelbaren Ortsnetztransformator
Für das erweiterte Messkonzept wurden insgesamt (rONT) (s. Tabelle 1)
drei Varianten entwickelt. Die Messungen wurden an
folgenden Stationen bzw. Messpunkten installiert (siehe
Abbildung 1):
38 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 01
Die Messungen erfolgen jeweils dreiphasig und über-
tragen werden die Messgrößen U, I, P, Q der jeweiligen
Phasen. Für die Messwertaufnahme wurde Fernwirk-
technik mit Messkarten eingesetzt, welche die Messwerte
über einen CDMA-Router an die Netzleitstelle und einen
Archivserver übertragen. (siehe Abbildung 3)
40 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 01
Von den aktuellen rudimentären Auslastungsinforma- Durch die Ausstattung der ONS und KVS, welche die
tionen, die in großen Teilen nur durch Schleppzeiger- neuralgischen Knoten in den jeweiligen Niederspan-
Amperemeter in Ortsnetzstationen zu entnehmen sind, nungsnetzen abbilden, konnten die wichtigsten Power-
soll der Wandel hin zum transparenten Niederspan- quality-Kenngrößen erfasst und ausgewertet werden
nungsnetz erfolgen. (beispielhafte Lokationen siehe Abbildung 7).
ABBILDUNG 8: BEISPIEL FÜR FERNAUSLESUNG UND AUSWERTUNG BEI DER EWE NETZ
42 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 01
definieren. Der Fokus muss sich dabei auf verschiedenste
Teilbereiche des Verteilnetzes richten. So müssen nicht
nur Standards bei Kommunikationseinrichtungen und
Kommunikationsverbindungen definiert werden, sondern
auch spezifische Standards für Netzautomatisierungs-
komponenten wie den zum Einsatz kommenden Netz-
regler. Gerade bei Netzautomatisierungskomponenten
ist eine Definition spezifischer Security-Maßnahmen
unerlässlich, denn Netzautomatisierungssysteme greifen
autark in den aktiven Netzbetrieb ein. Ein unautorisierter
Zugriff auf diese Komponenten stellt dabei ein erheb-
liches Sicherheitsrisiko für das gesamte elektrische
Versorgungssystem dar. Aus diesem Grund wurden zahl-
reiche Maßnahmen und Mechanismen implementiert,
um das Netzautomatisierungssystem zu härten und
bestmöglich schützen. Kernbestandteile des definierten
Sicherheitskonzepts bilden dabei Firewalls zur Beschrän-
kung des Zugriffs, kryptografische Verschlüsselung von
vertraulichen Daten, gesicherte Anmeldeverfahren über
Benutzernamen und Passwörter sowie eine rollenbasierte
Benutzerverwaltung mit jeweils spezifischen Rechten.
ABBILDUNG 9: KOMPONENTEN UND IHRE KOMMUNIKATIONSBEZIE- Zusätzlich zu den Hauptbestandteilen muss ein gesamt-
HUNGEN heitliches Sicherheitskonzept auch erweiterte Standards
für Patch- und Update-Management sowie Schwach-
stellen- und Change-Management enthalten, welche
ebenfalls für den sicheren Betrieb von informationsver-
IT-Sicherheit im Rahmen der netzoptimierenden arbeitenden Systemen von erheblicher Bedeutung sind.
Verteilnetzautomatisierung So müssen gerade Systeme in der Energieversorgung
Grundvoraussetzung für den heutigen Betrieb von softwaretechnisch immer auf dem neuen Stand gehalten
informationsverarbeitenden Systemen ist eine erhöhte werden, um den steigenden Anforderungen gerecht zu
IT-Sicherheit. So gewinnt der Schutz von IT-Systemen in werden und Sicherheitslücken zu vermeiden.
einer immer öfter vollautomatisierten Welt mehr und
mehr an Bedeutung. Vor allem in kritischen Infrastruk- Als Referenz für gängige Security-Standards in der
turen wie der Energieversorgung ist ein ausreichender Energiewirtschaft kann das Whitepaper „Whitepaper
Schutz der Systeme gegen unautorisierte Zugriffe von Anforderungen an sichere Steuerungs- und Telekom-
außen von höchster Bedeutung. munikationssysteme“ vom Bundesverband der Energie-
und Wasserwirtschaft e.V. dienen. Die dort definierten
Standards und Vorgehensweisen bilden eine anerkannte
Hilfestellung bei der Sicherheitsorganisation von Unter-
nehmen im Bereich der Energiewirtschaft (BDEW Bundes-
verband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V., 2018).
Gerade mit Blick auf die immer weiter fortschreitende
Digitalisierung in vielen Bereichen des Lebens und so
auch in der Energieversorgung bilden gemeinsame
Standards und Vorgehensweisen eine essenzielle Basis
für den heutigen und zukünftigen Schutz von Systemen
und gesamten Organisationen.
Literaturverzeichnis
AUTOREN: SEBASTIAN BEISEL (ERNST & YOUNG GMBH WIRT- Dabei unterteilen sich die Daten-Kunden als auch Ser-
SCHAFTSPRÜFUNGSGESELLSCHAFT), JENS WALTER (EWE AG) vice-Kunden noch in die Unterkategorien von „Produzent
& Konsument“ als auch „Business & Consumer“.
1. Einführung
Entscheidet sich ein Unternehmen datenbasierte
Geschäftsmodelle zu entwickeln und als festen Bestand-
teil in die Unternehmensstrategie zu integrieren, wird aus
vorhandenen Daten neues Wissen generiert, aggregiert
und mit geeigneten Algorithmen analysiert. Als Produkt
der Analyse entsteht eine neue wertige Erkenntnis.
44 DIGITALE INFRASTRUKTUR
Themengebiete relevant und zu evaluieren: Flexibilität, • Realtime or not: Weiterhin gilt es die Plattform nach
AP 02
Skalierbarkeit, Sicherheit, Zuverlässigkeit, Performance, künftigen Kernanforderungen zu gestalten. Zielen die
Erweiterbarkeit/Infrastruktur, Kosten, Anwendbarkeit und datenbasierten Geschäftsmodelle auf die Erstellung
Passform an die Unternehmensstrategie. von Realtime-Analysen ab, muss die Plattform
technisch und architektonisch im Grundsatz anders
Besonders die folgenden beiden Fragestellungen neh- gestaltet werden, als wenn sich der Fokus auf die
men im Rahmen des enera Projekts und der SDSP einen Auswertung von historischen Massendaten legt.
besonderen Stellenwert ein:
2.3 Die SDSP als IT-Infrastruktur-Plattform
• On-Premise vs. Cloud: Eine der entscheidendsten Das Ziel der Smart-Data-and-Service Plattform (SDSP)
Fragestellungen ist die der IT-Infrastruktur: On- ist es als technische Plattform die Nutzung der SDSP
Premise, Cloud oder Hybrid. Alle Varianten bringen gemäß dem definierten Geschäftsmodell auszuprägen.
ihre Vor- und Nachteile mit sich. Neben der techni- Der Kern des Geschäftsmodells der SDSP liegt dabei vor
schen Beurteilung spielt in diesem Kontext ebenfalls allem darin, aus den Daten, die in die SDSP integriert/
die wirtschaftliche Betrachtung eine wesentliche eingespielt werden, neue Daten-Services bzw. -Produkte
Rolle. zu entwickeln, die den (End-)Nutzern der SDSP einen
ABBILDUNG 2: SDSP-KERN-KOMPONENTEN
46 DIGITALE INFRASTRUKTUR
Das ELT-Tool (siehe Abbildung 3) hat im Rahmen seiner 2. Data Cleansing/Qualitätssicherung der Daten des
AP 02
„Extrahieren, Laden, Transformieren“-Funktionalität im Data Warehouse durch Extraktion der Daten aus dem
Wesentlichen zwei Kernaufgaben: DWH, Transformation der Daten und abschließendes
Laden der Daten zurück in das DWH
1. Durch das ELT-Tool werden die über den ESB bereit-
gestellten Daten der externen Quellsysteme in die
Landing Zone transportiert. Die typische Landing
Zone für die Daten, die das ELT-Tools weitergibt, ist
der Data Lake aufgrund des eher geringen Strukturie-
rungsgrads der Daten.
2. Das ELT-Tool erfüllt dabei auch die Aufgabe des Data
Cleansing (Qualitätskontrolle) bzgl. der Rohdaten, die
in den Data Lake aufgenommen werden. Er liest also ABBILDUNG 4: ETL-TOOL
die Daten aus dem Data Lake, transformiert diese und
schreibt sie anschließend wieder auf den Data Lake
zurück. Es erfolgt kein Schreiben von Daten auf das
Data Warehouse, da das ELT-Tool nicht für die Ver- 2.3.4 Daten-Zugangsschicht
knüpfung und Strukturierung von Daten zuständig ist. Die Daten-Zugangsschicht regelt den Zugriff auf die Daten
Die Daten sind demnach nach der Transformation im der SDSP durch bestimmte Dienste und Nutzer. Sie bildet
ELT-Tool immer noch un- oder semi-strukturiert. das Portal zu den auf der SDSP liegenden Daten und ist
mit einem zu definierenden Security-Konzept belegt. Sie
ist für die Bereitstellung der Daten im Falle des Zugriffs
von (externen) Nutzern verantwortlich.
2.3.5 Serviceebene
Auf der Service-Ebene erfolgt der Zugang auf die SDSP
bzw. auf die Daten-Services durch deren Nutzer bzw.
Applikationen auf Basis einer Authentifizierungsabfrage.
ABBILDUNG 3: ELT-TOOL Die Daten-Services der SDSP sind auf dieser Ebene imple-
mentiert und werden Nutzern/Applikationen bereit-
gestellt. Die Service-Ebene wird durch das Hinzufügen
einer Cloud-Lösung in eine Daas- sowie SaaS-Service-
2.3.3 Daten-Integrationsschicht Ebene unterteilt und dadurch flexibel skalierbar.
Die Kernaufgabe der Daten-Integrationsschicht ist die
Transformation und Verknüpfung der gelagerten (Roh-) In dem „Kern-Lösungselement K2 – Use Cases“ werden
Daten. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auch auf verschiedene Use Cases seitens des enera Konsortiums
dem Data Cleansing, also der Qualitätssicherung der verprobt, welche durch die SDSP und deren technische
Rohdaten. Infrastruktur enabled werden.
Beschreibung der Konzeption der Smart Services in der Die Funktionsweise der API-Management-Lösung ist
Smart Data und Service Plattform (SDSP) und ihrer Ab- in Abbildung 1 skizziert. Die Service-Implementierung
sicherung durch eine API-Management-Lösung erfolgt zuerst in der Entwicklungs-Umgebung (ENTW), wo
die Funktionalität und die Zugriffssteuerung vorab im
Detail getestet wird. Nach erfolgreicher Abnahme wird
AUTOREN: DR. GERALD RISTOW (SOFTWARE AG) UND MARC die Service-Implementierung in die Demonstrations-
DORCHAIN (SOFTWARE AG) Umgebung (DEMO) portiert, wo sie nun für die vereinbar-
ten Anwendungen zugänglich ist.
Die enera Smart Data und Service Plattform (SDSP) Die API-Management-Lösung besteht aus zwei
bekommt Daten aus den unterschiedlichsten Systemen Komponenten, die beide in der DMZ stehen, um einen
und Datenquellen, um diese für eine nachgelagerte unbefugten Zugriff auf die ENTW- und DEMO-Systeme
Analyse den Data-Scientisten zur Verfügung stellen zu zu verhindern. Im API-Portal, das als eine Art Telefon-
können. Das beinhaltet beispielsweise Daten des Deut- buch fungiert, können die bereitgestellten Services
schen Wetterdiensts über die aktuelle und vorhergesagte dokumentiert werden, man kann ein API-Token anfor-
Sonneneinstrahlung und Windstärken sowie Richtungen. dern und die Services können zum Teil auch ausprobiert
Diese können benutzt werden, um die Energieerzeugung werden. Zur Laufzeit wird jedoch nur die API-Gateway-
vorherzusagen und damit möglichen Energieengpässen Komponente benötigt, die die Anfragen mittels Remote-
frühzeitig entgegenzuwirken. Auch die Daten der in pri- Proxy-Aufruf an die interne API-Gateway-Komponente
vaten Haushalten eingesetzten smart-me Module sind weiterleitet, in der alle Zugriffsteuerungen und weitere
in der SDSP abgelegt. Diese Daten werden auch für die Konfigurationen stattfinden.
zeitnahe Anzeige von Informationen z. B. eines Haushalts
in der App für enera verwendet. Dieses Konzept wurde bereits im ersten Jahr des Projekts
erstellt und hat sich bis zum Schluss so sehr bewährt,
Das Kern-Datenhaltungssystem der SDSP ist eine Tera- dass es im Laufe des Projekts auf mehr und mehr Services
data-Datenbank [Tera 2020], diese ermöglicht mittels ausgeweitet wurde.
Zugriffskontrolle auf Zeilenbasis eine sehr granulare
Verwaltung von Berechtigungen, was eine der Anforde-
rungen an eine mandantenfähige Lösung war. Die von
den Anwendungen und Benutzern benötigten Abfragen
werden über RESTful Services zur Verfügung gestellt.
48 DIGITALE INFRASTRUKTUR
Dabei werden die Aufrufe über externe Systeme und
AP 02
mobile Endgeräte über eine DMZ (Demilitarized Zone)
geleitet. Das Computernetzwerk ist dadurch so gesichert,
dass es ausschließlich kontrollierte Zugriffe auf die ent-
sprechenden Systeme bzw. Services zulässt. Der zwei-
stufige Aufbau der Firewalls zum Blockieren ungewollter
Zugriffe entspricht dabei den Empfehlungen des Bundes-
amts für Informationssicherheit (BSI IT-Grundschutz).
Literaturverzeichnis
AUTOREN: SEBASTIAN BEISEL (ERNST & YOUNG GMBH WIRT- 2.1 Analyse der Datenquelle
SCHAFTSPRÜFUNGSGESELLSCHAFT, JENS WALTER (EWE AG) Die Datenquellen werden hinsichtlich ihrer Eigenschaften
(Datengröße, Verarbeitungs- und Speicheranforderungen)
analysiert. Auf Grundlage dieser Erkenntnisse werden die
1. Herausforderungen Datenquellen in die Bewertungsmatrix (siehe Abbildung
Die technische Integration von Datenquellen ist wesent- 2) nach Datenvolumen sowie Übertragungsfrequenz ein-
licher Bestandteil der Plattform. Die im enera Kontext geordnet. Somit ist jede Datenquelle zu einer der vier
befindlichen Use Cases stellen entsprechende Anforde- Kategorien A bis D zuweisbar.
rungen zur Integration ihrer Datenquellen. Aufgrund der
Vielzahl an unterschiedlichen Datenquellen und Eigen-
schaften wird zur (1) Identifikation und (2) Vermeidung
von Beeinträchtigungen ein Massendatenkonzept ent-
wickelt. Alle zu integrierenden Datenquellen werden im
Vorfeld zunächst mithilfe dieses Massendatenkonzepts
analysiert und kategorisiert.
2. Massendatenkonzept
Das Massendatenkonzept dient zum einen als Guidance
zur (1) Identifikation von Beeinträchtigungspotenzialen
als auch zur (präventiven) (2) Vermeidung von Beein-
trächtigungen der Performance sowie Speicherkapazität
mittels definierter Maßnahmen. Dabei sieht das Konzept
zum Massendatenimport drei Angriffspunkte zur
Optimierung vor (siehe Abbildung 1):
• Datenquelle
• Datenladestrecke/IT-Architektur
• Datenspeicher
50 DIGITALE INFRASTRUKTUR
2.2 Identifikation möglicher Beeinträchtigungen Die quantitative Definition der Eigenschaften „gering“,
AP 02
Nachdem die Datenquellen analysiert und kategorisiert „mittel“ und „hoch“ für den Speicher ist anhand des
sind, kann entsprechendes Risiko hinsichtlich der Speicherbedarfs pro Jahr wie folgt definiert:
Performance der Datenladestrecke sowie des verfüg-
baren Speichers mittels der Datenkategorie quantitativ • Gering: unter 50 GB pro Jahr
ermittelt werden. • Mittel: zwischen 50 GB und 200 GB pro Jahr
• Hoch: über 200 GB pro Jahr
Die quantitative Definition der Eigenschaften „gering“,
„mittel“ und „hoch“ für die Datenladestrecke ist anhand 2.3 Definition von Maßnahmen
des Übertragungsvolumens pro Minute wie folgt definiert: Zur Vermeidung möglicher Beeinträchtigungen sind fol-
gende Maßnahmen für Datenquellen, Datenladestrecke
• Gering: unter einem MB pro Minute sowie SDSP-Speicher anwendbar (siehe Tabelle 1):
• Mittel: zwischen einem und 20 MB pro Minute
• Hoch: über 20 MB pro Minute
Verwendung eines Datenquelle Konvertierung der Daten in ein anderes Datenformat zur Reduzierung
anderen Datenformats der Datenmenge
TABELLE 1
AUTOREN: PAUL HERNANDEZ (OMNETRIC GMBH), TORSTEN Das Smart Grid Logical Data Model (SG-LDM) in der Ver-
BIRN (OMNETRIC GMBH), JAN SAUSSENTHALER (SIEMENS AG) sion 1.0 stellte die von Siemens eingebrachte Ausgangs-
basis aus vorhergehenden Forschungsprojekten dar. Mit
der Version konnten Daten aus unterschiedlichen Quellen
1. Treibendes Lösungselement T7 – Erweiterung/Weiter- vereinheitlicht und diese einer Vielzahl von Geschäfts-
entwicklung der Daten- und Informationsebene (Smart prozessen bereitgestellt werden. Die Version V1.0 des SG-
Data) LDM vereinigte zahlreiche Entitäten aus den Bereichen
Das Smart Grid Logical Data Model (SG-LDM) gibt Daten des Anlagen-Managements, der Netzwerktopologien, der
in der SDSP eine verwertbare Struktur. Die in enera Messtechnik, aber auch Finanz- und Abrechnungswelt
umgesetzten Use Cases ergänzten das Datenmodell in von Versorgungsunternehmen. Mit der Erprobung von
sogenannten „Subject Areas“. Diese Modellerweiterungen enera spezifischen Anwendungsfällen in und aus der
wurden erfolgreich im Kontext der SDSP angewandt. enera Region wurde im Laufe des Projekts das SG-LDM in
den Versionen V1.1 bis V1.4 weiterentwickelt.
Im Rahmen des Demonstrator-Projekts SINTEG enera
(SINTEG, 2019) wurden unterschiedliche heterogene Die Erweiterungen des Datenmodells der Versionen
Datenquellen integriert, um eine gesicherte projektweite V1.1 bis V1.3 sind anhand von Use Cases im Projekt
Datenbasis für analytische Anwendungen zu schaffen. Sie enera sowohl vonseiten der Datenübernahmen in die
bilden das Fundament für neue Geschäftsmodelle bei enera Datenplattform als auch der Datenbereitstellung
der Umsetzung der Digitalisierung der Energiewirtschaft. an externe Endanwendungen verprobt worden. Diese
52 DIGITALE INFRASTRUKTUR
Modelle stehen somit getestet als eine neue Version der • Gemessene Einspeisung bzw. Energieaufnahme von
AP 02
SG-LDM für den Einsatz in neuen Projekten bereit. Anlagen
• Regelleistungsabrufe
Die Version V1.4 überführt erstmals das Relationen-Enti- • Durch Netzbetreiber ausgelöste Regelungsmaßnah-
täten-Modell der Versionen 1.0 – 1.3 in ein computerun- men (EINSMAN)
abhängiges semantisches Modell anhand von Ontologien
und Knowledge-Graphen. Mit dieser Transformation Die semantische Verknüpfung (Relation) dieser Infor-
erweitert sich die Anwendbarkeit auf weitere Daten- mationsobjekte und die Bewertung anhand definierter
Speichertechnologien. Das ist ein grundlegender Vorteil Berechnungsformeln ermöglicht erst eine akkurate
bei zukünftigen „Big Data“-Projekten. Abrechnung im Handel von Flexibilität Erneuerbarer
Energien.
In Abbildung 1 wird die Entwicklung der SG-LDM mit den
Datenmodell-Architekturen in Kontext gestellt. hauptanwendungsfall 2 – enera Kunden-App
Mit der enera App werden Endkunden der EWE VERTRIEB
Beispiele von im enera Kontext neu abgebildeten Daten in der Modellregion ermutigt, aktiv an der Energiewende
des SG-LDM bis zur Version V1.3 sind unter anderem: mitzuwirken. Die Applikation zeigt den Stromverbrauch
Wetterprognosen und historische Wetterdaten mit Para- des Haushalts sekundengenau und in Echtzeit.
metern wie Sonneneinstrahlung, Windgeschwindigkeit,
Windrichtung und Rauheit, Marktdaten aus überregiona- Ein Kundenmehrwert wird durch das spielerische Strom-
len und lokalen Energiehandelsmärkten, Fahrpläne der vergleichen und -sparen, zahlreiche Energiespartipps,
Anlagen, deren Verbrauchs- und Erzeugungsprognosen sowie das Herausfinden von Stromverbrauchern im
sowie mögliche Einspeisungskalkulationen von Wind-, betrachteten Haushalt geschaffen.
PV-, Biogas-Anlagen.
Für diese Funktionen sammelt die SDSP die Echtzeitmes-
Exemplarisch seien die vorgenommenen Erweiterungen sungen von speziell dafür verbauten modernen Mess-
an zwei der Hauptanwendungsfälle erläutert: einrichtungen (Zähleraufsätze mit optischer Messwert-
abtastung, Hutschienenzähler, Smart-Plugins) und stellt
• enera Nachweisplattform und sie der mobilen Applikation über Data Services wieder
• enera Kunden-App. bereit (Anastasia Garies, 2019).
• EPEX Trades des lokalen Handelsmarkts Zusätzlich zu den Hauptanwendungsfällen wurde das
• Anlagenfahrpläne von fahrplanfähigen Erzeugungs- SG-LDM durch Datenintegrationsanforderungen getrie-
und Verbrauchsanlagen ben, welche sich durch die Adaption von vorhandenen
• Mögliche Einspeisung von dargebotsabhängigen standardisierten Schnittstellen oder gar etablierten
Anlagen (Wind/PV) Marktstandards orientieren. Dafür ein Beispiel anhand
• Stammdaten zum Handel registrierter Anlagen des „Electricity Market Management“:
ABBILDUNG 2. ELECTRICITY-MARKET-MANAGEMENT-ABSCHNITT
54 DIGITALE INFRASTRUKTUR
strukturlosen Massendaten (Big Data im Data Lake) und
AP 02
der neusten Adaption zu Knowledge-Graph-basierten
Modellen durchaus seine Daseinsberechtigung hat.
Literaturverzeichnis
AUTOR: DR.-ING. ZOLTÁN NOCHTA (SAP SE) lichen Prozessschritten und das System bezeichnen wir
als „Offer-to-Cash (O2C)“:
56 DIGITALE INFRASTRUKTUR
entstehenden Last auch für alle anderen Prozessschritte Zwecke der Abrechnung verarbeitet. Es wurde ebenfalls
AP 02
und Benutzer merkbar langsamer werden oder im Ext- untersucht, wie O2C die Vermarktung und Nutzung von
remfall gar kollabieren. Der Betreiber müsste also kurz- SDSP-bezogenen Datendiensten in Zukunft unterstützen
fristig, manchmal innerhalb von Sekunden, ein zweites könnte. Beide dieser Anwendungs- bzw. Integrationsarten
(drittes usw.) Komplettsystem in Betrieb nehmen, um das wurden in technischen Machbarkeitsstudien prototypisch
System zu skalieren, was wiederum die Vervielfachung umgesetzt und demonstriert.
der benötigten Hardwareressourcen benötigt. Wegen
der Lastsituation in solchen einzelnen funktionalen Hot- In einem Demonstrator wurde beispielhaft aufgezeigt,
Spots würden somit auch diejenigen Teile der Gesamt- wie eine Zusammenarbeit zwischen energiewirtschaft-
anwendung mehrfach ausgelegt, die eigentlich gar nicht lichen Marktrollen entlang der im O2C-System abge-
hätten verstärkt werden müssen. Das System skaliert also bildeten Prozesskette erfolgen könnte. Im Falle von
nur in Gänze. Energieprodukten ist die Berücksichtigung der Rollen
„Netzbetrieb“ und „Vertrieb“ relevant: Produkte werden im
Hier kommt der Ansatz der „Microservices“ als Vertrieb konzipiert und vermarktet und auch die Kunden-
Konstruktionsprinzip von Softwaresystemen ins Spiel: informationen werden dort entsprechend verwaltet. Die
Das System wird in funktional und datentechnisch tatsächlich anfallenden Kosten können aber nur mithilfe
betrachtet voneinander gut abgrenzbare Module auf- der im Netzbetrieb, d. h. an den Messstellen der Kunden
geteilt. Jedes Modul unterstützt bestimmte Teile des gewonnenen Daten berechnet werden. Folglich wurden
Gesamtprozesses und verwaltet die zugehörigen Daten die Vertrags- und Produktinformationen des Kunden mit
in einer eigenen Datenbank. Die Module, also die Micro- dessen Stromzählern in Verbindung gebracht.
services, sind eigenständig lauffähige Softwaresysteme,
folglich können sie voneinander vollkommen unabhängig Im Demonstrator wurden monatlich Simulationsdaten
gestartet oder gestoppt werden. Als solche ermöglichen eines intelligenten Stromzählers eines fiktiven Kunden
sie also eine zielgenaue Skalierung derjenigen System- „Pizza Hot GmbH“ generiert, in der SDSP gespeichert und
teile, die ständig (wie die Tarifierung im O2C) oder über die API fürs O2C-System erreichbar gemacht. Die
temporär (Abrechnung) unter höherer Last als andere generierten Daten sind von realen Verbrauchsdaten bzw.
stehen. Außerdem könnte der Softwareanbieter auf Lastprofilen abgeleitet worden und zeigen entsprechend
dieser Basis flexibel, sogar kundenindividuell auch Teile Schwankungen des Verbrauchs im Tagesverlauf je nach
des Gesamtsystems ohne die anderen Module anbieten Jahreszeit, Wochentag und Uhrzeit auf. Der Kunde buchte
(z. B. eine reine Tarifierungslösung). Entwicklerteams der im O2C einen zeitvariablen Stromtarif, in welchem die
einzelnen Microservices können sich für die Verwendung Preise pro KWh stündlich variieren können. Zusätzlich hat
unterschiedlicher Programmiersprachen, verschiedener er weitere Dienste in Form eines Bündels abonniert, wie
Datenbanken usw. entscheiden, je nach Problemdomäne, z. B. die Wartung seiner E-Ladesäulen für Lieferfahrzeuge,
Anwendungsfall, im Team vorhandenen Kenntnissen, was oder ein Flexibilitätsprodukt. Zum Monatsende fragt O2C
insgesamt zu weiterer Effizienz im Cloud-Betrieb führen die Verbrauchsdaten des Kunden von der SDSP ab und
kann. führt für jede Stunde (ggfs. aggregiert) gemäß den jeweils
geltenden Preisen die Tarifierung durch. Bei der Abrech-
Das O2C-System wurde auf der SAP Cloud Platform (SCP) nung werden Abgaben, Gebühren, Steuern usw. ermittelt
als technischer Basisplattform entwickelt. Die SCP stellt und zusammen mit den monatlichen Fix-Gebühren für
ihrerseits eine sog. Platform-as-a-Service (PaaS) dar. Sie die anderen abonnierten Services dem Kunden in Rech-
bietet Softwareentwicklern wiederverwendbare Services nung gestellt. Der Kunde selbst kann den aktuellen Stand
(Benutzerauthentifizierung, Datenbanken, Kommunika- seines Verbrauchs, Rechnungsbeträge, Statistiken, usw.
tion usw. ) und mit Cloud Foundry auch eine für die Aus- mithilfe einer mobilen App (prototypisch auf Android
führung von Microservices gut geeignete Umgebung an. umgesetzt) in Echtzeit verfolgen.
In der SCP und so auch in O2C kommen mehrere quellof-
fene (Open-Source-)Softwareprojekte und Technologien
in Kombination zum Einsatz wie zum Beispiel RabbitMQ,
PostgreSQL, MongoDB etc.
58 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 02
AUTOREN: DR. MICHAEL STADLER (BTC AG), THORSTEN VAN sogenannten Kommunikations- und Diensteplattform
ELLEN (BTC AG) zur Koordination und Kooperation von unternehmens-
übergreifenden Prozessen im Energiesystem konzipiert.
Das Projekt enera wurde dazu genutzt, die entwickelten
Allgemeine Herausforderungen im Energiesystem Konzepte zu hinterfragen und weitere Anwendungsfälle
Durch den fortschreitenden Austausch großer, konventio- zu identifizieren.
neller Kohle- und Atomkraftwerke durch kleine, regene-
rative Stromerzeuger im Rahmen der Energiewende wird Anwendungsfälle
eine sehr viel größere Anzahl von kleinteiligen Anlagen Eine Kommunikations- und Diensteplattform ist insbe-
und auch Anlagentypen in das Stromsystem eingebun- sondere in den unternehmensübergreifenden Anwen-
den. Dazu gehören nicht nur reine Stromerzeuger wie dungsfällen relevant, die zum einen viele Unternehmen
Wind-, Fotovoltaik-, Biogas- und Wasserkraftanlagen, gleichzeitig einbeziehen und zum anderen komplexere
sondern auch Wärmeerzeuger wie verschiedene KWK- Koordinationsabläufe mit zahlreichen Nachrichtentypen
Anlagen und Brennstoffzellen sowie Verbrauchsanlagen beinhalten.
wie Wärmepumpen, Elektrofahrzeuge, Prozessanlagen
in Produktionsstätten und verschiedene Speicher wie Zwei passende Anwendungsfälle wurden identifiziert.
Elektrospeicher, Anlagen zur Wasserstoffelektrolyse, Met- Zum einen der Anwendungsfall Netzbetreiberkaskade
hanisierung etc. (gemäß VDE-AR-N 4140), bei dem in einer kaskadieren-
den Hierarchie der Netzbetreiber von den höheren Span-
Die Aufgabe, solche Anlagentypen optimal zu nutzen und nungsebenen hin zu den niedrigeren Spannungsebenen
in das Energiesystem einzubinden, ist wesentlich kom- Notmaßnahmen eingeleitet werden. Zum anderen der
plexer als mit konventionellen Kraftwerken und verändert Anwendungsfall Redispatch 2.0 (gemäß der Novellierung
das Energiesystem insgesamt, sodass bisherige Akteure des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes, NABEG), bei
teilweise Aufgaben abgeben müssen und neue Aufgaben dem Netzengpässe gelöst werden, indem Netzbetreiber
übernehmen müssen, aber erfordert auch hohe Expertise untereinander koordinieren, welche Anlagen zur Strom-
und Spezialisten. Die Aufhebung der Monopolstellung der erzeugung teilweise abgeregelt werden sowie die Ener-
Energieversorger ermöglicht den Eintritt dieser neuen giemengen an anderer Selle kompensieren und dann die
Spezialisten in den Markt und einen Wettbewerb. erforderlichen sogenannten Flexibilitätsabrufe an die
Unternehmen absetzen, die für den Betrieb der Anla-
Es erfordert allerdings auch die Einbindung dieser gen oder die Vermarktung des Stroms aus den Anlagen
zunehmenden Anzahl Akteure und Akteurstypen in verantwortlich sind.
das Energiesystem und damit einer zunehmenden
unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit. Da das Architekturmodelle sowie ihre Vor- und Nachteile
gesamte Energiesystem kleinteiliger wird und es sich Die Untersuchungen im Projekt haben ergeben, dass
dabei zunehmend um kleinere Energiemengen handelt, die genannten Anwendungsfälle durch zwei mögliche
kann dies wirtschaftlich nur automatisiert erfolgen, dabei Architekturmodelle einer Kommunikations- und Dienste-
entsteht auch ein zunehmender automatisierter B2B- plattform unterstützt werden können. Entweder findet
Bedarf. die Kommunikation indirekt mittels einer (1) zentralen
Plattform statt oder über ein (2) Peer-to-Peer-Verfah-
Der Untersuchungsgegenstand ren, bei dem jeder Kommunikationspartner direkt mit der
BTC hat in einem früheren BMWi-geförderten Projekt Gegenstelle ohne Mittelsmann kommuniziert.
„Das proaktive Verteilnetz“ eine Ausprägung einer
60 DIGITALE INFRASTRUKTUR
Umsetzung und den Betrieb der IT-Unterstützung von
AP 02
Anwendungsfällen durch eine Kommunikations- und
Diensteplattform betrachtet:
Diese können, auch beim Peer2Peer-Ansatz, über zentral Datenschutz und Datensouveränität: Eine zentrale Platt-
organisierte Dienste zur Verfügung gestellt werden. form hat Zugriff auf die Daten aller an einem Prozess
Im Einzelnen wurden verschiedene Dimensionen für die beteiligten Parteien und muss daher besonders hohe
62 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 02
AUTOREN: SYLWIA HENSELMEYER (SIEMENS AG), JAN bzw. des künftigen Netzzustandes mittels der Ampel-
SAUSSENTHALER (SIEMENS AG) logik und zum anderen die Ableitung der erforderlichen
Maßnahmen zur Reduktion bzw. Behebung der identi-
fizierten Engpässe. Der Schwerpunkt liegt dabei auf
Das Kernstück von Siemens Use Case Active Network dem Einsatz der flexiblen Leistung. Das ANM bündelt
Management (ANM) sind die neuen Konzeptionen und mehrere Applikationen, deren Ziel es ist, den jetzigen
Implementierungen zur Anwendung von Demand Res- und zukünftigen Netzzustand zu ermitteln und dazugehö-
ponse im Verteilnetz in der Modellregion des enera Vor- rige Netzoptimierungsvorschläge zu generieren. Somit ist
habens. Diese Konzeptionen wurden im Projektverlauf das ANM bestens geeignet, das Ampelkonzept aus Sicht
entwickelt und im Feldtest praktisch erprobt. Von zentra- des Verteilnetzbetreibers zu realisieren. Zu den Haupt-
ler Bedeutung im ANM Use Case ist dabei das Ampelkon- applikationen des ANMs gehören:
zept, das vom Bundesverband für Energie- und Wasser-
wirtschaft (BDEW) vorgeschlagen, im enera Arbeitspaket 3 • Distribution System State Estimator (DSSE): Innovative
detailliert und von Siemens umgesetzt wurde. Zustandsschätzung für Verteilnetze, die mit der
fehlenden Messwertredundanz in symmetrischen und
Das BDEW-Ampelkonzept gliedert sich in: unsymmetrischen Verteilnetzen umgehen kann
• Voltage Var Control (VVC): eine Applikation, die auf
• Grüne Ampelphase: Das Netz befindet sich in einem Basis von Ergebnissen der Zustandsschätzung unter
engpassfreien Zustand bzw. eventuelle geringfügige Berücksichtigung unterschiedlicher Kriterien den
Probleme im Netz kann der Netzbetreiber mit seinen optimalen Einsatz von heterogenen Betriebsmitteln
eigenen Betriebsmitteln lösen. Auf dem Markt ist zur Steuerung im Netz berechnen kann. Die Betriebs-
daher freier Handel erlaubt (Marktphase). mittel reichen von den üblichen zur Spannungs- und
• Gelbe Ampelphase: Es sind moderate Engpässe zu Blindleistungsoptimierung bis zur flexiblen Leistung
verzeichnen, die der Netzbetreiber mittelfristig über • Schnittstellenapplikationen, die externe Daten
die auf dem Markt verfügbare Flexibilität lösen kann wie Messwerte, Fahrplandaten oder -prognosen
(Interaktionsphase). verarbeiten können sowie Ergebnisdaten an Dritte,
• Rote Ampelphase: Die Engpässe sind schwerwiegend darunter Ergebnisse der Zustandsschätzung sowie
und können nur durch Abregelung der erneuerbaren Marktanfragen, ausgeben können
Erzeugung rechtzeitig gelöst werden (Netzphase).
Abbildung 1 zeigt das ANM-Zustandsdiagramm zur
Der Use Case ANM von Siemens konzentriert sich dabei Ermittlung der Ampelphase für den Prognosemodus. Als
auf die gelbe Ampelphase im Prognosemodus und soll Inputdaten werden erwartet:
eine realistische Vorausschau zur Engpass-Auflösung
geben und damit die lokale und regionale Versorgungs- • Berechnungszeitstempel in der Zukunft
sicherheit durch Fahrplanvorschläge stützen. Der ver- • Statisches Netzmodell inklusive Betriebsmitteldaten,
folgte Lösungsansatz wird kurz skizziert: Konnektivität und Information über den Normal-
zustand der Schalter. Vorhandene geplante Schalt-
Das Ziel ist zum einen die Klassifikation des aktuellen maßnahmen
64 DIGITALE INFRASTRUKTUR
• Last- bzw. Erzeugungsprognosen an mindestens
einem Punkt im Netz und ggf. die Information über
den Prognosefehler wie z. B. Mean Average Percentage
Error (MAPE).
• Erzeugungsfahrpläne mit bereits erfolgter Vermark-
tung der flexiblen Leistungen
ABBILDUNG 2: PROGNOSEMODUS DES ANM
AP 03
Die Darstellung der Berechnungsergebnisse soll für den
Verteilnetzoperator die zeitlichen Abläufe im Netz trans-
parenter machen und aufzeigen, ob und wann kritische
Zustände auftreten, ob die Betriebsmittel zur Netzopti-
mierung ausreichend sind und ob genug Flexibilität vor-
handen ist, um prognostizierte Probleme zu lösen.
66 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 03
Teilautomatisierter Netzbetrieb
AUTOREN: RICCARDO TREYDEL, MARCEL VEIGT, LUKAS VER- Lösungsartefakt „Netzoptimierende Verteilnetzautomati-
HEGGEN (EWE NETZ GMBH), KAI GRONING (PHOENIX CON- sierung“). Entspannt sich die Lage im Netz wieder, lässt
TACT ENERGY AUTOMATION GMBH) der Netzregler die Erzeugungsanlagen schrittweise ohne
Einschränkungen in das Netz einspeisen. Aufgrund der
permanenten Überwachung des Netzes ist dieser in der
Einleitungen und Anforderungen Lage zielgerichteter zu steuern, als es manuelle Prozesse
Die Integration der steigenden Zahl dezentraler Erzeu- aus der Netzleitstelle ermöglichen können. Somit trägt
gungsanlagen in den Verteilnetzen führt zu einem hohen der Netzregler dazu bei, die jeweils größtmögliche Menge
Ausbaubedarf in ebenjenen Netzen. Um den hohen regenerativ erzeugter Energie in die Netze aufzunehmen.
Ausbaubedarf zu reduzieren, wurde mit der Novel- Die Schaltermeister in der Leitstelle werden dadurch ent-
lierung des EnWGs im Jahr 2016 die Spitzenkappung lastet und können sich z. B. auf die Durchführung von
eingeführt. Seitdem sind die Netzbetreiber nicht mehr notwendigen Schaltmaßnahmen sowie die Erkennungen
verpflichtet die Netze soweit auszubauen, dass die Netze und Behebungen von Störungen konzentrieren.
auch die seltenen hohen Einspeisespitzen von Foto-
voltaik- und Windenergieanlagen aufnehmen müssen. Für den Einsatz des Netzreglers in den Verteilnetzen ist
Sollten infolge dieser Einspeisespitzen Überlastungen es notwendig, dass dieser in die Umgebung der Netzleit-
von Betriebsmitteln oder zu hohe Spannungen im Netz technik vollständig integriert wird. Nur so kann sicher-
auftreten, wird die Einspeisung der Erzeugungsanlagen gestellt werden, dass die Anforderungen, die sich durch
in einem geringen Maß reduziert. Im Betrieb erfolgt die die Abrechnung sowie die Veröffentlichungspflichten
Reduzierung der Erzeugungsanlagen bei den meisten ergeben, auch eingehalten werden können.
Netzbetreibern manuell durch die Schaltmeister in der
Netzleitstelle. Durch die Abhängigkeit der Einspeisung Da Einspeisespitzen von Erzeugungsanlagen nicht nur die
von Fotovoltaik- und Windenergieanlagen vom aktuellen Netze gefährden, in denen sie unmittelbar angeschlossen
Wetter treten die Einspeisespitzen häufig zeitgleich auf. sind, sondern auch die überlagerten Netzebenen, muss
Müssen viele Anlagen in unterschiedlichen Netzgebieten der Netzregler auch in der Lage sein, Befehle zur Einspei-
zeitgleich reduziert werden, kommt der manuelle Prozess sereduzierung von überlagerten Netzbetreibern zu emp-
jedoch an seine Grenzen und die Stabilität des Netzes fangen und umzusetzen. Die vom Netzregler gesteuerten
kann nicht mehr gewährleistet werden. Anlagen werden während der vorgelagerten Engpässe in
ihrer maximalen Einspeisung limitiert und können bei
Aufgrund dessen wird in enera unter anderem das Ziel zusätzlichen eigenen Engpässen aber dennoch verstärkt
verfolgt diesen Prozess zu automatisieren, damit auch reduziert werden. Liegen die lokalen Engpässe nicht mehr
bei vielen zeitgleichen Einspeisespitzen die Stabilität des vor, wird die reduzierte Einspeisung der gesteuerten
Netzes weiterhin gewahrt werden kann. Die Automatisie- Erzeugungsanlagen nur soweit freigegeben, dass es bei
rung dieses Einspeisemanagements in Echtzeit erfolgt den überlagerten Netzbetreibern zu keinen Engpässen
durch einen Netzregler. kommt.
Durch die verbaute Messtechnik in den Netzen beob- Aufgrund von Störungen, Baumaßnahmen oder War-
achtet der Netzregler permanent das Netz und erkennt, tungen kann es zu temporären Änderungen im Netz
wenn die Stabilität des Netzes gefährdet ist. Eine kommen. Diese Änderungen bewirken, dass sich die Orte
Gefährdung entsteht, sobald Betriebsmittel wie bspw. von Netzgefährdungen als auch die Wirkung einzelner
Leitungen oder Transformatoren überlastet werden, aber Erzeugungsanlagen auf diese Orte verändern. Da solche
auch wenn die Grenzwerte der Spannung im Netz ver- temporären Änderungen des Netzes häufiger auftreten,
letzt werden. Anschließend ermittelt der Netzregler über muss der Netzregler in der Lage sein, auch in einer
einen Algorithmus, welche Erzeugungsanlagen einen solchen Situation die Stabilität des Netzes weiter zu
Einfluss auf die jeweilige Gefährdung haben und redu- gewährleisten.
ziert die Einspeisung derjenigen Erzeugungsanlagen (vgl.
68 DIGITALE INFRASTRUKTUR
Sollten Erzeugungsanlagen im Netz einmal nicht wie • Variable Blindleistungssollwertvorgabe durch die
gewollt ihre Leistung reduzieren, steuert der Netzregler Netzleitstelle
automatisiert weitere Erzeugungsanlagen und meldet die
Störung der Netzleitstelle. Steht der Netzregler wegen Für die Spannungshaltung wurde als Minimalanforde-
einer Störung oder Wartung einmal selbst nicht zur rung gefordert, dass die aktuell gültigen cos( ) bzw.
Verfügung, ist durch eine geeignete fernwirktechnische Blindleistungssollwerte der Erzeugungsanlagen jederzeit
AP 03
Anbindung die weitere Steuerung direkt durch die Netz- durch die Netzleitstelle angepasst werden können und
leitstelle sichergestellt. die Einstellungen des lokalen Stufenstellers des HS/MS-
Transformators zu berücksichtigen sind. Zusätzlich wurde
Neben der Aufgabe des Einspeisemanagements kann der den Herstellern der Netzregler freigestellt, als Ergänzung
Netzregler auch weitere Aufgaben wie Blindleistungs- ein eigenes Spannungshaltungskonzept im Labor und bei
management oder Verbesserung der Spannungshaltung Erfolg im Feld zu erproben.
über eine Optimierung der Blindleistungseinstellung der
Erzeugungsanlagen übernehmen. Somit ist für jedes Netzgebiet möglich eine jeweils geeig-
nete Kombination aus Blindleistungsmanagement und
Für das Blindleistungsmanagement wurde eine Aus- spezifischer cos( ) zu bestimmen und dem Netzregler
regelung der Blindleistung am Netzübergabepunkt zum vorzugeben. Dadurch kann der Bedarf an Wirkleistungs-
vorgelagerten Netzbetreiber am HS/MS-Transformator management bei Überspannung reduziert werden.
gefordert. Dabei mussten unterschiedliche Modi möglich
sein: Laborphase – allgemeine Beschreibung
• Fester lokal eingestellter Blindleistungssollwert Da es sich bei den Netzregelern überwiegend um Neu-
• Blindleistungssollwert in Abhängigkeit der aktuell entwicklungen handelt, hat sich EWE NETZ dafür ent-
übertragenen Wirkleistung (frei parametrierbar über schieden, diese im ersten Schritt einer umfangfangrei-
Look-up-Tabelle im Netzregler) chen Laborerprobung zu unterziehen. Über das Netzlabor
400 V SS1
UW_Aggr_MS UW_Detail_MS
WEA5 ON1
SS3
PV
Ltg06 Ltg11
Ltg02 Ltg07 IN=2,0A IN=2,5A
IN=3,0A
IN=2,0A
Ltg13
IN=3,0A
ON2
SS1
Ltg03
IN=2,5A
Ltg08 Ltg10
IN=2,5A IN=3,0A
ON4
ON5
WEA2 WEA1
Das dafür verwendete Labor an der Jade-Hochschule Laborphase – angepasstes Spannungs- und
in Wilhelmshaven ist detailliert im Lösungsartefakt Blindleistungsmanagement
„Ertüchtigung der Netzlaborumgebung für Themen wie: EWE NETZ hat für das Labornetz ein kombiniertes
Netzregler, Interaktion mit Netzschutz in vorwiegend Spannungs- und Blindleistungsmanagement entwickelt
Leistungselektronischen Verteilnetzen, Schwarzstart- und getestet. Dies war notwendig, da vor allem an der
fähigkeit und Netzwiederaufbau“ beschrieben. Hier wird Station ON5 ein hoher Spannungsanstieg von ca. 9 %
daher nur noch auf die konkrete Problemstellung dieses gegenüber der spannungsgeregelten Sammelschiene des
Labornetzes an die Netzregler und anschließend auf die UWdetail auftritt.
Auswertung der Labortests eingegangen. Durch die drei
Einspeiser (PV, WEA1, WEA2) können an unterschiedlichen Zur Minimierung der Ausfallarbeit wurde daher zum
Punkten im detaillierten Netzbereich (siehe Abbildung 1 einem die Blindleistungseinstellung der Einspeiser auf
rechts) Netzengpässe, zum Teil auch zeitgleich, auftreten. Basis der Spannungssensitivitäten angepasst (eingesetzt
Die Auslastung ist dabei am HS/MS-Transformator des ab Themenkomplex 2). Dadurch konnte der Spannungs-
UWdetail sowie den Leitungen Ltg01, 07 und 11 kritisch anstieg auf ca. 8 % gesenkt werden. Im Labor bestand
(vgl. Abbildung 1). Die Spannung ist vor allem an der die Möglichkeit, dass die Einspeiser in einem erweiterten
Station ON5 kritisch und bei Netzumschaltungen auch an Blindleistungsstellbereich betrieben werden konnten.
den Schaltstationen SA2 und SA4. Die in den Laboruntersuchungen verwendeten Blindleis-
tungseinstellungen sind Tabelle 1 zu entnehmen.
In den Testszenarien wurden neben den Zeitreihen für
die Einspeiser und Lasten die Einstellungen der Span-
nungsregelung des HS/MS-Transformators im UWdetail, COS( ) OhNE OPTIMIERUNG OPTIMIERTER COS( )
die Blindleistungseinstellung der Einspeiser sowie ver-
PV 0,950 0,950
einzelt die Schalterstellung im Netz variiert. Die einzelnen
Testszenarien dauerten jeweils 20 Minuten und waren WEA1 0,950 0,905
in fünf unterschiedliche Themenblöcke mit steigendem
Schwierigkeitsgrad eingeteilt: WEA2 0,950 0,945
TABELLE 1 VERWENDETE BLINDLEISTUNGSEINSTELLUNG DER EIN-
1. Fester Spannungssollwert des Stufenstellerreglers, SPEISER (VORGABE JEWEILS ALS KONSTANTER COS( ))
fester cos( ) (0,95 für alle DEA), kein Blind-
leistungsmanagement, keine Netzumschaltung,
unterschiedliche Störungen
2. Stromkompoundierung des Stufenstellerreglers, Zusätzlich wurde ab Themenkomplex 2 eine Stromkom-
fester cos( ) (individuell optimiert), kein Blind- poundierung eingesetzt. Hierbei wird die Sollspannung
leistungsmanagement, keine Netzumschaltung, des Spannungsreglers bei Zunahme der Rückspeisung
unterschiedliche Störungen abgesenkt (vgl. Abbildung 2).
3. Stromkompoundierung des Stufenstellerreglers,
fester cos( ) (individuell optimiert), Blindleistungs- Ab Themenkomplex 3 wurde zusätzlich ein Blindleis-
management aktiv, keine Netzumschaltung, unter- tungsmanagement ergänzt, welches das Ziel hatte, die
schiedliche Störungen Stromkompoundierung durch einen optimalen Blindleis-
4. Fokus auf Netzumschaltungen (ohne neue Engpässe) tungssollwert für jeden Betriebspunkt zu unterstützen.
sowie unterschiedliche Störungen Der optimale Blindleistungsbedarf wurde auf Basis der
5. Fokus auf komplizierte Störungen (u. a. nur stufen- Sensitivitäten anhand des Netzmodells berechnet und
weise Steuerfähigkeit, verringerte Gradienten der dem Netzregler über eine Look-up-Tabelle als Q-Sollwert
Einspeiser) in Abhängigkeit der aktuell übertragenen Wirkleistung
vorgegeben (vgl. Abbildung 2).
Außerdem wurden als Störungen zusätzlich Ausfälle der
Messtechnik sowie Einschränkungen der Steuerfähigkeit
70 DIGITALE INFRASTRUKTUR
1.04 2500 bands des Spannungsreglers gehalten werden und der
1.03
u
Q
Soll
2000
Stufensteller musste nicht stufen. Ohne Blindleistungs-
management (links) hingegen waren mehrere Schaltvor-
Soll
1.02 1500
gänge des Transformatorstufenstellers notwendig, um
1.01 1000
die Spannung im Toleranzband zu halten.
1 500
AP 03
0.99 0 Durch dieses kombinierte Spannungs- und Blindleis-
0.98 -500 tungsmanagement kann somit gewünschte Spannungs-
0.97 -1000
absenkung bei zu viel Einspeisung sehr gut mit einer
Stromkompoundierung verknüpft werden, ohne die
Schalthäufigkeit des Transformatorstufenstellers zu
0.96 -1500
-3000 -2000 -1000 0 1000 2000 3000
PTrafo US in W
erhöhen. Auch bei den nachfolgenden Netzreglertests
ABBILDUNG 2 VERWENDETE SOLLWERTE FÜR DIE STROMKOM-
hat sich das Spannungs- und Blindleistungsmanagement
POUNDIERUNG DES LOKALEN SPANNUNGSREGLERS UND BLIND-
LEISTUNGSSOLLWERT FÜR DEN NETZREGLER ZUR VERBESSERUNG bewährt und auch bei gleichzeitiger aktiver Wirkleis-
DER SPANNUNGSHALTUNG IM LABORNETZ tungsregelung zu guten Ergebnissen geführt.
1500 1500
P in W und Q in var
P in W und Q in var
1000 1000
500 500
0 0
-500 -500
1.1
1.1
1
1.08
1.06
300
1.1
maximal aufgetretene Auslastung in p.u.
Q L1,soll,1sec
Q L1,ist,1sec
1 200
Q L1,soll,1min
Q L1,ist,1min
0.9
100
Blindleistung in var
0.8
0
0.7
-100
0.6 max. Ausl. Leitung o. Regler
max. Auslastung Leitungen
Grenzwert 1.00 p.u.
-200
0.5 Grenzwert 1.05 p.u.
Grenzwert 1.15 p.u.
max. Auslastung 1.132 p.u.
3.4 -300
3 233 433 633 833 1333 1233
Zeit in s
-400
3 233 433 633 833 1333 1233
ABBILDUNG 5 ENGPASSTEST LEITUNGSÜBERLASTUNG – VERMEI- Zeit in s
DUNG DER LEITUNGSÜBERLASTUNG DURCH WIRKLEISTUNGSRE- ABBILDUNG 7: BLINDLEISTUNG AM TRANSFORMATOR OHNE EIN-
DUKTION DER ERZEUGUNGSANLAGEN SATZ DES NETZREGLERS
72 DIGITALE INFRASTRUKTUR
Feldtest – Integration der Netzregler
-40 Nach erfolgreichem Abschluss der Laborphase wurde
-60 sich dafür entschieden, mit zwei Netzreglern der Firma
-80 Phoenix Contact Energy Automation und der schottischen
-100 Firma Smarter Grid Solution in den Feldtest überzugehen.
Blindleistung in var
AP 03
-140 geringfügig erhöht wurden (z. B. Anlagenauswahl) und im
-160 Labor auch nicht die komplette Leittechnikintegration
-180
Q L1,soll,1sec getestet werden konnte, wurde eine weitere Integrations-
Q L1,ist,1sec
-200
Q L1,soll,1min phase vorgesehen. Dabei standen nicht die funktionalen
Tests, sondern die reibungslose Integration im Vorder-
Q L1,ist,1min
-220
grund.
3 233 433 633 833 1333 1233
Zeit in s
ABBILDUNG 8: BLINDLEISTUNG AM TRANSFORMATOR MIT EINSATZ Dafür wurde die operative Leittechnik um eine Simula-
DES NETZREGLERS
tionsumgebung für die Berechnung der Ströme unter
Berücksichtigung der Sollwerte des Netzreglers (Nutzung
von OpenMUC1 und Python) und eine rudimentäre Simu-
In der Laborphase konnten zwei Netzregler unter Beweis lation des Verhaltens der Kundenanlage (separate Fern-
stellen, dass selbst in extremsten Netzzuständen mit wirkanlage) ergänzt.
multiplen Engpässen Überlastungen der Leitungen ver-
mieden und die Spannungshaltung gewährleistet werden Über dieses Zusammenspiel mit dem Leitsystem und
kann. Der Umgang des Netzreglers mit vorgelagerten echten Fernwirkanlagen im closed Loop konnten somit in
Einspeisemanagementmaßnahmen, Netzumschaltungen Zusammenarbeit mit dem AP1 u. a. auch die Steuerbar-
aber auch Aktor- und Sensorausfällen zeigen, dass das keit durch die Leitstelle und fehlerfreie Dokumentation
Netz sicher betrieben und im Feldtest weiter erprobt von Regelungsmaßnahmen getestet werden.
werden kann.
Feldtest – UW Wiesmoor
Das Netzgebiet UW Wiesmoor T122 (Spitzenkappungs-
gebiet) wurde für den Netzregler von Phoenix Contact
Energy Automation ausgewählt. In diesem Netz wurden
vier Windparks durch das AP5 bzgl. ihrer Fernwirktech-
nischen Anbindung und technischen Steuerbarkeit (1 %
Stufen, statt bisher 100 %/60 %/30 %/0 %) für den Netz-
reglerbetrieb ertüchtig.
1 https://www.openmuc.org
74 DIGITALE INFRASTRUKTUR
AP 03
Netzoptimierende
Verteilnetzautomatisierung
AUTOREN: KAI GRONING (PHOENIX CONTACT ENERGY AUTO- Netzsituationen reagieren und diese über gezielte Netz-
MATION GMBH) eingriffe sicher beherrschen. Ein manuelles Eingreifen
durch den Versorgungsnetzbetreiber ist somit nicht mehr
notwendig.
1. Einleitung
In der Vergangenheit wurde der Hauptbedarf an elek- 2. Konzept
trischer Energie in Deutschland von Großkraftwerken Das demonstrierte Gesamtkonzept der netzoptimie-
produziert und vorwiegend in die Hoch- und Höchst- renden Verteilnetzautomatisierung gliedert sich in zwei
spannungsnetze eingespeist. Der Transport der Energie Kernkomponenten:
erfolgte dabei streng hierarchisch vom Ort der Erzeu-
gung über das Transport- und Verteilnetz zur untersten 1. Monitoring des Netzzustands
Spannungsebene bis hin zum Endkunden. Im Zuge der 2. Regelung des Netzzustands
stattfindenden Energiewende hat sich die Versorgung
mit elektrischer Energie grundlegend geändert. Heute Im Rahmen des Monitorings wird der vorliegende Netz-
wird ein Großteil der elektrischen Energie nicht mehr von zustand anhaltend überwacht und ausgewertet. Zum
Großkraftwerken erzeugt, sondern von dezentral verteil- Netzzustand gehören zum einen die Netztopologie, die
ten eher kleineren regenerativen Energieerzeugern wie sich aus dem jeweils aktuellen Schaltzustand des Ver-
Windkraft- oder Fotovoltaikanlagen. teilnetzes ergibt, und zum anderen die Auswertung von
Messwerten der im Netz verteilten Messstellen. Die
Weiterhin findet auch ein Wandel in den Versorgungs- Monitoring-Komponente wird kontinuierlich aufgeru-
netzen statt. Mussten früher Netzbetriebsmittel für einen fen und ausgeführt. Der zyklische Aufruf gewährleistet
unidirektionalen Energiefluss dimensioniert sein, so sind dabei eine dynamische Aktualisierung von Prozess-
heute bidirektionale Energieflüsse zwischen den ver- werten und Auswertungsergebnissen, welche die Basis
schiedenen Versorgungsnetzen (Transport-, Verteil- und für die Funktionalität der Netzregelung bildet. Mit den
Ortsnetz) aufgrund der steigenden Einspeisung von rege- Zustandsinformationen und Auswertungsergebnissen
nerativen Erzeugungsanlagen keine Seltenheit mehr. Auf- der Monitoring-Komponente kann die Reglerkomponente
grund des nicht mehr richtungsgebundenen Energieflus- aktive Netzeingriffe auslösen, um Netzzustandsverlet-
ses müssen heutige Netzbetriebsmittel deutlich höheren zungen im überwachten Verteilnetzbereich zu beheben.
Belastungen standhalten. Auch müssen durch die stetig Dabei kommt es besonders darauf an, die spezifischen
steigende Einspeisung regenerativer Erzeuger mehr und Anwendungsfälle richtig zu identifizieren und jeweils die
mehr kritische Netzsituationen durch die Versorgungs- entsprechende und zielführende Maßnahme einzuleiten.
netzbetreiber bewältigt werden. Gerade hier werden in Hier kommen steuerbare Anlagen (z. B. regenerative
Zukunft die Anforderungen an die Netzbetreiber weiter Erzeugungsanlagen) als Stellglieder im Sinne einer netz-
steigen. Um diesen gerecht zu werden, müssen neuartige dienlichen Führung zum Einsatz.
Lösungen etabliert werden, die eine gezielte Steuerung
der Versorgungsnetze und der Energieerzeuger ermög- 3. Systembeschreibung
lichen. Automatisierungstechniken können hier einen Das Automatisierungskonzept wurde nach einem variab-
erheblichen Beitrag leisten. len ortsunabhängigen Ansatz entwickelt, sodass der
Netzregler sowohl dezentral in einem Umspannwerk als
Im Rahmen des Forschungsvorhabens enera wurden von auch zentral in einer Netzleitstelle zum Einsatz kommen
der Phoenix Contact Energy Automation GmbH Lösungen kann. Von diesen beiden Einsatzorten aus lassen sich bis
für eine verteilte, dezentrale und teilautarke Netzauto- zu vier separate Netzbereiche autark überwachen und
matisierung in Verteilnetzen demonstriert. Das autarke gezielt steuern.
Automatisierungskonzept kann eigenständig auf kritische
76 DIGITALE INFRASTRUKTUR
3.1 Systemarchitektur und modularer Aufbau
Jeder der vier separaten Reglerbereiche beinhaltet eine
eigenständige Datenstruktur. Innerhalb der einzelnen
Datenstrukturen agieren verschiedene Funktionsbau-
steine miteinander. Die Funktionsbausteine wiederum
weisen untereinander Abhängigkeiten auf, weshalb die
AP 03
Aufrufstruktur der Bausteine hierarchisch erfolgt. Die
Abbildung 1 verdeutlicht die Systemarchitektur mit den
spezifischen Datenstrukturen.
ABBILDUNG 2: PROZESSABBILD
3.3 Systemparameter
Statische Systemparameter ermöglichen es dem Auto-
matisierungssystem eine Abbildung der Netzstrukturen
zu erstellen. Dazu wird im Rahmen der Vorprojektierung
die Struktur des Verteilnetzes durch ein Knoten-Kanten-
Modell beschrieben und in Form von Tabellen (in CSV-
ABBILDUNG 1: SYSTEMARCHITEKTUR Format) hinterlegt. Weiterhin werden Informationen
über die Topologie des Netzes, Informationen über die
Position und Eigenschaften von Sensoren und elektri-
sche Betriebsmittel, Informationen über die Position von
Jeder der vier Reglerbereiche beinhaltet verschiedene Schaltern sowie Informationen über fernwirktechnisch
Module. Neben einem Steuerbaustein, welcher den angebundene Aktoren im Netz dem System bereitgestellt.
Informationsfluss zwischen den weiteren Bausteinen Die CSV-Dateien werden während der Initialisierung des
verwaltet, einem Baustein für die Netzzustandsanalyse Algorithmus verarbeitet, in ein rechenfähiges Modell
(Detektion von Zustandsverletzungen), einem Baustein überführt und den Funktionsbausteinen zur Verfügung
Netzzustandsregler (Sollwertdefinition für Aktoren) ist ein gestellt.
Baustein für die Netzoptimierung (gezielte Freigabe von
Erzeugungsleistung) enthalten. Den einzelnen Reglern 3.4 Prozesswerte
vorgeschaltet ist ein globaler Topologiebaustein, welcher Neben den statischen Systemparametern werden dem
Zustandsinformationen des Netzes (aktueller Schalt- Automatisierungssystem auch Prozessinformationen zur
zustand) an die reglerspezifischen Bausteine verteilt. Verfügung gestellt. Die Prozesswerte weisen dabei einen
direkten Bezug zu den statischen Systemparametern
3.2 Prozessabbild auf. Beispielsweise ist der Typ eines Aktors (z. B. eine
Für die Funktion der einzelnen Bausteine ist eine regenerative Erzeugungsanlage) und dessen Position im
Bereitstellung von spezifischen Netzzustandsinforma- Netz in den statischen Systemparametern beschrieben,
tionen unerlässlich. Diese Informationen werden über die Übertragung von anlagenspezifischen Informationen
ein globales Prozessabbild zur Verfügung gestellt. Das erfolgt jedoch über Fernwirklinien.
Prozessabbild bildet gleichzeitig die Außenschnittstelle
zwischen den Reglern und den Fernwirkstrecken (siehe 4. Algorithmusbestandteile
Abbildung 2). Die im Netzautomatisierungssystem enthaltenen Funk-
tionsbausteine werden an einer zentralen Stelle in einem
Hauptzyklus konsekutiv aufgerufen (siehe Abbildung 3).
Nach der Initialisierung erfolgt ein zyklischer Aufruf der
einzelnen Funktionsbausteine. Die Funktionsbausteine
erhalten in jedem Zyklus aktualisierte Informationen aus
dem Prozessabbild. Der Aufruf des Funktionsbausteins
für die Topologieerkennung erfolgt abweichend zu den
weiteren Funktionsbausteinen. Ein Aufruf erfolgt hier nur
dann, wenn ein Trigger-Ereignis (Topologieänderung des
Versorgungsnetzes) stattgefunden hat.
4.1 Topologieerkennung
Topologieänderungen durch betriebliche Schalthand-
lungen, Fehler oder Revisionen haben einen erheblichen
Einfluss auf Verteilnetze und folglich auch Automatisie-
rungskomponenten. So kann sich durch eine Topologie-
änderung beispielsweise die Zuordnung der im Netz
verteilten Messsensoriken zum jeweiligen Netzregler-
bereich ändern. Aufgrund der Wichtigkeit einer genauen
Zuordnung der Sensoriken zum jeweiligen Netzregler-
bereich war es unerlässlich, eine Softwarekomponente zu
definieren, welche eine korrekte und genaue Zuordnung
gewährleistet. Weiterhin können durch Topologieände-
rungen auch die Positionen von dezentralen Erzeugern ABBILDUNG 4: EIN- UND AUSGANGSDATEN DES TOPOLOGIEBAU-
STEINS
im Verteilnetz stark variieren (z. B. Position in einem
anderen Abgang, veränderte Position im Abgang). In
Analogie zur Messsensorik ist die Wichtigkeit einer exak-
ten Zuordnung der Erzeuger zum Netzreglerbereich als Die Ausgangsgrößen des Bausteins bestehen im Wesent-
sehr hoch zu bewerten, weshalb die Softwarekomponen- lichen aus Datenstrukturen in Form von Matrizen und
ten um Methoden zur exakten Zuordnung von Aktoren erweiterten Prozessinformationen, welche den bereits im
ergänzt wurde. Prozessabbild enthaltenen Prozessinformationen zuge-
führt werden.
4.1.1 zustandserfassung von Schaltbetriebsmitteln
Da Schalthandlungen jeglicher Art einen erheblichen Folgende Datenstrukturen werden vom Topologiebau-
Einfluss auf die Topologie eines Verteilnetzes haben, stein ermittelt und ausgegeben:
werden die Zustandsinformationen sämtlicher im Regler-
betriebsbereich enthaltener Schaltbetriebsmittel in die • Betriebsmitteladmittanzmatrix
Topologieerkennung implementiert. • Sensitivitätsmatrix
• Aktorpriorisierungsmatrix
In der Regel verfügen die meisten Schaltbetriebsmittel
(in Umspannwerken und größeren Schaltanlagen) über
Zustandsüberwachungen und Kommunikationsanbin-
dungen und lassen sich so ohne Probleme in Automa-
78 DIGITALE INFRASTRUKTUR
Folgende Prozessinformationen werden von der Topo- bereitgestellt. Die Methoden zur Prüfung des aktuellen
logieerkennung ermittelt und im Prozessabbild ergänzt: Netzzustands sind modular aufgebaut und werden
jeweils genau dann aufgerufen, wenn sich eine Mess-
• Maximalgrenzstrom von Messstellen stelle innerhalb des betrachteten Netzgebiets befindet.
• Netzzugehörigkeit von steuerbaren Aktoren
• Netzzugehörigkeit von Messstellen 4.3 Regelungskonzept der netzoptimierenden verteil-
AP 03
• Netzzugehörigkeit von Transformatoren netzautomatisierung
Das Konzept der netzoptimierenden Verteilnetzauto-
4.1.3 Ablaufdiagramm matisierung beruht im Wesentlichen auf zwei Funktions-
Der grundlegende Ablauf der Topologieerkennung ähnelt bausteinen. Der erste Baustein Netzzustandsregler
stark der Aufrufhierarchie der Funktionsbausteine. Nach dient grundlegend der Berechnung einer Lösung zum
Initialisierung wird die Programmstruktur der Topologie- aktiven Netzeingriff, um im Verteilnetz bestehende Netz-
erkennung ausgeführt. Aus den statischen Systempara- zustandsverletzungen zu beheben. Der zweite Funktions-
metern sowie den dynamischen Prozessinformationen baustein Netzzustandsoptimierung verfolgt das Ziel der
aus dem Prozessabbild werden zunächst die System- Optimierung der Arbeitspunkte aller Aktoren, indem
matrizen sowie die Aktorpriorisierung gebildet. Weiterhin jegliche aufgrund von Grenzwertverletzungen abgere-
werden im Programmablauf die erweiterten Prozess- gelte Energie unter Rücksichtnahme auf die entstehen-
informationen definiert. den Netzwirkungen wieder freigegeben wird.
4.4 Netzzustandsregelung
Die Hauptaufgabe des Automatisierungssystems besteht
ABBILDUNG 5: ABLAUF TOPOLOGIEERKENNUNG in der netzdienlichen Behebung von Netzzustandsver-
letzungen durch autonome Netzeingriffe. Die Umsetzung
der aktiven Komponente erfordert mehrere Bausteine,
die verschiedene Funktionen beinhalten. Als Datenbasis
4.2 Netzzustandserkennung sind dabei die Ausgangsgrößen der Topologieerkennung
Der Funktionsbaustein Netzzustandserkennung dient sowie der Netzzustandsauswertung zwingend erforder-
in erster Linie dazu, im Verteilnetz vorhandene Grenz- lich. Das Ziel dieser Funktionen ist die Ermittlung von
wertverletzungen (Betriebsmittelüberlastungen) zu Ausgangsgrößen, die mittels Fernwirkstrecke an die para-
detektieren. Als Grundlage für die Ermittlung von Grenz- metrierten Netzteilnehmer (z. B. regenerative Erzeuger)
wertüberschreitungen dienen dabei die von den im Ver- übertragen werden.
sorgungsnetz verteilten Messstellen übermittelten Daten.
In der Netzzustandserkennung werden die relevanten
Größen aller verfügbaren Messstellen zyklisch auf Ver-
letzungen überprüft und diese Netzzustandsinformation
in den Ausgabegrößen für weitere Prozesse des Systems
80 DIGITALE INFRASTRUKTUR
4.5 Netzzustandsoptimierung zum Einsatz kommt. Der Ablauf verläuft dabei ebenfalls
Der Baustein zur Netzzustandsoptimierung dient der iterativ. Anhand des Sensitivitätszusammenhangs wird
Freigabe von Wirkleistungseinspeisung im Fall von abge- die netzdienliche Auswirkung der Änderung in der Wirk-
regelten Anlagen infolge eines Regelungseingriffs. Der leistungseinspeisung auf die Stromwerte abgeschätzt.
Ablauf unterteilt sich in eine aktive und eine passive Eine anschließend erfolgte Stellwertausgabe wird bis
Komponente. Die passive Komponente wird in jedem zum Abschluss der Umsetzung durch den Baustein zur
AP 03
Zyklus ausgeführt und prüft, ob Aktoren abgeregelt sind. Netzzustandsoptimierung verfolgt.
Der aktive Modus führt den Optimierungsprozess zur
Freigabe von abgeregelter Wirkleistung aus. Aufgerufen 4.6 Aktorbausteine
wird er nur dann, wenn eine Anforderung zur aktiven Die Aktorbausteine dienen der ordnungsgemäßen
Optimierung besteht. Ansteuerung der Aktoren (Erzeugungsanlagen). Dazu
gehört die Ausgabe eines Stellwerts, der durch die Bau-
steine zur Netzzustandsregelung, Netzzustandsoptimie-
rung übermittelt wird. Die Aufgabe der Aktorbausteine ist
im Wesentlichen die Interpretation der Befehle und deren
Ausgabe in das Prozessabbild und die Fernwirklinien.
Gleichzeitig wird hier die Aktor-Verfügbarkeit überwacht
und die Umsetzung von Steuerbefehlen analysiert.
AUTOREN: JOHANNES BROMBACH (INNOVATION FOR ENER- somit die Notwendigkeit einer Vergütung von Blind-
CON GMBH), SWANTJE NIKOLAI (WOBBEN RESEARCH AND leistung bestätigt.
DEVELOPMENT GMBH), BENEDIKT RAMISCH (ENERCON CON-
SULTING SERVICES GMBH) Um die Vorteile der hochdynamischen Systeme mit
möglichst geringen Verlustkosten im Gesamtsystem zu
kombinieren, ist eine verlustminimierte Netzbetriebs-
Im Rahmen des Projekts enera war eine Zielsetzung, die strategie notwendig. Für einen entsprechenden Regler
Vorteile hochdynamisch regelnder und in der Fläche ver- war in einem ersten Schritt die Entwicklung und Bereit-
fügbarer blindleistungsstellfähiger Systeme (vor allem stellung eines detaillierten Verlustmodells notwendig.
Windenergieanlagen) zu zeigen und damit die Netzin- Auf Basis dieses Modells kann ein Netzregler, zusammen
tegration von Erneuerbaren zu verbessern. Dies konnte mit dem Verlustmodell der anderen Netzbetriebsmittel,
weitestgehend demonstriert werden. Dabei wurden in die Gesamtverluste bestimmen und bei einem Blind-
dem Projekt folgende blindleistungsstellfähige Systeme leistungsbedarf die jeweils günstigste Blindleistungs-
eingesetzt: quelle wählen. In einem zweiten Schritt kann ein solches
Modell auch für eine Gesamtverlustoptimierung (OPF
• Windenergieanlagen – Optimized Power Flow) eingesetzt werden. Im Rahmen
• STATCOM des Projekts wurde aber noch kein OPF-Funktionalität
• Speichersystem verwendet, sondern Blindleistungssollwerte wurden von
der Quelle mit den geringsten Verlusten und/oder den
Bei der Bereitstellung von Blindleistung entstehen geringsten Kosten bereitgestellt.
aber sowohl bei konventionellen Quellen (Generatoren,
Drosseln, Spulen, Transformatoren) wie auch bei Auch eine Abrechnung der Verlustkosten ist über das
leistungselektronischen Quellen Verluste. Diese sind entwickelte Modell möglich.
bei Einspeisern aber stark arbeitspunktabhängig, da die
zusätzliche Blindstrombelastung der Quellen je nach
Wirkleistungsarbeitspunkt eine unterschiedlich große
zusätzliche Scheinleistung bedeutet.
82 DIGITALE INFRASTRUKTUR
SMART GRID OPERATOR KONZIPIEREN UND UMSETZEN I ARBEITSPAKET 03
AP 03
AUTOREN: JOHANNES BROMBACH (INNOVATION FOR ENER- schutzrelays erweitert und zu einem Benchmark-Verteil-
CON GMBH), SWANTJE NIKOLAI (WOBBEN RESEARCH AND netz weiterentwickelt, um Untersuchungen in vermasch-
DEVELOPMENT GMBH, BENEDIKT RAMISCH (ENERCON CON- ten Verteilnetzen mit einer hohen Umrichterpenetration
SULTING SERVICES GMBH) durchführen zu können (siehe Lösungsartefakt „Ertüch-
tigung der Netzlaborumgebung zur Untersuchung von
Betriebs- und Schutzkonzepten mit hoher und dominant
Im Rahmen des enera Projekts wurde im ENERCON-Labor Umrichter-basierter EE-Einspeisung“).
am Standort in Wilhelmshaven eine Verteilnetznach-
bildung entwickelt, um Versuche mit unterschiedlichen In dem erweiterten Testnetz konnten nun unterschied-
Netzreglern durchführen zu können (siehe Lösungs- liche Parametrierungen für die Windenergieanlagen und
artefakt „Ertüchtigung der Netzlaborumgebung zur Unter- auch den Netzschutz erprobt werden. Dabei konnten
suchung von Betriebs- und Schutzkonzepten mit hoher Parametrierungen gefunden werden, welche in hoch
und dominant Umrichter-basierter EE-Einspeisung“). Bei penetrierten Verteilnetzen ein sicheres Durchfahren von
Versuchen am Rande des Projekts hat sich ein zusätz- Netzfehlern ermöglichen, das Durchfahren von topologi-
licher Forschungsbedarf herausgestellt. Es konnte gezeigt schen Netzumschaltungen ermöglichen und die Selek-
werden, dass die Strategien zur Fehlerstromeinspeisung tivität des Netzschutzes sicherstellen. Die Ergebnisse
(FRT – Fault-Ride-Through) umrichterbasierter Einspeiser werden dabei über ENERCON und EWE in zukünftige Netz-
in leistungselektronisch dominierten Verteilnetzen auch anschlussrichtlinien über die Gremienarbeit eingespielt.
bei topologischen Netzumschaltungen getriggert werden Darüber hinaus wurden in dem Laboraufbau auch neue
können. Netzfehler im Sinne von Kurzschlüssen sind hier Einspeisestrategien erprobt bzw. Anforderungen für neue
nicht ursächlich. Der Modus zur Einspeisung von zusätz- Einspeisestrategien abgeleitet, um den Anforderungen
licher spannungsstützender Blindleistung konnte auch von rein umrichtergespeisten Verteilnetzen gerecht zu
ausgelöst werden, wenn sich die Blindleistungsbilanz im werden.
Netz stark ändert, wie z. B. beim Ausfall einer Netzdrossel
oder dem Ausfall einer Leitung eines Doppelsystems. Im
Speziellen hat sich gezeigt, dass heutige Fehlerstrategien
mit bestimmten Parametrierungen nicht in jedem Fall
für das Durchfahren eines Fehlers geeignet sind, wenn
das Netz umrichterdominiert ist. Trotz eines richtlinien-
konformen Verhaltens wurden Szenarien gefunden, bei
denen die Störung der Blindleistungsbilanz zu einer
Spannungsänderung führt, welcher durch die leistungs-
elektronischen Einspeiser zwar entgegengewirkt wird,
aber es trotzdem bei einer dauerhaften Spannungs-
abweichung bleibt, welche ausreicht, dass sich die Ein-
speiser richtlinienkonform trennen.
Eine weitere Zielstellung war es dieses Benchmark-Ver- Das Netz- und Kraftwerksmodell besteht aus physikali-
teilnetz so weiterzuentwickeln, dass es auch Unter- schen Funktionsmustern elektrischer Betriebsmittel, u. a.
suchungen zu den Themen Netzschutz, Teilnetzbildung, Lasten, Kraftwerksgeneratoren, Leitungsnachbildungen,
Netzwiederaufbau und Schwarzstart in Netzen mit hohem Transformatoren, deren Spannungen und Ströme bei
Anteil Umrichter-basierter Einspeisung ermöglicht. vergleichbarem elektrischem Verhalten bezogen auf das
öffentliche Netz runterskaliert wurden. Die Skalierung
Für die Realisierung des Benchmark-Verteilnetzes musste des Systems ist dabei beschränkt auf die Leistungspfade,
die bestehende Laborumgebung ertüchtigt und um alle Komponenten zur Beobachtung und Steuerung des
Komponenten, Funktionalitäten und Softwarelösungen Systems entsprechen realen Komponenten aus dem
erweitert werden. öffentlichen Netz (z. B. Mikro-Controller Hard- und Soft-
ware). Aus diesen Komponenten können unterschiedliche
Typen von elektrischen Energiesystemen nachgebildet
84 DIGITALE INFRASTRUKTUR
und getestet werden. Dies beinhaltet sowohl unterschied- Design des Benchmark- Verteilnetzes
liche Netztopologien, Last- und Einspeiseverhältnisse als Basierend auf den Ergebnissen der durch EWE NETZ
auch Betriebskonzepte für das Gesamtsystem oder auch durchgeführten Netzstudie wurden typische Charakte-
Teilsysteme, wie Windparks. ristika der Mittelspannungssysteme in der Modellregion
abgeleitet und durch Kennzahlen spezifiziert. Dazu gehö-
Ein essenzieller Teil des Testsystems ist das Kontroll- ren:
AP 03
center, im Folgenden als ‚Scenario Control‘ bezeichnet,
welches eine zeitsynchrone, reproduzierbare Steuerung • Kurzschluss- und Transformatorscheinleistungen
und Beobachtung des gesamten Systems ermöglicht. • X/R-Verhältnisse und Vermaschungsgrade
Dies beinhaltet die Monitoring- und Steuerungsaufga- • Anteil und Art von Einspeisung durch (volatile)
ben einer Netzleitstelle sowie die Bereitstellung aller im Erneuerbare Energie
System erfassten Messdaten, inklusive anlageninterner • Last/ Einspeiserelationen und Lastflussverhältnisse
Messgrößen wie z. B. Zwischenkreisspannungen, zur
Visualisierung und Weiterverarbeitung. Darüber hinaus Ausgehend von den ermittelten Kennzahlen und unter
erlaubt das Scenario Control die reproduzierbare Vor- Berücksichtigung der o. g. Modellmaßstäbe wurde ein
gabe der Systemgrenzen, u. a. Lasten und Einspeisungen, dem öffentlichen Netz entsprechendes Modellnetz ent-
sowie von Events im System, z. B. Netzfehler. Die Umge- wickelt und am Netz- und Kraftwerksmodell realisiert
bungsgrößen wie Windgeschwindigkeiten, Sonnenein- (vgl. Abbildung 2 und Abbildung 3).
strahlung und das Verbraucherverhalten werden durch
Sollwerte für Generatordrehzahl, Spannungsquellen und Zur Emulation der Systemgrenzen „Last“ und „Einspei-
Impedanzen emuliert und via Scenario Control zeitsyn- sung“ wurden Messdaten (Last- und Windzeitreihen) aus
chron an die Komponenten übermittelt. dem öffentlichen Netz verwendet und auf die Laborum-
400 V SS1
UW_Aggr_MS UW_Detail_MS
WEA5 ON1
SS3
PV
Ltg06 Ltg11
Ltg02 Ltg07 IN=2,0A IN=2,5A
IN=3,0A
IN=2,0A
Ltg13
IN=3,0A
ON2
SS1
Ltg03
IN=2,5A
Ltg08 Ltg10
IN=2,5A IN=3,0A
ON4
ON5
WEA2 WEA1
86 DIGITALE INFRASTRUKTUR
und Einspeisung), Netzfehler bis hin zur Emulation des Die Laborerprobung der Netzregler lieferte wichtige
Ausfalls von Mess- und Stelleinrichtungen. Die dafür Erkenntnisse für die Vorbereitung der Feldtests, da das
benötigte Kommunikation mit den Einspeisern, Schalt- Benchmark-Verteilnetz nicht nur die im Realen zu erwar-
vorrichtungen usw. wurde über Shuttle PCs realisiert. tenden Reaktionen von Erzeugungsanlagen, sondern
Aufgrund der Vielzahl der verwendeten Geräte musste darüber hinaus auch physikalische Rückwirkungen und
dazu die IT-Infrastruktur des Labors um einen IT- Schrank Interaktionen im System bei unterschiedlichen Störun-
AP 03
und Netzwerkverkabelung erweitert werden. gen abbilden konnte.
Zum Zwecke der Beurteilung der Regler und zum Vergleich Zum Zweck der Erprobung von Teilnetzbildung im Energie-
von Messung und Simulation wurden im Gesamtsystem system und der Untersuchung von Netzfehlern in Netzen
an 10 Knoten zusätzlich mit IMC-Messtechnik Spannun- mit hohem Anteil umrichterbasierter Erzeugung wird das
gen und Ströme 3-phasig transient mit einer Abtastrate Benchmark-Verteilnetz derzeit um ein Netzschutzkonzept
von 10 kHz beobachtet. Die IMC-Messtechnik wurde von erweitert. Dies ermöglicht die Untersuchung der Interak-
ENERCON bereitgestellt und im Rahmen des Projekts um tion regenerativer Erzeugungsanlagen mit bestehenden
die Kapazität von 15 Knoten erweitert. Netzschutzkonzepten im Fehlerfall. Aus der Gesamt-
systeminteraktion lassen sich dann u. a. Anforderungen
Fazit und Ausblick an Einspeisesteuerverfahren für die Windenergieanlagen
Für die Erprobung der Netzregler im öffentlichen Netz ableiten (z. B. Fault Ride Through).
haben sich die im Vorfeld durchgeführten Labortests als
sehr wichtig und hilfreich erwiesen (vgl. Lösungsarte- Aufgrund der guten Erfahrungen im Rahmen des Projekts
fakt: „Teilautomatisierter Netzbetrieb“). Die Tests dien- ist eine Weiternutzung von beiden Projektpartnern
ten dem Nachweis der Einhaltung der technischen und (ENERCON und EWE NETZ) fest vorgesehen. Das Bench-
funktionalen Anforderungen des Netzreglers vor ihrem mark-Verteilnetz kann dabei als Validierungsumgebung
Einsatz im öffentlichen Netz. Weiterhin wurden die unter- für zukünftige Einspeisesteuerverfahren von Windener-
schiedlichen Netzreglerkonzepte auf Basis definierter gie-, Solar- und Speicheranlagen sowie für den Betrieb
Testszenarien gegenübergestellt und in ihrer Wirksam- von (Teil-)Energiesystemen (z. B. Micro Grids) genutzt
keit hinsichtlich diverser energietechnischer Frage- werden.
stellungen verglichen. Aufgrund der Reproduzierbarkeit
der Testszenarien konnten zum einen die Netzregler
untereinander und zum anderen auch unterschiedliche
Konfigurationen eines Netzreglers verglichen werden (vgl.
Abbildung 4).
88 DIGITALE INFRASTRUKTUR
Die Kundenanlagen im Verteilnetz werden als Agenten Aufgrund der hohen Freiheitsgrade der Agenten und der
modelliert, die am konventionellen Strommarkt und Abhängigkeit von vielen exogenen Faktoren des Systems
lokalen Flexibilitätsmarkt agieren können. Der Verteil- wie z. B. der lokalen Netzsituation und dem Verhalten
netzbetreiber als Agent hat das Ziel, sein Netz sicher der anderen Agenten sind die Zustände des Markov-Ent-
und zu minimalen Gesamtkosten zu betreiben. Für die scheidungsprozesses nicht stationär, was den potenziel-
Netzbetriebssimulation wird das Multi-Agenten-System len Lösungsraum erheblich vergrößert. Die Anwendung
AP 03
als ein Markov-Entscheidungsprozess aufgebaut. Dabei analytischer Optimierungsmethoden für diese Art von
wird der zu simulierende Zeitraum in mehrere Zustände Problemen erfordert die Ableitung eines komplexen
aufgeteilt. Für jeden Zustand wird die zeitübergreifende Modells, bei dem die Parametrisierung an jede Verän-
optimale Entscheidung ermittelt. Analog zu dem in enera derung der Umgebung angepasst werden muss. Oft ist
vorgestellten Konzept eines lokalen Flexibilitätsmarkts es schwierig oder fast unmöglich, eine mathematische
wird dieser im Verfahren nur bei einem drohenden Beschreibung für diese Problemstellung abzuleiten.
Engpass aktiviert. Somit entsteht für den Markov-Ent- Daher wurde im Rahmen von enera für die Lösung des
scheidungsprozess eine weitere Dimension, die mittels Multi-Agenten-Systems ein Ansatz aus dem Bereich des
eines zweistufigen Ablaufs dargestellt wird (siehe Abbil- Reinforcement Learning entwickelt und erprobt (Tran,
dung 1). Dafür prüft der Verteilnetzbetreiber erst nach Pfeifer, Krahl, & Moser, 2020). Bei diesem Verfahren
Abschluss des „Spot-Zustands“, welcher als Prognose der durchlaufen die Agenten iterativ die einzelnen Zustände,
Netznutzung im Betriebsplanungsprozess interpretiert interagieren mit ihrer Umwelt und erhalten Belohnungen
werden kann, ob der Flexibilitätsmarkt geöffnet wird. Im in Abhängigkeit ihrer Aktionen. Aus den gewonnenen
sogenannten „Flex-Zustand“ können flexible Agenten ein Erkenntnissen erlernen sie Strategien, die durch die
beliebiges Maß an Flexibilität zu einem selbstbestimmten spezifischen lokalen Strukturen charakterisiert sind.
Preis anbieten, woraufhin der Netzbetreiber-Agent die
bestmögliche Auswahl aus den verfügbaren Angeboten Das entwickelte Reinforcement-Learning-Multi-Agen-
zur Beseitigung der Engpässe trifft. ten-System wurde an einem synthetischen Mittelspan-
nungsnetz getestet. Um erste Handlungsempfehlungen
abzuleiten, beschränkt sich die Betrachtung der Grenz-
wertverletzungen zunächst nur auf Transformatorüber-
lastungen, wodurch der Rechenaufwand minimiert wird.
Der resultierende Lastfluss für jeden Zustand wurde
unter Verwendung eines DC-Leistungsflusses berechnet.
Die maximale Transformatorleistung beträgt 30 MVA. Die
Daten der Netzkunden sind in Tabelle 1 aufgeführt.
2 BATTERIESPEICHER ja je 10 MW
90 DIGITALE INFRASTRUKTUR
einen Engpass verschärfen oder sogar erzeugen. Im unte-
ren Teil der Abbildung ist der Endzustand nach netzdien-
lichem Flexibilitätseinsatz dargestellt. Da die Engpässe
überwiegend durch die Bieterstrategien der Agenten
verursacht worden sind, konnten diese auch durch deren
Beitrag im Rahmen eines Flexibilitätszukaufs beseitigt
AP 03
werden. Zudem konnten die bereits vor Berücksichtigung
der Agenten festgestellten Engpässe mittels der Agenten-
flexibilität behoben werden.
Literaturverzeichnis
AKIBA, T., SANO, S., YANASE, T., OHTA, T., & KOYAMA, M. (Au-
gust 2019). Optuna: A Next-generation Hyperparameter Opti-
mization Framework. Applied Data Science Track Paper.
TRAN, J., PFEIFER, P., KRAHL, S., & MOSER, A. (2020). A deep
reinforcement learning approach for simulating the strategic
bidding behavior of distributed flexibilities in smart markets.
CIRED Workshop. Berlin.
AUTOR: PASCAL PFEIFER (FGH) unsicherheiten zu berücksichtigen. Auf Basis dieser Eng-
passprognose kann dann eine Entscheidung über mög-
liche durchzuführende Anpassungsmaßnahmen erfolgen.
Betreiber aktiv überwachter und steuerbarer Verteilnetze
können zukünftig auf eine Vielzahl von betrieblichen Die Ausgestaltung der zukünftigen Betriebsplanung unter
Anpassungsmaßnahmen zurückgreifen, um temporären Einbezug der zuvor beschriebenen Aspekte wird durch
Netzengpässen – also möglichen Verletzungen des zuläs- einen Beitrag der FGH im Rahmen von enera simulativ
sigen Spannungsbands oder der thermischen Belast- untersucht. Dazu wurde ein entsprechendes Software-
barkeit von Betriebsmitteln – entgegenzuwirken. Neben tool entwickelt und angewendet. Ziel der Untersuchung
netzbezogenen Maßnahmen wie der Stufung von Trans- ist die Ableitung sinnvoller Handlungsempfehlungen für
formatoren oder Anpassungen der Netztopologie wird die Ausgestaltung der zukünftigen Betriebsplanung. Dies
zunehmend auch die Nutzung kundenseitiger Flexibilität umfasst:
diskutiert. Unter Flexibilität wird hierbei die Anpassung
von Wirkleistungsbezug oder -entnahme der Netzkunden • Die Entwicklung geeigneter Verfahrensansätze, auf
verstanden. Im Rahmen von enera wird dabei die Nutzung deren Basis zukünftige Werkzeuge der Netzbetreiber
dieser Potenziale durch Flexibilitätsmärkte diskutiert und umgesetzt werden können.
erprobt. Da die Kontrahierung von Flexibilitätsprodukten • Die Untersuchung und Bewertung geeigneter
mit zeitlichem Vorlauf zum tatsächlichen Abruf erfolgt, Anpassungsmaßnahmen zur Gewährleistung eines
muss der Netzbetreiber im Rahmen der Betriebsplanung sicheren Netzbetriebs.
bereits für zukünftige und somit unsichere Zeitpunkte • Die Ableitung von Methoden zur Quantifizierung
Entscheidungen treffen. Er steht deshalb vor der Her- von netzbetrieblichen Unsicherheiten, deren Unter-
ausforderung, den Netzbetrieb unter Berücksichtigung suchung insbesondere aufgrund von Vorlaufzeiten
aller relevanten verfügbaren Freiheitsgrade möglichst und der geringen Aggregation der Anlagen in der
effizient zu koordinieren, zukünftige Systemzustände und Verteilnetzebene notwendig ist.
Engpässe zu prognostizieren und hierbei auch Prognose-
ABBILDUNG 1: ÜBERSICHT DES ENTWICKELTEN VERFAHRENS ZUR SIMULATION DES ZUKÜNFTIGEN NETZBETRIEBS
92 DIGITALE INFRASTRUKTUR
Das entwickelte Softwaretool sowie dessen exempla- gestellt (Abbildung 1, Mitte). Für diese WDF lassen sich
rische Anwendung werden in diesem Lösungsartefakt anschließend Kenngrößen ableiten, die die maximale
beschrieben. Durch den simulativen Ansatz können über Auslastung sowie die minimal und maximal möglichen
die enera Netzregion hinausgehende allgemeine Unter- Betriebsspannungen für definierte Sicherheitsniveaus
suchungen durchgeführt werden. Diese Untersuchungen (SN) festlegen. Der Netzbetreiber kann so etwa die maxi-
wurden anhand von Systemstudien durch die FGH im male Auslastung einer Leitung ableiten, die unter Berück-
AP 03
Rahmen von enera durchgeführt und werden in einem sichtigung eines in Abhängigkeit seiner Risikopräferen-
weiteren Lösungsartefakt „Systemstudie zur zukünftigen zen zu wählenden prozentualen Anteils aller möglichen
Betriebsplanung aktiver Verteilnetze (inklusive Verteil- zukünftigen Zustände – also unter Berücksichtigung
netzgenerierung)“ vorgestellt. möglicher Prognosefehler – auftritt. Diese Kenngrößen
sind dann Eingangsgrößen einer Optimierung, die geeig-
Abbildung 1 zeigt eine Übersicht des entwickelten Ver- nete Anpassungsmaßnahmen für den Fall prognostizier-
fahrens. Eingangsgrößen stellen deterministische Netz- ter Netzengpässe vornimmt.
nutzungsprognosen dar, die für alle zu bewertenden
zukünftigen Zeitschritte vorliegen müssen. Die Prognose Berücksichtigte Freiheitsgrade der Optimierung sind
umfasst alle Erzeugungs- und Verbrauchsanlagen im dabei die Stufung von Transformatoren, die Anpassung
Netzgebiet und somit beispielsweise die erwartete Ein- der Blindleistung (z. B. durch Steuerung von Kunden-
speisung von Fotovoltaik- und Windenergieanlagen. anlagen) sowie die Nutzung von kundenseitigen
Auf Basis der prognostizierten Netznutzung erfolgen Flexibilitäten (Abbildung 1, rechts). Mögliche Topologie-
komplexe Leistungsflussberechnungen, wodurch die zu schaltmaßnahmen können durch Variantenrechnungen
erwartenden Spannungen und Ströme an allen Zweigen ebenfalls berücksichtigt werden. Für die betrachteten
und Knoten im Netz bestimmt werden können. Neben Ausfallsituationen werden zudem kurative Anpassungs-
dem Basisfall werden weitere Leistungsflüsse für ver- maßnahmen (Maßnahmen, die nach Ausfall umgesetzt
schiedene Netzschaltzustände – falls diese zulässige werden) bestimmt und können so als zusätzliche Infor-
kurzfristig einstellbare Topologien darstellen – sowie mationen für den Netzbetrieb bereitgestellt werden. Die
Ausfälle von Betriebsmitteln mitberechnet. Aufgrund der Optimierung basiert auf einem iterativ-linearen Optimal
hohen Unsicherheiten im Hinblick auf zukünftige System- Power Flow (OPF), der ebenfalls die zuvor beschriebene
zustände in der Verteilnetzebene müssen mögliche Linearisierung am Arbeitspunkt der Prognose verwendet.
Prognosefehler mitberücksichtigt werden. Historische Nach Lösung des OPFs und Umsetzung der Anpassungs-
beobachtete Prognosefehler stellen dabei die Basis zur maßnahmen erfolgt eine Neuberechnung der Leistungs-
Abschätzung einer Wahrscheinlichkeitsdichtefunktion flussgleichungen und eine erneute Anwendung des OPFs.
(WDF) möglicher Prognosefehler zur aktuellen Prognose Das Verfahren endet über ein definiertes Konvergenz-
dar. Dazu wird eine Kerndichteschätzung durchgeführt, kriterium und somit, wenn die Änderungen der Anpas-
wobei als Kerne alle beobachteten historischen Progno- sungsmaßnahmen in der letzten Iteration unterhalb
sefehler, gewichtet nach Ähnlichkeit zur aktuellen Pro- einer definierten Schwelle liegen.
gnose, verwendet werden (Pfeifer, Tran, Krahl, & Moser,
2020). Die WDF ist in Abbildung 1 links beispielhaft für
zwei Dimensionen (Prognosefehler Windenergieanlagen
und Fotovoltaikanlagen) dargestellt.
94 DIGITALE INFRASTRUKTUR
auf, dass der Prognosehorizont im hier untersuchten Bei-
spiel einen erheblichen Einfluss auf die umzusetzenden
Maßnahmen bei gleichbleibender Sicherheit hat. Für
eine Vorlaufzeit von zwei Stunden führt eine Erhöhung
des Sicherheitsniveaus von 70 % auf 90 % zu einer Ver-
dopplung der notwendigen Maßnahmen. Zudem können
AP 03
für diesen Fall beim hier unterstellten Szenario für rund
ein Fünftel der notwendigen Maßnahmen keine passen-
den Flexibilitätsprodukte kontrahiert werden. Bei einer
Vorlaufzeit von 30 Minuten können hingegen nahezu
ABBILDUNG 4: SPANNUNGSNIVEAU VOR UND NACH OPTIMIERUNG
AN ALLEN NETZKNOTEN (ZEITRAUM: ZWEI EXEMPL. WOCHEN IM alle zu erwartenden Engpässe, die eine Anpassung der
JUNI, PROGNOSEHORIZONT: 30 MIN, 90 % SN) Wirkleistung erfordern, durch Kontrahierung marktsei-
tiger Flexibilitätsprodukte präventiv verhindert werden.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass unter der
netzbetrieblichen Zielsetzung einer möglichst geringen
In Abbildung 4 ist das probabilistische Spannungs- Menge durchzuführender Maßnahmen deshalb eine
niveau aller MS-Netzknoten für die zuvor gezeigten zwei kürzere Zeitspanne zwischen Kontrahierung und Abruf
exemplarischen Wochen sowohl vor als auch nach der der Flexibilitäten vorteilhaft ist.
Optimierung dargestellt. Der Status quo vor Optimie-
rung ist definiert durch eine mittlere Stufenstellung Literaturverzeichnis
am Transformator sowie einen einheitlichen cos( ) = 1
für alle Anlagen. Im Wesentlichen durch Anpassung der PFEIFER, P., TRAN, J., KRAHL, S., & MOSER, A. (2020). Model-
Stufenstellung und Anpassung der Blindleistung der ling of uncertainty for smart grid congestion management.
Erzeugungsanlagen können alle zu erwartenden Span- CIRED 2020 Berlin Workshop.
nungsbandverletzungen präventiv behoben werden. Der
vorgegebene Zielbereich liegt hierbei zwischen 19 kV
und 21 kV. Da diese Maßnahmen ggü. den mit Vorlaufzeit TRAN, J., PFEIFER, P., KRAHL, S., & MOSER, A. (2020). A deep
umzusetzenden marktseitig zu kontrahierenden Flexibili- reinforcement learning approach for simulating the strategic
tätsprodukten kurzfristig umsetzbar sind, ist kein direktes bidding behavior of distributed flexibilities in smart markets.
Handeln im Zeitbereich der Betriebsplanung notwendig. CIRED Workshop. Berlin.
Das Ergebnis der Optimierung dient diesbezüglich als
Eingangsinformation für den Betriebsführungsprozess
und kann durch nachfolgende Prozesse noch angepasst
werden.
AUTOREN: MIRKO WAHL, JULIAN SPREY UND ALBERT MOSER steuerbaren Verbrauchseinrichtungen bereits im Net-
(IAEW AN DER RWTH AACHEN UNIVERSITY) zplanungsprozess und andererseits erlaubt es eine
Abbildung der unsicheren Entwicklung der Versorgungs-
aufgabe. Das Verfahren ermittelt einen optimalen Netz-
1. Motivation und hintergrund ausbauplan unter Berücksichtigung netzbetrieblicher
Zur Erreichung klimapolitischer Ziele im Rahmen der Maßnahmen (Stufung von rONT) und netzdienlicher
Energiewende findet eine strukturelle Veränderung im Flexibilität (Spitzenkappung und Lastmanagement)
Elektrizitätsversorgungssystem statt. Einerseits werden sowohl aus volks- als auch betriebswirtschaftlicher Sicht
konventionelle Kraftwerke stillgelegt und andererseits (Forum Netztechnik/Netzbetrieb im VDE (FNN), 2017).
wird der Ausbau von Anlagen auf Basis erneuerbarer
Energien (EE-Anlagen) vorangetrieben. Zudem ist eine Im Folgenden wird die Grundlage zur Modell- und
Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität Verfahrensentwicklung analysiert und anschließend die
angestrebt. Hierzu fördert die Bundesregierung Wärme- entwickelten Modelle und Verfahren beschrieben. In
pumpen und Elektrofahrzeuge, die die Stromnachfrage exemplarischen Untersuchungen werden allgemeine Wir-
verändern. Die EE-Anlagen und neuartigen Verbrauchs- kungszusammenhänge zwischen einem konventionellen
einrichtungen werden vorwiegend in Mittel- und Nieder- Netzausbau und einem Flexibilitätseinsatz dargestellt.
spannungsnetzen (MS- und NS-Netzen) angeschlossen,
sodass insbesondere die MS- und NS-Netze von diesen 2. Analyse
Veränderungen betroffen sind. Die durch diese Entwick-
lungen beeinflusste Änderung der Netznutzung stellt Unsicherheiten in der Entwicklung der Netznutzung
neue Anforderungen an die Netzplanung von MS- und Zur Bestimmung notwendiger Netzausbaumaßnahmen
NS-Netzen. sind Prognosen relevanter Eingangsdaten notwendig.
Dies betrifft insbesondere die Entwicklung der Netznut-
Netzbetreiber sind dazu verpflichtet ihre Netze sicher zung der MS- und NS-Netze. Da sich hierbei mehrere Ent-
und zuverlässig zu betreiben und den hierzu notwendi- wicklungen überlagern, ist die Prognose der zukünftigen
gen Netzausbau möglichst kosteneffizient zu bestimmen Netznutzung weiter zu differenzieren. Auf der Seite der
(§§ 11,17 EnWG). Neben konventionellen Netzausbau- Stromerzeuger ist zunächst der Zubau von EE-Anlagen
maßnahmen stehen der Netzplanung zunehmend netz- zu prognostizieren. Auf Seite der Stromverbraucher kann
betriebliche Maßnahmen zur effizienteren Nutzung des sich durch die breitere Anwendung von Wärmepumpen
bestehenden Netzes zur Verfügung. Durch solche netz- (WP) und die Nutzung von Elektrofahrzeugen (EV) die Last-
betrieblichen Maßnahmen wie den Einsatz regelbarer verteilung in Verteilnetzen ändern. Sowohl erzeuger- als
Ortnetztransformatoren (rONT) oder eine Anwendung auch verbraucherseitig sind Prognosen hinsichtlich der
der Spitzenkappung kann der konventionelle Netzausbau zeitlichen Entwicklung sowie der räumlichen Verteilung
reduziert oder teilweise vermieden werden. Somit ist der Anlagen und Verbrauchseinrichtungen im Netzgebiet
zunehmend zwischen einem konventionellen Netzausbau zu erstellen. Zur Abbildung dieser Unsicherheiten sind
und einem Einsatz netzbetrieblicher Maßnahmen in MS- Szenarien ein geeigneter Ansatz, da diese die unsicheren
und NS-Netzen abzuwägen. Die Netzplanung wird daher Entwicklungen sowohl in der Erzeugungsstruktur als auch
komplexer und erfordert neue Netzplanungsverfahren. des Verbraucherverhaltens berücksichtigen können.
Diese Szenarien beschreiben dabei sowohl die zeitlichen
Ein solches Verfahren wurde im Rahmen von enera ent- als auch die räumlichen Veränderungen im Netzgebiet.
wickelt. Das Verfahren berücksichtigt einerseits einen
netzdienlichen Flexibilitätseinsatz von EE-Anlagen und
96 DIGITALE INFRASTRUKTUR
Netzplanungsprozess für Mittel- und Niederspannungs- werden. Aufgrund dieses Verschiebepotenzials ist für
netze den Flexibilitätseinsatz von Verbrauchseinrichtungen
Zur Planung von Versorgungsnetzen wurden bisher eine zeitintegrale Betrachtung zu berücksichtigen. Somit
aufgrund der eindeutigen Richtung des Lastflusses nur erfordert der Flexibilitätseinsatz von EE-Anlagen eine
einige Netznutzungsfälle bzw. Last-/Einspeisesituationen Berücksichtigung von Zeitreihen und der Flexibilitätsein-
berücksichtigt. In Netzen, an denen keine oder kaum satz von Verbrauchseinrichtungen eine Berücksichtigung
AP 03
Erzeugungsanlagen angeschlossen sind, erfolgte die konsekutiver Zeitschritte zur Abbildung des zeitlichen
Netzplanung auf Basis eines sogenannten Starklastfalls. Verschiebepotenzials.
Hierbei wird die gleichzeitig auftretende maximale Leis-
tung aller Verbraucher im Netzgebiet abgeschätzt und Aufgrund der hohen Anzahl von Verbrauchseinrichtungen
darauf basierend werden die Netze dimensioniert. und dezentralen Erzeugungsanlagen ist eine effiziente
Koordination der Flexibilitätsoptionen notwendig. Der
Durch den Zubau von EE-Anlagen ist dieses Vorgehen in enera untersuchte Flexibilitätsmarkt kann hierbei als
anzupassen, da unter anderem die Richtung des Lastflus- Koordinationsmechanismus für das beschriebene Ein-
ses nicht mehr eindeutig ist. Somit ist der Starklastfall speise- und Lastmanagement und somit für einen netz-
durch einen Starkeinspeisefall zu ergänzen, der die maxi- dienlichen Flexibilitätseinsatz dienen.
male Netzbelastung durch eine erhöhte Einspeisung von
EE-Anlagen abschätzt. Im Rahmen der Spitzenkappung Freiheitsgrade in der Netzplanung von Mittel- und
gilt die Netzausbaupflicht des Netzbetreibers als erfüllt, Niederspannungsnetzen
wenn eine Netzdimensionierung vorliegt, in der nur 3 % Als Freiheitsgrade der Netzplanung werden sämtliche
der theoretischen erzeugten Jahresenergiemenge der EE- mögliche Maßnahmen zum Netzausbau verstanden. Dabei
Anlagen abgeregelt werden muss (§ 11 Abs. 2 EnWG). Dies ist zwischen konventionellen Maßnahmen und Maßnah-
bedeutet, dass die Verteilnetze nicht mehr zur Abnahme men, die im Rahmen eines aktiven Netzbetriebs umge-
der „letzten Kilowattstunde“ ausgelegt werden. Das Prin- setzt werden, zu unterscheiden. Letztere ermöglichen
zip der Spitzenkappung stellt somit einen Kompromiss der Netzbetriebsführung während des Netzbetriebs eine
zwischen Netzausbaubedarf und Aufnahme von erzeug- aktive Führung und somit eine gewisse Steuerbarkeit
ter Energie von EE-Anlagen dar. Zur Überprüfung der der Netzauslastung. Eine aktive Netzbetriebsführung ist
abgeregelten Jahresenergiemenge ist daher eine Simu- aufgrund fehlender Mess- und Kommunikationstechnik
lation auf Basis einer Zeitreihe notwendig. Dies erfordert in MS- und NS-Netzen aktuell kaum verbreitet. Durch
eine umfangreichere Berücksichtigung des Netzbetriebs den Gesetzesbeschluss zur Digitalisierung der Energie-
im Netzplanungsprozess. wende, kann sich dies jedoch zügig ändern (Gesetz zur
Digitalisierung der Energiewende). Das Gesetz sieht
Neben einem Flexibilitätseinsatz von EE-Anlagen im Rah- einerseits eine flächendeckende Ausbringung von Smart-
men der Spitzenkappung ist durch die erhöhte Anzahl Meter-Systemen und Kommunikationsanbindungen vor
von Verbrauchseinrichtungen, insbesondere EV und WP, und andererseits die Etablierung einer Kommunikations-
auch ein Lastmanagement denkbar. Im Rahmen des plattform, sodass Erzeugungsanlagen und Verbrauchs-
Lastmanagements wird die Flexibilität von Verbrauchs- einrichtungen fernwirktechnisch ansteuerbar sind. Im
einrichtungen netzdienlich eingesetzt. Dies kann einer- Gegensatz zu netzbetrieblichen Maßnahmen eines akti-
seits zu einer reduzierten Spitzenlast und andererseits ven Netzbetriebs erlauben konventionelle Maßnahmen
zu einer reduzierten Einspeisespitze und somit zu einer wie bspw. der Bau eines zusätzlichen Stromkreises keine
verbesserten Nutzung des bestehenden Netzes führen. Steuermöglichkeiten im Netzbetrieb.
Die Flexibilitätsoptionen EV und WP scheinen aufgrund Das entwickelte Verfahren berücksichtigt als netzbetrieb-
ihrer inhärenten Speicherkapazität zur Teilnahme an liche Maßnahmen Einspeise-, Blindleistungs- und Last-
einem Lastmanagement besonders geeignet. Bei EV ist management sowie die Stufung von rONT. Im Rahmen des
während der Parkdauer ein Ladevorgang über einen Einspeisemanagements werden EE-Anlagen in Abhängig-
Netzanschluss möglich. Im Fall von längeren Parkdauern, keit der aktuellen Netzbelastung gesteuert. So ist die
wie beispielsweise über Nacht, kann der Ladevorgang Netzbetriebsführung im Falle einer unzulässig hohen
des EV zeitlich verzögert oder verschoben werden, ohne Belastung eines Betriebsmittels befugt, eine Reduzierung
die Mobilität des Netzkunden einzuschränken. Bei WP der erzeugten Leistung von EE-Anlage anzuordnen. Unter
stellt die Wärmespeicherkapazität des zu beheizenden dem Blindleistungsmanagement wird die Bereitstellung
Objekts einen gewissen Wärmespeicher dar, der es von Blindleistung durch EE-Anlagen und leistungs-
erlaubt die Heizleistung der WP zeitlich nachzuholen. elektronisch angeschlossene Verbrauchseinrichtungen
Durch die zusätzliche Installation eines Wärmespei- zur Spannungshaltung verstanden. Diese Bereitstellung
chers kann die zeitliche Verschiebedauer weiter erhöht ist häufig als Kennlinie in den Anlagen hinterlegt. Das
98 DIGITALE INFRASTRUKTUR
neben einem technisch gültigen und kosteneffizienten die Spitzenkappung eingeschränkt. Der Flexibilitätsein-
Ausbauplan der notwendige Flexibilitätseinsatz sowie die satz von Verbrauchseinrichtungen wird zur Vermeidung
Netzverlustenergie vor. von Komforteinbußen eingeschränkt, sodass eine netz-
dienliche Reduzierung des Leistungsbezugs zeitnah
durch einen erhöhten Leistungsbezug auszugleichen ist.
Die Flexibilität von Verbrauchseinrichtungen darf somit
AP 03
nur eingesetzt werden, wenn zeitnah ein Ausgleich mög-
lich ist, sodass es lediglich zu einer zeitlichen Verschie-
bung des Leistungsbezugs kommt.
4. Exemplarische Ergebnisse
Zur Veranschaulichung grundlegender Wirkungszusam-
menhänge wird das Verfahren auf ein exemplarisches
MS-Netz, das 40 NS-Netze versorgt, angewendet. Im Netz-
gebiet ist eine hohe Leistung von EE-Anlagen installiert,
die sich innerhalb des zeitlichen Betrachtungsbereichs
von zehn Jahren etwa verdoppelt. Die auftretenden
Grenzwertverletzungen sind insbesondere Verletzungen
der oberen Grenze des zulässigen Spannungsbands zu
ABBILDUNG 3.1: SCHEMATISCHER VERFAHRENSABLAUF Zeitpunkten einer hohen Einspeisung von EE-Anlagen.
Literaturverzeichnis
AUTOREN: FELIPE CASTRO, BATOUL HAGE HASSAN, MOHAN- schiedenen, gesammelten Kommunikations-QoS durch
NAD ALDEBS, DAVOOD BABAZADEH (OFFIS – INSTITUTE FOR Wiedergabe der simulierten QoS-Daten hinsichtlich ihrer
INFORMATION TECHNOLOGY, OLDENBURG, GERMANY) Performanz unter begrenzter Verfügbarkeit und Daten-
verlusten des Kommunikationsnetzwerks geprüft werden.
AP 03
des Modells sind in Tabelle 1 aufgeführt. Schritten werden die gesammelten QoS-Daten in der im
nächsten Abschnitt beschriebenen Plattform verwendet,
um die Leistung von Steuerungssystemen zu testen.
Topologie Sternförmig
Die simulierten Werte werden gesammelt und mit den Real 0,329
MIN (S)
empirischen Daten verglichen. Abbildung 3 zeigt die Ver- Simulation 0,334
zögerung sowohl für die empirischen als auch für die
simulierten Daten in Sekunden. Die Ergebnisse zeigen, Real 0,479
MAX (S)
dass die realen und simulierten Werte nahe beieinander-
Simulation 0,479
liegen. In einigen Zeitintervallen kann man sehen, dass
der Wert der Verzögerung im realen Netz den Wert der Real 0,387
Verzögerung im simulierten Netz übersteigt. Dies könnte MEAN (S)
Simulation 0,377
darauf zurückzuführen sein, dass im realen Netz Hinter-
grundverkehr vorhanden war oder dass in der Umgebung
Hindernisse vorhanden waren, die Signale schwächen TABELLE 2: MINIMALE (MIN), MAXIMALE (MAX) UND MITTLERE
und die Verzögerung erhöhen. Die maximale Verzöge- (MEAN) VERZÖGERUNG FÜR REALES UND SIMULIERTES NETZWERK
AP 03
Standardabweichung (0,132 s) liegt, 68,2 % beträgt. abweichung der Daten abnimmt (d. h. die grünen Linien
werden schmaler). Außerdem nimmt die Anzahl der ver-
lorenen Pakete mit der Erhöhung der Übertragungsperio-
dizität ab. Mit der Einbeziehung von Attero in das Setup
ohne zusätzliche Verzögerung werden über 99 % erfolg-
reich übertragene Daten für eine Übertragungsperiodizi-
tät von 0,5 Sekunden erreicht. Man muss beachten, dass
ohne Attero eine 100 %ige erfolgreiche Übertragungsrate
für eine Übertragungsperiodizität von 0,34 Sekunden
erreicht wird.
AUTOREN: DR. MANUEL JÄKEL (ABTEILUNG SYSTEMSTUDIEN, Kurzschlussstrombegrenzern (KSB) als übliche Abhilfe-
FGH E.V.), DR. HENDRIK VENNEGEERTS (ABTEILUNG SYSTEM- maßnahme technisch und wirtschaftlich zu prüfen.
STUDIEN, FGH E.V.), THEIS GLOYSTEIN (ABTEILUNG ASSET
MANAGEMENT, EWE NETZ GMBH), BJÖRN WILLERS (ABTEI- Supraleitender Kurzschlussstrombegrenzer
LUNG ASSET MANAGEMENT, EWE NETZ GMBH) Für diese neuen Herausforderungen existiert mit supra-
leitenden Kurzschlussstrombegrenzern (sKSB) ein neuer
Lösungsansatz, welcher in den vergangenen Jahren erste
In einer Machbarkeitsstudie der FGH e.V. wurden mögliche Anwendungsfelder gefunden hat (www.nexans.de, 2016)
Anwendungsfälle für den Einsatz eines supraleitenden (www.windkraft-journal.de, 2014). Gegenüber bisherigen
Kurzschlussstrombegrenzers in der Modellregion unter- Lösungen über Kurzschlussstrombegrenzungsdrosseln,
sucht gegebenenfalls mit einem Bypass über schnell öffnende
Schalter, weisen sKSB eine Reihe von Vorteilen auf. So
Der folgende Artikel fasst die im Rahmen von enera erzeugen sie im Normalbetrieb nur geringe Verluste,
erstellte Machbarkeitsstudie „Untersuchungen zu Anwen- erfordern keine zusätzliche Blindleistung, sind aufgrund
dungsfällen von supraleitenden Kurzschlussstrom- der „Selbstheilung“ in kurzem zeitlichen Abstand zu
begrenzern in der enera Modellregion“ zusammen. einem Kurzschlussereignis wieder ohne weitere Maß-
Autoren der Studie sind Dr. Manuel Jäkel und Dr. Hendrik nahmen einsetzbar und reduzieren bei entsprechender
Vennegeerts, die diese als Mitarbeiter der FGH e.V. erstellt Auslegung den Kurzschlussstrom deutlich stärker. Die
haben (FGH e.V., 2017). „Selbstheilung“ ist auch ein wesentlicher Vorteil gegen-
über sogenannten Is-Begrenzern. Die Begrenzung bleibt
Problemstellung & Motivation über eine sKSB-auslegungsspezifische Zeit bestehen,
Infolge der Energiewende und des damit einhergehen- danach wird das Betriebsmittel durch den Eigenschutz
den hohen Anstiegs an dezentralen Erzeugungsanlagen abgeschaltet. In dieser Studie wird eine KS-Begrenzung
(DEA), zumeist auf Basis Erneuerbarer Energien, ergeben über 100 ms angenommen, welche sich jedoch vom
sich beträchtliche technische Herausforderungen in den Betriebsmittelhersteller flexibel und damit länger als
Verteilnetzen, in denen ein Großteil der DEA bereits ins- die Abschaltzeiten des Kurzschlussschutzes ausgestalten
talliert ist und ein weiterer Zuwachs erwartet wird. Um lässt.
den sicheren und zuverlässigen Netzbetrieb garantieren
zu können, ist oftmals Netzausbau notwendig, um die
Netzanschlusskapazität für DEA zu erhöhen. Allerdings
kann je nach bestehender Netzstruktur und derzeiti-
ger Betriebsphilosophie auch ein stärker vermaschter
Betrieb der Mittelspannungsnetze (MS-Netze) dazu bei-
tragen, Netzausbauinvestitionen zu vermeiden.
AP 04
UND OHNE SKSB (NEXANS GMBH, 2017) ABBILDUNG 2: DENKBARE ANWENDUNGSFÄLLE 1-3 FÜR SKSB IM
MS-NETZ (FGH E.V., 2017)
AP 04
interessant, um die vorhandenen Übertragungskapazi- DEA-LEISTUNG TEILT SICH AUF GESTEIGERTE ÜBERTRAGUNGSKAPA-
täten im Umspannwerk optimal ausnutzen zu können. ZITÄT AUF
Abbildung 2 und Abbildung 3 verdeutlichen dieses bei-
spielhaft. Durch neue Einspeiser erhöht sich die Rück-
speiseleistung an Trafo 1 von 50 MVA auf 70 MVA. Da der
Transformator eine Bemessungsleistung von 63 MVA hat Im Idealfall ergibt sich die Gesamtleistung der gekop-
würde dessen Übertragungskapazität mit der zusätz- pelten Transformatoren aus der arithmetischen Summe
lichen Einspeiseleistung überschritten werden. Mit den der Einzelleistungen. Um die maximale Gesamtleistung
klassischen Methoden der Netzplanung müsste hier ein zu erreichen, müssen die einzelnen Transformatoren
kostenintensiver Netzausbau oder -umbau erfolgen. In weitestgehend identische technische Parameter auf-
Abbildung 3 ist die Kopplung mit Trafo 2 als Alternative weisen. Bei ungleichen Nennspannungen bzw. ungleichen
zum Netzausbau dargestellt. Durch die Kopplung verteilt Übersetzungsverhältnissen fließt innerhalb der Parallel-
sich die Einspeiseleistung auf beide Transformatoren. schaltung ein Ausgleichsstrom (Kreisstrom). Dieser ver-
Eine Überschreitung der Übertragungskapazität kann ringert die maximal mögliche Übertragungskapazität
dadurch verhindert werden. Die Kopplung könnte dauer- der gekoppelten Transformatoren. Auch durch ungleiche
haft oder auch nur bei starker Einspeisung erfolgen, um Transformatorimpedanzen und die daraus folgende
den Eintritt in die gelbe/rote Ampelphase zu verhindern. ungleiche Verteilung des Laststroms wird die maximale
Gesamtleistung infolge der ungleichen Trafobelastung
verringert. Um die vorhandenen Übertragungskapazi-
täten optimal ausnutzen zu können, ergeben sich somit
zwei Anforderungen für den Parallelbetrieb (A. Eberle
GmbH & Co. KG, 2013):
A. EBERLE GMBH & CO. KG. (03 2013). Info-Brief Nr. 10 Span-
nungsregelung mit Stufen-Transformatoren im Parallel-
betrieb an Sammelschienen (Teil 2). Nürnberg, Bayern,
Deutschland.
A. EBERLE GMBH & CO. KG. (03 2013). Info-Brief Nr. 9 Span-
nungsregelung mit Stufen-Transformatoren im Parallel-
betrieb an Sammelschienen (Teil 1). Nürnberg, Bayern,
AP 04
Deutschland.
AUTOR: SVEN NIEDERMEIER (ASSET MANAGEMENT, EWE Die Ausrüstung kleinerer zusammenhängender Netz-
NETZ GMBH) abschnitte ist hilfreich bei lokalen Spannungshaltungs-
problemen im Mittelspannungsnetz, die z. B. durch eine
mit der Zeit wachsende Anzahl von dezentralen Ein-
Mit dem punktuellen Einsatz von regelbaren Ortsnetz- speisern hervorgerufen wird. In diesem Fall können für
transformatoren haben EWE NETZ und auch andere Netz- die Systemführung in den betroffenen Gebieten andere
betreiber mittlerweile einige Erfahrungen gesammelt. Grenzwerte hinterlegt werden und es können sich so wei-
Weniger erprobt ist der gebündelte Einsatz auf einzelnen tere Freiheiten im Standardschaltzustand, aber auch in
Abschnitten im Mittelspannungsnetz geschweige denn Umschaltszenarien ergeben.
die Ausrüstung des kompletten Versorgungsbereichs
eines 110/20 kV-Transformators. Die beiden letzten Unter- Den Versorgungsbereich eines 110/20 kV-Trafos umfas-
suchungen wurden im Rahmen von enera durchgeführt. send mit rONT auszustatten ist ein Szenario, dem
heute nur wenig Beachtung geschenkt wird. Oft wird
Werden rONT punktuell eingesetzt, so ergeben sich Vor- hier klassischer Netzausbau oder eine Anpassung der
teile durch das breitere nutzbare Spannungsband im Regelungsstrategie des versorgenden Trafos bevorzugt.
jeweils unterlagerten Niederspannungsnetz. Werden Ein sinnvoller Einsatz ist aber aus Sicht von enera den-
rONT aber gebündelt eingesetzt, so lässt sich auch das noch in zwei plausiblen Szenarien denkbar. Zum einen
nutzbare Spannungsband zusätzlich im entsprechenden könnten sich Netzbetreiber aufgrund von Flexibilität und
Mittelspannungsnetzbereich erweitern. Je größer der Zukunftssicherheit der rONT dazu entscheiden, keine
Bereich, desto größer sind auch die Freiheiten in Netz- konventionellen Trafos mehr einzusetzen. Zum anderen
planung und Netzführung. könnten mit dem gleichzeitig voranschreitenden Ausbau
von dezentralen Erzeugern und Verbrauchern (Elektro-
AP 04
Elemente in einem System können zu Instabilität führen. zeichnen. Außerdem stellt sich immer wieder die Frage
Eine Variante, in welcher die rONT nicht autark, sondern nach der technischen Lebensdauer des Stufenstellers,
zentral geregelt wurden, wurde nicht verfolgt. da dieser, je nach Hersteller, auf ca. 500.000 Schaltungen
begrenzt ist.
Vor der Untersuchung der Auswirkungen im Gesamt-
system stand jedoch die Herausforderung in möglichst In Abbildung 1 kann man gut erkennen, das die rONT im
kurzer Zeit die eingeplante Menge rONT im Netz zu Mittel über den gesamten Messzeitraum auf 2 bis 3 Stu-
installieren. Durch das gute Zusammenspiel zwischen fungen pro Tag kommen. Zwar hat jede Anlage auch mal
Netzplanung, Netzbetrieb und Dienstleistern konnte die- Tage, die deutlich über den Mittelwert hinausgehen, aber
ses Ziel erreicht werden. Zu den erforderlichen Arbeiten es wird kein instabiler Zustand erreicht. 20 Stufungen pro
gehörten u. a. die Nachrüstung von Sekundärtechnik Tag sind im Mittel weniger als eine Stufung pro Stunde.
und der Trafotausch an sich. Hierbei zahlte sich auch die
vorherige Erstellung eines detaillierten Umrüstkonzepts Aus Abbildung 2 ist erkennbar, dass alle rONT relativ
für die Fernwirk-, Kommunikations- und Messtechnik in kontinuierlich arbeiten und in Abbildung 3 wird deut-
Kooperation mit Arbeitspaket 1 aus. lich, dass das Potenzial zum Ausgleich von Spannungs-
Das Bedarfserhebungsmodell
AUTORIN: DR. PIA LEHMKUHL (EWE NETZ GMBH) Gestartet wurde mit der Ermittlung der Projektanforde-
rungen. Es bedurfte einer fundierten Kenntnis über die
Unser Ziel in der Gesamtvorhabensbeschreibung vorhandene Tätig-
Das AP 10 ist mit dem Ziel angetreten, das enera Kom- keitsanalyse und einer ersten Kontaktaufnahme zu den
petenz- und Qualifizierungscenter zu errichten und darin weiteren Arbeitspaketkoordinationen. Stets stand bei
Bildungsbausteine zur Verfügung zu stellen, die die den Arbeiten die Frage im Fokus, was die Mitarbeitenden
Mitarbeitenden bei der erfolgreichen Realisierung der in enera zukünftig können sollen, sodass die Erstellung
gesetzten Projektziele unterstützen. von Soll-Profilen als logische Konsequenz angesehen
werden konnte. Das Hauptaugenmerk lag in diesem
Um diesem Ziel entsprechen zu können, bildete eine Schritt zunächst auf der Definition von Kenntnissen und
gezielte Bedarfserhebung zu Beginn der Projektlaufzeit Fähigkeiten, die schlussendlich in einer Soll-Profillinie
das Fundament für die darauffolgenden Schritte. mündeten.
ABBILDUNG 1: QUALIFIZIERUNGSBEDARFSERFASSUNGSMODELL
E-Training-Eigenproduktionen:
Blockchain & Blindleistung
AUTORIN: DR. PIA LEHMKUHL (EWE NETZ GMBH) und Grundlagen vermitteln, bevor vertiefende Einheiten
konkrete Anwendungs- und Spezialfälle beleuchten.
Mit dem Aufbau eines projekteigenen Qualifizierungs- Das beschriebene schrittweise Vorgehen beispielsweise
centers (eQC) wurde in enera wahrlich Neuland beschrit- lässt sich anhand des Trainings zur Blockchain-Thematik
ten. Das Hauptaugenmerk lag in dem dazugehörigen verdeutlichen. Grundsätzlich wird diese Technologie seit
Arbeitspaket 10 in der Aufnahme von projektspezifischen einiger Zeit als die digitale Revolution diskutiert. Grund
Qualifizierungsanforderungen und der Entwicklung sowie genug, dass sich das E-Training u. a. den Fragen widmet,
Bereitstellung von passenden Bildungsbausteinen. Dabei wie der Hype zu bewerten ist, welche Funktionsweisen
wurde ein großes methodisches Spektrum bedient, dahinter stecken und welche Anwendungen sich damit
sodass das zusammengestellte Angebotsportfolio von umsetzen lassen, denn: Auch für die Energiewirtschaft
Präsenzveranstaltungen über Blended-Learning-Formate können sich dadurch praktische Einsatzfelder ergeben.
bis hin zu reinen Web-Based-Trainings (WBT) reicht und Doch um diese zu erkennen, ist Grundlagenwissen zu
nebens eigens produzierten bzw. von internen Fach- der Technologie erforderlich, das in der eigenständigen
expertInnen geleiteten Einheiten auch solche umfasst, Einheit „Blockchain: Basiswissen“ vermittelt wird. Erst in
die von externen ReferentInnen bespielt und somit ein- einem zweiten Schritt widmet sich die Einheit „Blockchain
gekauft werden. Der Zugriff auf die Lerneinheiten stand in der Energiewirtschaft“ der Fragestellung, wie die Tech-
dabei allen Projektmitarbeitenden der EWE und ebenso nologie zur Energiewende beitragen kann – und unter-
den Konsortialpartnern offen. streicht damit ihren deutlichen Projektbezug zu enera.
Die Energiewirtschaft steht vor einem Umbruch und alle
Als Ergebnis der durchgeführten Bedarfsabfrage kam u. a. Zeichen stehen auf Dezentralisierung – und Letztere
heraus, dass Angebote zu den (Zukunfts-)Themen Block- wiederum ist auch Kern der Blockchain-Technologie. Die
chain sowie Blindleistung notwendig werden würden. Da Vertiefungseinheit des E-Training-Programms rückt die
diese Bereiche im Zuge von vorherigen Anstrengungen Frage in den Mittelpunkt, ob und wie die Technologie
noch nicht im Fokus standen, hat sich Arbeitspaket den zur Energiewende beitragen kann und welche neuen
Inhalten und ihrer entsprechenden Aufarbeitung wid- Geschäftsmodelle sich im Zuge dessen für die Energie-
men können. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit einer branche ergeben können. Insofern stehen konkrete
externen Produktionsagentur konnten projektseitig die Anwendungsfelder wie die E-Mobilität oder aber auch
fachlichen Inhalte zur Verfügung gestellt werden, die im der Stromhandel im Fokus des Vertiefungsmoduls. Den
Nachgang wiederum didaktisch aufbereitet sowie profes- Mitarbeitenden wird dadurch die Chance gegeben, die
sionell produziert worden sind. Technologie selbst zu verstehen sowie deren Bedeutung
für die Energiewelt und -wende nachzuvollziehen – und
Zugegebenermaßen: Sowohl die Aufbereitung des das kann als großer Meilenstein von enera gewertet
Themengebiets Blockchain als auch das der Blindleistung werden.
stellten die damit betrauten Akteure vor große Heraus-
forderungen, war es doch der Anspruch, neben Einheiten
auf Basisniveau auch vertiefende Inhalte darzustellen
und somit einen jeden Interessierten gemäß seinem
Wissensstand abholen zu können. Die in technischer
und fachlicher Hinsicht hochkomplexen Inhalte mussten
insofern eine Bearbeitung erfahren, als dass sie nicht nur
optisch ansprechend, sondern auch didaktisch gut nach-
vollziehbar aufbereitet werden mussten und somit in
einem schrittweisen Vorgehen zunächst die Basisinhalte
Apropos Meilenstein: Als ein solcher darf auch die Pro- Das Besondere bei der Produktion: Das Thema wurde
duktion des E-Trainings zum Thema Blindleistung ver- nicht ausschließlich für den internen Gebrauch produ-
standen werden. Das Thema selbst besitzt ebenso wie ziert, sondern findet auch in das bestehende Angebots-
das der Blockchain-Technologie eine große Relevanz, portfolio des Kooperationspartners Aufnahme – und
nunmehr allerdings nicht primär aus Marktperspektive, steht darüber weiteren interessierten (Energieversor-
sondern mit einem wesentlich stärkeren Fokus auf den gungs-)Unternehmen zur Verfügung.
Netzsektor. Da im Zusammenhang mit Blindleistung in
Diskussionen oftmals verschiedene Begrifflichkeiten Eine derartige verständliche Aufbereitung von technisch
und Verständnisweisen aufeinandertreffen, war es dem hochkomplexen Themen und Inhalten, die nicht nur
Projekt ein Anliegen, durch den Onlinekurs die Schaf- projektintern, sondern auch darüber hinaus bei weiteren
fung eines einheitlichen Verständnisses zum Thema projektunbeteiligten Organisationen Verwendung finden,
Blindleistung voranzutreiben und die unterschiedlichen besitzen Neuigkeitscharakter und unterstreichen einmal
Wirkungsweisen zu vermitteln. Auch an dieser Stelle fin- mehr den Pioniergeist von enera.
det sich das bereits zuvor angesprochene schrittweise
Vorgehen wider. Neben einer Basis- und Vertiefungsein-
heit ist ebenso eine solche entstanden, die die Thematik
exklusiv bei EWE NETZ beleuchtet. Ziel ist es, den Mit-
arbeitenden Informationen darüber zu geben, was Blind-
leistung ist und wie sie passend genutzt werden kann,
denn: Mit fortschreitender Energiewende nimmt auch die
Einspeisung aus erneuerbaren Energien aus niedrigeren
Spannungsebenen zu – ein Umstand, der die Relevanz
eines passenden Blindleistungsmanagements umso
mehr erforderlich macht.
enera Digital-Reality-Projekt
AUTORIN: DR. PIA LEHMKUHL (EWE NETZ GMBH) Vorhaben konnten wir erste Schritte in Richtung Digitales
Lernen gehen – und gleichzeitig eine interaktive Form der
Wissensvermittlung und Zusammenarbeit testen.“
Wirft man einen Blick in die Projektbeschreibung von
enera, so wird schnell die Ausrichtung des Vorhabens
deutlich: enera soll mit etablierten Strukturen brechen
und neue Herangehensweisen testen. Dies gilt nicht nur
für die technischen Bereiche und somit für die Netzge-
staltung und -führung, sondern betrifft ebenso Kultur-
und Schulungsthemen.
AUTOR: MARC DORCHAIN gesamten Projekts, zum anderen aber auch der darauf-
hin erfolgten Analyse des jeweiligen Schutzbedarfs, der
je nach Scope grundsätzlich anders sein kann.
ARIS (Architektur integrierter Informationssysteme,
Methodik und Tool der Software AG) Governance Risk Es wurden acht Scopes identifiziert, die wie folgt benannt
and Compliance ist ein Tool, das historisch betrachtet sind:
eine Spezialisierung auf die gesteigerten Anforderungen
der Strukturanalyse bei der Einhaltung von Vorgaben im 1. Markt
Finanzbereich darstellt. Da das Tool aber sehr flexibel 2. Horizontale Unternehmens-IT
einsetzbar und erweiterbar ist, wurde im Projekt enera 3. Cloud (als Teil von Scope 2)
die Entscheidung getroffen, es mittels spezieller Erweite- 4. Übertragungsnetzbetreiber-IT
rungen sowohl methodisch als auch technisch zur Durch- 5. Messen und Steuern im Verteilnetz
führung von ISMS-Analysen (ISMS steht für Informations- 6. Messen und Steuern im virtuellen Kraftwerk
sicherheitsmanagementsystem) im Projekt zu nutzen. 7. Messen und Steuern via Smart Meter Gateway
8. Smart Home
Eine Erweiterung für das Tool ARIS, die im Rahmen des
Projekts durchgeführt wurde, betrifft die Möglichkeit des In Abbildung 1 ist eine ARIS-Darstellung der im Projekt
Imports der nach IEC 62559 erfassten ca. 60 Use Cases, identifizierten Scopes eingeordnet im SGAM zu sehen.
die im Rahmen des Projekts übergreifend dokumentiert
und ins Smart Grid Architektur Model (SGAM) übertragen Exemplarisch ist dabei der „Scope 7: Messen & Steuern
wurden. Diese wurden initial in Form eines XML-Imports via SMGW (Smart Meter Gateway)“ betrachtet worden.
nach ARIS überführt. Darauf basierend sind technische Dabei sind die entsprechenden Use Cases in ARIS in
Anpassungen zur ISMS Analyse konzipiert und durch ent- einem Modell, welches die dem Scope zugeordneten Use
sprechende Implementierung verfügbar gemacht wor- Cases abbildet, zusammengefasst worden. Die einzelnen
den, um letztlich die Strukturanalyse des Schutzbedarfs Use Cases des Scope 7 sind in Abbildung 2 dargestellt.
im Sinne eines ISMS durchführen zu können.
Die Darstellung der SGAM-Informationen erfolgt dabei
Das SGAM ist ein Framework für die Beschreibung von in einer Weise, die sich strukturierten Prozessmodellen
Architekturen im Smart Grid und definiert einerseits annähert, die vergleichbar mit existierenden Methodiken
verschiedene sogenannte fachliche Zonen, andererseits im Geschäftsprozessmanagement sind. Da es bei ein-
aber auch die vorhandenen verschiedenen Domänen. zelnen Use Cases mehrere darin enthaltene Szenarien
Aus den Domänen und Zonen ergibt sich eine Struktur in geben kann, die den strukturierten Ablauf eines Szena-
Form einer Matrix. rios beschreiben, können pro Use Case mehrere Modelle
hinterlegt werden.
In einem ersten Schritt sind die ca. 60 in enera erfassten
Use Cases entsprechend ihrem inhaltlichen Fokus zuerst
einem Scope zugeordnet und in der Folge in diese Matrix
eingeordnet worden. Dabei kann jeder Scope sowohl
mehreren Zonen zugehören als sich auch über mehrere
Domänen erstrecken. Letztlich dient diese Aufteilung
zum einen dem besseren Verständnis der Inhalte des
AP 12
ABBILDUNG 2: USE CASES DES SCOPE 7: MESSEN UND STEUERN VIA SMGW
Das ist wichtig, weil beispielweise ein hoher Schutzbe- BUNDESAMT FÜR SICHERHEIT IN DER INFORMATIONSTECH-
darf, der für Daten an einem System im privaten Umfeld NIK (BSI) (2020). BSI IT-Grundschutz: 100-1, neu 200-1: Ma-
(z. B. ein intelligenter Stromzähler) festgestellt wird, an nagementsysteme für Informationssicherheit; 100-2, neu
einem zentralen System (z. B. des Stromerzeugers) nicht 200-2: IT-Grundschutz-Vorgehensweise bzw. -Methodik; 100-
unbedingt geringer ausfallen darf, nur weil das System in 3, neu 200-3: Risikoanalyse auf der Basis von IT-Grundschutz;
einer anderen Infrastruktur betrieben wird. IT-Grundschutz-Kataloge – neu: IT-Grundschutz-Kompendi-
um: „Bausteine“, „Gefährdungen“, „Maßnahmen“. Abgerufen
Gemäß den durch das Bundesamt für Informations- von https://www.bsi.bund.de/.
sicherheit (BSI) zur Verfügung gestellten Katalogen zum
IT-Grundschutz, die ebenfalls in ARIS importiert wurden,
ist dann eine Analyse des Schutzbedarfs möglich. Das BUNDESNETZAGENTUR (2020). IT-Sicherheitskatalog gemäß
Ergebnis des Schutzbedarfs kann entweder durch eine §11 Absatz 1a Energiewirtschaftsgesetz der Bundesnetzagen-
Vererbung des Schutzbedarfs durch andere Objekte erfol- tur (BNetzA). Abgerufen von https://www.bundesnetzagen-
gen oder aber durch eine individuelle Bewertung durch tur.de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/
den entsprechenden Verantwortlichen. In Abbildung 5 Unternehmen_Institutionen/Versorgungssicherheit/IT_Si-
(Schutzbedarf K-101c: WAN-Verbindung zwischen SMGW cherheit/IT_Sicherheitskatalog_08-2015.pdf.
und (passivem) EMT) ist eine exemplarische Ermittlung
des Schutzbedarfs einer IT-Netzwerkkomponente sicht-
bar. ARCHITEKTUR INTEGRIERTER INFORMATIONSSYSTEME
(ARIS) (2020). Wikipedia-Beitrag ARIS. Abgerufen von https://
Die vier grundsätzlichen Kategorien des Schutzbedarfs de.wikipedia.org/wiki/ARIS.
erstrecken sich auf:
• Vertraulichkeit CLAUSEN M., APEL R., DORCHAIN M., POSTINA M., USLAR M.
• Integrität (2018). Proceedings of the 7th DACH+ Conference on Energy
• Verfügbarkeit Informatics (Springer 2018, Volume 1 Supplement 1) Use Case
• Authentizität methodology: a progress report: https://doi.org/10.1186/
s42162-018-0036-0.
Zur Bewertung der Kritikalität des Schutzbedarfs bei
Netzwerkkomponenten sind zusätzlich noch die Fak-
toren „Außenverbindung“ sowie „Informationen mit
hohem Schutzbedarf dürfen nicht übertragen werden“ zu
betrachten.
AP 12
Assets3) und Referenzen (z. B. regulatorische Vorgaben) mationen, die für die Erstellung eines ISMS relevant sind,
gelistet werden. In der „Schritt-für-Schritt-Analyse“ in bereits direkt im UC-Template vorgesehen sein, damit sie
Kapitel 4 werden die Szenarien des Use Cases und deren von Beginn an erfasst werden können.
ITGRUNDSChUTz UCTEMPLATE
Zuordnung Anwendungen zu Systemen Definition aller Systeme, die einer Anwendung zugeordnet sind als
Actor Group (UC-Template Abschnitt 3.1)
Zuordnung Systeme zu Infrastruktur Nennung der Infrastruktur in der Actor-Spalte „Further information
specific to this use case“ (UC-Template Abschnitt 3.1)
TABELLE 18: ERWEITERTER ABSCHNITT 5 DES UC-TEMPLATES: IN- Tabelle 22 (rechte Seite) fasst darüber hinaus alle durch
FORMATION EXCHANGED
die Empfehlungen betroffenen Abschnitte des UC-Tem-
plates zusammen.
E-Dok-01 Alle für ein ISMS relevanten Assets und Assettypen aufnehmen. 3.1 Actors
E-Dok-02 Abhängigkeiten und Beziehungen zwischen Assets möglichst 4 Step by step analysis of use case
vollständig beschreiben.
E-Dok-03 Alle Rollen / Akteure und ihre Zuständigkeiten so vollständig wie 3.1 Actors
möglich beschreiben. 4 Step by step analysis of use case
4 Die Abkürzung SGAM steht für Smart Grid Architecture Model und stellt ein
Rahmenwerk für die einheitliche Beschreibung von Systemarchitekturen im
Smart Grid dar.
8 Ein Switch ist ein Gerät, das die Kommunikation in Computernetzen steuert.
9 Eine Leitwarte (auch Leitstand) ist eine technische Einrichtung, die
Menschen bei der Überwachung und Steuerung von Prozessen unterstützt.
10 Siehe http://smartgridstandardsmap.com.
11 Zu Assurance Cases siehe Lösungselement i) „Assurance Cases als Leitfaden
für die Use Case-Erhebung“.
Überarbeitung des UCMR auf Basis von Erfahrungen, auf internationalen Märkten zu ermöglichen. Quelle:
die im Projekt bei der intensiven Nutzung mit über BMWi, 2015, S. 5
50 Use Cases und deren Weiterverwertung gemacht
wurden Im Energiesektor hat die International Electrotechnical
Commission (IEC), ein Normungsgremium für Elektrotech-
nik, die Normenreihe IEC 62559 „Use case methodology“
AUTOREN: MARIE CLAUSEN (OFFIS), SEBASTIAN HANNA (OFFIS) herausgegeben, in der im zweiten Teil ein Use Case Tem-
plate für das Energiesystem und Smart Grids definiert
wird. Im Sinne der Ausschreibung wurde daher im Projekt
1. Use Cases und deren Management enera entschieden, die Anwendungsfälle des Projekts
mittels dieses Template zu erfassen. Im Folgenden wird
Leitfrage: Warum Use Cases? der Begriff „Use Cases“ für Anwendungsfälle nach dieser
In der Softwaretechnik werden Anwendungsfälle (engl. IEC-Norm verwendet.
Use Cases) genutzt, um das Verhalten und die Funktiona-
litäten eines Systems aus Sicht des Nutzers zu beschrei- Das Use-Case-Template (UC-Template) nach IEC 62559
ben. Dabei werden alle möglichen Szenarien beschrieben, gliedert sich insgesamt in 8 Abschnitte, in denen durch
die eintreten können, wenn ein Akteur mit dem betrach- weitere Unterabschnitte und Tabellen vorgegeben wird,
teten System interagiert. Die Verwendung einheitlicher welche Informationen zum Anwendungsfall wo einzutra-
Schablonen für die Erstellung von Anwendungsfällen, gen sind:
wie beispielsweise die Schablone nach Cockburn1, hat
den Vorteil, dass die Beschreibungen vereinheitlicht und 1. Beschreibung des Use Cases
benötigte Informationen durch die direkte Adressie- 2. Diagramme zum Use Case
rung in der Vorlage angesprochen und erfasst werden. 3. Technische Details
Dies macht die weitere Verwendung der beschriebenen 4. Schritt-für-Schritt-Analyse
Anwendungsfälle – beispielsweise hinsichtlich eines 5. Ausgetauschte Informationen
Informationssicherheitsmanagementsystems (ISMS) – 6. Anforderungen
einfacher, da definiert ist, welche Informationen zum 7. Übliche Bezeichnungen und Definitionen
Anwendungsfall wo in der Beschreibung zu finden sind. 8. Individuelle Informationen (optional)
Bereits in der Ausschreibung des SINTEG-Programms Das Erstellen und Verwalten der Use Cases ist dabei tech-
wurde gefordert, dass die Aktivitäten in den Schaufens- nologieunabhängig und kann theoretisch auch hand-
tern mit den Rahmenbedingungen auf EU-Ebene abge- schriftlich auf Papier durchgeführt werden. Die hand-
glichen werden und entsprechende Standards berück- schriftliche Dokumentation ist jedoch für die weitere
sichtigt werden: Verwendung nicht empfehlenswert. Eine Dokumentation
mit Textverarbeitungsprogrammen hat dagegen den Vor-
• Die zu erprobenden technischen Systemkompo- teil, dass die ggf. nötige Handschrift-Entzifferung wegfällt.
nenten müssen eng mit den sich in der Umsetzung Darüber hinaus sind die Use Cases einfacher zu vertei-
befindlichen zukünftigen Rahmenbedingungen auf len, kopieren und aktualisieren. Durch die Offenheit der
EU-Ebene (Network Codes, europäische Standards z. Textverarbeitung kann jedoch auch relativ einfach vom
B. bezüglich Security- und Kommunikations-Anforde- Template abgewichen werden und die Informationen
rungen sowie M / 490 First Set of Standards, rele- aus dem Use Case für weitere Anschlussverwendungen
vante Arbeiten von IEC, IEEE, etc.) abgeglichen werden, nur schwierig automatisiert extrahiert werden. Um das
um eine Übertragbarkeit der entwickelten Lösungen Abweichen vom Template zu verhindern, können im
Sollen die Use Cases nicht nur erfasst, sondern auch Leitfrage: Welche Erfahrungen wurden in enera mit den
zentral verwaltet und (teil-)automatisiert weiterverarbei- Use Cases gemacht und welche Anpassungen ergaben
tet werden, so empfiehlt sich die Verwendung eines für sich daraus im UCMR?
Use Cases eigens implementierten Repository. Hierdurch Im Rahmen des Projekts enera wurden 76 Use Cases im
kann technisch durchgesetzt werden, dass keine belie- UCMR des Projektpartners OFFIS angelegt, von denen
bigen neuen Felder hinzugefügt werden und dadurch 52 ausführlich inklusive der Schritt-für-Schritt-Analyse
vom Template abgewichen wird. Die eigentlichen Vorteile beschrieben wurden. Die Beschreibung erfolgte dabei
ergeben sich jedoch hinsichtlich des Managements der zunächst mittels eines Textverarbeitungsprogramms,
Informationen im Template: anschließend folgte die Übernahme ins UCMR anhand
eines automatischen Imports. Im weiteren Projektverlauf
• Zugriff und Aktualität: Gerade bei mehreren wurden die Use Cases darüber hinaus bedarfsgetrieben
Bearbeitern kann über die Nutzung eines Repository aktualisiert, wobei die meisten Anpassungen in den ers-
sichergestellt werden, dass alle Zugriff auf die jeweils ten beiden Projektjahren anfielen. Das initial genutzte
aktuelle Version eines Use Cases haben. UCMR unterstützte dabei die folgenden Funktionen:
• Automatisiertes Änderungsmanagement: Wird ein
Use Case im Repository geändert, so kann diese • Repräsentation des IEC 62559-2 Use Case Templates
Änderung automatisch mit einem Zeitstempel und (Version 2015)
dem ändernden Nutzer dokumentiert werden. Auch • Libraries für Akteure und Anforderungen, welche die
eine Versionsverwaltung und Archivierung alter Wiederverwendung von Daten in mehreren Use Cases
Versionen ist technisch durch ein Repository möglich. ermöglichen
• Nutzung von Querverweisen: Es können Felder • Import und Export von Use Cases und Libraries (HTML
definiert werden, die auf andere Felder im Template und XML), beim Import von Use Cases auch docx
oder auch andere Use Cases verweisen. Dadurch • Erstellen, Editieren, Austausch und Löschen von Use
kann die Vollständigkeit von Listen, wie beispiels- Cases und Library-Elementen
weise bei den Akteurslisten und den ausgetauschten • Drag-And-Drop-Funktion für Elemente der Libraries
Informationen, sichergestellt werden, indem alle • Merge-Funktion für Elemente der Libraries (vgl.
Elemente bei Verwendung automatisch in der Liste Abbildung 1)
hinzugefügt werden oder indem nur Elemente aus der • Verschieben von Use Cases und Library-Elementen
Liste verwendet werden dürfen. Gerade bei nachträg- innerhalb und zwischen Projekten
lichen Änderungen werden durch die Querverweise • Lesen/Schreiben Zugriff für alle Daten
die Änderungen direkt an den verknüpften Stellen • Rechtemanagement für Nutzer
übernommen.
• Exportfunktionen: Es kann nicht nur der Use Case
als Ganzes in unterschiedliche Formate exportiert
werden, sondern auch übergreifende Listen aus
den Informationen aller Use Cases erstellt werden,
beispielsweise alle Akteure und deren Verbindungen
untereinander.
Nach dem Import war bei der Vielzahl an Use Cases einer
der ersten Wünsche, einen Überblick über alle an den ABBILDUNG 2: BEISPIEL FÜR EIN IM UCMR AUS EINEM USE CASE
Use Cases beteiligten Akteure und den zwischen diesen GENERIERTES SEQUENZDIAGRAMM
Akteuren ausgetauschten Informationen zu erhalten.
Daher wurden zwei Exportfunktionen im UCMR realisiert,
wodurch zu allen Use Cases zum einen alle Akteure und
zum anderen alle ausgetauschten Informationen (inkl. Im weiteren Verlauf der Use-Case-Bearbeitung und Wei-
Sender und Empfänger) als XML-Datei exportiert werden terverwendung wurde eine Funktion im UCMR ergänzt,
können. mit der aus den beschriebenen Szenarien im Use Case
automatisch Sequenzdiagramme und eine Übersicht der
Ein Diskussionspunkt, der bei der Arbeit mit den Use Szenarioschritte mit den jeweils involvierten Akteuren
Cases aufkam, war die Ausprägung von Requirements generiert werden können. Dies hat zum einen den Vorteil
mit der dahinterstehenden Frage, ob ein Requirement einer ergänzenden visuellen Komponente, zum anderen
immer genau eine Ausprägung hat (beispielsweise eine können durch die Sequenzdiagramme auch die Szena-
sehr hohe Anforderung an die Verfügbarkeit) oder ob rien einfacher auf Konsistenz und Vollständigkeit geprüft
ein Requirement mehrere Ausprägungen haben kann werden. Neben den automatisch generierbaren Grafiken
(die Anforderung an die Verfügbarkeit kann normal, kamen auch weitere Exportfunktionen im UCMR hinzu.
hoch oder sehr hoch sein). Darüber hinaus gab es bei Eine der Exportfunktionen bildete dabei die Schnittstelle
der Strukturanalyse hinsichtlich des ISMS den Wunsch, zum Tool ARIS Governance Risk and Compliance (ARIS
die ausgetauschten Informationen in Oberkategorien zu steht für Architektur integrierter Informationssysteme,
bündeln, um unterschiedlich benannte, aber gleiche bzw. Methodik und Tool der Software AG), das im Laufe des
ähnliche Informationsobjekte zusammenzufassen und Projekts angepasst wurde, um darin die Strukturanalyse
bei späteren Schritten des exemplarischen ISMS, wie der des Schutzbedarfs im Sinne eines ISMS durchführen zu
Schutzbedarfsanalyse, ein Vererbungsprinzip zu realisie- können. Dies ist im Lösungselement „ARIS Governance
ren. Dies wurde über die Zuordnung der ausgetauschten Risk and Compliance als ISMS für enera“ beschrieben.
Informationen zu sogenannten High-Level-Informations- Eine weitere Exportfunktion bildet die Schnittstelle zur
objekten im UCMR angestrebt. Da dies im IEC 62559-2 SGAM-3D-Visualisierung. Hier können die Informationen
Template und somit auch im UCMR nicht vorgesehen zu einem Use Case aus dem UCMR als .ods-Datei expor-
war, die Realisierung jedoch kurzfristig gewünscht wurde, tiert und durch diese Datei direkt als Modell in der Visu-
wurde dies über das Anlegen einer entsprechenden alisierung geladen werden.
Requirements-Klasse realisiert. Bereits im IEC-Template
ist eine Verlinkung von ausgetauschten Informationen
zu Requirements vorgesehen, sodass dies ein technisch
gangbarer Weg war, wenn auch inhaltlich gemäß Temp-
late nicht so vorgesehen.
im Projekt und wurde in diesem Rahmen auch weiter- mation eXpression), eine standardisierte Sprache für die
entwickelt. Beschreibung von Cyber-Threat-Intelligence, von STIX 1.x
XML zu STIX 2.0 JSON das Format entsprechend angepasst.
Basierend auf einem generischen Use Case wurde ein für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) veröffent-
exemplarisches IT-Grundschutz-Profil für ein Virtuelles lichen Methoden des IT-Grundschutzes berücksichtigt.
Kraftwerk erarbeitet.
Weitere Beschränkungen lagen in der noch nicht auf die Die hier dargestellte Landkarte beschränkt sich auf einen
Unterstützung von Sicherheitskonzepterstellung opti- Geschäftsprozess. Die angegebene Modellierung ist zum
mierten Use-Case-Methodik sowie in dem Vorhanden- Teil exemplarisch zu sehen, da sie im Produktivbetrieb
sein von nur wenigen Bausteinen für die Industrielle IT von den tatsächlich eingesetzten Hard- und Software-
im IT-Grundschutzkompendium. produkten abhängt.
Schritte zur Einführung eines Informationssicherheits- Dabei kam uns zugute, dass zum Messen und Steuern
managementsystems nach BSI IT-Grundschutz durch SMGW vieles bereits durch die Technische Richt-
linie TR-03109 (BSI, TR-03109, 2015a) verbindlich vor-
gegeben und geregelt ist (siehe auch Abbildung 2). Sie
AUTOREN: ULRIKE HENSCHEL (IABG), FABIAN KARL (PPC), beschreibt die Anforderungen an die Funktionalität,
TOBIAS RICHTER (PPC) Interoperabilität und Sicherheit, die die Komponenten
im Umfeld des Smart Meterings erfüllen müssen, sowie
die Anforderungen zur Prüfung dieser Eigenschaften. So
Das Gesamtprojekt enera wurde unter dem Aspekt der konnten wir z. B. voraussetzen, dass der SMGW-Admi-
Informationssicherheit in acht thematische Schwer- nistrator entsprechend BSI TR-03109-6 (BSI, TR-03109-6,
punkte („Scopes“) unterteilt, von denen einer der hier 2015b) ein eigenes ISMS etabliert, ebenso wie Energie-
behandelte „Messen und Steuern via SMGW“ ist. Er war versorger und Messstellenbetreiber, die als sog. externe
der erste dieser Bereiche, für den wir alle Schritte zur Marktteilnehmer auf Daten auf dem SMGW bzw. Anlagen
Etablierung eines Informationssicherheitsmanagement- hinter dem SMGW zugreifen möchten. Daher nahmen
systems (ISMS, engl.: Information Security Management wir bei unseren Analysen vor allem das unmittelbare
System) nach BSI IT-Grundschutz (ITGS) durchführten1. Umfeld des SMGW in den Blick: Die Nutzer des SMGW, das
Die wesentliche Grundlage für unsere Arbeiten waren die Gebäude, in dem es sich befindet, und die über Schnitt-
Use Cases, die bereits zu Beginn des Projekts erarbeitet stellen verbundenen Geräte – immer ausgehend von den
worden waren. zu schützenden Informationen.
Schutzbedarfsfeststellung
ABBILDUNG 3: SCHRITTE ZUR EINFÜHRUNG EINES ISMS (QUELLE: Leitfrage: Welche Assets haben welchen Schutzbedarf?
BSI) Für alle Informationen, Anwendungen, Systeme, Stand-
orte (Infrastruktur) und Kommunikationsverbindungen
wurde der Schutzbedarf festgestellt, beginnend mit den
übermittelten Informationen. Die Vererbung des Schutz-
AP 12
Die vorausgehenden bzw. anschließenden Schritte zur bedarfs ist in Abbildung 5 schematisch dargestellt. In
Initiierung des Sicherheitsprozesses und zur Realisie- unserem Beispiel hieß das: Die Schutzbedarfsfeststellung
rung, d. h. zur konkreten Umsetzung der erforderlichen begann mit sog. High-Level-InfoObjekten, zu denen die
übermittelten Informationen (siehe Informationsobjekt Schutzbedarfs auf die Infrastruktur (siehe Infrastruktur
in Abbildung 5) Use-Case-übergreifend und struktu- (Standort) in Abbildung 5) und die Kommunikations-
rierend zusammengefasst wurden. Es wurde wie im IT- netze (siehe Netze/Kommunikationsverbindungen in
Grundschutz üblich nach den Schutzzielen „Vertraulich- Abbildung 5), über die die Anwendungen und Systeme
keit“, „Integrität“ und „Verfügbarkeit“ differenziert und miteinander kommunizieren bzw. über deren Schnitt-
der Schutzbedarf wurde in den üblichen Stufen „normal“, stellen die Informationen übertragen werden. Bei der
„hoch“ und „sehr hoch“ eingeteilt. Zusätzlich erfassten Vererbung des Schutzbedarfs wird u. a. das sog. Maxi-
wir den Schutzbedarf für das Schutzziel „Authentizität“, mum-Prinzip angewendet, d. h., die Information mit dem
weil bei diesem Schutzziel die steuerungsrelevanten höchsten Schutzbedarf bestimmt den Schutzbedarf des
Informationen z. T. einen höheren Schutzbedarf haben verarbeitenden Systems5. Ein Beispiel für die Vererbung
als für das Schutzziel „Integrität“. Der Grund liegt darin, des Schutzbedarfs entsprechend dem Maximum-Prinzip
dass es bei diesen Informationen besonders wichtig ist, ist in Abbildung 6 dargestellt.
dass Urheber und Herkunft der Informationen nicht ver-
fälscht werden.
Modellierung
Leitfrage: Sind die Bausteine und Anforderungen des
ABBILDUNG 6: VERERBUNG DES SCHUTZBEDARFS (BEISPIEL FÜR
MAXIMUM-PRINZIP) BSI IT-Grundschutz bezogen auf die Assets und ihren
Schutzbedarf ausreichend?
Bei der sogenannten „Modellierung“ nach BSI IT-Grund-
schutz (ITGS) werden den Assets im Scope die jeweils pas-
senden Bausteine des BSI-IT-Grundschutz-Kompendiums
Die Schutzbedarfsfeststellung im Scope „Messen und (BSI, ITGS-Kompendium, 2020) zugeordnet, das z. Zt. etwa
Steuern via SMGW“ ergab, dass in keinem Fall der Schutz- einhundert Bausteine umfasst. Es gibt Bausteine für die
bedarf „sehr hoch“ festgestellt wurde. verschiedenen Prozesse und organisatorischen Aspekte,
die in einem ISMS übergreifend zu regeln sind, sowie
Der Schutzbedarf „hoch“ wurde in der initialen Schutz- Bausteine für Anwendungen, IT-Systeme, Infrastruktur,
bedarfsfeststellung, also für High-Level-Info-Objekte Netze und Kommunikationsverbindungen. So gibt es z. B.
und die zugehörigen Informationsobjekte vor allem aus die Bausteine OPS1.1.1 „Ordnungsgemäße IT-Administra-
einem der folgenden Gründe vergeben: tion“ wie auch APP.2.2. „Active Directory“, SYS.2.2.3 „Clients
unter Windows 10“, IND.1 „Betriebs- und Steuerungstech-
• Bezogen auf Schutzziel „Vertraulichkeit“: Schutz vor nik“ und INF.4 „IT-Verkabelung“.
Missbrauch von auf Personen beziehbaren Daten6
(z. B. Schlussfolgerungen über An-/Abwesenheiten). In jedem ITGS-Baustein wurden die Schwachstellen-,
• Bezogen auf Schutzziel „Verfügbarkeit“: Sicherstellung Bedrohungs- und Risikoanalyse für den jeweiligen
der Verfügbarkeit von Informationen, die für die Prozess oder das jeweilige Asset bezogen auf Schutz-
Berechnung des Zustands des Netzes und somit für bedarf „normal“ bereits allgemeingültig durchgeführt.
die Versorgungssicherheit erforderlich sind. Alle spezifischen Gefährdungen und Risiken sind bereits
• Bezogen auf Schutzziel „Integrität“: Schutz vor den identifiziert und im Baustein beschrieben. Vor diesem
negativen Auswirkungen manipulierter Daten auf Hintergrund werden im Baustein jeweils spezifische
Versorgungssicherheit und Ansehen . Anforderungen (vielfach bis zu 20 oder mehr) vorgege-
• Bezogen auf Schutzziel „Authentizität“: Sicherstel- ben, durch deren Erfüllung (d. h. durch Umsetzung der
lung der eindeutigen Bestimmbarkeit der Herkunft entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen) eine sog. Stan-
AP 12
steuerungsrelevanter Informationen (Relevanz für die dard-Absicherung – welche für den Schutzbedarf „nor-
Versorgungssicherheit). mal“ ausreicht – erreicht werden kann. Ergänzend werden
in den Bausteinen weitere Anforderungen aufgeführt, die
• Baustein NET 1.3 „Network Access Control“ (Ankündi- Im Folgenden werden die einzelnen Risikobereiche im
gung in 2018, liegt noch nicht vor), er wird benötigt für Scope „Messen und Steuern via SMGW“ im Detail darge-
die Modellierung der HAN- und der LMN-Verbindung. stellt und erläutert.
• Bausteine der Ebene NET zur Mobilfunk-Anbindung,
Mobilfunk-Nutzung (LTE, CDMA 450) sowie zum Betrieb • Risikobereich „Verlust der Vertraulichkeit von auf
eines Mobilfunk-Netzes werden für die Modellierung Personen beziehbaren Daten“: Ein hoher Schutzbe-
der WAN-Verbindungen benötigt. darf der Vertraulichkeit entsteht bei der Verarbeitung,
• Bausteine der Ebene NET zur kabellosen und zur Übertragung und Speicherung von Messdaten und
kabelgebundenen Zähleranbindung werden für die Verbrauchsdaten. Durch den Missbrauch dieser auf
Modellierung der LMN-Verbindung benötigt. Personen beziehbaren Daten6 (z. B. Schlussfolgerun-
• Ein ITGS-Baustein zur SMGW-Administration fehlt gen über An-/Abwesenheiten) wäre eine erhebliche
noch. Beeinträchtigung betroffener Verbraucher möglich.
• Risikobereich „Verlust der Integrität und
Eine Risikoanalyse war also aufgrund der unvollständigen Authentizität (Schwerpunkt) und Verfügbarkeit von
Abdeckung durch Bausteine erforderlich, und insbeson- Kontroll- und Steuerungsdaten und -funktionen“:
dere auch aufgrund des bereits bei der Schutzbedarfs- Ein hoher Schutzbedarf der Integrität, Authentizität
feststellung erhobenen Schutzbedarfs, der über „normal“ und Verfügbarkeit (z. T. auch der Vertraulichkeit) ent-
hinausgeht und der daher von den Anforderungen in den steht bei der Verarbeitung, Übertragung und Speiche-
Bausteinen nicht ausreichend adressiert wird. rung von Messdaten, Netzzustandsdaten, steuernden
Einzelbefehlen oder Fahrplänen sowie Prognosen. Die
Risikobewertung: mittel, mit ergänzenden Maßnahmen: Risikobewertung: mittel, mit ergänzenden Maßnahmen:
tragbar. tragbar.
1. Anlagen, die für netzdienliche Schaltungen eingesetzt 1. Die geltenden Normen für Zählerschränke müssen
werden, dürfen ausschließlich über das SMGW in das beachtet werden, damit die darin verbauten Zähler
WAN kommunizieren. Weitere, parallele Kommunika- gegen Feuchtigkeit, Verschmutzung, Erschütterung,
tionsverbindungen ins WAN sind nicht zulässig. mechanische Beschädigung und hohe Temperaturen
2. Anlagen, die für netzdienliche Schaltungen eingesetzt ausreichend geschützt werden. Zu beachten sind
werden, sollten mit IT-Sicherheitskennzeichen8 aus- beispielsweise die Normen bzw. Anwendungsregeln:
gestattet sein. Hersteller solcher Anlagen sollten eine • VDE-AR 4101:2015-09
Vertrauenswürdigkeitserklärung über die gesamte • VDE-AR-N 4100:2019-04
Lieferkette vorlegen können. Siehe hierzu auch die • DIN 43870 (Zählerplätze)
geplanten Änderungen im IT-Sicherheitsgesetz 2.0. • DIN VDE 0603 (Zählerplätze)
3. Das Risikobewusstsein der Betreiber von CLS-Anlagen • DIN 18013 (Nischen f. Zählerschränke)
im Privathaushalt im Umgang mit persönlichen 2. Das Risikobewusstsein der Eigentümer von Zähler-
Berechtigungen und personenbezogenen sowie auf schränken hinsichtlich Schäden, die durch unbefugtes
Personen und deren Lebensgewohnheiten bezieh- Eindringen entstehen können, sollte erhöht werden.
baren Daten sollte erhöht werden. 3. Die Maßnahmen gegen das unbefugte Eindringen
4. Das Risikobewusstsein der Betreiber von CLS-Anlagen in ein beliebiges (privates) Gebäude bzw. Gebäude/
im Privathaushalt hinsichtlich finanzieller Folgen bei Container innerhalb eines abgezäunten Bereichs
nicht verfügbarer Flexibilität (ausbleibende Vergü- sollten umgesetzt werden, siehe unten die Gefähr-
tung, mögliche Vertragsstrafen) sollte erhöht werden. dung „Unbefugtes Eindringen in Räumlichkeiten“.
Hierdurch wird auch der Schutz des in dem Gebäude
befindlichen Zählerschranks erhöht.
Risikoreduktion durch die folgenden ergänzenden • Sie genügen evtl. nicht dem aktuellen Stand der
Sicherheitsmaßnahmen: Sicherheitstechnik .
Die folgenden Sicherheitsmaßnahmen entsprechen • Ihre Administration und Wartung erfolgt evtl. nicht
anteilig den Maßnahmen für den sicheren Betrieb von sowie sicherheitstechnisch erforderlich.
CLS-Anlagen, s. o.
In der Risikobehandlung konnten für den hier beschrie-
1. Das Risikobewusstsein von Hausbesitzern und benen Scope „Messen und Steuern via SMGW“ entspre-
Hausverwaltungen zur Absicherung von privaten chende Anforderungen definiert werden, sodass im Fall
Gebäuden, in denen steuerbare Anlagen betrieben der Umsetzung dieser Anforderungen durch geeignete
werden, im Umgang mit persönlichen Berechtigungen Sicherheitsmaßnahmen keine untragbaren Risiken ver-
und personenbezogenen sowie auf Personen und bleiben. Eine Anpassung der Szenarien in den Use Cases
deren Lebensgewohnheiten beziehbaren Daten sollte – wie dies bei Nutzung der Option „Risikovermeidung
erhöht werden. durch Umstrukturierung“ im Falle nicht ausreichender
2. Das Risikobewusstsein von Hausbesitzern und Haus- Maßnahmen nötig geworden wäre – war daher nicht
verwaltungen zur Absicherung von privaten Gebäu- erforderlich.
den, in denen CLS betrieben werden, hinsichtlich
finanzieller Folgen bei nicht verfügbarer Flexibilität Die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen in
(ausbleibende Vergütung, mögliche Vertragsstrafen) privaten Anlagen, Wohn- und sonstigen Gebäuden
sollte erhöht werden. liegt vielfach nicht im Einflussbereich eines SMGW-
Administrators, MSB oder EMT. Daher thematisieren die
Zusammenfassung Vorschläge vor allem eine Erhöhung des Risikobewusst-
Im enera Scope „Messen und Steuern via SMGW“ war seins bei den Betreibern der CLS, sowohl unter Aspekten
zusätzlich zu den bereits durch BSI IT-Grundschutz (ITGS) des Datenschutzes als auch hinsichtlich finanzieller
und Technische Richtlinien des BSI vorgesehenen Sicher- Auswirkungen bei Ausfällen unterschiedlicher Ursache.
heitsanforderungen und Sicherheitsmaßnahmen eine Weitere Maßnahmen zur Risikobehandlung beziehen sich
ergänzende Risikoanalyse erforderlich. Gründe dafür direkt auf die betriebenen Anlagen (CLS), insbesondere
waren zum einen die nicht modellierbaren Anteile (z. B. hinsichtlich der Risiken aus unzulässigen Kommunikati-
ist das Thema Funkanbindung nicht durch ITGS-Bau- onsverbindungen ins WAN und der Risiken aus ungeprüf-
steine abgedeckt) und zum anderen der erhöhte Schutz- ten Geräten unklarer Herkunft. Möglicherweise wird es
bedarf aus den folgenden Gründen (die auch in weiteren hierzu passende Regelungen (IT-Sicherheitskennzeichen,
enera Scopes bestehen): transparente Lieferkette) im zukünftigen IT-Sicherheits-
gesetz 2.0 geben.
• Vorhandensein personenbezogener und auf Personen
AP 12
beziehbarer Daten
• Spezifische in der Energiewirtschaft eingesetzte
Technologien wie CLS
APEL, R., BEER, D., BRÜNING, C., CLAUSEN, M., DORCHAIN, M.,
HENSCHEL, U., … ROSMUS, K. (2019a). Ergebnisdokument AS
12.2.8 „Schutzbedarfsfeststellung“. Oldenburg: enera.
APEL, R., BEER, D., BRÜNING, C., CLAUSEN, M., DORCHAIN, M.,
HENSCHEL, U., … ROSMUS, K. (2019b). Ergebnisdokument AS
12.2.9 und AS 12.2.10 „Schwachstellen-, Bedrohungs- und Risi-
koanalyse“ und „Risikobehandlung“. Oldenburg: enera.
BSI (2017a). BSI-Standard 200-1: Managementsysteme für In- 3 Siehe Website des BSI: https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/ITGrund-
schutz/ITGrundschutzStandards/ITGrundschutzStandards_node.html.
formationssicherheit (ISMS). Version 1.0. (BSI, Hrsg.).
4 Industrial Control Systems (ICS) sind Automatisierungs-, Prozesssteuerungs-
und Prozessleitsysteme.
BSI (2017b). BSI-Standard 200-2: IT-Grundschutz-Methodik. 5 Es gibt weitere Regeln zur Vererbung des Schutzbedarfs. Im Falle einer zu
starken Wirkung des „Maximum-Prinzips“ kann z. B. relativierend das „Vertei-
Version 1.0. (BSI, Hrsg.). lungsprinzip“ angewendet werden. Näheres hierzu siehe hierzu im BSI-Stan-
dard 200-2 (BSI, BSI-Standard 200-2, 2017b).
BSI (2020). IT-Grundschutz-Kompendium. 3. (BSI, Hrsg.). 6 Personenbeziehbare Daten sind im Unterschied zu personenbezogenen Da-
ten (wie Name, Geburtsdatum usw.) laut Datenschutzrecht Daten ohne direk-
ten Bezug auf eine Person, aus denen sich jedoch eine Person herleiten lässt,
wie z. B. neben Messwerten auch IP-Adresse, Kfz-Kennzeichen usw.
7 Dieser Baustein INF.5 „Raum sowie Schrank für technische Infrastruktur“
liegt mittlerweile vor.
Security-Kennzahlensystem/Dashboard
Softwaregestütztes Kennzahlensystem zur Bewertung Um möglichst viele Bereiche abzudecken, wurde früh
von Architektureigenschaften entschieden, die Kennzahlen und Metriken auf die jewei-
ligen Ebenen des SGAM, das in Abbildung 1 dargestellt ist,
zu beziehen. Die fünf Interoperabilitätsebenen des SGAM
AUTOREN: MARC DORCHAIN (SOFTWARE AG), MARIE sind dabei die folgenden:
CLAUSEN (OFFIS)
• Die Komponentenebene repräsentiert die physischen
Komponenten und deren physische Verbindungen.
Kennzahlensystem • Auf der Kommunikationsebene werden Protokolle
Im Projekt enera spielten Use Cases, insbesondere zum und Mechanismen für den Informationsaustausch
Projektstart, eine sehr zentrale Rolle und es wurden beschrieben.
zu allen Lösungsansätzen Use Cases beschrieben. Eine • Die Informationsebene stellt Informationsobjekte
genauere Beschreibung von Use Cases und deren Hin- und Datenmodelle, die übertragen werden, dar
tergrund ist beim Lösungselement „Erweiterung des Use • Die Funktionsebene repräsentiert Funktionen und
Case Management Repositories (UCMR)“ zu finden. Eine Services zwischen den Komponenten.
der darauf aufbauenden Fragen war, wie sich Use Cases • Auf der Businessebene werden Geschäftsmodelle,
und zugehörige Modelle im Smart Grid Architektur Modell sowie ökonomische und regulatorische Aspekte
(SGAM1) – z. B. in einem Entwicklungsstadium wie zu beschrieben.
Projektbeginn – mittels Kennzahlen und Metriken bewer-
ten lassen, um deren Wirkungsfelder zu klassifizieren. Darüber hinaus gibt es das Thema Sicherheit, das sich als
Dabei sollte das zu entwickelnde Kennzahlensystem eng Querschnittsfunktion auf alle fünf Ebenen auswirkt. Die
an Informationen aus dem Use Case Template angelehnt ersten drei aufgezählten Ebenen sind technische Ebenen,
sein, um ausgehend von einem beschriebenen Use Case die letzten zwei organisatorische. Es hat sich heraus-
mit wenigen, fachlich spezifizierten Zusatzinformationen gestellt, dass eine quantitative Bewertung auf den orga-
direkt die Bewertung vornehmen zu können. nisatorischen Ebenen eher schwierig ist, daher werden
nur die drei technischen Ebenen – die Komponenten-,
Kommunikations- und Informationsebene – im Kennzah-
lensystem berücksichtigt. Zusätzlich wurde eine weitere
Metrik für die Querschnittsfunktion Sicherheit entwickelt.
Metrik 1: Konnektivitätsindex
Die erste Metrik wird als Konnektivitätsindex bezeichnet
und berechnet sich auf Komponentenebene aus dem
Verhältnis von physikalischen Verbindungen zwischen
Akteuren zu den am Use Case beteiligten Akteuren.
Auch hier muss die Bestimmung der Level gemäß LCIM bei
der Anwendung der Metrik ergänzt werden, der i-Score
macht eine Aussage über die Kompatibilität des im Use
Case vorgesehenen Informationsaustauschs zwischen
AP 12
Dashboard
Bei der Entwicklung des Dashboards ist zunächst ein
technischer Vergleich verschiedener Frameworks zur
Entwicklung von Webanwendungen erfolgt. Dazu sind 1 Das SGAM ist ein Framework für die einheitliche Beschreibung von System-
architekturen für Smart-Grids.
mehrere Prototypen erstellt worden, die technisch unter-
schiedlich umgesetzt wurden. Diese wurden in techni- 2 UCMR steht für Use Case Management Repository und wurde im Projekt
enera für die Erfassung und Bearbeitung der Vielzahl an Use Cases verwendet.
scher Hinsicht miteinander verglichen, hatten jedoch alle
dasselbe fachliche Ziel – die Abbildung und Auswertung 3 Die SGAM 3D-Visualisierung ist ein weiteres Tool, das im Projekt genutzt
wurde. Hier werden Akteure mit ihrer zugehörigen SGAM-Ebene, Zone und
der Analysen hinsichtlich eines ISMS (Strukturanalyse, Domäne und Verbindungen zwischen Akteuren als Tabelle eingelesen und in
Schutzbedarfsfeststellung, Modellierung, Ergänzende einem dreidimensionalen Modell dargestellt.
Risikoanalyse und Risikobehandlung), die im Rahmen 4 Das Air Force Institute of Technology ist eine Graduiertenschule und Anbie-
ter von Berufs- und Weiterbildung für die Streitkräfte der Vereinigten Staaten.
von enera in diesem Arbeitspaket durchgeführt wurden.
Die Analyse basierte dabei auf den im Rahmen des enera 5 Tolk, Andreas, and James A. Muguira. „The levels of conceptual interoperabi-
lity model.“ Proceedings of the 2003 fall simulation interoperability workshop.
Projekts übergreifend erstellten ca. 60 Use Cases, auf die Vol. 7. Citeseer, 2003.
im Lösungselement „Erweiterung des Use Case Manage-
Energieversorgung. Sie ergänzt und vertieft diese in Bezug Ferner enthält das ICS-Security-Kompendium ein Kapitel
auf Prozesssteuerungssysteme und Netzwerke zur Steue- zur Methodik für Audits von ICS-Installationen sowie
rung und Überwachung von Erzeugung, Übertragung und einen ergänzenden Anteil mit Testempfehlungen und
Ein weiterer Vorteil einer IS-Revision gegenüber einem Penetrationstests darin, dass er keinen solchen genauen
Audit ist, dass es nicht um „Bestehen oder Durchfallen“ Vorgaben folgt. Vielmehr wird bezogen auf ein konkretes
geht, sondern darum, herauszufinden, wo dringender System situationsbezogen versucht, erfolgreiche Angriffe
Handlungsbedarf besteht und welche Sicherheitsmängel durchzuführen, also zu prüfen, welche Angriffe erfolgreich
vorrangig bearbeitet werden sollten. Eine IS-Revision sind bzw. sein könnten (im Sinne eines Negativ-Tests).
ist also auch dann erfolgreich, wenn schwerwiegende Dabei hängt das Vorgehen stark von der Kreativität der
Probleme aufgedeckt werden. Somit ändert sich auch Tester ab.
beim Geprüften der Ansatz weg von dem Gedanken,
einem Prüfer etwas nachzuweisen hin zu dem Gedanken, Vorteile von Penetrationstests gegenüber anderen
gezielt Fehler und Schwachstellen aufzudecken. Prüfungsarten sind, dass genau identifizierte und ana-
lysierbare Schwachstellen und Sicherheitslücken erkannt
Konsequent durchgeführte IS-Revisionen, etwa als werden, so dass konkrete, nachvollziehbare und nach-
IS-Querschnittsrevision mit zusätzlichen IS-Partial- prüfbare Korrektur- und Gegenmaßnahmen ergriffen
revisionen, können daher zur Überwachung des Sicher- werden können.
heitsniveaus sogar als geeigneter angesehen werden als
Zertifizierungsaudits. In Tabelle 1 werden die drei Arten Nachteile bestehen zum einen darin, dass bei alleiniger
von IS-Revisionen in ihrer Funktion im Sicherheitsprozess Durchführung von Penetrationstests möglicherweise
verglichen. keine Gesamtsicht des Problems vorliegt und zum
anderen darin, dass sie – je nach Ausgestaltung – einen
4. Penetrationstest starken Eingriff in einen Informationsverbund darstellen
Ein IS-Penetrationstest ist ein Vorgehen, um das Angriffs- können.
potenzial auf ein IT-Netz, ein einzelnes IT-System oder
eine (Web-)Anwendung festzustellen. Bei IS-Penetra- 5. zertifizierung
tionstests werden vorrangig Schnittstellen untersucht, Ein Zertifikat (bzw. das vor dessen Vergabe notwendige
über die potenzielle Angreifer in die untersuchten IT-Sys- Zertifizierungsaudit) kann andere Überprüfungen nicht
teme eindringen könnten. Hierbei werden Konfigurations- ersetzen. Wenn allerdings eine Institution eine Zertifizie-
fehler sowie technische, organisatorische und personelle rung ernst nimmt und alle zur Erreichung und Aufrecht-
Schwachstellen identifiziert. erhaltung des Zertifikates erforderlichen Anforderungen
kontinuierlich umsetzt, ist sie im Zuge dessen auch
Im Unterschied zu einem Audit sind Organisation, Doku- gezwungen, interne Revisionen, Protokollauswertungen,
mentation und Prozesse nicht Gegenstand eines Pene- Reviews etc. durchzuführen. Bei einigen Zertifizierungen
trationstests. Auch von einem technischen Audit unter- (z. B. TR-03109-6 SMGWA) sind auch regelmäßige Penet-
scheidet sich ein Penetrationstest: Während ein Audit rationstests Pflicht.
bestimmten Vorgaben folgt und dabei geprüft wird, ob
diesen entsprochen wird bzw. ob sie umgesetzt wurden In Deutschland am weitesten verbreitet sind Zertifizierun-
(im Sinne eines Positiv-Tests), liegt die Besonderheit des gen nach der internationalen Norm ISO 27001 und nach
– BSIZertV)16 die Aufgabe, Zertifizierungen informations- Institution mit allen Prozessen, Organisationselemen-
technischer Produkte oder Komponenten sowie informa- ten und Informationen / Daten.
tionstechnischer Systeme durchzuführen. Des Weiteren 2. Planmäßige Umsetzung von Sicherheitsmaßnahmen.
1 Im IT-Grundschutz (ITGS) des BSI gibt es z. B. zu einem großen Teil der ITGS-
Bausteine Umsetzungshinweise, in denen konkrete Maßnahmen aufgeführt
sind.
8 Die SIA ist eine Referenzarchitektur notwendiger Standards für die Umset-
zung eines Smart Grids und wird im Standard IEC 62357 definiert.
9 Dies wird abhängig von der Art des Audits unterschiedlich streng ausgelegt.
10 Siehe: https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/Grund-
schutz/Zertifikat/ISO27001/Auditierungsschema_Kompendium.pdf.
11 Siehe: https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/Cyber-Sicherheit/Dienstleis-
tungen/ISRevision/Leitfaden/leitfaden.html.
12 Siehe: https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/Grund-
schutz/Zertifikat/ISO27001/Auditierungsschema_Kompendium.pdf.
15 Siehe: https://www.it-planungsrat.de/SharedDocs/Downloads/DE/Ent-
scheidungen/16_Sitzung/05_Gutachten%20ISIS12.pdf.
16 Siehe: https://www.bsi.bund.de/DE/Themen/ZertifizierungundAnerken-
AP 12
nung/Produktzertifizierung/Produktzertifizierung_node.html.
17 Siehe: https://www.vda.de/de/services/Publikationen/information-secu-
rity-assessment.html.
AUTOR: DENNIS BEER (EWE NETZ GMBH) von „außen“ in ein bestimmtes Computersystem bzw.
-netzwerk einzudringen, um Schwachstellen zu identifi-
zieren. Dazu werden die gleichen bzw. ähnliche Techniken
1. Einleitung eingesetzt, die auch bei einem realen Angriff verwendet
Externe Angreifer sind fortlaufend auf der Suche nach werden.“ [BSI-Studie, S. 4].
Schwachstellen an Hard- und Software von IT-Systemen,
um diese zur Verfolgung ihrer jeweiligen Motivation aus- In den folgenden Kapiteln wird an einem konkreten
zunutzen und bedrohen somit deren IT-Sicherheit. Bei- Beispiel die Vorbereitung eines Penetrationstests dar-
spiele für die Motivationen der Angreifer sind wirtschaft- gestellt.
liche Vorteile, Neugier, persönliche Anerkennung oder
politische oder terroristische Ziele. 2. Definition des Prüfrahmens
Zur konkreten Definition des Prüfungsrahmens hat sich
Durch die Analyse der Programmierung von Software- die Vorgehensweise des Praxis-Leitfadens für IS-Pene-
komponenten der IT-Systeme werden durch Angreifer trationstests1 des BSI als sehr geeignet erwiesen. Dieser
Schwachstellen dieser Komponenten entdeckt, die lokal gliedert sich in vier Aspekte:
oder remote ausnutzbar sind. Zudem sind IT-Systeme
auch fortlaufenden Änderungen an Hard- und Software- 1. Festlegung des Prüfobjekts
komponenten ausgesetzt. Diese können ebenfalls dazu 2. Festlegung des Prüfumfangs
führen, dass sich Schwachstellen in der IT-Sicherheit 3. Dokumentation
der Systeme ergeben. Beispielsweise könnte eine unzu- 4. Verantwortlichkeiten
reichende Planung bei den Änderungen der Architektur
vorgenommen werden oder eine fehlerhafte Konfigura- 2.1 Festlegung des Prüfobjekts
tion sicherheitsrelevanter Parameter stattfinden, sodass Im konkreten Fall wurde ein Penetrationstest für zwei
dies Schwachstellen entstehen lässt und somit Angriffe verschiedene IT-Komponenten durchgeführt, zum einen
begünstigt. für den regelbaren Ortsnetztransformator (rONT), zum
anderen für den Netzregler.
Aus diesen Aspekten ergibt sich, dass IT-Systeme ständi-
gen Bedrohungen ausgesetzt sind und sich gleichzeitig Der regelbare Ortsnetztransformator (rONT) ist ein Sen-
Schwachstellen an den Systemen ergeben, was wiederum sor und Aktor im Stromnetz, der die elektrische Spannung
zu Risiken bei diesen Systemen führt. Eine kontinuierliche aus dem Mittelspannungsnetz in die der Niederspan-
Überwachung und Anpassung der IT-Sicherheit ist somit nung transformiert. Als Sensorik ist die Spannungs- und
geboten. Ohnehin ist eine Basis-Anforderung im Rahmen Phasenstrommessung an der Unterspannungsseite des
der Umsetzung aller gängigen Sicherheitsstandards die Trafos integriert, als Aktorik dient ein Stellmotor für den
Einführung eines fortlaufenden Kontroll- und Verbesse- Stufenschalter.
rungsprozesses.
Das System wird zentral durch eine Speicherprogram-
Da diverse Systeme im Rahmen des Gesamtvorhabens mierbare Steuerung (SPS) gesteuert, die Datenaufberei-
enera aufgebaut wurden, ergab sich auch dort die Anfor- tung erfolgte über eine Fernwirkanlage und die Kommu-
derung, diese Systeme hinsichtlich ihrer IT-Sicherheit nikation über ein Funkmodem. Diese Systeme werden
zu prüfen. Eine wichtige Maßnahme zur Prüfung des dezentral im Stromnetz eingesetzt und sind somit einem
Ist-Stands im Bereich der IT-Sicherheit sind Penetra- höheren Risiko für physischen Zugriff ausgesetzt als
tionstests. Unter einem Penetrationstest versteht man gewöhnliche IT-Systeme.
im Bereich der IT-Sicherheit „den kontrollierten Versuch,
2.1.3 Szenario 3: Manipulation des Netzreglers Durch einen zweigeteilten Test sowohl unter Labor-
Im dritten Angriffsszenario wird eine Übernahme des IT- Bedingungen wie auch unter Realbedingungen kann
Systems des Netzreglers betrachtet. Da auch diese einge- im Labor für den rONT ein eher aggressives Vorgehen
setzte Komponente auf einem Standard-Betriebssystem gewählt werden, während im zweiten Schritt unter Real-
basiert, könnte auch dieses System als Basis für Angriffe bedingungen für den Netzregler und rONT vorsichtig und
eingesetzt werden. verifizierend gehandelt wird.
In der vorliegenden Konstellation sind primär Angriffe Der Umfang des Tests wurde begrenzt auf einzelne Kom-
über das Netzwerk zu erwarten, da ein physischer Angriff ponenten der Systeme gewählt, nämlich die Systeme des
auf dieses System aufgrund der abgeschotteten Situation rONT und des Netzreglers, jedoch nicht auf das gesamte
im Rechenzentrum eher unwahrscheinlich ist. Darüber Leitstellennetzwerk.
hinaus handelt es sich bei dem System um einen Stan-
dard-Server bei dem ebenfalls die Standard-Härtungs- Ebenfalls wurde die offensichtliche Vorgehensweise
maßnahmen des operativen IT-Betriebs anwendbar sind. gewählt, da aufgrund der Kritikalität der Systeme im
AP 12
2.4 Verantwortlichkeiten
Die Verantwortlichkeiten wurden in gemeinsamen
Gesprächen zwischen den Prüfern und den Systemver-
antwortlichen definiert und dokumentiert. Dies betrifft
insbesondere die Prüfzeiträume und die jeweiligen
Ansprechpartner bei Rückfragen während dieses Zeit-
raums sowie die Beistellpflichten der Systemverantwort-
lichen (Bereitstellung von Dokumentation, Hardware und
Netzwerkzugriff).
3. Ergebnisse
Das gewählte Vorgehensmodell anhand der Dokumenta-
tion des BSI hat zu einem sehr strukturierten und effek-
tiven Ablauf in der Vorbereitung und Durchführung des
Penetrationstests geführt. Die Ergebnisse der Prüfungen
führten direkt zu Maßnahmen zur Verbesserung der IT-
Sicherheit.
1 Der Leitfaden für IS-Penetrationstests ist auf den Webseiten des BSI unter
https://www.bsi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/BSI/Sicherheitsbera-
tung/Pentest_Webcheck/Leitfaden_Penetrationstest.html zu finden.
Ein methodisches Framework zur Verfolgung von Im Folgenden stellen wir vor, wie ein entsprechender
Qualitätszielen Assurance Case als Leitfaden zur Erhebung von ange-
strebten Qualitätseigenschaften in Use Cases verwendet
werden kann. Der folgende Abschnitt stellt den allgemei-
AUTOREN: DENIS UECKER, DR. REINHARD SCHWARZ, HANNA nen Ausgangspunkt zur Berücksichtigung von sämtlichen
ALZUGHBI (ALLE FRAUNHOFER IESE) Qualitätseigenschaften der Norm ISO 25010 mit dem Titel
»Software-Engineering – Qualitätskriterien und Bewer-
tung von Softwareprodukten (SQuaRE)« vor. In Abschnitt
1. Einleitung 3 wird der Assurance Case anhand eines konkreten Fall-
Use Cases dienen dazu, Ziele und Funktionen eines beispiels erläutert. Der Bericht zu diesem Lösungsele-
Systems aus Nutzersicht zu beschreiben (Jacobson, ment schließt mit einer Diskussion und einem Ausblick
Spence, & Bittner, 2011). Damit können sie bereits in einer auf weitere Arbeiten.
frühen Projektphase eingesetzt werden, um mit Stake-
holdern das Systemverhalten funktional zu spezifizieren. 2. Ausgangspunkt des Assurance Cases
Aber auch Qualitätseigenschaften lassen sich hier bereits Die Anforderungsanalyse verfolgt das Ziel, neben funk-
spezifizieren. Diese werden jedoch oftmals nicht kommu- tionalen Anforderungen auch ein möglichst vollständiges
niziert, da sie aus Sicht der Stakeholder entweder selbst- Set von Qualitätsanforderungen an ein System zu erhe-
verständlich sind oder weil die Stakeholder sie zunächst ben. Als Ausgangspunkt kann dies als sehr allgemeines
noch nicht absehen können. Um Qualitätsanforderungen Ziel »G1: All relevant quality properties have been
»aus den Köpfen« der Stakeholder zu extrahieren, haben addressed properly« formuliert werden. Es geht also um
sich Leitfäden als probates Mittel erwiesen. Vollständigkeit, Relevanz und angemessene Adressierung
von Qualitätseigenschaften, wie im Folgenden erläutert
Einen solchen Leitfaden kann ein Assurance Case (SCSC wird.
Assurance Case Working Group, 2018) darstellen. Dieser
dient der Orientierung bei der Erhebung eines Use Cases, • Um die Vollständigkeit zu evaluieren, muss zunächst
indem Ziele für den Use Case festgelegt und deren Erfül- die Menge der möglichen Qualitätseigenschaften
lungen durch den Use Case verfolgt werden. Der Assu- definiert werden. Hier kann auf die Qualitätseigen-
rance Case leitet dabei den Requirements Engineer durch schaften zurückgegriffen werden, welche die Norm
die nötigen Prozessschritte zur Dekomposition der Use ISO/IEC 25010 für Systeme und Software vorschlägt.
Case-Ziele und deren Rückverfolgung in der Use-Case- Werden alle dort genannten Qualitätseigenschaften
Beschreibung. Durch zusätzliche Informationen wie die adressiert, ist die Vollständigkeit im Kontext der ISO/
Dekompositionsstrategie zur Unterteilung eines Ziels, IEC 25010 erreicht.
die Justifikation eines Ziels oder einer Dekompositions- • Allerdings sind nicht alle Qualitätseigenschaften aus
strategie, die Annahmen sowie den Kontext lässt sich der ISO/IEC 25010 relevant für jeden Anwendungsfall.
die adäquate Beschreibung eines Qualitätsziels nach- Damit die weitere Betrachtung auf die relevanten
vollziehen. Anschließend hierzu bietet der Assurance Qualitätseigenschaften beschränkt werden kann,
Case direkte Anknüpfungspunkte für die nachfolgenden muss daher zunächst deren Relevanz bewertet
Engineering-Tätigkeiten, welche die Qualitätseigenschaf- werden. Hieraus lässt sich das Ziel »G2: All relevant
ten adressieren. So kann der Assurance Case erweitert quality properties have been identified« ableiten.
werden und dokumentiert schlüssig und systematisch • Wenn alle relevanten Qualitätseigenschaften identi-
die Maßnahmen zur Zielerfüllung. Nähere Erläuterungen fiziert sind, müssen diese angemessen adressiert
der Elemente eines Assurance Cases sind in (Uecker, werden. Hierfür können wir für jede identifizierte
Schwarz, & Adler, 2019) beschrieben. Qualitätseigenschaft separate Ziele nach dem Muster
Auf dieser Ebene sind die Ziele immer noch sehr allge-
mein formuliert. Um aus ihnen umsetzbare Anforderun-
gen an das System abzuleiten, müssen sie weiter zerlegt
werden. Das Vorgehen soll anhand des Ziels G3 demonst-
riert werden. Das Ziel G4 wird hier nicht weiterverfolgt, da
das Vorgehen analog dazu ist.
wenig methodische Unterstützung bei der Erhebung erfahrenen Requirements Engineer einzubeziehen, da
eines Use Cases und speziell bei der Spezifikation von Use Cases in der Regel in einer frühen Entwicklungs-
Qualitätseigenschaften des Systems bieten. phase zur Kommunikation mit den Domänenexperten
Herstellerübergreifende Sicherheits-
architektur für Informations- und
Kommunikationstechnologien
AUTOREN: FABIAN KARL (PPC), TOBIAS RICHTER (PPC) namen und Passwörter für alle Geräte innerhalb eines
Netzwerks verwendet und werden, wenn überhaupt, nur
sehr selten geändert. Während dieses Vorgehen Vorteile
Was ist eine Sicherheitsarchitektur? in der Handhabung und vor allem in der Verwaltung gro-
In einem Arbeitsschritt in Arbeitspaket AP12 wurde ßer Netzwerke bietet, ist es im Hinblick auf die Sicherheit
ein übergeordnetes und herstellerunabhängiges IKT- als kritisch einzustufen, da es einen sog. Single Point of
Sicherheitskonzept1 entwickelt. Dieses Konzept ist auf Failure darstellt. Ein Angreifer, welcher sich Zugriff zu
Flächenkommunikationstechnologien wie beispielsweise diesen Zugangsdaten verschafft, kann mithilfe derselben
Mobilfunk oder Breitband Powerline (BPL) ausgelegt, die Kombination aus Benutzername und Passwort alle Geräte
in enera bei der Digitalisierung der Netze und darüber innerhalb des Netzwerks kompromittieren. Mindestens
hinaus im Rahmen der Digitalisierung der Energiewende eine eindeutige Kombination aus Benutzername und
zum Einsatz kommen werden. Das Sicherheitskonzept ist Passwort pro Endgerät wäre demnach empfehlenswert,
ein Bestandteil der enera Sicherheitsarchitektur, die im um Abhilfe zu schaffen. Ein großer Nachteil bei dieser
Rahmen des AP12 durch die Projektpartner gemeinsam Vorgehensweise liegt jedoch im großen Verwaltungs- und
entwickelt wird. Im Zusammenspiel mit weiteren Sicher- Implementierungsaufwand im NMS.
heitskonzepten und den daraus abgeleiteten Sicherheits-
maßnahmen entsteht eine enera Sicherheitsarchitektur Eine alternative Herangehensweise wäre die Nutzung
unter Einbeziehung der Bereiche Strategie, Management, von SNMP over Datagram Transport Layer Security (DTLS)
Infrastruktur, Software, Hardware, Zugriffskontrolle und und damit die Anwendung des Transport-Based Security
Notfallvorsorge2. Model (TSM), um den Schwächen von SNMPv3 zu begeg-
nen und auf diese Weise eine höhere Sicherheit beim
Eine grundlegende Voraussetzung für den sicheren Zugriff auf die Endgeräte herzustellen. Im Gegensatz zum
Betrieb von Informations- und Kommunikationsnetzen USM setzt das TSM auf eine zertifikatsbasierte Authenti-
ist es, die Infrastruktur von einer zentralen Stelle aus fizierung der Backendsysteme auf den Geräten. Darüber
konfigurieren und administrieren zu können. Dafür ist hinaus werden nicht die ausgetauschten Datenpakete
einerseits ein Netzwerkmanagementsystem (NMS) als verschlüsselt, sondern es wird ein gesicherter Daten-
Backend-Anwendung erforderlich, das die Endgeräte kanal zwischen Sender und Empfänger aufgebaut. Mit
meist mithilfe des Simple-Network-Management-Pro- anderen Worten liegt dem USM die Überlegung zugrunde,
tokolls (SNMP) verwaltet. Andererseits muss ein Mecha- dass es ausreicht, die Datenpakete gegen unbefugten
nismus für den sicheren und gleichzeitig komfortablen Zugriff zu schützen, um sie auf diese Weise über poten-
Zugriff auf die einzelnen Endgeräte innerhalb des Kom- ziell unsichere Kanäle versenden zu können. TSM legt
munikationsnetzes umgesetzt werden. Oftmals basiert den Fokus dagegen – wie der Name schon sagt – auf die
die Kommunikation auf der Version 3, teilweise sogar Absicherung des Transportkanals selbst, sodass poten-
noch auf der Version 2 des SNMP (SNMPv2, bzw. SNMPv3) ziell ungesicherte Datenpakete zwischen Sender und
und damit auf dem sogenannten User-Based Security Empfänger ausgetauscht werden könnten. Diese können
Model (USM) als Zugriffsmechanismus auf die Endgeräte jedoch, aufgrund der abgesicherten Verbindung, von
basierend auf einer Kombination von Zugangsdaten einem Angreifer nicht abgefangen oder gar manipuliert
(Nutzername und Passwort). Diese werden in der Regel werden.
bereits vom Hersteller auf den Geräten hinterlegt und
sind anschließend auch nur proprietär austauschbar.
Der Einfachheit halber werden häufig dieselben Nutzer-
Kern der herstellerübergreifenden IKT-Sicherheitsarchi- Aus diesem Grund ist ein White-List-Ansatz, wie er mit-
tektur sind zwei voneinander unabhängige Zertifikats- hilfe des OCSP (Online Certificate Status Protocol) entspr.
ketten: RFC 6960 möglich ist, für verteilte IKT-Systeme zu bevor-
zugen. In dessen schärfster Ausprägung wird bei jeder
• Eine Zertifikatskette für abgesicherte Kommunikation Zertifikatsverwendung (also bei jedem TLS-Aufbau) beim
zur Konfiguration (mittels SNMP via DTLS) und für die OCSP-Responder nachgefragt, ob die verwendeten Zertifi-
Datenübertragung (mittels https4) kate (noch) gültig sind. Dies ist in Abbildung 3 dargestellt.
• Eine Zertifikatskette für die Signierung/Signatur- Da dies u. U. zu erheblich vergrößertem Datenaufkommen
prüfung von offiziell vom Hersteller releaster führen kann, gibt es aber auch die Möglichkeit, Zertifikate
Firmware für einen gewissen Zeitraum als gültig zu erklären. In
diesem Zeitraum kann ein Zertifikat entsprechend auch
Die Gültigkeit eines Zertifikats ist immer zeitbeschränkt. nicht als ungültig erklärt werden. Es sollte also kein zu
Für die End-entity-Zertifikate gibt es dabei zwei Typen langer Zeitraum gewählt werden, um Zertifikate im Falle
von Zertifikaten: Die Produktionszertifikate haben z. B. eines Vertrauensverlusts zurückziehen zu können. Daher
eine Gültigkeit von 7 Jahren. Damit soll es möglich wer- ist hier das richtige Gleichgewicht zu finden (z. B. 5 Tage).
den, Geräte, welche in der Produktion mit Zertifikaten In jedem Fall ist bei der Verwendung von OCSP durch
ausgestattet wurden, für begrenzte Zeit zu lagern. Bei geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass der OCSP-
Inbetriebnahme der Geräte werden die Produktionszerti- Responder immer erreichbar ist. Denn nur dann können
fikate durch Produktivzertifikate ersetzt, deren Gültigkeit Zertifikate validiert und damit für gültig erklärt werden,
z. B. 2 bis 3 Jahre betragen kann. Das Zertifikatsmaterial um TLS-Verbindungen für eine verschlüsselte Kommuni-
der root CA und der issuing CAs ist i. d. R. deutlich länger kation aufzubauen.
gültig, z. B. 10 Jahre.
Mobilfunkstandard.
4 Die Abkürzung https steht für Hypertext Transfer Protocol Secure und
bezeichnet ein Kommunikationsprotokoll.
Flexibilität &
Markt
ARBEITSPAKET 05
TECHNISCHE FLEXIBILISIERUNG
Speicher und Systemstabilität → S. 194
Gas-Hybrid-Geräte als Flexibilität → S. 198
Vermarktung Kleinstanlagen → S. 202
Biogasanlage als Flexibilität → S. 206
Industrielle Lasten → S. 210
Simulation Flexibilität → S. 214
ARBEITSPAKET 06
FLEXIBILITÄT AKTIVIEREN
Vertikale Netzlastvorhersage → S. 218
Regionale Systemdienstleistung → S. 220
e-Now-Plattform → S. 222
Automatischer Marktagent → S. 226
Virtuelles Kraftwerk → S. 230
ARBEITSPAKET 07
FLEXIBILITÄTSMARKT
Marktdesign Flexmarkt → S. 234
Flexibilitätshandel → S. 246
Identifikation Inc-Dec-Gaming → S. 252
Nachweisführung → S. 256
Netzbetreiberkoordination → S. 264
Complementing redispatch
with the enera approach → S. 266
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TECHNISCHE FLEXIBILISIERUNG VON ERZEUGERN, VERBRAUCHERN UND SPEICHERN I ARBEITSPAKET 05
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Fall sind 6 Module so groß wie Bockspringbetten in einem entwickelt, um die volle installierte Leistung der Batterie-
Container verbaut. Darin sind 192 ca. 50 cm große Bat- speicher mit anderen technischen Einheiten zu kombi-
teriezellen installiert. Im Wesentlichen sind die Zellen nieren, die für sich allein nicht die Anforderungen an die
Keramikröhren, die den Elektrolyten darstellen. Primärregelleistung erfüllen.
Um ins Netz einzuspeisen, braucht auch die Natrium- Damit die technische Einheit, die nicht eine eigenständige
Schwefel-Batterie einen Wechselrichter sowie einen sogenannte Reserveeinheit (Gruppe von technischen Ein-
Transformator. heiten, die Regelenergie bereitstellen) bilden können, zu
einem Leistungsbeitrag in einer Reservegruppe heran-
Von dieser in Europa einzigartigen Kombination beider gezogen werden kann, müssen die technischen Eigen-
Batteriesysteme versprechen wir uns mehr Möglichkeiten schaften der technischen Einheit durch die bestehenden
den unterschiedlichen Anforderungen des Markts gerecht Reserveanlage in Form des Hybridgroßspeichers veredelt
zu werden. Heute setzen wir das System im Wesentlichen werden.
für die Erbringung von Primärregelleistung ein, dem
Werkzeug zur europaweiten Stabilisierung unserer Netz- Dazu wurden umfangreiche Simulationen durchgeführt,
frequenz. In Zukunft können wir uns auch vorstellen, die die zum einen das Poolkonzept insgesamt funktional
Spannungshaltung im Verteilnetz zu unterstützen oder bestätigten (Simulation von Vollabrufen, Doppelhöcker
Netzengpässe zu entschärfen. Von der Leistungsfähig- und Präqualifikationsfahrt) und zum anderen den konti-
keit und Kapazität wäre dieser Speicher in der Lage alle nuierlichen Betrieb für die Jahre 2017 bis 2019 simulativ
Haushalte der Stadt Varel für bis zu fünf Stunden lang abgebildet haben.
mit Strom zu versorgen, wenngleich dies kein geplanter
Einsatzzweck ist, für den der Speicher vorgehalten wird. In der Abbildung 1 ist ein simulierter Vollabruf dargestellt.
In dem ersten Diagramm werden alle technischen Ein-
Magnus Pielke: heiten (TE) in einer aggregierten Ersatzanlage dargestellt,
Im Rahmen der Kooperation mit dem enera Projekt sodass hier das Verhalten aller technischen Einheiten
haben wir mit dem Batteriespeicher nicht nur am Fle- (ohne das Batteriesystem) und des separat dargestellten
xibilitätsmarkt teilgenommen und Primärregelleistung Batteriesystems ersichtlich werden. Dabei kompensiert
erbracht, sondern diesen auch als ersten Speicher für unser Hybrid-Batteriespeicher die Leistung der tech-
den Sekundärregelleistungsmarkt in Deutschland beim nischen Einheiten, sodass in Summe der Poolabruf der
Übertragungsnetzbetreiber Tennet für seine Regelzone Reservegruppe korrekt erfolgt. Zum Zeitpunkt t = 60 s
präqualifiziert. Darüber hinaus haben wir ein neues Kon- erreicht die Reservegruppe in Summe die angeforderte
zept für die Primärregelleistungserbringung von Batterie- Leistung. Anschließend erfolgt die Ausregelung des Bat-
speichern im Zusammenspiel mit dezentralen Erzeugern teriesystems, nachdem weitere technische Einheiten die
entwickelt. Dieses erklärt Hendrik Brockmeyer nun ein- jeweilige Leistung erreichen.
mal etwas ausführlicher.
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lokalen Management des Verteilnetzes einen Beitrag
Im Folgenden werden die Begriffe untererregt und über- leisten kann und damit sowohl für das Wirkleistungsma-
erregt zur Klassifizierung von Blindleistung verwendet. nagement über die Regelleistungsprodukte als auch für
Ein untererregtes Verhalten entspricht dem Verhalten das Blindleistungsmanagement zur Spannungshaltung
einer Spule. Das Verhalten ist spannungssenkend. Ein im Verteilnetz eingesetzt werden kann.
übererregtes Verhalten entspricht dem Verhalten eines
Kondensators. Das Verhalten wirkt spannungshebend. Wir hoffen, dass wir mit diesem kleinen Interview ein
Das Zählpfeilsystem entspricht der DIN VDE-AR-N 4110, wenig über das Konzept des Hybridgroßspeichers sowie
somit ist untererregte Blindleistung positiv. seiner Einsatzgebiete zur Systemstabilität erklären konn-
ten. Vielen Dank für Ihr Interesse. Wenn Sie mal einen
In den folgenden Abbildungen 3 und 4 ist der Blindleis- Eindruck vor Ort gewinnen wollen, sprechen Sie uns
tungsverlauf vom NEDO-Speicher und vom Umspannwerk gerne direkt an.
für die Monate November und Dezember des Jahres 2019
zu sehen.
Feldversuch zum Flexibilitätspotenzial von zusätzlich Zehn Stück dieser Gas-Hybrid-Geräte wurden in der
mit elektrischen Durchlauferhitzern ausgestatteten enera Modellregion im Nordwesten Deutschlands im
Gasthermen Netzgebiet des Energieversorgers EWE in realen Haus-
halten von Feldversuchsteilnehmern aufgebaut. Mithilfe
dieser zehn Feldversuchsgeräte sollten Erfahrungen aus
AUTOREN: THOMAS EICHINGER (COMMERCIAL SYSTEM dem Praxisbetrieb gewonnen werden.
SOLUTIONS, VIESSMANN WERKE GMBH & CO. KG), AND-
REAS MUHLACK (FUNCTION & SOFTWARE ENGINEERING, Diese Gas-Hybrid-Geräte wurden an das Internet ange-
VIESSMANN WERKE ALLENDORF GMBH), ERHARD LAUER bunden und über eine Programmierschnittstelle von
(FUNCTION & SOFTWARE ENGINEERING, VIESSMANN WERKE Viessmann zu einem Anlagenpool zusammengeschaltet.
ALLENDORF GMBH) Durch dieses Pooling konnte kontinuierlich eine maximal
abrufbare aggregierte elektrische Leistung an eine über-
geordnete Stelle gemeldet werden. Bei einem Abruf sorgt
Versuchsaufbau und Zielsetzung die Software des Anlagenpools dafür, dass die passende
Im Rahmen von enera entwickelte Viessmann den Proto- Anzahl an Gas-Hybrid-Geräten angesteuert wird, um die
typ einer wandhängenden Gastherme mit eingebautem Leistungsanforderung zu erfüllen. Dies ermöglicht es,
elektrischem Durchlauferhitzer. Dabei wurde auf die viele dezentral verteilte Anlagen zu bündeln und elekt-
bereits bewährte Technik eines Gaswandgeräts zurück- rische Leistung als Flexibilität zur Verfügung zu stellen,
gegriffen und zusätzlich durch den Durchlauferhitzer die bei Bedarf abgerufen werden kann. Ein Szenario eines
die Möglichkeit geschaffen Gas als Energiequelle für die Abrufs wäre zum Beispiel ein Überangebot in der regio-
Wärmebereitung durch Strom zu ersetzen. Der Durch- nalen Stromerzeugung aus Windkraftanlagen. In diesem
lauferhitzer kann bei Bedarf sowohl bei der Trinkwasser- Fall könnte dieser Überschuss durch Ansteuerung der
erwärmung als auch bei der Versorgung der Heizkreise elektrischen Durchlauferhitzer in den Gas-Hybrid-Gerä-
zugeschaltet werden. Der Prototyp besteht aus einem ten im Wärmesektor genutzt und ein Teil des ansonsten
Gas-Brennwertmodul mit einer maximalen thermischen benötigten Erdgases durch erneuerbar produzierten
Leistung von 19 kW ergänzt durch den Durchlauferhitzer Strom ersetzt werden. Durch diese verbraucherseitige
mit einer elektrischen Maximalleistung von 3 kW. Der Gas- Laststeuerung könnte ein ansonsten benötigter Regel-
brenner moduliert seine thermische Leistung zwischen leistungsabruf reduziert und das Abschalten von regene-
10 und 100 %. Der Durchlauferhitzer ist nicht modu- rativen Energiewandlern vermieden werden.
lierend und daher entweder aus- oder eingeschaltet.
Dieses Heizgerät wird im Folgenden als Gas-Hybrid-Gerät In diesem Feldversuch wurde der Anlagenpool an das vir-
bezeichnet. tuelle Kraftwerk des Energieversorgers EWE angebunden.
Ziel des Aufbaus war u. a. der Nachweis der technischen
Funktion der gesamten IT-Kommunikationsstrecke von
der Anforderung des virtuellen Kraftwerks bis hin zur
Ansteuerung der jeweiligen Durchlauferhitzer in den
Feldversuchsanlagen. Dabei sollte natürlich der Komfort
der Feldversuchsteilnehmer zu keiner Zeit beeinträchtigt
werden. Außerdem sollte anhand der aufgezeichneten
Daten das Flexibilitätspotenzial in Abhängigkeit der
Rahmenbedingungen und Betriebsparameter abge-
schätzt werden.
Ansteuerungslogik
Die Logik, nach der die Gas-Hybrid-Geräte angesteuert
ABBILDUNG 1: GAS-HYBRID-GERÄT
wurden, ist vorrangig auf die folgenden beiden Ziele aus-
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Durchlauferhitzer zugeschaltet und der TWW-Speicher
auf die maximale Solltemperatur von 60 °C erhitzt. Damit
das so erzeugte Warmwasser nicht ungenutzt bleibt, wird
die Warmwasserbereitung aber nur innerhalb der vom
Feldtestteilnehmer individuell nach seinen Bedürfnis-
sen eingestellten Schaltzeiten bzw. Anwesenheitszeiten ABBILDUNG 2: TAGESZEITLICHE ABHÄNGIGKEIT DES ERFÜLLUNGS-
angestoßen. GRADS BEI MITTLEREN TAGESAUSSENTEMPERATUREN KLEINER 8 °C
Fahrplanbetrieb
Um Daten zur Tageszeitabhängigkeit und zur Jahreszei-
ten- bzw. Wetterabhängigkeit der verfügbaren Flexibilität
sammeln zu können, wurde folgender Fahrplan über
mehrere Monate von März bis Juni 2020 vom virtuellen ABBILDUNG 3: TAGESZEITLICHE ABHÄNGIGKEIT DES ERFÜLLUNGS-
Kraftwerk vorgegeben. Es wurde jeweils die gesamte GRADS BEI MITTLEREN TAGESAUSSENTEMPERATUREN ZWISCHEN 8
Ergebnisse
In der nachfolgenden Vorstellung der Ergebnisse des
Fahrplanbetriebs der Feldversuchsanlagen wird ein sog.
Erfüllungsgrad in Prozent als Maß für die Flexibilität
des Anlagenpools verwendet. Der Prozentsatz sagt aus, ABBILDUNG 4: TAGESZEITLICHE ABHÄNGIGKEIT DES ERFÜLLUNGS-
zu welchem zeitlichen Anteil die jeweilige Anforderung GRADS BEI MITTLEREN TAGESAUSSENTEMPERATUREN GRÖSSER
14 °C
erfüllt werden konnte, also wie lange der Durchlauf-
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Im Jahr 2018 gab es in Deutschland 18,7 Millionen – ZENTRALINNUNGSVERBAND. (2018). Erhebungen des
Zentralheizungsanlagen für feste, flüssige und gasförmige Schornsteinfegerhandwerks. Sankt Augustin, Deutschland:
Brennstoffe, wovon 13,3 Millionen auf gasförmige Brenn- Autor.
stoffe entfallen. Unter den davon messpflichtigen Anlagen
liegen gut 70 % im Bereich von 11 – 25 kW thermischer
Leistung. (Bundesverband des Schornsteinfegerhand-
werks – Zentralinnungsverband, 2018) Der überwiegende
Teil dieser Heizungen ist somit mit den im Feldversuch
eingesetzten Gas-Hybrid-Geräten mit einer thermischen
Leistung des Gasbrenners von 19 kW vergleichbar.
Wie Hausspeicher, Heizschwerter und Gas-Hybrid- Aggregatoren managen einen dynamischen Anlagen-
Heizungen über ein Virtuelles Kraftwerk effizient am pool mit individuellen Kundenbedürfnissen
Energiemarkt teilnehmen können. Um verschiedene Kundenbedürfnisse und Chancen an
den Energiemärkten bestmöglich miteinander zu verbin-
den, werden individuelle Algorithmen für die Prognose
AUTOREN: BARBARA ALTMANN, ALEXANDER HEILMANN, und eine optimale Steuerung der Kleinstanlagen benö-
MICHAEL LANGE, JÖRG LINNEMANN (ALLE EWE VERTRIEB tigt. Daran wurde unter anderem mit Herstellern von
GMBH) Hausspeichern und Heizgeräten gearbeitet, wodurch die
Wertschöpfung optimiert werden konnte.
Die dezentrale Energiewelt von morgen ist kleinteilig und Hierfür wurden zwei getrennte Anlagenpools gebildet,
demokratisiert. Im Folgenden sollen Stromerzeugung, in denen gleichartige Anlagen mit unterschiedlichen
Stromverbrauch sowie der Wärmebedarf eines Prosu- Standorten virtuell aggregiert und zusammen mit dem
mers mit seinem Wunsch nach Beteiligung, Autarkie und Virtuellen Kraftwerk der EWE VERTRIEB GmbH in das
Komfort in den Mittelpunkt gestellt werden. Im Energie- Energiesystem eingebracht wurden. Dieses Konzept ist in
system nimmt der Anteil fluktuierender Einspeisung Abbildung 1 schematisch dargestellt.
durch erneuerbare Energieanlagen in den Verteilnetzen
stetig zu und führt häufig zu einer Netzüberlastung. Auch
kleine Fotovoltaikanlagen mit Batteriespeichern und
hybride Heizgeräte können dann netzdienliche Flexibili-
tät zur Verfügung stellen.
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aus Heizsystemen. Übertragen auf Jahreszeiten ergibt
Der Anlagenpool heizgeräte sich daraus, dass in den Wintermonaten tendenziell ein
Eine Optimierung des Zusammenspiels von Anlagen bei höheres Flexibilitätspotenzial als in der Übergangszeit
einer möglichst großen Flexibilitätslieferung aus Kleinst- und im Sommer bereitsteht.
anlagen wird durch die direkte Zusammenarbeit zwi-
schen Herstellern und dem Expertenteam von EWE VER- Im Ergebnis ist das Virtuelle Kraftwerk der EWE VER-
TRIEB GmbH ermöglicht. Mit zwölf Kunden, davon zehn TRIEB GmbH eine voll automatisierte Schnittstelle zu
mit einer Gas-Hybrid-Heizung (Gas-Brennwertgerät mit den Energiemärkten und bietet alle notwendigen Dienst-
einem integrierten elektrischen Durchlauferhitzer) und leistungen für Aggregatoren von Kleinstanlagen, um neue
zwei Brennwertgeräten mit Heizstäben im Warmwasser- Geschäftsmodelle erfolgreich auszugestalten.
speicher, wurde der Anlagenpool Heizgeräte gebildet. Die
Flexibilität der Heizsysteme besteht darin, dass jeweils Neue Geschäftsmodelle auf Basis der aggregierten
ein elektrischer Heizstab die Wärmebereitstellung aus Flexibilität von Kleinstanlagen
Gas durch elektrischen Strom substituiert. Dies war immer Eine Vielzahl neuer Algorithmen im Virtuellen Kraftwerk
dann der Fall, wenn ein Überangebot von grünem Strom der EWE VERTRIEB GmbH ermöglicht es, sich an daraus
im Netz aufgelöst werden musste. Die für die Anbindung hervorgehende Geschäftsmodelle anzupassen. Auf diese
Welche Chancen bieten sich zukünftig für Betreiber von Erzeugung und verbrauch intelligent vernetzen
Biogasanlagen am Energiemarkt? Eine mögliche Lösung ist die intelligente Vernetzung
von Erzeugungsleistung und Stromverbrauch über einen
regionalen Marktplatz. Dieser neue Weg wurde im Kontext
AUTOREN: LAURA ABRAHAM, OLIVER BOHLING, ALEXANDER des enera Projekts erprobt, um die Einspeisemanage-
HEILMANN, MICHAEL LANGE, JÖRG LINNEMANN (ALLE EWE menteinsätze zu reduzieren und die damit verbundenen
VERTRIEB GMBH) Probleme zu mindern. Eine auf die Flexibilitätsmenge
bezogen besonders vielversprechende Anlagenart
waren Biogasanlagen mit angeschlossenem BHKW. Die
Einspeisemanagement – viele Betreiber von Biogasan- pauschale Abregelung aller Anlagen in der betroffenen
lagen im Norden Deutschlands dürften dieses Problem Netzregion sollte durch ein marktwirtschaftliches Instru-
kennen: Der Gasspeicher der Anlage ist gut gefüllt, das ment verhindert werden. So sollten nur Anlagenbetreiber
Blockheizkraftwerk (BHKW) zur Strom- und Wärmeerzeu- für die Beseitigung der Netzengpässe Flexibilität in der
gung läuft auf Volllast und plötzlich kommt ein Rund- Erzeugungsleistung anbieten, die auch eine Flexibilität
steuersignal des zuständigen Netzbetreibers und regelt besaßen. Anlagenbetreiber ohne Flexibilität sollten im
die Anlage aus der Ferne ab. Im schlimmsten Fall muss besten Fall normal weiterproduzieren können.
dadurch Biogas außerhalb des BHKW verbrannt werden,
um z. B. den vollen Gasspeicher zu entlasten. Eventuell Ein zentraler Baustein dieser Lösung ist das Virtuelle
können Wärmelieferungen nicht erfüllt werden, was zu Kraftwerk der EWE VERTRIEB GmbH, welches die mess-
einem Komfortverlust für die zu versorgenden Gebäude und steuertechnische Anbindung aller am Feldtest betei-
oder das Freibad in der Nachbarschaft führen kann. Doch ligten Anlagen durchführte. Es eröffnete für die Betreiber
was ist die Ursache für die zwangsläufige Abregelung der neue Vermarktungsmöglichkeiten.
Anlagen und welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?
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helfen dabei, einen realistischen Fahrplan zu erstellen, im enera Flexibilitätsmarkt: Der Anlagenbetreiber erwar-
den das Biogas-BHKW hinsichtlich der Gaserzeugung tet, für die Nichteinspeisung von Energie kompensiert zu
und des Wärmebedarfs auch erfüllen kann, anstatt die werden. Im Falle von Einspeisemanagement erhält der
Einsatzplanung lediglich anhand der Preisprognosen Anlagenbetreiber den Betrag, den er bei Einspeisung
auszurichten. Über Wärmelastprofile kann so u. a. der durch die Einspeisevergütung erhalten hätte. Es entsteht
Wärmebedarf berücksichtigt werden, damit die in der für ihn im Rahmen eines Markts nur dann ein finanzieller
Verstromung entstehende Prozesswärme genutzt werden Vorteil, wenn der Netzbetreiber bereit ist, mehr als die
kann und der Betreiber den KWK-Bonus geltend machen entgangene Einspeisevergütung für seine nachgefragte
kann. Um zukünftige Märkte im Virtuellen Kraftwerk Flexibilität zu entrichten. An welcher Stelle die Differenz
abbilden und gegenüber den Kunden abrechnen zu kön- zwischen den Kosten der Ausfallarbeit, die über die Netz-
nen, wurde mit der Implementierung des enera Markts entgelte abgewickelt werden können, und dem Flexibili-
bereits der Grundstein gelegt. Dies erlaubt eine hohe tätspreis, den der Anlagenbetreiber erwartet, finanziert
Anpassungsgeschwindigkeit auf neue Marktgegebenhei- wird, ist eine noch nicht geklärte Herausforderung. Die
ten wie beispielsweise die vom Engpassmarkt bekannten Ertüchtigung der Anlagen für die Bereitstellung von Flexi-
regionalen Orderbücher. bilität kann für den Anlagenbetreiber mit initialen Kosten
einhergehen. Verspricht der Flexibilitätsmarkt jedoch
Die Prognose flexibler Biogasanlagen als Schlüssel keinen gesicherten Mehrerlös, kann keine Investitionssi-
zur Engpassbehebung und Bilanzkreistreue cherheit für den Anlagenbetreiber entstehen und es fehlt
Die für die Vermarktung zur Verfügung stehende Energie ihm dadurch der Anreiz für die Marktteilnahme.
konnte im Projekt anhand von wichtigen Parametern
annähernd optimal und automatisiert prognostiziert Welche Energiemärkte stehen Biogasanlagen heute
werden. Dies wurde ermöglicht durch die im Projekt und morgen offen?
erweiterten Funktionalitäten des Virtuellen Kraftwerks. Die Biogas-BHKW, die an das Virtuelle Kraftwerk der EWE
Für die teilnehmenden Anlagen bringt dies den Vorteil, VERTRIEB GmbH angebunden sind, werden heute an allen
dass technische Restriktionen der Anlagen individu- Energiemärkten gehandelt. Das Virtuelle Kraftwerk ermög-
ell berücksichtigt werden und führt dazu, dass die so licht den Kunden eine erlösoptimale Einsatzplanung für
erstellten Fahrpläne in der Realität bei einem Abruf im die unterschiedlichen Märkte. Die Basis bildet dabei
Rahmen des Flexibilitätsmarkts genauer abgefahren grundsätzlich die Vermarktung der erzeugten Energie am
werden können. Die Prognosegüte der erstellten Fahr- DayAhead-Markt. Der Direktvermarkter handelt hierbei
pläne kann so erheblich verbessert werden, welches die vom Betreiber geplante Einspeisung für den nächs-
für eine optimale Vermarktung und die Bilanzkreistreue ten Kalendertag. Die Einspeisevergütung wird entweder
essenziell ist. Dank einer kooperativen Zusammenarbeit auf Basis des Monatsmittelwerts (nicht-flexible Anlagen)
mit anderen Projektteilnehmern in ihren Rollen als Netz- bzw. der jeweiligen Stundenpreise abgerechnet (flexible
betreiber konnte der gesamte Prozess von einer Flexi- Anlagen). Flexibilisierte Anlagen können im Betrieb über
bilitätsnachfrage über den Handel bis zur physischen die Einspeisung zu hochpreisigen Stunden erhebliche
Erbringung mehrfach erfolgreich durchlaufen werden. Mehrerlöse gegenüber der kontinuierlichen Erzeugung
Es konnte demonstriert werden, dass Biogas-BHKWs ein zum DayAhead-Monatsmittel erzielen. Am IntraDay-Markt
technisch adäquates Mittel sind, um Engpasssituationen werden untertägige Fahrplananpassungen, z. B. bei kurz-
im Netz zu minimieren. Der technische Erfolg lässt sich fristigen Anlagenausfällen, gehandelt sowie Erlöse aus
Literaturverzeichnis
Energieflüsse in der Industrie neu denken und Erlös- zur Verfügung. Als Primärenergie kommen ausschließ-
potenziale erschließen lich Erdgas und das in der Prozesswasserbehandlung
anfallende Biogas zum Einsatz. Als Nebenprodukt des
Gas- und Dampfkraftwerks wird Strom produziert, wel-
AUTOREN: TAMMO FILUSCH, ALEXANDER HEILMANN, cher ebenfalls in den Produktionsprozessen verwendet
MICHAEL LANGE, JÖRG LINNEMANN (ALLE EWE VERTRIEB oder in das öffentliche Stromnetz eingespeist werden
GMBH), DR. JENS ERFURTH (OPEN GRID EUROPE GMBH), kann. Unter Verwendung des neuen PtH-Moduls ist PKV
SÖNKE KLUG (PAPIER- UND KARTONFABRIK VAREL GMBH) in der Lage, überschüssigen Windstrom aus dem Netz zur
Bereitstellung erforderlicher Prozesswärme zu nutzen.
Dadurch können das Gas- und Dampfkraftwerk herunter-
Das weiterentwickelte Virtuelle Kraftwerk der EWE VER- geregelt und CO2-Emissionen vermieden werden. Darüber
TRIEB GmbH ermöglicht es, Energieflüsse in Unterneh- hinaus wird die Nachfrage von Netzbetreibern nach mehr
men zu optimieren, dadurch Erlöspotenziale zu heben Flexibilität in Stromerzeugung und -verbrauch bedient,
und gleichzeitig CO2-Emissionen zu mindern. Dies wurde für die eine Zahlungsbereitschaft auf dem regionalen
im Rahmen des Forschungsprojekts enera zusammen Flexibilitätsmarkt besteht.
mit zwei Industriebetrieben demonstriert. Produktions-
prozesse wurden genau untersucht und lokales Flexibili- Die Überprüfung der technischen Prozesse zur Flexibili-
tätspotenzial in der Stromerzeugung und dem Stromver- tätslieferung über den regionalen Flexibilitätsmarkt
brauch erschlossen. Diese neue Flexibilität konnte dann konnte im Rahmen des Projekts durch eine Lieferung
im Rahmen der Kommunikationskaskade der Stromnetz- von 4,6 MWh Flexibilität am 28.11.2019 erfolgreich validiert
betreiber für netzstabilisierende Maßnahmen eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang bildete das Virtuelle
werden. Dafür bestand eine Nachfrage auf dem regiona- Kraftwerk der EWE die Schnittstelle zwischen der PKV und
len Flexibilitätsmarkt in der enera Modellregion. dem Markt. Die Flexibilitätslieferung konnte primär durch
gezieltes Zuschalten des PtH-Moduls, also eine Erhöhung
Sektorkopplung bei der Wärmebereitstellung für Pro- der Last, erreicht werden. Als große Hürde beim Einsatz
duktionsprozesse und Senkung von CO2-Emissionen in des PtH-Moduls auf dem regionalen Flexibilitätsmarkt
der Papier- und Kartonfabrik varel Gmbh stellten sich die hohen Steuern, Abgaben und Umla-
Im Rahmen des enera Projekts wurde bei der Papier- und gen im Strombezug dar, die durch die Erlöse über den
Kartonfabrik Varel GmbH (PKV) geprüft, welche zusätz- Markt in der Regel nicht erwirtschaftet werden konnten.
lichen Freiheitsgrade und Möglichkeiten beim Betrieb Ein weiteres Hemmnis im flexibilitätsmarktgetriebenen
eines vorhandenen Gas- und Dampfkraftwerks mit einem Betrieb des PtH-Moduls stellten die leistungsabhängi-
zusätzlichen Power-to-Heat-Modul (PtH-Modul) im Hin- gen Netzentgelte dar. Es bestand die Gefahr, durch das
blick auf CO2-Einsparungen und eine Erlösoptimierung Flexibilitätsangebot hohe Lastspitzen im Netzbezug zu
der Stromeinspeisung entstehen. Die Umsetzung diente verursachen, die ein höheres Entgelt beim Netzbetreiber
gleichzeitig als gutes Beispiel dafür, wie eine erfolgreiche zur Folge hätten. Durch gezielte politische Anreize zur
Sektorkopplung im Bereich der Wärmebereitstellung für Behebung der erläuterten Hemmnisse ließe sich zukünf-
Produktionsprozesse aussehen kann. Heute wird am Pro- tig noch mehr Flexibilitätsliquidität schaffen. Neben der
duktionsstandort, siehe Abbildung 1, ein wärmegeführtes Flexibilisierung des Produktionsprozesses konnte eine
Gas- und Dampfkraftwerk betrieben, welches den für die marktgetriebene Optimierung der Energieflüsse hinsicht-
Produktionsprozesse erforderlichen Dampf liefert. Das lich benötigter und eingespeister Energie vorgenommen
Gas- und Dampfkraftwerk wird sehr wirtschaftlich im werden. So konnte für die PKV ein neuartiger Algorithmus
Kraft-Wärmeverbund im Rahmen einer Dampfsammel- entwickelt werden, der in Abhängigkeit der aktuellen
schienenanlage betrieben. Hierzu stehen im Verbund Strom-Spotmarktpreise (Intraday-Markt) das beste
vier Gasturbinen, vier Kessel und fünf Dampfturbinen Strombezugs- und Einspeiseverhalten ermittelt.
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muss das Gas an der Übergabestation verdichtet werden. Im Rahmen von enera Feldtests konnte der elektrische
Die OGE investiert im Rahmen des „Netzentwicklungs- Verdichter am 12.03.2020 gezielt 4,2 MWh Flexibilität lie-
plans Gas“ in die im Netz eingesetzten Kompressoren. fern, die von den Netzbetreibern zur Verhinderung von
Am Standort Krummhörn wurde im Jahr 2019 ein elekt- Netzengpässen genutzt werden konnte. Auf diese Weise
risch angetriebener Kompressor errichtet und in Betrieb konnte die technische Machbarkeit der Flexibilitäts-
genommen. Der in Abbildung 2 dargestellte Kompressor lieferung seitens OGE erfolgreich demonstriert werden.
liefert in Kombination mit weiteren am Standort vor- Betrachtet man die finanzielle Auswertung der Feld-
handenen, durch Gasturbinen angetriebenen Kompres- tests, so standen einem Erlös aus der Vermarktung von
ABBILDUNG 1: LUFTBILD DER PAPIER- UND KARTONFABRIK VAREL GMBH (QUELLE: PKV GMBH)
ABBILDUNG 2: IM FOKUS DER FLEXIBILISIERUNG: DER ELEKTRISCHE VERDICHTER DER OGE GMBH (QUELLE: OGE GMBH)
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• zeit- und ortsaufgelöste Quantifizierung des Flexibili- Einsatz von Einspeisemanagement möglich ist.
tätsbedarfs des Netzes aufgrund von Netzengpässen
anhand der Simulation der vertikalen Netzlast Anhand der zur Verfügung stehenden Messdatensätze
• Ermittlung des Flexibilitätspotenzials von dezentralen kann der Flexibilitätsbedarf des beispielhaften Jahres 2016
Energiewandlungseinheiten zur gezielten Vermeidung bestimmt werden. Die Ergebnisse sind in ihrer örtlichen
von Netzengpässen Auflösung je Versorgungsbezirk eines Umspannwerks
• Einbezug von Szenarien zur Analyse des zukünftig zum Mittelspannungsnetz von EWE NETZ dargestellt. Da
benötigten netzdienlichen Flexibilitätsbedarfs der überwiegende Anteil der EE-Anlagen an das Mittel-
spannungsnetz bzw. auch über eigene Transformatoren
Der netzdienliche Flexibilitätsbedarf entspricht der wäh- an das Hochspannungsnetz angeschlossen ist, bietet sich
rend Einspeisemanagement-Einsätzen potenziell verfüg- diese Darstellung als geeignete Granularität an.
baren Leistung aus Anlagen zur Bereitstellung erneuer-
barer Energien (EE-Anlagen). Da diese jedoch abgeregelt
sind, kann diese Leistung in ihrer zeitlichen Auflösung
nicht hinreichend genau bestimmt werden. Die Methode
der Berechnung der vertikalen Netzlast3 bietet hierfür ein
geeignetes Verfahren, welches Versorgungsbezirks-spezi-
fische Modelle auf Basis der zur Verfügung stehenden
Daten entwickelt. Mithilfe gemessener Leistungszeitreihen
an den Umspannwerken, Stammdaten der erneuerbaren
Erzeugungsanlagen und meteorologischen Zeitreihen
können mit dieser Methode präzise Ergebnisse zum zeit-
und ortsaufgelösten Flexibilitätsbedarf erzielt werden
(s. Abbildung 2; durchgängiger Graph „berechnet“). ABBILDUNG 3: NETZDIENLICHER FLEXIBILITÄTSBEDARF JE MITTEL-
SPANNUNGS-VERSORGUNGSBEZIRK DER ENERA REGION IM JAHR
2016
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Die aus der Plattform gewonnenen Ergebnisse stützen
sich hierbei auf die drei stringent umgesetzten Kernele-
mente: auf Daten und Erkenntnisse aus der Praxis; auf die
Modellierung und Anpassung anhand realer Messdaten
sowie auf eine intensive Ergebnisvalidierung.
Die Arbeiten des DLR-Instituts für Vernetzte Energie- 10 D. Peters, R. Völker, F. Schuldt, K. von Maydell: Einspeisemanagement in der
enera Region 2030. Tagungsunterlagen Zukünftige Stromnetze, Berlin 2019, pp.
systeme zeigen auf, wie die Abregelung von erneuerbaren 471-484.
Erzeugungsanlagen (überwiegend Windenergie) aufgrund
Vertikale Netzlastvorhersage
Prognose der über eine Umspannung zwischen Netzknoten wirkt, angenähert werden. Da es sich bei der
Mittelspannung und Hochspannung erwarteten Vorhersage der vertikalen Netzlast um die Prognose eines
Leitungsflüsse räumlich vergleichsweise abgegrenzten Bereichs handelt,
mussten die Verfahren für die Hochrechnung auf diese
Herausforderungen hin angepasst werden. Im Gegensatz
AUTOR: THOMAS KLOSE (ENERGY & METEO SYSTEMS GMBH zur sonst üblichen Betrachtung auf Landes- oder Regel-
OLDENBURG) zonenebene treten Ausgleichseffekte von Fehlern in
einem deutlich eingeschränkteren Maß auf. Vereinfacht
gesagt verhalten sich Anlagen, die sehr nahe beieinander
Um dem Verteilnetzbetreiber eine Teilnahme am enera stehen, grundsätzlich relativ ähnlich, das heißt, dass eine
Markt zu ermöglichen, und damit seine Engpässe proaktiv Unterschätzung der Einspeisung aufgrund bestimmter
durch die Beschaffung von Flexibilität zur Engpassheilung meteorologischer Bedingungen mit hoher Wahrschein-
zu ermöglichen, wurde die Vorhersage der vertikalen lichkeit auch bei benachbarten Anlagen auftritt. Um die
Netzlast entwickelt und im Demonstrationsbetrieb ein- Hochrechnungen dennoch mit adäquater Präzision zu
gesetzt. Ziel der Vorhersage der vertikalen Netzlast war berechnen, sollte auf eine vergleichsweise hohe Mess-
es, den Leistungsfluss, der sich über eine Umspannung wertabdeckung abgezielt werden.
zwischen Mittelspannung und Hochspannung ergibt, zu
prognostizieren. Das Vorliegen dieser Information ver- Mit Kenntnis der Leistungsflüsse über eine Umspan-
setzt den Verteilnetzbetreiber in die Lage, Engpässe auf nung sowie der auf die Umspannung wirkenden
seinen Umspannungen im Vorhinein zu erkennen und Anteile der Windenergie und Fotovoltaik kann das an
damit Flexibilität in dem Marktgebiet zu beschaffen, das der Umspannung gemessene Signal nun in eine Wind-
den größten Einfluss auf die Reduktion auf seinen Eng- komponente, eine PV-Komponente und eine Residual-
pass hat. komponente zerlegt werden. Die Residualkomponente
beinhaltet dann alle Einspeiser und Verbraucher, die
Um die vertikale Netzlast vorherzusagen, wurde auf in anderen Komponenten nicht explizit hochgerech-
Messungen des tatsächlichen Leistungsflusses auf net wurden. Im ersten Ansatz wurde das Verfahren mit
der Umspannebene zwischen Mittel- und Hochspan- den angesprochenen drei Komponenten betrieben und
nung zurückgegriffen. Die Komponenten, die die größte konnte damit erfolgreich angewandt werden. Es ist aller-
Unsicherheit bezüglich des aktuellen Leistungsflusses dings ohne Weiteres möglich, das Signal auch in mehrere
erwarten ließen und das Leistungsflusssignal am stärks- Komponenten zu zerlegen, wenn weitere explizit gemes-
ten von einem regelmäßigen der Last entsprechenden sene oder validierbar hochrechenbare Anteile vorliegen.
Signal entfernen, sind die Einspeisungen aus fluktuieren- Dies können beispielsweise Biogasanlagen sein oder
den Erzeugern, also Einspeisungen aus Windenergie und auch Verbraucher mit registrierender Lastgangmessung,
Fotovoltaik. die ein wiederkehrendes Verbrauchsmuster aufweisen.
Die Residualkomponente wurde nun auf auftretende
Unter Zuhilfenahme von Anlagenstammdaten, welche Regelmäßigkeiten hin analysiert, um Verfahren zu ent-
Erzeugungsart, Standort und für die Einspeisung rele- wickeln und anzuwenden, um diese Komponente prog-
vante Netzverknüpfungspunkte beinhalteten, konnte für nostizierbar zu machen.
eine Umspannung die Wind- und PV-Einspeisung für
diesen Netzknoten bestimmt werden. Dazu wurde auf Um die beschriebenen Erkenntnisse für die Zukunft
Messungen von im Netzgebiet oder in der Nähe befind- nutzbar zu machen, ist es nun erforderlich, für jede
lichen Anlagen zurückgegriffen. Unter Anwendung etab- Komponente, in die das Leistungsflusssignal zerlegt
lierter Verfahren zur Hochrechnung von Einspeisungen wurde, eine entsprechende Prognose zu erstellen. Für
konnte damit für die Historie das Einspeisesignal für die Windenergie und Fotovoltaik konnte dabei, analog zur
Windenergie und Fotovoltaik, das auf den betrachteten Hochrechnung, auf langjährige Erfahrungen der Wind-
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verlauf sowie im Wochenrhythmus. Dahingehend wurde
für die Vorhersage des Residualsignals das Vergleichs-
tageverfahren als geeignetes Mittel identifiziert. Das
Residualsignal wird regelmäßig automatisch evaluiert,
um die Parameter für die Vorhersage zu justieren. Um
die vertikale Netzlast als Ganzes Vorherzusagen, werden
die einzeln vorhergesagten Komponenten, in die die
Messung des Leistungsflusses zuvor zerlegt wurde, auf
der Vorhersageseite wieder aggregiert.
Beinhaltet Abbildung von Topologie, parallelen Markt- des Gebotszeitraums vom Gebotserstellungszeitpunkt
und Steuerungszugriffen zu. Entsprechend wird die angebotene Flexibilitätsmenge
in Abhängigkeit der Wetterlage für künftige Gebotszeit-
räume reduziert. Dadurch wird gewährleistet, dass die
AUTOR: THOMAS KLOSE (ENERGY & METEO SYSTEMS GMBH angebotene Flexibilität zu einer sehr hohen Wahrschein-
OLDENBURG) lichkeit im Abruffall auch realisiert werden kann.
Da es sich bei den Aggregaten von Anlagen für die enera Der enera Markt wurde dahingehend konzipiert, dass der
Netzknoten um eine relativ kleine Anzahl von Anlagen Flexibilitätsanbieter keine Energie kauft oder verkauft,
handelt und somit nicht von substanziellen Ausgleichs- um einen Engpass zu reduzieren. Er bietet dem Netzbe-
effekten bezüglich der Prognosefehler in der Einspeisung treiber lediglich eine Dienstleistung zur Reduktion oder
ausgegangen werden kann, wurde im Virtuellen Kraftwerk Erhöhung seiner Einspeise- oder Verbrauchsleistung am
die Möglichkeit implementiert, Vorhersageunsicher- betroffenen Konto. Dies führt allerdings dazu, dass im
heiten bei der Aggregation von Potenzialen auf Netz- Falle eines Flexibilitätsabrufs ein Ungleichgewicht zwi-
knoten zu berücksichtigen. Vorhersageunsicherheiten schen gehandelter Position und tatsächlicher Einspeisung
nehmen dabei mit zunehmendem zeitlichen Abstand im Bilanzkreis des Direktvermarkters verbleibt. Dieses
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wurden geschaffen, um Synergien zwischen den Aggrega-
tions- und Verteilprozessen eines Virtuellen Kraftwerks
und der intelligenten Ausführung von spezialisierten
Marktagenten zu ermöglichen.
e-Now-Plattform mit
drei Hauptkomponenten
AUTOR: MELIH KURT (TENNET TSO GMBH) warnsystem auf Basis Spreads in Prognosen entwickelt
(„energiewirtschaftliche Wetterwarnungen“). Die Nutzung
der Spreads in Prognosen ermöglicht allen Nutzern ein
Ziel des energiewirtschaftlichen Nowcastings (e-Now) optimiertes Risikomanagement, sowohl aus finanzieller
ist es, über eine Kurzfristprognose der EE-Einspeise- als auch aus technischer Sicht. Auch der Bedarf für den
leistung kritische Netzsituationen besser vorhersehen Einsatz von Instrumenten wie Einspeisemanagement,
(Netzsicherheitsrechnung) und den EEG-Bilanzkreis der Redispatch oder Reduzierung des Regelenergiebedarfs
ÜNB ausgeglichener bewirtschaften zu können („EEG-Ver- könnte damit besser vorhergesehen und damit optimiert
marktung“). Um die bestmöglichen Vorhersagen auch für werden.
Vorhersagezeiten von Minuten bis zu wenigen Stunden
im Voraus liefern zu können, wurden Nowcasting-Ver- Darüber hinaus dienen die Prognosen auch zur Bestim-
fahren entwickelt, die auf zeitlich und räumlich hoch mung von Produkten zur Beschaffung von netzdienlichen
aufgelösten Beobachtungsdaten basieren und mit hoher Dienstleistungen; siehe Abbildung 1 Integration von
Aktualisierungsrate erstellt werden. Die numerischen e-Now in Gesamtsystem.
Vorhersagemodelle bilden die Basis für den Wetter-
vorhersageprozess. Im Ergebnis wurde u. a. ein Früh-
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zu navigieren und die Warnungen zu unterschiedlichen
ABBILDUNG 1.2: Kategorien (netzrelevant, marktrelevant, Wetterlage,
Prognoseunsicherheit) abzubilden. Die Benutzer haben
die Möglichkeit eigene Dashboards zu gestalten. Dafür
stehen mehrere Komponenten zur Verfügung wie z. B.:
Um die vorausschauenden Netzsicherheitsrechnungen Liniendiagramm, Kuchendiagramm, Streuungsdiagramm,
für Stromnetze von ÜNB mit hohem Anteil erneuerbarer Differenzialdiagramm, Tabelle, Karte, Rich-Text und Ver-
Energien zu optimieren, wurde im Rahmen von e-Now knüpfung von statistischen Auswertungen.
ein Bottom-up-Ansatz konzipiert und implementiert.
Das Ablaufdiagramm bildet die Schritte des Bottom- ABBILDUNG 3: ENDNUTZERDEFINIERBARE DARSTELLUNG VON ZEIT-
REIHEN MIT MEHREREN KOMPONENTEN
up-Ansatz ab und dieser Ansatz verlangt die Zuordnung
von Wind- und PV-Anlagen mit Wirkfaktoren zu den
Umspannwerken der TenneT für die Verbesserung der
vorausschauenden Netzsicherheitsrechnungen. Die
vermaschten Netztopologien machen es schwierig, die
Anlagen zu Umspannwerken exakt zuzuordnen bzw.
die Wirkfaktoren dieser Anlagen zu bestimmen, die ggf.
nachjustiert werden müssen.
ABBILDUNG 1.3
AUTOREN: DOMINIK DERSCH, SONJA STEINER, HENRYK PIN- lichen Intradaymarkt auf, die im Folgenden diskutiert
NOW, ANDREAS WALTHES werden:
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Markt beobachten und so zielgenau Börsengebote erstel- Überblick
len können, um einen bestmöglichen Durchschnittspreis Der Likron Automatic Execution Service ermöglicht Fle-
zu erzielen. xibilitätsanbietern den vollautomatischen Handel ihrer
verfügbaren Kapazitäten im Intraday-Markt. Exemplarisch
Während Flexibilitätsanbieter bei solchen Strategien wurden zwei Flexibilitätsquellen untersucht: Speicher
von vornherein die Energieklassifizierung festlegen wie Batterie- oder Pumpspeicher und flexible Kraftwerke
müssen – sie wissen ja, ob sie eine Windkraftanlage wie CHP-Kraftwerke. Der erste Fall beschreibt eine Last-
oder ein konventionelles Kraftwerk abschalten würden verschiebung durch eine befristete Be- oder Entladung
– bietet Likron für Netzbetreiber an, sich hier nicht auf eines Speichers, der zweite Fall ist grundsätzlich all-
eine Energiequelle festlegen zu müssen. Die Intention gemeiner, weil – abgesehen von Nebenbedingungen
des Netzbetreibers ist es, einen drohenden Engpass im wie Rampen – Kontrakte (Blöcke, H, HH oder Q) einzeln
Netz abzuwenden, wobei vorrangig Flexibilität aus Nicht gehandelt werden.
Erneuerbarer Quelle aktiviert werden soll. Die Strategie
entscheidet dann selbstständig beim Platzieren von Die Modellierung von Flexibilität berücksichtigt Randbe-
Börsengeboten am Markt, welche Energieklasse zum dingungen wie Kontrakttyp, verfügbare Flexibilitätsbän-
Zuge kommen soll, abhängig vom aktuellen Preisgefüge der (bei Kraftwerken), Rampen bzw. nutzbare Kapazität,
und unter Beachtung der vorrangigen Abschaltung kon- C-Werte für Laden und Entladen, Lade-, Endladeverluste,
ventioneller Anlagen. Anzahl Ladezyklen p. a., maximale zeitliche Speicher-
nutzung (bei Speichern).
Zur Optimierung der Handelsperformance stehen den
Netzbetreibern spezifische Parametrisierungen der Intraday Handel
Algorithmen zur Verfügung. Schließlich werden weitere Zum kontinuierlichen, vollautomatischen Handel
Feinheiten im Marktregelwerk unterstützt wie das Verbot kommen sogenannte Strategieorders zum Einsatz, die
für Netzbetreiber, sogenannte Iceberg-Börsengebote zu beispielsweise nach festen oder variablen Grenzpreis-
platzieren, bei denen nur ein Teil des Börsengebots im schwellen bzw. Preisspreads parametrisiert werden und
Markt sichtbar ist, eine große, nicht sichtbare Strom- automatisiert nach Algorithmen ausgeführt werden.
menge jedoch dennoch Priorität vor anderen sichtbaren
Geboten hat. Wirtschaftlichkeitsanalyse mittels Backtesting-Frame-
work
Anwendungsfall: automatisierte Redispatch-Geschäfte Die Wirtschaftlichkeitsanalyse des Flexibilitätshandels am
für Flexibilitätsanbieter EPEX Intraday-Markt erfolgt unter Berücksichtigung aller
Um einen netzlastausgleichenden Effekt zu erzielen, sind wesentlichen Faktoren wie z. B. Handelskosten, Speicher-
Flexibilitätsanbieter in bestimmen Fällen verpflichtet, verluste, Market Impact und Latenzzeiten in einem eigens
bei Ausführung eines Geschäfts auf dem enera Markt die entwickelten Backtesting-Framework. Die Einschätzung
Beispiele
Die untenstehenden Abbildungen zeigen exemplarisch je
ein Beispiel für einen Speicher und ein flexibles Kraft-
werk.
Batteriespeicher
ABBILDUNG 4
Wie Flexibilität aus Industriebetrieben, Batterie-Groß- sen geprägt sein wird. Zur Erklärung des entwickelten
speichern, Biogas- und Kleinstanlagen intelligent ver- Lösungsansatzes hilft ein Blick auf die enera Modell-
netzt werden kann. region im Nordwesten Deutschlands, in der die Strom-
erzeugung der Zukunft mit hohem Anteil erneuerbarer
Energie bereits heute Realität ist. In der Modellregion
AUTOREN: TAMMO FILUSCH, ALEXANDER HEILMANN, JÖRG besteht eine hohe Dichte an Windkraftanlagen. Ein Grund
LINNEMANN UND MICHAEL LANGE (ALLE EWE VERTRIEB dafür sind gute Windverhältnisse. Da die Stromerzeu-
GMBH) gung aus Windkraftanlagen stark dargebotsabhängig ist,
kann es zu erheblichen Schwankungen in der Einspeise-
leistung kommen. Bei sehr guten Windverhältnissen ist
Durch die intelligente Vernetzung und Steuerung von diese nicht selten deutlich höher, als regional vor Ort
Erzeugungsanlagen und Stromverbrauchern (Lasten) verbraucht oder über Stromnetze abtransportiert werden
besitzt das Virtuelle Kraftwerk der EWE VERTRIEB GmbH kann. Dadurch kann es regional und überregional zu
eine mögliche Lösung für das regionale Netzengpass- Netzüberlastungen kommen, sodass Netzbetreiber regio-
Problem. Gleichzeitig kann die auf Basis des Software- nal Erzeugungsanlagen vom Netz nehmen müssen. Diese
produkts BTC VPP entwickelte Lösung als Blaupause für Maßnahmen nennt man Einspeisemanagement. Dadurch
den Energiemarkt der Zukunft dienen, der von einer geht erneuerbarer Strom verloren, der in windstillen oder
hohen Anzahl erneuerbarer Energieanlagen und weni- sonnenarmen Stunden gut genutzt werden könnte.
ger Stromerzeugung aus CO2-emittierenden Prozes-
ABBILDUNG 1: DAS VIRTUELLE KRAFTWERK DER EWE VERTRIEB GMBH BILDET DIE SCHNITTSTELLE ZWISCHEN KUNDE UND MARKT
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Flexibilitätsvermarktung ertüchtigt werden. Im Folgenden haushalten erschlossen, welches vorher kaum beachtet
werden die unterschiedlichen Flexibilisierungskonzepte wurde. Zur Mobilisierung dieser Flexibilität konnte auf
näher beschrieben und gleichzeitig die individuellen herstellereigene Clouds zugegriffen werden, in denen
Vorteile der jeweiligen Anlagenarten durch die Flexibili- einzelne dezentrale Anlagen gebündelt waren. Der Her-
sierung beleuchtet. steller der beteiligten Hausspeichersysteme und der
Hersteller der beteiligten Heizgeräte übernahmen im
Neue vermarktungsmöglichkeit für flexibilisierte Projekt die Rolle des Aggregators. Zusammen mit den
Biogasanlagen Aggregatoren erfolgte die mess- und steuertechnische
Im Rahmen des enera Projekts wurde nachgewiesen, dass Erschließung der einzelnen Anlagen sowie die Identi-
flexible Biogasanlagen neben der klassischen Direktver- fizierung und Prognose verfügbarer Flexibilität. Bezogen
marktung und den Regelleistungsmärkten auch an einem auf die Hausspeichersysteme wurde dabei die verfügbare
neuen regionalen Flexibilitätsmarkt vermarktet werden Ladeleistung der Batterie im Zusammenhang mit der
können. Dabei ist das grundsätzliche Ziel, die Erlöse aus aktuell freien Speicherkapazität als nutzbare Flexibilität
dem erzeugten Strom für den Anlagenbetreiber zu maxi- identifiziert. Bei den Heizgeräten konnte vor allem der
mieren. Um dies zu ermöglichen, fungiert das Virtuelle Wärmebedarf des Hauses genutzt werden. Bei einem
Kraftwerk als Dienstleister für den Biogasanlagenbetrei- hohen Anteil von Windstrom im Netz konnte dann ein
ber und stellt für diesen die Schnittstelle zu den Ener- strombetriebenes Heizgerät ein konventionelles Gas-
giemärkten dar. Basis der Vermarktungsstrategie ist die Brennwertgerät temporär ersetzen und den Windstrom
Direktvermarktung von Strom aus den Biogasanlagen am in Wärme umwandeln.
Strom-Spotmarkt und die Abwicklung der gesetzlichen
Pflichten zur Fernsteuerbarkeit. Flexibilisierte Anlagen Durch die erfolgreiche Evaluation der Flexibilitätsliefe-
können auch an den Regelleistungsmärkten vermarktet rung aus den Herstellerclouds hat das Virtuelle Kraftwerk
werden, um zusätzliche Erlöse zu generieren. Beispiels- eine neue Schlüsselfähigkeit bekommen, die in naher
weise kann negative Flexibilität aus den Anlagen zur Zukunft nicht nur im regionalen Flexibilitätsmarkt, son-
Stabilisierung des Netzes angeboten werden. Negative dern auch auf den Regelleistungsmärkten an Wichtigkeit
Flexibilität bedeutet, dass bei einem Überangebot von gewinnen könnte. In zahlreichen Feldtests mit insgesamt
Strom im Netz die Einspeiseleistung der Biogasanlage 72 beteiligten Anlagen wurde der Algorithmus für die Fle-
vorübergehend gedrosselt werden und dadurch das xibilitätsprognose stetig verbessert und somit die Güte
Stromnetz stabilisiert werden kann. Ein Ziel aus enera der Flexibilitätslieferung optimiert. Wertvolle Erkennt-
war es, diese negative Flexibilität auch zur Behebung nisse konnten in diesem Zusammenhang über die
von regionalen Netzengpässen nutzbar zu machen. Dies Abhängigkeit der Flexibilität aus Hausspeichern von der
war zuvor nicht möglich, da den Biogasanlagen bei der Fotovoltaik-Anlage und dem Strombedarf des Haushalts
Vermarktung nur regelzonenscharfe topologische Daten gewonnen werden. Bei den Heizgeräten spielen Außen-
zugeordnet waren. Der Flexibilitätsnachfrager kannte temperatur und Tageszeit eine wichtige Rolle.
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Eingruppierung unterschiedlicher Anlagen anhand von bar gemacht und auf Vermarktungsprozesse abgebildet
frei konfigurierbaren Merkmalen in Portfolios. Für die werden konnten.
Anwendung im regionalen Flexibilitätsmarkt wurden die
Merkmale so gewählt, dass sie genau den Marktgebieten
(Umspannwerken) des Demonstrationsgebiets entspre-
chen. Die Flexibilität der Anlagen wurde automatisch
zu verschiedenen Portfolien mit der Entsprechung des
jeweiligen Marktgebiets zusammengefasst und konnte
konsolidiert am Markt platziert werden. Nachdem es
zwischen Flexibilitätsanbieter und Netzbetreiber zum
Geschäft am enera Markt gekommen war, wurde das Han-
delsergebnis wiederum auf die einzelnen Anlagen des
Portfolios dieses Marktgebiets aufgeteilt. Die Fahrpläne
der Anlagen wurden in Höhe ihres Anteils am Geschäft
abgesenkt oder erhöht. Auf diese Weise wurde mittels
der Fahrplanänderungen der Anlagen eine Auflösung des
vom Netzbetreiber prognostizierten Engpasses erreicht.
Voraussetzungen, Design und Anwendungserfahrungen vorgenommen. Liegen die aus dem Handelsergebnis
mit einem Markt für Flexibilität resultierenden physikalischen Lastflüsse über den Über-
tragungskapazitäten des Netzes, entsteht ein Engpass,
der vom Netzbetreiber behoben werden muss.
AUTOREN: JAN JEBENS (EWE AG); JANA WILKEN (EWE AG);
HENRIKE SOMMER (EPEX SPOT); SYLVIE TARNAI (EPEX SPOT); Da, wie zuvor dargestellt, den Marktteilnehmern bei den
ELIES LAHMAR (EPEX SPOT) bestehenden kurzfristigen Strommärkten für Energie in
WESENTLICH BETEILIGTE PARTNER: EWE AG, EWE NETZ der Regel keine Informationen über den Ort der Einspei-
GMBH, EPEX SPOT SE, UNIVERSITÄT DUISBURG-ESSEN sung oder Entnahme vorliegen, eignen sich diese nicht
zur Beseitigung von Engpässen.
AP 07
hält abweichende Regelungen für Projektteilnehmer, um
projekts enera entstanden. Dieser wurde weder losgelöst die mit einer Teilnahme verbundenen höheren Kosten
vom bestehenden deutschen Strommarktdesign ent- durch höhere Netzentgelte, die aufgrund der Aktivitäten
wickelt noch parallel hierzu aufgebaut, sondern in das im Projekt entstehen, zu kompensieren. Darüber hinaus
existierende Marktumfeld eingebettet. Zum besseren enthält die Sinteg-V auch eine Regelung, die es Verteil-
Verständnis wird im Folgenden ein kurzer Einblick in die netzbetreibern erlaubt, abweichend von § 13 Absatz 6
relevanten Aspekte des bestehenden Rahmens gegeben. EnWG eine Flexibilitätsplattform einzurichten, ohne dass
Das deutsche Strommarktdesign basiert auf einem alle Verteilnetzbetreiber daran beteiligt werden müssen.
Großhandel für Strom, der innerhalb von Deutschland Nur durch diese Regelung wurde der Aufbau der Han-
ohne Berücksichtigung von Netzrestriktionen erfolgt. delsplattform als zentrales Element des enera Flexmarkts
Dabei kommt den Netzbetreibern die Aufgabe zu, daraus überhaupt möglich.
resultierende Überschreitung technischer Grenzen zu
verhindern und über korrigierende Maßnahmen ent- 3. Ziele des Marktdesigns
gegenzuwirken. Dies gilt sowohl in Bezug auf Stromtrans- Ziel des Marktdesigns ist es, ein möglichst großes Flexibi-
portfähigkeit einzelner Betriebsmittel als auch für Span- litätspotenzial für das Engpassmanagement zu erschlie-
nungsbandverletzungen oder Frequenzabweichungen. ßen und dieses über einen einheitlichen, transparenten
Mechanismus abzurufen. Dabei soll das Marktdesign
Zur Behebung von Netzengpässen stehen den Netzbetrei- einen liquiden, effizienten und vorteilbringenden Handel
bern verschiedene Werkzeuge zur Verfügung, mit denen ermöglichen und helfen, volkswirtschaftliche Kosten, z. B.
diese in Abhängigkeit der erforderlichen Eingriffsintensi- durch Einspeisemanagement oder Redispatch, zu redu-
tät auf Netzüberlastungen reagieren können. Dabei spielt zieren.
es keine Rolle, ob diese durch das Marktergebnis, durch
notwendige Frei- und Umschaltungen im Netz oder durch Da der Flexibilitätsmarkt parallel zum Großhandelsmarkt
Störungsereignisse hervorgerufen worden sind. funktionieren und diesen nicht ersetzen soll, ist eine der
Voraussetzungen für ein geeignetes Marktdesign die frei-
Sind alle kostenneutralen Maßnahmen wie z. B. Schalt- willige Teilnahme. Ein marktlicher Mechanismus ist hier
maßnahmen zur Beseitigung einer Netzüberlastung besonders geeignet, um Marktteilnehmer anzureizen, ihre
ausgeschöpft, wenden Netzbetreiber Maßnahmen an, Flexibilität zur Verfügung zu stellen. Ein weiterer großer
bei denen die Einspeisung von Erzeugungsanlagen Vorteil eines marktlichen Mechanismus ist es, dass eine
Nationaler Energiemarkt
23 Marktgebiete in
enera Modellregion
ABBILDUNG 1: DARSTELLUNG DER UNTERSCHIEDLICHEN MARKTGEBIETSGRÖSSE AM NATIONALEN ENERGIEMARKT UND AM ENERA FLEX-
MARKT (QUELLE: EWE AG)
AP 07
Person bzw. einem Unternehmen ausgefüllt werden. Im
ger Flexibilität kann darüber hinaus die Abregelung von Folgenden wird eine idealtypische Verteilung der Rollen
Erneuerbaren vermieden werden. So wird eine Integra- auf unterschiedliche Akteure und deren wesentliche
tion höherer Anteile erneuerbarer Energien in das Netz Interaktionen untereinander dargestellt. Abbildung 2
ermöglicht. zeigt ergänzend hierzu eine schematische Übersicht.
Über eine möglichst effiziente Einbindung bereits beste- Der Anlagenbesitzer tritt in der Regel auf Grundlage einer
hender Flexibilitätspotenziale hinaus ist es außerdem vertraglichen Vereinbarung sein Recht auf Steuerung der
Ziel des hier vorgeschlagenen Marktdesigns, Anreize für Anlage und die damit verbundene Vermarktung der Flexi-
zusätzliche Flexibilitätspotenziale zu schaffen. Der Markt bilität an einen Dritten ab. Dies kann der Aggregator oder
bringt Angebot und Nachfrage zusammen und gibt damit direkt der Vermarkter sein.
Flexibilität einen Wert, in der Form eines aussagekräftigen
Preissignals. Auf lange Sicht werden so auch die richtigen Für die Teilnahme am enera Flexmarkt können Anlagen
Anreize für lokale Investitionen in Flexibilität geschaf- zusammengefasst werden. Dazu müssen die Anlagen im
fen. Das Preissignal zeigt auf, wo Flexibilität besonders selben Marktgebiet ans Netz angeschlossen sein, von
benötigt wird. Dies kann zum Beispiel durch eine Flexi- der gleichen Erzeugungsart (z. B. Biogas-, Windenergie-
bilisierung bestehender Anlagen oder im Rahmen eines oder PV-Anlagen) sein und für eine Teilnahme am enera
Anlagenzubaus erfolgen. Flexmarkt zertifiziert sein. Die Bündelung der Flexibilität
mehrerer Anlagen zum Zweck der gemeinsamen Ver-
Neben einer Ergänzung zum Netzengpassmanagement marktung übernimmt der Aggregator. Die Aggregation
können Flexibilitätsabrufe über einen solchen Markt, ermöglicht zum einen, viele kleine Anlagen zusammen zu
wenn dieser zusätzliches Flexibilitätspotenzial ein- vermarkten und somit die Transaktionskosten zu senken.
binden kann, auch grundsätzlich eine Alternative zum Zum anderen erhöht sie die Zuverlässigkeit, da bei einem
Netzausbau darstellen. Ob das betriebswirtschaftliche Ausfall einer Anlage ggf. andere Anlagen einspringen
Optimum in der Abwägung zwischen Netzausbau und können.
Engpassmanagement liegt, hängt jedoch nicht nur von
den Kosten für das Engpassmanagement ab, sondern vor
allem auch von staatlichen Anreizstrukturen.
Gegenpart im Geschäft zur Vermarktung der Flexibilität 5.1 zertifizierung der Flexibilitätsanlagen
ist der kontrahierende Netzbetreiber. Dieser identifi- Ein Markt, so wie er hier beschrieben wird, benötigt ein
ziert den Bedarf für die Flexibilität zum Beispiel durch zentrales Register, in dem die zur Flexibilitätserbringung
Engpässe im eigenen Netz und tritt als ausschließlicher berechtigten Anlagen und deren Stammdaten hinterlegt
Käufer der Flexibilität auf dem Flexibilitätsmarkt auf. sind. Der enera Flexmarkt sieht aus diesem Grund einen
Dabei gibt es grundsätzlich keine Beschränkung, dass der Zertifizierungsprozess vor. In diesem zweistufigen Prozess
kontrahierende Netzbetreiber nur Flexibilität aus Anlagen müssen die Anlagen vom Flexibilitätsanbieter zunächst
kontrahieren darf, die am eigenen Netz angeschlossen für die Teilnahme angemeldet und die wesentlichen
sind. Anlagenstammdaten hinterlegt werden. In einem zweiten
Schritt müssen die Anlagen vom anschließenden Netz-
Im Gegensatz zur Rolle des kontrahierenden Netzbetrei- betreiber geprüft und dem richtigen Marktgebiet zuge-
bers besteht die Beziehung des anschließenden Netz- ordnet werden. Außerdem müssen die IT-technischen
betreibers nur zu Anlagen in seinem eigenen Netz. In Voraussetzungen für die erforderlichen Datenlieferungen
dieser Rolle ist der Netzbetreiber verantwortlich dafür, zur Nachweisführung geschaffen werden. Anschließend
die an seinem Netz angeschlossenen Anlagen für eine erfolgt die Eintragung in das zentrale Flexibilitätsregister
Teilnahme am Markt zuzulassen und erteilt hierzu ent- (kurz: Flexregister). So wird sichergestellt, dass Anlagen
sprechend die Freigaben für die vom Vermarkter ange- bekannt sind, damit beispielsweise keine Flexibilität aus
meldeten Anlagen. nicht existierenden Anlagen oder Flexibilität mehrfach
angeboten werden kann.
ABBILDUNG 2: BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEN EINZELNEN MARKTROLLEN DES ENERA FLEXMARKTS (QUELLE: EWE AG)
AP 07
form (Nachweisplattform) gewährleistet.
Flexibilitätsabruf Fahrpläne für die geplante Fahrweise
zu senden. Hintergrund hierfür ist vor allem, dass ver- Zum Nachweis der physischen Erbringung der Flexibilität
hindert werden soll, dass ein Flexibilitätspotenzial durch wird auf Grundlage der Stamm- und Bewegungsdaten der
eine kurzfristige Fahrplananpassung überhaupt erst involvierten Anlagen ein Soll-/Ist-Vergleich vorgenom-
geschaffen wird. men (Börries, Herrmann, Höckner, Ott, & Steiner, 2018).
Dabei ist zwischen dargebotsabhängigen und fahrplanfä-
Auf Seite der Netzbetreiber ist vor allem eine gute Eng- higen Anlagen zu unterschieden. Für dargebotsabhängige
passprognose erforderlich. Da der Markt auf eine voraus- Anlagen wird dabei die theoretisch mögliche Einspeisung
schauende Engpassbeseitigung ausgelegt ist, müssen die auf Basis der etablierten Pauschal- und Spitzabrech-
Netzbetreiber ihre Engpässe und die Höhe der Überlas- nungsverfahren ermittelt. Für fahrplanfähige Anlagen
tung vorhersagen können. werden geplante und vorab zu meldende Fahrpläne als
Referenz genutzt.
5.3 Netzbetreiberkoordination
Bei der Kontrahierung von Flexibilitäten über den enera Im vorgestellten Marktdesign erfolgt die Abrechnung der
Flexmarkt kann der kontrahierende Netzbetreiber Ange- Flexibilitätserbringung durch die anfordernden Netz-
bote auch von Vermarktern annehmen, die sich auf betreiber selbst. Dazu steht ihnen im Projekt enera eine
Anlagen beziehen, die nicht an das eigene Netz ange- zentrale Nachweisplattform zur Verfügung, über die die
schlossen sind. So kann zum Beispiel der Übertragungs- vertragsgemäße Erbringung von Flexibilität anhand der
netzbetreiber Leistung aus dem Verteilnetz kontrahieren, Stamm- und Bewegungsdaten nachvollzogen und veri-
um dadurch eine Engpassentlastung im Übertragungs- fiziert werden kann. Der Nachweismechanismus berück-
netz zu erzielen. sichtigt dabei etwaige EISMAN- und Regelleistungsab-
rufe, sodass die Nachweisplattform die erforderlichen
Da es sich hierbei jedoch um Eingriffe in das Netz eines Informationen für eine Abrechnung liefert.
anderen Netzbetreibers handelt, müssen der Netz-
betreiber, an dessen Netz die Anlagen angeschlossen Neben der Auswertung der Daten für die Abrechnung
sind, und ggf. dazwischenliegende Netzbetreiber dem werden die Daten auch für eine Prüfung des Marktverhal-
Abruf zustimmen. Dazu gibt es vor Flexibilitätsabrufen tens der Anbieter verwendet, um unerwünschtes Markt-
eines überlagerten Netzbetreibers einen standardisier- verhalten aufdecken und nachweisen zu können. Das
ATTRIBUT BESCHREIBUNG
Lokale Marktgebiete, die von den Netzbetreibern auf der Grundlage verfügbarer
MARKTGEBIET
Flexibilitätsressourcen und erwarteter Engpässe definiert werden
HANDELSPERIODE 24/7
AP 07
Non_RES_Hour_Power 60 Minuten Nicht-erneuerbare Flexibilität
MINDESTVOLUMENSCHRITT 0.1 MW
Während des Handels wird der Markt in der Balancing Trading Phase sein. In diese
HANDELSPHASE
Phase können regular orders nur mit balancing orders gematcht werden.
TABELLE 1: FLEXIBILITÄT ALS STANDARDISIERTES PRODUKT AUF DEM ENERA FLEXMARKT (QUELLE: EPEX SPOT)
AP 07
ist. Die Änderungen der Regelungen zum Redispatch im
Zuge der Novelle des Netzausbaubeschleunigungsge-
setzes (NABEG 2.0) wurden während des enera Projekts
beschlossen und bestätigten einen kostenbasierten
Redispatch. Solche regulatorischen Änderungen beein-
flussen das Verhalten aller Marktteilnehmer, die sich
bestmöglich auf den zukünftigen Rechtsrahmen vorbe-
reiten wollen. In diesem Sinne schränkten die regulato-
rischen Änderungen die Aktivitäten und Entwicklungen
ein, die in enera unter günstigeren Bedingungen hätten
erreicht werden können.
Darüber hinaus werden die Netzbetreiber in Zukunft im Wenn also der marktbasierte Redispatch auf kleine und
Rahmen des Redispatch für die Abwicklung der Abrech- lastseitige Flexibilitäten angewendet wird und erzeu-
nungsprozesse gegenüber den Vermarktern verantwort- gungsbasierte Anlagen kostenbasiert im Redispatch
lich sein. Diese Zuständigkeit wurde auch im Marktdesign genutzt werden, entsteht ein Hybridmodell, in dem beide
des enera Flexmarkts definiert, sodass die Netzbetreiber Modelle koexistieren. Durch die Möglichkeit, jede Art von
auch hier bereits Erfahrungen sammeln und sich auf Flexibilität netzdienlich einsetzen zu können, wird nicht
diese neue Aufgabe vorbereiten konnten. nur die Entwicklung neuer Flexibilität angereizt, sondern
auch das Potenzial bestehender Flexibilität voll genutzt.
Um ein effizientes Engpassmanagement mit dem Einsatz Darüber hinaus erlaubt die Integration lastseitiger Flexi-
von vielen, auch kleineren Erzeugungsanlagen durch- bilität eine Reifung dieser Technologien, was langfristig
führen zu können, bedarf es einer umfassenden und zu geringeren Kosten für diese Technologie führt.
genauen Datengrundlage. Dieses betrifft vor allem die
Erhebung und Zurverfügungstellung von Plandaten und Dennoch hat die Umsetzung des Projekts auch gezeigt,
Prognosen. Der enera Flexmarkt wurde zum Zwecke des dass nicht nur das Marktdesign, sondern auch der regu-
Engpassmanagements entwickelt. Somit basiert auch latorische Rahmen für den Erfolg eines solchen Markts
dieser einerseits auf einer hohen Prognosegüte – vor entscheidend sind. Die Umsetzung der Marktplattform
allem auch auf lokaler und kleinteiliger Ebene. Es wur- hat es den Marktteilnehmern ermöglicht, miteinander in
den sowohl seitens der Vermarkter lokale Last- als auch den Austausch zu treten und Flexibilität effizient anzu-
Erzeugungsprognosen entwickelt, die in eine Netzeng- bieten und nachzufragen. Für eine Umsetzung eines sol-
passprognose eingebettet wurden und dem Netzbetrei- chen Marktdesigns auch außerhalb des Projektrahmens
ber bereits einige Tage im Voraus einen zu erwartenden müssten sowohl Netzbetreiber als auch Flexibilitäts-
Engpass mitteilte. Andererseits wurden u. a. die virtuellen anbieter die richtigen Anreize haben, Flexibilität markt-
Kraftwerke der Vermarkter derart ertüchtigt, diese Daten basiert bereitzustellen und zu beschaffen. Diese Anreize
auch zur Nachweisführung der Handelsgeschäfte bereit- müssen über eine entsprechend angepasste Regulatorik
stellen zu können. Es lassen sich also auch hieraus wich- geschaffen werden, wobei festzustellen ist, dass die
tige Erkenntnisse und Entwicklungen für das zukünftige Regelungen der Sinteg-V, die nur für den Projektrahmen
Redispatch 2.0 nutzen. gelten, nicht ausreichend sind.
BÖRRIES, S., HERRMANN, A., HÖCKNER, J., OTT, R., & STEI-
NER, S. (2018). enera: Flexibilitätsmärkte für die netzdien-
liche Nutzung. Lösungsansätze und Chancen aus Sicht der
Netzbetreiber. Netzpraxis, Jg. 57, Heft 11-12, 51-53.
AP 07
AUTOREN: ELIES LAHMAR (EPEX SPOT); HENRIKE SOMMER ABBILDUNG 1: ENERA PROJEKTPHASEN, QUELLE: EPEX SPOT
(EPEX SPOT); SYLVIE TARNAI (EPEX SPOT)
1. Hintergrund Das Ziel war es, den Abruf von Flexibilität gemäß dem
Dekarbonisierung und Dezentralisierung stellen das Marktdesign zu ermöglichen, das im oben aufgeführten
Energiesystem vor neue Herausforderungen. Durch die separaten Artikel näher beschrieben wird. Mit dem enera
Energiewende müssen immer mehr geografisch verteilte Markt ging der erste börsenbetriebene Flexibilitätsmarkt
und variabel produzierende Anlagen in das System integ- für Engpassmanagement in Europa live. Die Demonst-
riert werden. Dies ist vor allem eine Herausforderung für rationsphase des Flexibilitätsmarktkonzepts als Ganzes
das Netz, das auf diese Art der Nutzung nicht ausgelegt und des Marktplatzes im Besonderen wurde erfolgreich
war und dessen Ausbau nicht mit den aktuellen Anforde- vom 04. Februar 2019 bis zum 30. Juni 2020 durchgeführt.
rungen Schritt halten kann. Im Laufe des Marktbetriebs konnte so angebotene lokale
Flexibilität effizient zentralisiert und in koordinierter
Marktbasierte Flexibilitätsoptionen sollen vor diesem Weise von Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern
Hintergrund Netzbetreibern zusätzliche kostengünstige aktiviert werden. Insgesamt wurden mehr als 4.000 Fle-
Mechanismen bereitstellen, um das Netz aktiv zu mana- xibilitätsgebote an das System übermittelt, was zu über
gen. So kann die Systemsicherheit garantiert werden, 130 Transaktionen geführt hat – in insgesamt 23 lokalen
während Engpassmanagementkosten reduziert werden. Marktgebieten. Neun Marktteilnehmer haben zum Erfolg
Das enera Projekt hat in diesem Kontext dazu beigetra- des Projekts beigetragen: zwei Verteilnetzbetreiber, ein
gen, das Marktdesign und die relevanten Prozesse für Übertragungsnetzbetreiber und sechs Flexibilitätsanbie-
einen Flexibilitätsmarkt zu erarbeiten. Das grundsätzliche ter.
Konzept für ein Marktdesign, das den Netzbetreibern effi-
zient Flexibilität zur Verfügung stellt, ist im Artikel „Das Die erfolgreiche Umsetzung des Marktdesigns wurde
Marktdesign des enera Flexmarkts“ beschrieben. durch die Implementierung des Marktplatzes mit seinem
Handelssystem und dazugehörigen Prozessen ermög-
Das Herz eines jeden Markts unter einem bestimmten licht.
Marktdesign ist der digitale Marktplatz – dort, wo Ange-
bot und Nachfrage zusammentreffen und ein Preissignal 2. Präsentation des enera Flexmarkts
entsteht. Der Marktplatz und seine Umgebung bestehen
aus dem Handelssystem selbst, das für die Bereitstellung 2.1 Der handelsprozess am enera Markt
und die Aktivierung von Flexibilität genutzt wird, sowie Prozesse, Produkte und IT-Systeme des enera Markts ori-
aus zahlreichen Satellitensystemen und Prozessen, die entieren sich am etablierten, überregional organisierten
für Pre- und Post-trading-Aufgaben genutzt werden. Intraday-Markt. Durch die Orientierung der Systeme und
Dieser Artikel gibt eine High-level-Beschreibung des von Prozesse an den bestehenden Großhandelsmarkt wurde
EPEX SPOT implementierten enera Marktplatzes. der Aufwand der Anbindung und operativen Nutzung des
Flexibilitätsmarkts für Marktteilnehmer erheblich redu-
Der enera Marktplatz wurde von EPEX SPOT im Rahmen ziert, was zu einer Senkung der Markteintrittsbarrieren
des enera Projekts konzeptualisiert, entwickelt, umge- führt. Die Anpassung der bestehenden Systeme an die
setzt und betrieben. spezifischen Bedürfnisse des Flexibilitätshandels war
dabei eine der großen Herausforderungen des Projekts.
Der Handel öffnet um 15 Uhr des Vortags (D-1) und endet
5 Minuten vor Lieferstart. Dies ermöglicht den Handel
AP 07
• Zu Beginn erteilt der anschließende Netzbetreiber Netzbetreibern als Käufer und Flexibilitätsanbieter als
einmalig eine Zertifizierung für die Flexibilitäts- Verkäufer, insbesondere in Hinblick auf Unbundling-
anlagen, die als Berechtigung für die Teilnahme am Vorschriften für Netzbetreiber
Flexmarkt dient • Ein anonymer Markt mit transparenten Prozessen und
• Die Netzbetreiber führen regelmäßig Netzeng- Preissignalen, die die Entwicklung neuer Flexibilitäts-
passprognosen durch, um so möglichst frühzeitig ressourcen fördern
im Intraday-Zeitbereich Engpässe in ihrem Netz
zu detektieren und den daraus resultierenden Der Marktplatz wurde vom erfahrenen Market Opera-
Flexibilitätsbedarf zu bestimmen sowie diesen mit tions Team der EPEX SPOTs 24 Stunden, 7 Tage die Woche
den anderen Netzbetreibern zu koordinieren. Die betrieben. So wurde sichergestellt, dass Marktteilnehmer
Netzbetreiber stellen anschließend ihren Bedarf an jederzeit die notwendige Unterstützung erhalten und
Flexibilität sowie ihre Zahlungsbereitschaft auf der dass das System zu jeder Zeit effizient zur Verfügung
Handelsplattform ein. Ebenso stellen die Vermarkter steht.
ihre verfügbare Flexibilität sowie Angebotspreise ein.
Die Handelsplattform stellt Angebot und Nachfrage 3. Die Umgebung des Marktplatzes
gegenüber und informiert im Anschluss die Marktteil-
nehmer, wenn beide Gebote kompatibel sind und ein 3.1 Das Handelssystem
Geschäft zustande gekommen ist. Anschließend ist Das für den enera Marktplatz genutzte Handelssystem
der Flexibilitätsanbieter verpflichtet, die Flexibilität ist das M7-Handelssystem, bereitgestellt durch Deutsche
entsprechend den Produktspezifikationen zu liefern. Börse AG und schon durch den Intraday-Handel der EPEX
Der enera Marktplatz stellt somit einen Koordinie- SPOT bekannt. Dieses Handelssystem wurde mit neuen
rungsmechanismus bereit, der Zahlungsbereitschaft Funktionalitäten und Eigenschaften erweitert, um den
und Kosten für Flexibilität zusammenführt und den Use Case eines Flexibilitätsmarkts abzubilden. In einem
Preis für Flexibilität ermittelt. Orderbuch werden Flexibilitätsangebote mit Flexibili-
• Die Flexibilitätslieferung hat eine physische Auswir- tätsnachfragen mit identischen Produktmerkmalen ano-
kung auf das Stromnetz (Einspeisung oder Entnahme nymisiert zusammengeführt, ergänzt mit Informationen
von Strom in das bzw. aus dem Netz), wodurch zu Menge und Preis für jedes Gebot. Die Kombination
Netzengpässe wirksam gelöst oder gemildert werden verschiedener Produktmerkmalsausprägungen führt zu
Als Teil des enera Projekts hat die EPEX SPOT verschiedene
operationelle und regulatorische Berichte implementiert,
die auf Daten zur Handelsaktivität beruhen. Abbildung 5
gibt eine Übersicht über diese Berichte und ordnet sie in
den Handelsablauf ein.
ABBILDUNG 4: ENERA „MARKTÜBERSICHT“ – HANDELSFENSTER IM
M7-SYSTEM, QUELLE: EPEX SPOT
AP 07
In der hier abgebildeten Benutzeroberfläche sind ver-
schiedene Orderbücher aufgeführt, die die Produktviel-
falt im enera Markt aufzeigen: Es gibt erneuerbare und
nicht-erneuerbare Flexibilität, angeboten für verschie-
dene Lieferzeitpunkte und verschiedene Lieferperioden
(15 Minuten und 60 Minuten). So kann der Marktplatz
dazu beitragen, verschiedene Flexibilitätsbedürfnisse zu ABBILDUNG 5: DER HIGH-LEVEL-PROZESS DES ENERA MARKTS,
erfüllen. QUELLE: EPEX SPOT
AUTOREN: SIMON VOSWINKEL, JONAS HÖCKNER UND CHRIS- Da der Spotmarkt bereits stattgefunden hat, kann davon
TOPH WEBER (UNIVERSITÄT DUISBURG-ESSEN) ausgegangen werden, dass alle Teilnehmer ihre Erzeu-
gung bzw. ihren Konsum optimiert haben. Um somit in
der Überschussregion Strom zu verkaufen, muss der ÜNB
Die intensiv geführte Debatte zum Increase-Decrease dies unterhalb des sich am Spotmarkt vorher ergebenden
(Inc-Dec)-Gaming im Zusammenhang mit Redispatch- Marktpreises tun – zum Marktpreis haben alle potenziel-
Märkten ist vor allem auf die Veröffentlichung von Hirth len Teilnehmer ihr Verhalten ja bereits optimiert. In der
und Schlecht (2019) zurückzuführen, in der strategisches anderen Region muss der ÜNB den Kraftwerken dagegen
Verhalten bei Einführung eines Redispatch-Markts unter- einen Betrag über dem Marktpreis zahlen – wäre der
sucht wurde. Der regionale Flexibilitätsmarkt, wie er in Marktpreis ausreichend für Erzeugung aus den Kraftwer-
enera implementiert wurde, kann im weiteren Sinne als ken gewesen, würden diese bereits auf Basis des Spot-
eine eigene Ausgestaltungsform eines Redispatch-Markts marktergebnisses einspeisen. In der Überschussregion
gesehen werden, sodass die Problematik des strate- ist somit Energie günstiger zu kaufen als auf dem Spot-
gischen Verhaltens auch für den enera Flexmarkt gilt. markt, während in der anderen Region Energie teurer zu
Inc-Dec-Gaming stellt somit grundsätzlich ein Problem verkaufen ist als auf dem Spotmarkt.
dar. Ein Konzept zur Begrenzung des Inc-Dec-Gaming ist
Market Monitoring (Marktüberwachung), das nachfolgend Um Inc-Dec-Gaming handelt es sich, wenn Marktteil-
näher erläutert wird. nehmer sich auf diese Gegebenheit einstellen und sich
dafür optimieren. Erzeuger in der Überschussregion, die
Inc-Dec-Gaming auf dem Spotmarkt aufgrund zu hoher Grenzkosten unter
Als Inc-Dec-Gaming im Allgemeinen1 wird die Aktivi- sonstigen Umständen nicht zum Zuge kommen würden,
tät von Händlern verstanden, sich in Antizipation eines können ihre Gebote auf dem Spotmarkt reduzieren, in
Redispatch-Markts auf dem Spotmarkt strategisch so dem Wissen, dass sie die verkaufte Energie später günstig
positionieren, dass sie ihre Erlöse insgesamt maximie- wieder zurückkaufen können2.
ren (vgl. Hirth und Schlecht, 2019). Im Spotmarkt ist der
Handel zunächst unbeschränkt, der Engpass wird nicht In der anderen Region erwarten Erzeuger dagegen höhere
berücksichtigt. Dies entspricht den aktuellen Gegeben- Preise auf dem Redispatch-Markt und erhöhen ihre
heiten innerhalb Deutschlands. Der Redispatch-Markt Gebote dementsprechend auf dem Spotmarkt, um diese
dient dazu, im Falle einer durch das Spotmarktergebnis höheren Preise entweder direkt auf dem Spotmarkt zu
auftretenden Überlastung die Erzeugung so anzupassen, erhalten oder aber auf dem Redispatch-Markt zu höhe-
dass die Restriktionen des Netzes eingehalten werden. ren Preisen zum Zuge zu kommen. Insgesamt wird so in
Dazu muss in einer der Regionen (Überschussregion) die der Überschussregion am Spotmarkt mehr verkauft, da
Erzeugung reduziert werden, während in der anderen teurere Erzeuger sich in den Markt einpreisen, während
Region die Erzeugung um den gleichen Betrag erhöht wird. das Angebot in der anderen Region zurückgeht, da auf
In der Überschussregion verkauft der Übertragungsnetz- bessere Preise spekuliert wird. Der Engpass wird damit
betreiber (ÜNB) somit Energie an die Erzeugungsanlagen, verstärkt und die Behebung des Engpasses über den
die dafür nicht selbst erzeugen, und kauft diese Energie Redispatch-Markt wird durch das gestiegene Redispatch-
von Anlagen in der anderen Region, die dafür erzeugen. Volumen teurer. Zudem werden die Preise am Spotmarkt
verzerrt, da Akteure nicht mehr nach ihren Grenzkosten
bieten, sondern nach ihren beschriebenen Opportuni-
tätskosten.
AP 07
ren berücksichtigt werden. Bei Kühlhäusern dürfte z. B.
vorgetäuscht werden, obwohl ohne den enera Markt die die Außentemperatur einen großen Einfluss auf die Fahr-
tatsächliche Fahrweise die gleiche gewesen wäre. weise der Kompressoren haben.
Bei einem Verbraucher in der enera Region sind zwei Um statistisch valide Aussagen über systematische
Varianten des strategischen Verhaltens möglich: Abweichungen der Baselines in Engpasszeiten zu treffen,
welche sich nicht über die weiteren in das Modell einge-
1. Wenn der Verbraucher einen Engpass aufgrund zu henden Variablen erklären lassen, sind hinreichend viele
hoher Windeinspeisung erwartet, liefert er eine Beobachtungen notwendig.
Baseline, in der er keinen (oder niedrigen) Strombezug
für den Engpasszeitraum anmeldet, obwohl er eigent- Wie in der Abbildung 2 deutlich wird, werden zunächst
lich (mehr) Strom beziehen würde. Er will sich seinen aus historischen Baselines und weiteren möglichen
normalen Strombezug also zusätzlich vergüten lassen. Einflussgrößen prognostizierte Baselines für Engpass-
Dies würde bei dem Vergleich mit den historisch zeiträume erstellt. Diese können mit den gemeldeten
gelieferten Fahrplänen auffallen. Bezieht ein Verbrau- Baselines in diesen Zeiträumen verglichen werden.
cher zum Beispiel immer zwischen 8 und 18 Uhr eine Jede einzelne prognostizierte Baseline muss keine hohe
Leistung X MW und nur in prognostizierten Engpass- Prognosegüte für einen konkreten Zeitpunkt bieten und
situationen weicht der gemeldete Fahrplan davon ab, wäre somit nicht für eine direkte Berechnung der Grenz-
ist dies ein Hinweis auf strategisches Verhalten. kosten von Flexibilitäten für einen konkreten Zeitpunkt
2. Ein Verbraucher könnte auf die Idee kommen, geeignet. Über den Vergleich vieler Prognosen mit vielen
Fahrpläne zu melden, die durchgängig keinen Bezug in Engpasszeiten gemeldeten Baselines können jedoch
anzeigen. So würde der gemeldete Fahrplan nicht nur statistisch valide Ergebnisse über systematische Abwei-
zu Engpasszeiten, sondern dauerhaft von der eigent- chungen erzielt werden.
lichen Ist-Entnahme abweichen. Dies würde durch
den Vergleich mit der historischen tatsächlichen Wird eine systematische Abweichung der gemeldeten
Entnahme der Flexibilität identifiziert werden können. Fahrpläne durch das Modell identifiziert, müssen in den
Marktregeln festgelegte Sanktionen greifen. Dies kann
Nur der erste Fall dürfte ein ernsthaftes Problem darstel- zum Beispiel den Ausschluss eines Händlers vom Flexi-
len, da der zweite Fall trivial zu erkennen ist. bilitätsmarkt oder hohe Strafzahlungen zur Folge haben.
ABBILDUNG 2
AUTOR: JÖRAN GERTJE (EWE NETZ GMBH) Einordnung des Nachweisverfahrens in den Gesamt-
WESENTLICH BETEILIGTE PARTNER: EWE NETZ GMBH, EWE AG kontext des enera Flexmarkts.
AP 07
Windkraft- und Fotovoltaik-Anlagen produzieren weit- gemessene Wert vor der Maßnahme als Referenzwert für
gehend witterungsabhängig und zeigen keine Sensitivität die Erbringungskontrolle.
der Einspeisemenge gegenüber typischen Großhandels-
preisen. Anlagentyp 2: fahrplanfähige Anlagen
Am enera Flexmarkt sind unter diesem Anlagentyp Bio-
Die größte Herausforderung bei diesen technischen gasanlagen sowie Speicher und Lasten zu subsumieren.
Einheiten ist die Unsicherheit einheitenspezifischer Pro-
gnosen. Andererseits kann die mögliche Produktion der Im Gegensatz zu den nicht-fahrplanfähigen Anlagen wer-
technischen Einheiten aus externen Bedingungen abge- den die Referenzwerte dieses Anlagentyps grundsätzlich
leitet werden – unter der Annahme, dass die Energiepro- ex-ante benötigt. Der Vermarkter ist dazu verpflichtet,
duktion aus diesen technischen Einheiten immer durch entsprechende Fahrpläne in viertelstündigen Werten
die physikalischen Bedingungen begrenzt ist. Daher wird mitzuteilen. Er hat dabei jederzeit die Möglichkeit, seinen
die Baseline dieses Einheitentyps nicht ex-ante benötigt, bereits gemeldeten Fahrplan zu aktualisieren. Jeder Fahr-
sondern kann ex-post geliefert werden. plan wird mit einem Zeitstempel versehen und ist über
die Nachweisplattform einsehbar. Als Referenzwert wird
Bei der Zertifizierung von flexiblen technischen Einheiten der jeweils aktuellste Fahrplan (laut Zeitstempel) vor Kon-
kann der Vermarkter im Flexregister je technischer Einheit trahierung einer Flexibilität am Flexmarkt herangezogen.
zwischen dem Spitz- und dem Pauschalnachweis wählen.
Die Auswahl findet einmalig statt und ist anschließend Sofern ein Vermarkter am Flexmarkt aktiv werden möchte,
bindend. muss ein Fahrplan erstmals mindestens zwölf Stunden
vor Beginn der Maßnahme geliefert werden. Dieser muss
Spitznachweis einen Bereich von mindestens 24 Stunden umfassen.
Die Basis-Baseline von Einheitentyp zum Zeitpunkt t ent- Zum Zeitpunkt des ersten Trades für einen Lieferzeitraum
spricht der zu diesem Zeitpunkt möglichen Einspeisung muss der letzte übermittelte Referenzfahrplan Werte bis
der flexiblen technischen Einheit. mindestens zwölf Stunden nach dem Lieferzeitraum ent-
halten.
Der Spitznachweis wird analog zu dem Spitznachweis
im Rahmen der Härtefallentschädigung des Einspeis-
Mit Ausnahme des Referenzfahrplans können die Daten Die Zeitreihen von Regelleistungsabrufen sind genau
kontinuierlich oder nur nach Zustandekommen eines wie die Referenzwerte ebenfalls von den Vermarktern
Trades bereitgestellt werden. Auch in diesem Fall müs- bereitzustellen. Die Zeitreihen über Signale im Rahmen
sen die Daten spätestens am dritten Tag nach Lieferung des Einspeisemanagements werden vom anschließenden
der Flexibilität übermittelt werden. Maßgabe ist hier der Netzbetreiber, EWE NETZ, zur Verfügung gestellt.
Zeitstempel des Dateneingangs. Die Referenzfahrpläne
von Anlagentyp 2 müssen grundsätzlich ex-ante geliefert Auf vom Netzbetreiber gesteuerte Einsätze wie dem Abruf
werden. von Regelleistung oder Maßnahmen im Rahmen des Ein-
speisemanagements hat der Anlagenbetreiber keinen
Benötigte Daten der Marktplattform Einfluss. Dennoch sind diese bei der Bildung der für die
Die Tradedaten der Marktplattform werden in einem Nachweisführung relevanten Baseline zu berücksichti-
End-of-day-Report vom Plattformbetreiber EPEX SPOT gen. Es muss hierbei zwischen gleichgerichteten (gleiche
geliefert. Die Reports müssen mindestens folgende Infor- Aktivierungsrichtung wie Flexibilität) und gegensätzlichen
mationen erhalten: Aktivierungen (entgegengesetzte Aktivierungsrichtung
wie Flexibilität) unterschieden werden.
• Trade ID
• Zeitpunkt des Trades
• Orderbuch, in dem gehandelt wurde
AP 07
Maßnahme reduziert werden würde.
Dabei werden alle Trades eines Vermarkters innerhalb
Berücksichtigung von Regelleistungsabrufen eines Marktgebiets mit einer identischen Lieferperiode
Im Gegensatz zum Einspeisemanagement kann der Abruf summiert. Die Lieferperiode entspricht dabei immer
von Regelleistung sowohl gleichgerichtet als auch gegen- einem viertelstündigen Intervall. Im Falle von Stunden-
sätzlich zum Abruf von Flexibilität sein. Aus diesem Grund kontrakten werden diese auf vier viertelstündige Intervalle
muss zwischen dem Abruf von positiver und negativer verteilt. Ein Wert in der Trade-Zeitreihe kann sich somit
Regelleistung unterschieden werden. aus den Einzelwerten verschiedener Trades zusammen-
setzen. Die Anordnung der Trades erfolgt auf Basis des
Bei Abruf von negativer Regelleistung wird die Baseline Zeitpunkts der Ausführung. Dieser Wert ist in den Reports,
um den Abruf der Regelleistung korrigiert. die von EPEX SPOT bereitgestellt werden, enthalten.
ABBILDUNG 1: BERÜCKSICHTIGUNG VON EINSPEISEMANAGEMENT BEI BILDUNG DER BASELINE (QUELLE: DARSTELLUNG NACHWEISPLATT-
FORM)
AP 07
zustande kommt, wird die Flexibilität zwar als nicht also grün, klassifiziert sind.
oder nur teilweise geliefert klassifiziert, jedoch als
unverschuldete Abweichung gekennzeichnet. Bei Der Abrechnungszeitraum ist der jeweilige Kalendermo-
unverschuldeter Abweichung werden keine Pönalen nat. Dieser umfasst alle für den Abrechnungszeitraum
durch den Vermarkter fällig. geschlossenen Flexverträge. Spätestens dreißig Werktage
nach Ende des jeweiligen Abrechnungszeitraums über-
• Rot: Flexibilität wurde nicht oder nur teilweise sendet der Netzbetreiber dem Anbieter eine Abrech-
erbracht. Es gab keine von Netzbetreibern initiierte nung über alle für diesen Abrechnungszeitraum mit ihm
Maßnahme (Einspeisemanagement, Regelleistung) geschlossenen Verträge. Die Fälligkeit der Abrechnungs-
oder die Maßnahmen rechtfertigen die Abweichung summe ergibt sich aus dem Termin auf der Abrechnung.
bei der gelieferten Flexibilität nicht. Für die Nicht- Spätestens zehn Werktage nach Zugang der Abrechnung
Erfüllung von kontrahierter Flexibilität ist eine Pönal- beim Anbieter ist die Summe fällig.
zahlung des Vermarkters an den kontrahierenden
Netzbetreiber fällig. Über die Nachweisplattform wird zum Zweck der Abrech-
nung eine Excel-Datei je Vermarkter und Abrechnungs-
Der Netzbetreiber hat die Möglichkeit mit einer Toleranz- zeitraum exportiert. Diese Datei enthält sämtliche
schwelle zu arbeiten. Die Höhe der Toleranz ist individuell abrechnungsrelevanten Daten:
einstellbar. In der Praxis wurde analog zum Einspeise-
managementprozess mit einer Toleranz in Höhe von 5 % • Trade ID
gearbeitet. Wird keine Toleranz angewendet, so muss die • Ausführungszeit des Trades
gelieferte Flexibilität der kontrahierten Flexibilität exakt • Order-ID
entsprechen oder größer sein, um als geliefert (grün) • Zu vergütender Betrag in Euro
klassifiziert zu werden. Bei Verwendung einer Toleranz • Menge gemäß Trade Confirmation in MW
kann die gelieferte Flexibilität um die Toleranz in Prozent • Kontrahierte Menge in MWh
oder in MWh zur kontrahierten Menge abweichen und ist • Gelieferte Menge in MWh
dennoch als grün zu klassifizieren. • Startzeitpunkt der Lieferung
• Endzeitpunkt der Lieferung
Fazit
Das Nachweisverfahren stellt einen wesentlichen
Bestandteil des enera Flexmarkts dar. Durch die Nach-
weisführung auf der eigens dafür entwickelten Plattform
konnten Flexabrufe plausibilisiert und kontrolliert wer-
den. Durch die Kontrolle wurde einerseits sichergestellt,
dass eine korrekte Abrechnung stattfinden konnte, ande-
rerseits hat ein Netzbetreiber die aus seiner Sicht enorm
wichtige Transparenz darüber, ob sich flexible Einheiten
entsprechend den Flexverträgen netzdienlich verhalten
haben oder ob es zu Verstößen bzw. zu Abweichungen in
der Belieferung mit Flexibilität kam.
Netzbetreiberkoordinationsprozess
Im Vorfeld jeder Marktnutzung findet zur Sicherstellung ABBILDUNG 1: MARKTGEBIETE ÜBER SPANNUNGSEBENEN (QUELLE:
EIGENE DARSTELLUNG)
eines effizienten und effektiven Einsatzes marktwirt-
schaftlich beschaffter Flexibilität und eines sicheren und
zuverlässigen Stromnetzbetriebs eine Netzbetreiber-
koordination mit den jeweils nachgelagerten Netz- Die Platzierung einer Kauforder bzw. eines -gebots auf
betreibern statt. Da vorgelagerte Netzbetreiber den der Marktplattform durch einen Netzbetreiber setzt vor-
Netzzustand der jeweils nachgelagerten Netzbetreiber aus, dass sämtliche ihm nachgelagerte, anschließende
nicht kennen, besteht ohne Netzbetreiberkoordination Netzbetreiber hierzu ihre Freigabe erteilen. Es ist Auf-
die Gefahr, dass ein vorgelagerter Netzbetreiber durch gabe des jeweiligen Netzbetreibers, von den ihm nach-
nicht abgestimmte Maßnahmen Engpässe im nachgela- gelagerten Netzbetreibern die Freigabe einzuholen. Der
gerten Netz verursacht. jeweils kontrahierungswillige Netzbetreiber übermittelt
dem ihm jeweils direkt nachgelagerten Netzbetreiber
Sofern dem kontrahierenden Netzbetreiber im vorgese- seine Anfrage zur Marktnutzung in einem gemeinsam
henen Marktgebiet keine weiteren Netzbetreiber nach- festgelegten Datenformat. Diese Anfrage muss spätes-
gelagert sind, entfällt die Netzbetreiberkoordination im tens dreißig Minuten vor Marktnutzung und frühestens
Vorfeld der Marktnutzung. sechs Stunden vor Ende der Erbringung der Flexibilität
dem jeweils nachgelagerten Netzbetreiber zugehen.
Ein Marktgebiet stellt dabei die niedrigste Aggregations- Abweichend hiervon muss die Anfrage erst 15 Minuten
ebene des enera Flexmarkts dar. Ein Marktgebiet ent- vor Marktnutzung dem nachgelagerten Netzbetreiber
spricht dabei einem Trafobereich eines Umspannwerks zugegangen sein, wenn nur ein nachgelagerter Netzbe-
und umfasst alle am Flexmarkt zertifizierten Anlagen, die treiber in den Prozess involviert ist.
netztopologisch diesem Trafo zuzuordnen sind. Alle Anla-
gen innerhalb eines Marktgebiets haben eine identische Die Anfrage muss neben dem Zeitraum mindestens
Sensitivität auf einen Engpass. Angaben über das oder die Marktgebiete, in denen der
vorgelagerte Netzbetreiber Flexibilität erwerben will,
Zu Beginn des Projekts haben die Netzbetreiber mit sowie die prognostizierte Menge der Flexibilität in MW je
einem vermaschten Stromnetz dem jeweils vorgelagerten 15-minütiges Intervall enthalten.
Netzbetreiber einmalig eine Matrix mit Sensitivitäten im
Standardschaltzustand für alle Netzverknüpfungspunkte Der nachgelagerte Netzbetreiber berechnet etwaige
bereitgestellt. Diese Matrix umfasst sämtliche Marktge- Kapazitätsbeschränkungen und teilt diese dem vorge-
biete des jeweils nachgelagerten Netzbetreibers. Über lagerten Netzbetreiber mit. Die Kapazitätsbeschränkung
etwaige Änderungen dieser Sensitivitäten stimmen sich entspricht den nutzbaren Kapazitätsbändern, die vom
die jeweils betroffenen Netzbetreiber ab. vorgelagerten Netzbetreiber durch die Marktnutzung
nicht überschritten werden dürfen. Mit Mitteilung an den
AP 07
Im folgenden Abschnitt wird der Prozess anhand eines
Praxisfalls beispielhaft beschrieben.
Praxisfall
Angenommen wird folgende Situation:
ABBILDUNG 2: PROZESSABLAUF BEI EWE NETZ (QUELLE: EIGENE
TenneT verfügt über einen Engpass und durchläuft DARSTELLUNG)
die gesamte Kaskade der Netzbetreiberkoordination, um
am enera Flexmarkt tätig werden zu können. Der Prozess,
der dadurch bei den Netzbetreibern ausgelöst wird, wird
am Beispiel von EWE NETZ bildlich in Abbildung 1 dar- Fazit
gestellt. Die Netzbetreiberkoordination, die im Rahmen des enera
Flexmarkts entwickelt wurde, ist eine der Kernerrungen-
1. TenneT teilt seinem nachgelagerten Netzbetreiber schaften des Projekts und wird auch über das Projekt-
(Avacon Netz) eine Engpassmeldung, verbunden ende von enera hinaus Bestand haben. So kann der
mit dem Vorhaben, diese Engpasssituation über Prozess im Rahmen des Redispatch 2.0 in sehr ähnlicher
den enera Flexmarkt zu beheben, mit. Dazu ver- Form weiterbetrieben werden. Die beteiligten Netzbetrei-
sendet TenneT eine E-Mail mit einer XML-Datei, die ber EWE NETZ, Avacon Netz und TenneT TSO haben somit
Informationen über den Engpasszeitraum, betroffene Grundsätze für die zukünftige Engpassbewirtschaftung in
Netzknoten sowie den geplanten Handelszeitraum Deutschland geschaffen und bewiesen, dass der in enera
mit den benötigten Flexibilitätsmengen (15-minütige geschaffene Prozess massentauglich ist.
Intervalle) enthält.
2. Avacon ermittelt die für die Engpassbehebung infrage
kommenden enera Marktgebiete. Avacon Netz teilt
EWE NETZ die Engpassmeldung von TenneT sowie
die ermittelten Marktgebiete mit. Dies geschieht via
E-Mail, die relevanten Daten befinden sich im Anhang
dieser Mail in einer sogenannten XML-Datei.
CONTRIBUTORS: HENRIKE SOMMER (EPEX SPOT), ELIES LAH- smaller than 100 kW that are not directly steerable by the
MAR (EPEX SPOT), JÖRAN GERTJE (EWE NETZ GMBH), JANA system operators, are not covered. It is the perception
WILKEN (EWE NETZ GMBH) & JAN JEBENS (EWE NETZ GMBH), of the authors of this paper that these non-regulated
CHRISTOPH NEUMANN (TENNET TSO GMBH), RALF OTT flexibilities are likely to play a key role in congestion
management, as they may give access to a broader pool
of flexibility to system operators, allowing efficient all-
Executive summary eviation of local grid congestions.
This paper proposes a pragmatic way to integrate non-
regulated flexibility in the German redispatch mechanism, The developments and experience achieved in the enera
based on the experience acquired in the enera project. project can be used to for this purpose and enhance the
Non-regulated flexibility refers to the flexibility that is not upcoming German redispatch mechanism, integrating
covered by cost-based congestion management in Ger- load flexibility and therewith reducing the overall redi-
many recently reformed by the law for the acceleration spatch costs.
of the grid extension1 (referred to as NABEG 2.0), such
as demand-side flexibility and small-scale production Indeed, the upcoming German redispatch mechanism is
assets. The goal is to provide system operators with a mandatory for production and storage facilities larger
larger pool of flexibilities to improve overall congestion than 100kW and is based on so-called “cost-based” com-
management efficiency. pensations (where assets’ owners are compensated for
the deviations against their schedules and should there-
The enera project is one of the projects of the SINTEG fore be economically neutral towards the intervention).
program. One of the key targets of enera has been to The mechanism is however not suited for load, notably
provide market-based congestion management services due to the cost-based remuneration scheme which is
with decentralized installations, by trading locational hardly applicable to load flexibility. This is mainly because
ancillary services on local flexibility markets. The key setting a regulated compensation mechanism that pro-
achievements of the enera project in terms of flexibility perly captures the (opportunity) costs of consumption
markets relate to the new systems, processes and com- is very challenging and is unlikely to attract load on a
petencies which have been developed all along the voluntarily basis.
project and put into operation. Besides a full-fledged
operational trading platform, other systems and proces- This is why this paper suggests a hybrid compensation
ses – such as a flex registry, a verification platform and a model where, in addition to the cost-based compensa-
TSO-DSO coordination scheme – have been successfully tion in place for regulated assets (i.e. production and
developed. In addition to IT systems, an entire contrac- storage assets larger than 100kW), load and small-scale
tual framework (interactions and market processes) as production assets can submit flexibility bids at free prices
well as a governance scheme (roles and responsibilities) and be remunerated accordingly in case of activation.
have been established.
While the objective of this proposal is by no means to
The Redispatch 2.0 mechanism, that is currently develo- reopen the discussion on the compensation scheme for
ped to implement the NABEG 2.0 regulation, is a regula- regulated assets, this hybrid compensation model is seen
ted process which focuses mainly on power production as a credible way forward to easily attract demand side
assets of a certain size (referred hereafter as “regulated flexibility. Further, the potential gaming opportunities in
flexibilities”). Non-regulated flexibilities, in particular such a model remain limited: the free prices submitted
demand-side management but also production assets by consumers are constantly put in competition with the
The possibility to realize the gains of this hybrid approach At a later stage, if the proposed approach proves suc-
for non-regulated flexibilities depends on the adaption of cessful, more integrated mechanisms (where load bids
the regulatory framework. The needed regulatory chan- are directly considered in the redispatch mechanism as
ges are straightforward and allow to reap the benefits of of the beginning of the process) can be considered. Such
a larger pool of flexibilities: more unified processes would lead to further harmoni-
zation, lower transaction costs and potentially further
• First, all market-based possibilities for the procure- efficiency gains in terms of redispatching. At this stage
ment of demand-side flexibility should be allowed, however, the proposal made in this paper is only to
not only tender procedures via a common internet test the efficiency of demand side flexibility and other
platform for all network operators as currently the non-regulated flexibility in a relatively simple way, as a
case (revision of §13 (6) EnWG in connection with §14 complement to the anticipated Redispatch 2.0 mecha-
(1) sentence 1 EnWG). nism, before envisaging more advanced modifications of
• Second, the incentive regulation (ARegV) needs the overall German redispatch mechanism. To this end,
to ensure that using market-based demand-side changes in the regulatory framework are however requi-
flexibility falls under the same cost category as using red.
cost-based supply-side flexibility to create a level
playing field and give system operators the most Introduction
efficient incentives. This paper proposes a concept to complement the upco-
• Finally, further procedures for demand-side flexibility ming German redispatch regime with flexibility stemming
need to be defined and approved, comparable to from load and small-scale production assets, based on
the ongoing Redispatch 2.0 project for regulated the enera experience.
flexibility.
AP 07
Chapter 2 provides the relevant background information
The implementation of the revisited German redispatch of the proposal made in this paper, by summarizing the
mechanism – and their related Redispatch 2.0 and Con- principle of the enera concept on the one hand, and of
nect+ initiatives – is very challenging both technically and the upcoming German redispatch regime (implemented
timewise. Instead of proposing any substantial change via the so-called “Redispatch 2.0” and “Connect+” pro-
to this mechanism, the proposal made in this paper jects) on the other hand.
is to keep these processes untouched, at least at the
beginning. Rather, the proposal is to complement these Chapter 3 pleads for a hybrid compensation model,
anticipated schemes on a voluntary and local basis as a where the regulated cost-based redispatch regime is
no-regret measure, thanks to the existing enera develop- complemented by a market-based mechanism to enable
ments. This would allow to confirm the key assumption the participation of load and other non-regulated flexi-
of this paper – namely that well-located and competitive bilities. The main reasoning held in this chapter is that
non-regulated flexibility can be harvested to alleviate – while the choice for a mandatory cost-based redispatch
local grid congestions – in a timely and cost-efficient for what concerns larger production assets has been set
manner. – decentralized load and small-scale production assets
will not abide to such a model on a voluntary basis.
Concretely, the idea is to allow each system operator (or
group of system operators) accessing to yet untapped Chapter 4 then proposes concrete implementation opti-
local flexibility, especially to non-regulated assets like ons for how such a hybrid flexibility model can be imple-
demand side management. The Redispatch 2.0 mecha- mented in the framework of the Redispatch 2.0 concept.
nism provides each system operator with a set of flexibi- Different levels of integrations can be envisaged, whereas
lity activations stemming from the regulated pool of fle- the proposal of this paper consists of a relatively simple
xibility. A regulated cost is associated to each activation. mechanism, which does not affect the already challen-
With the proposed hybrid approach, the system operator ging Redispatch 2.0 implementation. More sophisticated
can then substitute regulated assets by the ones availa- alternatives with more impacts over the main redispatch
ble in his local flexibility market, provided these latter are mechanism are depicted in Appendix for illustrative/
located in the same geographical area and show better comparison purposes.
prices/costs (for the same grid effect) than the former.
Background information
• The upstream system operator (i.e. TenneT is ups-
2.1 high-level description enera tream of Avacon Netz who is in turn upstream of EWE
2.1.1 Mission statement NETZ) informs its downstream peer about the amount
The BMWI2 has established the SINTEG (Smart Energy of power to procure via the marketplace and notifies
Showcases – Digital Agenda for the Energy Transition) its congestions.
funding program, which sets up large-scale showcase • This information is processed by the downstream
regions for developing and demonstrating model solu- operator, who returns the applicable capacity
tions that can deliver a secure, efficient and environ- restrictions (i.e. maximum amount of power that the
mentally compatible energy supply with electricity being upstream operator is able to procure).
generated to a large extent from intermittent renewable • This is then converted into procurement bids for
sources such as wind or solar. flexibility and submitted by the requiring system
operator to the enera marketplace.
The ‘enera’ showcase located in the northwest of Lower
Saxony is one of the projects of the SINTEG program and 2.1.3 Activation process
addresses three priorities, namely grid, market and data. Flexibility offers (consisting in price-volume pairs appli-
The goal has been to find solutions for one of the key cable to a given geographical market area for a given time
challenges of the energy transition – changing from a period) are submitted by various certified flexibility pro-
static to a dynamic, and from a centralized to a decen- viders (i.e. local asset owners who have been certified by
tralized system. the relevant system operators to provide local flexibility).
These providers use different kinds of flexible assets:
2.1.2 System operators’ coordination process wind farms, biogas plants, photovoltaics, storage devices,
There are three system operators operating in the power-to-gas, power-to-heat and gas compressors. The
showcase region: total amount of certified flexible capacity participating
in the project is of 361 MW (Dec. 2019), coming from 6
• TenneT operates the extra-high-voltage transmission certified flexibility providers, partitioned in 23 market
system areas considered as homoegeneous from a congestion
• Avacon Netz operates the high-voltage distribution management perspective.
system
AP 07
flexibility providers place their bids in the orderbooks of A full end-to-end environment has been designed, deve-
the relevant market areas. loped, tested and was successfully demonstrated opera-
tionally between February 2019 and June 2020, as part
Importantly, the traded products consist only of commit- of the enera project’s demonstration phase. Besides the
ments to adjust physical schedules within a given market trading platform itself, let us note the development of the
area. Such load/production changes are verified ex-post following systems and processes:
within the “verification platform” which compares the
AP 07
FOR REGULATED FLEXIBILITY UNDER NABEG 2.0
Agency (as of December 2020). This allows RES power
plants to be included in the cost-based merit order, by
using the minimum factor to define the calculatory costs
of RES power plants. The higher the minimum factor, the 2.2.7 System operators’ coordination process
less renewables are curtailed. In other words, RES power The enhanced Redispatch 2.0 coordination processes
plants will not be included at their real redispatch costs, between the various implied system operators happen
but with so-called calculatory costs. This calculatory cost as follows according to EG FLEX (bdew, March 2019):
is only important for the redisatch decisions. The cost
recovery granted to renewables that have been curtailed Every 15 minutes the network operator at the lowest vol-
continues to be based on their true costs (i.e. cost-based tage level informs its upstream SOs about available flexi-
mechanism). bility. If the SOs are in need of flexibility and have other
SOs below their own voltage level, they have to start a
The uniform calculatory price also ensures that all RES coordination process. In this process, information about
are treated equally (irrespective of their actual cost) to the planned activation of flexibility is given downstream.
avoid any discrimination effect and to favor renewable The SOs at the lower voltage level calculate restrictions
energy over thermal plants. The same applies to CHP and give this information upstream to the requesting SO.
plants, which also have a uniform calculatory cost in In the absence of other available flexibilities, the distri-
order to treat all of them equally (i.e. only based on their bution system operator must use the flexibilities that are
location – not their price efficiency). connected to his network. Remaining flex-potentials are
made available to the upstream network operators. As
2.2.6 Activation process part of the coordination process, the respective network
The below diagram describes the currently envisaged operator first carries out a network security calculation
Redispatch 2.0 activation process. In essence: for all applicable timestamps (i.e. 24 hours of the day-
ahead). This gives the network operator the opportunity
• System operators forecast their own grid constraints to identify bottlenecks based on the basic data delivery
& redispatch needs (see next section) and also:
• Flexibility potentials are provided by the regulated
flexibility (i.e. production and storage devices of
AP 07
Fortunately, load assets are typically relatively smaller flexibility which might be necessary to further alleviate
and are thus by definition less prone to market power, so congestions and bring some additional cost-efficiency
that the concerns leading to the decision for a cost-based to the electricity system management. Mostly consumers
redispatch are less applicable to these assets, especially are in the latter and thus, a merely cost-based regime is
if this non-regulated flexibility “competes” with the regu- not suitable for contracting these flexibilities for conge-
lated flexibility captured by the Redispatch 2.0 regulation. stion management, as these costs are more difficult to
A recent study by Jacobs University (G. Brunekreeft, March determine and monitor, plus some sorts of incentives are
2020) also highlights that, although production and load needed to attract load-based flexibility.
might have the same general gaming incentives, they
operate in different institutional frameworks that trigger Throughout the remainder of this paper, the co-existence
increased gaming risks for load-based flexibility. Addi- and availability of regulated and non-regulated flexibi-
tionally, the participation of load may also reduce the lities for congestion-management purposes is referred
incentives for gaming and there are effective measures to as the hybrid model, where regulated generation and
to curb the remaining gaming potential such as targeted storage assets (larger than 100 kW), redispatched under
bid caps or specific countermeasures for grid operators the regulatory cost-based regime, are put in competition
to limit the players’ probability of success. with the freely set bids and offers from non-regulated
flexible assets that are not integrated in the NABEG 2.0
Another key advantage of a market-based component regulation on which the Redispatch 2.0 processes are
in the redispatch scheme is that it leaves more space based on.
for innovation: market parties have a better incentive to
organize the aggregation of small assets into tradable In other words, the hybrid market model is defined as a
products. Such features are typically required for smaller model where regulated assets (i.e. the assets which fall
(e.g. residential) loads for which realistic schedules can into the Redispatch 2.0 regime) and competitive assets
only be obtained if a sufficient amount of such small (i.e. any other asset willing to market its flexibility for con-
assets is pooled together. Unlike with cost-based regula- gestion management, and especially load) are both used
ted scheme, a market mechanism like the one developed in an economic redispatch process, even though they are
in enera faciliates the emergence of such innovative compensated with different regimes (cost-based for the
products. regulated assets and market-based for the others).
AP 07
above proposed solution. Such an implementation is very
this action because the outcome of the Redispatch 2.0 flexible and can take various degrees of sophistication, in
process would not be the curtailment of the wind mill particular for what concerns the level of automatization
in the first place, but some conventional powerplant of the substitution process. Importantly, such choices –
in a market area further away. Another example could whether to implement the approach and with which level
be congestions arising in cities, where demand side of sophistication – is fully left to subsidiarity and no inter
management offers a lot of potential but where regulated system operator coordination is needed on any on these
flexibility would not be accessible by Redispatch 2.0. Such aspects. This allows for a more flexible approach.
an inefficiency is to be seen as a trade-off, given that it
is nearly impossible to implement a more fundamental The need for a more integrated approach, where the load
change in the Redispatch 2.0 processes at short notice, flexibility is directly considered in the common system
while it would allow to nevertheless reduce costs where operators’ coordination process, will only show up when/
possible. if local implementations are successful. At this moment,
it may be decided that – despite its merits – the local
Note that in Redispatch 2.0, the system operators manage approach suffers from some drawbacks which can be
the deficits and surpluses in market players’ portfolios addressed by a more stringent integration in the Redi-
stemming from their flex activations: the modification of spatch 2.0 processes.
asset’s schedules are accompanied by hub nominations
such that all the markets’ portfolios remain balanced. Only at a later stage will a complete integration of load
enera is currently designed differently: market players in the overall German redispatch mechanism – where
need to rebalance their portfolio (e.g. on the intraday load and production assets are treated fully equally – be
market) as a consequence of an activation in the enera considered. Such a more advanced and fully integra-
marketplace. This is however not an obstacle as it is ted approach can be called “Redispatch 3.0”. As of now
relatively easy to adapt the enera mechanism and com- though, it makes no sense to detail how such a solution
plement it with a transaction nomination feature in order would look like. Rather, Redispatch 3.0 shall be seen
to align with the Redispatch 2.0 approach. as the long-term evolution of the currently envisaged
German redispatch solution, where all the learnings of
In conclusion, the proposed solution is an efficient the previous models are taken into account. Specifically,
“quick-win” as it has little operational or project impacts whether load should effectively take a significative stake
Although some detailed references to contracted loads While the above questions arise at each level of integ-
are included in the EnWG and further detailed in the ration, further regulatory clarification is required for
regulation for curtailable loads (AbLaV), their use is very deeper integration of loads. For example, if common
specific and limited. Nevertheless, the reference set data paths from Redispatch 2.0 are to be used for
boundaries for the contracting for loads for congestion loads, corresponding data delivery obligations must be
management: EnWG details that such loads need to be specified. This is currently done for supply in the fra-
chosen via a tender on an Internet platform shared with mework of the BDEW Redispatch 2.0 project, subject to
all German TSOs. The regulation has been put in place approval by the German regulator. For a deeper integra-
before the new requirements of the Clean Energy Package tion, an obligation for DSOs to connect loads would also
which makes market-based approaches the default solu- be necessary.
tion and puts demand and supply on equal footing for
the participation in markets. This requires to adapt the Regulatory gaps as well as existing constraints have
national regulatory framework to create a level playing partly already been identified at the beginning of the
field for load and supply, also in congestion manage- SINTEG projects and resulted in the SINTEG ordinance
ment. Different regulatory solutions and approaches that allowed for an exemption in order to set up local
would be possible to integrate demand-side flexibility in flexibility projects. This regulation will end in June 2022.
the regulatory framework, based on the preference for a It is important to reap the success of this regulation by
more integrated or separated procurement. implementing regulatory no-regret measures comple-
menting the existing framework:
AP 07
Verguetung-von-Redispatch-Massnahmen.pdf.
Conclusion
This paper suggests a pragmatic way to integrate load BDEW Branchenleitfaden www.bdew.de Vergütung von
flexibility in the German redispatch mechanism, based on RedispatchMaßnahmen [Online]. - April 18, 2018. - https://
the experience acquired in the enera project. The strong www.bdew.de/media/documents/Branchenleitfaden_
belief of its authors is that demand side management Verguetung-von-Redispatch-Massnahmen.pdf.
is likely to play a key role in congestion management,
as it may bring cheap and well-located flexibility able to
alleviate local grid congestions. BMWI Funding programme „Smart Energy Showcases - Digi-
tal Agenda for the Energy Transition“ (SINTEG) [Online]. - 05
Surely, the currently envisaged German redispatch 17, 2016. - https://www.bmwi.de/Redaktion/EN/Artikel/Ener-
mechanism consists of a major step forward. Given the gy/sinteg-funding-programme.html.
practical challenges implied by its implementation, no
functional changes to the Redispatch 2.0 are proposed,
at least in the short-run. BUNDESNETZAGENTUR Leitfaden zum Einspeisema-
nagement Version 3.0 [Online] // www.bundesnetzagen-
Rather, this paper pragmatically proposes to use the tur.de. - 06 30, 2018. - https://www.bundesnetzagentur.
enera experience to enhance the German redispatch de/SharedDocs/Downloads/DE/Sachgebiete/Energie/
mechanism with a complementary enera based market Unternehmen_Institutionen/ErneuerbareEnergien/Einspei-
platform that allows to consider supplementary flexibi- semanagement/Leitfaden3_0_E/Leitfaden3.0final.pdf;jses-
lity options stemming from load or other non-regulated sionid=F447FAA60BAFB76C4CCA65B5B7EBCB02?__blob=publi-
flexibilities when redispatching the grid. Only at a later cationFile&v=3.
stage, if this pragmatic approach proves to be successful,
more integrated approaches might be considered (for
this see appendix). G. BRUNEKREEFT A. PECHAN, M. PALOVIC, R. MEYER, C.
BRANDSTÄTT, M. BUCHMANN Kurzgutachten zum Thema
One of the key advantages of the proposed approach „Risiken durch strategisches Verhalten von Lasten auf Fle-
is indeed that the necessary technology, processes and xibilitäts- und anderen Energiemärkten“. - Bremen : Jacobs
2 (BMWI, 2016)
3 Source (BDEW, 2020)
4 NABEG 2.0 refers to the “Gesetz zur Beschleunigung des Netzausbaus
(vom 13.05.2019, BGBl I S. 706 ff.)”
Datenbasierte
Innovation &
Partizipation
ARBEITSPAKET 09
NEUE GESCHÄFTSMODELLE
IM DIGITALEN ENERGIESYSTEM
Intelligenter Messstellenbetrieb → S. 282
Einspeisevisualisierung → S. 286
Energy Analyzer → S. 288
Smart Mirror → S. 292
Netzzustandsprognose → S. 294
Bürgerspeicher → S. 298
Grid4Mobility → S. 302
Lichtcontracting → S. 308
Disaggregation → S. 310
ARBEITSPAKET 11
Coronaeffekt Verbrauch → S. 312
BÜRGERBETEILIGUNG
Augmented Energy → S. 314
Lastprofil Personengruppen → S. 318 Human-Centred Design → S. 340
Blockchain bei Energieversorgern → S. 320 Interface der Energie → S. 346
Innovation Friday → S. 322 Kommunikationsstrategie → S. 350
DataThinking → S. 326 Prototypentests → S. 360
BrainWave → S. 328 Verbrauchsdatenerfassung → S. 362
PitchX → S. 330 Partizipation → S. 366
Start-up-Partnerschaften → S. 334 Kommunale Energiewende → S. 370
Schulung Data-Scientists → S. 338 Akzeptanz Energiewende → S. 371
AP 01 AP 02 AP 03 AP 04 AP 05 AP 06 AP 07 AP 08 AP 09 AP 10 AP 11 AP 12 AP 13
NEUE GESCHÄFTSMODELLE IM DIGITALEN ENERGIESYSTEM I ARBEITSPAKET 09
AUTOR: JANNIK HARTFIL (EWE NETZ) prozesse, Kundenkommunikation und IT-Anbindung ver-
antwortlichen Arbeitspaketen. Die bereichsübergreifende
Zusammenarbeit im enera Projekt ermöglichte es, auf
Einleitung und Hintergrund veränderte Rahmenbedingungen erfolgreich zu reagieren
Netz, Markt, Daten – anhand des Zusammenspiels die- und kurzfristig eine angepasste Lösung zu implementie-
ser drei Kernkategorien wird das enera Projekt definiert. ren. Die daraus gewonnenen Lerneffekte gehen somit
Insbesondere die Verfügbarkeit von Daten bildet für die weit über den technischen Bereich hinaus und finden in
Erprobung von datenbasierten Geschäftsmodellen ein allen oben genannten Feldern Anwendung.
bedeutsames Fundament.
Friendly-User Feldtestphase
Im Rahmen dieses Arbeitspakets machte EWE NETZ es Als Bewertungsgrundlage für die Auswahl geeigneter
sich unter anderem zur Aufgabe, messdatenbasierte Auslese- und Übertragungstechnik und den daran
Mehrwertdienste – auf Basis der durch den Roll-out von anknüpfenden Übergang in die Feldtestphase, fungiert
intelligenten Messsystemen erfassten Stromverbrauchs- eine zuvor erstellte Shortlist von über 12 Alternativ-
werten – hinsichtlich ihres Kundennutzens und Vermarkt- lösungen. Es sei an dieser Stelle hervorgehoben, dass zu
barkeit zu beleuchten. So wurden im ersten und zweiten keinem Zeitpunkt das Bestreben bestand, eine Alterna-
Projektjahr 42 Mehrwertdienstideen im Verlauf des Inno- tivoption zum „Smart-Meter-Gateway“ und dessen hohen
vationsprozesses gemeinsam mit den Konsortialpartnern sicherheitstechnischen Anforderungen zu entwickeln.
the peak lab und der EWE AG entwickelt und analysiert. Der Fokus lag auf der Sicherstellung der für den Erfolg
Parallel dazu wuchs die Ungewissheit über den Start- diverser Projektteile fundamentalen Verfügbarkeit von
termin des „Smart-Meter-Rollouts“ – die Freigabe des Strombewegungsdaten im Rahmen des enera Projekts,
Einbaus von intelligenten Messsystemen verzögerte sich dessen systemischer Ansatz direkte Abhängigkeiten zwi-
wiederkehrend aufgrund eines langwierigen Zertifizie- schen den Arbeitspaketen ergab. Nach Auswertung der
rungsprozesses der Smart-Meter-Gateways – der Kom- verschiedenen Anbieter wurden zwei Produkte für eine
munikationskomponente der neuen Zähler, die u. a. für Erprobung im Feldtest ausgewählt“
die Messdatenübertragung zuständig ist. Es galt nun die
rechtzeitige Verfügbarkeit der benötigten Datenquelle Nachdem sich kurzfristig 25 „Friendly-User“ aus dem
zur weiteren Erprobung dieser Ideen und weiterer Pro- Projektumfeld für eine Feldtestteilnahme bereit erklär-
jektziele zu gewährleisten. ten, begann die erste dreimonatige Testphase. Dazu
installierte EWE NETZ in den angemeldeten Haushalten
Bereits zu Projektbeginn wurden nicht-zertifizierte Alter- digitale Stromzähler, moderne Messeinrichtungen, mit
nativlösungen zur Zählerfernauslesung aufgrund der der Testhardware. Hierbei handelt es sich um eine zuvor
Anforderungen diverser Use-Cases an eine kostengüns- auf den Zähler montierte Kommunikationseinheit, die
tige Technologie mit hochauflösenden Übertragungs- sogenannte „powerbox“.
raten betrachtet. In enger Zusammenarbeit mit dem
Arbeitspaket 1 wurden diverse Produkte zur Erhebung Mithilfe einer Kundenapp des fast gleichnamigen Anbie-
und Kommunikation von Stromverbrauchswerten bewer- ters „powerfox“ richteten die Feldtestteilnehmer eine
tet und getestet. Nach der Auswertung von zwei Lösungen Verbindung zwischen powerbox und ihrem privaten
in je einem Friendly-User-Feldtest, war das SAM geboren. Wlan-Heimnetzwerk ein. Fortan versendeten die Kommu-
Das „smarte Auslese- und Kommunikationsmodul“, ein nikationseinheiten Messwerte in einer Granularität von
Aufsatz für moderne Messeinrichtungen, wurde im Ver- unter 10 Sekunden an die Datenplattform des Anbieters.
lauf des Projekts ca. 700-mal verbaut. Der kurzfristige Diese Verbrauchswerte wurden den Teilnehmern in der
Technologiewechsel bedurfte eines hohen Maßes an bereits genannten Kundenapp in verschiedenen Dar-
Abstimmung und Koordination zwischen den für Einbau- stellweisen visualisiert. Neben der „Live“-Darstellung
AP 09
ABBILDUNG 2: DIE „SMART-EYES“ LASSEN SICH MITTELS EINES MAGNETEN AUF DIE KUNDENINFOSCHNITTSTELLE DER MODERNEN MESSEIN-
RICHTUNGEN SETZEN UND STELLEN DIE MESSWERTE ÜBER DAS WLAN UND DER HERSTELLER-CLOUD DEN ENDGERÄTEN DER TEILNEHMER
ZUR VERFÜGUNG.
Einspeisevisualisierungsapp (EiVi)
AUTOR: JANNIK HARTFIL (EWE NETZ) Basis für zukünftige energierelevante Entscheidungen
geschaffen werden. Die Funktionalität wurde anschlie-
ßend mit über 42 weiteren messdatenbasierten Mehr-
Einleitung und Hintergrund wertdiensten hinsichtlich seines Kundennutzens und
„EiVi“ und „SAM“ – diese zwei Abkürzungen standen in der benötigter technischer Voraussetzungen gemeinsam mit
Entwicklung von messdatenbasierten Mehrwertdiensten den Konsortialpartnern the peak lab und der EWE AG
im Arbeitspaket 9 häufig im Fokus. weiter evaluiert.
Bei „EiVi“ handelt es sich konkret um eine Einspei- Potenzialanalyse – Expertise aus dem enera Umfeld
sevisualisierungs-App für Prosumer-Haushalte: Die Die Serienreife des „SAM“ und die damit einhergehende
Erzeugungsleistung der hauseigenen PV-Anlage und der Verfügbarkeit einer technischen Lösung zur Erhebung
Haushaltstromverbrauch werden live und in historischen von Strommesswerten schuf entscheidende technische
Verlaufskurven dargestellt und verrechnet. Die daraus Rahmenbedingungen zur weiteren Erprobung einer Ein-
resultierenden Handlungsempfehlungen ermöglichen speisevisualisierungs-Anwendung. In der weiteren Schär-
den Nutzern eine Optimierung ihres Verbrauchsverhal- fung des Kundennutzens und der Analyse des wirtschaft-
tens an die aktuelle und für die Zukunft prognostizierte lichen Potenzials eines solchen Mehrwertdiensts, zum
Eigenproduktion. Eine Maximierung des Eigenverbrauchs- Beispiel in Form einer Kunden-App, profitierte das Pro-
anteils kann zu Kosteneinsparungen bei Prosumern füh- jektteam von der Expertise aus dem erweiterten Umfeld
ren. Die technische Grundlage bildet hierzu das „SAM“. des enera Projekts. Dazu zählte mitunter die Teilnahme
Das im enera Projekt entwickelte smarte Auslese- und an einem Acceleration-Programm für Innovationen der
Kommunikationsmodul erhebt die benötigten Messdaten EWE AG oder die Unterstützung durch Masterstudenten
am PV-Erzeugungszähler und am Netzübergabezähler des der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg im Rahmen
Testhaushalts. Der Innovationsprozess, von der Ideenge- des „Eco-Venturing“-Studienmoduls zur Förderung
nerierung bis Demonstration, spiegelt in diesem Vorha- von nachhaltigen Umweltinnovationen. Die Methodik
ben beispielhaft das Heben von Synergien zwischen den umfasste diverse Workshops, in denen unter anderem
involvierten Bereichen des enera Projekts wider. Design-Thinking-Ansätze des enera techlabs zum Tragen
kamen.
Ideengenerierung – mehr Transparenz für Prosumer
Als „Ideen-Katalysator“ für Eivi diente der „Innovation
Friday“. Im Rahmen dieses enera Innovationsformats
wurde zunächst das ursprüngliche Kundenproblem
geschärft: Prosumern fehlt es häufig an Transparenz.
Die aktuelle Stromproduktion ihrer PV-Anlage sowie der
Anteil der Eigennutzung der erzeugten Strommengen
ist – insbesondere über ausgewählte Zeiträume – nicht
bekannt. Zwar ließe sich dies manuell durch Ablesung
des Netzübergabe- und Anlagenerzeugungszählers oder
Wechselrichters errechnen; dies wäre jedoch mit einem
relativ hohen Aufwand und einem gewissen technischen
Know-how verbunden.
Die Lösung sollte eine verständliche und übersichtliche ABBILDUNG 1: DER IM VERLAUF DER POTENZIALANALVSE VOM KON-
Visualisierung der historischen, aktuellen und zukünfti- SORTIALPARTNER „THE PEAK LAB“ DESIGNTE CLICK-DUMMY STELLT
ERZEUGUNGS- UND VERBRAUCHSKURVEN ANHAND EINER ZEITACH-
gen Energieflüsse im Prosumer-Haushalt sein. Auf Basis
SE DAR, UND BIETET AUSSERDEM HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN ZUR
dieser Transparenz sollte dem Nutzer eine valide Grund- VERBRAUCHSOPTIMIERUNG.
lage zur Optimierung des Eigenverbrauchs und eine neue
AP 09
Mit dem technischen Durchstich erfolgte die Aufnahme
der EiVi-Funktionalität in die Entwicklungs-Roadmap der
enera App. Die für EiVi-Feldtestteilnehmer separat frei-
schaltbare Zusatzfunktion gestattete die Nutzung der
Basisfunktionalitäten des MVP; Visualisierung histori-
scher Haushaltsverbrauchs- und Erzeugungswerte in an
das enera App-Design angepassten Säulendiagrammen;
Darstellung des Eigenverbrauchsanteils; Hinterlegung
von Stromtarifen und Einspeisevergütung zur wahlweisen
Ansicht in kWh oder Euro; Live Bezugs- bzw. Erzeugungs-
kurve.
Energy Analyzer
Energy Analyzer – Mehrwert für Kunden durch Ver- Die Sanierungshelfer-App berechnet aus Gebäude-
schneiden von Energie-, Gebäude und Umweltdaten Umfeld-, Umwelt- und sozialen Daten einen Basis-
Energieverbrauch für ein Gebäude. Beispiele für
Gebäudedaten sind die Außenfläche und das Baujahr,
AUTOR: MICHAEL STADLER (BTC AG) ein Beispiel für Umfelddaten ist die Kaufkraft in dem
Quartier, wo das Gebäude sich befindet. Datenbanken
mit solchen Informationen werden von verschiedenen
Auslöser für die Arbeiten zum Energy Analyzer war ein Firmen angeboten. Umweltdaten sind etwa Wetter- und
Brainstorming, in dem es darum ging, welchen Mehrwert Temperaturzeitreihen.
man auf Basis von Energiedaten für Kunden von Energie-
vertriebsgesellschaften erzielen kann. Der durch einen Algorithmus ermittelte Basis-Energiever-
brauch wird durch die App dem tatsächlichen Energie-
Die dabei generierte Grundidee war, beim Bereich Ener- verbrauch im Gebäude sowie in anderen vergleichbaren
gieeffizienz anzusetzen, einem Bereich, der insbesondere Gebäuden gegenübergestellt. Auf Basis der ermittelten
in Industrieländern im Hinblick auf die weltweiten Klima- Unterschiede im Energieverbrauch lässt sich ermitteln,
ziele ein hohes Potenzial zur Verminderung des CO2-Aus- wie hoch das Einsparpotenzial im Gebäude oder in der
stoßes birgt. Wohnung bei der Ergreifung von Sanierungsmaßnahmen
im Bereich Energieeffizienz sein könnte. Darauf basierend
Basierend auf dieser Grundidee wurden zwei Lösungen kann für Eigentümer mehrerer Liegenschaften angezeigt
erdacht: die Energy-Alarm-App und die Sanierungshel- werden, in welcher Reihenfolge Sanierungsmaßnahmen
fer-App. in welchem Gebäude in Angriff genommen werden soll-
ten, um energienutzungsbedingte CO2-Emissionen mög-
Bei der Energy-Alarm-App geht es darum, auf Basis lichst schnell zu reduzieren.
online gemessener Energieverbrauchsdaten den Bürger
zu alarmieren, wenn die Entwicklung seines Energiebe- Anders als bei der Energy-Alarm-App werden für die
darfs darauf hindeutet, dass eine durch ihn voreinge- Sanierungshelfer-App nicht nur Daten über die Energie-
stellte Kostenschwelle überschritten wird. In diesem Fall nutzung – die bei Einverständnis der Bewohner aus der
können ihm Vorschläge zur dauerhaften Reduktion des Smart-Meter-Infrastruktur bezogen werden können –
Verbrauchs unterbreitet werden. verwendet und Daten, die über Eingaben durch den App-
Nutzer erfolgen, etwa zur Anzahl der Bewohner, sondern
diese werden zusätzlich mit Daten aus anderen Quellen
verschnitten.
ABBILDUNG 1
ABBILDUNG 2
ABBILDUNG 5
AP 09
ABBILDUNG 4: SCREENSHOTS AUS DEN CLICK-DUMMIES (LINKS SA-
NIERUNGSHELFER-APP, RECHTS ENERGY-ALARM-APP) Software-Funktionsmuster zur Demonstration von
Energiedatenservices
Um die Machbarkeit zu demonstrieren, wurden im Projekt
folgende Komponenten als Software-Funktionsmuster
Anhand der Click-Dummies wurden die Ideen poten- entwickelt:
ziellen Nutzern vorgestellt; unter anderem führten die
Stadtwerke Lingen als Konsortialpartner im Projekt eine 1. Ein Datenservice zur einheitlichen Ausgabe von
Kurzumfrage zum Nutzen der Energy-Alarm-App durch. Energiedaten aus unterschiedlichen Quellen an
Auf der der Messe E-World 2019 sowie bei Terminen mit konsumierende IT-Services. Zu den Datenquellen
verschiedenen Energievertriebsgesellschaften wurde zählten ein geografisches Informationssystem zur
mithilfe des Click-Dummies sowie des Erklärvideos und Zuordnung von Kunden zu Stadtteilen, das BTC
Erläuterungen möglicher Geschäftsmodelle Meinungs- Advanced Meter Management System zur Bereit-
bilder zur Vermarktbarkeit der skizzierten Ansätze ein- stellung von Messdaten aus Smart Metern, fiktive
geholt. Die These dabei war, dass wenn Energievertriebs- Kundendaten einer Energievertriebsgesellschaft
gesellschaften ihren Kunden so auf Basis einer geeigneten (Haushaltsgröße, gewählter Stromtarif …) und schließ-
Lösung beim Energie- und Geldsparen helfen würden, lich fiktive Daten zu Kosten und Effizienz bestimmter
ergäbe sich daraus sowohl ein positiver Klimaeffekt als Bau- oder Energiesparmaßnahmen. Der Energie-
auch eine gesteigerte Kundenbindung. datenservice lief in der SAP Cloud Platform ab.
Fazit
Auf technischer Ebene konnte demonstriert werden, wie
ein automatisch abrechenbarer Energiedatenservice
Daten aus unterschiedlichen Quellen für verschiedene
Anwendungsszenarien bereitstellen kann. Gespräche mit
Energievertriebsgesellschaften ergaben, dass konkrete
Angebote, die auf solchen Services beruhen, prinzipiell
in Anspruch genommen würden, wenn sie standardisiert
und preislich attraktiv zur Verfügung gestellt würden. Eine
Umfrage bei Mitarbeitern der Stadtwerke Lingen ergab,
dass die Energyalarm-App grundsätzlich eine nützliche
Ergänzung des Angebots für Endkunden wäre, aber dass
die Zahlungsbereitschaft der Endkunden als sehr gering
eingeschätzt wird. Vermutlich wird der Nutzen dieser App
und damit die Zahlungsbereitschaft größer, wenn das
Einsparpotenzial auf Basis des Energieverbrauchs für
Wärme berechnet würde.
Smart Mirror
AUTOREN: PHILIPPE HENNES (TPL), FABIAN KARL (PPC) Ein wichtiger Leitfaden bei der Erstellung der Prototypen
war die Optik. Unser Ziel war es unsere Lösung von den
klassischen Selbstbauprojekten im Netz zu differenzieren.
Motivation Diese sind oft recht klobig, da die Hardwarekomponenten
Energieerzeugung und Energieverbräuche finden heute bei allen Lösungen hinter dem Spiegel in einem dicken
weitestgehend unbewusst und intransparent statt. Intel- Rahmen angebracht wurden. Unsere Lösung sollte ein
ligente Messsysteme befinden sich mit ihren Displays im schlankes, edles und haptisch wertiges Gefühl vermitteln,
Keller oder Hauswirtschaftsraum und sind daher selten sodass es als Interieur im Haushalt wahrgenommen wird
präsent im Lebensumfeld von Haushalten. Diese Intrans- und kein technisches Gefühl erzeugt (und sich damit
parenz führt dazu, dass sich die Menschen nicht aktiv positiv von einem Intelligenten Messsystem im Zähler-
mit ihren Verbräuchen auseinandersetzen und dass die schrank abhebt).
Verbräuche nur selten aktiv gelenkt werden. Wir denken,
dass der bewusste Diskurs mit Verbräuchen im Haushalt
und den damit verbundenen Kosten einen bewussteren
Umgang mit dem Medium Elektrizität fördert und aktiv
dazu beiträgt Stromverbräuche zu senken oder in netz-
dienliche Zeiten zu lenken.
Lösungsansatz
Die Idee war es nun einen alltäglichen Einrichtungs-
gegenstand im Haushalt zu nutzen, um hier minimal
invasiv Informationen dazustellen, diese aber unterbe-
wusst in den Tagesablauf der Haushalte zu integrieren.
FOTO 1
Wir nutzten dabei das Konzept des Smart Mirrors, der
schon in vielfältiger Weise existiert. Unsere Überlegung
konzentrierte sich auf die folgenden Nutzerszenarien:
Aus diesen Überlegungen heraus wurden mehrere
• Informationen im Vorbeigehen zu erfassen Papierprotoypen entwickelt, aus denen sich eine Lösung
• Informationen beim Kommen und Gehen zu erfassen, herauskristallisierte, in welcher der Spiegel auf einem
um so den aktuellen Zustand einordnen zu können hölzernen Wandboard steht, sodass die technischen
Komponenten im Holzfuß untergebracht werden und der
Aus diesen Überlegungen konzentrierten wir uns auf den Spiegel an sich sehr schlank erscheint, vor allem in der
Bereich Flur, da dieser die obigen Anforderungen klar Seitenansicht.
unterstützt.
FOTO 2
AP 09
auf dem SmartMirror anzuzeigen.
Netzzustandsprognose
AUTOREN: DR. JUSTIN HEINERMANN; DR. HEINRICH KLEIN sen für diesen Anwendungsfall genauer zu betrachten
(BEIDE EWE AG) und die prinzipielle Machbarkeit eines Softwaremoduls
zu demonstrieren. Für die Netzzustandsprognose sind
insbesondere die erwarteten Leistungswerte der dezen-
Einleitung und Ausgangslage tralen Einspeiser relevant. Im Rahmen dieses Projekts
Eine vorausschauende Netzführung als Basis für eine haben wir für die kurzfristige Prognose der vertikalen
bessere Integration erneuerbarer Energiequellen und die Netzlast am MS/HS-Knoten ein datengetriebenes Pro-
Behebung von Engpässen erfordern frühzeitige und prä- gnoseverfahren prototypisch umgesetzt und auf den
zise Prognosen der lokalen Netzlast. Eine solche Prognose Daten von vier Umspannwerkstrafos evaluiert.
wird voraussichtlich für Verteilnetzbetreiber im Rahmen
der derweil diskutierten Neuordnung von Redispatch und Datengetriebene Prognoseverfahren
EISMAN verpflichtend. Bisher gibt es kaum Erfahrungen Im Gegensatz zu den herkömmlichen Prognoseverfahren
und etablierte Lösungen für UW-Trafo-scharfe Prognosen, der einfachen Umrechnung von Wetterprognosen mittels
sodass sich für alle Netzbetreiber in Deutschland die Anlagenkennlinie können die hier verwendeten Ansätze
Frage stellt, wie man einer Prognoseverpflichtung best- sich selbstlernend an die Gegebenheiten anpassen und
möglich begegnen kann. Aufgrund der Erfahrungen mit liefern eine vielversprechende Prognosegüte. Ebenso
Flexibilitätsmärkten im Projekt enera ist es naheliegend können die Verfahren sich sehr kurzfristig an Änderun-
für EWE AG und EWE Netz, die Möglichkeiten für Progno- gen in der Netztopologie oder den installierten Anlagen
AP 09
angeschlossene Verbraucher und angeschlossene sche Regressionsalgorithmen sowie neuronale Netze. Als
Niederspannungsnetze enthalten sowie weitere Ein- Fehlermaß wurde der Root-Mean-Squared-Error (RMSE)
speiser wie Blockheizkraftwerke. Diese Komponenten verwendet. Eine beispielhafte Prognose ist in Abbildung 3
sind nicht wesentlich durch das Wetter beeinflusst, visualisiert.
jedoch ist eine Prognose trotzdem nötig. Durch den von
uns verwendeten Ansatz kann auf den Zeitreihendaten Für das Projekt haben wir Testdaten von drei Jahren für
selbst ein Prognosemodell trainiert werden, sodass wir vier Testzeitreihen verwendet: ein UW-Trafo mit viel Foto-
ein relativ vollständiges Bild von der vertikalen Netzlast voltaik und wenig Windenergie, ein UW-Trafo mit meh-
bekommen können. reren Windparks sowie zwei eher last-dominierte Trafos.
Abbildung 4 zeigt den RMSE für die vier Test-UW über den
Verwendete Daten kompletten Testzeitraum.
Während wir grundlegend annehmen, dass an allen MS/
HS-Trafos das Signal der vertikalen Netzlast in Echtzeit
gemessen wird und in einem Prognose-Softwaremodul
nahezu instantan verarbeitet werden kann, sind die
Messwerte einzelner Anlagen nicht notwendigerweise
verfügbar. Nichtsdestotrotz sind oftmals aus dem Netz-
leitsystem Hochrechnungen verfügbar, welche Anteile der
Bürgerspeicher
AUTOREN: VIKTOR DMITRIYEV (OFFIS), JUSTIN HEINERMANN und lokale Bezüge schaffen. Selbstverständlich wäre die-
(EWE AG) ser Ansatz hauptsächlich für die sogenannten Prosumer
interessant – also Haushalte, in denen der Strom nicht
nur verbraucht, sondern auch erzeugt wird. Um diesen
Einleitung Anwendungsfall für mehrere Haushalte profitabel reali-
Das Thema „Bürgerspeicher“ ist beim „Innovation Friday“ sieren zu können, müssen auch Merkmale wie Anschaf-
im Rahmen eines AP9-Treffens als eine mögliche Idee fungskosten der Batterie, Betriebskosten und Batterie-
für einen innovativen Geschäftsprozess entstanden. In verschleiß berücksichtigt werden. In bestimmten Fällen,
der Energiewirtschaft ist es ein übliches Problem, die wenn z. B. geschlossene Verteilernetze oder Arealnetze
erzeugten Stromüberschüsse für die nachgelagerte Ver- betrachtet werden, könnte man auf Netzentgelte verzich-
wendung kostengünstig zu speichern. Fast alle gängigen ten, um die Betriebskosten zu senken.
Lösungen sind nicht kostengünstig und benötigen häufig
die Partizipation von Investoren. Außerdem können diese In dem „Bürgerspeicher“ Use-Case wird hauptsächlich
technisch äußerst anspruchsvoll werden. Die Idee beim „Optimierung des Eigenverbrauchs“ betrachtet. Nichts-
Bürgerspeicher Use-Case war ein Modell für mehrere destotrotz ist die entwickelte Softwarelösung flexibel
Haushalte zu erschaffen, welches erlaubt, entstehende genug, um weitere Fälle, wie z. B. das Laden von Fahrzeu-
Stromüberschüsse in einem zentralen nachbarschaft- gen zu Hause mitzuberücksichtigen. Weitere Nutzungs-
lichen Speicher zu speichern. Der zentrale Speicher ist formen wie z. B. das Anbieten von Regelleistung wurden
notwendig, um die gespeicherte Energie zu einem späte- in diesem Fall nicht betrachtet, weil die Fälle häufig ent-
ren Zeitpunkt nutzen zu können. In dieser Konstellation weder zu speziell sind oder signifikant höhere Anschaf-
waren mehrere Nutzungsformen wie z. B. die Optimierung fungskosten verursachen.
des Eigenbedarfs oder die Primärregelleistung möglich.
Später wurden Bürgerspeicher-Demo-Use-Cases von Konfiguration von Szenarien im „Bürgerspeicher“
OFFIS, BTC, Hochschule Fresenius und EWE konzipiert und Speziell für das Thema „Bürgerspeicher“ entwickelte
von OFFIS und EWE in eine Softwarelösung umgewandelt Konzepte und Softwarelösungen sollen Fachexperten
und anschließend evaluiert. erlauben, eigene Szenarien nach eigenen Bedürfnissen
zu konfigurieren. Das Hauptziel von solchen Szenarien
Idee sollte immer ein Test der gewünschten Batterieanwen-
Wie bereits erwähnt, lassen sich die Batterien vielfältig dung mittels der Simulation sein. Hauptsächlich besteht
einsetzen. Unter anderem könnte man die Batterie für die entwickelte Lösung aus unterschiedlichen User-Inter-
folgende Nutzungszwecke einsetzen: face-Komponenten, wie z. B. ein Szenarien-Konstruktor,
Geo-Dashboard oder eine Visualisierung. Dabei wurden
• Optimierung des Eigenverbrauchs zuerst folgende universale Komponenten konzipiert
• Anbieten von Regelleistung und implementiert – Fotovoltaik-Anlage, Haushalt und
• Spotmarkt (Day-Ahead + Intraday) Batterie. Die Abbildung 1 stellt das Geo-Dashboard und
• Laden von Fahrzeugen (Park & Charge) den Szenarien-Konstruktor dar. Der Konstruktor erlaubt
ein Szenario aus Fotovoltaik-Anlagen, Haushältern und
Bei der Nutzungsform „Optimierung des Eigenbedarfs“ Batterien zu erstellen. Dabei wird jede Komponente
wird die überschüssige Energie von Fotovoltaik-Anlagen von einem bestimmten Szenario angepasst. Zum Bei-
über das Stromnetz in Batterien gespeichert. Nach der spiel könnte man bei einem Haushalt die Merkmale wie
Speicherung von Stromüberschüssen kann eigener Strom Jahresverbrauch, Personen im Haushalt und Hausfläche
nach Bedarf wieder genutzt werden. Im Vergleich zur Ein- anpassen. Diese Parameter werden auch später die
speisung in das öffentliche Netz könnte in bestimmten Simulation und die bei der Simulation erzeugte Daten-
Fällen die Nutzung von eigenem Strom günstiger werden. grundlage beeinflussen. Die Web-Anwendung lässt nicht
Dadurch könnte man nicht nur günstigen Strom vom nur die Kernkomponenten anpassen, sondern auch die
Batteriespeicher beziehen, sondern auch regionale Nähe Zeitperiode für das Szenario.
Technische Sicht
ABBILDUNG 1: WEB-BASIERTE GUI DES BÜRGERSPEICHER-DEMOS
Für die Softwareentwicklung wurden folgende Techno-
logien genutzt: Python (Mosaik-simulation, Web-Anwen-
dung, Schnittstellen, Datenauswertung), Predictive Model
Nach der Konfigurationsphase könnte man entweder das Markup Language (PMML) sowie Open Scoring für die
Szenario starten oder die JSON-Dateien mit dem Szenario Ausführung von PMMLs. Die Architektur und auch ent-
für spätere Nachbearbeitung speichern. Wenn das Sze- sprechende Implementierung bestehen aus folgenden
nario gestartet wird, erhält man nach der Bearbeitungs- Kern-Softwareartefakten:
zeit die simulierten Daten für das ausgewählte Szenario
zurück. Die generierten Daten können direkt visualisiert 1. Die Web-Anwendung (Geo-Dashboard, Konstruktor
werden. Eine mögliche Darstellung der generierten Daten von Szenarien und Visualisierung)
ist auf der Abbildung 2 zu sehen. 2. Jedes Szenario kann als JSON gespeichert werden
3. Die Mosaik-Simulation mit unterschiedlichen
Simulatoren war für die Datengenerierung zuständig
4. Mosaik-Simulatoren
5. Schnittstelle zwischen Mosaik-Simulatoren und
PMML-Umgebung. An dieser Schnittstelle lassen sich
später beliebige PMMLs als Simulatoren nutzen
6. Daten (CSV, JSON)
7. Auswertung der Daten
AP 09
GREGIERTE HAUSHALTE, GRAU – BATTERIE)
Zusammenfassung
Häufig haben innovative Lösungen wie Bürgerspeicher
eine gewisse Barriere vor sich, um eine erfolgreiche
Erprobung und nachgelagerte nachhaltige Entwicklung
verwirklichen zu können. Diese Lösung stellt meistens
ein hohes unvorhersehbares Risiko für direkte Investi-
tionen dar, weshalb sie regelmäßig von Kapitalanlegern
übersehen und ignoriert werden. Dadurch werden ent-
stehende Vorteile nicht sofort ersichtlich. Zum Beispiel
wenn eigens produzierter Solarstrom im Bürgerspeicher
zwischengespeichert wird, ist dieser dann nicht mehr
als Grün-, sondern als Grau-Strom zu bezeichnen. Das
heißt, in diesem konkreten Fall lässt sich der Bürger-
speicher ohne weitere Gesetzesänderungen schwer
umsetzen. Eine Ausnahme würde ein eigens für diesen
Zweck verlegtes Kabel zwischen allen beteiligten Parteien
darstellen, welches sicherstellt, dass die Regelungen für
den Grünstrom eingehalten werden. Dies wird wiederum
neue Kosten verursachen und wird weitere technische
Mittel benötigen. Das entwickelte Konzept und die Soft-
warelösung wurden mithilfe von Fachexperten evaluiert.
Dabei wurde festgestellt, dass der Markt nicht reif genug
für einen massenhaften Einsatz von Großbatterien in
Haushalten ist. Bei der Evaluation wurde weiterhin fest-
gestellt, dass potenziell rentable Anwendungsfälle von
Großbatterien in Haushalten vergleichbare Ansätze wie
beim Bürgerspeicher verwenden. Das in diesem „Bürger-
speicher“-Geschäftsprozess erarbeitete Konzept und
die entsprechende Softwarelösung lässt dem Endnutzer
beliebig viele Szenarien, aus denen unterschiedliche
Komponenten mit verschiedenen Merkmalen ausgewählt
werden können, um festzustellen, welche Strategien für
ein bestimmtes Quartier infrage kommen könnten sowie
mit welcher Batterieleistung geplant werden muss, um
profitabel zu sein.
AUTOREN: DR. HEINRICH KLEIN (EWE AG), DR. JUSTIN HEI- ist letzterer Punkt von zentraler Bedeutung. Das Projekt
NERMANN (EWE AG), JAN-LUCA WEIDENHÖFER (EWE AG), gliedert sich in zwei Phasen: Die Umsetzung im Rahmen
LUCAS DETJE (EWE AG), DR. MATTHIAS POSTINA (EWE AG), einer Simulation sowie einen technischen Durchstich zur
NORMAN IHLE (EWE AG), CHRISTOPH FRANZIUS (OFFIS) Demonstration der Machbarkeit.
Einleitung
Abstract Wenn es demnächst immer mehr E-Autos gibt, stellt das
Eine zunehmende Elektrifizierung des Verkehrssektors die Stromnetze insbesondere im Bereich der Nieder-
stellt aufgrund der zur erwartenden hohen Gleichzeitig- spannung vor große Herausforderungen. In Abbildung 1
keit von Ladevorgängen eine große Herausforderung für ist die Situation im Verteilnetz mit mehreren Haushal-
Netzinfrastruktur im Verteilnetz dar. Ohne intelligente ten, die an einer gemeinsamen Ortsnetzstation hängen,
Maßnahmen zur Ladesteuerung oder massive Ein- schematisch dargestellt. Geht man von einem Szenario
schränkungen der zur Verfügung stehenden Ladeleistung aus, in dem Elektroautos vornehmlich zuhause geladen
werden durch den Ausbau der Elektromobilität auch werden, ist bei einem ungesteuerten Ladeverhalten mit
große Investitionen für eine Verstärkung der Verteilnetze einer hohen Gleichzeitigkeit des Ladevorgangs in den
benötigt. Abendstunden zu rechnen, wenn Pendler an ihren Wohn-
ort zurückkehren.
Im Projekt Grid4Mobility wurde ein Ansatz zum intelli-
genten Laden erprobt, der eine Überlastung der Verteil- Um diese Herausforderung im Niederspannungsnetz zu
netze verhindert und gleichzeitig die individuellen Lade- meistern, sind mehrere Optionen denkbar.
bedürfnisse der Kunden berücksichtigt. Für die Akzeptanz Bei einem „weiter so wie bisher“-Szenario, in dem ein
der Maßnahmen sowie der Elektromobilität als solche ungesteuertes Laden mit der bisher standardgemäß ver-
AP 09
des SINTEG-Projekts enera nun einen Ansatz geschaffen, untereinander werden die Fahrpläne so angepasst, dass
der die Belange der Netzsicherheit (Vermeidung von Eng- kein Engpass am Trafo entsteht. Hierbei wird davon aus-
pässen) in Einklang bringt mit den Kundenbedürfnissen gegangen, dass nur ein Teil der Last am Trafo für eine
und einem möglichst unaufdringlichen technischen Flexibilisierung zur Verfügung steht. Das Verhandlungs-
Ansatz. Grundhypothese hierbei ist, dass eine „Entgleich- ergebnis wird der dezentralen Logik der Agenten folgend
zeitigung“ der Ladevorgänge in der Regel möglich ist, in einer transparenten Blockchain abgespeichert. Ist ein
ohne dass der Kunde hierdurch Komforteinbußen erlei- Kunde bereit seinen Fahrplan anzupassen und realisiert
det. Eine solche „Entgleichzeitigung“ des Ladevorgangs auch die aus den Verhandlungen resultierende Anpas-
ist möglich, wenn man das Kundenbedürfnis nach Mobi- sung, so erhält der Kunde hierfür Enercoins – eine nicht
lität in den Fokus stellt. Selbst wenn in einem Ortsnetz monetäre Incentivierung. Diese Enercoins können dann
in den Feierabendstunden alle E-Autos nahezu gleich- eingesetzt werden, wenn der Trafo-Engpass auf freiwil-
zeitig angeschlossen werden, müssen nicht alle E-Autos liger Basis nicht verhindert werden kann. Durch Einsatz
möglichst schnell wieder zur Verfügung stehen. In der von Enercoins können Kunden in einer solchen Eng-
Regel wird das E-Auto erst am nächsten Morgen wieder passphase mit einer höheren Priorität laden als solche,
benötigt und nur bei einem kleinen Teil der E-Auto-Flotte die keine Enercoins einsetzen. Dies soll ein Community-
besteht der Bedarf, dass das E-Auto in möglichst kurzer dienliches Verhalten Incentivieren, ohne dass es zu einer
Zeit wieder verfügbar ist. monetären Vergütung kommt.
Verbundene Aktivitäten
AP 09
ABBILDUNG 4: SCHEMATISCHER ABLAUFPLAN FÜR DAS GESTEUERTE LADEN G4M-FELDTEST MIT DEN SCHRITTEN DER FAHRPLANGENERIE-
RUNG UND VERHANDLUNG ÜBER DEN ZU REALISIERENDEN FAHRPLAN.
Lichtcontracting
AUTOR: DR. HAUKE THADEN (EWE AG) dung 1). Darüber hinaus wurde in gemeinsamen Work-
shops erarbeitet, welche weiteren Informationen im Laufe
der Kundenakquise erhoben und verarbeitet werden.
Einleitung und Ausgangslage Diese Informationen wurden dann für die Bestands-
Lichtcontracting beschreibt das Angebot eines Dienstleis- kunden gesammelt, aufbereitet und in die Modellierung
ters, Beleuchtungsanlagen von insbesondere Industrie- integriert.
und Gewerbekunden zu modernisieren, umzurüsten und
im laufenden Betrieb zu warten. Dabei werden zwischen
Dienstleister und Kunde in der Regel Verträge über einen
Zeitraum von mehreren Jahren abgeschlossen. Vorteil
für den Kunden ist, dass für die Modernisierung keine
einmalige – unter Umständen sehr hohe – Investition
erforderlich ist. Alternativ wird die Umrüstung durch die
langfristig fälligen Contracting-Gebühren über mehrere
Jahre hinweg bezahlt. Die Effekte (reduzierter Energie-
bedarf durch moderne Beleuchtung) treten dagegen
sofort ein.
Die EWE VERTRIEB GmbH bietet ihren Geschäftskunden ABBILDUNG 1: BEISPIELHAFTER LASTGANG EINES INDUSTRIEKUN-
DEN IN VIERTELSTÜNDIGER AUFLÖSUNG IM VERLAUF EINES JAHRES.
diese Dienstleistung an. Eine wesentliche Herausforde-
rung dabei ist, potenzielle Kunden frühzeitig zu identi-
fizieren und gezielt mit individuell passenden Angebo-
ten anzusprechen. Tatsächlich ist es so, dass sich die In einem nächsten Schritt wurden verschiedene Machine-
Modernisierung der Beleuchtungsanlage nicht für jeden Learning-Verfahren mit den Daten der Bestandskunden
Kunden innerhalb von 5 oder 10 Jahren amortisiert. Diese trainiert und bezüglich ihrer Prognosefähigkeit evaluiert
Erkenntnis kann aber immer erst im Laufe eines zeit- und (u. a. mittels Leave-One-Out-Kreuzvalidierung). Zielgröße
kostenintensiven Lead-Prozesses gewonnen werden. Das dieser Auswertung war die Abschlusswahrscheinlichkeit
Lösungsartefakt „Lichtcontracting“ zahlt genau auf die eines potenziellen Kunden. Eine schematische Darstel-
Fragestellung der datenbasierten und automatisierten lung dieses Vorgehens befindet sich in Abbildung 2.
Identifikation von potenziellen Kunden ein.
zugehörige BrainWave
Im Rahmen einer BrainWave wurde innerhalb von
12 Wochen analysiert, wie zuverlässig eine daten-
basierte Identifikation von potenziellen Kunden für das
Produkt Lichtcontracting funktioniert. Dazu wurde ein
interdisziplinäres Team aus Data Scientists der EWE AG
und BTC AG und Fachexperten der EWE VERTRIEB GmbH
zusammengestellt.
AP 09
wenigen Sekunden eine datenbasierte Einschätzung
ihres Einsparpotenzials durch eine Modernisierung ihrer
Beleuchtungsanlage. Diese Berechnung ist dann Grund-
lage für den weiteren Lead-Prozess.
Disaggregation Light
AUTOR: DR. HAUKE THADEN (EWE AG) Durch den SAM-Roll-out im dritten Projektjahr konnte die
Datenbasis für Smart-Meter-Daten von einzelnen Haus-
halten auf mehrere Hundert erhöht werden. Ergänzend
Einleitung und Ausgangslage wurden wieder einzelne enera Teilnehmer mit Smart
Smart-Meter-Daten liefern wichtige Einblicke in den Plugs versorgt, um den Energieverbrauch von ausge-
Energieverbrauch von Haushalten. Neben haushaltsspe- wählten Haushaltsgeräten zu erfassen. In einem parallel
zifischen Verbrauchsinformationen in Echtzeit ermög- durchgeführten Feldtest wurden einzelne Haushalte mit
lichen diese Daten gezielte Analysen über grundsät- höchstauflösenden Messgeräten ausgestattet, die den
zliche Verhaltensmuster (z. B. Beginn/Ende der täglichen Stromverbrauch im kHz-Bereich erfassen (HiRes Mete-
Aktivität im Haushalt) und bis zu einem gewissen Grad ring).
auch über die Nutzung der im Haushalt genutzten Elek-
trogeräte. Algorithmen und Datenanalysen
Wesentliche Teile jeden Feldtests waren die Aufbereitung
Disaggregation beschreibt dabei die Zerlegung des und die Analyse der gewonnenen Daten. Die Kombina-
aggregierten Energieverbrauchs eines Haushalts in Ein- tion aus aggregierten Verbrauchsdaten der Haushalte
zelverbräuche bestimmter Geräte (z. B. Waschmaschine, und gerätespezifischen Informationen ermöglichte es
Trockner etc.). So bekommen Nutzer eines Smart Meters verschiedene Machine-Learning-Verfahren darauf zu
detaillierte Informationen über Verbrauch und laufende trainieren, die Profile der Geräte im Gesamtprofil des
Kosten ihrer Geräte. Haushalts wiederzuerkennen und den Gesamtverbrauch
entsprechend zu disaggregieren (vgl. Abbildung 1).
Im Rahmen von mehreren Feldtests und intensiven
Datenanalysen wurde evaluiert, welche Modelle geeignet
sind, um Haushaltslastprofile zu disaggregieren. Insbe-
sondere konnten dadurch wesentliche Erkenntnisse über
Potenziale, Grenzen und Herausforderungen der Disag-
gregation gewonnen werden.
AP 09
dritten Projektjahr die Disaggregation light entwickelt. Ergänzt wurden die Ergebnisse der individualisierten
Der Zusatz „light“ trägt der Tatsache Rechnung, dass wie statistischen Disaggregation um Resultate der modell-
oben beschrieben nur ein geringer Teil des gesamten basierten Disaggregation, die mit den Daten aus den
Stromverbrauchs des Haushalts in Einzelteile zerlegt diversen Feldtests trainiert und entwickelt wurden.
werden kann. Nichtsdestotrotz ermöglicht das hier ent-
wickelte Lösungsartefakt erste wesentliche Einblicke in Auf diese Weise wird der Gesamtverbrauch der Haus-
das Verbrauchsverhalten der an enera teilnehmenden halte durch die Disaggregation light in die Komponenten
Haushalte. Kühlgeräte, Stand-by, Always-on (passiver Verbrauch)
und Kochen, Entertainment, Waschmaschine, Trockner,
Die Lösung ist zusammengesetzt aus Methoden der Geschirrspüler (aktiver Verbrauch), sowie Sonstiges
erweiterten statistischen Disaggregation und der modell- zerlegt.
basierten Disaggregation. Statistische Disaggregation
beschreibt die Zerlegung des gesamten Verbrauchs
basierend auf festen Verteilungen einer größeren Grund-
gesamtheit (vgl. Abbildung 2).
AUTOR: DR. HAUKE THADEN (EWE AG) das EWE DataLab dank der digitalisierten Erfassung
des Stromverbrauchs genau quantifizieren, wie sich der
Energiebedarf durch die einschränkenden Corona-Maß-
Digitalisierung des Energiesystems als Schlüssel zu nahmen entwickelt hat.
neuen Erkenntnissen
Die Corona-Pandemie ist wohl ohne Übertreibung das In dieser Studie wurde in den teilnehmenden Haushal-
dominanteste Thema im Jahr 2020. Jede und jeder ist auf ten zunächst der tägliche Stromverbrauch ausgewertet.
die ein oder andere Weise betroffen. Das private Umfeld Dabei wurden Arbeitstage (Mo-Fr) und Wochenenden
ist gekennzeichnet von Kontakt- und Ausgangsbeschrän- unterschieden. Im nächsten Schritt wurden diese Werte
kungen, Home-Office und Home-Schooling. Industrie und zum Stichtag 16.03.2020 (Start der Schul- und Geschäfts-
Gewerbe erleben vorübergehende Schließungen, stark schließungen in Deutschland) miteinander verglichen.
veränderte Auftragslage und große Unsicherheiten. Tabelle 1 und Abbildung 1 zeigen die wesentlichen Ergeb-
nisse.
Klar ist, dass sich die Maßnahmen zur Eindämmung
von Corona auch auf den Energieverbrauch, privat wie ART DES TAGES MITTLERER VER MITTLERER VER PROZENTUALE
BRAUCH VOR BRAUCH NACH ÄNDERUNG
gewerblich, auswirken. Doch worauf müssen sich Energie- DEM 16.03.2020 DEM 16.03.2020
versorger einstellen? Noch bis vor kurzer Zeit wäre diese IN KWH IN KWH
Frage – wenn überhaupt – nur teilweise in der Retros-
10,55 11,00 +4,3 %
pektive zu beantworten gewesen. Denn während große Arbeitstage [10,46; 10,66] [10,88; 11,12]
industrielle Endkunden häufig schon in der sogenannten
Lastgangmessung (viertelstundenscharfe Messung des 11,49 11,48 -0,1 %
Stromverbrauchs) sind, wird der Verbrauch von kleineren Samstag [11,26; 11,72] [11,18; 11,77]
Gewerbestandorten und Privataushalten in der Regel nur
mit der Jahresabrechnung erfasst. Die tatsächlichen Aus- 11,94 11,34 -5,0 %
Sonntag [11,71; 12,17] [11,05; 11,63]
wirkungen der Corona-Pandemie in der Energiebranche
werden somit frühestens einige Monaten nach dem Aus-
Wochen- 11,72 11,41 -2,6%
bruch sichtbar. Die Energieversorger sind also im Privat-
ende [11,56; 11,89] [11,20;11,62]
kundensektor auf Erfahrungswerte und Schätzungen
angewiesen – in einem Pandemie-Szenario, für das es 10,91 11,11 +1,8 %
in diesem Ausmaß noch gar keine Erfahrungen gibt. Auf Gesamt [10,83; 11,00] [11,00; 11,21]
der anderen Seite ist es aber aus betriebswirtschaftlicher
und infrastruktureller Perspektive wichtig, frühzeitig auf TABELLE 1: MITTLERER TÄGLICHER ENERGIEVERBRAUCH VOR UND
diese Effekte zu reagieren, z. B. um den Einkauf und die NACH DEM 16.03.2020. IN KLAMMERN: 95-%-KONFIDENZINTERVALLE
Abhilfe schaffen hier Smart Meter oder Auslesemodule Insbesondere an Arbeitstagen ist ein deutlicher Anstieg
für moderne digitale Stromzähler. Mit dieser Technologie um 4,3 % erkennbar. Während der Energieverbrauch an
ist es möglich, den Stromverbrauch praktisch in Echtzeit Samstagen praktisch unverändert ist, konnte sonntags ein
auszulesen. Im Rahmen des Energiewendeprojekts enera verringerter Verbrauch identifiziert werden. Tatsächlich
wurden mehrere hundert Haushalte mit derartigen Aus- hat sich der Verbrauch bei 42 % der untersuchten Haus-
lesemodulen ausgestattet. In Zeiten von Corona erweist halte vom Wochenende in die Arbeitswoche verschoben.
sich diese Datenquelle als besonders wertvoll. Im Rah- Nur 14 % der Haushalte dagegen zeigen eine Verschie-
men einer Studie mit mehr als 200 Haushalten konnte bung in Richtung Wochenende. Bei den restlichen 44 %
AP 09
UNTERSUCHTEN HAUSHALTE (WERKTAGS) PRO KALENDERWOCHE
(OBEN). PROZENTUALE ÄNDERUNG DES WERKTÄGLICHEN VER-
BRAUCHS IM VERGLEICH ZUR VORWOCHE (UNTEN). DIE WESENT-
LICHEN EINSCHRÄNKENDEN MASSNAHMEN WURDEN IN KW 12
(16.03.2020) EINGEFÜHRT.
Hauke Held: „Die Vision dabei war, dass das Handy in Hauke Held: „Wir haben einige Bilder und Screenshots
Zukunft ganz einfach einzelne Verbraucher im Haushalt für dieses Interview mitgebracht. Da kann man schon
erkennt und dann Echtzeit-Informationen zu Verbrauch einen ganz ordentlichen Eindruck gewinnen. Im App-
oder Erzeugung und ggf. auch mit Anomalie-Erkennung Store direkt kann man die App heute leider noch nicht
den Zustand sozusagen im Vorbeigehen liefert und man herunterladen, weil es nach wie vor eine Entwicklungs-
so ein ganz neues Bewusstsein zu Verbräuchen und auch version ist, die über einen speziellen Test-AppStore ins-
Einsparpotenzialen entwickeln kann. Energie aus einer talliert wird. Die App ist aber so weit, dass wir sie nicht
neuen Perspektive eben. Darauf aufbauend lassen sich nur Testnutzern zur Verfügung gestellt haben, sondern
viele verschiedene Geschäftsmodelle und -services vor- sie auch schon bei größeren Veranstaltungen präsentiert
stellen. Für unser Projekt haben wir uns dann erstmal und dort Nutzerfeedback eingesammelt haben.“
vorgenommen, einzelne Bausteine auf diesem Weg zu
entwickeln und zu demonstrieren und Erfahrungen in Michael Richter: „Ja, insbesondere bei einer Veranstaltung
dem Bereich zu sammeln.“ zu Technologieinnovationen im EWE-Konzern haben wir
recht positives Feedback bekommen. Dort wurde haupt-
sächlich die Funktion der App ausprobiert, Gegenstände
zu erkennen und dann individuelle Informationen und
Hinweise dazu einzublenden. In der Testversion werden
zu den erkannten Verbräuchen zwar noch keine Echtzeit-
informationen eingeblendet, aber die Objekterkennung
funktioniert für verschiedene Haushaltsgeräte und es
gibt generische Verbrauchsinformationen und in Analo-
gie zur enera App auch Tipps & Tricks sowie Fun Facts zu
den einzelnen Gegenständen. Man konnte das also schon
sehr realistisch testen.“
AP 09
in enera verwendeten Smarten Auslesemodul (SAM) auf
enera Redaktion: „Wie seid ihr dabei vorgegangen?“ einem virtuellen Parcours Energiewende-Verhinderer zu
beseitigen. Das klingt jetzt erstmal etwas spielerisch, hat
Hauke Held: „Wir hatten zum Start des Projekts mehrere aber zu sehr hoher Aufmerksamkeit am Stand geführt und
Workshops in Oldenburg, in denen wir mit Senselab. uns noch einmal gezeigt, dass diese Art der Augmented
io den grundsätzlichen Inhalt und das Design der App Reality-Interaktion Nutzer anzieht und im Fall der Messe
entwickelt haben. Danach haben wir in einer Sprintlogik für viele interessierte Gespräche gesorgt hat.“
gearbeitet. Jeder hatte dabei seinen Bereich und seine
Aufgaben und wir haben uns ca. alle vierzehn Tage syn- enera Redaktion: „Und wie geht es nun weiter mit der
chronisiert und gemeinsam besprochen, welche Aufga- SAM-AR-App?“
ben im nächsten Sprint wichtig sind, um dem Ziel, einer
lauffähigen App, schnell näher zu kommen.“ Hauke Held: „Das ist eine gute Frage. Fakt ist, dass für
eine App, die den Nutzern dauerhaften Mehrwert bietet,
Michael Richter: „Dieses Vorgehen war insbesondere hilf- noch weitere Entwicklung, z. B. die Echtzeitanbindung von
reich, als wir die ersten Versionen der App ausprobieren einzelnen, auf Geräte zurückgeführten Verbräuchen not-
konnten und im immer weiteren Kollegenkreis getestet wendig wäre. Das initiale Kooperationsprojekt aus dem
haben. Hier gab es dann viele hilfreiche Hinweise und pitchX Start-up-Wettbewerb heraus ist allerdings erstmal
Vorschläge, was noch verbessert werden könnte und abgeschlossen und wir haben hier eine Menge über die
Die Auswertung der detaillierten Messwerte der smart- Wenn die Gruppierung und Einordnung gut funktioniert,
me-Module findet im Rahmen der Masterarbeit von Tim könnte man evtl. sogar die Haushalte, die keine Meta-
Friedrich an der Hochschule Darmstadt im Fachbereich Daten zur Verfügung gestellt haben, mit hoher Genauig-
Informatik statt und ist noch nicht abgeschlossen. Jedoch keit einer der Gruppierungen zuordnen.
zeigt eine erste Analyse, dass es signifikante Abweichun-
gen vom Standard-Lastprofil gibt und auch größere Literaturverzeichnis
AP 09
Unterschiede zwischen den einzelnen Haushalten, zwei
Beispiele sind in Abbildung 4 und Abbildung 5 gezeigt. SMART-ME (2020). Bei enera eingesetztes smart-me-Modul
smart-eye. Abgerufen von https://web.smart-me.com/pro-
ject/smart-eye/
AP 09
Innovation Friday
AUTORIN: ANN-KATHRIN DETELS (EWE AG) Ideen für datenbasierte Produkte und Geschäftsmodelle
und es stellte sich die Frage, wie diese identifiziert, auf-
genommen und entwickelt werden können, um als Teil
Ein Erfahrungsbericht des Arbeitspakets umgesetzt zu werden.
„Gut genug für jetzt“ oder auch „Jede Idee hat einen Wert“
– dies sind zwei der Leitsätze, die den Innovation Friday Ebendiese Aufgabe sollte – neben weiteren Formaten –
maßgeblich geprägt haben. Der Innovation Friday – was der Innovation Friday erfüllen. Es ging darum, Themen-
ist das eigentlich? Es handelt sich dabei um ein Work- bälle aufzunehmen, Ideen und Lösungsansätze zu entwi-
shop-Format, welches im Rahmen des enera Projekts ckeln und die so vorzubereiten, dass sie in die Umsetzung
konzipiert, zum Leben erweckt und iterativ weiterentwi- und Verprobung gebracht werden konnten. Dazu sollte
ckelt wurde. Ziel dabei war es, zu lernen, die im Projekt ein offener Denkraum abseits der operativen Projekt-
enera gesammelten Erfahrungen, Erkenntnisse und tätigkeiten geschaffen werden, in dem den Teilnehmern
Ansätze zur Generierung neuer Ideen zu nutzen. Ideen Zeit und Instrumente bereitgestellt wurden, um genau
meinen dabei sowohl Produkte und Geschäftsmodelle dies zu tun: kreative Ideen generieren. Des Weiteren
als auch Prozessverbesserungen. Verankert war dieses sollten sie Impulse erhalten, um über ihre eigentlichen
Format im Arbeitspaket „Neue Geschäftsmodelle im Kon- Themenfelder hinaus zu denken und so weitere Ideen
text des digitalen Energiesystems“, wo es der Phase der für Lösungsansätze zu entwickeln. Diese Ideen sollten für
Identifikation und damit der ersten der drei Stufen (Iden- das Projekt enera nutzbar gemacht werden, wozu eine
tifikation/Potenzialanalyse/Demonstration & Erprobung) methodische Aufbereitung sowie eine Bewertung des
zuzuordnen ist. Es stellte ein Methodenformat dar, wel- Potenzials erforderlich waren. Darüber hinaus verfolgte
ches die Frage, wo neue Ideen herkommen und wie sie das Format implizit das Ziel, die im Projekt enera ver-
entstehen können, beantworten sollte. ankerte Vision unternehmensweit zu transportieren und
das damit verbundene Mindset mit Fokus auf fachbe-
Dieser Artikel ist ein Erfahrungsbericht darüber, was der reichsübergreifende und partnerschaftliche Zusammen-
Ursprung dieses Formats war, wie die Vorgehensweise arbeit sowie heterogene Teams zu verbreiten.
aussah, welche Ergebnisse erzielt und welche Erfahrun-
gen dabei gesammelt wurden. Die Vorgehensweise
Zu Beginn stand dabei lediglich ein sehr grobes Konzept
Der Kerngedanke des Innovation Friday bzw. eine Struktur, welche Themenblöcke es in dem
Mit Start des enera Projekts wurde sichtbar, dass in vielen Workshop-Format geben sollte, nämlich die Teile Strate-
der Themenbereiche bzw. Arbeitspakete Fragestellungen gie, Kreativität und Pitch. Darüber hinaus war der Input
und Ansätze in die Luft geworfen wurden, ohne weiter definiert: alle acht Wochen, 15 bis 20 Personen, an einem
verfolgt werden zu können. Es wurde deutlich, dass sich Freitag, ggf. durch Einbezug externer Speaker, Moderation
das Gesamtprojekt eher auf die Aufgabe konzentrierte, durch mich und meine Kollegin. Der avisierte Output
die Arbeitspakete entsprechend des Projektplans umzu- stand ebenfalls fest: neue Ideen und Lösungsansätze für
setzen. Es bestand jedoch wenig Raum dafür, neue The- digitale Produkte und Geschäftsmodelle.
men mit aufzunehmen.
Ganz bewusst offen blieb die Frage, wie wir dorthin
Unter anderem aus diesem Grund wurde initial das kommen würden. Diese Frage galt es im Verlauf auszu-
Arbeitspaket zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle im gestalten und dem Motto „Learning-by-doing“ folgend
Kontext des digitalen Energiesystems ins Leben gerufen. bzw. iterativ an die Anforderungen zu entwickeln und
Es sollte auf den im Projekt geschaffenen Rahmenbe- anzupassen. Maßgeblich war es dabei, eine gute Balance
dingungen und Strukturen aufsetzen, um neue Ansätze zwischen Rahmen sowie Struktur und Freiräumen zu
datenbasiert voranzutreiben und explorativ zu entwi- geben, um Kreativität zu fördern, aber auch die Produk-
ckeln sowie zu demonstrieren. Die erste Phase in diesem tivität sicherzustellen. Es sollte keinen festgelegten Rah-
Arbeitspaket widmete sich dazu der Identifikation von men mit standardisierten Instrumenten geben. Vielmehr
Die Ergebnisse
In Zahlen kann das Format Innovation Friday wie folgt
ausgedrückt werden:
AP 09
waren dabei die Verfügbarkeit der Teilnehmer sowie FOTO 1
die Produktivität. In Summe sind so etwa 150 Work-
shop-Stunden zusammen gekommen.
• Die Zahl der Teilnehmer lag je Workshop bei 15 bis
25 Teilnehmern. Dabei gab es sowohl Wiederkehrer Im dritten Projektjahr wurde mit dem Format ein neuer
als auch Neulinge, sodass in Summe ca. 300 Personen Schritt gegangen, indem das Konzept des Innovation
das Format kennengelernt und zum Leben erweckt Fridays – die gezielte Entwicklung von Ideen mithilfe
haben. Im Hinblick auf die Kommunikation funk- eines methodischen Werkzeugkoffers – mit den Ansätzen
tionierte hierbei am besten die Mund-zu-Mund- und Methoden des Data Thinking kombiniert wurde und
Empfehlung auf Basis eigener Erfahrungen. so der Brain Friday ins Leben gerufen wurde. Dieser fand
• Je Workshoptag haben wir in einem zweistufigen Vor- zweimal statt. Dabei ging es darum, Probleme zu identi-
gehen Ideen entwickelt. In der ersten Stufe wurden fizieren, welche mithilfe von Daten gelöst werden können.
grobe Ideen auf Masse gesammelt, wobei je Ver- Hierzu wurde ein sehr fachspezifisches Format durchge-
anstaltung zwischen 20 und 50 Ansätze zusammen- führt, indem der Teilnehmerkreis sich aus Experten des
gekommen sind. In der zweiten Stufe wurden in der Fachgebiets sowie Data Scientisten zusammensetzte. So
Regel vier bis fünf ausgewählte Ideen ausgestaltet. konnten Ansätze nah am Fachgebiet entwickelt werden,
Folglich kann man sagen, dass während der enera deren Anschlussfähigkeit an das datenbasierte Umset-
Projektlaufzeit in 20 Terminen rund 400 Grobideen zungsformat der Brain Wave sichergestellt war.
Die Erkenntnisse
Ziel des Innovation Friday war es, zu lernen, die im
Projekt enera gesammelten Erfahrungen, Erkenntnisse
und Ansätze zur Generierung neuer Ideen zu nutzen.
Dazu haben wir in der Praxis erfahren, worauf es bei der
Gestaltung eines solchen Workshop-Formats ankommt
– sowohl im Hinblick auf die initiale Ausrichtung des
Formats als auch hinsichtlich der Fähigkeit, dieses For-
mat an die Bedürfnisse der Teilnehmer sowie der Inhalte
anzupassen. So hat das Format es ermöglicht, in Phasen,
in denen das Projekt in bestimmten Themenbereichen
Impulse benötigte, für ebendiese Zwecke durchgeführt
werden zu können. Darüber hinaus konnten folgende
FOTO 2 Erkenntnisse gesammelt werden:
AP 09
DataThinking
AUTOREN: DR. HAUKE THADEN (EWE AG), DR. MATTHIAS • Wie funktionieren datenbasierte Geschäftsmodelle?
POSTINA (EWE AG) • Was ist maschinelles Lernen und DataScience?
• Was macht ein DataScientist? Wie arbeitet er und
worauf achtet er?
Abstract • Wie arbeitet man mit einem DataScientist zusammen?
Ein Verständnis davon, wie datenbasiertes Geschäft funk- • Gibt es Beispiele für erfolgreiche Zusammenarbeit
tioniert, und welche Möglichkeiten sich etwa für Verbes- und wie ist das Potenzial der gemeinsamen Arbeit zu
serungen im Arbeitsalltag durch den Einsatz von maschi- bewerten?
nellen Lernverfahren und Verfahren der künstlichen • Wie funktioniert künstliche Intelligenz und wo liegen
Intelligenz ergeben können, ist heutzutage essenziell für Grenzen?
Fachkräfte in allen Fachdisziplinen. Praxiseinblicke der
Mitarbeiter des EWE DataLabs über die letzten Jahre in
zahlreiche Fachbereiche zeigten jedoch, dass an vielen
Stellen dieses Verständnis erst sehr rudimentär aus-
geprägt und der Informations- bzw. Aufklärungsbedarf
gleichermaßen jedoch sehr groß war. Insbesondere gab
und gibt es immer wieder Vorbehalte gegenüber dem
Einsatz künstlicher Intelligenz, begründet durch Sicher-
heitsbedenken und einem auch durch Science Fiction
geprägten Bild einer dem Menschen überlegenen und
sich verselbstständigenden KI.
ABBILDUNG 1: DATATHINKING FÜR PARTNER UND MITARBEITER VON
Aus diesem Grund und aufgrund der Tatsache, dass die EWE IM CAB IN BREMEN
DataThinking als Schulungsmodul wurde bisher etwa von der internen verwendung hin zur vermarktung von
30-mal durchgeführt und es konnten insgesamt über Wissen und Methodik
300 Personen erreicht werden. Die überwiegende Anzahl Vorbehalte und Unsicherheiten im Umgang mit künst-
der Schulungen wurde im Zentrum für Aus- und Weiter- licher Intelligenz sind weder auf die Energiewirtschaft
bildung der EWE in Oldenburg durchgeführt, aber bei im Allgemeinen noch auf EWE im Speziellen beschränkt.
Bedarf durchaus auch außerhalb von Oldenburg (vgl. Andere Energieversorger und Unternehmen weiterer
AP 09
Abbildung 1). Das Feedback zur Schulung DataThinking Branchen stehen gleichermaßen vor der Heraus-
ist nach wie vor sehr positiv und das Modul hat sich zu forderung, die eigenen Daten sinnvoll einzusetzen,
einem der meistgebuchten Module im Schulungsangebot um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Eine bei
bei EWE entwickelt. Das Grundkonzept als Präsenzschu- einem großen Industriekunden von EWE durchgeführte
lung und der inhaltliche Aufbau ist von Beginn an stabil DataThinking-Schulung zeigte schnell auf, dass die
geblieben, auch wenn das Modul inhaltlich natürlich stets grundsätzlichen Muster und Vorgehensweisen zum Ein-
an den aktuellen Stand von Forschung und Entwicklung satz von KI und maschinellen Lernverfahren unabhängig
angeglichen wurde. vom Anwendungsgebiet ihre Gültigkeit behalten.
Vom Lernmodul zur internen Akquisemethode Insbesondere können die Erfahrungen des EWE DataLab
Bei den ersten Einzelgesprächen und zum Teil auch noch zur Identifikation, Ausgestaltung und Priorisierung von
den ersten Schulungen stand die Wissensvermittlung KI Use Cases unternehmens- und branchenübergreifend
noch klar im Vordergrund. Im Laufe der Zeit zeigte sich wesentliche Mehrwerte generieren.
jedoch, dass im Rahmen der Schulung entstehende
Diskussionen unter allen Teilnehmern auch stets den Weitere Schulungen und Workshops mit externen Partnern
Praxisbezug in den Arbeitsalltag der Schulungsteilneh- sind derzeit in konkreten Planungen, um den Einsatz von
mer herzustellen suchten. Dieser stetige Impuls führte KI im Energiesystem der Zukunft weiter zu fördern und das
regelmäßig zu neuen Ideen für den Praxiseinsatz von Denken mit und in Daten als Denkmuster zu etablieren.
BrainWave
AUTOR: DR. MATTHIAS POSTINA (EWE AG) Potenzialanalyse zum Einsatz von maschinellen Lern-
verfahren und zur Annäherung an ein datenbasiertes
Geschäftsmodell im Kontext von enera eine Herausforde-
von der Potenzialanalyse zur BrainWave rung dar, der es zu begegnen galt.
Das Wort Potenzialanalyse sorgt üblicherweise in den
wenigsten Kontexten für Begeisterungsstürme bei den- Für die Ideenidentifikation wurden unterschiedliche
jenigen, die man überzeugen möchte, daran mitzuwirken. Formate ausprobiert; es stellte sich dabei heraus, dass
Dabei ist diese Phase wesentlich für die Beurteilung eine Mischung aus Lehrangebot und Ideenakquisefor-
einer Idee hinsichtlich der Machbarkeit und der Markt- mat – das sogenannte DataThinking – hier eine ausge-
relevanz, insbesondere bezogen auf die Entwicklung zeichnete Kombination darstellte. Für die Durchführung
datenbasierter Produkte bzw. Geschäftsmodelle. Schließ- einer fundierten Potenzialanalyse waren im EWE Data-
lich ist im erheblichen Maße beim geplanten Einsatz von Lab schon kurz vor Beginn von enera im Rahmen eines
maschinellen Lernverfahren zur Lösung eines Problems 12-wöchigen Hackathons bei EWE Netz erste Erfahrungen
das Ergebnis im Vorhinein in der Regel nicht ohne eine für ein Kooperationsformat zwischen DataScientist und
ebensolche Potenzialanalyse abzuschätzen. Erschwerend Mitarbeitern unterschiedlicher Fachabteilungen gesam-
kommt hinzu, dass für viele Menschen das datenbasierte melt worden. Diese Erfahrungen erwiesen sich nun mit
Lösen von Problemen in ihrem Arbeitsalltag nicht unbe- Projektstart für die Ausgestaltung dieser wichtigen Phase
dingt eine große Rolle spielt bzw. in der Vergangenheit als sehr wertvolles Vorwissen. Weiterhin verlief der auch
gespielt hat. mit externen Mitarbeitern in der Rolle DataScientist
durchgeführte Hackathon ebenso hinsichtlich des
Somit stellte für das EWE DataLab neben der Ideenge- Personalrecruitings für das sich im Aufbau befindliche
nerierung das Finden von geeigneten Partnern für eine DataLab sehr erfolgreich.
AP 09
tion“ vor; dies erfolgt in einem agilen Vorgehen zwischen Eine BrainWave wird stets „time-boxed“ durchgeführt,
DataScientist und Fachexperten in den Fachbereichen. das bedeutet, sie hat maximal eine zeitliche Dauer von 12
Der Prozessschritt „Deployment“ erfolgt nur, wenn ent- Wochen. Üblicherweise lässt sich schon sehr früh (nach
sprechendes Potenzial im Rahmen der „Evaluation“ der spätestens 4 Wochen) feststellen, ob überhaupt und wenn
BrainWave festgestellt werden konnte. Im positiven Fall ja, dann inwieweit das initial geschätzte Potenzial mittels
ist dann der Prozessschritt „Deployment“ nicht mehr Teil der gegebenen Daten erreicht werden kann. Spätestens
der BrainWave, sondern gehört zur Phase Demonstration nach 12 Wochen wird gemeinsam mit dem Fachexperten
und Erprobung. Bilanz gezogen und die Ergebnisse werden evaluiert.
Im Rahmen der Durchführung einer BrainWave ist stets Im Laufe des Projekts konnten zahlreiche BrainWaves
ein funktionierendes Tandem aus den Rollen DataScien- durchgeführt werden. So konnte beispielsweise eine
tist und Fachexperte für das jeweilige Thema von beson- datenbasierte Netzzustandsprognose, das Finden von
derer Bedeutung. Idealerweise bringt der Fachexperte geeigneten Kunden im Bereich Lichtcontracting und
inspiriert durch das DataThinking schon eine erste Vor- die Disaggregation der Haushaltsverbrauchsmessdaten
stellung davon mit, welches Problem sich für eine daten- zur Aufschlüsselung des Stromverbrauchs nach erfolg-
basierte Optimierung besonders anbietet. Der Fachex- reichem Abschluss der entsprechenden BrainWaves
perte ist im weiteren Verlauf dann Ansprechpartner, um demonstriert werden.
sowohl das Fachproblem zu beschreiben als auch die im
Methodisches Vorgehen
Zum Erreichen der Ziele des Start-up-Wettbewerbs pitchX
wurden in einem strukturierten Prozess viele Schritte
unter Einbindung des großen enera Expertennetzwerks
durchgeführt.
FOTO 2 FOTO 3
Als Veranstaltungsort wurde das Kraftwerk City Accele- Im Anschluss an die Bekanntmachungen zu pitchX folgte
rator Bremen (CAB) ausgewählt, da hier sowohl die Nähe eine sehr intensive Phase der Bewertung der Bewerbun-
zur Modellregion als auch durch die direkte Lage am gen und der Vorselektion von Start-ups für das Pitch-
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Hauptbahnhof in Bremen die Erreichbarkeit für nationale Event. Hierzu wurden bereits im Vorfeld im Rahmen von
und internationale Teilnehmer optimal gegeben war. Die enera entworfene Bewertungsmatrizen für Start-ups so
permanent von Start-ups genutzten Räumlichkeiten des weiterentwickelt und angepasst, dass nun Fachexperten
CABs boten sich darüber hinaus auf natürliche Weise aus dem Partnernetzwerk und der EWE AG auf Basis der
für eine solche Veranstaltung an. Mit einer Kapazität im Bewerbungsprozess über die Webseite mitgeteilten
von 200 Personen im Hauptraum gab es genügend Platz Informationen in verschiedenen Kategorien ihre Bewer-
für viele interessierte Partner, Bürger und Vertreter aus tungen abgeben konnten. Ein besonders wichtiger Aspekt
Politik und Wirtschaft und die Möglichkeit, neben den hierbei war, die Bewertungsphase zeitlich sehr kurz zu
Start-up-Pitches auf der Hauptbühne Räume für das halten, um den Start-ups möglichst schnell Rückmeldung
Netzwerken und bilaterale Gespräche zu schaffen. bezüglich einer Teilnahme zu geben und trotzdem eine
Vielzahl von Experten-Bewertungen zu generieren und
Die Werbung für pitchX erfolgte mit Unterstützung durch in eine Gesamtbewertung einfließen zu lassen. So ergab
das enera go2market-Team, das im Rahmen des enera sich eine Rangliste von Start-ups je Kategorie und es
Projektarbeitspakets Markt & Bürgerbeteiligung schon wurden jeweils die vier Bestplatzierten zum Pitch-Wett-
viel Erfahrung im Bereich Marketing und PR gesammelt bewerb nach Bremen eingeladen. Den Gewinnern des
hatte. Hier wurde ein Multi-Kanal-Ansatz sowohl in deut- Pitch-Wettbewerbs wurden Kooperationsbeauftragungen
scher als auch englischer Sprache gewählt: Neben Ver- in Höhe von jeweils 50.000 Euro in Aussicht gestellt.
öffentlichungen auf der enera Webseite sowie auf den
FOTO 4
FOTO 5
Zusammenfassung
Zusammenfassend kann man festhalten, dass pitchX in
diesem Rahmen und mit Blick auf die eingangs beschrie-
benen Ziele ein großer Erfolg wurde und erheblich zum
Erreichen der Ziele des Arbeitspakets 9 im enera Projekt
beigetragen hat: Es wurden in einem transparenten
Prozess drei sehr gute Start-ups für Entwicklungskoope-
rationen im Förderkontext ausgewählt und mit diesen
gemeinsame Projekte umgesetzt. Darüber hinaus konnte
im Rahmen der Veranstaltung viel Interaktion zwischen
verschiedensten Akteuren erzeugt werden, die Ausgangs-
punkt für viele weitere Gespräche und gemeinsame
Aktivitäten war.
FOTO 7
AP 09
Weitere Eindrücke:
• https://youtu.be/roPNsQdcVug
• Interview mit Patrice Bouédibéla:
https://youtu.be/Wzk-mqt_p-Q
AUTOREN: HAUKE HELD UND MICHAEL RICHTER (EWE AG) hyko – der smarte Eisbär für ein besseres Energiever-
brauchsverhalten
Hyko ist der Markenname eines Smart Toys des nieder-
Einordnung von Start-up-Kooperationen in den Kontext ländischen Start-ups CareToSave B.V. In dem Koopera-
des enera Projekts tionsprojekt mit CareToSave ging es insbesondere um
Das Projekt enera steht für die Realisierung des nächsten die Fragestellung, wie man traditionelle Energieprodukte
großen Schritts der Energiewende durch technologische emotionalisieren kann und dabei intensiv in eine Inter-
Weiterentwicklung, Vernetzung und eine durchgehende aktion mit dem Kunden kommt. Hierzu wurde als Produkt
Digitalisierung. In der enera Modellregion in Nordwest- die klassische Energie-Commodity, also der eigentlich
deutschland soll ein stabiles und volkswirtschaftlich „langweilige“ Stromtarif ausgewählt.
optimiertes Energiesystem erprobt werden. Darin sollen
sich auch neue, disruptive und vorrangig digitale Inno-
vationen und Geschäftsmodelle zügig entwickelt können.
In diesem Zusammenhang liegt es auf der Hand, im
Rahmen von enera auch junge, innovative Start-ups und
etablierte Unternehmen zusammenzubringen.
Ziele
Die Start-up-Partnerschaften im Projekt enera hatten
zum Ziel, bestehende und zukünftige Herausforderungen
der „alten“ Energiewelt mit neuen Sichtweisen zu bewäl-
tigen und hier insbesondere Start-ups die Möglichkeit
zu geben, ihre neuartigen Lösungen auszuprobieren.
Dabei sollten auch Impulse durch die Verwendung von ABBILDUNG 1: VORSTELLUNG DES HYKO-PROTOTYPEN BEIM EBS-
neuen Technologien und die Erprobung neuer Arbeits- INTREPRENEURSHIP-FORUM
weisen geschaffen werden. Die Start-ups erhielten so die
Möglichkeit, ihre innovativen Lösungen und Services mit
Unterstützung der Konsortialpartner für die Energiebran-
che zu adaptieren und weiterzuentwickeln und so auch Im Rahmen des Projekts wurde ein mit Farb-LEDs betrie-
gleichzeitig die Basis für neue Geschäftsmodelle der an bener Spielzeug-Eisbär so weiterentwickelt, dass er
enera beteiligten Unternehmen zu schaffen. über eine Bluetooth-Verbindung von einer Smartphone-
App gesteuert werden konnte. Die App erhielt über ein
In diesem Artikel wird diese Zusammenarbeit mit ver- Backend die aktuellen, am Stromzähler digital ausgelese-
schiedenen Start-ups exemplarisch beschrieben. nen, Verbrauchsinformationen und konnte daher den
Stromverbrauch farblich mit dem Eisbären visualisieren.
Prototypisch wurden für die App kindgerechte Storys
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sanalysen mit Redispatch-Maßnahmen und Weiteres. Senselab.io – Augmented Reality als neue Form der
Auf diesen Arbeiten aufbauend wurde in einem Folge- Energiedaten-Information
projekt auch eine vereinfachte Variante der Applikation In dem Kooperationsprojekt mit Senselab.io, einer Marke
für die breite Öffentlichkeit entwickelt und im enera der SoftVR GmbH, wurde Augmented Reality als neue
App-Store gehostet, um auf einfache und verständliche Technologie für die Visualisierung von Energiedaten für
Weise Transparenz über Einspeisemanagement-Maßnah- Endverbraucher erprobt. Ziel des Projekts war es, eine
men zu geben. Hierzu gehörte als Erweiterung auch das prototypische Smartphone-Applikation zu entwickeln,
enerameter, das Informationen zur Stromproduktion aus mit der Kunden durch ihr Haus oder ihre Wohnungen
regenerativen und konventionellen Quellen visualisierte. gehen können und dann Informationen zu bestimmten
Geräten erhalten. Hierzu wurde in Zusammenarbeit mit
Zusammenfassend war das Projekt mit logarithmo ein Senselab.io zunächst ein Objekterkennungsalgorithmus
großer Erfolg, in dem neben vielen inhaltlichen Erkennt- implementiert, der es ermöglichte, z. B. den Herd oder
nissen eine Menge technisches und methodisches Know- die Waschmaschine durch die Smartphone-Kamera zu
how für die erfolgreiche Umsetzung von Digitalprojekten identifizieren. Dieser Algorithmus wurde dann in eine
gewonnen werden konnte. Augmented-Reality-Umgebung eingebettet, sodass man
mit laufender Kamera durch ein Zimmer gehen konnte
und dann bestimmte Objekte erkannt wurden. Mithilfe
von Schablonen konnten virtuelle Objekte auf die rea-
len gesetzt und mit verschiedenen Informationen und
weitergehenden Funktionen verknüpft werden. Für den
Prototypen wurde die Erkennung von Waschmaschine,
Trockner, Herd, Kühlschrank, Kaffeemaschine und Fern-
seher implementiert und zu diesen Objekten zunächst
statische Informationen zu Durchschnittsverbräuchen,
Tipps zum Energiesparen und „Fun Facts“ angezeigt. In
einer weiteren Iteration der App wurden dann zur Stei-
gerung der Kundeninteraktion weitere Funktionen und
sogenannte Mini Games entwickelt. So wurde z. B. an
dem Objekt-Fernseher die Möglichkeit eingebaut, sich in
AP 09
ABBILDUNG 7: EXEMPLARISCHES BILD AUS DER IGP.
(QUELLE: WWW.ENVELIO.DE)
AUTOR: JAN SAUSSENTHALER (SIEMENS) In der Abbildung 1 wird skizziert wie Business-Develo-
per beim Ideenentwickeln unterstützt werden, indem
Transparenz über vorhandene Daten der Smart Data
Schulungsmaßnahmen und Service Plattform (SDSP) geschaffen wird und die
Die von der Siemens AG eingebrachten Teradata- Fähigkeiten moderner Datenanalyse (Machine-Learning,
Schulungsmaßnahmen von Data-Scientisten auf Basis Zeitreihenanalyse, Path and Pattern Analysis etc.) erklärt
der Smart Data Service Platform (SDSP) für den explo- werden. Somit besteht die Möglichkeit im Rahmen von
rativen Raum waren Ausgangspunkt für den Einsatz Kreativ-Workshops, sogenannten Brain Waves, basierend
erprobter „Big Data“-Techniken. Auf dem hohen Niveau auf Best-Practices Ideen begleitet und strukturiert zu
bereits existierender Applikationen konnten die Koope- Apps zu entwickeln.
rationspartner Applikationen im Bereich „Big Data“ und
Data Analytics weiterentwickeln. Die Schulungsmaßnah- In einem weiteren Schritt werden im explorativen Raum
men zielten darauf ab, hier die Techniken „explorativer die Hypothesen geprüft und die Algorithmen getestet:
Räume“ zu nutzen und im enera Vorhaben zu etablieren. Lässt sich eine Idee in Form einer oder mehrerer Hypo-
thesen fassen und anhand von Datenanalyse überprüfen,
Ließen sich dort die Ideen und Thesen bestätigen, so so bietet AP9 nunmehr Unterstützung im Rahmen des
bestand die Möglichkeit geeignete Start-Ups gezielt ein- explorativen Analyseraums an. Als Format wurde hier ein
zubeziehen und eine potenziell produktive Lösung zu agiles Zusammenwirken von Fachspezialisten (Business
entwickeln. Evangelist) und „Big Data“-Spezialisten (Data Scientist)
AP 09
Dieser Text erschien zuerst im i-com Magazin Rahmen von enera haben 33 interdisziplinäre Projekt-
Online ISSN: 2196-6826 partner in einem Konsortium zusammengearbeitet, um
Erstveröffentlichung: 20.08.2019 dieses Ziel in der Projektregion zu erreichen, die aus
Sprache: Englisch drei Landkreisen im Nordwesten Deutschlands besteht.
Verlag: De Gruyter Die weitläufige Projektregion am Rande der Nordsee ist
geprägt von Kleinstädten, Weiden, Ackerland und Wind-
kraftanlagen.
AUTOREN: DR. JUTTA FORTMANN, FRANK GLANERT
Die Energiewende wird die Rolle der Menschen von einem
passiven Konsumenten hin zu einem aktiven Teilnehmer
In diesem Artikel geben wir Einblicke in die Entwicklung verändern. Unser Ziel innerhalb von enera war es, diese
eines „Interface der Energie“, das im Rahmen des Energie- aktive Teilnahme zu ermöglichen. Deshalb wollten wir eine
wende-Projekts „enera“ entwickelt wurde. Diese Schnitt- Benutzeroberfläche entwickeln, die die Kommunikation
stelle soll die Kommunikation zwischen dem Menschen zwischen dem Menschen als Prosumer und dem zukünf-
und dem zukünftigen Energienetz ermöglichen. Wir zei- tigen Energienetz ermöglicht. Diesem Ziel standen noch
gen, wie wir Human-Centred-Design-Methoden angewen- einige Herausforderungen entgegen. So befindet sich die
det haben, um dieser Herausforderung zu begegnen, und zukünftige Infrastruktur noch immer in der Entwicklung.
wie dieser Ansatz erfolgreich mit der Öffentlichkeitsar- Es musste geklärt werden, welche Funktionen abgebildet
beit kombiniert wurde. Wir geben Einblicke in Interviews, werden sollen und welche Schnittstellen in welchem Kon-
Profile, Personas, öffentliche Beteiligung, Benutzer- text benötigt werden. Abschließend musste die Benutzer-
anforderungen, Prototyping und Tests. Wir haben sogar oberfläche physisch und interaktiv gestaltet werden.
Prototyping- und Testworkshops in einem Wohnhaus in
der Projektregion durchgeführt. Diese erwiesen sich aus Darüber hinaus verfügte die Zielgruppe nur über wenige
vielen Gründen als sehr erfolgreich und hinterließen bei Kenntnisse in Bezug auf die Energiewirtschaft, das
den Workshopteilnehmern nachhaltig Eindruck. Energieversorgungssystem und technische Wechsel-
wirkungen. In den meisten Fällen war sie zudem nicht
Keywords mit Technologien vertraut, die in Zukunft weit verbreitet
Human-Centred Design, Design Thinking, Prototyping, Rapid sein werden, wie z. B. intelligente Zähler, Sensoren und
Prototyping, Personas, Energiewende, Öffentlichkeitsarbeit Aktoren in Smart-Home-Umgebungen, Datenanalyse und
Blockchain. Außerdem waren während des Projektzeit-
Die Herausforderungen der Energiewende treiben raums kaum vergleichbare Systeme verfügbar.
unsere Arbeit an
Bis 2050 sollen 80 Prozent des deutschen Stromver- In diesem Artikel stellen wir vor, wie wir mithilfe von
brauchs aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt Human-Centred-Design [2]-Methoden eine Benutzer-
werden [1]. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir in oberfläche entwickelt haben, über die Menschen mit
vielen Bereichen neue Lösungen. Eine neue Infrastruk- dem zukünftigen Energienetz kommunizieren können.
tur für die Energieversorgung ist erforderlich. Das vom Und in diesem Fall ist „kommunizieren“ tatsächlich
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderte mehrdeutig: Wir haben die technische Herausforderung
Energiewendeprojekt enera soll zeigen, wie das künftige der Entwicklung einer Benutzeroberfläche erfolgreich mit
Energiesystem als ganzheitliches System funktionieren Partizipation und Öffentlichkeitsarbeit kombiniert, um
kann, d. h., von der Energieerzeugung über die Verarbei- Menschen nicht nur zu informieren, sondern sie wirklich
tung von Energiedaten bis hin zum Energieverbrauch. Im einzubeziehen und kennenzulernen.
worten auf die Frage, wie ein Problem für den Einzelnen Nachdem wir Personas entwickelt, Benutzeranforderun-
(Profil) gelöst oder seine Bedürfnisse befriedigt werden gen definiert und typische Szenarien entwickelt hatten,
können. Das Insight Statement von Lars, welches dem beschäftigten wir uns mit Ideenfindung, Prototyping und
Bedürfnis nach „sozialer Interaktion“ entspricht, lautete Testing. Für diese Phase haben wir uns entschlossen,
beispielsweise „Der Austausch von Erfahrungen und Wis- weiter mit der Persona Lars zu arbeiten. Wir haben uns
sen in meinem persönlichen Umfeld ist mir wichtig“. Auf für Lars entschieden, da er die Persona war, die den
dieser Basis haben wir in interdisziplinären Workshops meisten Befragten entsprach. Auf der Grundlage der
mit Projektmitgliedern Anwendungsfälle und Anwen- bisher gewonnenen Erkenntnisse und des Gesamtpro-
Ziel dieser Phase war es, viele Ideen für eine Benutzer-
oberfläche zu generieren und frühzeitig iteratives Feed-
back zu erhalten. Auf diese Weise konnten geeignete
Konzepte weiterentwickelt und unangemessene Ideen FOTO 5: EINE TEILNEHMERIN NIMMT AN EINER PROTOTYP-TESTSIT-
frühzeitig verworfen werden. Zu diesem Zweck haben wir ZUNG TEIL, DIE IM RAHMEN DER WORK-SHOPS ZUR IDEENFINDUNG,
ZUM PROTOTYPING UND TESTEN INNERHALB EINES WOHNHAUSES
zwei zweitägige Workshops in einem Wohnhaus in der
IN DER PROJEKTREGION STATTFAND.
Projektregion durchgeführt. Wir beschlossen, die Work-
shops in einem Wohnhaus abzuhalten, weil wir wollten,
dass die Arbeits- und Testumgebung in Bezug auf die
Zielgruppe, also Persona Lars, so natürlich wie möglich Die Workshops führten zu etwa 100 Schnittstellenideen,
ist. Außerdem wollten wir, dass Teilnehmer, die an Test- 12 entwickelten Lo-Fi-Prototypen und Feedback aus vier
sitzungen teilnahmen, kurze Wege haben und sich wohl- Testsitzungen mit insgesamt 13 Teilnehmern. Schnittstel-
fühlen. lenideen waren u. a. ein sich bewegender Roboter, der
über das Haus wacht, ein interaktiver Spiegel, der als
An jedem Workshop-Tag entwickelten und bauten 8–9 Energiesteuerung dient, automatische tägliche Energie-
Mitglieder des Projekts Lo-Fi-Prototypen in kleinen Grup- berichte, ein Plug-and-Play-System zur Erfassung von
pen. Nach dem Quick-and-Dirty [4]-Ansatz verwendeten Zählerständen, ein tragbarer beleuchteter Würfel, der die
die Teilnehmer alle Arten von Alltagsmaterialien, um Energiedaten des Hauses visualisiert, und eine App zur
Lo-Fi-Prototypen, mögliche Formen oder Interaktionen Verwaltung der Aufwandsentschädigung für die Bereit-
zu bauen. Um von verschiedenen Perspektiven zu profi- stellung von Rechenleistung in Zeiten, in denen Strom
tieren, haben wir Projektmitglieder mit unterschiedlichen überversorgt ist. Wir haben die getesteten Prototypen
fachlichen Hintergründen (Technik, Marketing, Wirtschaft) anhand des Feedbacks aus den Testsitzungen und ihrer
und unabhängig ihres Geschlechts einbezogen. Darüber Übereinstimmung mit den Anforderungen analysiert, die
hinaus nahmen Freiwillige, die aus persönlichen Kontak- wir im Hinblick auf die Designherausforderung formu-
ten rekrutiert wurden, in der Projektregion leben und der liert haben. Wir haben herausgefunden, welche proto-
Person Lars entsprechen, am Testing teil. Die Freiwilligen typischen Ideen es wert sind, weiterverfolgt zu werden,
waren 20 bis 55 Jahre alt, mit 8 Männern und 5 Frauen. welche Aspekte gut funktionieren und welche Aspekte
An jedem Workshop-Tag, jeweils nach dem Prototyping, verfeinert werden sollten oder kombiniert werden könn-
fand ein Speed-Testing statt. Während einer Testsitzung ten. Beispielsweise hat sich das Konzept des interaktiven
bewerteten 5–6 Teilnehmer jeden Prototyp innerhalb von Badezimmerspiegels sehr gut bewährt. Insbesondere
10 Minuten einzeln. Parallel dazu fanden Testsitzungen schätzten die Teilnehmer es, Informationen über den
in verschiedenen Räumen statt, wobei die Teilnehmer Energiehaushalt zu erhalten, während sie eine manuelle,
von Raum zu Raum gingen, um alle Prototypen zu testen. regelmäßige tägliche Aufgabe wie das Zähneputzen aus-
Am zweiten Workshop-Tag konnten die Projektmitglieder führen. Wir haben auch festgestellt, dass der Energiever-
entweder einen anderen Aspekt der prototypisierten brauch nicht negativ dargestellt werden darf, da es Situa-
Idee vom vorherigen Tag entwickeln und testen oder eine tionen gibt, in denen der Energieverbrauch unvermeidbar
neue Idee auswählen und prototypisieren. Das Verfahren ist oder absichtlich akzeptiert wird.
des zweiten Workshop-Tags war dann das gleiche wie für
den ersten Tag. Insgesamt waren die Workshops eine sehr erfolgreiche
Erfahrung – sowohl für die teilnehmenden Projektmit-
glieder als auch für die Testteilnehmer. Die kompakte
Umgebung, d. h. ein Tag zum Kennenlernen, zur Ideenfin-
dung, zum Prototyping und zum Testen, ermöglichte es,
zahlreiche Ideen zu generieren und frühzeitig Feedback
AUTOREN: DR. JUTTA FORTMANN, ROBIN SCHU (Studienteilnehmern) der Zielgruppe. Darüber hinaus
besteht in AP11 die besondere Herausforderung, dass
eine Nutzerschnittstelle für eine noch unbekannte und
Ausgangslage nicht existierende technische Infrastruktur entwickelt
Im Rahmen des AP11 sollten zwei digitale Nutzerschnitt- werden soll. Somit sind weder technische Umgebung und
stellen, ein sogenanntes Interface der Energie, sowie Rahmenbedingungen im Vorfeld geklärt noch können
ein Digitaler Botschafter, entwickelt werden. Beide sich Studienteilnehmer in bekannte Nutzungssitua-
Schnittstellen sollen die Kommunikation zwischen dem tionen hineinversetzen oder bisherige Erfahrungen bei
einzelnen Menschen als individuellem Akteur und dem der Bewertung neuer Lösungen heranziehen. Das Risiko
Energienetzwerk der Zukunft ermöglichen. Das Interface hierbei besteht darin, dass entwickelte Lösungen später
der Energie übernimmt dabei vor allem die Aufgabe, dem nicht zufriedenstellend in die tatsächlich bestehende
einzelnen Menschen durch entsprechende Funktionen zu Infrastruktur integriert werden können bzw. Lösungen
ermöglichen, aktiv und individuell am Energienetzwerk ggf. funktionell nicht von der neuen Infrastruktur bedient
der Zukunft zu partizipieren und dieses beeinflussen werden können. Das Risiko seitens der Studienteilnehmer
zu können, anstelle wie bisher, nur passiver Nutzer des besteht darin, dass diese ggf. nicht über ausreichend
Systems zu sein. Der Digitale Botschafter hat vor allem Vorstellungskraft und Hintergrundwissen verfügen, um
die Aufgabe, Informationen über Zustand, Funktionen wertvolle Beiträge leisten zu können.
und Aktivitäten des Energienetzwerks nach außen zu
transportieren und für den Menschen greifbar und nach- Potenzialabschätzung
vollziehbar darzustellen. Der Digitale Botschafter soll Gegenüber den beschriebenen Risiken sind die Chan-
dem Menschen helfen, das Energienetzwerk der Zukunft cen der Schnittstellenentwicklung für eine völlig neue
zu verstehen und ihn dazu motivieren, selbst Akteur in Energieinfrastruktur groß. Bislang existieren noch keine
diesem Netzwerk werden zu wollen. Die Ziele des Inter- umfassenden Lösungen für eine Nutzerschnittstelle, da
face der Energie und Digitalen Botschafters sind eng der Mensch bislang nur passiver Abnehmer im Energie-
miteinander verknüpft und es erscheint sinnvoll, diese system war. Der Bedarf für ein solches Kommunikations-
Schnittstellen in Form einer gemeinsamen technischen werkzeug und auch die Umsetzungsmöglichkeiten sind
Lösung, als integriertes Gesamtsystem, zu betrachten damit sehr groß.
und umzusetzen.
Durchführung
Risikoabwägung Die Entwicklung des Interface der Energie und des
Bei der Entwicklung von digitalen Nutzerschnittstellen Digitalen Botschafters fand anhand des in der ISO-Norm
besteht eine der größten Herausforderungen darin, 9241-210 zertifizierten Human-Centred-Design (HCD)-
dass diese reale Nutzerbedürfnisse und -anforderungen Prozesses statt. Der HCD-Prozess ist ein etablierter Pro-
befriedigen. Tun sie dies nicht, so ist ihr Scheitern vor- zess zur Entwicklung von interaktiven Systemen mit hoher
hersehbar. Für die Erfassung von Nutzerbedürfnissen Gebrauchstauglichkeit (Usability) und einer herausra-
und -anforderungen und deren ständigen Abgleich mit genden Nutzererfahrung (User Experience). Er basiert auf
dem zu entwickelnden System ist das wiederholte Ein- dem Prinzip der iterativen Entwicklung über verschiedene
beziehen der Zielgruppe in Form von Gesprächen und Phasen hinweg, während der potenzielle Nutzer aus der
Tests unabdingbar. Risiken bestehen demnach insbeson- Zielgruppe wiederholt und aktiv zur Anforderungsdefini-
dere in der Akquise von Gesprächs- und Testteilnehmern tion, Lösungsfindung und -validierung einbezogen wird.
Pulse App
Basierend auf den erhobenen Nutzeranforderungen
haben wir uns folgendes Ziel für die digitale Schnitt- homEnergy App
stelle gesetzt: Wir wollen Inhalte gestalten, die Nutzern Während die Pulse-App ihr Augenmerk primär auf die
einen Mehrwert im Umgang mit ihrem persönlichen Vermittlung des Prinzips der Netzdienlichkeit richtet,
Energiehaushalt bieten. Fünf Punkte waren dabei für uns adressiert die HomEnergy App insbesondere die Nutzer-
besonders wichtig: Wir wollen Datenströme visualisieren anforderung, Transparenz über den eigenen Energiehaus-
und Menschen dabei helfen, ihren Energiehaushalt zu halt zu schaffen, um diesen selbstständig optimieren
verstehen, bewusst zu erleben, mit ihm zu interagieren zu können. Die HomEnergy-App ist ein Konzept für eine
und davon zu profitieren. Die innerhalb der Prototyping- mobile Anwendung, welches mithilfe von menschzent-
Workshops entwickelte Idee wurde von uns anschließend rierten Gestaltungsmethoden (Human-Centred Design)
in Form der mobilen iOS-Anwendung „Pulse“ umgesetzt. entwickelt wurde. Nach der Ableitung von Funktionen auf
Sie soll Bürgerinnen und Bürger ermutigen, sich mit Basis der Nutzerforschung des AP11 fertigten wir Papier-
der Flexibilisierung des Energiesystems auseinanderzu- Prototypen an, die in mehreren Diskussionsrunden
setzen. Dank der App sollen sie ein Bewusstsein für ihre zusammengeführt und angepasst wurden. Anschließend
eigene Netzdienlichkeit und ihre Datenhoheit entwickeln. wurden diese in einen schwarz-weißen Klick-Dummy
Verhält sich ein Nutzer netzdienlich, indem er z. B. Strom überführt, d. h. einen interaktiven, rudimentären Proto-
außerhalb der Spitzenlasten verbraucht, so wird er dafür typ, der die Anwendung in Form von schwarz-weißen
belohnt. Das grafische Schnittstellendesign legt den Bildschirmansichten darstellt. Dieser Klick-Dummy wurde
Schwerpunkt auf die leicht erfassbare, verständliche anschließend in einem Usability-Test hinsichtlich seiner
Visualisierung der Verbrauchsdaten (s. Abbildung). Dies Gebrauchstauglichkeit von fünf potenziellen Nutzern
wird auch durch den Namen „Pulse“ verdeutlicht, welcher getestet. Auf Basis der Ergebnisse wurde das Lo-Fi-User-
den Herzschlag eines Haushalts, gemessen an Stromver- Interface-Design in einer weiteren Iteration überarbeitet.
brauchsdaten, widerspiegelt, der in der Anwendung visu- Darauffolgend testeten erneut fünf potenzielle Nutzer in
alisiert wird. Auch dieses Schnittstellenkonzept wurde in einem Usability-Test das überarbeitete Konzept. Wieder
Zusammenarbeit mit Partnern aus AP9 weiterentwickelt, wurde das Design angepasst und schließlich iterativ in
wodurch zusätzlich ein sekundengenauer Abrechnungs- ein Hi-Fi-Design überführt, welches auf die Plattformen
dienst für Mikro-Transaktionsleistungen integriert werden Android und iOS ausgelegt ist. Die beiden Abbildungen
konnte. In einer weiteren Iteration von „Pulse“ wurden zeigen die zwei zentralen Bildschirmansichten des finalen
weitere Visualisierungen ergänzt, die u. a. Zeiträume mit Designs. Bei der Gestaltung wurde Wert auf ein anspre-
hoher Netzauslastung veranschaulichen. Dadurch wer- chendes, motivierendes Design gelegt, welches Daten wie
den neben den Zielen eines Interface der Energie auch z. B. den Verbrauchsverlauf und den bisherigen Tages-
das Ziel eines Digitalen Botschafters, nämlich die Ver- verbrauch in Bezug auf den Durchschnitt in verständ-
mittlung von Wissen und das Schaffen von Verständnis licher und schnell erfassbarer Art und Weise illustriert.
über nachhaltiges Energiemanagement, adressiert. Diagramme veranschaulichen Verbrauchsdaten, auch
aufgeschlüsselt auf einzelne Verbraucher und ermög-
lichen eine direkte Interaktion mit punktuellen Daten.
Beobachtung/Erfolgskontrolle Kennzahlen
Die Entwicklung entlang des HCD-Prozesses erwies sich Während der Nutzungskontextanalyse wurden 15 ein-
als zielführend. Die Workshops stellten sich, sowohl bis zweistündige Interviews innerhalb der Modellregion
für die teilnehmenden Projektmitarbeiter als auch für durchgeführt. Aus den Ergebnissen der Interviews wur-
die Testteilnehmer, als eine sehr erfolgreiche Methode den insgesamt sieben Personas abgeleitet. Im Rahmen
heraus. Zum einen ermöglichten sie auch Projektmit- der Ideenfindungs- und Prototyping-Workshops ent-
arbeitern aus anderen Arbeitspaketen neue Arbeitsme- standen etwa 100 Ideen für Schnittstellen, 12 Prototypen,
thoden kennenzulernen und auszuprobieren sowie den sowie Feedback aus vier Testsitzungen mit insgesamt 13
Austausch zwischen den verschiedenen Arbeitspaketen verschiedenen Teilnehmern. Basierend auf den Work-
zu stärken. Zum anderen erwies sich die natürliche shopergebnissen wurden drei unterschiedliche Schnitt-
Workshop-Umgebung als kreativer Stimulus für alle stellenkonzepte weiter ausgearbeitet und in Form von
Beteiligten und erleichterte das Hineinversetzen in die Interface Designs und lauffähigen Prototypen umgesetzt
Zielgruppe. Auch die Testteilnehmer erlebten die häus- und teilweise erprobt.
liche Testumgebung als angenehm und zugänglich. Der
kompakte Rahmen der Workshops erlaubte es innerhalb Übertragbarkeit/verstetigung
von eintägigen Iterationen Ideen zu generieren, Proto- Wir bewerten die Wahl des qualitativen Ansatzes ent-
typen zu erstellen und frühes Feedback zu erhalten und lang des HCD-Prozesses für die Entwicklung einer
umfasste damit zwei Phasen des HCD-Prozesses. Dieses Nutzerschnittstelle, die innerhalb einer sich noch ent-
beschleunigte, Workshop-basierte Vorgehen erwies sich wickelnden Infrastruktur – hier dem zukünftigen Ener-
in unserer Arbeitsstruktur, die ressourcenbedingt kein gienetzwerk – eingesetzt werden soll, als sinnvoll und
festes Team ermöglichte, als sehr erfolgreich und ziel- zielführend. Besonders hilfreich waren tiefgehende Kon-
führend. versationen mit Einzelpersonen während der Interviews,
Die Ausarbeitung verschiedener Schnittstellenkonzepte ein gutes Verständnis von dem Thema Energiewende und
ermöglichte uns, das weite Feld an Anwendungen für ein von aufkommenden Technologien seitens der beteiligten
Interface der Energie und einen Digitalen Botschafter Projektmitarbeiter, sowie gut vorbereitete, interdiszipli-
mithilfe verschiedener Anwendungen und Interaktions- näre Workshops mit vielen Bildern und Beispielen, die
konzepte zu explorieren. Auch das iterative Vorgehen den Designprozess unterstützten. Das frühzeitige und im
innerhalb der Umsetzung der verschiedenen Schnitt- Projektverlauf wiederholte, aktive Einbeziehen der Ziel-
AP 11
stellenkonzepte half dabei, bereits ab der Konzeption gruppe stellte bestmöglich sicher, dass Nutzeranforde-
nah an tatsächlichen Nutzerbedürfnissen zu entwickeln rungen berücksichtigt und im Verlauf der Zeit wiederholt
und durch wiederholtes Einholen von Nutzerfeedback die überprüft bzw. überarbeitet werden konnten. Insbeson-
Entwicklung gezielt voranzubringen. dere für eine sich noch in der Entwicklung befindende
Infrastruktur ist dieses Vorgehen in kurzen Iterationen
zusammenspiel mit anderen Maßnahmen aus unserer Sicht sehr sinnvoll und minimiert das Risiko
Im Rahmen der Arbeit am Interface der Energie und am einer Fehlentwicklung.
Digitalen Botschafter haben wir erfolgreich mit anderen
AUTOR: FRANK GLANERT (EWE AG) sein. Aufmerksamkeit zu erlangen, bedeutet, dass die
Menschen bereit sind sich trotz eines Überangebots von
Informationen und Unterhaltung mit uns zu beschäfti-
Mit Roadtrip, Barcamp und Social Media zum Erfolg gen. Vielleicht mehr noch: die Dinge und Informationen
enera war von Anfang an darauf ausgelegt, möglichst zu teilen und zu verbreiten. Dafür reichen weder trockene
viele Menschen unmittelbar und persönlich zu errei- Zahlen noch innovative Projektinhalte. Hierfür braucht es
chen, um sie an das Projekt heranzuführen, sie für die mehr.
Energiewende zu begeistern und zu aktiven Mitstreitern
zu machen. Dabei war uns klar, dass es nicht nur unsere Wir sind mit dem Rad quer über die Ostfriesische Halb-
Themen sein würden, die die Menschen überzeugen, son- insel geradelt und noch einmal drumherum. Wir haben
dern dass wir die individuellen Bedürfnisse und Motiva- Menschen getroffen und haben ihre Geschichten erzählt.
tionen der Einwohner unserer Modellregion berücksichti- Wir haben mit ihnen gegrillt, uns auf den Marktplatz
gen und entschlüsseln müssen. In einer stark vernetzten gestellt und Gruppen besucht, um über das Projekt zu
Welt, kann heute jeder einen aktiven Teil beitragen, sei es informieren. Mehrere Jahre nacheinander haben wir mit
als Autor im Internet oder als Aktiver für eine gute Sache bis zu 80 Teilnehmern ein Barcamp an der Küste veran-
und auf unzählige andere Arten und Weisen und Varian- staltet und mussten dabei erst einmal erklären, was das
ten. Wichtig ist die eigene – die intrinsische Motivation. überhaupt ist und wie das funktionieren soll. Wir haben
Wie man Menschen begeistern und mitnehmen kann, ein Fest mit den Friesen organisiert, gefeiert und Friesen-
wussten wir zu Beginn des Projekts noch nicht. Auch über sport-Wettkämpfe gemacht. Wir haben Filme gedreht und
die Menschen in der Region selbst wussten wir nicht viel zu guter Letzt haben wir uns mit einem selbst gebastelten
mehr. Jetzt wissen wir eine ganze Menge mehr, denn es Fluggerät zur Freude hunderter Zuschauer vom Deich in
hat funktioniert. Unsere Zahlen belegen, dass wir die die Nordsee gestürzt.
Menschen erreichen konnten.
lich ist das Ganze ein Ringen um Aufmerksamkeit, weil zwar deutlich effektiver, als wenn man beides getrennt
auch klassische Medienangebote mit ihren Formaten voneinander betrachtet und betreibt. Auch die Menschen
und Inhalten zusätzlich um die Aufmerksamkeit konkur- selbst nehmen diese Trennung immer weniger wahr und
rieren. Im Sinne ausgeprägter Interaktionsmöglichkeiten sind in aller Regel in beiden Bereichen unterwegs und
sowie zielgruppenorientierter Informationsbereitstellung aktiv. Das Signal ist: Das Projekt enera und die Energie-
haben die sozialen Netzwerke dennoch deutliche Vor- wende finden hier vor Ort statt. Nicht irgendwo, sondern
teile. Dreh- und Angelpunkt ist dabei vor allen Dingen für unmittelbar vor der eigenen Haustür mit den Menschen,
Unternehmen und Initiativen bzw. für Projekte wie enera die Du kennst.
Der Roadtrip lieferte unmittelbare Erkenntnisse über FOTO 6: BARCAMP MIT MEERBLICK: DIE UNKONFERENZ FAND DIREKT
das Zusammenspiel unterschiedlicher Kanäle und die AM JADEBUSEN STATT
– neuartigen Veranstaltung groß. Die Risiken lagen vor Anreize für die Teilnehmer gab es nicht. Im ersten Jahr,
allen Dingen im Bereich der Teilnehmerakquise, den mit konnten rund 65 Teilnehmer begrüßt werden. Sie setzten
der Vorbereitung und Buchung verbundenen Kosten und sich aus unmittelbar am Projekt beteiligten Personen,
einem möglichen inhaltlichen Scheitern – während die überwiegend aber aus lokalen, regionalen und überre-
Chancen vor allen Dingen in einer breiten, partizipati- gionalen Teilnehmern zusammen, die zuvor nichts mit
ven Beteiligung und positiven Netzwerkeffekten lagen. dem Projekt zu tun hatten. Das Altersspektrum und die
Öffentliche Berichterstattung, lokaler und überregionaler Zusammensetzung des Publikums war im Vergleich zu
Vernetzungscharakter, die Möglichkeit Projektinhalte zu anderen Barcamps erstaunlich breit.
Nach dem erfreulich erfolgreichen Auftakt 2017 gab Eine innovative Großgruppenveranstaltung dieser Art und
es wenig Anpassungsbedarf. Vielmehr ging es darum Größe vor dem Hintergrund eines solchen Projekts ist
die gesunde Mischung der Teilnehmer zu erhalten, die kein Selbstläufer. Die Zusammensetzung der Teilnehmer
öffentliche Berichterstattung zu intensivieren und den in Hinblick auf Alter, den beruflichen Hintergrund, der
Nachweis zu führen, dass sich das Ergebnis reproduzie- Diversität und regionaler Herkunft sowie verschiedener
ren, die Teilnehmerquote ggf. erhöhen und die inhalt- anderer Faktoren macht das Barcamp Dangast besonders
liche Schwerpunktsetzung hin zu einer noch engeren – auch im Vergleich zu anderen Veranstaltungen dieser
Verbindung zu unmittelbaren Projektthemen (Proto- Art. Es ist vor dem Hintergrund Partizipation, Beteiligung
typen, Start-ups siehe vorher) ggf. steigern lässt. Dies und Kommunikation bzw. Öffentlichkeitsarbeit als beson-
alles war im zweiten Jahr der Fall. Das dritte Jahr blieb ders geeignet einzustufen. Es zeigt sich, dass der Mut,
ein wenig hinter den Erwartungen zurück – das lag wohl alternative Wege in der Ansprache und Durchführung zu
an mangelnder Verbindlichkeit und konkurrierenden Ver- beschreiten, honoriert wird. Das Netzwerk vor Ort ist dazu
anstaltungen. An der Zufriedenheit der Teilnehmer und geeignet und soll dementsprechend genutzt werden, um
der Eignung des Formats ändert das jedoch nichts. In das Barcamp Dangast auch über den Projektzeitraum
den Folgejahren geht es darum das Barcamp auf hohem hinaus in der Region zu etablieren.
Stand (Teilnehmerzahlen/Interaktionen) zu konsolidieren
und ggf. auch über das Projektende hinaus fortzuführen Es lohnt sich ungewöhnliche Wege zu beschreiten
(im Jahr 2020 fand aufgrund der Corona-Beschränkungen Der methodische Ansatz und das früh angelegte Vorge-
kein Barcamp statt). hen von enera, die den Menschen und seine Bedürfnisse
in den Vordergrund stellen, ist für ein Demonstrations-
Das Barcamp hat binnen drei Jahren nacheinander in vorhaben dieser Art eher ungewöhnlich. Die Ausrichtung
Summe rund 190 Teilnehmer angezogen. An jeweils zwei der Kommunikation, bei der klassische Öffentlichkeits-
Tagen fanden jeweils rund 30 bis 40 sogenannte Sessions arbeit nur als Teil einer breit angelegten Beteiligung
statt. Es wurde jeweils in vier bis fünf Presseartikeln der Bevölkerung in einer Modellregion zu verstehen
regional über das Barcamp und die Hintergründe des ist, berücksichtigt dabei die Rahmenbedingungen, dass
Projekts berichtet und über die Facebook-Seite konn- Anschlussfähigkeit und Aufmerksamkeit hergestellt wer-
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ten jeweils um die Veranstaltungstermine herum ca. den müssen. Im Nachhinein lässt sich das Vorgehen in
5.000 Menschen mit Beiträgen erreicht werden. Auch der Gesamtheit schlüssig darstellen und die erfolgreichen
zur Teilnehmerakquise wurde das Barcamp genutzt und Ansätze ebenso wie deren Zusammenspiel nachvollzie-
mehr als 1/3 der Teilnehmer meldeten im betreffenden hen. Dabei gingen die Initiativen auf kleinteilige oder mit
Jahr Interesse an der Ausstattung mit dem eigenen Aus- vertretbarem geringen Risiko verbundene Pilotvorhaben
lese- und Kommunikationsmodul an. zurück und das gesamte Vorhaben baut auf iterativen
Lernkurven auf.
Literaturverzeichnis
Rapid Prototyping
Mein Haus wird kurzerhand umfunktioniert: Tagsüber
arbeiten wir mit mehreren Projektmitarbeitern an Proto- Der vorstehende Blogartikel ist unmittelbar
typen und abends kommen Tester aus der unmittelbaren nach und unter dem Eindruck eines soge-
Umgebung vorbei und bewerten, was wir mit einfachsten nannten Rapid Prototyping entstanden. Im
Mitteln und in kürzester Zeit aus unseren Ideen gestaltet Verlaufe des Projekts wurden zur Gestaltung
haben. Das Einfamilienhaus wird in diesen Tagen kurzer- von Anwendungen und Nutzerschnittstellen
hand zum Prototyping-Testlabor umfunktioniert. Für mich – insbesondere für das Interface der Ener-
persönlich ist das Ganze eine echte Herausforderung gie – solche Veranstaltungen durchgeführt.
und letztlich eine sinnvoll vollendete Verbindung von Job Ziel ist es, mit möglichst geringem zeitlichem
und Privatem. Zeitweise sind bis zu 15 Personen im Haus Aufwand zu einer Vielzahl unterschiedlicher
unterwegs, ich mag das rege Treiben und dass es für alle Ideen zu kommen und zu ersten Prototypen
Beteiligten ein Erlebnis ist. unmittelbar Feedback zu erhalten. Diese Art
von interdisziplinären Workshops ist ein-
Ein Wohnhaus wird zum Seminarhaus gebettet in das sogenannte Human Centred
Die Idee eine Anwendung für den Haushaltsbereich in Design (HCD) und baut auf den Ergebnissen
einem privaten Haushalt zu entwickeln und möglichen der qualitativen Erhebungen auf. Die Teilneh-
Testern die Einstiegsschwelle so niedrig wie möglich zu mer der Workshops – also die Probanden oder
gestalten, scheint auf den ersten Blick naheliegend. In Tester – rekrutieren sich aus den zeitlich davor
der Umsetzung ist das jedoch nicht so einfach: Ein Einfa- liegenden Gesprächen und Aktionen. Sie wur-
milienhaus ist ja nicht per se als Seminarhaus geeignet; den so ausgewählt, dass sie zur ausgewählten
mit genügend Platz für zum Beispiel acht bis zehn Teil- Personengruppe, den Personas, passen.
nehmer. Da wird es selbst im Wohnzimmer schnell eng
und wenn dann noch Materialien wie Metaplanwände
und Flipcharts hinzukommen, dominiert die Enge. Die
Enge, die man vielleicht auch in den Köpfen vermeiden Familiäre Arbeitsatmosphäre
will. Und dann sollen auch noch Prototypen gebaut wer- In diesem Fall wurden die Einwohner des Hauses zu
den. In unterschiedlichen Räumen und später in einer Art Teilnehmern bzw. Moderatoren des Workshops. Und:
„Speed-Dating“ Gästen vorgestellt werden. „Die Idee war Not macht erfinderisch. Für Flipcharts hatten wir keinen
gut, aber lass uns das nicht versuchen“, höre ich mich in Platz. Aber es gibt wiederbeschreibbare, elektrostatisch
der Planungsphase sagen. Ich gebe zu, es war eine Her- haftende Folie, die man an Fenster und Wände bringen
ausforderung. Aber das Ergebnis überzeugt. kann. Platz satt zum Schreiben UND zum Stehen bzw.
Sitzen. Apropos sitzen: Bunte Sitzkissen erweitern schnell
das Spektrum an Sitzplätzen. Und der hauseigene Fern-
seher ist in aller Regel auch smart genug, um einen Ein-
führungsvortrag wiederzugeben. Mit ein bisschen gutem
Willen ist die Arbeitssituation angenehm und sagen
wir im besten Sinne familiär. Die Bewegungsfreiheit ist
gewährleistet und es stehen genügend Räume zum Aus-
weichen und Arbeiten zur Verfügung. Los geht’s.
Übertragungsleistung erleichtern
Am Abend sitzen wir entspannt zusammen. Die Grenze
zwischen Experten und Anwendern stellt keine Barriere
im eigentlichen Sinne dar. Das ist auch dem Umstand zu
verdanken, dass das alles sehr ungewöhnlich, persönlich
und nah ist. Die Nutzer lernen bei dieser Art des Proto-
typings eine ganz neue Art der Wertschätzung und Beteili-
gung kennen. Die Mitglieder des Teams haben auch neue
Erfahrungen gemacht und der ansonsten eher abstrakte
„Nutzer“ stellt sich als sehr sympathisches und authen-
tisches Gegenüber heraus. Der nicht nur eine Meinung
hat, sondern auch ganz eigene Ideen und selbst bei nur
fünf bzw. nach dem zweiten Tag zehn Teilnehmern, ein
sehr großes Spektrum an individuellen Unterschieden
aufweist.
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AUTOR: FRANK GLANERT, EWE AG – unter anderem, indem sie frühzeitig und aktiv in das
Projekt eingebunden wurden und indem sich das Projekt-
team an ihren Wünschen und Vorstellungen orientieren
Ursprünglich war im Projekt enera der Einsatz intelligen- wollte. Die BSI-Zertifizierung der intelligenten Messsys-
ter Messsysteme (iMsys) geplant, deren Einbau auf Basis teme verzögerte sich – sie standen weder 2017 noch im
des Gesetzes zur Digitalisierung in der Energiewirtschaft Verlaufe des Jahres 2018 zur Verfügung. Die gewünschte
quasi mit Beginn des Projekts 2017 starten sollte. In der breite Durchdringung in der enera Modellregion stand
enera Modellregion war eine Kombination aus sogenann- auf dem Spiel und man entschied sich zu handeln. Kein
ten Pflichteinbaufällen sowie freiwilligen Einbaufällen leichter Weg mit einigen Hürden. Im Interview erläutert
vorgesehen. Freiwillige Teilnehmende für die Verbrauchs- Gesamtprojektleiter Ulf Brommelmeier (UB), wie sich das
datenerfassung mussten zunächst für das Projekt enera angefühlt hat.
sowie eine Mitwirkung am Feldtest begeistert werden
Das smarte Auslese- und Kommunikationsmodul – halten über beliebige Zeiträume – also zum Beispiel
kurz SAM – kommt auf der Basis einer modernen der letzten Tage, Wochen oder Monate – zu erhalten.
Messeinrichtung (mME) zum Einsatz. Die im Projekt
enera entwickelte Technologie nutzt dabei die stan- Es ergeben sich folgende Möglichkeiten zur Opti-
dardmäßige, optische Schnittstelle der mME, über mierung des hauseigenen Stromverbrauchs:
die sekündlich Informationen zum aktuellen Strom-
verbrauch bereitgestellt werden. Diese Daten wer- • Beobachtung und Anpassung der Grundlast
den ausgelesen und in eine Cloud hochgeladen, wo eines Haushalts oder einer Liegenschaft
sie für die Nutzung beispielsweise durch die enera • Identifizierung von Stromfressern im Haushalt
App oder die kommunale Webanwendung zur Verfü- (ohne Einsatz von zusätzlichen Messgeräten)
gung stehen. Außerdem werden die anonymisierten • Automatisierte Energieberichte und Energiema-
Daten auf diese Art und Weise von den Experten nagement kommunaler Liegenschaften
ausgewertet und mit weiteren Daten kombiniert, • Analyse von Verhaltensmustern, die zu unnötig
um Zusammenhänge und Muster zu erkennen. Zum hohem Stromverbrauch führen
Beispiel in Bezug auf Korrelationen von Tagesverlauf • Nachvollziehbarkeit und Anpassung des eigenen
und Energieverbrauch, saisonale Schwankungen Nutzungsverhaltens
oder das Verhalten in vergleichbaren Siedlungsge-
bieten oder ganzen Kommunen. Dies soll in Zukunft Alle diese Punkte bieten bereits gute Chancen zur
dabei helfen, die regional erzeugte Energie optimal Optimierung des Verbrauches und der Annäherung
vor Ort einzusetzen. an das Thema Energie.
Das Potenzial aus der App zum Monitoring des Mit SAM, der enera App, sowie der kommunalen
eigenen Energieverbrauchs ist groß. Mit den Webanwendung haben Teilnehmende unmittelbar
sekündlichen Werten stehen Livedaten des eigenen einen Nutzen aus dem Projekt und können gleich-
aktuellen Verbrauchs zur Verfügung. Zudem können zeitig das Demonstrationsvorhaben enera durch die
historische Daten gesammelt und kumuliert werden, Bereitstellung ihrer anonymisierten Daten ermög-
um präzise Auswertungen über das Verbrauchsver- lichen.
bestehen. Und neben den technischen Fragestellungen spielt. Und wir denken, dass eine echte Energiewende
ergaben sich auch weitreichende organisatorische und nur dann gelingt, wenn der Nutzer auch für sich klare
inhaltliche Anforderungen – bis hin zu rechtlichen Fra- Vorteile erkennt und diesen Bereich aktiv mitgestaltet.
gen, wie Datenschutz und Informationsbereitstellung. Daher haben wir eine App entwickelt, die neben den
Wir haben mit der Entscheidung, etwas Eigenes auf die aktuellen auch die aufgezeichneten Verbrauchswerte
Beine zu stellen, den vorgezeichneten und „ausgeschil- der letzten Stunden, Tage und Wochen wiedergibt. Auch
derten“ Weg komplett verlassen, weil dieser Weg sich als die Kosten kann man mit der App überwachen und es
Sackgasse erwies. Aber unser Plan B musste vollständig gibt verschiedene andere Funktionen, die es dem Nutzer
AUTOR: CHRISTOPH WAHMHOFF (EWE AG) Die 4 wichtigsten Punkte für eine erfolgreiche Commu-
nity Challenge
Nachdem die enera Community bis Dezember 2019 1. Enge verknüpfung zu bestehenden Plattformen &
bereits stetig gewachsen war, konnte mit der Community breite Streuung
Challenge passend zur Weihnachtszeit noch ein Ass aus Eine Challenge sollte mit bereits bestehenden Plattfor-
dem Ärmel gezaubert werden. Im Hinblick auf die sehr men, Kanälen und Websites verknüpft werden, um der
enge Gemeinschaft in der ländlichen Modellregion war Zielgruppe einen klaren Zusammenhang zu vermitteln.
das „Freunde werben Freunde“-Prinzip ein weiterer viel- Wenn möglich kann die Challenge auch in eine bereits
versprechender Ansatz, die Mitglieder der Community bestehende Website eingebettet werden. Die Challenge
zu motivieren, die Sichtbarkeit von enera auch über die sollte kontinuierlich über sämtliche Kanäle beworben
Grenzen der Modellregion hinaus selbstständig zu stei- werden und an entscheidenden Zeitpunkten, zum Bei-
gern, um so neue Mitglieder für die Community und Teil- spiel dem Start von Sonderaktionen, sollten zusätzlich
nehmer für den Feldtest gewinnen zu können. weitere Medien einbezogen werden. So kann als Initial-
zündung der Kampagne schnell ein hoher Bekanntheits-
grad erreicht werden.
Die kommunale Webanwendung visualisiert in Echtzeit untereinander, beispielsweise zwei Grundschulen ähn-
die Stromverbräuche zahlreicher Liegenschaften in der licher Größe, verglichen werden, um zu ermitteln, welche
Modellregion. der Einrichtung insgesamt effizienter ist. Des Weiteren
konnte der aktuelle Verbrauch einer Liegenschaft jeder-
zeit mit den Werten der Vorwoche oder des Vormonats
AUTOR: CHRISTOPH WAHMHOFF (EWE AG) verglichen und dadurch Unregelmäßigkeiten, die bei-
spielsweise durch ein defektes Endgerät entstehen,
schnell und einfach identifiziert werden.
Kommunen als wichtiger Teil des Energiesystems
Einer der wichtigsten Faktoren für ein erfolgreiches Im Idealfall dienten die gewonnenen Erkenntnisse dann
Demonstrationsprojekt in einer großen Modellregion ist als Entscheidungsgrundlage für die Planung und Umset-
die Partizipation der vor Ort lebenden Menschen und zung effizienzsteigernder und energiesparender Maß-
ansässigen Institutionen. nahmen.
Die zahlreichen Gemeinden, Städte, Landkreise und Kleinigkeit mit großer Wirkung
Samtgemeinden nehmen genau wie die vielen Vereine Die Voraussetzung für die Visualisierung ist die auto-
und Clubs in der ländlich geprägten enera Region eine matische Erfassung der Verbrauchsdaten. Die Kleinigkeit,
sehr wichtige Rolle als Multiplikatoren ein und sind durch die dies technisch ermöglicht werden konnte, war
gleichzeitig selbst neben den gewerblichen Betrieben ein sogenanntes smartes Auslesemodul (kurz SAM), wel-
und Privathaushalten ein zentraler Teil des Energie- ches per Magnet auf die optische Schnittstelle moderner
systems und eine wichtige Teilnehmergruppe. Mit enera Stromzähler aufgesetzt werden konnte. Die hier ausge-
sollten die Kommunen im Nordwesten befähigt werden, lesenen Daten wurden über das örtliche WLAN-Netzwerk
die durch die Stromverbräuche in ihren Liegenschaften übertragen. Die große Herausforderung, den gesamten
verursachte CO2-Emission reduzieren und somit bundes- Prozess von der Ansprache der Kommunen über die
weit eine Vorreiterrolle im Bereich nachhaltige Energie- Erfassung der benötigten Stammdaten geeigneter Lie-
versorgung einnehmen zu können. genschaften bis hin zur Installation der Auslesemodule
mit eigenen Ressourcen der Projektorganisation zu
visualisierung ist die Basis für Optimierung planen und umzusetzen, konnte erfolgreich gemeistert
In den meisten kommunalen Liegenschaften werden die werden. Technisch war das Gerät in der Lage, alle zwei
Zählerstände für die Erstellung der Stromabrechnung Sekunden den aktuellen Stromverbrauch auszulesen und
einmal pro Jahr erfasst. Anhand dieser alljährlichen zu übertragen. Für die Verbrauchsvisualisierung wurden
Momentaufnahme ist es jedoch kaum möglich, konkrete die Daten alle 15 Minuten übertragen. Im Vergleich zu
Einsparpotenziale abzuleiten. Um den Stromverbrauch jährlich manuell erfassten Zählerständen, stellte die
analysieren und bei Bedarf optimieren zu können, muss automatische Verbrauchsdatenerfassung in Verbindung
im ersten Schritt ein Verständnis für den Verbrauch und mit einer übersichtlichen Visualisierung in 15-minütigen
die Verbrauchsmuster in den unterschiedlichen Liegen- Intervallen einen revolutionären Mehrwert dar.
schaften geschaffen werden. Genau an dieser Stelle
setzte die kommunale Webanwendung mit einer Visuali-
sierung des Stromverbrauchs auf Liegenschaftsebene an.
Die verantwortlichen Personen auf sämtlichen Ebenen
innerhalb der Kommunen wurden mit diesem Tool
befähigt, jederzeit die aktuellen und historischen Ver-
brauchswerte der einzelnen Gebäude und Einrichtungen
einzusehen. Somit konnten zunächst die Liegenschaften
Lorenz Anders,
enera Projektmanager
AUTOREN: VANESSA GERLES, SYLVIA TÖPFER UND THOMAS sich: Akzeptanz in der Energiewende ist so individuell
BUSS (LANDKREIS AURICH) wie die Akteure, die sie leben sollen und wollen – eine
individuelle Geschichte.
Energiedialoge als zielführendes Instrument der Von der Befragung zum (Energie-)Dialog
Akzeptanzforschung bezüglich der Energiewende Zunächst wurde vor dem Hintergrund der Akzeptanz-
Der Begriff der Energiewende wird landläufig eng mit den forschung eine onlinebasierte quantitative Befra-
Maßnahmen nach den Natur- und Umweltkatastrophen gung durchgeführt, um signifikante Korrelationen von
im Zuge des Tsunamis in Japan und der Havarie des Atom- Variablen hinsichtlich Akzeptanzbildungsprozessen zu
kraftwerks Fukushima in Verbindung gebracht. Der Aus- ergründen. Aufgrund der Tatsache, dass es bezüglich des
stieg aus der Kohleverstromung, Elektromobilität, Intelli- Forschungsgegenstands der Akzeptanz keine statistisch
gente Netze und Flexmarkt sind in diesem Zusammenhang zu erfassenden, wechselseitigen Zusammenhänge gibt,
nur einige Schlagworte, mit denen die Bürgerinnen und wurde durch diesen ersten, quantitativen Forschungs-
Bürger aber bereits seit den 1980er-Jahren direkt oder schritt die Erkenntnis generiert, dass Akzeptanz höchst
indirekt konfrontiert werden. Die grundlegende Umge- individuell ist. Diese Erkenntnis führt zu der Schlussfol-
staltung des Energiesektors im Zuge eines klassischen gerung, dass es eines zweiten, qualitativen Forschungs-
Top-down-Prozesses ist in Anbetracht der Bedeutung, schritts bedarf, um nähere fundierte Aussagen über
Größe und nicht zuletzt der vielfältigen Interessenlagen Akzeptanzbildungsprozesse tätigen zu können.
systemimmanent. In diesem Zusammenhang drängt sich
bisweilen der Eindruck auf, die Interessen der Bürger-
innen und Bürger als „Konsumenten“ scheinen mehr oder
weniger randständig. Gleichzeitig wird demgegenüber die
Begrifflichkeit der „Akzeptanz der Energiewende“ als ein
wesentlicher Aspekt formuliert und als unabdingbare
Voraussetzung zu deren Gelingen angesehen. Die Frage,
ab welchem Zeitpunkt etwas akzeptiert wird, was es dazu ABBILDUNG 1: LOGO DER ENERGIEDIALOG-VERANSTALTUNGEN
bedarf und durch welche Ansätze Akzeptanz gefördert
werden kann, mag zwar vordergründig einfach zu beant-
worten sein. Jenseits von wissenschaftlichen Definitionen
und darauf fußenden Methoden stellen sich Formen und Ergänzend zu Energiedialogen wurden Kurzinterviews mit
Ausprägungen von Akzeptanz in der Realität jedoch als in der Region bekannten Politikerinnen und Politikern
ein abstraktes, wie zugleich auch sensibles Konstrukt von sowie Amtsträgern durchgeführt, um die Präsenz der
Anschauungen, Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten Thematiken der Energiewende in den regionalen sozialen
dar. Nicht zuletzt ist sie auch kein endliches und dauer- Medien zu erhöhen. Dadurch sollten die Kurzinterviews
haftes Produkt. In der Regel wird es mitunter schwieriger zugleich als Marketingmaßnahme für die Teilnehmerak-
sein, einen erreichten Grad von Akzeptanz zu erhalten. quise weiterer Energiedialoge eingesetzt werden. Durch
Allein die Frage der Messbarkeit kann dabei zu langwie- die ergänzende Perspektive der interviewten Politikerin-
rigen Diskussionen, aber wohl niemals zu mustergültigen nen und Politiker sowie Amtsträger hatten die Kurzinter-
Ergebnissen führen. views das große Potenzial eine optimale Ergänzung der
Energiedialoge und des gesamten Forschungsprozesses
Im Spannungsfeld der vorgenannten Aspekte hat sich der darzustellen. Des Weiteren ergibt sich aus der Veröffent-
Landkreis Aurich im Rahmen von enera theoretisch und lichung der Interviews auf Social-Media-Kanälen die
praktisch im Kontext der Energiewende mit der Akzep- Möglichkeit, den Themenkomplex Energiewende in der
tanzforschung auseinandergesetzt. Im Ergebnis zeigt Bevölkerung präsenter zu machen.
ABBILDUNG 4: WORTWOLKE DER ANTWORTEN AUF DIE FRAGE NACH In das Modell fließen auch Aspekte ein, die aus den Kurz-
„BEST-PRACTICE-BEISPIELEN“
interviews resultierten. Im Zusammenspiel mit den ande-
ren Maßnahmen sollten die Interviews u. a. zur Außendar-
stellung sowie zur Einbindung von Amtsträgerinnen und
Der zweite Energiedialog fand im Landkreis Friesland, im Amtsträgern und Politikerinnen und Politikern dienen
Nationalpark-Haus Wattenmeer Minsen, am 11. November und stellten somit eine reine Ergänzung des qualitativen
2019 statt. Die Durchführung unterschied sich nicht von Forschungsformats der Energiedialoge dar. Durch das
dem Energiedialog in Aurich, abgesehen von der etwas Einbringen der Perspektiven der interviewten Politikerin-
geringeren Teilnehmerzahl, aufgrund welcher nur zwei nen, Politiker und Amtsträger gelang das Zusammenspiel
Thementische zum Einsatz kamen. im Forschungskontext ausgesprochen gut und stellte
eine gelungene Ergänzung dar. Insbesondere hinsichtlich
Energiedialog als Mittel oder Selbstzweck? der Frage nach der persönlichen Bedeutung von Ener-
Die Ergebnisse der durchgeführten Energiedialoge sind giewende stellten die beruflich bedingten Perspektiven
sehr vielfältig. Es konnten viele verschiedene Meinungen der Interviewten einen Kontrast zu den Ergebnissen dar,
sowie Erwartungshaltungen hinsichtlich der Energie- die aus den Dialogveranstaltungen generiert wurden. So
wende vernommen werden. Wie bereits im Rahmen beantwortete der Auricher Landrat Olaf Meinen die Frage
der quantitativen Untersuchung festgestellt wurde, ist „Was bedeutet Energiewende für Sie?“ ganz konkret fol-
die Akzeptanzentwicklung in diesem Themengebiet gendermaßen:
höchst subjektiv und somit war es auch innerhalb des
qualitativen Forschungsformats nicht möglich, Kausal- „Weg von fossilen Energieträgern, hin zu erneuerbaren,
zusammenhänge festzustellen. Allerdings wurden durch die unbegrenzt zur Verfügung stehen – für sauberes
die Teilnehmenden ihre persönlichen Ängste und Sorgen Klima.“ (Olaf Meinen, 07. Januar 2020)
bezüglich der Energiewende geäußert und es konnten
dementsprechend Hemmnisse der Akzeptanz von Bürge- Die Antwort des niedersächsischen Landtagsabgeord-
rinnen und Bürgern zu den spezifischen Energiethemen neten Wiard Siebels zielt ebenfalls auf die genutzten
und auch ganz allgemein betreffend der Energiewende Energiequellen ab, denn darin sehe er den Kern der
erkannt/aufgedeckt werden. Da diese Hemmnisse aus Energiewende und eine enge Verbundenheit der Thema-
unterschiedlichsten Faktoren und subjektiven Erwar- tik hinsichtlich des Klimaschutzes:
tungshaltungen resultieren, bedarf es einer tieferge-
henden Betrachtung jedes einzelnen Hemmnisses, um „Die Energiewende hat ganz viele Facetten. Einmal geht
dessen Hintergründe erklären zu können. Hierzu wurde es im Kern darum, dass wir als gesamte Menschheit
ein Modell erarbeitet, welches eine Übersicht über die unsere Energiequellen überdenken, dass wir über etwas
Verflechtungen von einzelnen Faktoren hinsichtlich der mehr als 100–150 Jahre fossile Brennstoffe verfeuert
Akzeptanzentwicklung darstellt. Das Modell verdeutlicht haben, um Energiegewinnung zu betreiben im großen
die komplexen Zusammenhänge verschiedener Variablen Stil seit der Industrialisierung und wir seit einigen Jahren
deren Einfluss auf die Akzeptanz hinsichtlich der Energie- daran sind, uns erneuerbare Energiequellen zu erschlie-
wende im Laufe des Forschungsprozesses herausgestellt ßen. Das ist für mich der Kern der Energiewende. Und
werden konnte. das hat viele Facetten, weil es um Klimaschutz geht, weil
Rechtsrahmen
& Übertrag-
barkeit
ARBEITSPAKET 08
ENERGIERECHTLICHER RAHMEN
Anreizmechanismus → S. 382
Spieltheorie Netzbetreiberanreize → S. 386
Netzausbaustrategien → S. 390
Gasnetz als Flexibilität → S. 394
Rechtliche Bewertung Flexmarkt → S. 400
US-Marktrollen und Geschäftsmodelle → S. 404
Side Payments → S. 408
ARBEITSPAKET 13
ZUSAMMENFÜHRUNG UND ÜBERTRAGUNG
Systemstudie aktiver Netzbetrieb → S. 412
Systemstudie Betriebsplanung → S. 418
Flexmarkt im Strommarktmodell → S. 422
Nachfrage Flexibilität → S. 426
Auswirkungen Flexibilität → S. 430
enera Roadmap und enera Szenarien → S. 432
AP 01 AP 02 AP 03 AP 04 AP 05 AP 06 AP 07 AP 08 AP 09 AP 10 AP 11 AP 12 AP 13
HANDLUNGSOPTIONEN ZUR GESTALTUNG DES ENERGIERECHTLICHEN RAHMENS I ARBEITSPAKET 08
AUTOREN: DR. ROLAND MEYER, BREMEN ENERGY RESEARCH, der Anreizsetzung ist die Form der Anerkennung und
JACOBS UNIVERSITY BREMEN. RO.MEYER@JACOBS-UNIVER- Überführung der EPM-Kosten in die regulierten Erlöse.
SITY.DE Derzeit bleiben erhebliche Teil der EPM-Kosten, insbeson-
dere Redispatch und Einspeisemanagement (EinsMan), in
Form der dauerhaft nicht beeinflussbaren Kosten (dnbK),
Problemdarstellung: Hintergrund und regulatorische außerhalb des Budgetprinzips der Anreizregulierung und
Herausforderungen bleiben als jährlich durchgeleitete Kosten ohne Effizienz-
Die marktbasierte Bereitstellung netzdienlicher Flexibili- anreize. Mit der Novelle des Netzausbaubeschleunigungs-
tät, wie sie im Rahmen des enera Flexmarkts vorgesehen gesetzes (NABEG 2.0) wird das EinsMan zukünftig entfal-
ist, soll die effiziente Bewirtschaftung von Netzengpässen len und in den Redispatch integriert. Es ist zu erwarten,
durch den Netzbetreiber ermöglichen. Der regulatorische dass Redispatch-Kosten mit der geplanten Änderung der
Rahmen, und damit insbesondere die Anreizregulie- ARegV auch Kosteneffizienzanreizen unterliegen werden.
rungsverordnung (ARegV), soll dabei sicherstellen, dass Vorschläge hierzu werden aktuell diskutiert, auch wenn
der Netzbetreiber die Anreize hat, aus den zur Verfügung Details der Ausgestaltung noch nicht öffentlich zugäng-
stehenden Maßnahmen die gesellschaftlich optimale lich sind.
auszuwählen und diese effizient umzusetzen. Gleichzeitig
soll die Erzielung auskömmlicher Erlöse sichergestellt Eine Anpassung des Regelrahmens zu einer effizienten
werden. Beanreizung von Flexibilitätsmaßnahmen muss den mög-
lichen Konflikt zwischen den oben genannten Zielsetzun-
Hintergrund der Diskussion um die marktbasierte Bereit- gen berücksichtigen. So würde eine vollständige Beanrei-
stellung von netzdienlicher Flexibilität ist der Anstieg zung von EPM-Kosten unter dem Budget-Prinzip zwar das
des Bedarfs an Maßnahmen des Engpassmanagements Ziel der Kosteneffizienz fördern, eine Auskömmlichkeit
(EPM): Der Netzausbau kann mit der Dynamik der Ent- (aufgrund exogener Kosteneinflüsse wie dem Wetter, das
wicklungen bei den dezentralen Erzeugern nicht schritt- den Umfang der EPM maßgeblich mitbestimmt) jedoch
halten; zudem erscheint ein Netzausbau „bis zur letzten nicht sicherstellen und – auch deshalb – das Ziel der
kWh“ ökonomisch nicht wirtschaftlich (dena, 2012). Die Technologieneutralität gefährden. Letzteres hängt insbe-
vorliegende regulatorische Analyse greift drei zentrale sondere mit der unterschiedlichen Kostenhandlung von
Zielsetzungen auf: Kapitalausgaben (CAPEX) und Betriebsausgaben (OPEX)
zusammen. Für Netzausbau anfallende CAPEX sind plan-
1. Kosteneffizienz: Wie kann der Anstieg der EPM-Kosten bar und unterliegen dem Kapitalkostenabgleich (VNB)
mittels stärkerer Effizienzanreize für Netzbetreiber bzw. Investitionsmaßnahmen (ÜNB), und werden damit
begrenzt werden? auch innerhalb der Regulierungsperiode erfasst, verzinst
2. Technologieneutralität: Wie können unverzerrte und vergütet. Marktlich bezogene EPM-Kosten unte-
Anreize bei der grundlegenden Abwägung zwischen rliegen exogenen Kostenrisiken und wären als OPEX Teil
Netzausbau und EPM sichergestellt werden? des Budgetprinzips, sodass außerhalb der Basisjahre auf-
3. Auskömmlichkeit: Wie kann angesichts exogener tretende Kostenschwankungen unberücksichtigt bleiben
Kostenrisiken eine auskömmliche Rendite der Netz- würden. Kapitalausgaben erscheinen aus Sicht der Netz-
betreiber ermöglicht werden? betreiber tendenziell attraktiver, insbesondere durch die
geringeren Risiken, die mit dieser Kostenart einhergehen
Zwischen diesen drei Zielsetzungen besteht ein poten- (Brunekreeft & Rammerstorfer, 2020). Geht man davon
zieller Zielkonflikt, der mit den derzeitigen Instrumenten aus, dass der zukünftige Bedarf an EPM-Maßnahmen
der ARegV nicht optimal gelöst wird. Zentrales Element durch heutige Investitionsentscheidungen beeinflusst
AP 08
zen sich dabei wie folgt aus den Basiserlösen (basierend bestehenden Mechanismen der derzeitigen ARegV
auf dem Basisjahr 0) und der Erlösanpassung (basierend umsetzbar. Voraussetzung für die praktische Anwen-
auf der Kostenabweichung im Jahr t) zusammen: dung des Ansatzes ist allerdings, dass eine konkrete
Einschätzung über den Grad der Beeinflussbarkeit der
Erlöse EPM
t = Basiserlöse EPM
0 + (1 - α) ∙ (Kosten EPM
1 - Basis- EPM-Kosten durch Netzbetreiber möglich ist, um den
erlöse 0 )
EPM
Anreizfaktor entsprechend festlegen zu können. Um das
Risiko für Netzbetreiber zu begrenzen, sollte im Zwei-
Vernachlässigt man Preisanpassungen und X-Faktoren, felsfall eher ein geringerer Anreizfaktor gewählt oder
entsprechen die Basiserlöse den EPM-Kosten im Basis- Kappungsgrenzen bei den Kostenabweichungen gesetzt
0 ) und bleiben über die Regulierungspe-
jahr 0 (Kosten EPM werden. Von den oben genannten Zielen ist bezüglich
riode konstant. Damit gilt der Kosteneffizienz bei allen Anreizfaktoren größer als
null von einer Verbesserung gegenüber dem derzeitigen
Erlöse EPM
t = Kosten EPM
0 + (1 - α) ∙ (Kosten EPM
1 - Kosten EPM
0 ) dnbK-Ansatz auszugehen. Um das Ziel der Auskömm-
=α ∙Kosten 0 + (1 - α) ∙ Kosten 1
EPM EPM
lichkeit im Hinblick auf den tendenziell ansteigenden
EPM-Bedarf sicherzustellen, kann für die Berechnung der
Die letzte Gleichung zeigt, dass der Ansatz auf Basis des Basiserlöse ein simulativer Ansatz anstelle historischer
Anreizfaktors α eine gewichtete Einteilung der EPM-Erlöse Werte aus dem Basisjahr verwendet werden. Ebenso wäre
in zwei Komponenten vornimmt: eine Indexierung zur Berücksichtigung von Kostenstei-
gerungen möglich. Das Ziel der Technologieneutralität
0 ), der von den
einen budgetierten Erlösteil (α ∙ Kosten EPM der beanreizten Maßnahmen wird durch den FlexShare-
tatsächlichen Kosten entkoppelt ist und damit als „beein- Ansatz dagegen nicht explizit adressiert. Wenn zwischen
flussbare Kosten“ der vollen Anreizwirkung unterliegt, Netzausbau und EPM-Maßnahmen ein gewisser Grad an
1 ),
und einen kostenbasierten Erlösteil ((1 - α) ∙ Kosten EPM Substituierbarkeit angenommen wird, besteht aufgrund
Während der nicht beanreizte (1-α)-Teil der Kosten wei- OFWAT (2011). Capex bias in the water and sewerage sectors
terhin als dnbK von den regulatorischen Kostenanreizen in England and Wales – substance, perception or myth? A
AP 08
ausgenommen ist, erfolgt für den beanreizten α-Teil eine discussion paper, Ofwat, Birmingham, Mai 2011.
OPEX-CAPEX-Aufteilung nach FOCS.
Der Vorteil dieses kombinierten Ansatzes liegt darin, dass OXERA (2018). Smarter incentives for transmission system
dem Regulierer damit zwei Anreizparameter (α und cr) zur operators, Study prepared for TenneT, Oxera, Juli 2018.
Verfügung stehen, die unterschiedlich auf die einzelnen
Ziele (Effizienz, Auskömmlichkeit und Technologieneutra-
lität) wirken und somit zu einer weiteren Verbesserung
der volkswirtschaftlichen Effizienz beitragen können.
Auch hier erweist sich eine hohe Kapitalisierungsrate
als effizient. Gleichzeitig wird dabei jedoch ein höherer
Anreizfaktor (α > 0,5) möglich, da die Kapitalisierung Kos-
tenrisiken reduziert.
AUTOR: MARTIN PALOVIC (BREMEN ENERGY RESEARCH, Netzbetreiber über die Auswirkung des Abrufs einer
JACOBS UNIVERSITY BREMEN) Netzdienstleistung zur Auflösung eines Engpasses im
eigenen Netz auf den Netzzustand in den Netzgebieten
anderer Netzbetreiber. Die Maßnahmen zur Adressierung
Problemdarstellung des Informationsproblems fördern eine klar definierte
Derzeit ist keine Lösung bekannt, wie der Regulierer eine TSO-DSO-Rollenverteilung beim Flexibilitätseinsatz,
volkswirtschaftlich effiziente Koordination der Netzbe- transparente/n Netzbetrieb und -Planung sowie den
treiber zur Einbindung von dezentralen Ressourcen in Informationsaustausch zu systemübergreifenden Effek-
die Erbringung von Netzdienstleistungen fördern kann. ten des Netzbetreiberhandelns. Ziel der Maßnahmen ist
Dabei gewinnt die Koordination der Handlungen der eine Informationsgrundlage für das volkswirtschaftlich
Netzbetreiber über die verschiedenen Netzregionen hin- effiziente Handeln des Netzbetreibers zu schaffen und
weg in einem sich wandelnden Stromsektor eine immer hiermit den WSA bei den Netzbetreibern zu ermöglichen.
größere Bedeutung. Die zunehmende Dezentralisierung
der Erzeugung, Speicher und eine steigende Flexibilisie- Die zweite Kategorie der WSA-Maßnahmen fokussiert sich
rung der Lasten führen zu einer Verschiebung der netz- auf das Anreizproblem in der Netzbetreiberkoordination.
dienstleistungsfähigen Ressourcen in die Verteilnetze. Das Anreizproblem besteht dann, wenn durch Abwei-
Die durch diese Akteure bereitgestellte Flexibilität wirkt chungen des individuellen Netzbetriebs vom system-
auf die Netz-Ebenen oder -Regionen unterschiedlicher optimalen Handeln Effizienzverluste entstehen und dies
Netzbetreiber gleichzeitig aber durchaus unterschied- durch den Regelrahmen nicht ausreichend berücksichtigt
lich (netzdienlich in dem einem Netz, netzgefährdend in wird. In der Konsequenz führt dies dazu, dass system-
einem anderen) ein. Daher können sich die zuständigen optimales Handeln mit betriebswirtschaftlichen Nach-
Netzbetreiber durch den Bezug der Netzdienstleistungen teilen verbunden ist. Im Kern besteht das Problem darin,
von vielen verteilten Anlagen gegenseitig (unbeabsich- dass die Netzbetreiber keinen Anreiz haben, die externen
tigt) beeinflussen. Dies kann zu Ineffizienzen und somit Systemkosten oder -ersparnisse einer Netzdienstleis-
zu volkswirtschaftlichen Zusatzkosten führen. tung, die bei einem anderen Netzbetreiber durch diese
Netzdienstleistung anfallen, in die eigene Entscheidung
Bereits 2016 erkannte der Council of European Energy einzubeziehen. Maßnahmen zur Adressierung des Anreiz-
Regulators (CEER) dieses Problem und setzte sich das problems sollen daher die Netzbetreiber zur Minimierung
Ziel, das kooperative Verhalten der Netzbetreiber zu för- der Gesamtsystemkosten bewegen, auch wenn solches
dern und die Optimierung des Gesamtsystems, anstatt Handeln Zusatzkosten in dem eigenen Netzgebiet ver-
der Optimierung der einzelnen Netzebenen, zu erreichen ursacht. Ziel der Maßnahmen ist daher die individuelle
(CEER 2016). Der in diesem Rahmen von CEER definierte Netz- und volkswirtschaftliche System-Optimierung
„whole system approach (WSA)“ beschreibt Prinzipien der in Einklang zu bringen und hierdurch den WSA für die
Netzbetreiberkoordination, die die Systemkosten für die Netzbetreiber betriebswirtschaftlich attraktiv zu machen
Erbringung von Netzdienstleistungen senken sollen. Die (Brunekreeft et al. 2020).
zur Umsetzung des WSA notwendigen regulatorischen
Maßnahmen lassen sich anhand dieser Prinzipien in zwei Anhand positiver Rückmeldung relevanter Stakeholder
wesentliche Kategorien unterteilen: zum WSA hat CEER den europäischen Regulierern die
Umsetzung des WSA in der Anreizregulierung der Ver-
Die erste Kategorie adressiert das Informationsproblem teilnetze bereits vor kurzem empfohlen. Eine Ausweitung
in der Netzbetreiberkoordination. Das Informations- der Empfehlung auf die Übertragungsnetze wird zudem
problem ergibt sich aus der mangelnden Kenntnis der zu erwarten sein. Die konkrete Umsetzung und damit
AP 08
Rahmen des Engpassmanagements unbewusst einge- den Netzbetreibern effizient ist. Eine volkswirtschaftlich
führt werden, wenn der Regelrahmen auf die praktischen effiziente Koordination der Netzbetreiber erfordert daher
Ausprägungen des Anreizproblems nicht ausreichend einen Regelrahmen, der sowohl das potenzielle Auftreten
abgestimmt ist. Das Anreizproblem und Beispiele für der Informations- als auch der Anreiz-Probleme in der
dessen Ausprägungen beim Netzengpassmanagement Netzbetreiberkoordination berücksichtigt.
wurden daher mit der Hilfe der entwickelten Instrumente
im Rahmen von enera identifiziert und näher untersucht. Lösungsansätze
Während der Projektlaufzeit wurden zwei grundsätzlich
Die Ergebnisse unserer Analyse zeigen, dass die nicht- unterschiedliche generelle Lösungsansätze diskutiert,
kooperativen Spiele aus der Spieltheorie wie Prisoner’s die im Kontext der Flexibilitätsmärkte weiter konkretisiert
Dilemma oder Chicken schon bei einer sehr simplen werden können.
Netztopologie auftreten können. Besonders interessant
ist, dass auch eine kleine Änderung der Netztopologie, 1. Einführen von Cost-Sharing-Mechanismen: Bei
wie z. B. ein neuer Flexibilitätsanbieter, die Struktur des diesem Ansatz wird der Vorteil vom volkswirtschaft-
vorhandenen Spiels zu einem anderen Spiel umwandeln lichen Optimum gegenüber jeder Abweichung davon
und damit die Anreize der Netzbetreiber komplett ver- als Anreiz genutzt. Das volkswirtschaftliche Optimum
ändern kann. ist per Definition durch die minimalen Flexibilitäts-
gesamtkosten charakterisiert und daher für die Netz-
Die Spiele Prisoner’s Dilemma und Chicken sind ange- betreiber als Gruppe von Vorteil. Revenue-Sharing-
sichts des wiederholenden Charakters von Netzengpass- Mechanismen beteiligen alle Netzbetreiber an den
management-Maßnahmen von besonderer Bedeutung. Vorteilen der volkswirtschaftlich optimalen Lösung
Aus der Literatur ist bekannt, dass das häufig wie- und erzeugen somit einen Anreiz zu kooperieren.
derholt gespielte Prisoner’s Dilemma zu einer lang-
In Rahmen der Stakeholderkonsultation wurde eine klare COUNCIL OF EUROPEAN ENERGY REGULATORS (CEER) (2018).
Präferenz zu Cost-Sharing-Mechanismen beobachtet. Incentives schemes for regulating distribution system ope-
Obwohl diese Lösung beim Auftreten von Situationen, rators, including for innovation. Bericht zum Stakeholder-
die dem Prisoner’s-Dilemma entsprechen, von der aka- Workshop, Ref. C17-DS-37-05, Brussels.
demischen Literatur empfohlen wird, ist dessen Einsatz
zum Auflösen des Chicken-Spiels unüblich. Da dieses
Spiel jedoch anhand unserer Analyse bei Engpassma- GERARD, H.; PUENTE, E. I. R. & SIX, D. (2018). Coordination
nagement auftreten kann, wird die Wirksamkeit der Cost- between transmission and distribution system operators
Sharing-Mechanismen in Bezug auf einen effizienten und in the electricity sector: A conceptual framework. Utilities
koordinierten Netzbetrieb derzeit in Rahmen von enera Policy, 50, pp. 40-48.
noch überprüft. Ergebnisse hierzu werden im Sommer
2020 erwartet und in Buchmann & Palovic (forthcoming)
veröffentlicht. LE CADRE, H.; MEZGHANI, I. & PAPAVASILIOU, A. (2019). A
game-theoretic analysis of transmission-distribution system
operator coordination. European Journal of Operational
Re-search, 274, pp. 317-339.
AUTOR: JULIAN SPREY, MIRKO WAHL UND ALBERT MOSER wirkt die aktuelle Regulierung auf die Entscheidung des
(IAEW AN DER RWTH AACHEN UNIVERSITY) Netzplaners?
Planerische Freiheitsgrade
Motivation und zielsetzung In der Netzplanung wird gewährleistet, dass das Strom-
Die heutige Energiewirtschaft steht unter dem energie- verteilungsnetz so ausgelegt ist, dass für eine zukünftige
politischen Zieldreieck mit dem Ziel eines sicheren, wirt- Versorgungsaufgabe die technischen Randbedingungen
schaftlichen und umweltverträglichen Energiesystems. des Netzbetriebs eingehalten werden. Zu diesen tech-
In diesem Kontext steht auch die aktuelle Gesetzgebung. nischen Randbedingungen zählen unter anderem die
Zum einen sind die Verteilungsnetzbetreiber (VNB) dazu thermischen Belastungsgrenzen von Netzbetriebsmitteln
verpflichtet, neue Netzkunden anzuschließen und einen wie Leitungen und Transformatoren und sowie die Ein-
sicheren Netzbetrieb zu gewährleisten. Zum anderen haltung vorgegebener Spannungsgrenzwerte beim End-
sollen sie die Verteilungsnetze bedarfsgerecht und wirt- kunden. Entstehen durch Netzkundenanschlüsse wie
schaftlich zumutbar ausbauen. der Integration von dezentralen Erzeugungsanlagen auf
Basis erneuerbarer Energien oder neuer Verbrauchs-
Da Stromverteilungsnetze ein natürliches Monopol sind, einrichtungen wie dem Anschluss von Wärmepumpen
sind die VNB durch die Anreizregulierungsverordnung oder Elektrofahrzeugen Engpässe im Netz, die zur Nicht-
(ARegV) reguliert. Die ARegV zielt dabei auf eine volks- einhaltung der technischen Randbedingungen führen,
wirtschaftliche optimale Auslegung der Verteilungsnetze muss das Stromverteilungsnetz verstärkt bzw. ausgebaut
und setzt die VNB dazu in einen künstlichen Wettbewerb werden. Die planerischen Maßnahmen, die dazu ergriffen
zueinander, um so Kostensenkungen anzureizen. Hierzu werden können, lassen sich in konventionelle und netz-
wird die Höhe der Netzkosten, die der VNB auf die Netz- betriebliche Maßnahmen gliedern.
kunden in Form der Netzentgelte umlegen darf, mit der
sogenannten (individuellen) Erlösobergrenze durch die Unter konventionelle Maßnahmen fallen unter anderem
Regulierung festgesetzt.1 der Neubau und Zubau von Leitungen und Transformato-
ren. Sowohl der Austausch von bestehenden Leitungen
Insgesamt stehen die VNB damit unter dem Druck, ihrer mit Leitungen mit höherer Übertragungsleistung und der
Netzausbaupflicht nachzukommen, als eigenständiges Austausch von bestehenden Transformatoren mit Trans-
Unternehmen ihr betriebswirtschaftliches Ergebnis zu formatoren mit höherer Übertragungsleistung als auch
steigern und zugleich ihre Kosten zu senken. Diesen die parallele Verstärkung reduzieren die Strombelastun-
Konflikt zwischen dem volkswirtschaftlichen Interesse, gen bzw. erhöhen die Aufnahmekapazität des Netzes.
möglichst kosteneffizient das Netz auszubauen, und dem Zugleich können sie zu einer besseren Spannungshaltung
betriebswirtschaftlichen Interesse eines Unternehmens, beitragen.
sein Ergebnis zu steigern, ist in der Netzplanung Rech-
nung zu tragen. Der Einsatz von regelbaren Ortsnetztransformatoren
(rONT) fällt unter die Kategorie der netzbetrieblichen
In der Netzplanung stehen dem Verteilnetzbetreiber Maßnahmen. Diese ermöglichen durch Stufensteller die
verschiedene Planungsmaßnahmen wie die Verstärkung Entkopplung der Spannung der Niederspannungsnetze
von Transformatoren und Leitungen, der Einsatz von von der im Mittelspannungsnetz vorliegenden Netz-
regelbaren Ortsnetztransformatoren oder der Einsatz spannung und eine Regelung der Betriebsspannung im
von Flexibilität, bspw. die Abregelung von dezentralen betrachteten Niederspannungsnetz. Die rONT tragen so
Erzeugungsanlagen zur Verfügung. Doch welche Pla- zur Verbesserung der Spannungshaltung bei. Mit dem
nungsmaßnahmen sollte der Netzplaner zur Gewähr- Planungsinstrument der Spitzenkappung2 muss das
leistung eines sicheren Netzbetriebs einsetzen? Und wie Stromverteilungsnetz nicht auf die Einspeisespitzen von
Dabei wählt ein wirtschaftlich handelnder VNB diejenige Mit dem Qualitätselement wird dem VNB in Abhängig-
Maßnahme zur Behebung von strom- bzw. spannungs- keit der Versorgungszuverlässigkeit ein Zuschlag oder
bedingten Engpässen, welche für ihn mit den geringsten ein Abschlag auf die Erlösobergrenze gewährt. Dazu
Kosten verbunden ist. Dabei unterscheiden sich die erhebt die Regulierungsbehörde die mittlere Dauer von
Kostenstrukturen der konventionellen und netzbetrieb- Versorgungsunterbrechungen und ermittelt damit einen
lichen Maßnahmen zur Engpassbehebung wesentlich. Durchschnittswert für die Versorgungszuverlässigkeit (ver-
Konventionelle Maßnahmen sind insbesondere durch gleichbarer VNB). Der VNB erhält dann in Abhängigkeit der
hohe Investitionskosten und geringe Betriebskosten Abweichung zu dem Durchschnittswert vergleichbarer VNB
charakterisiert, während netzbetriebliche Maßnahmen einen Bonus oder Malus auf seine Erlösobergrenze.
höhere Betriebskosten aufweisen können. In diesem
Kontext kann der gegenwärtige Regulierungsrahmen auf Im Zusammenspiel der Erlösmechanismen wirken ins-
die Investitionsentscheidung Einfluss nehmen, da durch besondere der Effizienzvergleich und der Kapitalkosten-
diesen reguliert ist, welche Erlöse ein VNB erzielen darf. abgleich auf Investitionsentscheidungen in Planungs-
maßnahmen.
Erlösbildung im gegenwärtigen regulatorischen
Rahmen Definition und Ermittlung von Netzausbaustrategien
AP 08
Die Erlösmechanismen des gegenwärtigen Regulierungs- Um zu untersuchen, für welche Netzausbaumaßnahmen
rahmens setzen sich im Wesentlichen aus der Kosten- ein Netzbetreiber sich entscheiden sollte und inwieweit
prüfung, dem Effizienzvergleich, dem Kapitalkosten- der Regulierungsrahmen diese Entscheidung beein-
abgleich und dem Qualitätselement zusammen. flusst, werden verschiedene Handlungsweisen eines
Netzbetreibers in zuvor definierten Netzausbaustrate-
Mit der Kostenprüfung (gemäß § 6 Abs.1 ARegV) wird gien antizipiert. Die Netzausbaustrategien beschreiben,
das Ausgangsniveau der individuellen Erlösobergrenze3 welche Freiheitsgrade (Planungsmaßnahmen) dem
eines jeden VNB festgelegt. Dazu werden die Netzkosten Netzplaner zur Verfügung stehen, um einen technischen
des VNB nach Vorgabe der Stromnetzentgeltverordnung sicheren Netzbetrieb für eine zukünftige Versorgungsauf-
(StromNEV) ermittelt. Die Kostenprüfung wird für das gabe zu gewährleisten.
Basisjahr, drei Jahre vor dem Beginn einer Regulierungs-
periode, durchgeführt. Die so ermittelten (Netz-)Kosten In der Netzausbaustrategie „Konven.“ (konventioneller
der VNB werden nach Abzug der sogenannten dauerhaft Netzausbau) bestehen die Freiheitsgrade in der Netzaus-
nicht beeinflussbaren Kosten4 einem Effizienzvergleich5 bauplanung nur aus der Verstärkung von Leitungen und
unterzogen (§ 12 ARegV). Transformatoren. Es werden weder regelbare Ortsnetz-
transformatoren noch der Abruf von Flexibilität berück-
Der Effizienzvergleich ermittelt auf Basis von Effizienz- sichtigt.
messungsverfahren einen Effizienzwert für die VNB. Der
Effizienzwert beschreibt den Absenkungsgrad der indivi- In der Netzausbaustrategie „ront“ kann zusätzlich zur
duellen Erlösobergrenze innerhalb einer Regulierungs- konventionellen Ausbauentscheidung, der Verstärkung
periode. Das heißt, durch den Effizienzwert wird die von Betriebsmitteln, ein regelbarer Ortsnetztransfor-
festgesetzte Erlösobergrenze in einen effizienten und mator zur Behebung von Verletzungen der technischen
ineffizienten Kostenanteil unterteilt. Der ineffiziente Randbedingungen eingesetzt werden.
AP 08
4 Dauerhaft nicht beeinflussbare Kosten sind zum Beispiel die Entschädi-
gungszahlungen im Rahmen des Einspeisemanagements gemäß § 11 Abs. 2
ARegv. Da der vNB diese Kosten nicht beeinflussen kann, werden sie nicht
im Effizienzvergleich berücksichtigt. Sie werden in voller höhe in der Erlös-
obergrenze berücksichtigt.
AUTOREN; HARTMUT WEYER UND THORE IVERSEN (TU Die Beschaffung von zu- und abschaltbaren Lasten muss
CLAUSTHAL) nach § 13 Abs. 6 EnWG in einem diskriminierungsfreien
und transparenten Ausschreibungsverfahren erfolgen.
Für die Ausschreibung müssen die ÜNB eine gemein-
Um Strömungsverluste in Gaspipelines auszugleichen, same Internetplattform einrichten. Diese Vorgaben zur
ist es erforderlich, das transportierte Gas durch Ver- Beschaffung können auf Grundlage der Ermächtigung
dichter erneut zu komprimieren. Im enera Projekt stellt nach § 13i Abs. 1 und 2 EnWG durch Rechtsverordnung
ein Gasfernleitungsnetzbetreiber (FNB) einen elektrisch näher ausgestaltet werden. Eine solche Rechtsverord-
betriebenen Gasverdichter als Flexibilität zur Verfügung, nung liegt mit der AbLaV jedoch nur zur Vereinbarung
der anstelle eines gasbetriebenen Verdichters einge- von abschaltbaren Lasten vor. Für die Kontrahierung
setzt werden kann. Der elektrische Verdichter kann als zuschaltbarer Lasten gibt es keine der AbLaV entspre-
zuschaltbare Last im Stromnetz verwendet werden. chende Rechtsverordnung. Auch in der Praxis scheinen
zuschaltbare Lasten bisher keine Rolle zu spielen.
1. Rechtliche Grundlagen für den Einsatz zuschaltbarer
Lasten Eine Sonderregelung für zuschaltbare Lasten enthält
Eine Vereinbarung über den Einsatz des elektrischen § 13 Abs. 6a EnWG. ÜNB können mit Betreibern von KWK-
Verdichters als zuschaltbarer Last, die einen finanziellen Anlagen vertragliche Vereinbarungen zur Reduzierung
Anreiz für den Betreiber schafft, könnte als marktbezo- der Wirkleistungseinspeisung aus der KWK-Anlage und
gene Maßnahme des Verteilernetzbetreibers nach § 13 gleichzeitigen Lieferung von elektrischer Energie für
Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 14 Abs. 1 EnWG erfolgen. Diese grund- die Aufrechterhaltung der Wärmeversorgung schließen.
legende Vorschrift berechtigt und verpflichtet den Netz- Die Vorschrift kombiniert Regelungen zum Erzeugungs-
betreiber bei einer Gefährdung oder Störung des Elektrizi- management von KWK-Anlagen und Lastmanagement
tätsversorgungssystems Maßnahmen zu ergreifen. Hierzu in Form elektrischer Wärmeerzeugung als zuschaltbarer
gehören insbesondere der Einsatz von Regelenergie, Last. Diese Regelung soll die Möglichkeit eröffnen, ver-
vertraglich vereinbarte abschaltbare und zuschaltbare stärkt zuschaltbare Lasten ins Netzengpassregime ein-
Lasten, Information über Engpässe und das Management zubinden. Bisher hat § 13 Abs. 6a EnWG praktisch keine
von Engpässen. Eine Gefährdung der Sicherheit und Rolle gespielt, 50Hertz Transmission hat Ende 2019 und
Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems liegt Anfang 2020 erste Verträge mit KWK-Anlagenbetreibern
nach § 13 Abs. 4 EnWG vor, wenn örtliche Ausfälle des geschlossen.
Übertragungsnetzes oder kurzfristige Netzengpässe zu
besorgen sind oder die Haltung von Frequenz, Spannung 1.2. Anwendbarkeit auf Verteilernetzbetreiber
oder Stabilität durch den Übertragungsnetzbetreiber Gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 EnWG sind die – unmittelbar nur
nicht im erforderlichen Maße gewährleistet werden kann. für ÜNB geltenden – §§ 12, 13 bis 13c EnWG und die auf
Grundlage des § 13i Abs. 3 EnWG erlassenen Rechtsver-
1.1. Regelungen zu zuschaltbaren Lasten für ÜNB ordnungen für VNB im Rahmen ihrer Verteilungsaufgaben
Als mögliche Maßnahme der ÜNB benennt § 13 Abs. 1 Nr. 2 entsprechend anzuwenden, soweit sie für die Sicherheit
EnWG ausdrücklich die Vereinbarung (abschaltbarer oder) und Zuverlässigkeit der Elektrizitätsversorgung in ihrem
zuschaltbarer Lasten. Die vertragliche Vereinbarung wird Netz verantwortlich sind. Grundsätzlich findet damit die
im Regelfall eine Vergütung für deren Vorhaltung und allgemeine Regelung zur Kontrahierung zuschaltbarer
Einsatz vorsehen. Bewegt sich die Vergütungszahlung im Lasten nach § 13 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6 EnWG auch für VNB
Rahmen eines effizienten Netzbetriebs, kann sie über die Anwendung.
Netzentgelte auf die Netznutzer umgelegt werden.
AP 08
die Beschaffung von Treibenergie ausdrücklich als (vola- sind. Insoweit sind zum einen die für VNB geltenden Ent-
tile) Netzkosten anerkennt, und durch die Festlegung flechtungsanforderungen zu berücksichtigen. So müssen
einer Betriebskostenpauschale für Erdgasverdichter im vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen
Rahmen der Genehmigung von Investitionsmaßnahmen nach § 7 EnWG allgemein sicherzustellen, dass mit ihnen
nach § 23 ARegV. Im Rahmen der Entflechtungsvor- verbundene VNB hinsichtlich ihrer Rechtsform unab-
schriften ergibt sich zudem allgemein aus § 10e Abs. 6 hängig von anderen Tätigkeitsbereichen der Energiever-
S. 3 Nr. 3 EnWG, dass der Erwerb von Energie, die für den sorgung sind (rechtliche Entflechtung). Daher muss sich
Betrieb des Transportnetzes erforderlich ist, durch einen das Netz jedenfalls in den Händen einer anderen Gesell-
ITO zulässig ist. Davon zu trennen ist die Frage, ob FNB schaft als der Erzeugungs- und/oder Vertriebssparte
Flexibilität für Stromnetzbetreiber zur Verfügung stellen befinden. Die Vorschrift könnte weitergehend aber auch
dürfen (s. u.). dahin verstanden werden, dass ein solcher VNB keinerlei
sonstige Tätigkeiten im Bereich der Energieversorgung
2.2. Vermarktung des elektrischen Verdichters als (nicht also nur im Bereich der Erzeugung oder des Ver-
zuschaltbare Last triebs von Energie) ausüben darf. Die Auslegung des § 7
EnWG ist insoweit nicht abschließend geklärt. Sollte die
2.2.1. Einschränkungen von ITO-Tätigkeiten außerhalb Norm jedoch in diesem weitergehenden Sinne ausgelegt
des Gasnetzbetriebs werden, so müsste die Wertung – erst recht – im Rahmen
Die für das ITO-Modell geltenden Entflechtungsvorschrif- der §§ 10 ff. EnWG berücksichtigt werden. Denn die §§ 10
ten sehen eine strenge Trennung des ITO von anderen ff. EnWG zielen darauf, verschärfte Entflechtungsanfor-
Teilen des vertikal integrierten Energieversorgungsunter- derungen für Transportnetzbetreiber im Vergleich zu der
nehmens vor. Rechtslage für VNB aufzustellen.
Nach den dargestellten Überlegungen ist im Ergebnis Darüber hinaus erscheint aus Perspektive konkurrieren-
nicht auszuschließen, dass weitergehende Beschränkun- der Anbieter von Netzdienstleistungen für das Stromver-
gen der zulässigen Tätigkeiten eines ITO außerhalb des teilernetz fraglich, ob die Finanzierung der Kosten des
Gasnetzbetriebs – über die Bereiche Erzeugung, Vertei- elektrischen Verdichters über die Gasnetzentgelte einen
lung, Lieferung oder Kauf von Energie hinaus – bestehen. unzulässigen Wettbewerbsvorteil begründet. Konkurrie-
Diese Frage ist allerdings nicht abschließend geklärt. rende Anbieter zuschaltbarer Lasten können etwa Indus-
Daher ist die Möglichkeit entflechtungsrechtlicher Gren- trie- oder Gewerbebetriebe oder Betreiber von Strom-
zen weiter zu vertiefen. speichern sein. Auch solche konkurrierenden Anbieter
von Netzdienstleistungen werden die Kapitalkosten
2.2.2. Gefahr einer Wettbewerbsbehinderung der von ihnen eingesetzten Anlagen häufig vollständig
Die Entflechtungsvorschriften dienen im Wesentlichen aus anderen Einnahmen decken, sodass es an einem
dazu, die Gefahr einer Wettbewerbsbehinderung durch Wettbewerbsvorteil für den Gasnetzbetreiber fehlt. Ein
Ausnutzung des natürlichen Monopols des Netzbetreibers Wettbewerbsvorteil ergibt sich nur gegenüber solchen
auszuschließen. Selbst wenn man weiterreichende ent- konkurrierenden Anbietern von Netzdienstleistungen, die
flechtungsrechtliche Grenzen der zulässigen Tätigkeiten hieraus einen zusätzlichen Deckungsbeitrag erwirtschaf-
eines Gas-ITO außerhalb des Gasnetzbetriebs grundsätz- ten müssen. Die Abdeckung der Kapitalkosten des elek-
lich anerkennt, so setzen diese daher voraus, dass eine trischen Verdichters über die Gasnetzentgelte stellt sich
derartige Gefahr der Wettbewerbsbehinderung denkbar insoweit aber nicht als unzulässiger Wettbewerbsvorteil
erscheint. Vorliegend kommt in Betracht, dass der ITO des ITO dar, wenn die Kostenzuordnung zum Gasnetz aus
bei der Erbringung von Netzdienstleistungen unzulässige den oben genannten Gründen gerechtfertigt ist.
Wettbewerbsvorteile genießen könnte, weil er die Kosten
des elektrischen Verdichters über die Gasnetzentgelte Im Ergebnis sprechen überwiegende Gründe gegen die
umlegen kann, während konkurrierenden Anbietern von Annahme, dass die Geltendmachung der Kosten des
Netzdienstleistungen eine solche Finanzierungsmöglich- elektrischen Verdichters über die Gasnetzentgelte einen
keit nicht zur Verfügung steht. Für die weitere Prüfung unzulässigen Wettbewerbsvorteil begründet.
wird insoweit unterstellt, dass der ITO die Kosten des
elektrischen Verdichters vollständig als Gasnetzkosten 3. Kostenanerkennung in der Anreizregulierung
geltend machen kann. Die Vermarktung des elektrischen Verdichters als
zuschaltbare Last wird maßgeblich durch die Anerken-
Bei der Prüfung, ob eine relevante Wettbewerbsbehin- nung der entstehenden Kosten als Netzkosten beein-
derung vorliegt, ist zunächst zu bedenken, dass die Ver- flusst. Zu klären ist einerseits die Berücksichtigung der
marktung des elektrischen Verdichters als zuschaltbare Kosten des elektrischen Verdichters als Gasnetzkosten,
Last zwar als solche eine Tätigkeit außerhalb des Gas- und zwar insbesondere bei Einsatz als zuschaltbare Last
netzbetriebs darstellt, dass der Einsatz des Verdichters für das Stromverteilernetz (unten 3.1.). Zum anderen ist zu
aber für den Gasnetzbetrieb erfolgt. Insofern entspricht prüfen, ob die Vergütung für den Einsatz des elektrischen
die Zuordnung der Kosten des elektrischen Verdichters Verdichters als zuschaltbare Last den Kosten des Strom-
zum Gasnetz dem gesetzlichen Grundkonzept, wonach verteilernetzes zuzuordnen ist (unten 3.2.).
Kosten des Gasnetzbetriebs den Gasnetzkosten zuzuord-
nen und von den Gasnetznutzern zu tragen sind. Dieses 3.1. Kosten des elektrischen Verdichters als Gasnetz-
Konzept erscheint zudem dann besonders naheliegend, kosten
wenn der Gasnetzbetreiber – wie im vorliegenden Fall Die Kosten für den Einsatz eines elektrischen Verdichters
– den elektrischen Verdichter unabhängig von der Ver- sind grundsätzlich den Kosten des Gasnetzbetriebs zuzu-
AP 08
die den Gasnetzbetreibern aus der Förderung der Biogas- 6 EnWG i. V. m. § 5 SINTEG-V. Wie bereits angesprochen,
einspeisung in das Erdgasnetz entstehenden Kosten voll- können die Kosten für die Vergütung marktbezogener
ständig auf die Gasnetznutzer umgelegt werden. Insoweit Maßnahmen, wenn sie sich im Rahmen eines effizienten
wurde angeregt, aus Gründen der Verursachungsgerech- Netzbetriebs halten, über die Netzentgelte umgelegt
tigkeit einen Teil der Kosten den Stromnetznutzern auf- werden (oben 1.). Vergütungszahlungen für den Ein-
zuerlegen, weil das Stromnetz im Falle von Synthesegas satz zuschaltbarer Lasten sind damit grundsätzlich den
aus Power-to-Gas-Verfahren (Biogas gemäß § 3 Nr. 10c Stromnetzkosten zuzuordnen.
EnWG) entlastet werde und daher die Stromnetznutzer
wirtschaftlich profitierten. Die Kostentragung durch die Fraglich erscheint im Falle zuschaltbarer Lasten vor allem,
Gasnetzbetreiber wird insoweit jedoch nicht in Zweifel inwieweit diese den Effizienzanforderungen genügen.
gezogen und auch eine Gesetzesänderung wurde nicht Voraussetzung ist jedenfalls, dass die zuschaltbare Last
vorgenommen. einen Zusatznutzen für das Stromnetz bietet, also nicht
ohnehin eingesetzt worden wäre. Die restriktive Fassung
Die Kostenanerkennung unterliegt grundsätzlich aller- der geltenden Vorschriften kann auch als Ausdruck des
dings den Effizienzanforderungen nach § 21 Abs. 2 EnWG, Bestrebens angesehen werden, Gestaltungsmöglichkei-
§§ 4 ff. GasNEV. Insoweit ist zu berücksichtigen, wie sich ten auszuschließen, mit denen eine Vergütung für den
der Einsatz des elektrischen Verdichters auf die Gasnetz- Einsatz von Lasten erzielt werden soll, die auch ohne
kosten auswirkt. Dabei entspricht es der Zuordnung der Vergütungszahlung eingesetzt worden wären. Besonders
Kosten für den elektrischen Verdichter zu den Gasnetz- deutlich wird dies im Falle des § 9 SINTEG-V, der den Ein-
kosten, im Gegenzug auch die erzielten Erlöse aus der satz zuschaltbarer Lasten zur Vermeidung von Einspeise-
Vermarktung als zuschaltbare Last dem Gasnetz zuzuord- management davon abhängig macht, dass die zusätzlich
nen und gemäß § 9 GasNEV kostenmindernd zu berück- eingesetzte Last ausschließlich in der Zeit der Anforde-
sichtigen. Der Einsatz des elektrischen Verdichters muss rung zum Einspeisemanagement eingesetzt wird, dass sie
AP 08
AUTOREN: PROF. DR. HARTMUT WEYER UND THORE IVERSEN mente des Engpassmanagements dargestellt und unter-
(TU CLAUSTHAL) sucht, inwieweit ein Flexmarkt auf dieser rechtlichen
Grundlage durchgeführt werden kann.
AP 08
gangenen Einnahmen 1 % der Einnahmen des Jahres, Vorschriften des EnWG für Teilnehmer des SINTEG-
werden sie in voller Höhe ausgeglichen. Programms zu bestimmen. Weitere Ermächtigungsgrund-
lagen ergeben sich aus § 65 Nr. 6 EEG 2017 und § 33 Abs. 1
Inzwischen sieht Art. 13 Abs. 7 Elektrizitätsbinnenmarkt- Nr. 3 KWKG. Die Abweichungsmöglichkeiten sind bewusst
verordnung für Betreiber von Erzeugungsanlagen bei restriktiv ausgestaltet, um Wettbewerbsverzerrungen zu
einem nicht marktbasierten Redispatch einen weiter- vermeiden. Sie dienen ausdrücklich dem Erkenntnisge-
gehenden finanziellen Ausgleich vor. Mit unmittelbarer winn und sind nicht als Präjudiz für die künftige Rechts-
Geltung dieser Vorschrift seit dem 01.01.2020 wird daher entwicklung zu verstehen.
in der Praxis offenbar ein vollständiger finanzieller Aus-
gleich gewährt. 2.1. Instrumente der SINTEG-V
Nach § 5 SINTEG-V kann für die Projektdurchführung auf
Die Privilegierung von Strom aus EE-Anlagen, Grubengas eine gemeinsame Internetplattform aller VNB zur Kon-
und hocheffizienten KWK-Anlagen in Form des Einspeise- trahierung von abschaltbaren und zuschaltbaren Lasten
vorrangs wirkt sich einschränkend auf die Maßnahmen verzichtet werden, sodass der Koordinationsaufwand
der Netzbetreiber aus. Auch während des Engpass- erheblich reduziert wird.
managements sind die Netzbetreiber verpflichtet, die
größtmögliche Menge an EE-Strom abzunehmen, sodass Weiter ermöglichen §§ 6-12 SINTEG-V die Erstattung
Maßnahmen gegenüber privilegierten Anlagen nur nach- wirtschaftlicher Nachteile, die sich aus einer Projekt-
rangig zulässig sind. teilnahme ergeben können. Dies betrifft z. B. die Netz-
entgelte von Letztverbrauchern oder die Reduktion von
Netzentgelten und EEG-Umlage für Stromspeicher.
Im Vergleich zur allgemeinen Rechtslage ermöglicht die Mit dem NABEG 2.0 wird der Redispatch auf nationaler
SINTEG-V dennoch eine verbesserte Umsetzung des Flex- Ebene neu geregelt. Künftig sind alle Anlagen mit einer
markt-Konzepts, wobei nur Teilnehmer der SINTEG-Pro- Wirkleistung ab 100 kW unabhängig von der Erzeugungs-
jekte in ausgewählten Situationen von den Erleichterun- technologie einzubeziehen, sowie kleinere Anlagen, die
gen profitieren. Die SINTEG-V erleichtert zum einen die durch den Netzbetreiber jederzeit fernsteuerbar sind. Die
Beschaffung von Lasten, indem auf das Erfordernis einer Auswahl der heranzuziehenden Anlage erfolgt nach dem
gemeinsamen Internetplattform der VNB verzichtet wird. Kriterium der Kosteneffizienz, wobei EE- und KWK-Anlagen
Zum anderen erleichtert der Ausgleich wirtschaftlicher durch einen fiktiven Wert im Kostenvergleich weiterhin in
Nachteile die Beteiligung am Flexmarkt. Im Ergebnis gewissem Umfang privilegiert werden. Ein Redispatch von
bringt die SINTEG-V innerhalb ihres Anwendungsbereichs EE- und KWK-Anlagen ist nur dann möglich, wenn ein Viel-
erhebliche Verbesserungen vor allem für die Teilnahme faches an konventioneller Erzeugung abgeregelt werden
von Lasten an einem Flexmarkt. müsste, um die zusätzliche Menge EE-Strom einsparen
zu können. Ein Vielfaches ist gegeben, wenn in der Regel
3. Rechtliche Grenzen des Flexmarkts nach Clean mindestens das Fünffache, höchstens das Fünfzehnfache
Energy Package und NABEG 2.0 an Reduzierung der Erzeugung nicht vorrangberechtigter
Während der Projektdurchführung sind auf europäischer Anlagen ersetzt werden kann. Den genauen Faktor muss
und nationaler Ebene neue Rechtsakte verabschiedet die Bundesnetzagentur noch bestimmen.
worden und teilweise in Kraft getreten, die eine Umsetz-
barkeit des Flexmarkts berühren. 3.2. Auswirkungen auf das Flexmarkt-Konzept
Die Regelung der ElektrizitätsbinnenmarktVO kommt einer
3.1. Instrumente nach Clean Energy Package und marktbasierten Beschaffung von Flexibilität grundsätz-
NABEG 2.0 lich entgegen. Die Verordnung lässt aber ausnahmsweise
Die neue Elektrizitätsbinnenmarktverordnung (Elektri- einen nicht marktbasierten Redispatch zu, sofern auf-
zitätsbinnenmarktVO) enthält unter anderem Vorgaben grund der geringen Anzahl von Anlagen innerhalb eines
zum Redispatch der Erzeugung und Laststeuerung. Der Gebiets ein wirksamer Wettbewerb nicht sicherzustellen
Redispatch muss auf Grundlage objektiver, transparen- ist oder wenn aufgrund der Vorhersehbarkeit von Eng-
ter und diskriminierungsfreier Kriterien erfolgen, Art. pässen regelmäßig mit einem strategischen Bietverhalten
13 Abs. 1 EltVO. Einbezogen sind alle Erzeugungstech- zu rechnen ist, das die Engpasslage verschlechtern würde.
nologien, wobei die konkreten Anlagen grundsätzlich
marktbasiert ausgewählt und finanziell vergütet werden Die ElektrizitätsbinnenmarktRL verpflichtet den Gesetz-
müssen. Ein nicht marktbasierter Redispatch darf dann geber, einen gesetzlichen Rahmen zur Flexibilitätsbe-
erfolgen, wenn keine marktbasierte Alternative verfüg- schaffung für VNB zu schaffen. Die Richtlinie ermöglicht
bar ist oder alle verfügbaren marktbasierten Ressourcen jedoch auch Einschränkungen und den Ausschluss von
bereits eingesetzt sind. Ferner ist eine Abweichung vom einer marktbasierten Beschaffung, wenn die Regulie-
marktbasierten Redispatch möglich, wenn die Anzahl der rungsbehörden festgelegt haben, dass diese wirtschaft-
verfügbaren Anlagen zu gering ist, um einen wirksamen lich nicht effizient ist oder dass eine solche Beschaffung
Wettbewerb sicherzustellen oder die aktuelle Netzsitua- zu schwerwiegenden Marktverzerrungen oder zu stärke-
tion derart vorhersehbar macht, dass ein marktbasierter ren Engpässen führen würde.
4. Zusammenfassung
Nach der derzeitigen allgemeinen Rechtslage stößt die
Umsetzung eines Flexmarkts auf erhebliche Hindernisse.
AP 08
verändert und in wesentlichen Punkten sogar zusätzlich
eingeschränkt:
AUTOREN: SIMON ALBRECHT UND JENS STRÜKER (HOCH- xibilität vermarktet werden und konkret Geräte zu aktiven
SCHULE FRESENIUS) Marktteilnehmern werden sollen. In den großen Demons-
trationsprojekten in New York hingegen behält der Ver-
teilnetzbetreiber zwar die Rolle des Distribution System
Ziel Plattform Providers (DSPP) und Stromlieferanten, aber
Das Ziel dieses Lösungsartefakts war die Ableitung und Flexibilitätsdienstleister bieten in einen lokalen Flex-
Übertragung von Erkenntnissen aus den experimentellen markt (was einer quasi Teilderegulierung gleichkommt).
Energiereformen in New York State (NY) und Kalifornien
(CA) für die Einbindung von dezentralen Flexibilitäten in Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle von Energie-
der enera Region. Besonders die Transformationsbestre- versorgern
bungen in New York weisen Schnittmengen zu enera auf, In den USA existieren in vielen Bundesstaaten vertikal
da dort in einem Bottom-up-Ansatz ein ordnungspoli- integrierte Versorger. Die Endkunden (sowohl Haus-
tischer Rahmen bzw. Freiraum gesetzt wird, in dem ein halte als auch Unternehmen) können in diesen Staaten
(integrierter) Versorger Märkte für Flexibilitäten, Lasten Stromlieferanten daher nicht frei wählen. Im Rahmen der
und Dienstleistungen schafft. Reformen in New York wird nun folgende Fragestellung
diskutiert: Wenn DSPPs Kommunikation und Geräte-
Methode anbindungen der DERs übernehmen und verantworten,
Nach Literaturrecherche zu den in New York und dann ist zu fragen, ob diese Leistung nicht auch über den
Kalifornien verwendeten Informationssystemen und dem Markt erbracht werden kann.
Status quo der Projektregionen wurden Fragestellungen
für die jeweiligen Demonstrationsprojekte erarbeitet. Was haben die Reformen zum aktuellen zeitpunkt tat-
Nach Identifikation von Key-Informants aus teilnehmen- sächlich erreicht?
den Organisationen, wie z. B. Leap, ConEdison, GridPlus, Es wurden Teilerfolge erreicht: In Kalifornien haben sich
LO3 Energy oder Consensys, wurden in semi-struktu- der Demand-Response-Auktionsmechanismus (DRAM)
rierten Interviews aktuelle Erkenntnisse aus laufenden und die Portfoliosteuerung als effizient und effektiv
Demonstrationsprojekten in Erfahrung gebracht. erwiesen und so konnten Systemdienstleistungskosten
gesenkt werden. Außergewöhnlich sind die niedrigen
Hintergrund Präqualifizierungshürden. Die REV-Demonstrations-
Wie in Deutschland ist auch in den USA ein deutlicher projekte mit neuen Rollen für DSOs können noch nicht
Trend zur verteilten Energieerzeugung sowie zum Eigen- final beurteilt werden, da noch keine Daten veröffentlicht
verbrauch von erzeugtem Strom bei Haushalten und wurden.
Unternehmen zu beobachten. Regulierungsreformen
suchen daher nach Ansätzen, um die Finanzierung der Verbindung zu Deutschland
Stromnetze sicherzustellen. Die Marktöffnung für und Integration von kleinen Erzeu-
gern, Lasten und Batterien ist eine internationale Her-
New York State, Kalifornien und Texas versuchen konse- ausforderung. Als gemeinsamer Nenner zum jetzigen
quent und auf unterschiedliche Weise verteilte Energie- Zeitpunkt erscheint die notwendige Identifizierung durch
anlagen (DERs) konstruktiv als Teil der Lösung und nicht Verteilnetzbetreiber. Dieser muss wissen, wer wann
als Problem zu sehen. Der US-Bundesstaat Kalifornien in Netz und Markt aktiv ist (wenn auch kurzfristig). Die
diskutiert seit ca. drei Jahren wieder verstärkt über Finanzierungsfragen des Netzbetriebs bzw. der weiteren
Deregulierung. Die geschieht vor dem Hintergrund, dass Netzinvestitionen (z. B. E-Mobilität) werden sehr hetero-
verstärkt verteilte Anlagen (DERs) eingebunden und Fle- gen diskutiert.
AP 08
und Marktrollen zu gewährleisten. Weiter fehlen notwen- dardisierte Schnittstelle einen sicheren und einfachen
dige Standards und Schnittstellendefinitionen, um eine Austausch der Herkunftsnachweise zwischen einer gro-
hohe Anzahl verschiedener Geräte miteinander inter- ßen Anzahl an Akteuren. Die Notwendigkeit einer zentra-
agieren zu lassen und in Marktumgebungen einzubetten. len Instanz für die Validierung der Herkunftsnachweise
entfällt und die Ausweitung auf andere Staaten oder
Mit Blick auf die Erfahrungen aus den USA sollte in Domänen wie Logistik oder Finanzindustrie wird mög-
Deutschland ein Aufschieben und nachrangiges Behan- lich. Technisch erlaubt ein Herkunftsnachweis als Token
deln der marktlichen Integration möglichst vermieden auch eine Verrechnung mit unterschiedlichen Einheiten
werden. Als gemeinsamer Nenner besteht in beiden wie beispielsweise Kilowattstunden oder CO2-Zertifikaten.
Ländern der Bedarf nach automatisierter, sicherer und Es ist ausreichend, wenn Anlagendaten händisch oder
eindeutiger Anlagenidentifizierung durch Verteilnetz- teilautomatisiert eingegeben werden. Spezifische Anfor-
betreiber. So erfolgt beispielsweise die Anmeldung von derungen sind neben der Funktionalität einer token-
Anlagen im Marktstammdatenregister in Deutschland basierten Verrechnungseinheit das nichttransparente
als manueller, ineffizienter und inkonsistenter Prozess. Speichern von Daten mit Personenbezug gemäß DSGVO.
Daten werden redundant bei den Marktteilnehmern Diese Kriterien werden von einigen privaten, ebenso aber
vorgehalten, ohne dass eine automatisierte Synchroni- auch von öffentlichen, zugangsfreien Smart-Contract-
sierung erfolgt. Selbst nach breitem Ausrollen der Smart- Blockchains erfüllt, die optional „geheime“, das heißt
Meter-Gateway-Infrastruktur, die informationstechnisch nicht für alle einsehbare Smart Contracts (sogenannte
ein wesentliches Bindeglied zwischen Anlagen und dem Participant Privacy) mittels Zero-Knowledge-Proof-Tech-
Marktstammdatenregister sein kann, werden einzelne nologie entwickeln. Eine weitere Möglichkeit stellt die
Anlagen nicht in der Lage sein flexible Rollen in Markt- Pseudonymisierung von Kundendaten durch Abspeichern
segmenten wahrzunehmen. Diese digitale Lücke gilt es lediglich eines Verweises auf die Daten in der Blockchain
zu schließen. dar. Neben der Energy Web Chain unterstützt auch der
AUTOREN: JONAS HÖCKNER, SIMON VOSWINKEL UND CHRIS- und institutionellen Rahmenbedingungen notwendig.
TOPH WEBER (UNIVERSITÄT DUISBURG-ESSEN) Wir gehen von einem regionalen Flexibilitätsmarkt
aus, auf dem die Netzbetreiber die Flexibilität, die sie
zur Bewältigung von Engpässen benötigen, von den
Wird auf einem lokalen Flexibilitätsmarkt sowohl Flexibi- Marktteilnehmern kaufen, die ihrerseits die Fahrweise
lität aus EEG- als auch aus Nicht-EEG-Anlagen gehandelt, ihrer Anlagen an die Geschäfte anpassen, die sie auf
kann es zu einer Marktverzerrung durch die Berücksich- dem Markt tätigen. Die Teilnahme steht jeder Anlage
tigung der EEG-Subventionen als Opportunitätskosten offen, die bereits an Spotmärkten teilnehmen kann, ist
in den Geboten der Flexibilitätsanbieter kommen. Die aber nicht obligatorisch. Dazu gehören auch alle variab-
angesprochenen Subventionen fallen in Höhe der soge- len erneuerbaren Energiequellen (EE) im Rahmen des
nannten Marktprämie immer an, unabhängig davon, ob Direktvermarktungsregimes. Darüber hinaus kann jeder
eine EEG-Anlage normal einspeist oder aufgrund eines Teilnehmer Gebote frei einstellen, wobei der Markt eine
Netzengpasses runtergeregelt wird, und werden daher freie Preisbildung erlaubt. Die Anlagen stehen also im
von den Flexibilitätsvermarktern als entgangene Erlöse Wettbewerb miteinander. Der Netzbetreiber wählt die
auf dem Flexibilitätsmarkt in ihren Geboten berück- besten Optionen unter den Angeboten auf der Grundlage
sichtigt. Da die Marktprämie aber immer anfällt, stellt der Merit-Order aus. Für unsere Analyse gehen wir von
sie keinen relevanten Kostenfaktor dar. Dies kann bei der einem „naiven“ Pay-as-bid-Mechanismus aus, bei dem
Einführung eines Flexibilitätsmarkts sogar zu höheren Flexibilitäten ihre Opportunitätskosten bieten und ent-
Gesamtsystemkosten führen, als es beim Einspeise- sprechend ihrem Angebot vergütet werden.
management der Fall wäre. Um die Verzerrungen in den
Geboten von EEG-Anlagen zu vermeiden, wurde das Kon- Das Konzept der Netzampel
zept der „Side Payments“ entwickelt. Das Konzept sieht Um das komplexe Zusammenspiel zwischen Markt- und
Zahlungen außerhalb des Flexibilitätsmarkts vor, die bei Netzsphäre zu beschreiben, wurde in Deutschland ein
dem Zuschlag einer Flexibilität aus EEG-Anlagen an den Ampelkonzept vorgeschlagen. Die grüne Phase kenn-
entsprechenden Anlagenbetreiber gezahlt werden. Der zeichnet Situationen ohne verbindliche Netzbeschrän-
Umfang der Zahlungen ergibt sich durch die jeweilige kungen, sodass keine Markteingriffe des Netzbetreibers
Höhe der Marktprämie der EEG-Anlage. Dies führt dazu, erforderlich sind. Die rote Phase hingegen kennzeichnet
dass die Gebote der EEG-Anlagen nur die tatsächlich einen tatsächlichen Engpass, der ein direktes Eingreifen
relevanten Kosten widerspiegeln, das Marktergebnis des Netzbetreibers erfordert. Der deutsche Gesetzgeber
damit effizienter wird und Verzerrungen vermieden ermöglicht es den Übertragungsnetzbetreibern, diese
werden. Im Folgenden wird die Problematik der Markt- Zwangsmaßnahmen zu ergreifen und die Änderung der
verzerrung und die Einführung der Side Payments erläu- konventionellen Kraftwerkspläne zu verlangen, die sich
tert. Eine detaillierte Analyse der Side Payments und zunächst an den uneingeschränkten Marktergebnissen
die damit zusammenhängenden Implikationen für den orientieren. Wenn diese Maßnahmen ausgeschöpft sind
Flexibilitätsmarkt sind in der Veröffentlichung Höckner et und der Engpass nicht abgewendet werden konnte,
al. (2020) zu finden. können die Netzbetreiber die Einspeisung erneuerba-
rer Energien mit dem Einspeisemanagement (EinsMan)
Der Flexibilitätsmarkt als letzte Maßnahme einschränken. Die Idee hinter der
Um die Auswirkungen von Subventionen auf das Ergeb- gelben Ampel ist es, neue marktbasierte Ansätze wie
nis eines Flexibilitätsmarkts aufzuzeigen, sind Annahmen regionale Flexibilitätsmärkte zu ermöglichen, um prog-
über die Eigenschaften des Markts, das Bietverhalten nostizierte Engpässe effizient zu verhindern.
der teilnehmenden Einheiten und die regulatorischen
AP 08
ten (REinsMan) pro MWh wie folgt beschrieben werden
Insbesondere die Opportunitätskosten variabler erneu-
erbarer Energiequellen sind unbedingt zu berücksich- REinsMan = PDA - PBc + EEG = PDA - PBC + MP + MMW
tigen, da sie prinzipiell ein großes Flexibilitätspotenzial
im zukünftigen Energiesystem darstellen. Dabei kann die MP und MMW werden vom Netzbetreiber als Ausgleich
Marktprämie, die ein wichtiger Bestandteil der staatlich für entgangene Einnahmen direkt an den Anlagenbe-
garantierten Vergütung ist, Marktverzerrungen hervorru- sitzer gezahlt. Die MP wird als Ausgleich gezahlt, da die
fen und muss daher näher untersucht werden. Als Alter- Zahlung der „normalen“ MP von der tatsächlich produ-
nativen zur freiwilligen Abregelung über den Flexibilitäts- zierten Energie abhängt. Der MMW muss bezahlt werden,
markt in der gelben Ampelphase kann die grüne und rote weil der Anlageneigentümer keine Vergütung für die
Ampelphase gesehen werden. gekürzte Energie vom Direktvermarkter erhält und der
MMW somit einen entgangenen Ertrag darstellt. Die Dif-
Uneingeschränkter Betrieb (grünes Licht) ferenz aus Erlös am Day-Ahead-Markt und den Kosten für
Wenn keine Engpässe festgestellt wurden, kann eine Ausgleichsenergie verbleibt beim Direktvermarkter bzw.
EE-Anlage den gesamten erzeugten Strom ohne Ein- muss von diesem gezahlt werden.
schränkungen einspeisen. Der Direktvermarkter erhält
die Einnahmen (RNormal) aus dem Stromverkauf aufgrund Flexibilitätsmarkt (gelbes Licht)
der Direktvermarktung am Großhandelsmarkt (pDA) und Der Handel auf dem Flexibilitätsmarkt wird mit einer Vor-
zahlt den MMW an den Anlagenbesitzer aus. Zusätzlich laufzeit durchgeführt, die lang genug ist, damit die Flexi-
zahlt der Netzbetreiber für jede ins Netz eingespeiste bilitätsanbieter ihre Fahrpläne ändern und Ungleichge-
MWh eine Marktprämie an den Anlagenbesitzer, sodass wichte auf dem Intraday-Markt ausgleichen können (für
sich die Erlöse der EE-Anlage auf die garantierte EEG-Ver- den Preis PID). Wenn die EE-Anlage den Strom bereits am
gütung summieren. Day-Ahead-Spotmarkt (PDA) verkauft hat und dann erfolg-
Literaturverzeichnis
AP 08
AUTOREN: MIRKO WAHL, JULIAN SPREY, DOMINIK MILDT, untersucht. Der Fokus der Systemstudie liegt dabei auf
SIRKKA PORADA UND ALBERT MOSER (IAEW AN DER RWTH den Auswirkungen auf die Netzplanung in den Netz-
AACHEN UNIVERSITY) ebenen der Mittelspannung (MS) und Niederspannung
(NS). Es soll quantifiziert werden, inwieweit der Netzaus-
baubedarf in diesen Spannungsebenen in Deutschland
1 hintergrund und Motivation reduziert werden kann, welche Freiheitsgrade des aktiven
Im Rahmen von enera werden unterschiedliche Lösungs- Netzbetriebs dabei besonders relevant sind und wie der
ansätze zur verbesserten Integration von Erneuerbaren regulatorische Rahmen die netzplanerischen Entschei-
Energieerzeugungsanlagen (EE) untersucht, wobei ins- dungen eines Verteilnetzbetreibers beeinflusst.
besondere die Realisierung eines vorausschauenden,
aktiven Netzbetriebs sowie der Einsatz des enera Flexi- 2 Methodisches vorgehen zur Bewertung eines aktiven
bilitätsmarkts zum netzdienlichen Engpassmanagement Netzbetriebs in der Netzplanung in Deutschland
im Vordergrund stehen. Ein möglicher Vorteil des aktiven Das methodische Vorgehen der Systemstudie unter-
Verteilnetzbetriebs ist die Reduktion des Netzausbaube- teilt sich in drei wesentliche Schritte (Abbildung 2.1). In
darfs in der Mittel- und Niederspannungsebene. Dabei einem ersten Schritt werden repräsentative Netzent-
umfasst ein aktiver Verteilnetzbetrieb verschiedene netz- wicklungsszenarien und repräsentative Netzmodelle der
betriebliche Maßnahmen zur effizienteren Ausnutzung Mittel- und Niederspannungsebene generiert. Auf diese
des bestehenden Netzes, wie beispielsweise den Einsatz wird ein Netzausbauplanungsverfahren angewendet,
regelbarer Ortsnetztransformatoren oder den Einsatz um die Auswirkungen eines aktiven Netzbetriebs auf die
nachfrage- und erzeugerseitiger Flexibilität, welche der Netzplanung zu quantifizieren (Schritt 2). Mit verschie-
Netzbetreiber auf lokalen Flexibilitätsmärkten beschaf- denen Sensitivitätsrechnungen wird der Nutzen einzel-
fen kann. ner netzplanerischer Freiheitsgrade quantifiziert und in
einer betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen
In der enera Modellregion wurden die Umsetzbarkeit und Bewertung gegenübergestellt, um abschließend eine
der Nutzen eines aktiven Verteilnetzbetriebs durch Feld- Bewertung der Übertragbarkeit der enera Lösung auf die
tests und Demonstratoren gezeigt. Da die enera Modellre- gesamte deutsche Verteilnetzebene zu ermöglichen.
gion im windreichen Nordwesten Deutschlands liegt und
durch eine hohe installierte Leistung von Windenergie-
anlagen geprägt ist, sind die Demonstrationsergebnisse
jedoch nicht direkt auf andere Regionen Deutschlands
übertragbar. Verteilnetze in Deutschland sind aufgrund
ihrer zugrunde liegenden Versorgungsaufgaben, deren
zeitlicher Entwicklung sowie der unterschiedlichen Netz-
strukturen sehr heterogen. Entsprechend kann auch der
tatsächliche Nutzen eines aktiven Netzbetriebs variie-
ren. Um diesen sinnvoll bewerten zu können, müssen
weitere Regionen in Deutschland betrachtet werden. Im
Rahmen der Systemstudie des IAEW an der RWTH Aachen
University (IAEW) wird daher simulativ die Wirksamkeit
eines aktiven Verteilnetzbetriebs in Gesamtdeutschland
AUTOREN: PASCAL PFEIFER, JACOB TRAN (FGH) im Rahmen einer Systemstudie auf die modellierten
repräsentativen Netze angewandt. Die Netze unterschei-
den sich hierbei regional und in Abhängigkeit des
Die deutschen Verteilnetze sowie die zugrunde liegende betrachteten Szenarios insbesondere durch den Umfang
Versorgungsaufgabe sind sehr heterogen ausgeprägt. an Unsicherheiten zukünftiger Netzzustände sowie die
Lastintensive dicht besiedelte Regionen stehen seit verfügbaren kundenseitigen Flexibilitäten.
jeher ländlichen Regionen mit schwacher Stromnach-
frage gegenüber. Durch den gesellschaftlich motivierten Die Erstellung der synthetischen repräsentativen Verteil-
und politisch geförderten Wandel, weg von einem auf netze sowie deren Anwendung im Rahmen der System-
fossilen Energieträgern basierenden Energiesystem, ist studie werden im Folgenden näher beschrieben.
vor allem in ländlichen Regionen in den letzten Jahren
eine deutliche Zunahme installierter Leistung von Foto- Erstellung repräsentativer verteilnetzmodelle
voltaik- und Windenergieanlagen zu verzeichnen. Weiter Daten zur Topologie deutscher Verteilnetze sind Betriebs-
ist durch eine zunehmende Elektrifizierung der Wärme- geheimnisse der Netzbetreiber und deshalb nicht umfas-
und Verkehrssektoren – etwa durch Wärmepumpen und send öffentlich zugänglich. Zudem ist eine Verwendung
elektrische Kraftfahrzeuge – zukünftig regional mit einer heutiger Netzdaten als Basis der Studien, gerade vor
zunehmenden Stromnachfrage zu rechnen. Um eine dem Hintergrund der zu betrachtenden Szenarien im
übergreifende Bewertung der im Rahmen von enera ent- Zeitbereich 2030 bis 2050, nicht zielführend. Ein geeig-
wickelten konzeptionellen und technischen Lösungen zu neter Ansatz ist es deshalb, Verteilnetze synthetisch zu
ermöglichen, sind über die Modellregion hinausgehende erzeugen und dabei sowohl die Vielfältigkeit der Netze
Studien erforderlich, die die entwickelten Lösungen auf und der jeweils zugrunde liegenden Versorgungsauf-
ein gesamtdeutsches System übertragen und dabei die gabe als auch deren mögliche zukünftige Entwicklung
regionalen Besonderheiten mitberücksichtigen. abzubilden. Hierzu wurde ein Modell entwickelt, welches
öffentlich verfügbare Datensätze und Register zur Erstel-
Für die Untersuchung übergreifender Fragestellungen, lung regional aufgeschlüsselter Netzkunden und Anlagen
die netzbetriebliche Aspekte umfassen, sind Netzmodelle verwendet. Diese Daten lassen sich über eine definierte
notwendig, die neben der Netztopologie auch die Kun- Schnittstelle in Abhängigkeit des betrachteten Szenarios
denstruktur sowie deren Verhalten abbilden. Durch einen regionalspezifisch anpassen bzw. vorgeben. Um eine
Beitrag der FGH wurden deshalb auf Basis der enera realistische lokale Aufschlüsselung innerhalb eines Netz-
Szenarien des Öko-Instituts (vgl. Lösungselement „enera gebiets zu ermöglichen, werden öffentlich verfügbare
Roadmap und enera Szenarien“) repräsentative Verteil- hochaufgelöste geografische Strukturdaten ausgewertet.
netze erstellt, die wiederum durch die FGH, aber auch in Unter Anwendung eines angepassten Tourenplanungs-
enera Systemstudien der Universität Duisburg-Essen als algorithmus wird letztendlich die Netzstruktur aufgebaut
auch des Öko-Instituts, Anwendung finden. (Tran, et al., 2019).
Ein wesentlicher Beitrag der FGH im Rahmen von enera
ist die Entwicklung eines Verfahrens zur Simulation des Durch die Betrachtung weniger ausgewählter Topologien
zukünftigen Netzbetriebs aktiver MS- und NS-Netze unter und Versorgungsaufgaben ist eine Allgemeingültigkeit
Berücksichtigung einer marktseitigen Erschließung von der Systemstudie aufgrund der beschriebenen Heteroge-
Flexibilitäten (siehe auch separates Lösungselement). nität von Netz und Versorgungsaufgabe nicht gewährleis-
Um den Effekt eines aktiven Netzbetriebs für Gesamt- tet. Eine Option zur Ableitung allgemeingültiger Aussagen
deutschland zu quantifizieren und grundsätzliche Aussa- ist die Generierung und Untersuchung aller Verteilnetze.
gen abzuleiten, wurde die entwickelte Betriebssimulation Dies ist jedoch aufgrund des Umfangs – in Deutschland
Implementierung lokaler Flexibilitätsmärkte in das Joint Brennstoff- und CO2-Kosten basieren. Die Optimierung
Market Model, mit dem Ziel die Übertragbarkeit und erfolgt unter der Berücksichtigung einer Vielzahl von
den Nutzen des enera Markts zu quantifizieren Restriktionen. Angefangen von der Deckung der Strom-
und Wärmenachfrage über die Vorhaltung von Reserve
bis hin zu detaillierten technischen Restriktionen von
AUTOR: JULIAN RADEK (UNIVERSITÄT DUISBURG-ESSEN) Kraftwerken. Diese umfassen beispielsweise Start-
kosten, Mindestbetriebs- und -stillstandszeiten und
Kraft-Wärme-Kopplung. Auch der Einsatz lastseitiger
Einleitung Flexibilitäten (Demand Side Management) kann im JMM
Zur Bewertung der Übertragbarkeit und des Nutzens berechnet werden. Demand Side Management (DSM)
des enera Markts für das deutsche Stromsystem wurde ist dabei als Speicher modelliert, der im Gegensatz zu
das Strommarktmodell Joint Market Model (JMM) um die konventionellen Speichern einen negativen Füllstand
Funktionalität zur Simulation lokaler Flexibilitätsmärkte haben kann. Dies ermöglicht das zeitliche Aufschieben
erweitert. So ist es möglich, die Wechselwirkungen des von Last zur Reduktion der aktuellen Stromnachfrage. Die
enera Markts mit dem zonalen Strommarkt innerhalb Parametrisierung der DSM-Speicher erfolgt über einen
einer Modellrechnung zu untersuchen. Auch die Model- minimalen und maximalen Speicherfüllstand sowie eine
lierung der lastseitigen Flexibilitäten, denen eine wichtige Speicherleistung für die Ein- und Ausspeicherung. Die
Rolle bei der marktbasierten Behebung von Engpässen Märkte, die im JMM modelliert sind, sind der Day-Ahead-
zukommt, wurde in diesem Zuge weiterentwickelt. Basie- und Intraday-Markt, der Regelleistungsmarkt und (regio-
rend auf zwölf Szenarien1 wurde die Übertragbarkeit und nale) Wärmemärkte. Das Modell liefert automatisiert
der Nutzen des enera Markts untersucht, um zu zeigen, einen umfangreichen Output in stündlicher Auflösung zur
dass die Abregelung Erneuerbarer Energien vermindert Analyse der Ergebnisse wie beispielsweise Day-Ahead-
werden kann. und Intraday-Preise, kraftwerksscharfe Stromerzeugung,
Speicherfüllstände und Stromaustausch zwischen Markt-
Joint Market Model gebieten.
Das Joint Market Model (JMM) ist ein Strommarktmodell,
das den europäischen Strom- und Wärmemarkt abbildet. Ein Hauptmerkmal des JMM ist die rollierende Planung.
Es ist seit über zehn Jahren in Forschung und Industrie Diese ermöglicht es Unsicherheiten bei der Einspeisung
im Einsatz und hat sich in vielen Projekten des Lehrstuhls von fluktuierenden Erneuerbaren Energien (EE) und
für Energiewirtschaft der Universität Duisburg-Essen Nachfrageabweichungen einzubeziehen. Die rollierende
bewährt. Dabei wurde es stetig weiterentwickelt, um es Planung bildet außerdem stilistisch das Verhältnis zwi-
neuen Herausforderungen anzupassen. Ursprünglich schen Day-Ahead- und Intraday-Markt ab. Sie besteht
entwickelt wurde es im Projekt Wind Power Integration aus zwei Optimierungsschleifen, die abwechselnd aufein-
in Liberalised Electricity Markets und ist in der Program- ander folgen. Der Optimierungszeitraum der Day-Ahead-
miersprache GAMS (General Algebraic Modeling System) Schleife umfasst 36 Stunden und beginnt um 12 Uhr
programmiert. des ersten Tages. Hier wird das Marktergebnis für den
folgenden Tag bestimmt. Die Optimierungszeitraum der
Im Modell wird eine stündliche Dispatch-Optimierung Intraday-Schleife beträgt hingegen nur 24 Stunden und
durchgeführt, d. h., die Erzeugungseinheiten werden beginnt jeweils um 24 Uhr. So kann das Eintreffen neuer
mit dem Ziel eingesetzt, den Zielfunktionswert, also die Informationen nach Festlegung des Day-Ahead-Ergeb-
Systemkosten, zu minimieren. nisses modelliert werden und es erfolgt eine Korrektur
des Marktergebnisses am Intraday-Markt. Es können bei-
Die Systemkosten ergeben sich dabei im Wesentlichen spielsweise Kraftwerke hoch- oder heruntergeregelt wer-
aus den variablen Kosten der Stromerzeugung, die auf den oder der Stromaustausch zwischen Marktgebieten
Anwendung
Um den Nutzen und die Übertragbarkeit des enera
Markts zu quantifizieren, wurden mit dem JMM insgesamt
24 Strommarktberechnungen durchgeführt. Für die drei
Simulationsjahre 2030, 2040 und 2050 und jeweils vier
Szenarien wurden Marktsimulationen mit aktiviertem
enera Flexibilitätsmarkt gerechnet. Als Vergleich dienten
weitere zwölf Berechnungen ohne den enera Flexibili-
tätsmarkt, bei denen die Engpässe nicht marktbasiert
behoben werden konnten. Der Nutzen ergab sich somit
aus der vermiedenen Abregelung Erneuerbarer Energien
im Vergleich zum jeweiligen Referenzszenario. Weitere
interessante Kenngrößen, die durch die Marksimula-
tionen ermittelt werden konnten und zur Bewertung des
enera Markts beitragen, sind die Gesamtsystemkosten
des Optimierungszeitraums, die Engpassrenten je kriti-
schem Netzelement sowie Produzenten- und Konsumen-
tenrenten.
AUTOREN: WILKO HEITKÖTTER, DANIELLE SCHMIDT, BRUNO müssen in Zeiten von Unterdeckung konventionelle Kraft-
U. SCHYSKA, WIDED MEDJROUBI UND THOMAS VOGT (DEUT- werke einspringen. Beides führt u. a. zu einem niedrigeren
SCHES ZENTRUM FÜR LUFT- UND RAUMFAHRT E. V. (DLR) Anteil der erneuerbaren Erzeugung am Strommix, einem
INSTITUT FÜR VERNETZTE ENERGIESYSTEME, OLDENBURG) höheren Ausstoß von Treibhausgasen und hohen Kosten.
In der Literatur werden daher verschiedene Methoden
diskutiert, um Schwankungen der erneuerbaren Energien
Im Zuge der Energiewende wird ein wachsender Anteil auszugleichen. Zu den diskutierten Lösungsansätzen
zeitlich fluktuierender, erneuerbarer Energiequellen wie zählen der Einsatz von Speichern, der Ausbau des Über-
Wind- und Sonnenenergie in das europäische Energie- tragungsnetzes sowie die Installation sogenannter „sys-
system integriert. Die meteorologisch bedingte Fluk- temfreundlicher“ Windkraftanlagen.
tuation dieser Energiequellen hat zur Folge, dass die
steuerbare Umwandlung in andere Energieformen wie Doch auch die Nachfrage nach elektrischem Strom
Strom oder Wärme erschwert wird und somit dem Bedarf schwankt in der Zeit. Die gezielte Steuerung dieser
nicht im selben Umfang wie konventionelle Erzeugung Schwankungen für die Reduktion der Diskrepanz zwi-
folgen kann. Diese Diskrepanz zwischen Erzeugung und schen Erzeugung und Verbrauch wird als „demand
Verbrauch hat ungewollte Auswirkungen. Der Einsatz side management“ (DSM) bezeichnet. Dafür werden
nachfrageseitiger Flexibilitäten ist eine viel diskutierte Flexibilitäten ausgenutzt, die sich aus den technischen
Möglichkeit, um die Diskrepanz und somit diese Auswir- Eigenschaften der Verbraucher ergeben. Dazu gehören
kungen zu reduzieren. Das technische und ökonomische beispielsweise die zeitliche Verschiebung der energie-
Potenzial dieser Flexibilitäten wurde bisher nicht in intensiven Produktion von Zement und/oder Papier, von
ausreichend hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung Haushaltslasten (Waschmaschine, Spülmaschine, Kühl-
quantifiziert. schrank) oder der elektrischen Heizung von Gewerbeflä-
chen (Klobasa, 2007).
Ziel dieser Studie ist die Quantifizierung nachfragesei-
tiger Flexibilitätsoptionen in regionaler Auflösung. Die Die vorliegende Studie widmet sich ebendiesen Potenzia-
erstellten Datensätze werden frei zur Verfügung gestellt. len auf der Nachfrageseite. Mittels statistischer Metho-
den bestimmen wir das Flexibilitätspotenzial in Deutsch-
Einleitung land in hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung für
Die Energiewende ist ein Kernbestandteil der deutschen die Sektoren Haushalt, Industrie, Gewerbe/Handel/
Strategie zur Erreichung der nationalen Klimaschutzziele. Dienstleistungen (GHD), Elektromobilität und Wärme. Zur
Im Zuge dessen wird ein steigender Anteil fluktuierender, Beschreibung des ökonomischen Potenzials der Flexibili-
erneuerbarer Energiequellen erschlossen und in das tätsoptionen errechnen wir regionale Merit-Order-Kur-
bestehende Energiesystem integriert. Daraus ergeben ven der jeweils verfügbaren Flexibilitäten. Die erstellten
sich neue Herausforderungen für die Betriebsführung Datensätze sowie die verwendeten Programme sind frei
sowie neue Anforderungen an die verfügbaren Flexibili- verfügbar, da sie rein auf frei zugänglichen Datenquel-
täten und Reserven. Die potenzielle Erzeugung unterliegt len und Verfahren basieren (https://doi.org/10.5281/
nun den Gesetzen der Meteorologie. Windgeschwindig- zenodo.3988921).
keit und solare Einstrahlung als wichtigste erneuerbare
Energiequellen in Europa schwanken auf unterschiedli- Methodik
chen Zeit- und Raumskalen. In der Folge entstehen Zeiten Wir modellieren das Flexibilitätspotenzial als Speicher-
von Über- und Unterdeckung. Während Überdeckung zu Äquivalent: Für jede Lastzeitreihe wird ein Speicher mit
ungewollter Abregelung der erneuerbaren Quellen führt, zeitlich variablen Grenzen der Ein- und Ausspeicherleis-
Das Lösungselement der Roadmap hat zum Ziel, die beschreiben eine 80 % oder 95 % Reduktion der deut-
Übertragbarkeit der verschiedenen im Projekt erarbeite- schen Treibhausgasemissionen. Ergänzend dazu wurden
ten enera Lösungen über die Modellregion hinaus dar- die Szenarien enera Best-Case und enera Worst-Case
zustellen. Dafür werden die Effekte dieser Lösungen in formuliert. Diese Szenarien beschreiben eine besonders
einer möglichen deutschlandweiten Anwendung und in vorteilhafte sowie eine besonders hinderliche Entwick-
verschiedenen Zukunftsszenarien dargestellt, die im Pro- lung der Energiesysteminfrastruktur für die Anwendung
jekt entwickelt worden sind. Die deutschlandweite Ana- der enera Lösung.
lyse wird ergänzt durch eine Darstellung der praktischen
Anwendung der enera Konzepte in der Modellregion. zusammenführung verschiedener Analysen
Um die Effekte der enera Lösungen in diesen Szenarien
Übertragbarkeit der enera Lösungen darzustellen, beschreibt die enera Roadmap den Nutzen
einer deutschlandweiten Anwendung der enera Lösung
Zur Darstellung der Übertragbarkeit der enera Lösungen anhand verschiedener Indikatoren. Dazu werden die
gibt die enera Roadmap einen strukturierten Überblick Ergebnisse verschiedener modell- und szenarienbasierter
über den Nutzen einer systemweiten Anwendung des Betrachtungen der enera Lösung auf gesamtdeutscher
enera Lösungsansatzes. Sie zeigt, welchen Beitrag die Ebene gemeinsam dargestellt. Die Untersuchung der
Lösungen, die in enera entwickelt und erprobt worden enera Lösungen erfolgt durch Energiesystemmodellie-
sind, zur Energiewende leisten können, welche Vorteile rungen im Verteil- und Übertragungsnetz sowie Strom-
eine Umsetzung des enera Konzepts in einem Energie- marktmodellierungen.
system der Zukunft haben kann und in welchen Szena-
rien diese Vorteile mehr oder weniger ausgeprägt sind. Gleichzeitig wird gezeigt, dass die enera Lösung praktisch
umsetzbar ist und dabei positive Effekte entfaltet, indem
Dabei fokussiert sie sich auf enera Lösungen in den die Ergebnisse der praktischen Erprobung der enera
Bereichen Netz & Markt. Die dort erarbeiteten innovati- Konzepte zusammengefasst werden. Diese verschiede-
ven Methoden und Instrumente stehen dem Netzbetrei- nen Analysen werden in der Roadmap im Kontext der
ber der Zukunft – dem Smart Grid Operator – im Netz- Szenarien zusammengeführt.
betrieb zur Verfügung, um diesen sicherer zu gestalten,
Einspeisemanagement und Redispatch zu optimieren Abschließend werden in der Roadmap Handlungsemp-
und langfristig Netzausbaubedarf zu reduzieren. fehlungen formuliert. Diese adressieren Hürden, die eine
Umsetzung der enera Lösungsansatzes behindern. Sie
vorgehen der enera Roadmap finden sich unter anderem in der Anreizregulierung, den
enera Szenarien Stromnetzentgelte und der Netzbetreiberkoordination.
Den Rahmen für die Darstellung der enera Lösungen stel-
len die enera Szenarien dar. Die Szenarien zeigen mög- Schwerpunkte
liche Entwicklungen des zukünftigen deutschen Energie- Konzepte, die in der Roadmap dargestellt werden, sind
systems. Dazu wurden vier Zukunftsszenarien entwickelt, besonders die innovativen Methoden und Instrumente,
die gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Die Leitfrage, die dem Smart Grid Operator zur Verfügung stehen. Im
die mit Hilfe der Szenarien beantwortet werden soll, Fokus der Darstellung einer deutschlandweiten Anwen-
lautet: Wie stellen sich die enera Lösungen und deren dung stehen dabei Effekte bei der Verteilnetzplanung
Nutzen in Welten dar, die für die enera Lösung besonders und im Netzbetrieb sowie Auswirkungen auf das Über-
vorteilhaft oder hinderlich sind. tragungsnetz. Betrachtet wird auch die marktliche
Beschaffung von Flexibilität über den enera Flexibilitäts-
Dazu wurden vier verschiedene Szenarien formuliert, die markt. Wichtige Indikatoren sind die Systemkosten, Abre-
in der modellseitigen Untersuchung der enera Lösun- gelung der erneuerbaren Energien und CO2-Emissionen.
gen Anwendung fanden. Als Basisszenarien wurden die Die für die Umsetzung der enera Lösungen notwendige
Klimaschutzszenarien KS80 und KS95 verwendet. Diese Infrastruktur steht dagegen nicht im Fokus der Roadmap.
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