Sie sind auf Seite 1von 24

Steffen Patzold

Eine Hierarchie im Wandel:


Die Ausbildung einer
Metropolitanordnung
im Frankenreich
des 8. und 9. Jahrhunderts

I
m Jahr 742 oder 743 beklagte sich Bonifatius bei Papst Zacharias,
wie miserabel der Zustand der Kirche im Frankenreich sei. Die
Ursache des Verfalls lag für ihn auf der Hand: Er hatte erfahren,
daß die Franken seit mehr als 80 Jahren keinen Erzbischof mehr
gehabt, keine Synoden mehr abgehalten und deshalb auch keine Kir-
chenrechtssätze ins Gedächtnis gerufen oder neu erlassen hätten  1.
Knapp 70 Jahre später konnte Karl der Große 21 Metropoliten in
seinem Reich mit der Aufgabe betrauen, zwei Drittel seines Nachlasses
auf die Bistümer aufzuteilen  2. Die Ausbildung einer Metropolitan-
ordnung, die sich zwischen diesen beiden Daten vollzog, veränderte
die kirchliche Hierarchie im Frankenreich tiefgreifend. Von der
Me­tropolitanordnung der Merowingerzeit unterschied sich die neue
Hierarchie durch zweierlei: Die Metropoliten hatten nun vom Papst
als Zeichen ihres Ranges das Pallium zu erbeten; und sie führten
regelhaft den Titel archiepiscopus 3.

1
  Bonifatius, Epistolae, 50, Hg. M. Tangl, MGH, Epp. sel., I, Berlin, 1955, S. 82: Franci enim,
ut seniores dicunt, plus quam per tempus octuginta annorum synodum non fecerunt nec archiepisco-
pum habuerunt nec aecclesiae canonica iura alicubi fundabant vel renovabant. Die Datierung des
Schreibens ist umstritten: Für 742 sprach sich M. Tangl, „Studien zur Neuausgabe der
Bonifatius-Briefe (I. Teil)“, Neues Archiv, 40 (1916), S. 773, aus; für 743 plädierte T. Schief-
fer, Angelsachsen und Franken. Zwei Studien zur Kirchengeschichte des 8. Jahrhunderts, Wiesbaden,
1951 (Akademie der Wissenschaften und Literatur. Abhandlungen der Geistes- und sozial-
wissenschaftlichen Klasse, Jahrgang 1950, 20), S. 1467 sq., dem weitere folgten; vgl. dazu
außerdem A. Dierkens, „Superstitions, christianisme et paganisme à la fin de l’époque
mérovingienne. À propos de l’Indiculus superstitionum“, in H. Hasquin (Hg.), Magie, sorcel-
lerie, parapsychologie, Brüssel, 1984 (Laïcité. Série Recherches, 5), S. 12 sq.
2
 Der Text wird überliefert durch Einhard, Vita Karoli, Hg. O. Holder-Egger, MGH, SSrG,
25, Hannover/Leipzig, 1911, S. 38 sq.; dazu zuletzt ausführlich M. Innes, „Charlemagne’s
Will: Piety, Politics and the Imperial Succession“, English Historical Review, 112 (1997),
S. 833-855.
3
  Zusammenfassend H. Büttner, „Mission und Kirchenorganisation des Frankenreiches
bis zum Tode Karls des Großen“, in H. Beumann (Hg.), Karl der Große. Lebenswerk und Nach-

161

hama6.indd 161 20-02-2009 10:08:49


steffen patzold

Für die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Eliten und Hier­
archien erscheint die Ausformung der Metropolitanverfassung gleich
in zweierlei Hinsicht interessant: Zum einen erlauben es die Quellen
hier, zumindest ansatzweise zu beobachten, wie eine neue Hierarchie
innerhalb einer geistlichen Elite entstand. Und zum anderen gibt das
Beispiel Anlaß, grundsätzlich die Bedeutung von Hierarchien für Eli-
ten zu reflektieren. So klar Erzbischöfe im Rang über ihren Suffraga-
nen standen, so schwer fiel es den Geistlichen der früheren Karolin-
gerzeit, das Verhältnis zwischen diesen beiden Arten von Bischöfen
genau zu beschreiben – und so umstritten blieben daher lange auch
die Vorrechte der Metropoliten. Im folgenden wird der Schwerpunkt
auf dem ersten Aspekt liegen, ohne daß aber der zweite ganz über-
gangen werden soll.

1. Forschungsstand

Unser heutiges Bild von der Wiedereinführung einer Metropoli-


tanordnung ist im Kern in den Jahren um 1900 geschaffen worden,
in Frankreich maßgeblich durch Émile Lesne 4, in Deutschland durch
Albert Hauck 5. Zusammengeführt finden sich beide Sichtweisen dann
in den Dissertationen des Historikers Peter Wagner von 1917 und des

leben, t. 1 (Persönlichkeit und Geschichte), Düsseldorf, 1965, S. 480-487; F. Kempf, „Die über-
diözesane Hierarchie: Metropoliten, Primaten, Papsttum“, in Handbuch der Kirchengeschichte,
III/1 (Die mittelalterliche Kirche. Vom kirchlichen Frühmittelalter bis zur gregorianischen Reform),
Freiburg et al., 1966, S. 327-331; Id., „Primatiale und episkopal-synodale Struktur der Kirche
vor der Gregorianischen Reform“, Archivum historiae pontificae, 16 (1978), S. 27-66; Id., „Die
Eingliederung der überdiözesanen Hierarchie in das Papalsystem des kanonischen Rechts
von der gregorianischen Reform bis zu Innocenz III.“, Archivum historiae pontificae, 18
(1980), S. 58-60; T. Schieffer, „Das karolingische Großreich (751-843)“, in Handbuch der
europäischen Geschichte, t. 1 (Europa im Wandel von der Antike zum Mittelalter), Stuttgart, 1976,
S. 537 sq. und 570; A. Angenendt, Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400
bis 900, Stuttgart/Berlin/Köln, 1995 (2e Ed.), S. 276 sq. und 322; H.-W. Goetz, Europa im
frühen Mittelalter 500-1050, Stuttgart, 2003 (Handbuch der Geschichte Europas, 2), S. 217
sq.; einen guten Überblick über den Forschungsstand bietet M. Storm, Die Metropolitangewalt
der Kölner Erzbischöfe im Mittelalter bis zu Dietrich von Moers, Siegburg, 1995 (Studien zur Köl-
ner Kirchengeschichte, 29), S. 13-16.
4
 É. Lesne, La hiérarchie épiscopale, provinces, métropolitains, primats en Gaule et Germanie depuis
la réforme de saint Boniface jusqu’à la mort d’Hincmar 742-882, Lille/Paris, 1905.
5
 A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands, t. 1, Leipzig, 1898 (2e Ed.), S. 525-559; t. 2, Leip-
zig, 1900 (2e Ed.), S. 205-209, hier schon in Kenntnis von A. Sieke, Die Entwicklung des
Metropolitenwesens im Frankenreiche bis auf Bonifaz, Marburg, 1899.

162

hama6.indd 162 20-02-2009 10:08:50


die ausbildung einer metropolitanordnung im frankenreich

Theologen Joseph Wenner aus dem Jahr 1926  6. Seitdem sind zahl-
reiche Einzelfragen weiter bearbeitet worden: Vor allem die Tätigkeit
des Bonifatius und die Chronologie der Reformsynoden der 740er
Jahre  7, aber auch die spätmerowingischen „Bischofsherrschaften“,
die durch die Metropolitanordnung abgelöst wurden, sind mittler-
weile erheblich genauer bekannt 8. Zu einem neuen, unumstrittenen

6
  P. Wagner, Die geschichtliche Entwicklung der Metropolitangewalt bis zum Zeitalter der Dekreta­
lengesetzgebung, Diss. Bonn, Offenbach, 1917; J. Wenner, Die Rechtsbeziehungen der Mainzer
Metropoliten zu ihren sächsischen Suffraganbistümern bis zum Tode Aribos (1031). Ein Beitrag zur
Geschichte der Metropolitanverfassung in Deutschland, Paderborn, 1926 (Görres-Gesellschaft.
Veröffentlichungen der Sektion für Rechts- und Sozialwissenschaft, 46), bes. S. 13-42; vgl.
außerdem H. Schmidt, „Trier und Reims in ihrer verfassungsrechtlichen Entwicklung bis
zum Primatialstreit des neunten Jahrhunderts“, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsge-
schichte. Kanonistische Abteilung, 18 (1929), bes. S. 50-74; J. Heydenreich, Die Metropolitan-
gewalt der Erzbischöfe von Trier bis auf Baldewin, Marburg, 1938 (Marburger Studien zur älteren
deutschen Geschichte, II/5), S. 11-18.
7
 Nach M. Tangl („Studien zur Neuausgabe…“, op. cit., S. 772-782) war zunächst dessen
Datierung akzeptiert worden, bis Th. Schieffer (Angelsachsen und Franken…, op. cit.,
S. 1463-1471) die Debatte erneut anstieß; die Diskussion kann hier nicht nachgezeichnet
werden, vgl. aber die Beiträge von K.-U. Jäschke, „Die Gründungszeit der mitteldeutschen
Bistümer und das Jahr des Concilium Germanicum“, in H. Beumann (Hg.), Festschrift für
Walter Schlesinger, t. 2, Köln et al., 1974 (Mitteldeutsche Forschungen, 74), S. 71-136; J. Jar-
nut, „Bonifatius und die fränkischen Reformkonzilien (743-748)“, Zeitschrift der Savigny-
Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung, 96 (1979), S. 1-26; H. J. Schüssler, „Die
fränkische Reichsteilung von Vieux-Poitiers (742) und die Reform der Kirche in den Teil-
reichen Karlmanns und Pippins. Zu den Grenzen der Wirksamkeit des Bonifatius“, Francia,
13 (1985), S. 47-112; P. Speck, „Artabasdos, Bonifatius und die drei Pallia“, Zeitschrift für
Kirchengeschichte, 96 (1985), S. 179-195; sowie zuletzt ausführlich mit Plädoyer für Tangls
Frühdatierung M. Glatthaar, Bonifatius und das Sakrileg. Zur politischen Dimension eines
Rechtsbegriffs, Frankfurt am Main et al., 2004 (Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen
Geschichte, 17), S. 134-216, mit wichtigen neuen Argumenten.
8
 Vgl. E. Ewig, „Milo et eiusmodi similes“, in E. Ewig und H. Atsma (Hg.), Spätantikes und
fränkisches Gallien. Gesammelte Schriften (1952-1973), t. 2, München et. al., 1979 (Beihefte der
Francia, 3/2), S. 189-219; R. Kaiser, Bischofsherrschaft zwischen Königtum und Fürstenmacht.
Studien zur bischöflichen Stadtherrschaft im westfränkisch-französischen Reich im frühen und hohen
Mittelalter, Bonn, 1981 (Pariser Historische Studien, 17), S. 55-66; zusammenfassend: H. H.
Anton, „“Bischofsherrschaften” und “Bischofsstaaten” in Spätantike und Frühmittelalter.
Reflexionen zu ihrer Genese, Struktur und Typologie“, in Liber amicorum necnon et amicarum
für Alfred Heit, Trier, 1996 (Trierer Historische Forschungen, 28), S. 461-473; zur Auflösung
der „Bischofsherrschaften“ seit Karl Martell: F. Prinz, Klerus und Krieg im früheren Mittelalter.
Untersuchungen zur Rolle der Kirche beim Aufbau der Königsherrschaft, Stuttgart, 1971 (Mono-
graphien zur Geschichte des Mittelalters, 2), S. 64-70; J. Semmler, „Episcopi potestas und
karolingische Klosterpolitik“, in A. Borst (Hg.), Mönchtum, Episkopat und Adel zur Grün-
dungszeit des Klosters Reichenau (Vorträge und Forschungen, 20), Sigmaringen, 1974,
S. 305-395. Mit einem neuen Ansatz zuletzt B. Jussen, „Über “Bischofsherrschaften” und
die Prozeduren politisch-sozialer Umordnung in Gallien zwischen “Antike” und “Mittelal-
ter”“, Historische Zeitschrift, 260 (1995), S. 673-718.

163

hama6.indd 163 20-02-2009 10:08:50


steffen patzold

Gesamtbild der Reformen der 740er Jahre hat die Diskussion jedoch
bisher noch nicht geführt 9.
Spätestens seit Hauck und Lesne gilt nun die Wiedereinführung
der Metropolitanverfassung als ein Drama in zwei Akten mit zwei Pro-
tagonisten: In den 740er Jahren habe zunächst Bonifatius versucht,
diese Verfassung nach angelsächsischem Vorbild einzuführen, um die
fränkische Kirche von Mißständen zu reinigen und enger an Rom
anzubinden. Wie er es aus seiner Heimat kannte, habe er dazu das
Amt des Erzbischofs etablieren wollen – also eines seinen Kollegen
übergeordneten Bischofs, der regelmäßig Provinzialsynoden einbe-
rufen und den Klerus seiner Provinz kontrollieren sollte, zugleich
aber das Pallium in Rom zu erbitten hatte. Damit sollte der Erzbischof
zwei Funktionen erfüllen: Er kontrollierte den fränkischen Episkopat
und band ihn zugleich enger an den Papst. Allerdings, so Hauck und
Lesne, sei Bonifatius mit seiner Konzeption in den Jahren nach
746/747 gescheitert, und zwar nicht allein wegen des Widerstands
der fränkischen Magnaten, sondern vor allem deshalb, weil der Haus-
meier Pippin das Reformprojekt nun nicht mehr bedingungslos
unterstützte.
Erst Ende der 770er Jahre habe dann der zweite Akt des Dramas
begonnen: Karl der Große griff die früheren Reformansätze auf, habe
es aber an Nachdruck fehlen lassen, so daß es mehr als 30 Jahre dau-
erte, bis sich überall im Reich jene 21 Kirchenprovinzen ausgebildet
hätten, die Karl 811 auflistete. Etwas überspitzt lautete die ältere Sicht
also zusammengefaßt: Nach dem gescheiterten Versuch des Bonifatius
in den 740er Jahren veränderte sich die kirchliche Hierarchie seit
dem ausgehenden 8. Jahrhundert deshalb tiefgreifend, weil Karl der
Große es so wollte; sie veränderte sich jedoch nur langsam, weil sein
Wille in dieser Angelegenheit schwach war.

Dieses Bild ist in dreierlei Hinsicht problematisch.


• Die Quellen geben kaum etwas über Pippins und Karls Wünsche
und Interessen in dieser Frage preis. Ohne jede Quellengrundlage
unterstellte Hauck den Hausmeiern Pippin und Karlmann, daß sie
dem Reformprojekt des Bonifatius ihre Unterstützung entzogen hät-
ten, weil „sie sich als Leiter der fränkischen Landeskirche fühlten“;
aus Pippins Sicht habe es daher „der Erzbischöfe als Mittelsmänner

9
 Ein jüngeres Gesamtbild findet sich bei J. Semmler, „Bonifatius, die Karolinger und “die
Franken”“, in D. R. Bauer, R. Hiestand, B. Kasten und S. Lorenz (Hg.), Mönchtum. Kirche.
Herrschaft 750-1000. Festschrift für Josef Semmler, Sigmaringen, 1998, S. 3-49.

164

hama6.indd 164 20-02-2009 10:08:50


die ausbildung einer metropolitanordnung im frankenreich

zwischen ihm und den Bischöfen, oder ihm und dem Papste“ gar
nicht bedurft 10. Eine ähnliche Erklärung gab Lesne – auch er ohne
Quellenbeleg  11. Daher hat schon Theodor Schieffer dieses ältere
Erklärungsmodell nicht unerheblich modifiziert: Ihm zufolge erklärt
sich das Scheitern der Reform nicht durch das „staatliche“, gegen
Rom gewandte Interesse Pippins. Vielmehr habe der Hausmeier dem
Angelsachsen in dem Moment die Unterstützung entzogen, als der
Widerstand im fränkischen Adel gegen das Reformprojekt so sehr
wuchs, daß er für den Hausmeier selbst zur Bedrohung wurde 12. Dar-
über hinaus unterschied Schieffer unter den Gegnern der Metropo-
litanverfassung zwei Gruppen – nämlich die reformfeindlichen Teile
der fränkischen Geistlichkeit einerseits (für die exemplarisch Gewilib
von Mainz 13 und Milo von Trier stehen) und die prinzipiell reform-
willigen fränkischen Kräfte andererseits, die aber (quasi aus einem
„nationalen“ Gegensatz heraus 14) gegen den Angelsachsen Bonifatius
und seine Schüler opponiert hätten. Schieffers Erklärung ist differen-
zierter; auch ihr aber fehlt für die 740/750er Jahre eine solide Quel-
lenbasis, und man darf bezweifeln, daß nationale Gegensätze Mitte
des 8. Jahrhunderts tatsächlich die Politik im Frankenreich beeinfluß-
ten.
• Die Forschung setzt voraus, daß es schon von den 740er Jahren
an eine feste Vorstellung von „der“ Metropolitanverfassung gegeben
habe – also gewissermaßen einen fertigen Verfassungsentwurf, der
Metropolitanwürde, Pallium und Erzbischofstitel aneinanderband
und dem die Frankenherrscher nur hätten Anerkennung verschaffen
müssen. Verzichtet man auf diese unbewiesene Vorannahme, dann
ergibt sich aus den Quellen ein erheblich komplexeres Bild.

10
 A. Hauck, Kirchengeschichte…, op. cit., t. 1, S. 552.
11
 É. Lesne, La hiérarchie épiscopale…, op. cit., S. 52 sq.
12
 T. Schieffer, Angelsachsen und Franken…, op. cit., S. 1452-1463.
13
 Vgl. zu ihm jetzt aber F. Staab, „Rudi populo rudis adhuc presul. Zu den wehrhaften
Bischöfen der Zeit Karl Martells“, in J. Jarnut, U. Nonn und M. Richter (Hg.), Karl Mar-
tell in seiner Zeit, Sigmaringen, 1994 (Beihefte der Francia, 37), S. 265-275, der Gewilib ein
Stück weit rehabiliert.
14
 Vgl. T. Schieffer (Angelsachsen und Franken…, op. cit., S. 1457), der zunächst den Konflikt
zwischen fränkischen Aristokraten und den Angelsachsen herausstellt, die „Fremdlinge“
gewesen seien, dann allerdings vorsichtig formuliert: „Man könnte eine solche Reserve
gegenüber den Fremden als “national” kennzeichnen, wenn das Wort nicht im 19. Jahr-
hundert als bewußtes politisches Prinzip einen so reichen Inhalt gewonnen hätte, daß man
im Interesse der wissenschaftlichen Sauberkeit besser daran tut, es für das frühe Mittelalter
überhaupt nicht zu verwenden“.

165

hama6.indd 165 20-02-2009 10:08:50


steffen patzold

• Die Einführung einer Metropolitanordnung läßt sich nicht hinrei-


chend erklären, wenn man sie nur als einen vom Herrscher eingeleite-
ten und im Widerspiel mit dem Adel ausgefochtenen Prozeß betrachtet.
Vielmehr griffen mindestens drei Faktoren ineinander: Erstens gab es
auf zentraler Ebene vom Herrscher und von den politischen Führungs-
gruppen beratene und dann verabschiedete Grundsätze, die sich zum
Teil auch in Normtexten niedergeschlagen haben. Zweitens beeinfluß-
ten aber auch regionale Auseinandersetzungen um die hierarchische
Stellung einzelner sedes die Entwicklung. Und hinzu kam, drittens, ein
langwieriger Prozeß, der sich nur in begrenztem Maße zentral regulie-
ren ließ: Es mußte sich, zum Teil gegen die Tradition, ein neues Wis-
sen 15 über die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Metropoliten und
über ihre Position in der kirchlichen Hierarchie ausbilden. Diese drei
Faktoren – die Entscheidungen auf zentraler Ebene, die regionalen
Konkurrenzen und die Auseinandersetzung mit der Tradition – seien
im Folgenden näher betrachtet.

2. Zentrale Entscheidungen und ihre Umsetzung

2.1. Die normativen Quellen


Die normativen Grundlagen für eine neue Metropolitanordnung
wurden in den 740er Jahren gelegt: für das Reich Karlmanns 742 oder
743 im sogenannten Concilium Germanicum 16; für Pippins Herrschafts-
gebiet 744 in Soissons 17. Wahrscheinlich leitete Bonifatius außerdem 744
oder 745 eine fränkische Gesamtsynode, die ein weiteres Mal die Metro-

15
  Zu dem Begriff vgl. A. Landwehr, „Das Sichtbare sichtbar machen. Annäherungen an
“Wissen” als Kategorie historischer Forschung“, in Id. (Hg.), Geschichte(n) der Wirklichkeit.
Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte des Wissens, Augsburg, 2002 (Documenta Augustana,
11), S. 61-89; O. G. Oexle, „Was kann die Geschichtswissenschaft vom Wissen wissen?“, in
A. Landwehr (Hg.), Geschichte(n) der Wirklichkeit…, ibid., S. 31-60.
16
  Concilium Germanicum, c. 1, Hg. A. Werminghoff, MGH, Conc., II/1, Hannover/Leipzig,
1906, Nr. 1, S. 3: Et per consilium sacerdotum et optimatum meorum ordinavimus per civitates epi-
scopos et constituimus super eos archiepiscopum Bonifatium, qui est missus sancti Petri. Statuimus per
annos singulos synodum congregare, ut nobis presentibus canonum decreta et aecclesiae iura restau-
rentur, et relegio Christiana emendentur. Das spätere Concilium Liftinense (ibid., Nr. 2, S. 5-7)
bietet im überlieferten Text dagegen keine eigenen Bestimmungen zur Metropolitanord-
nung.
17
  Concilium Suessionense, c. 3, Hg. A. Werminghoff, MGH, Conc., II/1, Hannover/Leipzig,
1906, Nr. 4, S. 34: Idcirco constituimus per consilio sacerdotum et optimatum meorum et ordinavimus
per civitates legitimus episcopus et idcirco constituemus super eos archiepiscopus Abel et Ardobertum,
ut ab ipsius vel iudicia eorum de omne necessitate ecclesiastica recurrerent tam episcopi quam alius
populus.

166

hama6.indd 166 20-02-2009 10:08:51


die ausbildung einer metropolitanordnung im frankenreich

politanordnung regulierte  18. Und wohl 746 informierte sich Pippin


direkt beim Papst über das rechte Verhältnis zwischen Priestern, Chorbi-
schöfen und Metropoliten 19. Mehr noch: In Gegenwart Pippins wurden
die wichtigsten Bestimmungen zu dieser Frage nach dem Tode des Boni-
fatius noch einmal schriftlich festgehalten, nämlich im Juli 755 auf einer
Versammlung in Ver. Der dort verabschiedete Text forderte gleich zu
Beginn, daß in den einzelnen civitates Bischöfe erhoben werden 20 und
alle Bischöfe secundum canonicam institutionem denjenigen ihrer Amtsbrü-
der gehorchen sollten, die in vicem metropolitanorum eingesetzt seien 21.
Die Forschung hat diese Formulierung dahingehend interpretiert,
daß hier nicht von Metropoliten die Rede sei, sondern von gewöhn-
lichen Bischöfen, die lediglich vorläufig die Rolle von Metropoliten
übernommen hätten. Lesne sprach deshalb von „pro-métropoli-
tains“ 22, Aline Poensgen von „Vizemetropoliten“ 23, und Joseph Wen-
ner sah nur eine „provisorische Ordnung“  24. Diese Deutung dürfte
der Formulierung jedoch zu viel Gewicht beimessen: Der Text ist ins-
gesamt in ungelenkem Latein verfaßt; wahrscheinlich waren mit den
episcopi quos in vicem metropolitanorum constituimus schlicht die Bischöfe
gemeint, „die wir in das Amt von Erzbischöfen erhoben haben“. Spä-
ter ist in demselben Text jedenfalls ohne jede Einschränkung auch
von metropolitani bzw. metropolitani episcopi die Rede: Sie sollten einmal
pro Jahr, jeweils in der zweiten Jahreshälfte, zu einer Synode zusam-
menkommen  25; und sie sollten eine Art Appellationsinstanz für

18
 Akten dieser Synode sind nicht überliefert; J. Jarnut („Bonifatius…“, op. cit., S. 9-15) hat
bezweifelt, daß sie überhaupt zusammengetreten ist. Eine Zusammenschau der Quellen,
die für die Abhaltung einer weiteren Synode wohl schon 744 unter Leitung des Bonifatius
sprechen, bietet J. Semmler, „Bonifatius…“, op. cit., S. 29-35; vgl. ibid., S. 32, zu den ein-
schlägigen Beschlüssen dieser Synode in bezug auf die Metropolitanordnung.
19
  Codex Carolinus, Hg. W. Gundlach, MGH, Epp., 3, Berlin, 1892, Nr. 3, S. 480 sq.
20
  Concilium Vernense, c. 1, Hg. A. Boretius, MGH, Capit., 1, Hannover, 1883, Nr. 14, S. 33:
Ut episcopi debeant esse per singulas civitates.
21
  Concilium Vernense, c. 2, ibid., S. 33: Episcopos quos in vicem metropolitanorum constituimus, ut
ceteri episcopi ipsis in omnibus oboediant secundum canonicam institutionem, interim quod secundum
canonicam constitutionem hoc plenius emendamus.
22
 É. Lesne, La hiérarchie épiscopale…, op. cit., S. 54.
23
 A. Poensgen, Geschichtskonstruktionen des frühen Mittelalters zur Legitimierung kirchlicher
Ansprüche in Metz, Reims und Trier, Diss. Marburg, 1971, S. 12.
24
 Vgl. J. Wenner, Die Rechtsbeziehungen…, op. cit., S. 23.
25
  Concilium Vernense, c. 4, op. cit., S. 34: Ut bis in anno sinodus fiat. Prima sinodus mense primo,
quod est Martias Kalendas, ubi domnus rex iusserit, eius praesentia. Secunda sinodus Kalendas
Octubris, aut ad Suessionis vel aliubi ubi ad Martias Kalendas inter ipsos episcopos convenit; et illi
episcopi ibidem conveniant, quos modo v i c e m m e t r o p o l i t a n o r u m c o n s t i t u i m u s , et alii
episcopi vel abbates seu presbiteri, quos i p s i m e t r o p o l i t a n i aput se venire iusserint, ibidem in
ipsa secunda sinodo convenire faciant.

167

hama6.indd 167 20-02-2009 10:08:51


steffen patzold

exkommunizierte Geistliche bilden 26. Das zweite Kapitel deutet außer-


dem darauf hin, daß man 755 in der Frage der Einsetzung von
Me­tropoliten und ihres Verhältnisses zu den übrigen Bischöfen noch
weitere Verbesserungen für notwendig hielt 27.
Sofern man die Beschlüsse von Ver in dieser simplen Weise deuten
darf, entfällt der einzige Beleg aus einer n o r m a t i v e n Quelle, der
für die These sprechen könnte, Pippin habe seit der zweiten Hälfte
der 740er Jahre aus machtpolitischen Überlegungen heraus die Ein-
führung einer Metropolitanordnung hintangestellt  28. Die Bestim-
mungen von Ver bilden dann, gerade im Gegenteil, eine Brücke poli-
tischer Kontinuität, die von Bonifatius über Pippin bis hin zum Hof
Karls des Großen reichte, wo man den Text von 755 kannte, schätzte
und zitierte 29.
Im Jahr 779 riefen Karl und die Großen des Reiches im Kapitular
von Herstal 30 ins Gedächtnis, daß die suffraganii episcopi ihren Metro-
politen gemäß den kirchenrechtlichen Bestimmungen unterworfen
seien. Zudem sollten die Metropoliten die Lebensführung der
Bischöfe überwachen und, falls nötig, auch verbessern. Die Formulie-
rung läßt aufhorchen: Ganz offensichtlich gingen die Verfasser davon
aus, daß zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Metropoliten amtierten
und ihnen auch jeweils Suffragane zugeordnet waren. Im Unterschied

26
  Concilium Vernense, c. 9, op. cit., S. 35: Quod si aliquis se reclamaverit, quod iniuste sit excom-
municatus, licentiam habeat ad m e t r o p o l i t a n u m e p i s c o p u m venire, et ibidem secundum
canonicam institutionem deiudicetur; et interim suam excommunicationem custodiat. Quod si aliquis
ista omnia contempserit, et episcopus hoc minime emendare potuerit, regis iudicio exilio condamne-
tur.
27
 Vgl. oben, Anm. 21.
28
 So É. Lesne, La hiérarchie épiscopale…, op. cit., S. 52 sq.; vgl. auch A. Poensgen, Geschichts-
konstruktionen…, op. cit., S. 12.
29
  Admonitio generalis, c. 81, Hg. A. Boretius, MGH, Capit., 1, Hannover, 1883, Nr. 22,
S. 61.
30
  Zum politischen Kontext und zu den Quellen der Jahre 778/779 vgl. jetzt H. Mordek,
„Karls des Großen zweites Kapitular von Herstal und die Hungersnot der Jahre 778/779“,
Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters, 61 (2005), S. 1-52; Id., „Die Anfänge der
fränkischen Gesetzgebung für Italien“, Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und
Bibliotheken, 85 (2005), S. 1-35, hier S. 6-8; zum ersten Kapitular vgl. außerdem W. Hart-
mann, „Karl der Große und das Recht“, in P. L. Butzer, M. Kerner und W. Oberschelp
(Hg.), Karl der Große und sein Nachwirken. 1200 Jahre Kultur und Wissenschaft in Europa, t. 1
(Wissen und Weltbild), Turnhout, 1997, S. 180; die 30 erhaltenen Handschriften sind aufge-
listet bei H. Mordek, Bibliotheca capitularium regum Francorum manuscripta. Überlieferung und
Traditionszusammenhang der fränkischen Herrschererlasse, München, 1995 (MGH, Hilfsmittel,
15), S. 1081 sq. G. Brown („Introduction: The Carolingian Renaissance“, in R. McKitterick
(Hg.), Carolingian Culture: Emulation and Innovation, Cambridge, 1994, S. 17) hat vermutet,
daß eine Abschrift dieses als wichtig erachteten Textes bei Hof aufbewahrt worden sei, da
sich mehrere spätere Kapitularien auf dasjenige von Herstal berufen.

168

hama6.indd 168 20-02-2009 10:08:51


die ausbildung einer metropolitanordnung im frankenreich

zu den Bestimmungen von Soissons 744 und noch von Ver 755 findet
sich in diesem Text nämlich kein Wort mehr über die E i n s e t z u n g
von Metropoliten  31. Auf weitere Einzelfragen der Metropolitanord-
nung kamen Karl und seine Berater dann in späteren „großen“ Kapi-
tularien zu sprechen – insbesondere in der Admonitio generalis von
789 32 (nun gestützt auf die Dionysio-Hadriana) und im Frankfurter
Kapitular von 794 33.
Zusammengenommen ergibt sich folgendes Zwischenfazit: Blickt
man allein auf die erhaltenen n o r m a t i v e n Texte, die zwischen
742/743 und dem Ende des 8. Jahrhunderts im Frankenreich formu-
liert wurden, dann spricht nichts für ein Drama in zwei Akten. Statt
dessen ergibt sich das Bild eines Prozesses, der sich zwar langsam, aber
kontinuierlich vollzog. Sowohl Karlmann als auch Pippin und Karl
förderten die Neuordnung der kirchlichen Hierarchie; ein grundsätz-
licher Politikwechsel in der Frage der Einführung einer Metropoli-
tanordnung nach 747, wie ihn die Forschung seit Hauck und Lesne
postuliert hat, ist aus den normativen Quellen nicht abzulesen. Die
Bestimmungen von 779 fügen sich nahtlos zu denen von 755 und von
743/744; und es dürfte kaum Zufall, sondern bewußter Ausdruck
politischer Kontinuität sein, daß noch die Admonitio generalis von 789
eigens auf Pippins decretum von Ver aus dem Jahr 755 hinwies 34.

2.2. Die Umsetzung in die Praxis


Dürftig wird die Quellenlage, sobald man fragt, ob und wie die
zentral getroffenen Entscheidungen in die Praxis umgesetzt wurden.
Fest steht: Bonifatius selbst, der schon 732 zum Erzbischof erhoben
worden war, strebte danach, Köln als sedes zu erhalten, offenbar als
Metropole für die Provinz Germania; er scheiterte mit diesem Plan

31
  Capitulare Haristallense, c. 1, Hg. A. Boretius, MGH, Capit., 1, Hannover, 1883, Nr. 20,
S. 47: De metropolitanis, ut suffraganii episcopi eis secundum canones subiecti sint, et ea quae erga
ministerium illorum emendanda cognoscunt, libenti animo emendent atque corrigant.
32
  Admonitio generalis, c. 8, op. cit., S. 54; c. 10, ibid., S. 55; c. 13, ibid., S. 55 und c. 44, ibid.,
S. 56; zur Rolle Alkuins bei der Abfassung des Textes vgl. auch F.-C. Scheibe, „Alcuin und
die Admonitio generalis“,Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters, 14 (1958),
S. 221-229.
33
  Capitulare Francofurtense, Hg. A. Werminghoff, MGH, Conc., II/1, Hannover/Leipzig,
1906, Nr. 19 G, c. 6 (S. 166 sq.) und c. 8-9 (S. 167).
34
 Es ist zudem nicht auszuschließen, daß weitere einschlägige Normtexte zwischen 744
und 779 ausformuliert wurden, aber heute verloren sind. Zudem könnten manche Fragen
der Ausgestaltung einer Metropolitanordnung in diesem Zeitraum auch nur mündlich
verhandelt worden sein. Das Bild vom Politikwechsel nach 747 könnte deshalb auch durch
Überlieferungslücken mitbedingt sein.

169

hama6.indd 169 20-02-2009 10:08:51


steffen patzold

jedoch und mußte sich mit Mainz begnügen 35. Außerdem bat Boni-
fatius den Papst Zacharias brieflich darum, Grimo von Rouen, Abel
von Reims und Hartbert von Sens mit Pallien auszuzeichnen 36. Später
revidierte er diese Bitte allerdings – sehr zum Befremden des Papstes
– und forderte statt dessen, daß nur Grimo das Pallium erhalten
sollte  37. Die Hintergründe der zwei divergierenden Pallien-Anträge
sind ebenso unklar wie die genaue Datierung der Ereignisse 38. Nach
dem Tode des Bonifatius ist dann jedenfalls nur noch Chrodegang
von Metz in den Quellen sicher als Erzbischof bezeugt  39; und nach
dessen Hinscheiden 766 läßt sich wiederum einzig Wulchar von Sens
als Erzbischof nachweisen 40.
Dieser Befund ändert sich erst mit dem Jahr 779. Von nun an
häufen sich die Belege dafür, daß Geistliche in den Rang von Erzbi-
schöfen erhoben wurden: Wahrscheinlich richtete Karl schon 779/780
brieflich die Bitte an Papst Hadrian, die Bischöfe Tilpin von Reims
und Lul von Mainz mit dem Pallium auszuzeichnen und zu Erzbischö-
fen zu erheben. Die Übersendung des Palliums an Tilpin ist nur durch
einen – undatierten und interpolierten – Brief Hadrians  41 bezeugt,

35
 Dazu im einzelnen unten 175 sq.
36
  JW 2270 = Hg. M. Tangl, MGH…, op. cit., Nr. 57, S. 103 sq.; zur Einsetzung Hartberts
und Abels vgl. auch Concilium Suessionense, c. 3 (op. cit., S. 34, Z. 13-15), wo von Grimo
allerdings nicht die Rede ist. Grimo war Zacharias (laut ibid., S. 103, Z. 23 sq.) bereits
bekannt und dürfte deshalb zu identifizieren sein mit dem Abt Grimo von Corbie, der 741
als Gesandter Karl Martells in Rom gewesen war: Vgl. Fredegar, Chronicarum Cont., c. 22,
Hg. B. Krusch, MGH, SSrM, II/1, Hannover, 1888, S. 179, Z. 5 sq. Abel wird in der For-
schung gleichgesetzt mit jenem Scotus, der als Mönch in Lobbes lebte und von Folkuin,
Gesta abbatum Lobiensium, c. 5 und 7 (Hg. G. Waitz, MGH, SS, 4, Hannover, 1841, S. 58 sq.),
erwähnt wird. Die Identifizierung ist allerdings unsicher: Folkuin selbst hatte seinerseits
nur aus Flodoards Historia Remensis ecclesiae erfahren, daß ein Bischof Abel in Reims einge-
setzt worden sei, und identifizierte ihn lediglich aufgrund der vagen zeitlichen Überein-
stimmung mit dem Mönch seines Klosters Lobbes! Zu Hartbert vgl. J. Semmler („Bonifa-
tius…“, op. cit., S. 28, Anm. 276), der ihn mit jenem Bischof Hartbert identifiziert, der 745
dem Kloster Weißenburg Güter bei Bischofsweiler im Elsaß schenkte; sicher ist diese Iden-
tifizierung ebenfalls nicht.
37
  JW 2271 = Hg. M. Tangl, MGH…, op. cit., Nr. 58, S. 106.
38
 Vgl. dazu zuletzt J. Semmler („Bonifatius…“, op. cit., S. 34), der plausibel vermutet, daß
die Pallien zurückgezogen werden mußten, weil Abel und Hartbert für Sedes geweiht wor-
den waren, deren kanonisch erhobene Bischöfe – Rigobert von Reims und Ebbo von Sens
– noch lebten, auch wenn sie nicht in ihren civitates ansässig waren.
39
 Die einschlägigen Belege finden sich schon bei É. Lesne, La hiérarchie épiscopale…, op.
cit., S. 54, Anm. 3.
40
  Zu ihm vgl. É. Lesne, La hiérarchie épiscopale…, ibid., S. 57-61.
41
 Dazu grundlegend É. Lesne, „La lettre interpolée d’Hadrien à Tilpin“, Le Moyen Âge, 17
(1913), S. 325-351 und S. 389-413, mit Edition des Briefes auf S. 349 sq. (zu den Ereignis-
sen vgl. auch H. Schmidt, „Trier…“, op. cit., S. 37 sqq.); Hinkmar von Reims oder auch schon
sein Vorgänger Ebo könnten das Schreiben verfälscht haben.

170

hama6.indd 170 20-02-2009 10:08:52


die ausbildung einer metropolitanordnung im frankenreich

den Flodoard von Reims in seiner Historia Remensis ecclesiae überliefert


hat 42. Lul ist am 8. März 780 zum letzten Mal urkundlich als Bischof
belegt  43 und erscheint am 4. Juli 782 erstmals mit dem Titel eines
Erzbischofs in den Quellen  44. Noch in der ersten Hälfte der 780er
Jahre könnte dann auch Erminbert von Bourges mit dieser Würde
ausgezeichnet worden sein 45. Zwischen 784 und 788 folgte Angilram
von Metz; Richulf von Mainz führte spätestens seit 794 den Titel,
ebenso Magnard von Rouen; und im Jahr darauf findet sich auch
Hildebold von Köln als Erzbischof tituliert 46.
Seit Hauck und Lesne sieht die Forschung nun diesen Befund zur
Verbreitung des Erzbischofs-Titels in Zusammenhang mit derjenigen
Klage, die Bonifatius im Jahr 751 in einem Brief an Papst Zacharias
formuliert hatte: Die Franken hätten ihr einstiges Versprechen  47 de
archiepiscopis et de palleis a Romana aecclesia petendis nicht gehalten; „und
noch immer wird es aufgeschoben und hin und her erörtert“, klagte
Bonifatius, „und man weiß nicht, was davon sie zu Ende bringen wol-
len“  48. Den Bonifatius-Brief und die Verbreitung des Erzbischofs-
Titels zusammennehmend, hat die Forschung gefolgert, daß die
Reform der Metropolitanordnung in den 740er Jahren zunächst
gescheitert sei und erst Karl der Große sie seit 780 allmählich durch-
gesetzt habe.
Man wird dieses Argument jedoch hinterfragen dürfen. Bonifatius
mag enttäuscht gewesen sein über die langwierigen Diskussionen –
aber ein Beleg dafür, daß Pippin die Einführung einer Metropolitan-
ordnung auf Druck adliger Kreise zurückgestellt habe, ist die Klage
des Angelsachsen gerade nicht. Im Gegenteil, sein Schreiben belegt,

42
  Flodoard, Historia Remensis ecclesiae, lib. II, c. 13 und c. 16-17, Hg. M. Stratmann, MGH,
SS, 36, Hannover, 1998, S. 162 sq. und S. 167-169; nur ein kleiner Abschnitt des Briefes ist
auch überliefert in der Reimser Vita Rigoberti, c. 14, Hg. W. Levison, MGH, SSrM, 7, Han-
nover, 1919, S. 71.
43
  D Karl I. 129.
44
  D Karl I. 142.
45
  Codex Carolinus…, op. cit., Nr. 91, S. 628.
46
 Die Belege dazu bei A. Hauck, Kirchengeschichte…, op. cit., t. 2, S. 205; zur Metropolitan-
würde des Magnard von Rouen vgl. Capitulare Francofurtense, c. 10, op. cit., S. 167.
47
  Bonifatius hatte schon im Jahr 747 seinem angelsächsischen Amtsbruder Cuthbert von
Canterbury mitgeteilt, daß eine Synode unter seiner Leitung beschlossen habe, metropolita-
nos pallia ab illa sede querere (Bonifatius, Epistolae, 78, op. cit., S. 163).
48
  Bonifatius, Epistolae, 86, ibid., S. 193: De eo autem, quod iam preterito tempore de archiepisco-
pis et de palleis a Romana aecclesia petendis iuxta promissa Francorum sanctitati vestrae notum feci,
indulgentiam apostolicę sedis flagito, quia quod promiserunt tardantes non impleverunt; et adhuc
differtur et ventilatur; quid inde perficere voluerint, ignoratur. Sed mea voluntate impleta esset promis-
sio.

171

hama6.indd 171 20-02-2009 10:08:52


steffen patzold

daß auch 751 noch zentrale Fragen der Metropolitanordnung auf der
politischen Tagesordnung standen! Beachtung verdient zudem der
genaue Wortlaut des Briefes: Dort ist nämlich nicht von der Ernen-
nung von Metropoliten die Rede, sondern lediglich von archiepiscopi
und pallia. Die Analyse der normativen Quellen aber legt die Annahme
nahe, daß 751, als Bonifatius klagte, gar nicht mehr die Grundsatz-
frage der Einsetzung von Metropoliten strittig war, sondern lediglich
die weitergehende Frage, ob diese Metropoliten auch stets den Titel
archiepiscopus führen und dafür das Pallium von der römischen Kirche
erbitten sollten. Bonifatius wünschte das so 49; aber die kontinentale
Tradition war eine andere. Wer etwa in den Etymologien Isidors von
Sevilla nachschlug, der fand eine Vierteilung des bischöflichen ordo
– in Patriarchen, Erzbischöfe (archiepiscopi), Metropoliten (metropoli-
tani) und Bischöfe  50. Die archiepiscopi übten laut Isidor ein apostoli-
sches Vikariat aus und waren sowohl den metropolitani als auch den
übrigen Bischöfen übergeordnet; die Metropoliten dagegen standen
lediglich den Bischöfen ihrer jeweiligen provincia vor 51. Wäre es nicht
denkbar, daß reformwillige Geistliche um Pippin seit den 740er Jah-
ren ein solches Modell bevorzugten? Auf diese Weise ließe sich jeden-
falls zwanglos der Bericht der Synode von Ver 755 über die Einsetzung
von m e h r e r e n M e t r o p o l i t e n in Einklang bringen mit der Tat-
sache, daß in den Quellen der Folgezeit dann jeweils nur e i n E r z -
b i s c h o f im Frankenreich nachweisbar ist.
Vor diesem Hintergrund läßt sich die These eines Politikwechsels
im Jahr 747 auch nicht dadurch stützen, daß man die nachweisbaren
Ernennungen von archiepiscopi auflistet. Zum einen ist ein solches
argumentum e silentio angesichts der Quellenarmut in der Mitte des 8.
Jahrhunderts ohnehin fragwürdig. Unsere Quellen ergeben für diese
Zeit kein detailliertes Bild von der Geschichte der Bistümer Reims,
Sens, Rouen und Bourges. Für Reims bieten erst spätkarolingische
Texte, namentlich die um 890 verfaßte Vita Rigoberti und Flodoards

49
 Vgl. seinen Brief an Cuthbert von Canterbury (Bonifatius, Epistolae, 78, ibid., S. 163 sq.),
demzufolge eine Synode unter seiner Leitung (744 oder 745) gerade dies beschlossen
hatte; in dem Schreiben verwendet Bonifatius zudem die Wörter archiepiscopus und metropo-
litanus geradezu wie Synonyme.
50
  Isidor, Etymologiae, lib. VII, c. 12, 4, Hg. W. M. Lindsay, I, Oxford, 1911: Ordo episcoporum
quadripertitus est, id est in patriarchis, archiepiscopis, metropolitanis atque episcopis.
51
  Isidor, Etymologiae, lib. VII, c. 12, 6-7: Archiepiscopus Graeco vocabulo quod sit summus episco-
porum. Tenet enim vicem apostolicam et praesidet tam metropolitanis quam episcopis ceteris. Metropo-
litani autem a mensura civitatum vocati. Singulis enim provinciis praeeminent, quorum auctoritati
et doctrinae ceteri sacerdotes subiecti sunt, sine quibus nihil reliquos episcopos agere licet. Sollicitudo
enim totius provinciae ipsis commissa est.

172

hama6.indd 172 20-02-2009 10:08:52


die ausbildung einer metropolitanordnung im frankenreich

Reimser Kirchengeschichte aus dem 10. Jahrhundert, einigen Auf-


schluß 52; über Rouen informieren in größerem Detail erst die hagio-
graphische Literatur und die Gesta der Äbte aus Saint-Wandrille, die
wohl noch vor 830 verfaßt wurden  53. Für Sens und Bourges ist die
Überlieferungslage geradezu desolat, und dasselbe gilt für weitere
Bistümer der Zeit, zumal im Süden Galliens.
Zum anderen war der Titelgebrauch in diesen Jahren gleich in
dreierlei Hinsicht uneinheitlich: Erstens mußte ein Bischof, der als
Metropolit fungierte, nicht unbedingt das Pallium erbitten und den
Titel archiepiscopus führen – sehr zum Ärger des Bonifatius 54. Zweitens
gab es archiepiscopi, die keiner Metropole vorstanden 55. Und drittens
schließlich werden selbst diejenigen Geistlichen, die nachweislich den
Titel Erzbischof führten, in manchen Quellen auch einfach als episcopi
tituliert 56. Mit anderen Worten: Der Gebrauch des Titels archiepiscopus

52
 Vgl. oben, Anm. 42.
53
  Gesta abbatum Fontanellensium, Hg. P. Pradié, Paris, 1999 (Les classiques de l’histoire de
France au Moyen Âge, 40); zur Datierung vgl. in Auseinandersetzung mit der älteren Lite-
ratur ibid., S. XXV-XXVII, wonach der Abbatiat des Ansegis als Entstehungszeit anzusetzen
wäre. Anders I. N. Wood, „Saint-Wandrille and its Hagiography“, in I. N. Wood und G. A.
Loud (Hg.), Church and Chronicle in the Middle Ages. Essays Presented to John Taylor, London et
al., 1991, S. 4 sq., dem zufolge der Text nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt verfaßt wurde,
sondern über einen gewissen Zeitraum seit ca. 800 immer wieder weitergeführt und bear-
beitet worden ist; vorsichtig zustimmend M. Diesenberger, „Wahrnehmung und Aneigung
der Natur in den Gesta abbatum Fontanellensium“, in C. Egger und H. Weigl (Hg.), Text –
Schrift – Codex. Quellenkundliche Arbeiten aus dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung,
Wien et. al., 2000 (MIÖG, Ergänzungsband, 35), S. 13; M. Becher, „Die Chronologie der
Äbte von Saint-Wandrille in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Studien zu den Gesta
abbatum Fontanellensium“, in S. Happ und U. Nonn (Hg.), Vielfalt der Geschichte – Lernen,
Lehren und Erforschen vergangener Zeiten. Festgabe für Ingrid Heidrich zum 65. Geburtstag, Berlin,
2004, S. 27; vgl. aber die Argumente bei P. Pradié (Gesta…, ibid., S. XXIX-XXXII), die
zumindest für eine einheitliche Schlußredaktion sprechen.
54
 Vgl. oben, Anm. 48.
55
 Das gilt schon für Bonifatius, sofern man annimmt, daß Mainz nicht schon unter ihm
zur Metropole erhoben wurde; die meistzitierten Beispiele sind Angilram von Metz und
Hildebold von Köln, die den Erzbischofstitel im Zusammenhang mit ihrem Hofamt führten,
außerdem Theodulf von Orléans, dem Alkuin in einem Brief vom 4. April 801 zum Erwerb
des Palliums gratulierte und der zudem auch in einem seiner Gedichte die Auszeichnung
durch das Pallium erwähnte (Alkuin, Epistolae, 225, Hg. E. Dümmler, MGH, Epp., 4, Berlin,
1895, S. 368 sq.; Theodulf, Carmina, 72, Hg. E. Dümmler, MGH, Poet. lat., 1, Berlin, 1881,
S. 565, v. 66).
56
 So bezeichete Lul seinen Lehrer Bonifatius als presul venerandus (Bonifatius, Epistolae,
98, op. cit., S. 220); vgl. ibid., Nr. 97, S. 217 (Bonifatius als venerandus pontifex), doch könnte
dieser Brief schon vor 732, also vor der Verleihung des Palliums an Bonifatius verfaßt wor-
den sein; ein ungenannter Verfasser bezeichnete Bonifatius in einem Brief von 747/748
als episcopus noster: ibid., Nr. 79, S. 172. Chrodegang von Metz unterfertigte den Gebetsbund
von Attigny (Hg. A. Werminghoff, MGH, Conc., II/1, Hannover/Leipzig, 1906, Nr. 13,
S. 73), als Hrodegangus episcopus civitas Mettis.

173

hama6.indd 173 20-02-2009 10:08:52


steffen patzold

ist kein sicherer Indikator für die Frage, wieweit und wie schnell sich
eine Metropolitanordnung ausbildete. Ob beispielsweise Grimos
Nachfolger Reginfrid in Rouen als Metropolit fungierte  57, ist auf-
grund der überlieferten Quellen nicht zu entscheiden. Ebenso muß
die Frage offenbleiben, ob Richulf von Mainz bereits seit seinem Amts-
antritt 786 die Metropolitanwürde innehatte 58. Vor allem aber wissen
wir nicht, wer denn diejenigen metropolitani episcopi waren, die bereits
eingesetzt waren, als die Versammlung von Ver 755 tagte – während
die Anwesenden sich ja unter diesem Plural etwas vorgestellt haben
müssen. Wir können nicht einmal ausschließen, daß in der Folgezeit
weitere Metropoliten eingesetzt wurden, wie man es in Ver – dem
Wortlaut des Textes zufolge – geplant hatte 59.
Alles in allem sind daher auch die Überlieferungssplitter, die Aus-
kunft geben über die Umsetzung der zentral getroffenen Entschei-
dungen, kein sicherer Beleg für jenes Drama in zwei Akten, das Hauck
und Lesne in die Forschung eingeführt haben. Die Quellenaussagen
lassen sich vielmehr zwanglos mit jenem Bild eines langsamen, aber
kontinuierlichen Prozesses vereinbaren, das sich aus den Kapitularien
und Konzilsbeschlüssen ergibt. Was sich unter Karl dem Großen ver-
änderte, wäre aus dieser Perspektive nicht die Grundsatzentscheidung
für oder gegen die Einführung von Kirchenprovinzen und Metropo-
liten gewesen. Veränderung hätte es vielmehr in zwei anderen Punk-
ten gegeben: Zum einen bildete sich jetzt erst – und auch jetzt nur
sehr allmählich – jene Verbindung von Metropolitenamt, Erzbischofs­
titel und Pallium heraus, die im 9. Jahrhundert selbstverständlich
werden sollte; und zum anderen wurde erst jetzt systematisch für das
gesamte Reich geklärt, welche Bistümer Metropolitansitze werden
und welche Grenzen ihre Kirchenprovinzen jeweils haben sollten.
Schon Eugen Ewig hat darauf hingewiesen, daß sich bis zur Mitte des
8. Jahrhunderts erhebliche Lücken in den Bischofslisten der südli-
chen Bistümer des Frankenreichs finden  60. Es ist daher kein Zufall,
wenn in den normativen Texten dieser Zeit die Beschlüsse zur Wie-
dereinführung einer Metropolitanordnung mit der Forderung ver-
bunden werden, überhaupt wieder für alle sedes Bischöfe einzuset-

57
 Vgl. die plausible Vermutung bei H. J. Schüssler („Die fränkische Reichsteilung…“, op.
cit., S. 97), demzufolge Reginfrid zumindest bis 747 „die Position eines Metropoliten ein-
genommen“ hat.
58
 A. Hauck (Kirchengeschichte…, op. cit., t. 2, S. 207) hat das angenommen, ein Quellenbe-
leg dafür aber fehlt.
59
 Vgl. oben, Anm. 21.
60
 E. Ewig, „Milo…“, op. cit., S. 204.

174

hama6.indd 174 20-02-2009 10:08:53


die ausbildung einer metropolitanordnung im frankenreich

zen 61. In den 740er und 750er Jahren dürften die Vakanzen im Süden
noch so zahlreich gewesen sein, daß dort an die Erhebung von Metro-
politen und die Zuordnung von Suffraganen vorerst gar nicht zu den-
ken war 62.

3. Lokale Auseinandersetzungen um den Aufstieg zur


­Metropole und die Grenzen von Kirchenprovinzen

Nach dem bisher Gesagten läßt sich die lange Dauer jenes Prozes-
ses, an dessen Ende sich eine Metropolitanordnung im Frankenreich
ausgebildet hatte, nicht allein – wie Hauck und Lesne es wollten – mit
Pippins und Karls Zögerlichkeit und Desinteresse erklären. Man wird
zusätzlich bedenken müssen, daß weder die Etablierung einer neuen
Hierarchie noch die Abgrenzung von Kirchenprovinzen konsensual
zu lösen waren: Jede Entscheidung zugunsten einer sedes bedeutete
zugleich, daß andere Bistümer im Rang abgestuft und untergeordnet
wurden. Tatsächlich läßt die dürftige Überlieferung noch etliche
Streitigkeiten in diesem Zusammenhang erahnen.
Ohne Spannungen ging es schon Mitte der 740er Jahre nicht ab,
als Bonifatius versuchte, Köln in den Rang einer Metropole zu erhe-
ben. Wir wissen von dem Projekt allein aus dem Briefwechsel des
Angelsachsen mit dem Papst Zacharias. Am 31. Oktober 745 befür-
wortete Zacharias einen diesbezüglichen Beschluß, den eine Synode
im Frankenreich in Gegenwart Pippins und Karlmanns herbeigeführt
hatte. Bonifatius hatte darüber dem Papst in einem – heute verlore-
nen – Schreiben berichtet: Demnach war geplant, daß Bonifatius Zeit
seines Lebens die civitas Köln als sedes metropolitana innehabe; und
auch seine Nachfolger sollten dieses Bistum perpetuo iure als Metropole
besitzen  63. Das Projekt wurde jedoch nicht verwirklicht. Am 1. Mai

61
 So schon im Concilium Germanicum, c. 1, op. cit., S. 3; dann im Concilium Suessionense, c. 3
(op. cit., S. 34); und auch noch im Capitulare Haristallense, c. 2, op. cit., S. 47.
62
 E. Ewig, „Milo…“, op. cit., S. 204.
63
  JW 2274 = Hg. M. Tangl, MGH…, op. cit., Nr. 60, S. 121: De eo namque quod suggessisti,
quod elegerunt unam civitatem omnes Francorum principes coniungentem usque ad paganorum fines
et in partes Germanicarum gentium, ubi antea predicasti, quatenus ibi sedem metropolitanam perpetuo
tempore habere debeas et inde ceteros episcopos ad viam instrueres rectitudinis et post tui successores
perpetuo iure possideant: hoc, quod decreverunt, nos laeto suscepimus animo, eo quod ex Dei nutu
factum est. Daß sich allerdings schon zu diesem Zeitpunkt Widerstand geregt hatte, zeigt der
unmittelbar darauffolgende Kommentar des Papstes: Vel siquidem falsi sacerdotes et scismatici
hoc impedire conati sunt, quorum vanum agonem Dominus dissipabit et illa faciet stabilita, quae
sanctorum patrum statutis conveniunt concordare.

175

hama6.indd 175 20-02-2009 10:08:53


steffen patzold

wohl des Jahres 748 antwortete Zacharias auf einen weiteren verlore-
nen Brief des Bonifatius; darin hatte der Angelsachse dem Papst unter
anderem mitgeteilt, daß die Franci ihr Wort nicht gehalten hätten und
er sich nunmehr in Mainz aufhalte 64. Tatsächlich wird schon in einem
päpstlichen Schreiben vom Sommer 747 als Bischof von Köln ein
Agilolf genannt. Wichtig ist, daß dieser Geistliche offensichtlich zur
Gruppe der Reformbischöfe gehörte  65, nicht dagegen zu jenen von
Bonifatius immer wieder wegen ihrer Lebensführung getadelten
Geistlichen, die der Papst später einmal als Milo et eiusmodi similes
bezeichnete 66. Wenn Bonifatius seine Absicht, Köln zur Metropole zu
erheben, nicht durchsetzen konnte, dann stieß er in dieser Frage also
nicht nur bei den ohnehin reformfeindlichen Teilen des fränkischen
Episkopats auf Widerstand.
Spätestens seit Hauck geht die Forschung nun davon aus, daß
Mainz unter Bonifatius nicht zur Metropole erhoben worden sei. Viel-
mehr habe der Angelsachse – der ja bereits seit 732 Erzbischof war
– nur persönlich seinen Status behalten: ein Erzbischof ohne Metro-
pole 67. Ob diese scharfsinnige kirchenrechtliche Unterscheidung der
Realität der Umbruchssituation um 750 ganz gerecht wird, sei dahin-
gestellt  68. In jedem Falle aber waren der Status von Mainz und der
Umfang seiner möglichen Kirchenprovinz noch unter Lul so unbe-
stimmt, daß man dort glaubte, mit Hilfe einer Fälschung Ansprüche
begründen und durchsetzen zu können. Es hat sich ein Schreiben des
Zacharias erhalten, in dem der Papst dem Erzbischof Bonifatius und
seinen Nachfolgern Mainz als metropolis zuerkennt und ihm Lüttich,
Köln, Worms, Speyer und Utrecht unterstellt  69. Mehrere Indizien
sprechen dafür, daß ein Fälscher hierfür ein echtes Schreiben des
Papstes an Bonifatius umgearbeitet hat: eben jenen Text, mit dem der
Papst nicht Mainz, sondern Köln zur Metropole erhoben hatte. Bei
der plumpen Umarbeitung begnügte sich der Fälscher damit, jeweils
das Wort „Köln“ durch „Mainz“ zu ersetzen. Das genaue Ziel dieser
Arbeit ist allerdings nicht mehr zu erkennen: Sollte Mainz damit über-

64
  JW 2286 = Hg. M. Tangl, MGH…, ibid., Nr. 80, S. 179 sq.
65
 Vgl. JW 2287 = Hg. M. Tangl, MGH…, ibid., Nr. 82, S. 182.
66
  Zacharias lobte diese Geistlichen jedenfalls ausdrücklich und empfahl ihnen Bonifatius:
ibid., S. 182 sq.
67
 A. Hauck, Kirchengeschichte…, op. cit., t. 1, S. 550.
68
  Haucks These beruht letztlich nur darauf, daß Lul, der Nachfolger des Bonifatius, erst
von 782 an als archiepiscopus nachweisbar ist.
69
  JW 2292 = Hg. M. Tangl, MGH…, ibid., Nr. 88, S. 201 sq.; zum Folgenden vgl. die Analyse
von M. Tangl, „Studien zur Neuausgabe…“, op. cit., S. 785-788.

176

hama6.indd 176 20-02-2009 10:08:53


die ausbildung einer metropolitanordnung im frankenreich

haupt erst den Status einer Metropole erhalten? Oder ging es ledig-
lich darum, die Grenzen der Mainzer Kirchenprovinz verbindlich zu
umreißen, weil diese noch strittig waren? Wie auch immer man die
Fragen beantwortet – schon der Akt der Verfälschung an sich deutet
darauf hin, daß in den Jahren nach 754  70 die Festlegung eines
Me­tropolitansitzes und die Abgrenzung einer Kirchenprovinz für die
Germania umstritten waren.
Über Konflikte, die dieselben Fragen im Süden Galliens heraufbe-
schworen, informiert uns ein Kapitel der Frankfurter Synode von
794  71: Dort ist die Rede von einer altercatio zwischen dem Bischof
Ursio von Vienne und dem advocatus namens Elifantus, der den
Bischof von Arles vertrat. Strittig waren auch hier die Festlegung der
Metropolitansitze und der Umfang der Kirchenprovinzen. Eine
Lösung suchten die Teilnehmer der Frankfurter Synode in der Tradi-
tion, nämlich in Briefen von Päpsten des 5. und 6. Jahrhunderts. Auf
dieser Basis legten sie fest, daß sowohl Vienne als auch Arles Metro-
polen sein sollten; Vienne sollten vier Suffragane unterstehen, Arles
dagegen neun. Über die Stellung von Tarantaise, Embrun und Aix
sollte dagegen erst noch ein Urteil des Papstes eingeholt werden.
Genaueres über Verlauf und Hintergründe des Streits erfahren wir
nicht, doch zeigt die Frankfurter Bestimmung, wie schwer eine Ent-
scheidung in dieser Frage fiel: Der Rückgriff auf die Autorität des
Papstes schien notwendig.
Daß auch Trier und Metz miteinander über die Metropolitanwürde
stritten, ist durch die Forschungen Otto Gerhard Oexles und Aline
Poensgens bestens bekannt 72. Angilram von Metz bemühte sich dem-
nach nicht zuletzt dadurch um den Aufstieg seiner sedes zur Metro-
pole, daß er 784/785 Paulus Diaconus beauftragte, die Historia episco-
porum Mettensium zu verfassen. Während Lul in Mainz seine Ansprüche
durch die Verfälschung eines Papstbriefes durchzusetzen versuchte,
ließ Angilram also ein Geschichtswerk schreiben, das formal an den

70
 Die handschriftliche Überlieferung belegt, daß die Fälschung am Ende des 8. Jahrhun-
derts bereits vorlag: M. Tangl, „Studien zur Neuausgabe…“, ibid., S. 787. Auch der Umfang
der Provinz, der in dem Schreiben vorgesehen ist, paßt am ehesten in die Frühzeit Luls.
71
 Das folgende nach Capitulare Francofurtense, c. 8, op. cit., S. 167.
72
 A. Poensgen, Geschichtskonstruktionen…, op. cit., S. 23 sqq., zusammenfassend S. 70-73;
O. G. Oexle, „Die Karolinger und die Stadt des heiligen Arnulf“, Frühmittelalterliche Studien,
1 (1967), S. 250-364. D. Kempf [„Paul the Deacon’s Liber de episcopis Mettensibus and the
role of Metz in the Carolingian realm“, Journal of Medieval History, 30 (2004), S. 279-299]
kennt die Dissertation von Poensgen nicht, gelangt aber zu ähnlichen Ergebnissen, aller-
dings ohne sie in den zeitgenössischen Konflikt um die Metropolitanwürde einzuordnen.

177

hama6.indd 177 20-02-2009 10:08:53


steffen patzold

römischen Liber pontificalis angelehnt war. Die Bistumsgeschichte


führte den Lesern das hohe Alter der Metzer sedes vor Augen und
belegte in aller Klarheit die Nähe des Bistums zur Familie der Karo-
linger.
Möglicherweise hat man in Trier in den Jahren um 800 im Gegen-
zug ebenfalls das Mittel der Geschichtsschreibung genutzt, um eigene
Ansprüche zu untermauern. Die Annales Laureshamenses begründen
in einer berühmten Formulierung, auf welcher Basis Papst Leo III.
und die römische Geistlichkeit Karl zum Kaiser erhoben hätten.
Wesentlich war demnach die Tatsache, daß Karl nicht nur Rom
beherrschte, „wo stets die Kaiser sich aufzuhalten pflegten“, sondern
zudem auch alle übrigen kaiserlichen sedes innehatte, und zwar per
Italiam seu Galliam nec non et Germaniam  73. Man darf fragen, welche
sedes denn der Annalist im Auge hatte – und wird sich außer auf die
Metropolen Mailand, Ravenna und Arles auch auf Trier verwiesen
sehen 74. Wenn die Lorscher Annalen wirklich, wie Heinrich Fichten­au
vermutet hat 75, unter der Ägide von Richbod von Trier verfaßt worden
sind, dann kann man den vielzitierten Satz demnach auch als eine
selbstbewußte Hervorhebung des eigenen Status lesen: Trier war eine
alte, eine kaiserliche sedes. Das könnte ein historisches Argument im
Streit um die Metropolitanwürde gewesen sein, der jedenfalls zur
Abfassungszeit des Jahresberichts noch zwischen Metz und Trier
schwelte.

4. Metropoliten und Erzbischöfe zwischen Tradition und


neuem Wissen

Die Wiederbelebung einer Metropolitanordnung im Frankenreich


dauerte schließlich auch deshalb etliche Jahrzehnte, weil sich erst ein
neues Wissen darüber etablieren mußte, welche Bistümer Metropolen

73
  Annales Laureshamenses, a. 801, Hg. G. H. Pertz, MGH, SS, 1, Hannover, 1826, S. 38.
74
 Vgl. P. Classen [Karl der Große, das Papsttum und Byzanz. Die Begründung des karolingischen
Kaisertums. Nach dem Handexemplar des Verfassers, Sigmaringen, 1985 (Beiträge zur Geschichte
und Quellenkunde des Mittelalters, 9), S. 61] demzufolge mit den sedes Ravenna und Mai-
land, Trier und Arles gemeint sein müßten. In der Germania befand sich keine alte kaiser-
liche sedes; möglicherweise spielte der Annalist auf Aachen an, das er am Ende desselben
Jahresberichts ausdrücklich als Karls sedes bezeichnete.
75
  H. Fichtenau, „Abt Richbod und die Annales Laureshamenses“, in Beiträge zur Geschichte
des Klosters Lorsch, Lorsch, 1978 (Geschichtsblätter für den Kreis Bergstraße, Sonderband,
4), S. 277-301.

178

hama6.indd 178 20-02-2009 10:08:54


die ausbildung einer metropolitanordnung im frankenreich

waren, was einen Metropoliten auszeichnete und welche Kompeten-


zen und Pflichten ein Metropolit hatte. Dieser Prozeß der Wissensbil-
dung erstreckte sich noch bis weit in die zweite Hälfe des 9. Jahrhun-
derts hinein und verlief im Westen und im Osten des Reiches unter-
schiedlich. Die pseudoisidorischen Fälschungen beispielsweise, deren
Kern vielleicht schon in den 830er Jahren entstanden ist 76, lassen sich
ebenso als eine Stufe in diesem Prozeß verstehen wie die späteren
Auseinandersetzungen zwischen Hinkmar von Reims und seinen Suf-
fraganen Rothad von Soissons 77 und Hinkmar von Laon 78 oder der
Streit zwischen Hinkmar von Reims und Ansegis von Sens im Jahr 876
um den Vorrang 79 – ein Konflikt, der den Reimser Erzbischof veran-
laßte, seinen Traktat De iure metropolitanorum zu verfassen 80.
Dabei ist zu bedenken, daß die neue Ordnung im Widerspruch
stand zur kontinentalen Tradition. Exemplarisch greifbar wird dieses
Problem in Fulda: Wahrscheinlich zwischen 816 und 819 verfaßte
dort der junge Klosterlehrer Hrabanus sein Lehrbuch De institutione
clericorum, mit dessen Hilfe sich Geistliche über zentrale Fragen des
kirchlichen Lebens informieren sollten. Gewidmet ist das Buch einem
Metropoliten und Erzbischof: Haistulf von Mainz. In seiner Vorrede
versicherte ihm Hraban, er habe sich in jeder Hinsicht an der aucto-
ritas maiorum orientiert. Unter den zehn Autoren, deren Namen Hra-

76
 Dazu die Beiträge von K.  Zechiel-Eckes, „Zwei Arbeitshandschriften Pseudoisidors
(Codd. St. Petersburg F. v. I. 11 und Paris lat. 11611)“, Francia, 27/1 (2000), S. 205-210;
Id., „Ein Blick in Pseudoisidors Werkstatt. Studien zum Entstehungsprozeß der Falschen
Dekretalen“, Francia, 28/1 (2001), S. 37-90; Id., „Auf Pseudoisidors Spur. Oder: Versuch,
einen dichten Schleier zu lüften“, in W. Hartmann und G. Schmitz (Hg.), Fortschritt durch
Fälschungen? Ursprung, Gestalt und Wirkungen der pseudoisidorischen Fälschungen. Beiträge zum
gleichnamigen Symposium an der Universität Tübingen vom 27. und 28. Juli 2001, Hannover,
2002 (MGH, Studien und Texte, 31), S. 1-28; zustimmend J. Fried, vgl. aber auch die Skep-
sis von H. Fuhrmann, „Stand, Aufgaben und Perspektiven der Pseudoisidorforschung“, in
W. Hartmann und G. Schmitz (Hg.), Fortschritt…, ibid., S. 254 sq. mit Anm. 67.
77
 Dazu H. Fuhrmann, Einfluß und Verbreitung der pseudoisidorischen Fälschungen. Von ihrem
Auftauchen bis in die neuere Zeit, t. 2, Stuttgart, 1972 (Schriften der MGH, 24/II), S. 254-272
(zu Hintergründen und Verlauf des Streits und zur Rolle der pseudoisidorischen Fälschun-
gen in der Auseinandersetzung); außerdem W. Hartmann, Die Synoden der Karolingerzeit im
Frankenreich und in Italien, Paderborn et al., 1989, S. 313-316.
78
 Dazu P. R. McKeon, Hincmar of Laon and Carolingian Politics, Urbana et al., 1978, bes.
S. 132-155; W. Hartmann, Die Synoden…, ibid., S. 321-327; H. Fuhrmann, „Fälscher unter
sich: zum Streit zwischen Hinkmar von Reims und Hinkmar von Laon“, in M. T. Gibson
und J. L. Nelson, Charles the Bald. Court and Kingdom, Aldershot, 1990, S. 224-234.
79
 Vgl. dazu Hinkmars Bericht in den Annales Bertiniani, a. 876, Hg. F. Grat, J. Vielliard,
S. Clémencet und L. Levillain, Paris, 1964, S. 201-205; vgl. zu den Ereignissen W. Hart-
mann, Die Synoden…, ibid., S. 333-336; J. L. Nelson, Charles the Bald, London et al., 1992,
S. 243 sq.
80
  Hinkmar von Reims, De iure metropolitanorum, PL, 126, Sp. 189-210.

179

hama6.indd 179 20-02-2009 10:08:54


steffen patzold

ban dabei als seine Vorbilder auflistete, findet sich auch derjenige
Isidors von Sevilla  81. So orientierte sich der Fuldaer Lehrer auch in
Fragen der Hierarchie an Isidors Etymologien, stand hier jedoch vor
einem Problem: Isidor hatte, wie schon bemerkt, Erzbischöfe und
Metropoliten voneinander geschieden 82. Autorität und gegenwärtige
Praxis wichen also offenkundig voneinander ab. Hraban hatte genug
Selbstbewußtsein, in dieser Frage die Autorität Isidors zu korrigieren
– wenn auch mit möglichst geringfügigen Eingriffen in den Wortlaut
seiner Vorlage. So formulierte er frei nach Isidor: Ordo autem episcopo-
rum tripertitus est, id est in patriarchis, a r c h i e p i s c o p i s , q u i e t m e t -
r o p o l i t a n i s u n t , in episcopis 83. Später kürzte er Isidors Bemerkun-
gen über die archiepiscopi und fügte eine Beschreibung dessen, was ein
Metropolit war, in eigenen Worten hinzu  84. Sein Kapitel über das
Pallium mußte Hraban dann sogar vollständig selbst formulieren 85.
Daß ein solcher Umgang mit der Tradition nicht selbstverständlich
war, zeigt ein Text eines anderen monastischen Spitzengelehrten der
Zeit. Nach dem Tode Ludwigs des Frommen seines Abbatiats entho-
ben, schrieb Walahfrid 841 auf der Reichenau eine Liturgiegeschichte,
in der er nachzuweisen versuchte, daß die Formen und Begriffe der
Liturgie nicht von Gott geoffenbart, sondern allmählich von Men-
schen entwickelt worden seien  86. Ganz am Ende dieser Schrift prä-
sentierte Walahfrid seinen Lesern eine comparatio ecclesiasticorum ordi-
num et saecularium 87. Dem Gelehrten selbst erschien das als ein Wagnis
– wußte er doch, wie sehr sich die ordinationes potestatum et officiorum
im Laufe der Geschichte je nach Völkern, Regionen und Zeiten unter-
schieden hatten. Wer könne schon überblicken, klagte Walahfrid,
welche Ämter zu welchen Zeiten neu hinzugekommen, welche sich
in andere umgewandelt und welche ganz fortgefallen seien! Ange-

81
  Hrabanus Maurus, De institutione clericorum libri tres, Prolog, Hg. D. Zimpel, Frankfurt/
Main et al., 1996 (Freiburger Beiträge zur mittelalterlichen Geschichte, 7), S. 282 sq.; zur
Datierung der Schrift vgl. D. Zimpel (ibid., S. 11-33), der aber meines Erachtens die Bezüge
zu den Aachener Reformsynoden 816-818 überbetont.
82
 Vgl. oben, Anm. 50.
83
  Hrabanus Maurus, De institutione clericorum…, lib. I, c. 5, ibid., S. 297.
84
  Hrabanus Maurus, De institutione clericorum…, lib. I, c. 5, ibid., S. 298: Metropolitanus
autem idem vocatur, eo quod praesideat illi civitati, quae ceteris civitatibus in eadem provincia con­
stitutis quodammodo mater sit. Metropolis ergo graece mater civitas interpretatur.
85
  Hrabanus Maurus, De institutione clericorum…, lib. I, c. 23, ibid., S. 315.
86
  Walahfrid Strabo, Libellus de exordiis et incrementis quarundam in observationibus ecclesias-
ticis rerum, Hg. A. L. Harting-Correa, Leiden et al., 1996 (Mittellateinische Studien und
Texte, 19).
87
  Walahfrid Strabo, Libellus de exordiis…, c. 32, ibid., S. 188.

180

hama6.indd 180 20-02-2009 10:08:54


die ausbildung einer metropolitanordnung im frankenreich

sichts dessen wollte sich der Gelehrte nur auf die bekannteren Dinge
beschränken  88. Für die kirchliche Hierarchie aber übernahm er
dabei, ohne zu zögern, Isidors alte Vierteilung: Patriarchen entspra-
chen demnach im weltlichen Bereich den patricii; die archiepiscopi, qui
ipsis metropolitanis praeminent, stellte Walahfrid den Königen gegen-
über; die Metropoliten selbst den duces; und die Bischöfe schließlich
waren den Grafen vergleichbar. Walahfrid betonte, daß die verschie-
denen officia und potestates im Laufe der Jahrhunderte der instabilitas
aller vom Menschen geschaffenen Dinge unterlegen seien 89; vielleicht
benutzte er also nur deshalb Isidors längst überholte Darstellung der
kirchlichen Hierarchie, weil er hoffte, die Leser würden selbst bemer-
ken, daß die Unterscheidung von Metropoliten und Erzbischöfen in
ihrer Gegenwart nicht mehr zutraf. Immerhin zeigt der Text aber
auch dann noch, wie bewußt es Walahfrid war, daß die kirchliche
Hierarchie der eigenen Gegenwart von der Tradition abwich.
Ein anderes Problem, das sich aus dem Unterschied zwischen der
neuen Hierarchie und der Tradition ergab, zeigt exemplarisch die
Hagiographie aus dem Kloster Saint-Wandrille 90. Dort wurden neben
dem Gründungsabt Wandregisel auch die Bischöfe Ansbert von
Rouen, Landbert von Lyon und Vulfram von Sens als Heilige verehrt
und mit Viten bedacht. Die Lebensbeschreibung des Wandregisel ist
in ihrer ursprünglichen, noch vor 700 verfaßten Form überliefert 91,
ebenso eine Vita des Bischofs Audoenus von Rouen 92, zu dessen Zeit
und mit dessen Hilfe Wandregisel das später nach ihm benannte Klo­
ster gegründet hatte. Die Lebensbeschreibungen Ansberts, Landberts
und Vulframs dagegen liegen in überarbeiteten Fassungen vor, die
erst Jahrzehnte später, in den Jahren um 800, hergestellt worden sein

88
  Walahfrid Strabo, Libellus de exordiis…, c. 32, ibid., S. 188).
89
  Walahfrid Strabo, Libellus de exordiis…, c. 32, ibid., S. 188-192).
90
  Zu dem Corpus vgl. grundlegend I. N. Wood, „Saint-Wandrille…“, op. cit.; J. Howe, „The
Hagiography of Saint-Wandrille (Fontenelle) (Province of Haute-Normandie)“, in M. Hein-
zelmann (Hg.), L’hagiographie du haut Moyen Âge en Gaule du Nord. Manuscrits, textes et centres
de production, Stuttgart, 2001 (Beihefte der Francia, 52), S. 127-192; aus der älteren Litera-
tur wichtig ist W. Levison, „Zur Kritik der Fontaneller Geschichtsquellen“, Neues Archiv, 25
(1900), S. 593-607.
91
  Vita Wandregiseli, Hg. B. Krusch, MGH, SSrM, 5, Hannover, 1910, S. 1-24; die älteste
Handschrift – Paris, BnF, lat. 18315, fol. 1-31 – könnte noch aus der Zeit vor 700 stammen:
Vgl. J. Howe, „The Hagiography…“, ibid., S. 163-166; I. N. Wood, „Saint-Wandrille…“, ibid.,
S. 2.
92
  Vita Audoini prima, Hg. W. Levison, MGH, SSrM, 5, Hannover, 1910, S. 536-567; zur
Datierung vgl. die Argumente von W. Levison (ibid., S. 543).

181

hama6.indd 181 20-02-2009 10:08:54


steffen patzold

dürften  93. Die beiden älteren Texte – die Vita Wandregisili und die
ältere Vita Audoeni – enthalten keinerlei Hinweise darauf, daß Audo-
enus den Titel eines archiepiscopus geführt hätte oder Rouen Metro-
pole gewesen wäre. Auch sein Nachfolger Ansbert wird in der frühe­
sten Vita Audoeni lediglich als episcopus tituliert  94. Man darf daher
vermuten, daß Ähnliches auch für die älteren, heute verlorenen Viten
Ansberts, Landberts und Vulframs galt. Die Art und Weise, wie die
Überarbeiter dieser Viten um 800 in der Frage der Metropolitanord-
nung mit dem älteren Material umgingen, verrät jedoch, daß man
einige Mühe hatte, die Tradition des Hauses lückenlos an die verän-
derte kirchliche Hierarchie anzupassen. So verwendete der Redaktor
der Vita Ansberti für seinen Helden fast durchweg „neutrale“ Bezeich-
nungen wie antistes, pontifex oder praesul; ja einmal übernahm er sogar
die Bezeichnung episcopus  95. Immerhin war er bestrebt, die frühere
Vita an die jüngere Entwicklung der Hierarchie anzupassen: So nannte
er Rouen ausdrücklich eine Metropole  96 – aller Wahrscheinlichkeit
nach in Abweichung von seiner verlorenen Vorlage. Im 18. Kapitel
berichtete der Überarbeiter, daß Ansbert dem Kloster Saint-Wandrille
das Privileg gewährt habe, den Abt aus den eigenen Reihen zu wählen.
Dies sei auf einer sinodus generalis im Jahre 688/689 geschehen; und
der Überarbeiter fügte sogar eine Unterschriftenliste in seine Vita ein,
die ursprünglich kaum unter Synodalakten gestanden haben kann 97.
Ansberts Name führt darin eine Abfolge von 16 Bischöfen und weite-
ren Geistlichen an. Unter ihnen allen ist allein Ansbert als archiepisco-
pus hervorgehoben  98. Auch in diesem Falle hat der Überarbeiter
wahrscheinlich die hagiographische Tradition seines Hauses an die
Neuerungen in der Hierarchie angepaßt – nicht zuletzt, um so dem
Wahlrecht seiner eigenen Gemeinschaft eine höhere Verbindlichkeit
zu verleihen.
Ein ähnlich uneinheitliches Bild zeigt die Neufassung der Vulfram-
Vita. Auch hier wird der Heilige in der Mehrzahl der Fälle als pontifex

93
 Dazu mit weiterer Literatur S. Patzold und A. Schorr, „Personennamen in drei hagio-
graphischen Quellen des Frühmittelalters. Die Viten des Austregisel von Bourges, des Ans-
bert von Rouen und des Einsiedlers Goar“, in D. Geuenich und I. Runde (Hg.), Name und
Gesellschaft im Frühmittelalter. Personennamen als Indikatoren für sprachliche, ethnische, soziale und
kulturelle Gruppenzugehörigkeiten ihrer Träger, Hildesheim et al., 2006, S. 73-99.
94
  Vita Audoini prima, c. 18, op. cit., S. 566.
95
  Vita Ansberti, c. 32, Hg. W. Levison, MGH, SSrM, 5, Hannover, 1910, S. 638 sq.
96
  Vita Ansberti, c. 15, ibid., S. 629.
97
 Vgl. die Anm. 2 des Herausgebers W. Levison (Vita Ansberti, ibid., S. 631).
98
  Vita Ansberti, c. 18, ibid., S. 631.

182

hama6.indd 182 20-02-2009 10:08:55


die ausbildung einer metropolitanordnung im frankenreich

oder praesul bezeichnet, während er einmal auch als episcopus erscheint


– übrigens ebenso wie der heilige Willibrord  99. Einen Versuch, die
hagiographische Tradition an die aktuelle Kirchenhierarchie anzu-
passen, findet man dagegen im dritten Kapitel: Die Stadt Rouen, als
sedes des Ansbert, wird hier mit einem erläuternden Zusatz – quae et
ipsa mater est civitatum – in ihrer besonderen Stellung hervorgeho-
ben 100. Einzig im Prolog, der wahrscheinlich erst durch den Überar-
beiter hinzugefügt wurde und dem Leser eine zeitliche Nähe zur
Lebenszeit des Heiligen vorgaukelt, wird Vulfram dagegen explizit als
archiepiscopus tituliert 101.
Die Vita Landberti ist nur bruchstückhaft überliefert; das einzige
Manuskript, das den Text tradiert, ist im späten 12. Jahrhundert in
Saint-Wandrille geschrieben worden. Hier wird Landbert im Incipit
als archiepiscopus tituliert, aber diese Angabe könnte auch lediglich
eine Zutat des hochmittelalterlichen Kopisten sein. Die Passagen zu
Landberts Episkopat sind in dem Fragment nicht mehr erhalten; mög-
licherweise hatte aber auch hier ein karolingerzeitlicher Überarbeiter
den ältesten Textbestand korrigiert: Die revidierte Vita Ansberti schöpft
die erhaltene, revidierte Vita Landberti aus; dieser Vorlage dürfte der
Überarbeiter die Information entnommen haben, daß Landbert zum
pontifex einer Metropole erhoben wurde und den Titel archiepiscopus
führte 102.
Fest steht, daß der karolingerzeitliche Bearbeiter der älteren Vita
Audoini nachträglich den Status seines Heiligen aufbesserte. Er schrieb
erst, nachdem die Viten Landberts und Ansberts schon überarbeitet
waren, jedoch noch bevor man in Saint-Wandrille die Endredaktion
der Gesta abbatum herstellte 103. Auch er verwendete zumeist den „neu-
tralen“ Begriff pontifex, um Audoens geistliches Amt zu bezeichnen.
Zumindest in seinem Bericht über die zeitgleiche Bischofsweihe des
Audoenus und des Eligius von Noyon aber legte der Bearbeiter Wert
auf einen feinen Unterschied: Audoenus sei zum archiepiscopus von
Rouen, Eligius dagegen zum Noviomagensis episcopus erhoben wor-

99
  Vita Vulframni, c. 9, Hg. W. Levison, MGH, SSrM, 5, Hannover, 1910, S. 668.
100
  Vita Vulframni, c. 3, ibid., S. 663.
101
  Vita Vulframni, Prolog, ibid., S. 661.
102
 So Vita Ansberti, c. 12, op. cit., S. 627 und c. 15 (S. 629).
103
 Die Belege bei W. Levison, in der Einleitung seiner Edition der Vita, Hannover, 1910
(MGH, SSrM, 5), S. 548.

183

hama6.indd 183 20-02-2009 10:08:55


steffen patzold

den  104. Seine Vorlage war hier die Vita Eligii; sie aber hatte beide
Heilige noch vollkommen gleichrangig als episcopi bezeichnet 105.

5. Fazit

Die Ergebnisse der Untersuchung lassen sich in drei Thesen zusam-


menfassen:
• Es ist keineswegs sicher, daß die Ausbildung der Metropolitan­
ordnung ein Drama in zwei Akten war, wie es die Forschung angenom-
men hat. Die normativen Quellen und auch die wenigen Indizien zur
Praxis lassen sich ohne weiteres zu dem Bild einer langsamen, konti-
nuierlichen Entwicklung zusammenführen, die noch bis weit in das
9. Jahrhundert hinein andauerte.
• Diese lange Dauer erklärt sich weder einfach aus dem mangeln-
den Willen Pippins, noch aus einem grundsätzlichen Politikwechsel
um 747 oder aus dem Desinteresse Karls des Großen an Fragen der
kirchlichen Hierarchie. Vielmehr resultierte die Dauer daraus, daß
die Etablierung einer neuen Hierarchie innerhalb der geistlichen
Elite des Reiches ein hochkomplexer Vorgang war, der sich nur
begrenzt durch normative Vorgaben des Herrschers steuern ließ.
Daneben beeinflußten regionale Streitigkeiten und Konkurrenzen
zwischen einzelnen Bistümern den Prozeß. Und zudem mußte sich
erst allmählich ein neues Wissen über die Metropolitanordnung eta-
blieren – ein Wissen, das im Widerspruch stand zur gelehrten Tradi-
tion, aber auch zu lokalen Traditionen bezüglich der Stellung einzel-
ner sedes.
• Angesichts dessen ist zu fragen, inwiefern gerade für die geistli-
che Elite des Frühmittelalters Veränderungen in der Hierarchie in
besonderem Maße langwierig und schwer durchzusetzen waren.
Einerseits vollzogen sich alle Veränderungen in der kirchlichen Hier­
archie notwendigerweise vor dem Hintergrund einer jahrhunderte-
alten, schriftlich fixierten (und daher nachprüfbaren) Tradition.
Andererseits zeigen aber schon die Beispiele Hrabans, Walahfrids und
der Hagiographen aus Saint-Wandrille, daß man grundsätzlich durch-
aus in der Lage war, auch schriftliche Traditionen subtil an neue Hier­
archien anzupassen.

104
  Vita Audoeni secunda, AA SS Aug. 4, c. III, 20, S. 814.
105
  Vita Eligii, c. 2, Hg. B. Krusch, MGH, SSrM, 4, Hannover, 1902, S. 695 sq.

184

hama6.indd 184 20-02-2009 10:08:55

Das könnte Ihnen auch gefallen