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Kurfürsten
(1,095 words)

1. De nition
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Im MA hatte sich im Heiligen Römischen Reich
1. De nition
Deutscher Nation ein fester Kreis von Fürsten
herausgebildet, die den dt. König kürten (wählten), der 2. Funktionen
danach vom Papst zum Kaiser gekrönt werden konnte. In 3. Entwicklungen seit der
der Nz. galt allerdings bereits der Gewählte als Kaiser. Die Reformation
Entstehung des Kurkollegs wird zwar kontrovers 4. Ende des Reichs
diskutiert, doch seit 1257 standen sieben Fürsten fest, die
sich 1298 als Kollegium bezeichneten, das 1356 mit der
Goldenen Bulle eine rechtlich xierte Form erhielt [3]: Die drei Erzbischöfe von Mainz, Köln
und Trier als geistliche sowie der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von
Sachsen und der Markgraf von Brandenburg als weltliche K. wählten den dt. König nach dem
Mehrheitsprinzip. Des Weiteren wurde ihren Kurländern die Unteilbarkeit und daher die
Primogeniturerbfolge zugesichert (Thronfolge), das Reichsvikariat (Vertretung des Königs
insbes. bei Vakanz durch Pfalz und Sachsen) sowie Privilegien und Regalrechte geregelt.
Politisch konnten die K. in der Frühen Nz. eine dominierende Funktion im Reich gewinnen
und ihre königsähnliche Stellung als Sprungbrett für die eigene Staatsbildung und eine – sehr
unterschiedlich ausfallende – Rolle in der europ. Politik nutzen.

Karl Härter

2. Funktionen

Als verfassungsrechtlich de nierte, standespolitisch homogene Gruppe organisierten sich die


K. in unterschiedlichen Formen (Kurverein, K.-Tag, Königswähler, Reichstags- Kurie), um als
politische Korporation (reichs-)politisch zu handeln. Sie bildeten ein oligarchisches Element
der Reichsverfassung und fungierten als »innere Räte« und zentrale Kommunikationspartner
des Kaisers, mit dem sie wichtige reichspolitische Entscheidungen und »Gesetze«
aushandelten [4]. Insbes. zählte dazu seit 1519 ( Karl V.) die kaiserliche Wahlkapitulation, die

/
sie bei der Wahl mit dem künftigen Kaiser als Herrschaftsvertrag vereinbarten. Zwischen 1519
und 1792 ( Franz II.) entstanden 17 dieser wichtige Bereiche der Reichsverfassung regelnden
Reichsgrundgesetze.

Auch auf dem Reichstag, der sich Ende des 15. Jh.s verfestigte und im 16. Jh. gegen
konkurrierende reichsständische Versammlungsformen durchsetzte, hatte die Kurie der K.
gegenüber jenen der Fürsten und der Reichsstädte eine Vorrangstellung. Im Beschlussverfahren
musste das Konklusum der K. abgewartet werden, das danach mit demjenigen der Fürsten und
schließlich mit dem der Reichsstädte zu einem Gesamtbeschluss vereinigt wurde. Darüber
hinaus gelang es den K. bis 1803, Sitze und Stimmen auch in der Fürstenkurie zu erwerben,
sodass insbes. die weltlichen K. über weitere Territorien und damit Reichstagsstimmen
verfügten und so ihre Macht ausdehnten [1]; [5].

Karl Härter

3. Entwicklungen seit der Reformation

Das Kurkolleg konnte seine politische Solidarität und Einheitlichkeit nicht erhalten und war
erheblichen Veränderungen unterworfen: Im 16. Jh. schlossen sich Sachsen, Brandenburg und
die Pfalz der Reformation an. Nach der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes
(Religionskriege) übertrug Kaiser Karl V. 1547 die Kurwürde von der Ernestinischen auf die
Albertinische Linie Sachsens, was erstmals auch kleinere territoriale Veränderungen der
eigentlich unantastbaren Kurländer nach sich zog. Der Augsburger Religionsfriede schrieb 1555
zwar die Katholizität der drei geistlichen K. fest, bestätigte aber ebenfalls die dauerhafte
konfessionelle Spaltung des K.-Kollegs, was zumindest die Möglichkeit der Wahl eines protest.
Kaisers erö fnete.

Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648) brachte weitere Veränderungen: Der Pfälzer K. verlor 1623
die Kurwürde an Bayern; da aber der Westfälische Friede 1648 die Restitution der pfälzischen
Kur enthielt, existierten fortan zwei wittelsbachische Kuren, die bei einer Vereinigung der
Häuser wieder auf eine reduziert werden sollten, was 1777 mit dem Aussterben der bayer.
Wittelsbacher eintrat. Der Westfälische Friede schrieb weiterhin den Konfessionsstand fest,
sodass die späteren Konfessionswechsel der sächs. und pfälzischen Häuser zum Katholizismus
die Zugehörigkeit der K. zum Corpus evangelicorum (1653 gegr. Vereinigung der evang.
Reichstände unter Führung Kursachsens) nicht tangierten. Nach 1648 nahm auch insgesamt
der Ein uss der K. als Personen auf die Reichspolitik ab, die zunehmend von »Fachleuten«
(Juristen, Diplomaten) bestimmt wurde. Dies zeigte sich auf dem Reichstag, der seit 1663
permanent in Regensburg tagte und auf dem nun auch die K. durch Gesandte vertreten waren.
Da der Reichstag als dauerhaftes Politik- und Kommunikationsforum fungierte, gewann das K.-
Kollegium gegenüber allen anderen Versammlungsformen zentrale Bedeutung.

Gegen Ende des 17. Jh.s kam es zu weiteren Veränderungen: Kaiser Leopold I. gewährte 1692
Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg die Kurwürde für die Unterstützung gegen
Frankreich, wodurch die evang. Partei gestärkt wurde; der Reichstag stimmte daher auch erst
1708/09 dessen Aufnahme in den K.-Rat zu, der damit auf neun Mitglieder anwuchs. Parallel
/
war auch die Ausübung der suspendierten böhm. Kur durch das Haus Habsburg beschlossen
worden, sodass das kath.-kaiserliche Übergewicht im K.-Rat erhalten blieb [2]. Freilich wuchs
im 18. Jh. die Kluft zwischen weltlich-protest. und geistlich-kath. K., auch wenn die Bedeutung
der Letzteren nicht allein auf ihrem realen Machtpotential gründete. So konnte v. a. der
Mainzer K. aufgrund seiner Funktion als (Reichs-)Erzkanzler und damit als »Zweiter Mann im
Reich« politischen, teilweise über das Reich hinausreichenden Ein uss ausüben.

Grundsätzlich gelang es jedoch nur den weltlichen K., Landesherrschaft und politische Macht
so auszubauen, dass sie eine begrenzte europ. Rolle spielen konnten: 1701 erlangte Brandenburg
die Königswürde für Preußen, 1697 gelangte der sächs. K. (Friedrich) August der Starke (August
II.) auf den poln. und 1714 mit Georg I. das Haus Braunschweig-Lüneburg (Kurhannover) auf
den brit. Thron. Auch wenn nur Brandenburg-Preußen nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–
1763) zu einer europ. Großmacht aufstieg, so kann man doch eine zunehmende europ.
Ver echtung und Rolle der weltlichen K. konstatieren.

Karl Härter

4. Ende des Reichs

Damit wuchsen die K. allerdings aus dem Reich heraus, was in der Auseinandersetzung mit
dem revolutionären und dem napoleonischen Frankreich zur Desintegration des Alten Reiches
beitrug, die auch die letzte Veränderung des Kurkollegs brachte: Mit dem
Reichsdeputationshauptschluss von 1803 erlosch die Pfälzer Kur, Köln und Trier wurden
säkularisiert, die Mainzer Kur auf den »Primatialstaat« Dalbergs (Regensburg) übertragen und
mit Salzburg (für Habsburg-Toskana), Württemberg, Baden und Hessen-Kassel vier neue K.
kreiert, die nur noch wenige Jahre ihre Funktionen ausübten [5]; [6].

Mit dem Ende des Alten Reiches 1806 ging die Funktion der K. unter; lediglich Hessen-Kassel
behielt den K.-Titel als primären Monarchentitel bei. Er erinnerte bis zu dessen Annexion
durch Preußen 1866 an die zentrale Institution der alten Reichsverfassung, der mit Königs- bzw.
Kaiserwahl, Wahlkapitulationen, Kurverein und kurfürstlicher Reichstagskurie eine einmalige
Rolle in der vormodernen europ. Verfassungsgeschichte zukommt.

Verwandte Artikel: Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation | Kaiser | Kurien |


Reichsverfassung

Karl Härter

Bibliography

[1] W. B , Der Kurfürstenrat. Grundzüge seiner Entwicklung in der Reichsverfassung und


seine Stellung auf dem Westfälischen Friedenskongreß, 1973

/
[2] A. B , Böhmen, die böhmische Kur und das Reich vom HochMA bis zum Ende des
Alten Reiches. Studien zur Kurwürde und zur staatsrechtlichen Stellung Böhmens, 2003

[3] F.-R. E , Kurfürsten und Königswahl. Zu neuen Theorien über den


Königswahlparagraphen im Sachsenspiegel und die Entstehung des Kurfürstenkollegiums,
2002

[4] A. G , Säulen des Reiches. Die Kurfürsten im frühnzl. Reichsverband, 1999

[5] K. H , Reichstag und Revolution 1789–1806. Die Auseinandersetzung des


Immerwährenden Reichstags zu Regensburg mit den Auswirkungen der Franz. Revolution auf
das Alte Reich, 1992

[6] L. P , Der Aufstieg Württembergs und Hessens zur Kurwürde 1692–1803, 2000.

Cite this page

Härter, Karl, “Kurfürsten”, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online, Im Auftrag des Kulturwissenschaftlichen Instituts (Essen) und in Verbindung mit den
Fachherausgebern herausgegeben von Friedrich Jaeger. Copyright © J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH
2005–2012. Consulted online on 14 May 2020 <http://dx-doi-org.uaccess.univie.ac.at/10.1163/2352-0248_edn_COM_300098>
First published online: 2019

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