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Die Eigenschaften des EU-Rechts

1. VORRANG

a) Definition
Wenn sich eine Norm des EU-Rechts und eine nationale Norm widersprechen, so
geht die EU-Norm vor.
Dieses Prinzip wurde vom EuGH im Fall Costa/ENEL (1964) aufgestellt. Das
italienische Parlament hat 1962 ein Gesetz zur Verstaatlichung der
Energieindustrie verabschiedet. Die ENEL machte die noch ausstehenden
Zahlungsaufforderungen gegenüber ihren Kunden geltend, darunter auch die 2€
von Herrn Costa. Dieser beanstandete, dass das italienische Gesetz zur
Verstaatlichung der Energieindustrie gegen Art. 37 des AEUV verstoße. Der
Vertrag habe Vorrang gegenüber dem italienischen Gesetz – er hat Recht
bekommen.
b) Zweck
Einheitlichkeit und Effektivität des EU-Rechts soll gestärkt werden. Wenn es kein
Vorrecht gäbe, bräuchten wir kein EU-Recht, weil die Staaten anschließend
eigene Gesetze erlassen könnten, die das EU-Recht übergehen würden.
c) Reichweite
Dieser Grundsatz gilt für das gesamte nationale Recht (auch Verfassungsrecht).
Grundsätzlich geht EU-Recht dem ganzen nationalen Recht vor.

d) Wirkung
EU-Recht verdrängt kollidierendes nationales Recht. EU-Recht geht vor.
Dieses nationale Recht wird jedoch nicht ungültig! Es wird in EU-rechtsrelevanten
Sachverhalten einfach nur nicht angewendet (bei Sachverhalten mit EU-Bezug).
Bei nationalen Sachverhalten bleibt es nach wie vor gültig (Problem der
Inländerdiskriminierung).
Bsp. Die französische Brauerei darf Bier, welches nicht dem deutschen
Reinheitsgebot entspricht, nach Deutschland exportieren und dort als Bier
verkaufen. ABER: Deutsche Brauereien müssen sich an das Reinheitsgebot
halten, weil sie sich nicht auf das EU-Recht berufen können. Problem:
Inländerdiskriminierung

2. UNMITTELBARE WIRKUNG

a) Definition
Jeder Bürger kann sich vor einem nationalen Gericht direkt auf die betreffende
Vorschrift des EU-Rechts berufen.

Die unmittelbare Wirkung von Unionsrecht ist aus 2 Gründen problematisch:


- EUV/AEUV sind völkerrechtliche Verträge.
Völkerrechtliche Verträge binden normalerweise nur die MS und nicht die
Einwohner und Firmen, welche sich auf dem Staatsgebiet aufhalten.
- Hoher Grad an Abstraktion
Die Normen sind häufig zu abstrakt, um auf den konkreten Rechtsfall
angewendet werden zu können. Gerichte haben evtl. Schwierigkeiten
diese Normen in einem konkreten Verfahren anzuwenden.

b) Unmittelbare Wirkung des Primärrechts


Prinzip
Das Prinzip der unmittelbaren Wirkung von EU-Primärrecht hat der EuGH im Fall
van Gend en Loos (1963) aufgestellt.

 Dieser Fall betraf die Erhebung eines neuen Importzolls auf


Chemieerzeugnisse durch die niederländischen Behörden. Seit 5 Jahren galt
der EWG-Vertrag, welcher solche Zölle verbot. Das hat auch das
niederländische UN van Gend en Loos, welches Chemikalien aus
Deutschland importierte, geltend gemacht und gegen den Importzoll geklagt.
Der EugH hat beschlossen, dass hier die unmittelbare Wirkung Anwendung
findet und somit, dass das EU-Recht vorgeht.

NICHT jede Norm des Primärrechts hat unmittelbare Wirkung.

Voraussetzungen
Nicht jede Norm des Primärrechts entfaltet eine unmittelbare Wirkung.
Voraussetzung dafür ist ihre Vollzugsfähigkeit. Dafür muss sie:
- Hinreichend klar und deutlich sein
- Muss Handlungs- oder Unterlassungspflicht begründen
- Darf nicht durch Ermessensvorbehalt (kann/darf) des Normadressaten
eingeschränkt sein

Nur, wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, kann ich mir vor Gericht auf
dieses Primärrecht berufen.
Übung
Art. 120 AEU: keine unmittelbare Wirkung, zu generell
Art. 21 AEU: unmittelbare Wirkung
Art. 34 AEU: unmittelbare Wirkung

c) Unmittelbare Wirkung von Verordnungen

Verordnungen können unter den gleichen Voraussetzungen unmittelbare


Wirkung entfalten, wie Primärrechtsnormen (hinreichend und klar, Handlungs-
und Unterlassungspflicht, nicht durch Ermessensvorbehalt eingeschränkt).

Bsp. Fluggastrechte-VO.

d) Unmittelbare Wirkung von Richtlinien (wichtig!!!)

Problemaufriss
Grundsätzlich gilt, dass RL keine unmittelbare Wirkung entfalten.
RL wenden sich an die MS und entfalten ihre Wirkung für Privatpersonen erst
über nationale Umsetzungsakte, auf die sich die Bürger darauf berufen
können.

Der EuGH hat entschieden, dass RL -ausnahmsweise- unmittelbare Wirkung


entfalten können.

Begründung:
o Praktische Wirksamkeit des EU-Rechts
o Sanktionsgedanke

Voraussetzung für eine unmittelbare Wirkung der RL


1. Die Umsetzungsfrist ist abgelaufen
2. Keine bzw. fehlerhafte Umsetzung
3. RL muss „hinreichend bestimmt“ sein
4. RL muss unbedingt sein (keine Vorbehalte, keine Bedingungen, kein
Ermessensspielraum)

Rechtsfolge

a) Unmittelbare Vertikalwirkung
Der Staat soll für die Nichtumsetzung der RL sanktioniert werden. Man
kann nur den Staat für die Nicht-Umsetzung verantwortlich machen.

b) Keine unmittelbare Horizontalwirkung


Man kann sich nicht gegenüber einem anderen Bürger auf eine nicht
umgesetzte RL berufen. Das ist so, weil die Adressaten einer RL nur die
MS sind und nur diese sollen verpflichtet werden. Außerdem würde man
sonst die Wirkung von RL und Verordnungen verwischen.
Bsp: Fall Faccini/Dori: Frau Faccini schloss am Mailänder HBF einen
Vertrag für einen englisch Sprachkurs ab. Zu Hause stellt sie fest, dass
der Kurs auf einem zu hohen Niveau ansetzt und deshalb für sie
ungeeignet ist und widerruft schriftlich den Vertrag. Dabei beruft sie sich
auf eine neue EU RL. Problematisch war jedoch, dass Italien die
betreffende RL noch nicht umgesetzt hatte. Der EuGH entschied, dass
sich Faccini/Dori nicht auf die RL berufen kann, da die RL keine
Horizontalwirkung entfaltet.
Der Sprachdienstleister kann nichts dafür, dass die RL nicht umgesetzt
wurde.
WARENVERKEHRSFREIHEIT

Das Hauptziel der EU ist die Errichtung eines Binnenmarktes (Art. 3 III EU). Ein
wichtiger Schritt zur Erreichung dieses Zieles ist die Verwirklichung der 4
Grundfreiheiten (Art. 26 II AEU).

Die Warenverkehrsfreiheit ist Teil des Binnenmarktes und der Binnenmarkt ist ein
maßgeblicher Teil der EU.

Case Study – Warenverkehrsfreiheit


Der deutsche Einzelhändler REWE möchte französischen Cassis Likör (sog. „Cassis
de Dijon“) nach Deutschland importieren und ihn dort als „Likör“ verkaufen. Der
Alkoholgehalt von Cassis beträgt 15 %. Das deutsche Branntweinmonopolgesetz
verlangt jedoch für Fruchtliköre einen Mindestalkoholgehalt von 25 %. Die
zuständige deutsche Behörde untersagte daher REWE den Verkauf des Cassis als
„Likör“. REWE hatte daher zwei Optionen: (a) Entweder stoppte REWE den Import
von Cassis aus Frankreich gänzlich oder (b) REWE verkaufte den Cassis nicht unter
der Bezeichnung “Likör“, sondern unter einer anderen, weniger prestigeträchtigen
Bezeichnung. Beide Optionen hätten jedoch zu signifikanten Gewinneinbußen für
REWE geführt. Daher leitete REWE ein Gerichtsverfahren gegen das deutsche
Branntweinmonopolgesetz ein und argumentierte, dass dieses gegen die EU-
Warenverkehrsfreiheit verstoße.

Anwendungsbereich – Ist die Warenverkehrsfreiheit anwendbar?


Die Warenverkehrsfreiheit ist anwendbar, wenn es sich um eine Ware handelt. Nach
EuGH sind Waren bewegliche Sachen, die einen Geldwert haben und Gegenstand
von Handelsgeschäften sein können.

Produziert in der EU
Entweder die Ware wurde in der EU produziert oder wurde in einem Drittstaat
produziert und befindet sich im freien Verkehr in der EU und hat dort alle
Einfuhrformalien erfüllt und die fälligen Zölle wurden erhoben (Art. 28 II AEU).

Grenzüberschreitender Bezug
Ein grenzüberschreitender Bezug ist vorhanden, weil die Ware von einem MS in
einen anderen MS gebracht werden soll. Eine rein interne Konstellation reicht nicht.

Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit

Verbot von Zöllen (Art. 30 AEU)


In der EU sind Zölle und „Abgaben zollgleicher Wirkung“ verboten.
Nach außen erhebt die EU einen gemeinsamen Außenzoll (6-8%).

Zölle
Zoll=hoheitliche Abgabe, die wegen der Ein- oder Ausfuhr von Waren erhoben wird
und die explizit als „Zoll“ bezeichnet wird.

Abgaben zollgleicher Wirkung (AZW)


Einseitig auferlegte finanzielle Belastungen, die aufgrund der Überschreitung einer
Grenze anfallen, unabhängig von ihrer Bezeichnung.

Absolutes Verbot
Der Art. 30 AEU enthält ein absolutes Verbot. D.h. es gibt keine Ausnahme.

Fazit
Das Verbot von Zöllen war insbesondere in der frühen Phase der EWG von
Bedeutung. Heute spielt es kaum mehr eine Rolle. Es werden vielmehr subtilere
Mittel eingesetzt.

Verbot von mengenmäßigen Beschränkungen (Art. 34 AEU)

Art. 34 AEU verbietet alle mengenmäßigen Beschränkungen, sowie Maßnahmen


gleicher Wirkung.

mengenmäßige Beschränkungen
Sind staatliche Maßnahmen, welche die Einfuhr von Waren ganz oder teilweise
untersagen (Kontingente, Importverbot).
Werden heute nicht mehr wirklich verwendet – eher Maßnahmen gleicher Wirkung.

Maßnahmen gleicher Wirkung


Staatliche Maßnahmen, die geeignet sind, mittelbar oder unmittelbar, tatsächlich
oder potenziell den Handel zwischen den MS zu behindern (Dassonville-Formel).
Ausnahme: Verkaufsmodalitäten
Die Dassonville-Formel ist zu weit ausgelegt, weshalb eine Korrektur notwendig war.
Diese erfolgte im Keck-Fall. Nationale Maßnahmen sind nicht von der Dassonville-
Formel erfasst, wenn sie
- Verkaufsmodalitäten regeln und
- Für alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher Weise gelten

1) Verkaufsmodalität
Bestimmt die Art und Weise des Verkaufs einer Ware. Sie regeln das „wo“, „wann“
und „wie“ eines Warenverkaufs.

Abgrenzung: Handelt es sich bei der nationalen Maßnahme um eine


verkaufsbezogene Regelung oder um eine sog. produktbezogene Regelung?

Faustregel:
- Wenn eine nationale Vorschrift das “Wo, Wann, Wie” eines Warenverkaufs
regelt, handelt es sich um eine Verkaufsmodalität
- Falls nicht, dann liegt eine produktbezogene Regelung vor

Bespiele für verkaufsbezogene Regelungen:


- Wann? Öffnungszeiten; Verkaufsverbot an Sonntagen; Verbot Bäckereien
nachts zu betreiben
- Wo? Gesetz, wonach Babymilchpulver nur in Apotheken verkauft werden
darf; Gesetz, wonach Tabak nur in autorisierten Läden verkauft werden
darf.
- Wie? Werbeverbot, z.B. TV-Werbeverbot für Alkohol. Verbot Waren unter
Einkaufspreis zu verkaufen, Keck (1993).

Beispiele für produktbezogene Regelungen:


- Gewichte
- Abmessungen
- Verpackungen
- Rezepturvorschriften

2) “Für alle Wirtschaftsteilnehmer in gleicher Weise gelten“


Die nationale Maßnahme muss für alle Wirtschaftsteilnehmer - rechtlich und faktisch
in gleicher Weise gelten.
- Rechtlich = der Wortlaut des nat. Gesetzes darf nicht zw. Inländern und
EU-Ausländern unterscheiden.
- Faktisch = die tatsächlichen Auswirkungen der Regelung auf Inländer und
EU-Ausländer müssen gleich sein.
RECHTFERTIGUNG

Eine Maßnahme ist gerechtfertigt, wenn (1) ein Rechtfertigungsgrund vorliegt und (2)
die Maßnahme verhältnismäßig ist.

1) Rechtfertigungsgrund

a) geschriebener Rechtfertigungsgrund (Art. 36 AEU)


- öffentliche Sittlichkeit
- öffentliche Ordnung
- öffentliche Sicherheit
- Schutz der Gesundheit
- Schutz von Tieren und Pflanzen
- Schutz nationalen Kulturguts

b) Ungeschriebene Rechtfertigungsgründe (Cassis Rechtsprechung)


Aufgrund des weiten Anwendungsbereichs von Art 34 AEU, hat der EuGH in
Cassis als „Korrektiv“ sog. ungeschriebene Rechtfertigungsgründe entwickelt.

Hierzu zählen:
- Verbraucherschutz
- Fairness des Handelsverkehrs
- Umweltschutz
- Schutz kultureller Belange
- Schutz der Medienvielfalt
- Schutz der Grundrechte

Die Rechtfertigung einer Maßnahme reicht nicht aus, sie muss zudem auch
verhältnismäßig sein.

VerhältnismäßigkeitS
Eine staatliche Maßnahme ist verhältnismäßig, wenn sie
- geeignet
- erforderlich und
- angemessen ist
um das angestrebte Ziel zu erreichen

Im Rahmen der „Erforderlichkeit“ ist zu prüfen, ob das Ziel nicht auch mit
weniger belastenden Maßnahmen zu erreichen ist (=> „milderes Mittel“).

In vielen Fällen lehnt der EuGH die Verhältnismäßigkeit staatlicher


Maßnahmen ab. Oft existiert nach Ansicht des EuGH ein „milderes Mittel”.

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