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Die Nazis hätten im Luftkrieg siegen


können – doch sie stecken die
Ressourcen lieber in die V2
von Gernot Kramper 21.05.2021, 11:42 3 Min.

6–7 Minuten

Raketen wie die Wasserfall hatten das Potenzial, den


Bombenkrieg zu beenden.

© Commons

Den Bombenkrieg über Deutschland hätten Flugabwehrraketen


beenden können. Die Nazis verstanden den Wert dieser
Raketen nicht, sie steckten die Ressourcen in spektakuläre,
aber militärisch sinnlose Terror-Waffen.

Die Nachwelt wie auch die Nazis selbst schauten beim Thema
Raketen des Zweiten Weltkriegs gebannt auf die V2-Rakete.

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Sie war ein technisches Wunderwerk. Die riesige Rakete
erreichte den Weltraum, um dann in der Bahn einer Ellipse
wieder zur Erde zu stürzen. Auf ihr beruhten die Atomraketen
der Nachkriegszeit und der Genius hinter der V2, Wernher von
Braun, gewann später das Rennen zum Mond für die USA.
Rüstungstechnisch war das Aggregat 4 – so der ursprüngliche
Name – der reinste Wahnsinn.

Die Waffe verschlang unglaubliche Ressourcen und konnte viel


zu wenig Sprengstoff ins Ziel bringen, um irgendwie den Krieg
zu entscheiden. Der verbrecherische Charakter des Projekts
zeigte sich auch darin, dass beim Bau der Rakete mehr
Zwangsarbeiter ermordet wurden, als ihren Sprengköpfen zum
Opfer fielen. Erst die Vernichtungshaft der Atomsprengköpfe
machte derartige Raketen zu gefährlichen Waffen.

Im Schatten der V2

Im Schatten der Star-Rakete verkümmerte ein anderes viel


aussichtsreicheres Projekt, denn damals wurden auch die
ersten Luftabwehrraketen entwickelt. Nach den alliierten
Luftangriffen auf Schweinfurt 1943 war offensichtlich, dass die
deutsche Luftwaffe das Reichsgebiet nicht wirksam schützen
konnte. Nur eine Stärkung der Luftabwehr hätte den Verlauf des
Krieges noch ändern können.

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"1943 hätte Deutschland die Situation nur noch herumreißen
können, wenn es sich nicht auf die V2 konzentriert hätte,
sondern auf die Entwicklung effektiver Luftabwehrraketen",
sagte Militärexperte Oberst Walter Boyne in einer TV-
Dokumentation. Doch diese vielversprechenden Projekte hatten
nur einen geringen Stellenwert im NS-Staat. "Das passte nicht
zur ideologischen Linie. Waffen nur für die Verteidigung wären
ein Eingeständnis, dass der Krieg verloren geht."

Chaos in der Planung

Entwickelt wurde eine ganze Reihe von sogenannten


Flakraketen. Die Projekte hießen Taifun, Feuerlilie, Hecht,
Rheintochter, Schmetterling, Enzian und Wasserfall. Schon an
der Menge der einzelnen Projekte erkennt man die Unfähigkeit
des Führerstaats, derartige Entwicklungen zu koordinieren und
zu priorisieren. Wasserfall war die größte und anspruchsvollste
Waffe, während Taifun die Lowtech-Variante darstellte. Auch
Hitlers Rüstungsminister Albert Speer erkannt später in der
Haft, welchen Fehler er gemacht hatte, als er die V2 protegierte,
die nur einen Propagandawert besaß. Er gestand ein, dass,
wenn alle Raketen-Ressourcen in Projekte wie Taifun und
Wasserfall geflossen wären, die Entscheidung einen großen
Einfluss auf den Krieg gehabt hätte.

Stalinorgel des Himmels

Die Taifun ist die simpelste Waffe und gerade darum am


interessantesten. Dieses System hätten die Deutschen noch am
Ehesten in großen Stückzahlen herstellen können. Die Taifun
zeigt ein Umdenken, das gegen Ende des Krieges einsetze. Bei

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dieser Waffe hatten die Deutschen von der sowjetischen
Rüstung gelernt. Anstatt immer kompliziertere, auf den ersten
Blick geniale Lösungen anzustreben, die in der Praxis nicht
reibungslos funktionierten und die auch nur in kleinen
Stückzahlen produziert werden konnten, setzte man darauf,
einfache, solide und leicht herzustellende Waffen mit hoher
Vernichtungskraft zu bauen. Die Taifun entsprach einer
Stalinorgel für die Luftverteidigung. Anders als Wasserfall und
Rheintochter wurden die Raketen nicht ins Ziel gelenkt. Es
waren dumme Waffen.

Wasserfall erste modere Luftabwehrrakete

Die Rakete hatte die Form eines schmucklosen Rohres von 193
Zentimetern Länge und zehn Zentimeter Durchmesser. Sie
erreichte eine Geschwindigkeit von 2730 km/h und eine
Gipfelhöhe von 15.000 Metern. Angetrieben wurde sie von
Salpetersäure und einem synthetischen Treibstoff. 10.000 Meter
Höhe erreichte sie in nur 14 Sekunden – die schwerfälligen
Bomberpulks hätte man leicht auf Sicht angreifen können.

Die Taifun sollte nicht einen einzelnen Bomber gezielt anfliegen,


sie wurde auf einem Mehrfachwerfer montiert, der in eine Salve

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von 48 Raketen in den Himmel schoss.

Eine Batterie hätte auf einen Schlag Hunderte von Raketen auf
einen Bomberpulk losgelassen. Die Vielzahl von Explosionen
hätte dann eine undurchdringliche Splitterwolke produziert. Zum
Einsatz kam die einfache Rakete nicht.

Andere Flakraketen waren weit ambitionierter. Die


Wasserfallrakete war fast acht Meter lang und konnte einen
Sprengkopf von 300 Kilogramm 48 Kilometer weit
transportieren. Aufbau und Technik der Wasserfall waren
wegweisend für die Luftabwehrraketen der USA und der UdSSR
nach dem Krieg. Auch von der Wasserfall wurden bis
Kriegsende nur Prototypen gebaut.

#Themen
!"Rakete

!"Weltkrieg

!"Adolf Hitler

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