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Wintersemester 2023/24

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG)

PD. Dr. David Paulus


Lehrstuhlvertreter
Professur International Business Law

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus


Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG)

ALLGEMEINE INFORMATIONEN

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus


ZUR PERSON:

PD Dr. David Paulus


Lehrstuhlvertreter
Professur International Business Law

T +49 341 97-25340

david.paulus@uni-leipzig.de

− Fragen gerne jederzeit per E-Mail direkt an mich


− Sprechstunde: montags 11:30 bis 12:30; Raum 5.20 in der Burgstr. 27

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ORGANISATORISCHES:

1. Ablauf der Veranstaltung:


Die Vorlesung richtet sich primär an Studenten SPB 3, 4 und 9
2. Leistungsnachweis:
Für LL.M.- + Erasmus-Studenten wird bei Bedarf eine mündliche Prüfung angeboten
Für sämtliche Studenten besteht die Möglichkeit des Erwerbs eines SQ-Scheins
3. Vorlesungsmaterialien:
Download auf der Moodle-Seite zur Vorlesung
4. Literaturhinweise:
S. das Literaturverzeichnis auf der Moodle-Seite zur Vorlesung
5. Wünsche?

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GLIEDERUNG DER VORLESUNG

§ 1 – Einführung
§ 2 – Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts (Teil I / 1)
§ 3 – Allgemeine Bestimmungen (Teil I / 2)
§ 4 – Abschluss des Vertrages (Teil II)
§ 5 – Die Regeln zum Warenkauf (Teil III)
§ 6 – Wesentliche Unterschiede zum deutschen Kaufrecht (BGB / HGB)
§ 7 – Übungsfall zum UN-Kaufrecht

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Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG)

§ 1 – EINFÜHRUNG

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§ 1 – Einführung

I. Was ist das UN-Kaufrecht?


II. Bedeutung des UN-Kaufrechts
III. Entstehungsgeschichte des UN-Kaufrechts
IV. Aufbau und Systematik des UN-Kaufrechts
V. „Besonderheiten“ des UN-Kaufrechts im Rechtsvergleich
VI. Verhältnis des UN-Kaufrechts zum Internationalen Privatrecht
VII. Verhältnis des UN-Kaufrechts zum nationalen Sachrecht
VIII. (Lern-)Ziele der Vorlesung

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I. WAS IST DAS (WIENER) UN-KAUFRECHT? (1/2)

Übereinkommen der Vereinten Nationen über Verträge über den internationalen


Warenkauf vom 11.4.1980
CISG - Convention on Contracts for the International Sale of Goods
1. Bisher bedeutendste privatrechtsvereinheitlichende Konvention
➢ d.h. das UN-Kaufrecht ist ein völkerrechtlicher Staatsvertrag
➢ Durch Zustimmungsgesetz (BGBl. 1989 II, 588) + Ratifikation Teil des dt. Rechts
➢ Ratifikation = völkerrechtlich verbindliche Erklärung der Bestätigung eines
abgeschlossenen völkerrechtlichen Vertrages durch die Vertragsparteien
➢ D.h. bei Wahl deutschen Rechts i.S.v. Art. 3 Rom I-VO auf einen Kaufvertrag u.U.
Wahl des CISG statt der§§ 433 ff. BGB (Haftungsfalle!)
2. Das Zustimmungsgesetz beinhaltet daneben auch (wenige) materielle Vorschriften
➢ CISG-Vertragsgesetz (CISGG) in der BRD – Jayme/Hausmann, Nr. 77a
➢ Zur Anwendung aufgrund von IPR-Verweisung sowie zur Verjährung
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I. WAS IST DAS (WIENER) UN-KAUFRECHT? (2/2)

3. Das UN-Kaufrecht ist sog. (materielles) „internationales Einheitsrecht“


➢ Rechtsvorschriften, die in mindestens zwei Staaten gleichlautend und
allgemein-verbindlich gelten
➢ Sachrecht, das innerhalb seines Anwendungsbereichs Vorrang vor dem
IPR und damit auch vor dem vom IPR berufenen materiellen Recht besitzt
4. Wesentlicher Inhalt des CISG:
➢ regelt Abschluss und wesentliche Rechtsfolgen internationaler Kaufverträge
➢ erfasst nur Kaufgeschäfte über bewegliche Sachen
➢ schließt grds. Verbraucherkäufe aus
➢ D.h. im Kern regelt CISG internationale professionelle
Warenlieferungsverträge

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II. BEDEUTUNG DES UN-KAUFRECHTS

1. Die wirtschaftliche + praktische Bedeutung des UN-Kaufrechts ist immens


➢ Derzeit ratifiziert durch weltweit 97 Staaten
➢ Von den 20 bedeutendsten Handelspartnerländern von D fehlt nur das VK
➢ potenziell auf ca. 80 % d. globalen Warenhandels (inkl. Öl/Gas) anwendbar
2. Das UN-Kaufrecht ist zwar dispositiv, d.h. abwählbar
„Die Geschichte des UN-Kaufrechts ist die Geschichte seiner Abwahl“

➢ Erfolgt, anders als früher, immer seltener


➢ Kann anwaltliche Pflichtverletzung darstellen, da die Regeln des UN-
Kaufrechts oftmals günstiger für die Parteien sind als die §§ 433 ff. BGB
➢ Nach h.M. z.B. Umgehung Lieferantenregress (§§ 445a f. BGB) möglich

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III. ENTSTEHUNGSGESCHICHTE DES UN-KAUFRECHTS (1/2)
1. 1928: Erste Vorarbeiten
➢ Ernst Rabel unterbreitet UNIDROIT (Institut international pour l’unification du droit
privé in Rom) einen Vorschlag zur Vereinheitlichung des Kaufrechts
➢ Ernst Rabel (1874 - 1955) gilt als Begründer der mod. Rechtsvergleichung in D
➢ 1935 – 1939 erster Entwurf unter Mitwirkung Rabels
➢ Rabels Schaffen „wegweisend“ für CISG
➢ Insb. das Werk „Recht des Warenkaufs. Eine rechtsvergleichende Darstellung“
2. 1950: Übernahme durch die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht
= bereits im Jahr 1893 gegründete zwischenstaatliche Organisation mit der Aufgabe,
die fortschreitende Vereinheitlichung der Regeln des IPR zu arbeiten
➢ Konferenz setzt eigene Kaufrechtskommission ein (der auch Rabel bis zu
seinem Tod 1955 angehörte)
➢ 1956 entsteht so ein erster Entwurf

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III. ENTSTEHUNGSGESCHICHTE DES UN-KAUFRECHTS (2/2)
3. 1964: Haager Kaufrecht
➢ Einheitliches Gesetz über den internation. Kauf beweglicher Sachen (EKG) vom 17. 7. 1973
➢ Einheitliches Gesetz über d. Abschluss v. intern. Kaufverträgen über bewegliche Sachen (EAG)
➢ Geringe Verbreitung (aber: ratifiziert in Deutschland!), gilt daher als „Fehlschlag“

4. 1968: UNCITRAL - Übernahme der Weiterentwicklung durch Vereinte Nationen


= United Nations Commission on International Trade Law

5. 1980: Wiener Konferenz von 1980


➢ 10.3. bis 11.4.1980 unter Teilnahme von insg. 62 Staaten - Beratung und Beschlussfassung
➢ 6 Amtssprachen (Arabisch, Englisch, Russisch, Spanisch, Chinesisch, Französisch)
➢ NICHT: deutsch
➢ lnkrafttreten nach Art. 99 I bei 10 Ratifikationen (11.12.1986) + 1 Jahr (99 II) = 1.1.1988
➢ BRD: Geltung seit dem 1. 1. 1991 (DDR seit dem 1.3.1990)

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IV. AUFBAU UND SYSTEMATIK DES UN-KAUFRECHTS (1/3)
Das CISG ist in insgesamt vier Teile untergliedert

Teil I Teil 2 Teil 3 Teil 4


(Artt. 1-13) (Artt. 14-24) (Artt. 25-88) (Artt. 89-101)

Anwendungsb.+ Abschluss des Warenkauf Schluss-


allgemeine Vertrages bestimmungen
Bestimmungen

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IV. AUFBAU UND SYSTEMATIK DES UN-KAUFRECHTS (2/3)

Das CISG ist in vier Teile untergliedert:


1. Teil I (Artt. 1 – 13): „Anwendungsbereich und allgemeine Bestimmungen“
➢ Vorschriften über Anwendungsvoraussetzungen und Anwendungsbereich
➢ Allgemeine materiell-rechtliche Bestimmungen (zur Auslegung von Willens-
erklärungen, zur Geltung von Gebräuchen, zum Begriff der Niederlassung, zur Form
von Rechtsgeschäften oder geschäftsähnlichen Handlungen)
➢ Entspricht im autonomen deutschen Recht u.a. den §§ 125 ff., 133, 157 BGB
+ den Regeln über das kaufm. Bestätigungsschreiben + § 346 HGB
2. Teil II (Artt. 14 – 24): „Abschluss des Vertrages“
➢ Allgemeine Regeln zum Vertragsabschluss (grds. nicht kaufvertragsspezifisch)
➢ Entspricht im deutschen Recht u.a. den §§ 145 – 156 BGB

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IV. AUFBAU UND SYSTEMATIK DES UN-KAUFRECHTS (3/3)

Das CISG ist in vier Teile untergliedert:


3. Teil III (Artt. 25 – 88): „Warenkauf“
➢ „Herzstück“ des CISG
➢ Rechte und Pflichten der Vertragsparteien
➢ Rechtsbehelfe bei Leistungsstörungen – d.h. Leistungsstörungsrecht
➢ Entspricht im deutschen Recht §§ 275 ff., 320 ff., 433 ff. BGB + 373 ff. HGB

4.Teil IV (Artt. 89 – 101): „Schlußbestimmungen“


➢ Regelung des Verhältnisses zu anderen Rechtsnormen (Art. 90 CISG)
➢ Möglichkeit diverser Vorbehalte (Artt. 92 – 96 CISG), jederzeit zurücknehmbar, vgl.
Art. 97 IV CISG
➢ Regelung der zeitlichen Anwendbarkeit in Art. 100 CISG

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V. „BESONDERHEITEN“ DES CISG IM RECHTSVERGLEICH (1/2)

Vorab sei auf – aus deutscher Sicht – auf folgende Besonderheiten des CISG hingewiesen:
1. Das CISG ist ein Kompromiss: daher viele Lücken und allgemeine Rechtsbegriffe
➢ z.T. Symbiose verschiedener Rechtskreisbesonderheiten, insb. von civil und common law
➢ Lies z.B. Art. 28 CISG oder Artt. 4 + 5 CISG
2. Weitgehender Ausschluss von Verbrauchergeschäften:
➢ Vgl. Art. 2 lit. a CISG: keine Anwendung auf KV über „Ware für den persönlichen Gebrauch
oder den Gebrauch in der Familie oder im Haushalt“
➢ Aber: dennoch Anwendbarkeit des CISG möglich (Wortlaut „es sei denn“), s. Art. 1 II CISG
3. Sehr weitgehende Privatautonomie:
➢ Art. 6 CISG: Abwahl des gesamten + von Teilen des CISG möglich (vgl. § 311 I BGB)
➢ lies auch: Art. 16 I CISG – Vergleich zum deutschen Recht?
4. Existenz weltweiter, mannigfacher Rspr.; jedoch kein einheitliches Obergericht

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V. „BESONDERHEITEN“ DES CISG IM RECHTSVERGLEICH (2/2)
5. Das UN-Kaufrecht ist sehr vertragsschlussfreundlich:
➢ Vertragsschluss trotz verspäteter/abändernder Annahme möglich, Artt. 19 II, 21
➢ Grds. zudem Formfreiheit (lies: Art. 11 CISG!, aber: Artt. 12, 96 CISG)
6. Das UN-Kaufrecht ist sehr schadenersatzfreundlich:
➢ Regelung des Schadenersatzes (beachte fehlendes „s“!) in Artt. 45/61 I + 74 ff.
➢ keine Differenzierung zwischen Schadenersatz neben/statt der Leistung
➢ Grds. sofort anwendbar (keine unbedingte Nachfristsetzung erforderlich)
➢ Dennoch zT Recht des Verkäufers zur 2. Andienung (lies: Art. 46, 48 I, II CISG!)
➢ kein Vertretenmüssen erforderlich, d.h. Garantiehaftung
7. Vermeidung des Rücktritts (= „Aufhebung“): lies: Artt. 49 I, 25, 64 I CISG!
➢ Rücktritt ist nur ultima ratio und soll weitgehend vermieden werden

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VI. VERHÄLTNIS DES UN-KAUFRECHTS ZUM IPR
1. Das CISG geht – u.a. aus Art. 25 I Rom-VO ersichtlich – grds. dem IPR vor
➢ D.h. Anwendbarkeit nicht etwa nur kraft IPR, sondern aus eigener „Kraft“
➢ Art. 1 I lit. a CISG: Im Anwendungsbereich des CISG erübrigt sich oft eine kollisionsrechtliche
Anknüpfung des Vertragsstatuts nach Art. 3 ff. Rom I-VO, da CISG = materielles Einheitsrecht

2. Jedoch kann auch im Anwendungsbereich des CISG eine IPR-Prüfung nötig sein
➢ vgl. Art. 1 I lit. b CISG
➢ Geltung Art. 1 I lit. b CISG kann ausgeschlossen werden (lies: Art. 95 CISG, zB USA)
➢ In der Lit. ist umstritten, ob Vorbehalt nach Art. 95 mittelbar über Art. 1 I lit. b auch Nichtvor-
behaltsstaaten bindet, dh ob zB dt Gerichte lit. b nicht anwenden, wenn IPR auf USA verweist
➢ h.Lit.: nein; für Deutschland schreibt jedoch Art. 2 CISGG die Beachtung vor

3. Auch in Nicht-Vertragsstaaten Anwendbarkeit, wenn deren IPR auf Vertragsstaat verweist


➢ zB das Vereinigte Königreich, Irland, Malta

4. Auch für die Lückenfüllung kann neben CISG auf IPR zurückzugreifen sein (Art. 7 II)
➢ Das Gleiche gilt für Rechtsfragen, die nicht in den AB des CISG fallen (lies: Artt. 4, 5 CISG!)

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VII. VERHÄLTNIS DES UN-KAUFRECHTS ZUM NAT. KAUFRECHT

D.h. – aus deutscher Perspektive – zu den §§ 433 ff. BGB sowie 373 ff. HGB

1. Grds. verdrängt CISG – als lex specialis – die 433 ff. BGB
➢ Für Rechtsfragen, die nicht im CISG geregelt, jedoch bedeutsam
➢ Sog. „Lücken“ (Unterscheidung zwischen internen und externen Lücken)
➢ zB Verjährung; Bindungswirkung Willenserklärung bei Tod u.v.m.

2. Das CISG kann (u.U. partiell) abgewählt werden (lies erneut: Art. 6 CISG!)
➢ Die Rspr. legt jedoch strengen Maßstab an
➢Nicht z.B. bei Wahl „deutschen Rechts“
➢Denn: Das UN-Kaufrecht IST Teil des deutschen Rechts
➢z.B.: „deutsches Recht unter Ausschluss des UN-Kaufrechts“
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VIII. DIE WICHTIGSTEN (LERN-)ZIELE DER VORLESUNG

➢ Sensibilisierung für die Funktionsweise internationaler Konventionen


➢ autonome Auslegung, Berücksichtigung mehrerer Amtssprachen
➢ Erneut: Deutsch ist keine Amtssprache des CISG!
➢ große Gefahr der Anwendung nationaler Vorstellungen
➢ Umgang mit bedeutsamer Rechtsquelle, deren Anwendbarkeit oft übersehen wird
➢ CISG war teilweise Vorbild bei der Schuldrechtsmodernisierung
➢ LL.M.- + Erasmus-Studenten: Vorbereitung auf etwaige mündliche Prüfung
➢ Anmeldung per E-Mail
➢ Denkbar Prüfung in IPR-Klausur im Schwerpunktbereich
➢ CISG z.T. Gegenstand der mündlichen Prüfung im 2. Staatsexamen
➢ Vorrangig Vermittlung des Gesetzesaufbaus und der wesentlichen Streitpunkte

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Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG)

§ 2 – ANWENDUNGSBEREICH DES
UN-KAUFRECHTS

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§ 2 – Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts

I. Übersicht zum Anwendungsbereich des UN-Kaufrechts

II. Räumlicher Anwendungsbereich

III. Sachlicher Anwendungsbereich

IV. Zeitlicher Anwendungsbereich

V. Parteiautonomie im UN-Kaufrecht

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I. ÜBERBLICK – ANWENDUNGSBEREICH DES UN-KAUFRECHTS
Wie auch bei EU-Verordnungen sowie allen sonstigen Staatsverträgen auch (z.B.
KSÜ, MSA) ist der Anwendungsbereich des CISG in drei Schritten zu prüfen:

1. Räumlicher Anwendungsbereich: Artt. 1, 10 CISG


➢ Internationalität des SVs mit Bezug zum Territorium mindestens 1 Vertragsstaats
➢ Internationalität muss zudem erkennbar sein, Art. 1 II CISG

2. Sachlicher Anwendungsbereich: Artt. 1, 3 CISG


➢ (a) Kaufvertrag über (b) Waren – BEACHTE: autonome Auslegung
➢ Beachte Ausnahmen gem. Art. 2 CISG (lesen!) sowie die Lückenproblematik

3. Zeitlicher Anwendungsbereich: Art. 100 CISG


➢ Unterscheidung zwischen Teil II (Art. 100 I) und Teil III (Art. 100 II)

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II. RÄUMLICHER ANWENDUNGSBEREICH DES CISG (1/2)
1. Internationalität des Sachverhalts: Artt. 1, 10 CISG

Art. 1 I CISG verlangt, dass die Vertragsparteien Niederlassung in verschieden. Staaten haben
Niederlassung = autonom, undefiniert = Ort, von dem aus eine nach außen gerichtete Teil-
nahme am Wirtschaftsverkehr von gewisser Dauer + mit gewisser Selbstständigkeit erfolgt
(P1) Mehrere Niederlassungen
➢ Art. 10 lit. a CISG = entscheidend ist diejenige Niederlassung, die die engste Beziehung zu
dem jeweiligen Vertrag und seiner Erfüllung hat
(P2) Keine Niederlassungen
➢ Art. 10 lit. b CISG = gewöhnlicher Aufenthalt der jeweiligen Partei maßgeblich
Der Auslandsbezug muss nach Art. 1 II CISG erkennbar sein (sonst irrelevant)
➢ aus Vertrag, aus Verhandlungen zw. den Parteien oder aus von ihnen gegeb. Informationen
Sonstige persönlichen Eigenschaften der Parteien (Kaufmann, Staatsangehörigkeit) sind
gleichgültig, Art. 1 III CISG

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II. RÄUMLICHER ANWENDUNGSBEREICH DES CISG (2/2)
2. Spezifische Beziehung zu einem oder mehreren Vertragsstaaten: Art. 1 I CISG
Zur Internationalität muss ein qualifizierter Bezug gerade zu mindestens einem Vertragsstaat
des CISG hinzukommen
a) Art. 1 I lit. a CISG
➢ Vertragsparteien haben ihre Niederlassung jeweils in verschiedenen Vertragsstaaten
➢ derzeit 97 Vertragsstaaten [nicht UK!], s. Fn. 1 zum CISG im Jayme/Hausmann, Nr. 77
(b) Art. 1 I lit. b CISG
➢ IPR des Gerichtsstaates führt zur Anwendung des Rechts eines Vertragsstaats
in Deutschland: Artt. 3 ff. Rom I-VO (auch Rechtswahl!, vgl. Rechtsgedanke Art. 6 CISG)
BEACHTE erneut: Vorbehaltsmöglichkeit nach Art. 95 CISG, wonach Staaten die Möglichkeit
haben, das CISG ohne Art. 1 I lit. b einzuführen
Umstritten, ob CISG auch dann anwendbar ist, wenn d. IPR auf einen „Art. 95-Staat“ verweist
➢ h.M. ja, in Deutschland aber (-) wg. Art. 2 CISGG

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KURZER BEISPIELSFALL
Beispielsfall 1: Die Klägerin hat ihren Sitz in den Niederlanden und handelt mit Milcher-
zeugnissen. In der ersten Jahreshälfte 1998 bezog sie aufgrund mehrerer Verträge von der
in Deutschland ansässigen Beklagten insgesamt 2557,5 t Milchpulver. Die Bestellungen er-
folgten telefonisch und wurden in schriftlichen Bestätigungen festgehalten. Das Milchpul-
ver wurde an eine algerische Gesellschaft weiterveräußert, die das Milchpulver verarbeitete.
Nach der Verarbeitung stellte sich heraus, dass die produzierte Milch mit Lipasen befallen
und unbrauchbar war. Der algerische Abnehmer beanstandete 207,6 t Milchpulver und 10.-
000 l verarbeitete Trinkmilch. Nach welchem Recht beurteilen sich eventuelle Schadenser-
satzansprüche der Klägerin gegen die Beklagte?

Fraglich, ob das UN-Kaufrecht Anwendung findet.


1. Sachliche Anwendbarkeit hier (+), da ein Kaufvertrag über Waren vorliegt.
2. Zu prüfen aber, ob das CISG räumlich anwendbar ist.
a) Internationalität i. S. von Art. 1 I CISG hier (+), da grenzüberschreitender Verkauf
(Niederlande/-Deutschland).
b) Auch der qualifizierte Auslandsbezug zu Vertragsstaaten ist hier gegeben.
➢ Denn hier sind beide Staaten Vertragsstaaten i. S. der Art. 1 I lit. a CISG
➢ Abschluss und Inhalt des Kaufvertrags beurteilen sich deshalb nach dem UN-Kaufrecht

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KURZER BEISPIELSFALL
Beispielsfall 2: Kaufvertrag zwischen einem deutschen Maschinenbauunternehmen und
seinem Abnehmer mit Sitz im Vereinigten Königreich. Räumliche Anwendbarkeit des CISG?

1. Internationalität i. S. von Art. 1 I hier (+), da grenzüberschreitender Verkauf (UK/-Deutschland).


2. Fraglich aber, ob der qualifizierte Auslandsbezug zu Vertragsstaaten hier gegeben ist.
a) Hier sind nicht beide Staaten Vertragsstaaten i. S. der Art. 1 I lit. a CISG.
Denn das Vereinigte Königreich hat das UN-Kaufrecht nicht ratifiziert.
Anwendung des Übereinkommens nach Art. 1 I lit. a CISG scheidet aus.
b) Damit kommt eine Anwendbarkeit nur gem. Art. 1 I lit. b CISG in Betracht.
Dafür müsste das IPR des Gerichtstaats auf das Recht eines Vertragsstaats verweisen.
Hier (+), weil der Kaufvertrag kraft objektiver Anknüpfung (Art. 4 I lit. a Rom I-VO) dem
deutschen Recht unterliegt, und damit dem Recht 1 Vertragsstaats i. S. von Art. 1 I lit. b CISG.
c) Deutschland hat keine Vorbehalt nach Art. 95 CISG erklärt.
Damit räumliche Anwendbarkeit hier (+).

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III. SACHLICHER ANWENDUNGSBEREICH DES CISG (1/2)

Sachlich muss für die Anwendbarkeit des CISG (1.) ein Kaufvertrag über (2.) Waren vorliegen,
und es darf (3.) keine Bereichsausnahme nach Art. 2 CISG vorliegen

1. Kaufvertrag: Art. 1, 3 CISG


Kaufvertrag = autonom, undefiniert = im Kern: Ware (+Übergabe v. Urkunden, 34) gegen Geld
➢ Orientierung an Artt. 30 + 53 CISG, die Verpflichtungen der Kaufvertragsparteien regeln
➢ Auch, wenn Ware erst herzustellen oder zu erzeugen ist, Art. 3 I CISG (WerklieferungsVertr.)
➢ Ausnahme: Art. 3 I Hs. 2, wenn Besteller wesentliche Teil der für Herstellung/-Erzeugung
notwendigen Stoffe selbst zur Verfügung zu stellen hat
➢ „Wesentlich“ = nach den Umständen, im Zweifel bei Wert > 50%
➢ U.U. auch bei Kaufverträgen mit arbeits-/dienstvertraglichen Verpflichtungen, vgl. Art. 3 II
➢ Ausnahme ebenfalls wenn deren Wert > 50%
➢ auch Sukzessivlieferungsverträge sind ohne Weiteres (lies Art. 73)
➢ nicht jedoch Tausch, Vertriebshändlerverträge, u.U. (wenn hinr. konkret) Vorvertrag, Leasing

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III. SACHLICHER ANWENDUNGSBEREICH DES CISG (2/2)
2. Begriff der „Waren“: Artt. 1 CISG
autonom, undefiniert = grds. körperliche Sachen, die zum Zeitpunkt d. Lieferung beweglich sind
➢ umstritten bei Software + Daten, nach h.M. (+), weiter als nach h.M. im deutschen Recht
➢ NICHT hingegen Kaufverträge über Immaterialgüterrechte, Forderungen und
Gesellschafts-anteile, Immobilien

3. Bereichsausnahmen: Artt. 2 CISG (lesen!)


➢ Verbrauchsgüterkauf grds. ausgeschlossen (lit. a)
➢ jedoch Gegenausnahme bei fehlender Erkennbarkeit
➢ Zudem Anwendbarkeit (+), wenn Verbraucher = Verkäufer (vgl. Art. 1 III CISG)
➢ Nur, wenn ausschließlich privater Gebrauch
➢ Versteigerungen (eng; umstr.), gerichtliche Maßnahmen
➢ Wertpapiere, Schiffe, Luftfahrzeuge
➢ elektrische Energie (NICHT Öl, Gas)

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KURZER BEISPIELSFALL
Beispielsfall 3: Ein deutsches Unternehmen gibt bei einem Forschungsinstitut in der Schweiz eine
Marktstudie in Auftrag. Die Studie wird schriftlich dokumentiert und der Bestellerin als schriftli-
ches Dokument übergeben. Anwendbares Recht?

Fraglich, ob das UN-Kaufrecht anwendbar ist.


1. Problematisch ist der sachliche Anwendungsbereich (Kaufvertrag über Ware)
(P) Kaufvertrag?
Hier überwiegt Dienstleistungskomponente, und damit trotz Art. 3 II CISG kein Kaufvertrag über Ware
(> 50 %).
Zwar fand die geschuldete wissenschaftliche Untersuchung ihre abschließende Verkörperung in Form
eines schriftlichen Berichts; sie ist aber nach der Verkehrsanschauung kein typischer Gegenstand eines
Handelskaufes und damit wohl alleine deshalb keine Ware.
Den Parteien ging es vielmehr um die Übertragung des Nutzungsrechts an einem geistigen Arbeits-
produkt, das lediglich zum Zweck intellektueller Erfassbarkeit in schriftlicher Form verkörpert war.
Nach Art. 3 II CISG liegt mithin kein Kaufvertrag über Waren i. S. des Übereinkommens vor.
2. Das anwendbare Recht ist daher nach Art. 4 I lit. b Rom I-VO zu bestimmen = autonomes
schweizerisches Recht.

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IV. ZEITLICHER ANWENDUNGSBEREICH DES UN-KAUFRECHTS
Ab welchem Zeitpunkt findet / fand das UN-Kaufrecht Anwendung
➢ Gesonderte Betrachtung für jeden Vertragsstaat notwendig

1. Zeitliche Anwendbarkeit von Teil II:


Hinsichtlich Teil II statuiert Art. 100 I CISG, dass die Vorschriften zum Vertrags-
abschluss nur dann Anwendung finden, wenn das Angebot nach Inkrafttreten des
CISG in den für Art. 1 I lit. a relevanten Staaten oder im für Art. 1 I lit. b
maßgeblichen Staat gemacht worden ist
➢ h.M.: „gemacht“ = Abgabe des Angebots
➢ M.M.: „gemacht“ = Zugang des Angebots, d.h. Art. 15 I iVm 24 CISG

2. Zeitliche Anwendbarkeit von Teil III:


Damit Teil III Anwendung finden kann, ist es gem. Art. 100 II CISG notwendig, dass
der Kaufvertrag nicht vor Inkrafttreten in diesen Staaten geschloss. worden ist
➢ Zeitpunkt des Vertragsschlusses = Artt. 23, 18 II, 24 CISG

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V. PARTEIAUTONOMIE IM UN-KAUFRECHT (1/2)

Das CISG gesteht der Privat- und Parteiautonomie größtmöglichen Raum zu:
Nach Art. 6 CISG können die Vertragsparteien grds. die Anwendung des CISG ausschließen (opt
out) bzw. vereinbaren (opt in) oder – vorbehaltlich insb. Art. 12 CISG – von den Bestimmungen
des Übereinkommens abweichen/deren Wirkung ändern
➢ Bei Abwahl richtet sich Abwahlvereinbarung nach 14 ff. CISG, die positive Rechtswahl selbst
hingegen nach der Rom I-VO
1. Abwahl des CISG: Art. 6 CISG
Abwahl kann ausdrücklich oder stillschweigend erfolgen, vgl. Art. 8 CISG
Die Rspr. wendet bei Abwahl strengen Maßstab an !!!
➢ Wiederholung: in der Verweisung auf die Rechtsordnung eines Vertragsstaates durch
Rechtswahl (z.B. „deutsches Recht“) liegt nach h.M. keine Abwahl des CISG
➢ CISG nur dann nicht berufen, wenn mit hinreichender Sicherheit aus dem Vertrag deutlich wird,
dass die Parteien über die Rechtswahl das materielle, unvereinheit-lichte Recht des
betreffenden Vertragsstaates vereinbaren wollten
➢ zB „Dieser Kaufvertrag unterliegt dem Recht der BRD unter Ausschluss des CISG.“

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V. PARTEIAUTONOMIE IM UN-KAUFRECHT (2/2)
Anwaltliche Haftungsfalle!
➢ Keine konkludente spätere Abwahl bei Verhandeln zu § 433 BGB ohne Bewusst-sein der
etwaigen Anwendbarkeit des CISG

2. Positive Wahl des CISG jenseits seines Anwendungsbereichs:


Grds. kraft Privat- und Parteiautonomie ebenfalls ohne Weiteres möglich und z.T. üblich
➢ Umstritten, ob materiell-rechtliche Wahl (ähnlich AGB; h.M.) o. kollisionsrechtliche Wahl
➢ Nur im zweitgenannten Fall auch Abwahl der zwingenden Bestimmungen des anw. Rechts

3. Abweichung von einzelnen CISG-Vorschriften:


Grds. ist auch eine Abweichung von
➢ z.B. in Incoterms (s. dazu gesonderte Übersicht)
➢ Ausnahme: Form, Art. 12 CISG

4. Sonderproblem AGB: z.B. bei Abwahl des CISG in AGB – s. spätere Folie
➢ Zweiteilung der rechtlichen Behandlung von AGB im CISG

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Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG)

§ 3 – ALLGEMEINE
BESTIMMUNGEN

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§ 3 – Allgemeine Bestimmungen

I. Auslegung im Bereich des UN-Kaufrechts


II. Regelungsmaterie des UN-Kaufrechts
III. Die sog. „Lückenproblematik“
1. Die Behandlung sog. „externer“ Lücken
2. Die Behandlung sog. „interner“ Lücken
3. Übersicht über die wichtigsten Grundsätze des UN-Kaufrechts
4. Die wichtigsten externen Lücken des UN-Kaufrechts
IV. (Handels-)Bräuche und UN-Kaufrecht, Art. 9 CISG
V. UN-Kaufrecht und Form, Artt. 11, 13 CISG

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I. AUSLEGUNG IM BEREICH DES UN-KAUFRECHTS (1/2)
Das CISG unterliegt naturgemäß eigenen Auslegungsmethoden, die in Art. 7 CISG normiert sind
Das CISG ist autonom + international einheitlich auszulegen, Art. 7 I CISG
➢ grds. kein Rückgriff auf nationale Rechtsvorstellungen
(P) kein einheitliches Obergericht, das für verbindliche Klärung von Rechtsfragen zuständig ist

1. Auslegungsgrundsätze des CISG: Art. 7 I CISG [„wichtigste Vorschrift im CISG“]


a) Berücksichtigung des internationalen Charakters des CISG
➢ autonome Auslegung!
b) Förderung der international einheitlichen Anwendung des CISG
➢ D.h. auch Berücksichtigung ausländischer Rechtsprechung und vice versa
c) Wahrung des guten Glaubens im internationalen Handel / bestimmten Handelszweigen
➢ Pflicht z. Wahrung d. Interessen d. Vertragspartners; Fairness (≈ 242 BGB) [wohl hM; umstr]
➢ Verbot widersprüchlichen Verhaltens + Verbot missbräuchlicher Rechtsausübung

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I. AUSLEGUNG IM BEREICH DES UN-KAUFRECHTS (2/2)
2. Auslegungsmethoden:

a) Vorrangig der Wortlaut – Achtung, 6 offizielle Amtssprachen


➢ Umstritten, ob Englisch „primus inter pares“
➢ Deutsch ist keine offizielle Amtssprache
b) Historische Auslegung (auch z.T. Rückgriff auf das Haager EKG / EAG)
c) z.T. systematisch (innerhalb des CISG; umstr., ob auch mit anderen intern. Staatsverträgen)
d) Teleologische Auslegung ebenfalls möglich (trotz Ablehnung im englischen Recht / Common law)
➢ E) rechtsvergleichende Auslegung wird von der wohl h.M. dagegen grds. abgelehnt

3. Auslegung von Parteierklärungen: Art. 8 CISG (lesen!)


Art. 8 I, III CISG entspricht ungefähr § 133 BGB
➢ innerer Wille muss nach außen bekundet worden sein
subsidiär Art. 8 II und III CISG
➢ entspricht ungefähr § 157 BGB
(P) späteres Verhalten???
➢ Nur, wenn es tatsächlich Rückschlüsse für Vertragsschluss ermöglicht (d.h. keine Willensänderung)

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II. REGELUNGSMATERIE DES UN-KAUFRECHTS

Wie eingangs erwähnt enthält das CISG viele Lücken und regelt bestimmte Materien
bzw. Rechtsfragen gerade nicht!
➢ Insofern stets Abgrenzung zur sachlichen Regelungsmaterie d. CISG notwendig!
Denn: Regeln des CISG haben Vorrang vor autonomem nationalen Recht, welches
jedoch im Einzelfall ergänzend zur Lückenschließung heranzuziehen ist

Regelungsmaterie des CISG: Artt. 1 – 88 CISG (d.h. Teile I – III)

➢ Die Regelungsmaterie des CISG ergibt sich zunächst durch (Auslegung) seine(r)
Vorschriften!
➢ Gem. Art. 4 S. 1 CISG grds. nur Abschluss des Kaufvertrages + Rechte und
Pflichten des Verkäufers und des Käufers daraus
➢ Jedoch ungenau (vgl. etwa Art. 29 CISG: auch Änderung / Aufhebung des Vertrages)
➢ Wenn ausdrückliche Regelung im CISG, liegt naturgemäß keine Lücke vor

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 38


III. DIE SOG. „LÜCKENPROBLEMATIK“
Das UN-Kaufrecht regelt zwangsläufig nicht alle Rechtsfragen, die sich im Umfeld
internationaler professioneller Warenkaufverträgen stellen
Es verbleiben sog. Lücken, die geschlossen werden müssen mit Ersatzrecht
➢ Unterscheidung zwischen „externen“ und „internen“ Lücken

1. Externe Lücken
= Rechtsfragen, die außerhalb der Regelungsmaterie des CISG liegen
➢ D.h. für die das CISG gar keine Lösung präsentieren möchte
➢ Vgl. insbesondere Artt. 4 und 5 CISG (aber: nicht abschließend)

2. Interne Lücken
= Fragen, die zwar in die Regelungsmaterie des CISG fallen, dort aber nicht
ausdrücklich geregelt sind
➢ Vgl. insb. Art 7 II CISG
Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 39
1. EXTERNE LÜCKEN IM UN-KAUFRECHT (1/2)
1. Die Regelung der externen Lücken:
Bestimmte Bereiche sind vom CISG explizit ausgenommen
➢ s. insbesondere die Ausnahmen in Artt. 4, 5 CISG [+Rechte Dritter]
➢ Daneben gibt es auch implizite externe Lücken
➢ z.B. Abtretung, Aufrechnung (umstr.), Verjährung, Stellvertretung, cic ohne dass es zum Ver-
tragsschluss gekommen ist, ganz allgemein fraudulöses Verhalten
a) Art. 4 S. 2 lit. a: Gültigkeitsfragen
V.a. Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Parteien (vgl. Art. 7 + 12 EGBGB; Art. 13 Rom I-VO), Willens-
mängel / u.U. Anfechtung (vgl. Art. 12 I lit. e Rom I-VO), ferner Nichtigkeit aufgrund Sittenwidrigkeit
oder nationaler Verbotsgesetze (§§ 134, 138 BGB; Art. 9 Rom I-VO); (nur!) Inhaltskontrolle AGB
b) Art. 4 S. 2 lit. b: Eigentumserwerb
Beurteilt sich nach dem Sachenrechtsstatut, Art. 43 EGBGB
(P) Kauf unter Eigentumsvorbehalt = CISG gilt für schuldrechtliche Aspekte, zB Aufhebung wegen
Zahlungsverzug / Pflichtverletzung des Vorbehaltskäufers
c) Art. 5: Körperverletzung/Tod, der durch Ware (Kausalität!) verursacht wird
➢ Ratio: nationale Normen zur Produkthaftung sollen unberührt bleiben
Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 40
1. EXTERNE LÜCKEN IM UN-KAUFRECHT (2/2)
➢ Erfasst nach wohl h.M. auch Regressansprüche des Käufers, der seinerseits seinen (dritten)
Abnehmern Ersatz schuldet, weil diese wg. Tod oder Körperverletzung einer Person haften
(P) SACHSCHÄDEN: Keine externe Lücke; ABER: Verdrängt das CISG das nationale Haftungs-
recht? Wenn, dann nur für Schäden an (warenfremden) Sachgütern nicht vom CISG verdrängt
➢ H.M.: Differenzierung, ob Ausbleiben Schaden nach KV zu erwarten (Erfüllungsinteresse)
➢ Z.B.: CISG, wenn Sprinkleranlage Brand nicht löscht, (-) hingegen bei explod. Maschine
➢ NICHT von Bedeutung ist (nat.) Abgrenzung Vertrag / Delikt (vgl. auch Weiterfresserschäden)

2. Rechtliche Behandlung / Schließung externer Lücken:

Externe Lücken sind durch Rückgriff auf das IPR der lex fori zu schließen
➢ Im Einzelfall aber stets Kontrolle, ob Rechtsfrage nicht doch durch CISG geregelt!
➢ Z.B. verdrängte Art. 68 S. 3 CISG (lesen!) die alte Nichtigkeitsnorm in 306 BGB a.F. (bei
anfänglicher Unmöglichkeit; ähnliche Regelung in der Schweiz, Art. 20 OR, und
Österreich, § 878 ABGB)

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2. INTERNE LÜCKEN

1. Definition der internen Lücke:


= Rechtsfragen, die zwar in den Anwendungsbereich des CISG fallen, dort
aber nicht ausdrücklich geregelt sind
➢ D.h. im Gegensatz zu externen sind interne Lücken zwar von dem durch Art. 4
S. 1 CISG umschriebenen Regelungsbereich des CISG umfasst, jedoch sieht
das CISG keine Lösung hierfür vor

2. Rechtliche Behandlung / Schließung interner Lücken:


Diese Lücken sind nach Art. 7 II CISG primär nach allgemeinen CISG-Grund-
sätzen zu lösen
➢ Z.B. allgemeine Verwirkung – lies Art. 29 II 2 CISG!
Nur hilfsweise Rückgriff auf das IPR der lex fori, Art. 7 II a.E. CISG –
➢ z.B. Zinshöhe; lies Art. 78 CISG (vgl. – ähnlich – § 353 HGB)

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KURZER BEISPIELSFALL
Beispielsfall 4: Die deutsche Verkäuferin hat an eine US-amerikanische Käuferin Holzbear-
beitungsmaschinen verkauft. Die Maschinen wurden direkt an die Dritt-Abnehmerin der
Käuferin, ein russisches Unternehmen, geliefert. Aufgrund von Mängeln an einer Maschine
kam es zu einem Unfall, bei dem Arbeiter der russischen Abnehmerin verletzt wurden. Die
amerikanische Käuferin macht gegen die deutsche Verkäuferin nun u.a. Ersatzansprüche
wegen des Schadens geltend, der ihr aufgrund ihrer Haftung gegenüber ihrer russischen
Abnehmerin wegen der Personenschäden entstanden ist.
Unterfallen diese Regressansprüche dem CISG?
1. Räumliche Anwendbarkeit CISG (+), gem. Art. 1 Abs. 1 lit. a) CISG)
2. Fraglich aber, ob der sachliche Anwendungsbereich eröffnet ist?
a) An sich (+), da Kaufvertrag über Ware, aber:
b) Art. 5 CISG; spricht ausdrücklich von Tod oder Körperverletzung „einer“ Person.
➢ Deshalb greift der Anwendungsausschluss nach h.M. unabhängig davon, ob der Käufer
selbst oder eine andere Person den Körperschaden erlitten hat. (-)
(Dahinter steht die Überlegung, dass die vertragliche Produkthaftung nach nationalem Recht typi-
scherweise darauf angewiesen ist, durch eine Regresskette den Schaden über die verschiedenen
Stationen des Absatzweges bis hin zum Warenhersteller „abzuwälzen“)

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3. WICHTIGE GRUNDSÄTZE DES UN-KAUFRECHTS
➢ Verwirkung; verortet u.a. in Artt. 16 II lit. b, 29 II 2 CISG (lesen!)
➢ Grundsatz der Beschleunigung (s. Artt. 39, 43 CISG) – entspricht in etwa § 377 HGB
➢ weitgehende Partei- und Privatautonomie (Art. 6 CISG)
➢ pacta sunt servanda (stärker noch als im deutschen Recht, da Aufhebung nur ultima ratio, s. Artt. 49 I, 64 I)
➢ Treu und Glauben (vgl. Art. 7 I a.E.) – daraus auch allgemeine Kooperationspflicht der Parteien
➢ Grundsatz des Vertrauensschutzes (Art. 16 II und Art. 29 II 2 CISG)
➢ Berücksichtigung von (Handels-)Bräuchen (s. Art. 9 CISG – lesen!)
➢ grds. Formfreiheit (s. Artt. 11, 13 CISG – lesen!)
➢ favor contractus (Artt. 19 II, 21 CISG)
➢ Pflicht zur Schadensvermeidung / -minderung (vgl. Art. 77 CISG – lesen!, ≈ § 254 BGB)
➢ grds. Leistung Zug um Zug (s. Artt. 58 I, II, 81 II 2 CISG – lesen!)
➢ anders als im BGB (§320) keine Einrede sondern bei Verurteilung von Amts wegen zu berücksichtigen
➢ Damit zugleich Existenz von Zurückbehaltungsrechten (Art. 58 I 2, II und Art. 71 I, II 1 CISG)
➢ Zurechnung von Verhalten und Wissen Dritter möglich (lies: Art. 79 II CISG)
➢ Verzinsung stets schon ab Fälligkeit (Artt. 78, 84 I CISG; entspricht § 353 HGB)
➢ Fristberechnung nach den allgemeinen Grundsätzen von Art. 20 CISG – sehr umstritten! (a.A.: Art. 8 CISG)

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4. WICHTIGE EXTERNE LÜCKEN
➢ Keine Regelung dafür, wenn fraudulöses, dh vorsätzlich pflichtwidriges Verhalten
➢ Rechtsfähigkeit: Personalstatut (Art. 7 I EGBGB) bzw. Gesellschaftsstatut
➢ Geschäftsfähigkeit: Personalstatut (Art. 7 II EGBGB)
➢ Rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht: Vollmachtsstatut (vgl. Art. 8 EGBGB)
➢ Organschaftliche Vertretungsmacht: Gesellschaftsstatut
➢ Gesetzliche Vertretungsmacht: Statut des Rechtsverhältnisses/-lage, woraus die ges. Vertretungsmacht folgt
➢ z.B. Eltern-Kind-Statut, Art. 21 EGBGB; Statut der Vormundschaft, Betreuung oder Pflegschaft, Art. 24 EGBGB;
beim Testamentsvollstrecker das nach der EuErbVO ermittelte Erbstatut
➢ Aufrechnung: Vertragsstatut (17 Rom I): WICHTIG: Ausnahme (BGH) CISG-interne Ansprüchen, s. Art. 88 III
➢ Forderungsabtretung: Art. 14 Rom I-VO
➢ Vertragsübernahme durch Dritte, Schuldübernahme
➢ Verjährung: Vertragsstatut (Art. 12 I lit. d Rom I) (DENN: Art. 39 II CISG ist Ausschlussfrist); § 3 CISGG!
➢ cic-Haftung trotz Vertragsschluss jedenfalls dann, wenn fraudulöses Verhalten
➢ AGB – jedoch nur i.B. auf Inhaltskontrolle (vgl. Art. 4 S. 2 lit. a - Einbeziehung hingegen nach Artt. 14 ff. !!!)
➢ Anfechtung wegen Willensmängeln und fraudulösen Verhaltens (§ 123 BGB), idR nicht § 119 II BGB
➢ Haustürwiderruf (NICHT: Fernabsatzwiderruf)
➢ Rechtsfolgen, wenn Erklär. nach Abgabe WE stirbt / geschäftsunfähig wird (vgl. § 130 II BGB) [nicht: Dissens]

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KURZER BEISPIELSFALL
Beispielsfall 5: Die Klägerin, ein Fleischexport-Unternehmen mit Sitz in Italien, macht gegen die Beklagte,
ein Fleischimport-Unternehmen mit Sitz in Deutschland, Kaufpreisforderungen geltend. Der zwischen den
Prozessparteien bestehende Kaufvertrag enthält keine Rechtswahlklausel. Die Bekl. verteidigt sich gegen
die Kaufpreisforderung u.a. durch Aufrechnung mit Schadenersatzansprüchen aufgrund Mangelhaftigkeit
der gelieferten Schweinebacken. Nach welchem Recht beurteilt sich die Zulässigkeit der Aufrechnung?
Fraglich ist, ob die rechtliche Beurteilung der Aufrechnung in den Anwendungsbereich des CISG fällt--
Das CISG beinhaltet selbst keine ausdrückliche Regelung der Aufrechnung.
Nach wohl h.Lit. handelt es sich grds. um eine externe Lücke des Übereinkommens. Denn die Aufrechnung
betreffe nicht unmittelbar Rechte und Pflichten der Vertragsparteien im Sinne von Art. 4 S. 1.
Dafür spricht der prozessuale Einschlag des Instituts in zahlreichen Rechtsordnungen, wie er sich in der
Aufrechnung durch rechtsgestaltenden Richterspruch (z.B. im italienischen und französischen Recht) oder in ihrer
grds. anerkannten „Vollstreckungsfunktion“ zeigt.
➢ Denn es sei nicht das Anliegen der Kaufrechtsvereinheitlichung, auf das Prozessrecht oder Prozesszwecken
dienende materiell-rechtliche Rechtsinstitute der Vertragsstaaten einzuwirken (Ausnahme Art. 11 S. 2 CISG).
Der BGH (NJW 2015, 867) ist allerdings für konventionsinterne Forderungen, die aus demselben Vertrag
resultieren, a.A.!!!; (nur) diese unterfallen nach seiner Ansicht hinsichtlich ihrer Aufrechnung dem CISG
➢ vgl. den Rechtsgedanken von Art. 88 III 1 CISG!
Folgt man der wohl noch h.Lit., ist die externe Lücke durch Rückgriff auf das IPR des Forums (hier unterstellt:
Deutschland) zu schließen. Nach dem BGH erfolgt die Verrechnung hingegen analog Art. 88 III 1 CISG.

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III. (HANDELS-)BRÄUCHE UND UN-KAUFRECHT (1/3)

1. Bedeutsamkeit von Gebräuchen und Gepflogenheiten:

Nach Art. 9 I CISG sind die Parteien an Gebräuche, mit denen sie sich einverstanden
erklärt haben, und die Gepflogenheiten gebunden, die zwischen ihnen entstanden s.
➢ Gebräuche = Regeln geschäftlichen Verhaltens, die nicht Gesetz sind und von den
beteiligten Handelskreisen in einer Branche oder an Marktort üblicherweise
eingehalten werden (≈ 346 HGB)
➢ Gepflogenheiten = Verhaltensweisen, die zwischen den Parteien regelmäßig
beachtet werden / worden sind
Auch INCOTERMS (bzw. deren Inhalt) können als einverständlich berufener Handels-
brauch i. S. des Art. 9 I gelten, wenn die Parteien eine Klauselabkürzung vereinbaren
➢ Art. 9 I CISG hat nach h.Lit. neben Art. 6 CISG (Privatautonomie) keinen eigen-
ständigen Aussagegehalt!
➢ Folgt stets auch aus der jeweiligen vertraglichen Einigung selbst
➢ Bei Gepflogenheiten nach a.A. keine konkludente Einigung erforderlich (umstr.)

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III. (HANDELS-)BRÄUCHE UND UN-KAUFRECHT (2/3)

2. Vermutungswirkung nach Art. 9 II CISG:

Nach Art. 9 II CISG wird vermutet, dass im Verhältnis zwischen den jeweiligen
Vertragsparteien auch weithin bekannte und beachtete Gebräuche gelten,
wenn die Parteien diese Handelsbräuche kannten oder kennen mussten
➢ Dabei muss es sich um gerade internationale Bräuche handeln!
➢ Diese müssen in allen betroffenen Ländern vorherrschen, und zwar auch
im betreffenden Geschäftszweig
Sehr enge Voraussetzungen („Verträge dieser Art“, „weithin“, „regelmäßig“)
➢ selten relevant
➢ z.B.: branchenspezifische Bräuche im Fisch- und Stahlhandel

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III. (HANDELS-)BRÄUCHE UND UN-KAUFRECHT (3/3)
3. Sonderproblem: Regeln des kaufmännischen Bestätigungsschreibens:
Unter bestimmten Voraussetzungen kann im deutschen Recht das Schweigen auf ein
kaufmännisches Bestätigungsschreiben als (normative) Zustimmung gewertet werden
➢ Schreiben, in dem die Bedingungen eines bereits (mündlich) ausgehandelten Vertrages
noch einmal schriftlich fixiert werden
➢ Der Vertrag gilt mit dem Inhalt des Bestätigungsschreibens als abgeschlossen, wenn der
Geschäftspartner, der ebenfalls Kaufmann sein muss, nicht unverzüglich widerspricht.
➢ Dies gilt auch dann, wenn das Bestätigungsschreiben einen anderen Inhalt hat als den, der ob-
jektiv vertraglich vereinbart wurde, es sei denn, es handelt sich um eine bewusste Fälschung
Im CISG insofern nach ganz hM keine (externe) Regelungslücke
➢ beachte alleine schon Art. 18 I 2 CISG
Grds. – im internationalen Rechtsvergleich – ein eher deutscher „Sonder“brauch
➢ allerdings auch in Österreich, der Schweiz, Italien und wohl auch Slowenien bekannt
= Daher idR / oftmals kein international bekannter / beachteter Handelsbrauch
➢ Ausnahme ggf. (umstr.), wenn gerade und nur die o.g. Länder betroffen sind
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IV. UN-KAUFRECHT UND FORM (1/2)
1. Nach Art. 11 CISG besteht im Anwendungsbereich des CISG Formfreiheit!

➢ Kaufvertrag kann zudem gem. Art. 11 S. 2 auf jede Weise bewiesen werden, auch durch Zeugen!
➢ D.h. (hier) Beinhaltet das CISG ausnahmsweise auch eine prozessuale Regelung
Nach seiner systematischen Stellung gilt Art. 11 CISG nicht nur für den Vertragsschluss, sondern auch für
andere rechtsgeschäftliche Erklärungen der Parteien
➢ z.B. auch die Vertragsänderung bzw. Aufhebung (Art. 29 CISG) oder Aufhebungserklärung

2. Ausnahme 1: Vorbehalt nach Artt. 96, 12 CISG:

Art. 11 gilt nicht, wenn eine Partei ihre Niederlassung in einem Vertragsstaat hat, der eine Vorbehalts-
erklärung nach Art. 96 CISG abgegeben hat
➢ Ein derartiger Vorbehalt ist dann grds. nicht abdingbar, Art. 12 S. 2 CISG
➢ Rechtsfolge: Bestimmung der Form dann nach dem IPR (h.M.)
➢ NICHT etwa stets Schriftformerfordernis
➢ D.h. es gilt das vertragliche Formstatut, z.B. Art. 11 Rom I-VO

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IV. UN-KAUFRECHT UND FORM (2/2)

3. Ausnahme 2: gewillkürter Formzwang (Art. 6 CISG):


➢ Kraft Privatautonomie ohne Weiteres möglich (Schriftformklausel)
Anders als nach der Rspr. des BGH zum BGB ist jedoch grds. keine formlose Abbe-
dingung des gewillkürten Schriftformerfordernisses möglich
➢ s. Art. 29 II 1 CISG (aber: ausnahmsweise Verwirkung, Art. 29 II 2)
➢ D.h. grds. (anders als im deutschen Recht (BGH)) qualifizierte Schriftformklausel

4. Schriftform im CISG:
➢ Wenn (a) vereinbart o. (b; umstr.) i.F.v. Art. 96 IPR auf Recht mit Schriftform verweist
Schriftform = autonom = erfordert, dass die Mitteilung in einem Schriftstück verkörpert ist
+ ihren Urheber erkennen lässt (Unterschrift wohl nicht erforderlich ≠ § 126 I BGB)
➢ Darunter fallen auch (Vorschrift ist veraltet!) E-Mail und z.B. SMS, Whatsapp-Nach-
richten usw.

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Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG)

§ 4 – ABSCHLUSS DES
VERTRAGES (TEIL II)

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus


§ 4 – Abschluss des Vertrages (Teil II)

I. Einführung zu Teil II des CISG (Artt. 14-24)

II. Das Angebot (Artt. 14-17 CISG)

III. Die Annahme (Artt. 18-22 CISG)

IV. Abgabe, Zugang und Wirksamwerden

V. CISG und AGB

VI. Die Vertragsänderung (Art. 29 CISG)

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I. EINFÜHRUNG ZU TEIL II (1/2)
Das CISG regelt in Teil II (Artt. 14 – 24 CISG) den Vertragsschluss
➢ Vertragsschluss – wie im BGB – technisch (nur) durch Angebot und Annahme
➢ Praktisch häufiger: beiderseitige Zustimmung zu von Dritten ausgehandeltem Vertrag
➢ Vgl. bei Interesse: Leenen, AcP 188 (1988), 381

Regelung des Vertragsschlusses entspricht in großen Teilen dt. Recht (§§ 145 ff. BGB)
➢ Hauptunterschied 1: Widerruflichkeit des Angebots z.T. auch nach Zugang, s. Art. 16 I CISG
➢ Hauptunterschied 2: Vertragsschluss trotz abänd. / verspät. Annahme, Artt. 19 II, III, 21 CISG

INHALT der Regelung: In den Artt. 14 ff. CISG geht es nur um den sog. „äußeren Konsens“
➢ d.h. die technische Einigung an sich
➢ Wirksamkeit hingegen ausgespart (vgl. Art. 4 S. 2 lit. a CISG) – sog. „innerer Konsens“
➢ Externe Lücke, d.h. nach dem aufgrund des jew. IPR anwendbaren nationalen Recht
➢ Insb. Geschäftsfähigkeit, Willensmängel (Irrtum), Stellvertretung und Botenschaft

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I. EINFÜHRUNG ZU TEIL II (2/2)
Inhalt von Teil II:
1. Angebot: Artt. 14 – 17 CISG
➢ Beachte ausdrückliche Auslegungsregel zur invitatio ad offerendum in Art. 14 II CISG
➢ D.h. auch das CISG verlangt einen Rechtsbindungswillen
2. Annahme: Artt. 18 - 22 CISG
➢ Besondere Regelung für die verspätete (Art. 21 CISG) und die abändernde Annahme (Art. 19 CISG)
3. Vertragsschluss: Art. 23 CISG
➢ Im CISG keine Sonderregelung für Einbezug von AGB, daher gelten insofern die normalen Regeln
➢ wichtiges Sonderproblem kollidierende AGB („battle of forms“)
➢ Keine Regelung des Dissenses, aber wohl interne Lücke mit gleichem Ergebnis wie §§ 154 f. BGB
4. Zugang: Art. 24 CISG
➢ Keine Definition der Abgabe, sondern nur des Zugangs
➢ Für die Vertragsschlusserklärungen gilt nach Art. 24 CISG das sog. „Zugangsprinzip“ (lesen!)
➢ WICHTIG: Anders im Teil III: dort gilt grds. die sog. „Absendetheorie“ (lies Art. 27 CISG)

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II. DAS ANGEBOT, ARTT. 14-17 CISG (1/2)
1. Merkmale eines Angebots: Art. 14 I 1 CISG
2 Voraussetzungen:
➢ Bestimmtheit bzw. Bestimmbarkeit hinsichtlich Gegenstand + Inhalt des Vertrages
➢ (Rechts-)Bindungswille des Erklärenden
2. Bestimmtheit des Angebots: Art. 14 I 2 CISG
➢ Muss Ware bezeichnen und
➢ ausdrücklich/stillschweigend Menge und Preis festsetzen bzw. Festsetzung ermöglichen
➢ Vgl. Art. 65 : auch wenn Form, Maße o.a. Eigenschaften noch z. spezifizieren s. (315 BGB)
➢ Widerspruch zu Art. 55: Zustandekommen Vertrag trotz fehlender Preisbestimmung?
➢ Nach h.M. konkludente Abbedingung von Art. 14 I 2 CISG i.S.v. Art. 6 CISG
3. Rechtsbindungswille:
= Wille, im Falle der Annahme tatsächlich gebunden sein zu wollen (SONST: „Annahme“ = Angebot)
NICHT: Bindung des Antragenden an die Offerte (vgl. dazu Art. 16 CISG)
➢ Wie im autonomen deutschen Recht fehlend bei einer invitatio ad offerendum, Art. 14 II CISG (Auslegungsregel)
➢ Auch privatautonom (Art. 6 CISG) ausschließbar, z.B. durch Klausel „freibleibend“ etc. vereinbar

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II. DAS ANGEBOT, ARTT. 14-17 CISG (2/2)
4. „Rücknahme“ des Angebots: Art. 15 CISG
➢ Nach Art. 15 I CISG wird ein Angebot wirksam, sobald es dem Empfänger zugeht (Art. 24)
➢ Entspricht inhaltlich § 130 I 1 BGB
➢ Bis dahin gem. Art. 15 II CISG jederzeit sog. „Rücknahme“ möglich (vgl. § 130 I 2 BGB)
5. „Widerruf“ des Angebots: Art. 16 CISG
➢ Gem. Art. 16 I CISG ist Angebot auch nach Zugang grds. „widerrufbar“ (andere Terminologie !!)
➢ „Widerruf“ grds. möglich bis zur Absendung der Annahmeerklärung
➢ Ausnahme: Art. 16 II CISG, u.a., wenn eine Annahmefrist gesetzt
➢ Anders gem. § 145 BGB, wonach bereits wirksam gewordenes Angebot grds. bindend ist
➢ Rechtsfolge: weder Vertrag noch cic-Haftung nach nationalem Recht
6. Erlöschen des Angebots: Art. 17 CISG
➢ Angebot erlischt, selbst wenn es unwiderruflich ist, sobald dem Anbietenden Ablehnung zugeht
➢ entspricht§ 146 BGB
➢ Hingegen Auslegung nötig, ob bei gesetzter Annahmefrist Erlöschen durch Fristablauf (i.d.R. ja)

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KURZER BEISPIELSFALL
Beispielsfall 6: Der Schweizer Weinhändler P übermittelt dem Trierer Winzer W per Telefax ein
Angebot über den Kauf von 2000 Flaschen Riesling Piesporter Goldtröpfchen Auslese 2015 zum
Listenpreis. Zwei Tage nachdem das Angebot bei W eingegangen ist und bevor dieser hierauf ge-
genüber P reagiert hat oder sonstwie tätig geworden ist, nimmt P in einem Telefongespräch mit W
sein Angebot zurück.
Ist P an sein Angebot gebunden?
Fraglich ist, ob die rechtliche Beurteilung der Bindungswirkung des Angebots in den Anwendungs-
bereich des CISG fällt
Deutschland und die Schweiz sind Vertragsstaaten des Übereinkommens, so dass dieses nach Art. 1 I lit.
a CISG räumlich Anwendung findet (+)
Sachlicher Anwendungsbereich auch (+), da Wein unzweifelhaft Ware i.S.v. Art. 1 I CISG ist
Das Vertragsangebot des P an den W erfüllt die Erfordernisse des Art. 14 I 1 (Bestimmtheit, Bindungs-
wille) und ist nach Art. 15 I CISG mit Zugang bei W wirksam geworden.
Nach Art. 16 I CISG ist ein Angebot bis zur Absendung der Annahmeerklärung frei widerruflich.
Von dieser Widerrufsmöglichkeit hat P wirksam Gebrauch gemacht; für den Widerruf muss nicht dieselbe
Form wie für das Vertragsangebot gewählt werden.
Keine Ausnahme nach Art. 16 II CISG ersichtlich.
Damit ist P nicht mehr an sein Angebot gebunden (anders als nach § 145 BGB) (-)

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III. DIE ANNAHME, ARTT. 18-22 CISG (1/2)
Die Artt. 18 – 22 CISG entsprechen weitgehend den Regelungen in §§ 147 – 151 BGB
➢ Allerdings leichte Unterschiede bei verspäteter / unwesentlich abändernder Annahme
1. Annahmeerklärung: Art. 18 I CISG
➢ Annahme kann gem. Art. 18 I 1 CISG ausdrücklich oder schlüssig (Art. 8 CISG) erklärt werden
➢ Schweigen oder Untätigkeit „allein“ stellen keine Annahme dar, Art. 18 I 2 CISG (aber abdingbar)
➢ Die Annahme wird grds. gem. Art. 18 II 1 CISG wirksam mit Zugang beim Anbietenden
➢ Zugang wird definiert in Art. 24 CISG (dazu später)
➢ Wie bei dem Angebot Rücknahme bis Zugang möglich, s. Art. 22 CISG
➢ Jedoch bereits denklogisch kein Widerruf (da bereits mit Zugang der Vertrag zustande kommt, Art. 23)
➢ Gem. Art. 18 III CISG Verzicht auf Zugang der Annahme möglich (dann: Wirksamwerden mit Absendung)
➢ Ausdrücklich oder konkludent; entspricht § 151 BGB
2. Annahmefrist: Art. 18 II, 21 CISG
a) Fehlen einer Annahmefrist:
➢ Mündliche Angebote müssen grds. sofort angenommen werden, Art. 18 II 3 CISG
➢ Andernfalls (schriftlich etc.) gilt „angemessene Frist“ (abhängig v. Einzelfall!), Art. 18 II 2, 2. HS CISG

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III. DIE ANNAHME, ARTT. 18-22 CISG (2/2)
b) Gesetzte Annahmefrist:
➢ Auslegungsfrage, ob Frist zur Unwiderruflichkeit führt (vgl. Art. 16 II lit. a) CISG) – idR jedoch schon
c) Frist(ab)lauf:
➢ Art. 20 CISG – allgemeiner Grundsatz der Fristberechnung, zB auch für Frist nach Artt. 47 I, 49 I b
➢ Fristbeginn mit angeg. Datum (hilfsw. Zugang); Feiertage zählen mit, außer unzustellbar am letzten Tag
d) Verspätete Annahme:
➢ zu unterscheiden zwischen verspäteter Absendung oder nur Ankunft (Art. 21 CISG)
➢ Bei verspäteter Absendung kann Anbietende Vertrag durch unverzügliche Mitteilung retten, Art. 21 I
➢ Bei verspätender Übermittlung muss d. Anbietende unverzüglich widersprechen, Art. 21 II (= 149 BGB)
3. Inhaltliche Divergenz von Angebot und Annahme: Art. 19 CISG
Abweichende Annahme = grds. Ablehnung + neues Angebot, Art. 19 I CISG
➢ entspricht 150 II BGB
Ausnahme: Art. 19 II CISG, wenn die Abweichung nicht wesentlich !
➢ dann zur Verhinderung des Vertragsschlusses mit unwesentlichen Änderung Widerspruch nötig (Absendung!)
Wesentlichkeit wird in Art. 19 III näher definiert; liegt im Zweifel vor (eher nicht bei Nebenleistungspflichten)
➢ i.d.R. jedoch NICHT, wenn positive Abweichung zugunsten des Anbietenden (was relativ ist – Vorsicht!)

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 60


KURZER BEISPIELSFALL
Beispielsfall 7: Deutsch-italienischer Kaufvertrag über Bodenkacheln. Das Angebot stamm-
te von der deutschen Käuferin; in ihrer Vertragsannahme hatte die italienische Verkäuferin
auf ihre AGB hingewiesen, die vorsahen, dass eine Rüge von Mängeln innerhalb von 30 Ta-
gen ab Rechnungsstellung erfolgen müsse. Danach erfolgte keinerlei Kommunikation mehr
zwischen den Parteien.
Ist ein Kaufvertrag geschlossen worden?

Der Kaufvertrag unterliegt räumlich und sachlich dem CISG, da Italien und Deutschland Ver-
tragsstaaten des Übereinkommens sind (Art. 1 I lit. a CISG), (+)
Ein wirksames Angebot i.S.v. Art. 14 CISG liegt vor; es ist auch nicht etwa nach Art. 17 durch Ab-
lehnung erloschen (erfasst nur vollständige Ablehnung, nicht jedoch die bloße Abänderung).
Die Gegenäußerung der italienischen Verkäuferin enthält jedoch Änderungen i. S. des Art. 19 I
CISG, so dass ein erneutes Angebot vorliegen könnte.
Diese Änderungen sind aber nicht wesentlich (Art. 19 II, III CISG), da die angemessene Rüge-
frist i. S. des Art. 39 I CISG ohnehin im Regelfall einen Monat beträgt.
Da der deutsche Käufer nicht unverzüglich widersprochen hat, kam daher ein Kaufvertrag mit
dem Inhalt der abändernden Annahme zustande (+)

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IV. WIRKSAMWERDEN: ABGABE UND ZUGANG (1/2)
(IdR nur [!!!]) für die Vertragsschlusserklärungen gilt nach Art. 24 CISG das „Zugangsprinzip“
➢ D.h. Willenserklärungen werden grds. mit Zugang beim Empfänger wirksam
➢ Dies entspricht der Regelung im deutschen Recht (vgl. § 130 I BGB)
Im Teil III hingegen gilt grds. die sog. „Absendetheorie“ (Art. 27 CISG)
➢ Wirksamwerden auch ohne Zugang; DENN: Verzögerung/Verlust zu Lasten des Empfängers
➢ Z.B. Mängelrüge (Art. 39 I und 43 I), Aufhebungserklärung (Artt. 49, 64), Nachfristsetzung (Art. 47 I, 63 I)
Hintergedanke, dass der Empfänger eine Vertragsverletzung begangen hat + daher weniger schutzbedürftig ist
➢ Die Absendetheorie gilt z.T. auch im Teil II, zB gem. Artt. 19 II 1, 21 I, II jeweils a.E. CISG

1. Die Ababe
Im Gesetz nicht geregelt, aber z.B. für Art. 100 I CISG wichtig (zeitliche Anwendbarkeit)
Zudem nach ganz hM ebenfalls für ein wirksames Angebot notwendig
= willentliche Entäußerung des Angebots durch den Erklärenden in den Rechtsverkehr (wie im BGB)

2. Zugang verkörperter Erklärungen: Art. 24 Alt. 2 CISG


Die Erklärung muss (1.) in den Machtbereich des Empfängers gelangen + (2.) Kenntnisnahme möglich sein
➢ Primär persönlich, hilfsweise Niederlassung/Postanschrift, hilfsweise gewöhnlicher Aufenthaltsort

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IV. WIRKSAMWERDEN: ABGABE UND ZUGANG (2/2)

➢ Entspricht in etwa § 130 I BGB, aber nach h.M. keine zeitliche Verzögerung zB nachts (umstr.)
➢ Kenntnisnahme möglich = bedeutet räumliche Möglichkeit der Kenntnisnahme (zB nicht: im Klo)
(P) Zugang in fremder Sprache
➢ Zugang nur, wenn Sprache vereinbart, verwendet oder (quasi) Muttersprache ist
➢ Uneinheitliche Rspr., ob Englisch als „Weltsprache“ immer ok ist (eher nicht, umstr.)
➢ Entgegen Teilen der Rspr. (öst. OGH) ist jedenfalls Deutsch keine Weltsprache
3. Zugang mündlicher Erklärungen: Art. 24 Alt. 1 CISG
Vernehmbarkeitstheorie (ähnlich der dt. (eingeschränkten) Vernehmungstheorie)
= Erklärung so geäußert, dass der Erklärende damit rechnen musste, verstanden zu werden

4. Erklärung ggü. Mittelsmännern:


Beurteilung, ob diese Empfangsvertreter (vgl. 164 III BGB) oder Empfangsbote sind = externe Lücke
➢ Nur beim Ersteren direkt bei diesem Zugang, sonst Zugang erst bei erfolgreicher Weiterleitung
➢ Zugang, wenn jene nach dem anwendbaren Recht (dh IPR-Prüfung) zur Entgegennahme befugt sind

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V. CISG UND AGB (1/2)
Das CISG trifft keine Spezialregelung für AGB
➢ Größte Kritikpunkt am CISG; AGB sind im internationalen Handelsverkehr sehr bedeutsam
Für die Einbeziehung gelten ganz allgemein die Artt. 14 – 24 CISG
➢ D.h. insofern keine Sonderbehandlung von AGB nach dem CISG
Für die Inhaltskontrolle hingegen liegt wg. Art. 4 S. 2 lit. a eine externe Lücke vor
➢ D.h. bei Geltung deutschen Rechts findet Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB statt
➢ Nur selten (warum?) auch nach §§ 308, 309 BGB

1. Kenntnisverschaffungsobliegenheit des Verwenders oder Kentnisverschaff.möglichkeit?


➢ Nach BGH (2001) besteht i.R.d. CISG eine Kenntnisverschaffungsobliegenheit
➢ D.h. Verwender muss dem anderen Teil AGB mitübersenden oder jdf. die einfache
Kenntnisnahme ermöglichen
➢ Anders im autonomen deutschen Recht (dort Kenntnisnahmeobliegenheit)
D.h. bloße Erwähnung der AGB in einem Vertrag oder einer Willenserklärung genügt nicht

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V. CISG UND AGB (2/2)
1. Kenntnisverschaffungsobliegenheit des Verwenders (Fortsetzung):
➢ Ein Web-Link reicht nur bei elektronischer Versendung, nicht hingegen bei abgedrucktem Link
im Falle bloßer Papierform
➢ Ausnahme: Bei dauernder Geschäftsbeziehung bzw. zweitem Vertragsschluss etc.
Rspr. des BGH wurde von vielen anderen internationalen Obergerichten übernommen
2. Sonderproblem kollidierende AGB („battle of the forms“):
a) Denkbar Dissens und fehlender Vertragsschluss
b) Denkbar sog. „Theorie des letzten Wortes“ (last-shot-rule)
➢ D.h. derjenige, der die AGB zuletzt versendet hat, „gewinnt“
➢ ABER: Zufallsergebnisse; z.T. willkürliche Lösung
c) BGH daher (2002): „Restgültigkeitstheorie“
➢ Vertrag kommt zustande, aber nur der übereinstimmende Teil der AGB wird wirksam
➢ Dogmatisch über späteres Verhalten (Art. 8 III) und konkl. Abbedingung von Art. 19 CISG
➢ Ähnlich h.M. (BGH) zum autonomen dt. Recht: „Prinzip der Kongruenzgeltung“

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KURZER BEISPIELSFALL
Beispielsfall 8: Deutsch-spanischer Kaufvertrag über eine gebrauchte computergesteuerte Walz-
fräsmaschine. Die deutsche Beklagte verkaufte der Klägerin eine solche Maschine unter Ausschluss
ihrer Gewährleistung für gebrauchte Maschinen gemäß ihren AGB. Auf die AGB hatte die Bekl. in
ihrem Angebot Bezug genommen, diese dort aber nicht beigefügt. Da die Maschine wegen mangel-
hafter Anleitung erst mehrere Tage nach ihrer Aufstellung in Betrieb genommen werden konnte,
machte die spanische Klägerin die entstandenen Kosten für die Ermöglichung der Inbetriebnahme
klageweise geltend. Die Beklagte beruft sich auf den in ihren AGB enthaltenen Gewährleistungs-
ausschluss, obwohl sie nach allgemeinen Grundsätzen für eine erfolgreiche Inbetriebnahme der Ma-
schine einstehen müsste. Zu Recht?
Der Kaufvertrag unterliegt nach Art. 1 I lit. a CISG sachlich und auch räumlich dem UN-Kaufrecht, da
Deutschland und Spanien Vertragsstaaten des Übereinkommens sind.
Fraglich aber, ob die AGB Bestandteil des Vertragsangebots der deutschen Beklagten waren.
Dies ist durch Auslegung gem. Art. 8 CISG ist zu ermitteln.
Gepflogenheiten oder vorangeg. Verhandlungen zw. den Parteien (Art. 8 III CISG) hier nicht einschlägig.
Entscheidend ist daher, wie eine vernünftige Person das Angebot aufgefasst hätte (Art. 8 II CISG).
Bei AGB besteht nach h.Rspr. im Anwendungsbereich des CISG eine Kenntnisverschaffungsobliegen-
heit, bei deren Verletzung die AGB nicht Vertragsinhalt werden
Daher scheitert die Einbeziehung hier daran, dass dem Kläger der AGB-Text weder übersandt noch
anderweitig zugängig gemacht wurde. Die AGB sind damit NICHT wirksam einbezogen (-)

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Beispielsfall 9: Die in Deutschland ansässige V verkaufte 2557,5 t Milchpulver an die niederländische K. Sowohl die
Bestellung durch K als auch die Bestätigung des V enthielten sich partiell inhaltlich widersprechende AGB inkl.
sog. Abwehrklauseln. K veräußerte das Milchpulver an eine algerische Gesellschaft weiter, die es sodann verarbei-
tete. Nach der Verarbeitung wies die produzierte Trinkmilch teilweise einen ranzigen Geschmack auf. K verlangt von
V Schadensersatz; V beruft sich darauf, dass sich die Gewährleistung nach ihren AGB auf eine Rückabwicklung des
Vertragsverhältnisses beschränkt. K beruft sich auf ihre AGB, wonach auch eine Schadenersatzhaftung des Ver-
käufers unbeschränkt besteht.

Das CISG scheint auf den ersten Blick der sog. „Theorie des letzten Wortes“ zu folgen.
➢ Da Abweichungen in den AGB selten „unwesentlich“ i. S. des Art. 19 II CISG sein werden, wäre die Annahme an sich
unter Verweis auf die eigenen AGB als Gegenangebot zu werten (Art. 19 I CISG).
➢ Gibt der Anbietende durch sein konkludentes Verhalten (Leistungsbewirkung, Entgegennahme der Leistung der anderen
Seite etc.) stillschweigend sein Einverständnis mit dem Gegenangebot zum Ausdruck, dann hat sich an sich der Anneh-
mende mit seinen Bedingungen durchgesetzt.
➢ Widerspricht dagegen der Anbietende noch einmal unter Verweis auf seine eigenen Bedingungen und schweigt jetzt der
Annehmende, führt aber den Vertrag durch, dann würde in der „battle of forms“ der Anbietende obsiegen.
Im Hinblick auf den Zufallscharakter dieser Lösung lehnt die Rspr. jedoch für das CISG zu Recht die Theorie des letz-
ten Wortes ab und schließt sich der sog. Restgültigkeitstheorie an.
➢ Danach werden voneinander abweichende AGB nur insoweit Vertragsbestandteil, als sie sich nicht widersprechen;
im Übrigen gelten die gesetzlichen Regeln. Hier ist daher die Haftungsbeschränkung der V-AGB unwirksam
➢ Dies gilt grds. sowohl bei Vorliegen von Abwehrklauseln als auch bei Sachverhalten ohne Abwehrklauseln!
Dafür spricht nach Auffassung des BGH entscheidend, dass die Parteien mit der Durchführung des Vertrages iSv Art. 8 III
CISG zu erkennen gegeben haben, die fehlende Übereinstimmung nicht für wesentlich zu erachten, d.h. konkludent gem. Art.
6 CISG insofern die Geltung von Art. 19 CISG abbedungen haben.

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VI. EXKURS: DIE VERTRAGSÄNDERUNG (ART. 29 CISG)
Nach Art. 29 CISG besteht im UN-Kaufrecht allgemein die Möglichkeit einer einvernehmlichen
Vertragsaufhebung oder -änderung
➢ Dies entspricht im deutschen Recht § 311 I BGB
➢ Für deutsche Rechtsanwender wenig überraschend
➢ Sinn der Regelung: Klarstellung ggü. Common law, wo jeder Vertrag für Bindungswirkung einer
sog. consideration bedarf (sonst: unverbindlich)
1. Für das Zustandekommen einer Vertragsänderung/Aufhebung gelten die Artt. 8, 14 – 24 CISG
2. Rechtsfolge einer etwaigen einvernehmlichen Aufhebung: ggf. Artt. 81 – 84 CISG analog
= Aufhebungsfolgerecht (entspricht im deutschen Recht den §§ 346 ff. BGB)
3. Wirkung einer Schriftformklausel geregelt in Art. 29 II CISG
➢ Gewillkürter Schriftformvorbehalt grds. möglich und beachtlich
➢ anders als im dt. Recht i.d.R. nicht mündlich abänderbar, Art. 29 II 1
➢ D.h. hat stets die Wirkung einer sog. qualifizierten Schriftformklausel
ABER: Missbrauchseinwand möglich, Art. 29 II 2 CISG
➢ zB wenn nach mündlicher Änderung mit Ausführung der Änderung begonnen wird

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Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG)

§ 5 – DER WARENKAUF (TEIL III)

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus


§ 5 – Der Warenkauf (Teil II)
I. Einführung zu Teil III des CISG (Artt. 25-88)

II. Die Basisrechtsbehelfe des CISG

III. Allgemeine Regelungen (Artt. 25 – 29; Kapitel I)

IV. Überblick zu Kapitel II

V. Pflichten des Verkäufers, Artt. 30 – 44 CISG

VI. Insbesondere: Rüge- und Untersuchungsobliegenheit, Artt. 38 f. CISG

VII. Rechtsbehelfe des Käufers bei Vertragsverl. des Verkäufers (Artt. 45 – 52)

VIII. Befreiung, Artt. 79, 80 CISG

IX. Überblick zu Kapitel III

X. Pflichten des Käufers, Artt. 53 – 60 CISG

XI. Gefahrtragung (Artt. 66 – 70 CISG; Kapitel IV)

XII. Gemeinsame Bestimmungen, Artt. 71 – 88 CISG (Kapitel V)

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 70


I. EINFÜHRUNG ZU TEIL III (1/2)
1. Inhalt des Teil III im CISG (Artt. 25 – 88 CISG) ist dessen materielles Kaufrecht
➢ Entspricht im dt. Recht in etwa den §§ 275 ff., 320 ff., 433 ff. BGB + 373 ff. HGB
2. Hauptinhalt = Rechte und Pflichten der Parteien + Folge von Leistungsstörungen
3. Mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zum autonomen deutschen Recht
Hauptunterschied 1: Nacherfüllung ist NICHT vorrangig vor anderen Rechtsbehelfen
➢ Nur unter bestimmten VS.en suspendiert Nacherfüllung die anderen Rechtsbehelfe
Hauptunterschied 2: Schadenersatz erfordert kein Vertretenmüssen (Garantiehaftung)
Hauptunterschied 3: Aufhebung ist ultima ratio und soll möglichst vermieden werden
Hauptunterschied 4: verfrühte Leistung kann vom Gläubiger abgelehnt werden
Hauptunterschied 5: Ersatzlieferung nicht gleichrangig neben Nachbesserung
➢ Vielmehr Aufhebung gleichgestellt, d.h. setzt wesentliche Vertragsverletzung voraus
4. Gemeinsamkeit mit HGB (§ 377): Rüge- und Untersuchungsobliegenheit, Artt. 39/43

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 71


INHALTSÜBERSICHT zu Artt. 25 – 88 CISG:

Kapitel I Allgemeine Bestimmungen Artt. 25 – 29 CISG


Kapitel II Pflichten des Verkäufers Artt. 30 – 52 CISG
Abschnitt I Lieferung der Ware Artt. 31 – 34 CISG
Abschnitt II Vertragsmäßigkeit der Ware Artt. 35 – 44 CISG
Abschnitt III Rechtsbehelfe des Käufers Artt. 45 – 52 CISG
Kapitel III Pflichten des Käufers Artt. 53 – 65 CISG
Abschnitt I Zahlung des Kaufpreises Artt. 54 – 59 CISG
Abschnitt II Abnahme Art. 60 CISG
Abschnitt III Rechte des Verkäufers Artt. 61 – 65 CISG
Kapitel IV Übergang der (Preis-)Gefahr Artt. 66 – 70 CISG
➢ gehört sachlich zu den Artt. 54 – 59 CISG (weil Kaufpreiszahlung betreffend)
Kapitel V Gemeinsame Bestimmungen Artt. 71 – 88 CISG
➢ gehört bei Zugrundelegung deutscher Systematik an den Anfang (ähnl. §§ 320 ff.)

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II. DIE BASISRECHTSBEHELFE DES UN-KAUFRECHTS
Das CISG kennt folgende 4 (bzw. 6) „Basisrechtsbehelfe“
➢ Bis auf Minderung + Nacherfüllung können diese potenziell sow. Käufer als auch Verkäufer zustehen
1. Anspruch auf Erfüllung in Natur: Artt. 46 I, 62 CISG (vgl. im dt. Recht §§ 433 (241 I) BGB)
➢ Beachte Möglichkeit des Ausschlusses der Verurteilung auf Erfüllung in Natur, Art. 28 CISG
2. Anspruch auf Nacherfüllung: Art. 46 II, III CISG (vgl. im dt. Recht § 439 BGB)
➢ Ersatzlieferung (Quasi-Aufhebung, s. Art. 46 II, ungern gesehen) und Nachbesserung (Art. 46 III)
➢ Beachte Möglichkeit des Ausschlusses der Verurteilung auf Erfüllung in Natur, Art. 28 CISG
3. Vertragsaufhebung: Artt. 49, 64 CISG (vgl. im dt. Recht §§ 323, 326 V BGB)
➢ „ungern gesehene“ ultima ratio, vgl. Art. 25 CISG (Rückabwicklung nach Artt. 81 – 84 CISG)
4. Minderung: Art. 50 CISG (Rückzahlung analog 81 II) (vgl. im dt. Recht § 441 BGB)
5. Schaden[s]ersatz: Artt. 45 / 61 I lit. b (+ 74 – 77 CISG) (vgl. §§ 280 ff., 249 ff. BGB)
➢ Kein Vertretenmüssen erforderlich (Garantiehaftung), aber „wenigstens“:
➢ Befreiung möglich gem. Artt. 79 f. CISG (nur im Ansatz wie im dt. Recht §§ 280 I 2, 276 ff. BGB)
6. Zurückbehaltungsrecht: Artt. 58 I, 71 CISG (vgl. im dt. Recht §§ 320 f. BGB)

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III. ALLGEMEINE REGELUNGEN (ARTT. 25 – 29) (1/4):
Im I. Kapitel des III. Teils werden einige, nicht jedoch alle allgemeine Bestimmungen geregelt
➢ Entspricht Schuldrecht AT, während die Kapitel II bis IV dem Schuldrecht BT entsprechen
➢ Nach deutscher Systematik würde auch das V. Kapitel hierher gehören
➢ Art. 29 CISG hingegen gehört bei genauer systematischer Betrachtung hingegen in den II. Teil
1. „Wesentliche Vertragsverletzung“: Art. 25 CISG (englisch: „fundamental breach“)
➢ Entspricht NICHT etwa der Funktion von § 280 I BGB
a) Vertragsverletzung = alle Arten von „Pflichtverletzungen“, ohne dass Differenzierung nach
ihrer Ursache (Nichtleistung, Verzögerung, Unmöglichkeit, Schlechtleistung) vorgenommen wird
➢ Darunter fällt jegliche Verletzung irgendwelcher Pflichten, wenn Vertrag dem CISG unterfällt
b) „Wesentlich“ = (str)eng = wenn Erwartungen der vertragstreuen Partei derart enttäuscht, dass
ihr Interesse an Durchführung des Vertrages völlig entfällt (primär subjektiv, h.M. – umstr.)
➢ VS für Aufhebung des Vertrages ohne Nachfristsetzung (z.B. Art. 49 I lit. a) + Nachlieferung, 46 II
aa) Unproblematisch, wenn im Vertrag ausdrücklich geregelt ist, welche Vertragsverletzung
oder welches Ausmaß als wesentlich gelten soll
➢ Dann kein Rückgriff auf Art. 25 CISG ---- d.h. ein guter Anwalt sollte dies im Vertrag festlegen ----
Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 74
III. ALLGEMEINE REGELUNGEN (ARTT. 25 – 29) (2/4):
bb) Andernfalls (wenn keine Regelung) Rückgriff auf Art. 25 CISG – subjektiver Maßstab („nach dem Vertrag“)
Bei Anwendung von Art. 25 Differenzierung nach Art der Vertragsverletzung:
(1) Bei Nichtleistung ist „Wesentlichkeit“ sehr selten (NICHT reine Nichtleistung an sich)
➢ Grds. nur bei relativem oder absolutem Fixgeschäft oder Unmöglichkeit
BEACHTE: Das CISG kennt die Kategorie der Unmöglichkeit gar nicht
➢ Daneben nach h.M. auch ernsthafte + endgültige Erfüllungsverweigerung (umstr.; vgl. § 323 II Nr.1 BGB)
(2) Bei Schlechtlieferung: ebenfalls sehr strenger Maßstab
➢ grds. NICHT bei bestehender realistischer Möglichkeit d. Nacherfüllung (Art. 46 II, III CISG)
➢ Selbst wenn Nacherfüllung ausscheidet, muss Ware grds. am Sekundärmarkt verwertet werden
➢ D.h. wohl auch (-), wenn der Verkäufer die Nacherfüllung ernsthaft + endgültig verweigert (umstr.)
➢ Anders nur bei völliger Unverwertbarkeit oder bei Luxusmarken etc. (wenn V. unzumutbar)
(3) Voraussehbarkeit (des Nachteils) = zusätzliche Voraussetzung des Art. 25 CISG
➢ Maßstab einer vernünftigen Person der gleichen Art bei (h.M.) Vertragsschluss
➢ Diese Voraussetzung ist nach wohl h.M. bedeutungslos wg. subjektivem Maßstab der „Wesentlichkeit“ (umstr.)
c) Relevanz von Art. 25 neben Aufhebung + Art. 46 II auch für Gefahrtragung (Art. 70): Findet dann nicht statt

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 75


III. ALLGEMEINE REGELUNGEN (ARTT. 25 – 29) (3/4):
2. Aufhebungserklärung: Art. 26 CISG
Art. 26 CISG stellt klar, dass die Vertragsaufhebung stets eine Willenserklärung erfordert
➢ Gestaltungserklärung, die das Vertragsverhältnis in Rückgewährschuldverhältnis umwandelt
➢ Rechtsfolge, falls bereits Leistungen ausgetauscht = Geltung Artt. 81 ff. CISG (= 346 ff. BGB)
➢ Für das Wirksamwerden der Aufhebungserklärung gilt Art. 27 CISG (Absendetheorie)
Grund der (selbstverständlichen) Klarstellung: Im Haager Kaufrecht z.T. automatische Aufhebung
3. Sonstige Mitteilungen/Erklärungen: Art. 27 CISG
Normiert für das Wirksamwerden von WE im III. Teil die sog. Absendetheorie
➢ Transportrisiko für WE.en, die im III. Teil des CISG geregelt sind, trägt grds. Empfänger
➢ Betrifft sowohl Verspätung als auch Nichteintreffen, sofern „normal“ losgesendet
➢ Ausnahme: Artt. 48 IV und 65 II CISG
Wiederholung: Für WE.en im II. Teil gilt demgegenüber das Zugangsprinzip (Art. 24 CISG)
GRUND: WE.en im III. Teil i.d.R. Reaktion auf Vertragsverletzungen des Empfängers

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 76


III. ALLGEMEINE REGELUNGEN (ARTT. 25 – 29) (4/4):

4. Begrenzung der Durchsetzbarkeit von Erfüllungsansprüchen: Art. 28 CISG


Art. 28 CISG beschränkt die klageweise Durchsetzbarkeit von (Natural-)Erfüllungsansprüchen,
wenn nach der jeweiligen lex fori keine Möglichkeit der Klage auf Erfüllung in natura
➢ Kompromiss mit Common law, das eine klageweise Durchsetzung des Anspruchs auf Erfüllung
in Natur (specific performance) nur ausnahmsweise (kraft equity) zulässt
Nach h.M. in Deutschland – d.h. für deutsche Gerichte – irrelevant!
a) Nach M.M. in Deutschland für die Fälle von § 275 BGB (Unmöglichkeit) relevant
➢ Das CISG kennt keine § 275 BGB entsprechende Regelung
b) H.M. hingegen erkennt allg. Grundsatz, dass keine Verurteilung zu unmögl. Leistung mögl.
➢ Bei objektiver Unmöglichkeit ergibt sich bereits aus der Natur der Sache, dass die Durchsetzung
des Erfüllungsanspruchs sinnlos ist
➢ Dies zeige für das CISG u.a. die Regelung in Art. 68 S. 3 CISG
➢ Daher bereits nach Treu + Glauben (Art. 7 I CISG) Verurteilung zu unmöglicher Leistung nicht
zuzulassen (ohne Rückgriff auf Art. 28 CISG)

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 77


IV. ÜBERBLICK KAPITEL II - PFLICHTEN DES VERKÄUFERS:
Die Pflichten des Verkäufers sind im II. Kapitel des III. Teils des CISG geregelt (Artt. 30 – 52):
➔ Herzstück des CISG, besitzt bei Weitem die größte Praxis- und Klausurrelevanz
➔ Das III. Kapitel (Pflichten des Käufers) ist hierzu weitgehend parallel aufgebaut
−1. Generalnorm: Art. 30 CISG ➔ vgl. (anders!) im dt. Recht § 433 I 1 BGB
−„Der Verkäufer ist nach Maßgabe des Vertrages und dieses Übereinkommens verpflichtet, [1.] die Ware zu
liefern, [2.] die sie betreffenden Dokumente zu übergeben und [3.] das Eigentum an der Ware zu übertragen“
➔ Die Pflicht zur Lieferung der Ware + Dokumente wird in Artt. 31 – 34 CISG konkretisiert
➔ Die Lieferung hat grds. in vertragsgemäßer Beschaffenheit zu erf. (Art. 35 ff., 41 f.) (vgl. §§ 434 f. BGB)
2. Übersicht Rechtsbehelfe des Käufers wg. Vertragsverletzung des Verkäufers (45 – 52):
➔ Beachte Käuferobliegenheit zu Untersuchung + Rüge (kann zu R.Verlust führen): Artt. 38-40, 43 f.
➔ vgl. im dt. Recht § 377 HGB (jedoch strenger wg. Notwendigkeit „unverzüglicher“ Rüge ≠ „angemessene“ Frist)

Erfüllung, Art. 46 I Verweisungsnorm Zurückbehalt


Art. 45
Nacherfüllung Minderung, Art. 50
Vertragsaufhebung
Nachbesserung Bei Fälligkeit Vor Fälligkeit
Ersatzlieferung SE, Art. 45 I lit. b
Art. 46 III Art. 58 I 2 Art. 71
Art. 46 II Nichtlieferung
Art. 49 I lit. a+ b Schlechtleistung Antiz. Vertragsbr.
Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus Art. 49 I lit. a Art. 72 78
V. PFLICHTEN DES VERKÄUFERS (1/5):
Die originären Pflichten des Verkäufers sind v.a. in Artt. 30 – 35, 41 – 42 geregelt
➢ Betrifft nur die Primärleistungspflichten (Sekundärleistungspfl. in Artt. 45 ff. CISG)
➢ v.a. Leistungsort (31) + L.st.zeit (33) + Sachmangel (35) + Rechtsmangel (Artt. 41 f.)

1. Dogmatik der Primärleistungspflichten des Verkäufers:


Das UN-Kaufrecht kennt standardmäßig 3 Hauptpflichten:
(1.) Lieferung (= Besitz), (2.) Übergabe Dokumente und (3.) Eigentumsverschaffung
a) Lieferpflicht wird in Artt. 31 – 33 präzisiert, Übergabepflicht für Dokumente in Art. 34
➢ Aus Gerichtssicht zudem Modifizierung der Lieferpflicht durch Art. 28 CISG (s.o.)
b) Zudem wird die Lieferpflicht durch Artt. 35 + 41, 42 (Mangelfreiheit) ergänzt
➢ Wie BGB Identität des Liefer- (46 I) mit Nacherfüllungsanspruch (46 II + III), dh:
➢ bei Schlechtleistung verwandelt sich Erfüllungs- in einen Nacherfüllungsanspruch
c) Beurteilung der Eigentumsverschaffung hingegen externe Lücke (Art. 4 S. 2 lit. b)
➢ Wird aber kein (oder bedingt) Eigentum verschafft, greift L.St.R des CISG ein !!
Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 79
V. PFLICHTEN DES VERKÄUFERS (2/5):
2. Leistungsort: Art. 31 CISG (vgl. im dt. Recht ähnlich § 269 BGB)
D.h. Frage n. Art der Schuld (Hol-, Bring- oder Schickschuld) + damit zugleich Gefahrübergang (GÜ)
➢ Gefahrübergang in Artt. 66 bis 70 CISG geregelt (gehört eigentlich systematisch zu Artt. 31 + 54 ff.)
➢ „Gefahr“ i.S.d. Art. 66 CISG = Preisgefahr = Risiko, Ware auch bei Nichterhalt bezahlen zu müssen
➢ zudem von Bedeutung für Erfüllungsortgerichtsstand = 29 ZPO / 7 Nr. 1 EuGVVO
Art. 31 CISG greift nur ein, wenn nicht im Vertrag etwas anderes (ausdrücklich) vereinbart ist
a) Regelfall = Versendungskauf (Schickschuld) = Art 31 lit. a CISG
➢ Leistungsort = Ort d. Übergabe an den 1. Beförderer (dort dann gem. Art. 67 I 1 GÜ)
b) Lagerung/Herstellung an bestimmtem Ort ohne Vereinbarung Versendungskauf = Art. 31 lit. b :
➢ Holschuld = Leistungsort wo Lagerung/Herstellung
➢ GÜ gm. Art. 69 II CISG mit Übergabe oder aber Fälligkeit + Kenntnis des Käufers von Abholbarkeit
c) „Alle anderen Fälle“ = Art. 31 lit. c CISG = Holschuld
➢ GÜ dann gem. Art. 69 I (wenn bei Niederlassung des Verkäufers) oder Art. 69 II (Abholung woanders)
d) Bringschuld = nicht im CISG vorgesehen, kraft Privatautonomie (Art. 6 CISG) aber vereinbar
➢ GÜ dann gem. Art. 69 II CISG mit Übergabe oder aber Fälligkeit + Kenntnis des Käufers von Abholbarkeit
Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 80
V. PFLICHTEN DES VERKÄUFERS (3/5):
3. Pflichten des Verkäufers bei Versendung: Art. 32 CISG
Pflicht zur Versendungsanzeige (32 I) und Pflicht zum Abschluss Versendungsverträge (32 II + Versicher.)
➢ Versendungsanzeige dient der Zuordnung: Bedeutsam für die Gefahrtragung, Artt. 67 II, 68
4. Leistungszeit: Art. 33 CISG (≠ § 271 BGB)
➢ Vorrangig die vertragliche Vereinbarung, Art. 33 lit. a und b CISG
➢ Mangels Regelung nicht sofort, sondern nur nach „angemessener“ Frist (Art. 33 lit. c; vgl. § 475 I BGB)
5. Vertragsgemäße Beschaffenheit der Ware: Art. 35 CISG = Sachmangel
➢ entspricht weitgehend dem Sachmangelbegriff in § 434 BGB
➢ Auch aliud-Lieferung erfasst, und zwar egal wie groß die Abweichung (umstr., wohl h.M.)
➢ Entscheidender Zeitpunkt = Art. 36 I CISG = grds. Gefahrübergang (Artt. 66 ff. CISG)
a) Partiell vorrangige Anwendung des subjektiven Fehlerbegriffs, Art. 35 I CISG (vgl. § 434 II BGB)
= Ware muss in Menge, Qualität + Art sowie hins. Verpackung/Behältnis den Anf. d. Vertrages entsprechen
d.h. entscheidend ist die jeweilige Beschaffenheitsvereinbarung (ausdrücklich / konkludent)
➢ Sofern nicht alle Eigenschaften der Ware / Dokumente vereinbart, greift hilfsweise Art. 35 II CISG
➢ Vereinbarung von Sacheigenschaften möglich, deren Erreichung n. Wissenschaft + Technik unmöglich

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 81


V. PFLICHTEN DES VERKÄUFERS (4/5):
b) Lückenfüllung durch objektiven Mindeststandard für Beschaffenheit, Art. 35 II:
Greift ein, wenn bzw. soweit keine Beschaffenheitsvereinbarung i.S.v. Art.35 I CISG vorliegt
Art. 35 II CISG beinhaltet 4 objektive Qualitäts- bzw. Eigenschaftsstandards beim UN-Kauf
aa) Art. 35 II lit. a CISG: Eignung zum gewöhnlichen Gebrauch von Waren gleicher Art
➢ Gewöhnlicher Gebrauch beim UN-Kauf i.d.R. = Wiederverkäuflichkeit oder Einsatz im Betrieb
➢ Beurteilt sich nach der Verkehrsauffassung; (P) wo? H.M. = Entscheidend i.d.R. das Verkäuferland
➢ Auch ein bloßer Mangelverdacht kann genügen, wenn dadurch die Wiederverkäuflichkeit betroffen
bb) Art. 35 II lit. b CISG: Tauglichkeit für bestimmten Zweck, wenn Verkäufer zur Kenntnis gebracht
➢ Nicht, wenn der Verkäufer Laie („nicht vertrauen konnte“) ist (etc. = geringere Sachkunde)
➢ Muss vor Vertragsschluss mitgeteilt werden (einseitige Mitteilung genügt)
cc) Art. 35 II lit. c CISG: Übereinstimmung mit Probe oder Muster (wohl bereits durch Art. 35 I abgedeckt)
dd) Art. 35 II lit. d CISG: Verpackungsmangel (im dt. Recht hingegen idR nur Nebenleistungspflicht)
c) Ausschluss der Sachmängelhaftung, Art. 35 III CISG:
Voraussetzung: Kenntnis/Kennenmüssen des Mangels durch Käufer bei Vertragsschluss
➢ Betrifft nur Art. 35 II CISG; hM: grobe Fahrlässigkeit [vgl. insgesamt im dt. Recht § 442 BGB]
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Beispielsfall 10: K betreibt in Darmstadt einen Fischimport. Sie kauft bei der in der Schweiz ansässigen V 1750 kg
neuseeländische Muscheln. Das staatliche Veterinäramt Groß-Gerau stellt fest, dass die Muscheln einen erhöhten
Cadmium-Gehalt aufwiesen. In der Schweiz wird diese Schwermetallbelastung als unbedenklich gesehen und hin-
dert weder den erlaubten Verzehr dieser Muscheln durch den Endverbraucher noch ihre Verkäuflichkeit. In Deutsch-
land besteht dagegen eine behördliche Richtlinie, die vom Verzehr derartig belasteter Muscheln abrät und deshalb
ihren Weiterverkauf in Deutschland verbietet. K erklärt gegenüber V die Vertragsaufhebung nach Art. 49 I lit. a CISG.
Zu Recht?
Da Schweiz + Deutschland Vertragsstaaten des CISG sind, findet das Übereinkommen nach Art. 1 I lit. a Anwendung (+)
Eine Vertragsaufhebung setzt bei einer etwaigen Schlechtleistung wie hier nach Art. 49 I lit. a die „Nichterfüllung einer
dem Verkäufer nach dem Vertrag oder dem Übereinkommen obliegenden Pflicht“ voraus, wobei die Nichterfüllung
zusätzlich eine wesentliche Vertragsverletzung (Art. 25 CISG) darstellen muss.
Fraglich ist daher, ob die Ware überhaupt vertragswidrig i.S. von Art. 35 CISG ist (d.h. ein Sachmangel vorliegt).
Da eine Beschaffenheitsvereinbarung (Art. 35 I CISG) im Hinblick auf die Cadmium-Belastung nicht vorliegt, kommt es
darauf an, ob die Ware nach den objektiven Beschaffenheitsanforderungen des Art. 35 II CISG vertragswidrig ist.
Zum gewöhnlichen Gebrauchszweck i. S. des Art. 35 II lit. a CISG gehört es grds. nicht, dass die Ware Regelungen ent-
spricht, die im Einfuhrland für Waren dieser Art zwingend vorgeschrieben sind. (h.M.; umstr.; a.A. für den Regelfall
Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 445 ff.) Dass es auf die Standards des Einfuhrlandes ankommen sollte, wur-
de zwischen den Parteien nämlich nicht vereinbart. Derartige Standards können nach h.M. nur dann objektiv zugrunde
gelegt werden, wenn sowohl im Verkäufer- als auch im Käuferstaat gleiche Überzeugungen hinsichtlich der zum ge-
wöhnlichen Gebrauch erforderlichen Eigenschaften von Waren dieser Art herrschen, oder der Verkäufer auf das Käu-
ferland ausgerichtet / spezialisiert ist etc.). Daran fehlt es hier (a.A. Schroeter, Rn. 453mit Verweis auf Art. 42).
Auch aus Art. 35 II lit. b CISG ergibt sich im Beispielsfall nicht die Vertragswidrigkeit der Ware. Denn es ist grundsätzlich
Sache des Käufers, sich über die Vereinbarkeit der Ware mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Verwendungs-
land zu informieren; es ist deshalb das Risiko des Käufers, dass die Ware diesen Vorgaben entspricht. Es gibt keine Ver-
mutung für eine überlegene Sachkunde des Verkäufers hinsichtlich öffentlich-rechtlicher Vorgaben im Bestim-
mungsland der Ware.

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V. PFLICHTEN DES VERKÄUFERS (5/5):
6. Rechtsmängel: Artt. 41 – 43 CISG
Nach Art. 30 muss der Verkäufer grds. unbedingt Eigentum an der Ware übertragen (außer, etwas anderes vereinbart)
➢ Gelingt dies nicht, bestimmen Artt. 41 – 43 eine umfassende Rechtsmängelhaftung des Verkäufers
➢ Ähnlich wie bei § 435 BGB zwar weitgehende, aber keine vollständige Gleichbehandlung mit Sachmängeln
a) Art. 41 CISG: Verpflichtung des Verkäufers, von Rechtsmängeln (= Rechten Dritter) freie Ware zu liefern
Rechte Dritter = sowohl dingliche als auch obligatorische Rechte (z.B. Verkauf von Hehlerware)
➢ öffentlich-rechtliche Beschränkungen der Nutzbarkeit fallen ggf. unter Art. 35, nicht Art. 41 CISG
➢ Anders als bei § 435 BGB fallen nach h.M. auch bloß behauptete Rechte darunter (aber: dann NICHT Art. 25)
Engerer Ausschluss als nach Art. 35 III CISG (Kenntnis) = Art. 41 S. 1 a.E. – nur bei Einverständnis des Käufers

b) Art. 42 CISG: Sonderregelung für Rechte Dritter aus geistigem Eigentum


➢ Ist für den Verkäufer günstiger als Art. 41 CISG, denn:
Nicht alle, sondern nur Rechte im geplanten Verwendungsland relevant, Art. 42 I lit. a,
allerdings: weiterer Ausschluss als bei Art. 41 CISG: schon bei Kennen(müssen) des Käufers, Art. 42 II lit. a
Gewerbliches (Geistiges) Eigentum = UrhR, PatentR, MarkenR, Geschmacks-/ GebrauchsmusterR; allg. PersönlichkR (umstr.)

c) Art. 43 CISG: Rügeobliegenheit (ähnlich Art. 39 CISG bei Sachmängeln)


➢ Frist kürzer als 39, anders als bei Sachmängeln (Art. 39 II CISG) jedoch keine Ausschlussfrist

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VI. RÜGE- UND UNTERSUCHUNGSOBLIEGENHEIT (1/4):
Nach Art. 39 CISG muss ein Käufer die Vertragswidrigkeit einer erhaltenen Ware rechtzeitig
rügen, wenn er hieraus Rechte gegen den Verkäufer geltend machen will
Tut er dies nicht, verliert er seine entsprechenden Mängelrechte kraft Gesetzes
➢ Ratio: Schutz d. Verkäufers + Mitverantwortung Käufer für schnelle Abwicklung Mängelrechte
Vgl. im autonomen deutschen Recht § 377 HGB beim beiderseitigen Handelskauf einer „Ware“
➢ § 377 HGB ist strenger als Art. 39 CISG (kürzere Frist) – „unverzüglich“ ≠ „angemessen“
➢ Dort muss die Mängelrüge (entgegen Wortlaut § 377 IV HGB) auch zugehen ≠ 27 CISG

➢ Gehört zu den praktisch und auch für Studenten wichtigsten Vorschriften des CISG
➢ Gilt nur für Sachmängel i.S.v. Art. 35 CISG [ebenso wie § 377 HGB]
➢ Für Rechtsmängel (Artt. 41, 42) gilt nicht Art. 39, sondern Art. 43 (kürzer; ohne Ausschlussfrist)
1. Allgemeines:
➢ Regelungskomplex umfasst vier Artikel – Artt. 38 bis 40 und 44 CISG
➢ Verletzung der Rügeobliegenheit schneidet zwar im Regelfall, aber nicht immer alle Rechte ab
➢ Art. 44 CISG: bei „vernünftiger Entschuldigung“ (kein Pendant dazu in § 377 HGB)
➢ Artt. 38 ff. CISG sind jedoch insgesamt abdingbar, Art. 6 CISG
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VI. RÜGE- UND UNTERSUCHUNGSOBLIEGENHEIT (2/4):
2. Untersuchungsobliegenheit: Art. 38 CISG
Beachte: zweiteiliger Tatbestand aus (1.) Untersuchung und anschließender (2.) Rüge
➢ (2.) Rügefrist beginnt grds. erst (1.) nach Ablauf der Untersuchungsfrist od. Entdeckung zu laufen

Nach Art. 38 Abs. 1 CISG hat der Käufer die Ware innerhalb einer so kurzen Frist zu untersuchen oder
untersuchen zu lassen, wie es die Umstände erlauben.
a) Frist: richtet sich v.a. nach der Art der verkauften Ware (zB ob verderblich?)
➢ Kaum präzise Vorgaben (OLG Karlsruhe: 3-4 Tage; Staudinger/Magnus: 1 Woche/5 Arbeitstage)
➢ Beginnt bei Versendung erst mit Ankunft am Bestimmungsort, Art. 38 II CISG + ähnlich Art. 38 III
b) Art und Weise: oberflächlich zB durch Besehen, Riechen, Betasten, Zählen, Wiegen oder Messen der Ware
➢ Bei größeren Warenmengen repräsentative Stichproben ausreichend, aber auch erforderlich
c) Differenzierung nach Art des Mangels:
(1) Mängel, die bei einer normalen Untersuchung auffindbar sind = offene Mängel
➢ Grds. nur für solche Mängel beginnt im Anschluss an die U.frist oder Entdeckung die Rügefrist zu laufen
(2) Verborgene Mängel = die auch durch eine normale Untersuchung nicht zu Tage getreten wären
➢ Bei verborgenen Mängeln beginnt die Rügefrist nur zu laufen, wenn sie entdeckt w. / Verdachtsmoment.
d) R.folge der Fristversäumung: KEINE; verspätete Untersuchung kann durch frühe Rüge ausgeglichen w.
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VI. RÜGE- UND UNTERSUCHUNGSOBLIEGENHEIT (3/4):
3. Rügeobliegenheit: Art. 39 CISG
a) Gegenstand = Mangelhaftigkeit, Falschlieferung (aliud), Fehlmenge (-/+ 52 II 2), mangelhafte Dokumente
➢ NICHT zu rügen ist die bloße Nichtlieferung bzw. verspätete Lieferung
b) Inhalt = Substantiierung, so dass Verk. Mangel erkennt + wie auf Vertragswidrigkeit zu reagieren ist
➢ Allgemeine Beschwerden („Alles Mist“) daher nicht ausreichend
➢ Wohl kein Nachschieben der Präzisierung möglich (h.M.) ≠ angloamerikanische Vorstellungen
c) Das Transportrisiko für die Rüge trägt der Verkäufer (Empfänger), Art. 27 CISG
d) Frist = „angemessen“ = je nach Art der Ware (verderblich/Saisonware?)
➢ BGH: i.d.R. 1 Monat (sog. „noble month“; kürzer jedoch bei verderblicher Ware)
e) Fristbeginn: Wiederum Differenzierung nach Art des Mangels
➢ offene Mängel = Rügefrist beginnt im Anschluss an Ablauf Untersuchungsfrist (dh Addition!);
➢ Spätestens jedoch Beginn der Rügefrist mit nachgewiesener Entdeckung des Mangels
➢ verborgene Mängel = Rügefrist beginnt erst, sobald der Mangel entdeckt oder -bar wurde

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VI. RÜGE- UND UNTERSUCHUNGSOBLIEGENHEIT (4/4):
4. Fehlende Schutzwürdigkeit des Verkäufers: Art. 40 CISG
➢ Keine Anwendung von Art. 39 CISG bei Kenntnis / Kennenmüssen (i.S.v. gro-ber Fahrlässigkeit;
h.M.) des Verkäufers + fehlender Offenbarung
5. Rechtsfolgen:
➢ Verletzung der Rügeobliegenheit bedeutet grds. völliger Anspruchsverlust
6. Ausnahmeregel zugunsten des Käufers: Art. 44 CISG
Bei vernünftiger Entschuldigung bleibt Minderung + SE neben Leist. (ohne entg. Gewinn)
➢ Wohl Verschuldensprüfung (umstr.; sehr selten); ggf. Billigkeitsabwägung
➢ Z.B. objektive Verhinderung (Streik, Stromausfall); ggf. subjektiv, wenn in Rügeobliegeneheit im
Heimatrecht des Käufers völlig unbekannt
7. Ausschlussfrist: Art. 39 II CISG
➢ Wenn keine Rüge binnen zwei Jahren, erlöschen sämtliche Mängelrechte nach Art. 39 II CISG
= KEINE Verjährung [= externe Lücke; lies Art. 3 CISGG]
➢ Gilt auch bei (weiterhin) verborgenen Mängeln

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VII. RECHTSBEHELFE DES KÄUFERS, ARTT. 45 – 52 CISG:
1. „Grundnorm“: Inbezugnahme der Käuferrechtsbehelfe bei Vertragsverletzung in Art. 45 I CISG
➢ Im Ansatz wie§ 437 BGB, jedoch nur deklaratorisch (Art. 45 I lit. a); keine Rechtsgrundverweisung
➢ Allerdings ist Art. 45 I lit. b CISG = Anspruchsgrundlage für Schadensersatz
2. Regelungsstandort: Grds. sind die Rechtsbehelfe in Artt. 45 – 52 CISG geregelt
➢ daneben noch Artt. 71 – 73, 88 CISG zu beachten sowie die SE-Regeln in Artt. 74 – 77, Artt. 79 f.
3. BEACHTE Art. 45 II CISG = Schadensersatz wird nicht durch andere Rechtsbehelfe ausgeschlossen
➢ D.h. grds. kombinierbar; vergleichbar wie § 325 BGB im autonomen deutschen Recht
➢ Jedoch folgt aus Artt. 75,76 CISG, dass „großer“ SE „statt der Leistung“ Aufhebung voraussetzt
4. Art. 45 III CISG = Verbot von „Gnadenfristen“ (in D unbek., v.a. Frankreich: Art. 1184 III c.c. aF)
= richterlich gesetzte Frist, während derer die Rechtsbehelfe des Käufers „ruhen“
1. (Nach-)Erfüllungsanspruch, Art. 46 CISG
2. „Recht“ des Verkäufers zur Nacherfüllung (2. Andienung), Artt. 47, 48 CISG - Suspension
3. Vertragsaufhebung, Art. 49 CISG
4. Schadenersatz, Artt. 45 I lit. b, 74 ff. CISG
5. Prüfungsschema Schadenersatz
6. Minderung, Art. 50 CISG
7. Zurückbehaltungsrechte, Artt. 58, 71 CISG

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1. (NACH-)ERFÜLLUNGSANSPRUCH, ART. 46 CISG (1/2):
Sämtliche Naturalerfüllungsansprüche des Käufers sind in Art. 46 CISG geregelt;
➢ Ergänzend sind insofern Art. 47 und Art. 48 CISG zu beachten
➢ Zu denken ist immer auch an die Vorbehaltsklausel in Art. 28 CISG
1. Allgemeiner Naturalerfüllungsanspruch in Bezug auf Erstleistung: Art. 46 I CISG
➢ Entspricht im Grundsatz im deutschen Recht § 433 I 1 BGB, ABER:
➢ Naturalerfüllungsanspr. im CISG nicht Kehrseite der Leistungspflicht, sondern Rechtsbehelf
= Art. 46 I setzt voraus, dass der Verkäufer eine seiner Pflichten nicht erfüllt hat
z.B. Nichtlieferung zum Liefertermin (Art. 33 CISG), Lieferung am falschen Ort (Art. 31 CISG),
vertragswidrige Teillieferung (Art. 51 CISG), Nichtlieferung Dokumente (Art. 34 CISG),
Nichterfüllung sonstiger Leistungspflichten; nach h.M. zudem auch Rechtsmängel (Artt. 41 f.)
Grenzen des Naturalerfüllungsanspruchs:
➢ Scheidet aus, wenn Käufer Rechtsbehelf ausgeübt hat, der mit Erfüllungsverlangen unvereinbar
➢ Insb. Aufhebung; Schadensersatz „statt der Leistung“; Minderung bei Teilleistung
➢ Zudem bei Unmöglichkeit (nach Treu und Glauben, Art. 7 I, s.o.; a.A. = Art. 28 iVm § 275 BGB)
➢ Befreiung nach Artt. 79 (sehr umstr.) und 80 CISG möglich (selten)
➢ Zeitliche Grenze: Verjährung (= externe Lücke)
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1. (NACH-)ERFÜLLUNGSANSPRUCH, ART. 46 CISG (2/2):
Erfüllung in Natur bei Schlechtleistung richtet sich nach Art. 46 II und III CISG (Ausnahme: Rechtsmän.)
2. Ersatzlieferungsanspruch: Art. 46 I, II CISG
➢ entspricht im deutschen Recht § 439 I Alt. 2 BGB = Nachlieferung
Ersatzlieferung wird vom CISG wertungsmäßig der Aufhebung gleichgestellt
➢ D.h. nur bei Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung (Art. 25) möglich
➢ Daher nur in Ausnahmefällen möglich, CISG will Ersatzlieferung vermeiden (Grund = VWL)
Rechtsfolge: Rückgabepflicht analog Art. 81 II 1 CISG
➢ Ein- und Ausbaukosten nach wohl hM nicht umfasst, sondern nur als SE gem. Artt. 45 I lit. b, 74 CISG
➢ Anders im deutschen Recht nach § 439 III BGB

3. Nachbesserungsanspruch: Art. 46 I, III CISG


➢ entspricht im deutschen Recht § 439 I Alt. 1 BGB
Ohne Weiteres auch unterhalb der Wesentlichkeitsschwelle des Art. 25 CISG möglich
= Setzt lediglich Schlechtleistung + Wahrung der Rügefrist (Art. 39 CISG) voraus
➢ Anders als im deutschen Recht nicht primäres Mängelrecht, sondern grds. gleichrangig (außer 48 CISG)
Zumutbarkeit für Verkäufer nötig, Art. 46 III 1 (zB objektives Missverhältnis; ähnlich § 439 IV BGB)
Muss zudem in angemessener Frist nach Mängelrüge verlangt werden, Art. 46 III 2; Verhandlung suspendiert

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2. „RECHT“ DES VERKÄUFERS ZUR NACHERFÜLLUNG, ART. 47+48
Grds. stehen die Rechtsbehelfe bei Schlechtleistung im CISG gleichberechtigt nebeneinander
➢ D.h. der Verkäufer kann den Käufer grds. NICHT auf Vorrang der Nacherfüllung verweisen

Von diesem Grundsatz gibt es jedoch 3 Ausnahmen:


1. Bei vorzeitiger Lieferung der Ware oder Dokumente gewähren Artt. 34 S. 2 und 37 dem Verkäufer ein
Nacherfüllungsrecht (+ Annahmepflicht des Käufers), aber nur bei Annahme durch Käufer (vgl. Art. 52)
2. Bei (freiwilliger) Fristsetzung durch den Käufer iSv Art. 47 Abs. 1 CISG
Dann nämlich tritt insofern Sperrwirkung ggü. anderen Rechtsbehelfen ein gem. Art. 47 Abs. 2 CISG
3. Nach Ablauf des Liefertermins kann sich ein derartiges Recht noch aus Art. 48 CISG ergeben
a) Art. 48 I 1 CISG stellt klar, dass der Verkäufer – solange der Käufer den Vertrag nicht wirksam aufgelöst hat
– grds. Nacherfüllungshandlungen vornehmen kann
➢ Recht zur zweiten Andienung, allerdings stets Gefahr, dass der Verkäufer andere Rechtsbehelfe ausübt
Derartiges „Recht“ des Verkäufers zur Nacherfüllung hat jedoch 3 Voraussetzungen:
aa) Nur, wenn noch keine Vertragsaufhebung erfolgt („Vorbehaltlich des Artikels 49“)
➢ Sofern nicht anders vereinbart, selten Konkurrenz der Nacherfüllung zur Aufhebung möglich, DENN:
➢ Grds. (außer beim relativen Fixgeschäft) KEINE „wesentliche“ VV bei Möglichkeit der Nacherfüllung

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2. „RECHT“ DES VERKÄUFERS ZUR NACHERFÜLLUNG, ARTT. 47+48
bb) Wenn keine Aufhebung, dann muss der Käufer die Nacherfüllung grds. annehmen
➢ Es sei denn, der Käufer hat zuvor gemindert bzw. anderen ggl. R.behelf ausgeübt
cc) Nacherfüllung darf für den Käufer nicht unzumutbar sein
➢ 3 Gründe: unzumutbare Verzögerung, unzumutbare Unannehmlichkeiten,
Ungewissheit über die Erstattung etwaiger Auslagen des Käufers (einzelfallabhängig)
b) Beseitigung Unsicherheit über Annahmewilligkeit des Käufers, Art. 48 II CISG
Der Verkäufer, der seine Berechtigung zur Nacherfüllung sicherstellen will, kann den
Käufer zur Erklärung der Annahmewilligkeit auffordern, Art. 48 II 1 CISG

➢ Widerspricht der Käufer der Erfüllungsankündigung nicht in angemessener Frist oder


schweigt er gänzlich, erlangt der Verkäufer damit ein Nacherfüllungs„recht“; DENN
➢ Während Fristlauf keine Aufhebung / Minderung / kleiner SESL möglich, Art. 48 II 2
➢ Nach Art. 48 III CISG genügt, wenn Verkäufer mitteilt, er werde nacherfüllen
➢ Mitteilung muss zugehen, Artt. 48 IV, 24 CISG ≠ Art. 27 CISG
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3. VERTRAGSAUFHEBUNG, ART. 49 CISG:
Grundprinzip: Aufhebung bei Nicht- und Schlechterfüllung der Verkäuferpflichten nur ultima ratio !!!
1. Aufhebungsrecht nach Art. 49 I lit. a CISG: (vgl. im dt. Recht § 440 S. 1 Alt. 3 BGB)
Aufhebung grds. nur bei Vorliegen einer wesentlichen Vertragsverletzung (wV), Art. 25 CISG [eng zu verstehen!]
➢ Betrifft sowohl die Nicht- als auch Schlechtleistung!
➢ Unmöglichkeit der Erstleistung (und relatives Fixgeschäft) wohl stets wesentliche Vertragsverletzung
2. Aufhebungsrecht nach Art. 49 I lit. b CISG: (vgl. im dt. Recht § 323 I BGB)
Ohne wV Aufhebung auch bei Nichtlieferung + erfolglos. Fristsetzung oder Erfüllungsverweigerung (49 I lit. b)
➢ Nichtlieferung = komplettes (aber: 51) Ausbleiben der Verschaffung der Ware oder Nichtübergabe der Dokumente
➢ Sachmängel, Quantitätsmängel (außer für fehlenden Teil: 51) oder Falschlieferung (aliud) ≠ Nichtlieferung
Nachfristsetzung geregelt in Art. 47 I CISG (inkl. Blockierfunktion, Art. 47 II CISG)
Angemessene Länge der Frist = nach Umständ.; umstr. Rfolge, wenn zu kurz (e.A. läuft länger /h.M.: erneute Fristsetz. erford.)
3. Zeitliche Grenzen bei Schlechtleistung: Art. 49 II CISG (lesen!) (a) kürzer als 39, b) länger als 39)
➢ Aufhebung muss „innerhalb einer angemessenen Frist“ erklärt werden (insofern gilt jedoch Art. 27 CISG)
4. Rechtsfolge: Artt. 81 – 84 CISG (vgl. im dt. Recht §§ 346 ff. BGB)
➢ Ausschluss gem. Art. 82 I CISG wenn Rückgabe unmöglich (Rückausnahmen dazu in Art. 82 II CISG)
5. Sonderregeln zur Aufhebung: a) Aufhebung vor Fälligkeit: Art. 72 CISG (lesen!)
b) Sukzessivlieferungsverträge: Art. 73 CISG (lesen!)
c) Teillieferungen: Art. 51 CISG (lesen!)
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4. SCHADENERSATZ, ART. 45 I LIT. B, ARTT. 74-77. CISG (1/2):
Zentrale Anspruchsgrundlage für ALLE Schadensersatzansprüche des Käufers ist Art. 45 I lit. b

➢ Erfasst alle Schadensarten, ohne dass Differenzierung erforderlich (neben / statt Leistung)
➢ Jedoch Schadensersatz statt der Leistung nur, wenn Aufhebung erklärt (Artt. 75 + 76 CISG)
➢ Parallelnorm für den Verkäufer in Art. 61 I lit. b CISG
➢ Artt. 74 – 77 CISG sind keine Anspruchsgrundlagen (regeln lediglich Inhalt = Schadensrecht)
1. Allgemeines:
➢ Zu den Voraussetzungen s. die übernächste Folie
➢ Art der Pflichtverletzung gleichgültig für den Schadenersatzanspruch
➢ Egal ob Nichtleistung, teilweise Nichtleistung, nicht rechtzeitige Leistung, Schlechtleistung
➢ Egal ob Verletzung Haupt- / Nebenleistungspflichten oder (ausnahmsweise) Nebenpflichten
➢ Kraft Gesetzes Garantiehaftung
➢ d.h. kein Vertretenmüssen nötig; kann aber naturgemäß vertraglich abbedungen werden
➢ Keine „wesentliche Vertragsverletzung“ iSv Art. 25 CISG erforderlich
➢ Grds. immer aber Entlastungsmöglichkeit durch Befreiungsgründe gem. Artt. 79, 80 CISG
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4. SCHADENERSATZ, ART. 45 I LIT. B, ARTT. 74-77. CISG (2/2):
2. Umfang des Schadensersatzes:
➢ Schadensrecht des UN-Kaufrechts geregelt in Artt. 74 – 77 CISG (vgl. in Dtld. §§ 249 - 254 BGB)
➢ SE nach CISG ist stets nur auf Geld gerichtet (anders als § 249 I BGB: Naturalrestitution)
a) Grundsätze:
1. Nur materielle Schäden (kein Schmerzensgeld, vgl. insofern bereits Art. 5 CISG)
2. Totalreparation und Vorteilsanrechnung
3. Differenzierung zw. fehlender (Art. 74) und Vertragsaufhebung (Artt. 75, 76 CISG)

b) Begrenzung des Umfangs durch Voraussehbarkeitsregel, Art. 74 S. 2 CISG:


➢ nur für Schuldner; ausreichend ist Vorhersehbarkeit der Schadenseintrittsmöglichkeit in ungefährer Schadenshöhe
➢ Differenzierung nach Fallgruppen; lies insgesamt zum SchadensR - Schroeter, Int. UN-KaufR, Rn. 814 – 864
c) Schadensminderungsobliegenheit, Art. 77 CISG: - auch international allgemeines Rechtsprinzip -
➢ Gilt analog auch für andere Rechtsbehelfe (h.M.)
➢ ähnlich § 254 II 1 BGB; ggf. auch Drittverhalten zurechenbar (Rechtsgedanke Art. 79 CISG)
d) Schadensersatz „statt der LEISTUNG“, Artt. 75 und 76 CISG:
= Ersatz des positiven Interesses, d.h. primär der Kosten eines Deckungsgeschäfts (= Deckungskauf (Käufer) oder -verkauf)
➢ Grds. nur im Falle gleichzeitiger Aufhebung (im Einzelnen etwas umstritten)
➢ Differenzierung zwischen konkreter (Art. 75 CISG) und abstrakter Schadensberechnung (Art. 76 CISG)
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5. PRÜFUNGSSCHEMA SCHADENERSATZ NACH DEM CISG:
Prüfungsschema bei Vorliegen einer Schlechtleistung (d.h. i.R.v. Art. 45 I lit. b) CISG):
1. Anwendbarkeit des CISG
a) Räumlich, Artt. 1, 10 CISG
b) Sachlich, Artt. 1 – 3 CISG
c) Zeitlich, Art. 100 CISG
2. Wirksamer Kaufvertragsschluss, Artt. 14 – 24 CISG
a) Angebot, Artt. 14 – 17 CISG (Bestimmtheit, RBW; ggf. AGB-Problematik (Kenntnisverschaffungsobliegenheit))
b) Annahme, Artt. 18 – 22 CISG (Rechtzeitigkeit; Abweichung; ggf. AGB-Problematik („battle of forms“; (Art. 8 I aE CISG))
c) Wirksamkeit – z.B. etwaige Schriftform (Art. 12 CISG oder Vereinbarung) oder externe Lücken (Art. 4 S. 2 lit. a)
3. Vertragsverletzung, d.h. Pflichtverletzung (hier: mangelhafte Leistung, Artt. 35, 41, 42 CISG)
4. (bei Schlechtleistung) Zeitpunkt des Gefahrübergangs, Artt. 36, 66 ff. (oder Ausnahme Art. 36 II); Rmangel: grds. Lieferung
5. (bei Schlechtleistung) Kein Ausschluss durch nicht rechtzeitige Mängelrüge, Art. 39 CISG (oder g. Art. 40 entbehrl.), 43
6. Keine laufende etwaige (Nach-)Erfüllungsfrist, Art. 47 II CISG (aber: Art. 47 II 2, Verzugsschaden!)
7. Keine Ausschluss der Haftung
a) Gesetzlich gem. Artt. 79, 80 CISG
b) Vertraglich vereinbart, Artt. 14 – 24 CISG, u.U. AGB-Inhaltskontrolle (zB § 307 BGB)
8. Rechtsfolge: Schadenersatz nach Maßgabe der Art. 74 – 77 (grds. 74; bei Vertragsaufhebung 75, 76)

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6. MINDERUNG, ART. 50 CISG:
(Nur) bei Lieferung nicht vertragsgemäßer Ware (Art. 35) hat (nur) der Käufer ein Minderungsrecht
1. Voraussetzungen: (vgl. im dt. Recht § 441 I 1 BGB)
a) Lieferung
b) Ware nicht vertragsgemäß (nur) iSv Art. 35 CISG
➢ d.h. Sachmängel, Quantitätsmängel oder Falschlieferung (aliud)
➢ Nach wohl h.M. keine Anwendung bei Rechtsmängeln i.S.v. Artt. 41, 42 CISG
➢ Grund = historische Beratungen bei Schaffung des CISG (Materialien)
➢ Da Bedürfnis zur „Lösung“ stattdessen dann : Schadenersatz + Aufrechnung
c) Minderungserklärung (da Gestaltungsrecht und nicht etwa kraft Gesetzes eintretend)
➢ Für die Erklärung gilt Art. 27 CISG (Absendetheorie und nicht Zugangsprinzip)
d) Nicht, solange Recht zur Nacherfüllung gem. Art. 37 oder 48, vgl. Art. 50 S. 2 CISG (= kein Ausschluss)
2. Rechtsfolge:
➢ Verhältnismäßige Herabsetzung des Kaufpreises (vgl. im dt. Recht § 441 III 1 BGB)
➢ Entscheidend ist mangelbedingter Minderwert bei Lieferung, NICHT: Vertragsschluss (so im BGB)
➢ Wenn schon gezahlt: Rückgabepflicht analog Art. 81 II 1 CISG (Art. 7 II CISG)
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7. ZURÜCKBEHALTUNGSRECHTE, ARTT. 58, 71 CISG:
Grundprämisse: CISG kennt kein allg. Zurückbehaltungsrecht (wie § 273 BGB)
➢ Dennoch ist ZBR neben Zug-um-Zug allgemeines Grundprinzip des CISG (Artt. 85 S. 1, 86 I 2)
➢ Art. 58 I 2, II CISG sieht Zurückbehaltungsrechte für die Lieferung und die Zahlung vor
1. Leistung Zug-um-Zug: Art. 58 I, II, III CISG (entspricht § 320 BGB)
➢ Käufer kann den Kaufpreis zurückhalten, bis der Verkäufer die Ware oder Dokumente, die zur Verfügung
über die Ware berechtigen (z.B. Traditionspapiere), zur Verfügung gestellt hat
➢ Umgekehrt kann der Verkäufer die Übergabe der Ware/Dokumente von der Zahlung abhängig machen
➢ ZBR besteht auch gegenüber einem etwaigen Nacherfüllungsanspruch
2. Verschlechterungs-/ Unsicherheiteneinrede: Art. 71 CISG (entspricht § 321 BGB)
➢ Bei Vorleistungspflicht erlaubt Art. 71 CISG eine Zurückhaltung der eigenen Leistung, wenn die Erfüllung
wesentlicher, aber noch nicht fälliger Pflichten der anderen Vertragspartei absehbar gefährdet ist
3. Ist im CISG Zurückweisung vertragswidriger Ware möglich?
➢ Teilleistungen muss Käufer grds. annehmen, Art. 51 CISG (anders im dt. Recht gem. § 266 BGB)
➢ vorzeitige oder zu viel gelieferte Ware hingegen nicht, Art. 52 CISG (anders gem.§ 271 BGB)
➢ Bei Schlechtleistung nach h.M. nur ablehnbar, wenn wesentliche Vertragsverletzung (ABER: Artt. 85 ff.)
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VIII. HAFTUNGSBEFREIUNG, ARTT. 79, 80 CISG (1/2):
Die Schadenersatz-Haftung im CISG ist grds. Garantiehaftung und erfordert kein Vertretenmüssen
➢ Eine Begrenzung der Haftung erfolgt daher lediglich gem. Art. 79 und 80 CISG
➢ Einzelheiten kompliziert + umstritten; lies Schroeter, Internationales UN-Kaufrecht, Rn. 758 ff.!
➢ Zudem wird diese durch das Erfordernis der Vorhersehbarkeit eingeschränkt (Art. 74 S. 2 CISG)

1. Nicht beherrschbarer Hinderungsgrund: Art. 79 I CISG


➢ Betrifft nach ganz h.M. nur die Haftung nach Art. 49 I lit. b bzw. Art. 61 I lit. b CISG auf Schadenersatz
3 Voraussetzungen: (a) Vertragsverletz. beruht auf nicht beherrschbarem Hinderungsgrund, der
(kumulativ) = außerhalb des Einflussbereichs = nicht mit Person d. Schuldners in Zusamm.h.
(b) für den Schuldner nicht vorhersehbar und
➢ bei Vertragsschluss und aus der Sicht einer vernünftigen Person
(c) ferner unabwendbar ist (d.h. auch nach Vertragsschluss, aber bei Auftreten)
➢ vom Sch. kann obj. nicht erwartet w., HG in Betracht zu ziehen / zu vermeiden
➢ Z.B. höhere Gewalt, staatliche Eingriffe (Importverbot), NICHT, wenn periodisch od zuvor angekündigt
NICHT: eigene Insolvenz, Mängel aus Lieferanten/Herstellersphäre, da dies Verkäufer zurechenbar
➢ Im BGB hingegen hat der Verkäufer i.d.R. Mängel aus der Herstellersphäre NICHT zu vertreten
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VIII. HAFTUNGSBEFREIUNG, ARTT. 79, 80 CISG (1/2):
2. Haftungsbefreiung bei Hinzuziehung Dritter: Art. 79 II CISG
➢ Betrifft nach ganz h.M. nur Haftung auf Schadenersatz ( Art. 49 I lit. b bzw. Art. 61 I lit. b CISG )
Entlastung nur, wenn Hindernis weder für Schuldner noch für hinzugezogenen Dritten beherrschbar ist
➢ Eingeführt auf Bestreben der dt. Regierung (die an § 831 BGB gedacht hat + Haftung erleichtern wollte)
➢ Stellt gegenüber Art. 79 I Haftungsverschärfung dar
➢ Regelung im Einzelnen stark umstritten wegen des unklaren Normzwecks
Betrifft nur selbstständige Dritte, die eigenverantwortlich handeln + nicht in den Organisation des Schuldn.
eingegliedert sind
➢ Haftung für unselbständige Erfüllungsgehilfen (≈Verrichtungsgehilfen) fällt hingegen unter Art. 79 I CISG

3. Haftungsausschluss bei Verursachung der Nichterfüllung v. Pflichten: Art. 80


Art. 80 sieht Befreiung des Schuldners vor, wenn d. Gläubiger Nichterfüllung verursacht hat
➢ Ausdruck von Treu und Glauben (Art. 7 I CISG); gilt anders als Art. 79 für alle Rechtbehelfe (nicht nur SE)
≈ § 326 II 1 Alt. 1 BGB
Verursachung = conditio-sine-qua-non (= weit); kein Verschulden; auch bei teilweiser Verurs. („soweit“)
➢ Analoge Anwendung, wenn Hinderungsgrund Risikosphäre des Gläubigers (≠ Verhalten) zuzurechnen ist

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Beispielsfall 11: K mit Sitz in Österreich betreibt eine Rebschule, die sich u. a. mit der Aufzucht und
Veredelung von Schnittreben sowie dem Handel mit diesen befasst. Bei der Veredelung verwendet sie
spezielles Wachs, um das Austrocknen der Reben zu verhindern und die Infektionsgefahr zu verringern. K
schließt mit V, einem Wachshersteller mit Sitz in Deutschland, einen Kaufvertrag über die Lieferung von
5000 kg „Rebwachs schwarz“ ab. Die Lieferung erfolgt in der Originalverpackung direkt von der Herstel-
lerin, die hierzu von V beauftragt worden war.
Nach der Lieferung rügte K gegenüber V die Mangelhaftigkeit des Wachses und machte – tatsächlich auf-
getretene – massive Ausfälle wegen wider Erwarten durch den Wachs nicht verhinderte Erfrierungen der
mit dem Wachs behandelten Reben geltend. Sie verlangt Schadensersatz in Höhe von 1 Mio. Euro. V hin-
gegen lehnt einen Ersatz ab, da die Schadensursache für ihn als bloßen Zwischenhändler außerhalb sei-
nes Einflussbereichs gelegen habe. Er führt die behaupteten Schäden auf Erfrierung zurück und ist der
Auffassung, er sei nach Art. 79 CISG von einer Haftung als Zwischenhändler befreit. Begründetheit des
Schadensersatzanspruchs?
Der deutsch-österreichische Kaufvertrag unterliegt dem CISG, da beide Staaten Vertragsstaaten des Überein-
kommens sind (Art. 1 I lit. a CISG). Das von V an K gelieferte schwarze Rebwachs war mangelhaft (Art. 35 CISG),
so dass grundsätzlich ein Schadenersatzanspruch nach Art. 45 I lit. b CISG besteht.
Fraglich ist, ob V sich hier auf Art. 79 CISG berufen kann. Nach dieser Vorschrift hat eine Partei für die Nichter-
füllung einer ihrer Pflichten nicht einzustehen, wenn sie beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ich-
res Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und dass von ihr vernünftigerweise nicht erwartet
werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund
oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden.
Eine derartige Entlastungsmöglichkeit für den Zwischenhändler lehnt die h.Rspr. und insb. der BGH – an-
ders als im autonomen deutschen Recht – ab. Denn aus der Sicht des Käufers mache es keinen Unterschied,
ob der Verkäufer die Ware selbst herstellt oder ob er sich diese von Vorlieferanten verschafft.

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 102


IX. ÜBERBLICK KAPITEL III (1/2):
Die „Pflichten des Käufers“ sind im III. Kapitel des III. Teils des CISG geregelt (Artt. 53 – 65):
➢ weitgehend parallel und spiegelbildlich aufgebaut zum II. Kapitel („Pflichten des Verkäufers“)
➢ Andere Pflichten, aber die gleichen Rechtsbehelfe (nur Minderung und Nacherfüllung fehlen)

1. Generalnorm: Art. 53 CISG ➔ vgl. im dt. Recht ähnlich § 433 II BGB


„Der Käufer ist nach Maßgabe des Vertrages und dieses Übereinkommens verpflichtet, [1.] den
Kaufpreis zu zahlen und [2.] die Ware abzunehmen “
➢ Art. 53 normiert die Hauptleistungspflichten des Käufers, ist jedoch keine Anspruchsgrundlage
➢ Anspruchsgrundlage bei Nichterfüllung ist demgegenüber Art. 62 CISG (= Rechtsbehelf)

2. Systematik und Aufbau von Kapitel III:


➢ Art. 53 CISG ist bloß klarstellende Grundnorm, die die essentialia negotii festlegt
➢ Die Pflicht zur Kaufpreiszahlung wird inhaltlich in Artt. 54 – 59 CISG konkretisiert
➢ Diese Regeln werden sachlich durch die Regeln zur Gefahrtragung ergänzt, Artt. 66 – 70
➢ Die Pflicht zur Abnahme wird inhaltlich in Art. 60 CISG konkretisiert
➢ Rechtbehelfe des Verkäufers werden in Artt. 61 – 65 aufgezählt + normiert

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IX. ÜBERBLICK KAPITEL III (2/2):
3. Rechtsbehelfe des Käufers wg. Vertragsverletzung des Käufers (Artt. 61 – 65):

Verweisungs- Zurückbehalt
norm: Art. 61
Erfüllung, Art. 62
[Spezifizierung, 65]
Zahlung Vor Fälligkeit
Artt. 54 - 59 Abnahme Vertragsaufhebung
SE, Art. 61 I lit. b Art. 71
Artt. 60

Antizipierter Vertrags- Bei Fälligkeit


Nichtleistung wesentl. Vertragsverletzung
bruch, Art. 72 Art. 58
Art. 64 I lit. b Art. 64 I lit. a

➢ Voraussetzungen der einzelnen Rechtsbehelfe sind grds. die gleichen wie im II. Kapitel
➢ Gleiche Rechtsbehelfe, nur Nacherfüllung und Minderung fehlen (logisch beim Verkäufer nicht denkbar)
➢ Nachfristsetzung zur Naturalerfüllung (Zahlung und Abnahme) richtet sich nach Art. 63 CISG (≈ Art. 47)
➢ Zus. Sonderregelung in Art. 65 CISG für den Spezifikationskauf (= „Bestimmungskauf“)
= Handelskauf, bei dem die nähere Bestimmung der Leistung dem Käufer vorbehalten ist
➢ Rechtbehelf, der zum Übergang des Bestimmungsrechts auf den Verkäufer (statt des Käufers) führt
➢ Erfordert bei fehlender Zeitvereinbarung vorh. Aufforderung + Fristablauf + Spezifikationsanzeige (≠27)
Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 104
X. PFLICHTEN DES KÄUFERS + IHRE MODALITÄTEN:
Die Hauptleistungspflichten des Käufers werden in Artt. 53 – 60 CISG näher spezifiziert
➢ 2 Hauptpflichten: (1.) Zahlung und (2.) Abnahme
1. Pflicht zur Zahlung: Artt. 54 – 59 CISG
➢ Modalitäten (Scheck, Vorauszahlung etc.) richten sich grds. nach dem Vertrag, Art. 54 CISG
➢ Währung: Vereinbarung, hilfsweise Handelsbrauch, sonst Währung des Zahlungsortes (57; h.M., umstr.)
➢ Bei Fehlen einer Preisvereinbarung: Art. 55 CISG (scheinbarer Widerspruch zu Art. 14 I 2 CISG, s. oben)
➢ Bei angenommener Zuviellieferung besteht eine zusätzliche Zahlungspflicht, s. Art. 52 II 2 CISG
2. Zahlungsort: Art. 57 CISG
= Erfüllungsort = damit von Bedeutung für Erfüllungsortgerichtsstand im Verfahrensrecht (29 ZPO)
➢ vgl. im dt. Recht § 270 IV BGB
➢ IdR Niederlassung Verkäufer (lit. a) = Bringschuld; bei Zug-um-Zug (lit. b) wo Übergabe (NICHT bei Versendung – lit. a)

3. Zahlungszeit: Art. 58 CISG


➢ vgl. im dt. Recht § 271 BGB bzw. § 475 I BGB (beim Verbrauchsgüterkauf); Pendant zu Art. 33 CISG
➢ Art. 58 I 1: Vorrangig Vereinbarung, sonst Zug-um-Zug (allgemeiner Grundsatz des CISG, Art. 58 I 2, II)
➢ Ab Fälligkeitsregelung ist Verzögerungsschaden zu ersetzen (auch ohne Mahnung) + Zinsen geschuldet (78)

4. Pflicht zur Abnahme: Art. 60 CISG


➢ Mitwirkungshandlungen geschuldet; vorzeitige Lieferung muss Käufer nicht dulden, Art. 52 CISG

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XI. DER GEFAHRÜBERGANG: ART. 66 – 70 CISG
Entspricht im deutschen Recht §§ 300 II, 326 II, 446 f. BGB
Gefahr = Rechtsfolgen des zufälligen Untergangs der verkauften Ware
➢ Zufall = von keiner der beiden / aller Parteien zu verantorten
➢ Es gibt die Leistungsgefahr (im CISG ungeregelt); Preisgefahr und Sachgefahr
➢ Artt. 66 – 70 CISG regeln nur die Preisgefahr
= Frage, ob der Käufer die Ware trotz Untergang oder Beschädigung voll bezahlen muss
➢ Artt. 66 bis 70 gehören daher systematisch gesehen zur Kaufpreiszahlungspflicht des Käufers
➢ Leistungsgefahr folgt nach hM aus Artt. 31-34, dh Übergang mit Konkretisierung, falls Gattungsschuld
1. Grundregel, Art. 66 CISG: Definition des Übergangs der Preisgefahr
➢ Impliziter Grundsatz, dass der Käufer bei Besch./Untergang vor Gefahrübergang NICHT bezahlen muss
2. Art. 67 I CISG: (§ 447 BGB) – Regelung des Gefahrübergangs bei einer Schickschuld
➢ Dort Gefahrübergang mit Übergabe an Beförderer
3. Art. 69 I CISG: (§ 446 BGB) – Regelung des Gefahrübergangs bei einer Holschuld
➢ Gefahrübergang mit Abholung (entspricht grds. § 446 S. 1 BGB) oder „Annahmeverzug“, Art. 69 I, 2. HS
4. Art. 69 II CISG: – Auffangregelung – Regelung des Gefahrübergangs bei einer Bringschuld
➢ Gefahrübergang ebenfalls mit Übergabe (entspricht grds. § 446 S. 1 BGB)
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XII. GEMEINSAME BESTIMMUNGEN, ARTT. 71 – 88 CISG (1/2):
Das V. Kapitel des III. Teils beinhaltet wiederum allgemeine Regeln für ALLE Pflichten
➢ Gehört nach „deutscher“ Systematik eigentlich an den Anfang (I. Kapitel) als „Allgemeiner Teil“
1. Unsicherheits- oder Verschlechterungseinrede: Art. 71 CISG
➢ Schutz der vertragstreuen Partei bei drohender Nichterfüllung der anderen
➢ Aussetzung Erfüllung, wenn sich abzeichnet, dass andere Partei wesentliche Pfl. nicht erfüllen wird
➢ Zudem Stoppungsrecht (Anhalterecht) beim Versendungskauf in Art. 71 II CISG
➢ Entspricht im autonomen deutschen Recht § 321 BGB
2. Antezipierter Vertragsbruch: Art. 72 CISG
➢ Vertragsaufhebung vor Fälligkeit, wenn zuvor schon späterer Eintritt Art. 25 (wV) „offensichtlich“
Offensichtlich = hoher Grad an Wahrscheinlichkeit
➢ Entspricht im autonomen deutschen Recht § 323 IV BGB
3. Sukzessivlieferungsverträge: Art. 73 CISG
➢ Behandlung von Leistungsstörungen iRv Teillieferungen beim Sukzessivlieferungsvertrag (s. vorher)
Sukzessivlieferungsvertrag = Leistungen sind vereinbarungsgemäß in mehreren Teilen zu erfüllen
4. Schadensrecht: Art. 74 - 77 CISG – entspricht im dt. Recht §§ 249 - 254 BGB (s. vorher)
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XII. GEMEINSAME BESTIMMUNGEN, ARTT. 71 – 88 CISG (2/2):
5. Zinsen: Art. 78 CISG
➢ Verzinsung sämtlicher Geldzahlungsansprüche aus dem CISG bereits ab Fälligkeit
➢ Entspricht im autonomen deutschen Recht §§ 352 – 354 HGB
➢ Nach deutschem Bürgerlichen Recht hingegen Verzinsung erst ab Verzug bzw. Rechtshängigkeit
Hinsichtlich Zinshöhe besteht INTERNE LÜCKE (hM) i.S.v. Art. 7 II Alt. 2 CISG
Sonderregelung für die Rückzahlung nach Aufhebung in Art. 84 I (Verzinsung rückwirkend ab Zahlung)

6. Befreiung: Art. 79 – 80 CISG (vgl. im dt. Recht ≈ 280 I 2, 278 BGB; s. vorherige Folie)

7. Rückabwicklung: Art. 81 - 84 CISG


➢ Rückgewähr nach Aufhebung; analog bei Minderung / Ersatzlieferung etc. angewendet werden
➢ Aufhebungssperre, wenn Rückgewähr der Ware unmöglich (Art. 82 I); AUßER Mangelfolgeschaden o.ä.
➢ Entspricht im autonomen deutschen Recht §§ 346 – 354 BGB
8. Bewahrungspflichten und Selbsthilfeverkauf: Art. 85 – 88 CISG (≈372 ff. BGB, 373 HGB)
➢ Bewahrungspflichten bzw. Pflicht zum Selbsthilfeverkauf (bei verderblicher Ware), wenn entweder (1.)
der Käufer in Annahmeverzug ist oder (2.) Käufer Ware zurecht abweist / verfrühte Lieferung ablehnt

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus 108


Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG)

§ 6 – ZUSAMMENFASSUNG:
WESENTLICHE UNTERSCHIEDE
ZUM DEUTSCHEN KAUFRECHT

Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG) | David Paulus


§ 6: ZUSAMMENFASSUNG – WESENTLICHE UNTERSCHIEDE
1. Widerruflichkeit des Vertragsangebots bis Absendung der Annahmeerklärung
➢ Art. 16 CISG vs. § 145 BGB
2. Vertragsschluss im CISG trotz verspäteter/abändernder Annahme möglich
➢ Art. 21 CISG vs. § 150 I BGB bzw. 19 II, III CISG vs. § 150 II BGB
3. Wirksamwerden von Willenserklärungen
➢ CISG: Nur beim Vertragsschluss (Teil II) gilt das Zugangsprinzip, sonst (Teil III) grds. die Absendetheorie
➢ BGB: im Vertrags- und Leistungsstörungsrecht i.d.R. immer Zugang erforderlich (§ 130 I BGB)
4. Einheitliche Konzeption des Leistungsstörungsrechts
➢ Stärker als im BGB mit §§ 281 – 286 ist im CISG Art der Leistungsstörung / Vertragsverletzung nebensächlich
5. Nach CISG für Schadenersatz grds. kein Vertretenmüssen erforderlich
➢ Enge Befreiungsmöglichkeiten nach Artt. 79, 80 CISG (ähnlich im dt. Recht neuerdings § 651n I BGB)
6. Nacherfüllung nicht primäres Mängelrecht; Nachlieferung ist sogar – wie die Aufhebung – ultima ratio
➢ Grds. steht die Nacherfüllung gleichberechtigt neben den übrigen Mängelrechten; Vorrang jed. gem. Artt. 47, 48 CISG mögl.
7. Vertragsaufhebung grds. nur bei wesentlicher Vertragsverletzung oder erfolglosem Ablauf Nachfrist bei Nichtlieferung
➢ Artt. 49 I, 64 I, 25 CISG (ultima ratio) vs. §§ 323 ff. BGB
8. Rügeobliegenheit bei vertragswidriger Beschaffenheit + Rechtsmängeln innerhalb „angemessener Frist“
➢ Artt. 38 f. CISG mit großzügigerer Frist vs. §§ 377 HGB („unverzüglich“)
9. Schadenersatz im CISG nur in Form der Geldleistung
➢ Artt. 74 ff. CISG vs. §§ 249 BGB (Naturalrestitution)

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Vorlesung UN-Kaufrecht (CISG)

§ 7 – ÜBUNGSFALL

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VIELEN DANK FÜR IHRE AUFMERKSAMKEIT!

PD Dr. David Paulus


Lehrstuhlvertretung
Professur International Business Law

T +49 341 97-25340

david.paulus@uni-leipzig.de

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