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Dr. Markus Müller-Chen (Basel)
Inhaltsverzeichnis
I. EINLEITUNG .........................................................................................................................................1
1. DER GEPRELLTE THEATERDIREKTOR.....................................................................................................1
2. DAS VERSIEGENDE ÖLGESCHÄFT ..........................................................................................................1
II. BEGRIFF UND FUNKTION................................................................................................................1
1. BEGRIFF ................................................................................................................................................1
a. Deutscher Rechtskreis und Einheitsrecht ........................................................................................1
b. Anglo-amerikanischer Rechtskreis ..................................................................................................3
2. FUNKTION .............................................................................................................................................4
III. HISTORISCHE ENTWICKLUNG ....................................................................................................5
1. KONTINENTALER RECHTSKREIS ............................................................................................................5
2. ANGLO-AMERIKANISCHER RECHTSKREIS ..............................................................................................8
IV. GRUNDSATZ DES VORRANGS DER ERFÜLLUNG IN NATUR ...............................................8
1. AUSGANGSLAGE ....................................................................................................................................8
2. ERFÜLLUNGSANSPRUCH BEI DER ÜBERTRAGUNG EINER SACHE ............................................................9
a. Nach der Gattung bestimmter Gegenstand ...................................................................................10
b. Stückschuld ....................................................................................................................................11
c. Schlußfolgerungen .........................................................................................................................11
3. ERFÜLLUNGSANSPRUCH BEI HANDLUNGEN.........................................................................................12
a. Verpflichtung zur Leistung von Arbeit ..........................................................................................12
b. Verpflichtung zur Unterlassung einer Handlung ..........................................................................13
c. Schlußfolgerungen .........................................................................................................................14
4. ZWISCHENERGEBNIS ...........................................................................................................................15
V. WAHLRECHT DES GLÄUBIGERS ZWISCHEN ERFÜLLUNG UND GELDERSATZ ...........15
1. Begriff
a. Deutscher Rechtskreis und Einheitsrecht
Unter dem Begriff der Erfüllung wird im deutschen Rechtskreis einhellig die Erbringung der
geschuldeten Leistung verstanden, wodurch die Schuld, d.h. die einklagbare Pflicht zur Leistung,
getilgt wird3. Aus der Nichterfüllung der Forderung erwächst dem Gläubiger primär das Recht,
auf Verurteilung des Schuldners zur Leistung und auf alle Vollstreckungsmaßnahmen zu klagen,
die das Gesetz zur Durchsetzung seiner Forderung vorsieht4. Daraus wird das Recht und die
Pflicht des Gläubigers auf Realerfüllung abgeleitet5. Besonders das Schweizer Obligationenrecht
hat die Tendenz, wo immer es nur möglich ist, in natura zu vollstrecken6.
Das heißt mit anderen Worten, daß solange die Forderung besteht und erfüllt werden kann,
Rechtsansprüche nach der Vorstellung des Gesetzes gegen den leistungsunwilligen Schuldner
inhaltsgetreu durchgesetzt werden sollen7. Dieser Grundsatz gilt prinzipiell bei Forderungen
jeglichen Inhalts.
Der Erfüllungsanspruch wird als die wichtigste Rechtsfolge, als eine selbstverständliche
Begleiterscheinung der Forderung bezeichnet8; denn, so wird argumentiert, wer einen Schaden
verursacht hat, sollte in erster Linie zur Naturalerfüllung angehalten werden9. Damit sei dem
Gläubiger am besten gedient10, erhalte er doch genau das, was Inhalt des “bargains” war; zudem
werde das Schuldverhältnis in seiner ursprünglich geplanten Form durchgeführt11.
Diese Auffassung, daß der Erfüllungsanspruch das natürliche Gegenstück zur Leistungspflicht
darstelle, liegt auch dem UN-Übereinkommen über Verträge über den internationalen Warenkauf
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Der Erfüllungsanspruch — Primärer Inhalt der Obligation? Vortrag vom 12.9.1996
(CISG) zugrunde (Art. 46ff. CISG), mit dem dogmatischen Unterschied, daß der
Erfüllungsanspruch nach anglo-amerikanischer Tradition als Rechtsbehelf konstruiert ist12.
b. Anglo-amerikanischer Rechtskreis
Dieser im deutschen Rechtskreis verbreiteten Konzeption des Vorrangs des Erfüllungsanspruchs
vor dem Geldersatz steht das anglo-amerikanische Konzept gegenüber13. Regulärer Rechtsbehelf
bei Nichterfüllung einer Forderung ist die action for damages, d.h. Geldersatz14. Nur
ausnahmsweise steht dem Gläubiger die Möglichkeit offen, die vertraglich vereinbarte Leistung
unmittelbar einzufordern (specific enforcement); bei einer Verpflichtung zu einem Tun wird von
specific performance, im Unterlassungsfall von einer injunction gesprochen. Beides sind
außerordentliche Rechtsbehelfe (equitable remedies), deren Nichtbefolgung Strafsanktionen
aufgrund von contempt of court auslösen (empfindliche Haft- und Geldstrafen)15.
Specific performance wird nur gewährt, wenn die Zusprechung von Geldersatz im konkreten
Einzelfall als inadäquat erscheint. Dies wird zusammengefaßt dann angenommen, wenn der
Verlust dergestalt ist, daß der Geldersatz schwierig zu quantifizieren ist; oder wenn das
spezifische Interesse an der vertraglich vereinbarten Sache mit Geld objektiv nicht aufzuwiegen
ist, z.B. bei Grundstücken, Erbgegenständen, einzigartigen Schmuckstücken, Antiquitäten etc..
Bei Gattungswaren kann das der Fall sein, wenn die Naturalerfüllung “will do more perfect and
complete justice than an award of damages”16. Im eingangs geschilderten Fall Sky Petroleum
befand das Gericht, die Lieferung des Öls sei für die Zukunft des Unternehmens von
maßgebender Bedeutung und gewährte daher specific performance.
Die Zusprechung der Naturalerfüllung hängt zudem vom Ermessen des Gerichts (discretion) ab
und wird nicht gewährt, wenn dieses der Auffassung ist, die Realerfüllung sei unerwünscht und
unpraktikabel. Dies ist z.B. der Fall, wenn die Durchsetzung dem Beklagten unzumutbar wäre
(severe hardship)17.
Der Schadenersatzanspruch ist damit die Regel, der Erfüllungsanspruch die Ausnahme18.
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Der Erfüllungsanspruch — Primärer Inhalt der Obligation? Vortrag vom 12.9.1996
2. Funktion
Es ist davon auszugehen, daß beide dogmatischen Ausgangspunkte den wohlverstandenen
Interessen des Gläubigers gerecht werden wollen. Die Theorie des Vorrangs des
Erfüllungsanspruchs will genauso wie das Konzept der damages sicherstellen, daß der Gläubiger
möglichst genau das erhält, was ihm vertraglich versprochen wurde. Der Unterschied besteht
darin, daß die deutsche Lösung davon ausgeht, daß Geldersatz nur aushilfsweise, sekundär dazu
dienen könne, den Gläubiger in die Position zu versetzen, in der er sich bei vertragskonformer
Abwicklung befände19. Demgegenüber nimmt das anglo-amerikanische Recht an, daß dem
Gläubiger in der Regel nicht so sehr die inhaltsgetreue Durchsetzung der Obligation am Herzen
liegt, sondern daß er sich gerne mit dem wirtschaftlichen Gegenwert begnügt.
Die einleitenden Fallbeispiele und die kurze rechtsvergleichende Darstellung der dogmatischen
Grundsätze haben gezeigt, daß es nicht richtig sein kann, von einem absoluten Vorrang entweder
des Erfüllungsanspruches oder des Geldersatzes zu sprechen. Außerdem divergieren die
möglichen Leistungsinhalte und die ökonomischen Interessen der verschiedenen Gläubiger in der
Realität derart, daß sich, wie nachzuweisen sein wird, in keinem der untersuchten Rechtssysteme
der dogmatische Ausgangspunkt in der Praxis vollumfänglich hat durchsetzen können.
Ich möchte ihnen darlegen, daß nur ein flexibles Verhältnis zwischen dem Erfüllungsanspruch
und dem Geldersatz den Bedürfnissen und faktischen Gegebenheiten des Wirtschaftsverkehrs
gerecht wird. In diese Richtung weisen im übrigen moderne einheitsrechtliche Lösungen wie Art.
45ff. CISG, Art. 7.2.2 Unidroit-Principles und Art. 4.102 der Principles of European Contract
Law, die allesamt zwar den Erfüllungsanspruch zulassen, ihn dann aber über eine mehr oder
minder extensive Ausnahmeregelung wieder einschränken20, so daß de facto nicht mehr von
einem Regel/Ausnahme — Verhältnis gesprochen werden kann.
Meinen Ausführungen liegt immer die Voraussetzung zugrunde, daß die Leistung zwar noch
möglich ist, der Schuldner sie aber (aus was für Gründen auch immer) nicht erbringt. Es werden
weder Fälle behandelt werden, in denen der Schuldner die Leistung erbracht hat, diese jedoch mit
einem Mangel behaftet ist21, noch diejenigen, in denen die Unmöglichkeit der Leistung
feststeht22.
Zunächst soll jedoch ein Blick in die historische Entwicklung des Erfüllungsanspruchs die
heutige dogmatische Ausgangslage verdeutlichen.
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Der Erfüllungsanspruch — Primärer Inhalt der Obligation? Vortrag vom 12.9.1996
1. Kontinentaler Rechtskreis
Zu Beginn der abendländischen Rechtsentwicklung, im klassischen römischen Formularprozeß,
galt der “eiserne” Grundsatz der omnis condemnatio est pecuniaria23: Jedes Leistungsurteil
mußte auf eine bestimmte Geldsumme lauten24, weshalb sich jede primär auf eine andere
Leistung gerichtete Obligation mit dem Urteil in eine Geldschuld umwandelte25, unabhängig
davon, ob die versprochene Leistung noch möglich und für den Gläubiger wünschbar war. Der
Erfüllungsanspruch als solcher stand nicht zur Verfügung, Geldersatz war damit die einzige
Rechtsfolge einer Leistungsstörung.
Dies sollte sich jedoch bald ändern. Wirtschafts- und sozialpolitische Veränderungen sowie die
galoppierende Inflation der nachklassischen Zeit bewirkten mit dem von Billigkeitsgrundsätzen
(aequitas) bestimmten Kognitionsverfahren26, daß das Urteil auf die vertragliche Leistung selbst
lauten und durch Vollstreckung erzwungen werden konnte27.
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Der Erfüllungsanspruch — Primärer Inhalt der Obligation? Vortrag vom 12.9.1996
Erst im kanonischen Recht des Mittelalters sollte aber die Idee, daß die Obligation zunächst in
natura erfüllt werden muß, eine umfassende dogmatische Begründung erfahren28. Es wurde
gelehrt, daß die wirkliche Wiedergutmachung des Unrechts unabdingbare Grundlage und
Voraussetzung wahrer Buße sei29. Zum anderen herrschte die Überzeugung vor, daß der
Gläubiger sich nicht nur Geld aufdrängen lassen muß, wenn ihm etwas genommen oder
vorenthalten wird, woran “sein Herz hängt”30. Zudem sei es eher billig und gerecht, dem
Schädiger und nicht dem Geschädigten das reale Beschaffungsrisiko aufzubürden31.
Über die späten spanischen Scholastiker fand diese Doktrin zu Grotius32 und zu anderen
Naturrechtlern, bei denen sie auf fruchtbaren Boden fiel. Denn für diese Gelehrten war die
Verpflichtung, soweit als möglich Naturalrestitution zu leisten, die logische Konsequenz aus der
Verletzung des Grundsatzes alterum non laedere33.
Glossatoren und Kommentatoren hingegen taten sich überwiegend schwer mit dem
Erfüllungsanspruch (praecise cogi), so daß am Ende des Mittelalters der Erfüllungsanpruch
tendenziell abgelehnt wurde34. Davon bildete allerdings der Kauf eine wichtige Ausnahme35.
Die herrschende Meinung im gemeinen Recht ging dahin36, daß unterschieden werden muß
zwischen den Obligationen, die auf ein dare — Zahlung und Übereignung — und solchen, die
auf ein facere gerichtet sind37. Während im ersten Fall ein Leistungsurteil möglich ist, welches
auf dem Vollstreckungsweg durchgesetzt werden kann, gilt im zweiten Fall der Satz: “Nemo
potest praecise cogi ad factum”. Das Urteil kann nur auf Schadenersatz gehen, der Schuldner
28 DECRETUM GRATIANI, Secunda Pars, Causa XIV, Quaestio VI, c. 1; zur Entwicklung vgl.
DILCHER, Der Typenzwang im mittelalterlichen Vertragsrecht, SZRom 77 (1960) 270,
281ff.
29 Non remittetur peccatum, nisi restituatur ablatum; vgl. auch ST. THOMAS VON AQUIN:
Restitutio est actus commutativae justitiae.
30 MOTIVE II zum BGB, S. 19f.; PROTOKOLLE I zum BGB, 296f.; WOLTER, Das Prinzip der
Naturalrestitution in § 249 BGB, Berlin 1985, S. 15f., 80.
31 WOLTER, a.a.O. (Fn. 30), S. 81.
32 GROTIUS, Lib. II, Cap. XVII, I.
33 Gerichte und Wissenschaftler blieben skeptisch gegenüber der Naturalrestitution. Der
Durchbruch kam erst im 19. Jahrhundert mit MOMMSEN, Zur Lehre von dem Interesse,
Braunschweig 1853, S. 12ff.; WINDSCHEID/KIPP, Lehrbuch des Pandektenrechts, 8. Aufl.,
Frankfurt a.M. 1906, § 257; WOLTER, a.a.O. (Fn. 30), S. 75ff.
34 Zur wechselvollen Geschichte des Erfüllungsanspruchs im Mittelalter vgl. die eingehende
Darstellung bei REPGEN, Vertragstreue und Erfüllungszwang in der mittelalterlichen
Rechtswissenschaft, Diss. Paderborn/München 1994, S. 127ff., 185ff., 236ff., 313ff., 321.
35 REPGEN, a.a.O. (Fn. 34), S. 315ff., 321.
36 COING, Europäische Grundlagen des modernen Privatrecht I (Älteres Gemeines Recht),
München 1985, S. 432; JAKOBS, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, Bonn 1969, S. 192ff.;
ZIMMERMANN, Law of Obligations, a.a.O. (Fn. 23), S. 774ff.
37 Statt vieler D. 44, 7, 3pr.; REPGEN, a.a.O. (Fn. 34), S. 326ff.; ZIMMERMANN, Law of
Obligations, a.a.O. (Fn. 23), S. 774.
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Der Erfüllungsanspruch — Primärer Inhalt der Obligation? Vortrag vom 12.9.1996
kann sich durch Zahlung des Interesses befreien38. Bis ins 19. Jahrhundert hinein konnte der
Gläubiger damit zwischen der Naturalerfüllung und der verschuldensunabhängigen Haftung auf
Geldersatz wählen39.
Der endgültige Durchbruch kam erst im 19. Jahrhundert mit Mommsens Schrift “Zur Lehre von
dem Interesse”40, was zum Vorrang der Naturalerfüllung in Deutschland, Österreich und der
Schweiz führte. Zu einer ausdrücklichen Normierung kam es nicht, da der Erfüllungsanspruch
und dessen Klagbarkeit direkt aus dem Schuldverhältnis abgeleitet wurden41. Die
gemeinrechtliche Unterscheidung zwischen obligationes dandi und faciendi wurde endgültig
aufgegeben, ebenso das gemeinrechtliche Recht des Gläubigers zwischen der Leistung und dem
Geldersatz wählen zu dürfen. Dies bewirkte aber nur eine Verlagerung der Problematik ins
Zwangvollstreckungsrecht42.
Der französische Code Civil hingegen hält insoweit an der erwähnten gemeinrechtlichen
Unterscheidung fest, als daß bei den obligations à faire gemäß Art. 1142 CC kein erzwingbarer
Erfüllungsanspruch des Gläubigers besteht. Bei den obligations à donner hingegen besteht bei
Nichterbringung der Leistung ein Wahlrecht des Gläubigers zwischen dem Erfüllungsanspruch
und dem Begehren auf richterliche Vertragsauflösung verbunden mit Schadenersatz (Art. 1184
CC)43.
38 Die Grundlage der Unterscheidung zwischen obligationes dandi und faciendi wird auf D.
45, 1, 2pr zurückgeführt; vgl. dazu etwa COING, Europäisches Privatrecht I, a.a.O. (Fn. 36),
S. 433; DUMOULIN, De eo quod interest, Venetiis 1584, Nr. 186. Besonders umstritten war
die Frage bei der Verpflichtung des Verkäufers. Bald wurde die Pflicht des “possessionem
tradere” als obligatio dandi, bald als obligatio faciendi dargestellt: Übersicht der
Meinungen bei COING, Europäisches Privatrecht I, a.a.O. (Fn. 36), S. 433, Fn. 13; POTHIER,
Traité du contrat de vente, in: Oeuvres, Paris 1847, Nr. 68; ZIMMERMANN, Law of
Obligations, a.a.O. (Fn. 23), S. 774 m.w.Nw.
39 WÜRTHWEIN, Zur Schadensersatzpflicht wegen Vertragsverletzung im Gemeinen Recht des
19. Jahrhunderts, Berlin 1990, S. 35.
40 MOMMSEN, a.a.O. (Fn. 33), S. 12ff.; WINDSCHEID/KIPP, 8. Aufl., a.a.O. (Fn. 33), § 257;
WOLTER, a.a.O. (Fn. 30), S. 75ff.; WÜRTHWEIN, a.a.O. (Fn. 39), S. 28ff.
41 RG 24.2.1883, RGZ 9, 288, 289ff.; RG 12.10.1886, RGZ 17, 108, 110ff.; DEGENKOLB, Der
spezifische Inhalt des Schadensersatzes, 76 AcP (1890), 1ff.; MOMMSEN, Interesse, a.a.O.
(Fn. 33), S. 12ff.: für Mommsen ist die Naturalrestitution letztlich nichts anderes als eine
besondere Erleichterung für die Schätzung des Interesses; WÄCHTER, Pandekten, Band I,
Allgemeiner Teil, Leipzig 1880, § 167; WINDSCHEID/KIPP, 8. Aufl., a.a.O. (Fn. 33), § 257
n.6; WOLTER, a.a.O. (Fn. 30), S. 75ff.; WÜRTHWEIN, a.a.O. (Fn. 39), S. 36ff., 143ff., 179ff.,
226ff.
42 REPGEN, a.a.O. (Fn. 34), S. 329f.; WOLLSCHLÄGER, a.a.O. (Fn. 25), S. 177ff.; WÜRTHWEIN,
a.a.O. (Fn. 39), S. 69ff., 226ff.
43 BÉNABENT, Droit civil, les obligations, 4. Aufl., Paris 1994, Nr. 389ff.; CARBONNIER, Droit
civil, les obligations, 18. Aufl., Paris 1994, Nr. 185ff.; HARTING, Die “positiven
Vertragsverletzungen” in der neueren deutschen Privatrechtsgeschichte, Diss. Harburg 1967,
S. 89ff.; LESER, Der Rücktritt vom Vertrag; Abwicklungsverhältnis und
Gestaltungsbefugnisse bei Leistungsstörungen, Tübingen 1975, S. 8; MALAURIE/AYNÈS,
Droit civil, les obligations, 5. Aufl., Paris 1994/1995, Nr. 735ff.; RABEL, Das Recht des
Warenkaufs; eine rechtsvergleichende Darstellung, Band I, Berlin/Leipzig 1936, S. 194ff.;
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Der Erfüllungsanspruch — Primärer Inhalt der Obligation? Vortrag vom 12.9.1996
2. Anglo-amerikanischer Rechtskreis
Leistungsstörungen werden im Common Law als Bruch (breach) des beim Vertragsschluß
abgegebenen Garantieversprechens betrachtet, deren Hauptfolge — und lange Zeit einzige Folge
— der Schadenersatzanspruch war. Erfüllung konnte von den zuständigen Gerichten, den
königlichen Courts of Common Law nicht anbegehrt werden.
War ein Kläger mit Schadenersatz nicht zufrieden, weil er z.B. ein besonderes Interesse an der
Sache selbst hatte, mußte er sein Recht vor den Courts of Equity suchen, welche auf die
Billigkeitsjustiz der Kanzler (Chancellors) zurückgingen44. Sie wurden geschaffen, um in
denjenigen Fällen Gerechtigkeit zu schaffen, in denen jemand wegen des rigiden Formalismus
der Common Law Gerichte nicht zu seinem Recht kam. Viele dieser Kanzler wurden in Oxford
ausgebildet und waren daher vertraut mit dem römisch-kanonischen Recht. Auf diesem Weg
übernahmen sie von den mittelalterlichen Kanonisten die Möglichkeit der Naturalerfüllung
(condemnatio in specie)45. Das Ergebnis dieses Prozesses war, daß die Equity Gerichte unter
bestimmten, eingeschränkten Voraussetzungen Naturalerfüllung (specific performance)
gewährten46.
1. Ausgangslage
Wenn davon ausgegangen wird, daß prinzipiell Erfüllung verlangt werden kann, stellt sich die
Frage, ob der Gläubiger dies zwingend tun muß, oder ob er die Möglichkeit hat, alternativ dazu
Geldersatz (oder andere Rechtsbehelfe wegen Nichterfüllung) zu verlangen, wenn dies in seinem
Interesse liegt47. Es geht mit anderen Worten darum, ob der Grundsatz des Vorrangs des
Erfüllungsanspruchs den Gläubiger in seinem Wahlrecht zwischen der Erfüllung und dem
Geldersatz einschränkt.
Im Einflußbereich des Common Law gibt es keine Zweifel, daß der Gläubiger die Option hat,
Schadenersatz zu verlangen, auch wenn die Erfüllungsklage an sich möglich wäre48. Es steht
damit im Belieben des Gläubigers, gemäß seinen Interessen das eine oder andere zu verlangen49.
Anders präsentiert sich die Rechtslage im deutschen Rechtskreis. Das Prinzip des Vorrangs der
Naturalerfüllung bedeutet, daß der Gläubiger im bürgerlichen Recht verpflichtet ist, auf
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Der Erfüllungsanspruch — Primärer Inhalt der Obligation? Vortrag vom 12.9.1996
Erfüllung zu klagen50: der Käufer soll die Übergabe der Sache, der Verkäufer die Zahlung des
Kaufpreises verlangen; der Arbeitnehmer soll arbeiten und der Arbeitgeber Lohn entrichten
müssen. Dadurch wird zweierlei verhindert: Dem Schuldner wird die Möglichkeit genommen,
sich durch Leistung von Geldersatz der Pflicht zur Erfüllung in natura zu entziehen, und der
Gläubiger kann nicht jede beliebige Vertragsverletzung zum Anlaß nehmen, statt der
ursprünglich geschuldeten Leistung Schadenersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen51. Erst
wenn ein qualifizierendes Moment wie die Unmöglichkeit der Leistung oder ein anderes vom
Schuldner zu vertretendes Leistungserschwernis dazukommt, kann der Gläubiger Geldersatz
fordern52. Erst dann ist er von der Bindung an den Erfüllungsanspruch befreit, braucht die
Fälligkeit nicht mehr abzuwarten und muß nicht mehr versuchen, die Leistung zu erzwingen
sowie Ersatz des Verzugsschadens zu erlangen53.
Eine Ausnahme davon wird beim handelsrechtlichen Fixkauf gemacht. Wegen des vermuteten
kaufmännischen Bedürfnisses nach schneller Liquidierung des Vertrages tritt der
Erfüllungsanspruch in den Hintergrund und dem Gläubiger wird die Möglichkeit eröffnet,
Schadenersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen54.
Um beurteilen zu können, ob es gerechtfertigt ist, von einem Vorrang des Erfüllungsanspruchs
zu sprechen, soll anhand ausgewählter Leistungsinhalte untersucht werden, in welchen Fällen ein
Gläubiger typischerweise auf Erfüllung klagen und diesen Anspruch zudem in der
Zwangsvollstreckung verfolgen wird.
50 Das Recht und die Pflicht des Gläubigers, die ihm gebührende Leistung durch Klage zu
verlangen, besteht nicht bei gewissen Nebenpflichten, die nicht selbständig einklagbar sind.
Sie sind erst, wenn die Hauptleistung unterbleibt, mit Schadenersatzansprüchen einklagbar,
vgl. nur VON TUHR/PETER, a.a.O. (Fn. 5), S. 35f.
51 Vgl. SCHLECHTRIEM/HUBER, Art. 46 CISG Rn. 1f.
52 §§ 280, 325 BGB; MEDICUS, a.a.O. (Fn. 3), Rn. 363; MÜNCHKOMM/EMMERICH, § 280 BGB
Rn. 1; MÜNCHKOMM/KRAMER, § 241 BGB Rn. 12; BGE 42 II 243 (Naturalerfüllung der
Verbindlichkeit wird erzwungen, ein Surrogat sollte nur ausnahmsweise eintreten);
ZÜRCHERKOMM/OSER/SCHÖNENBERGER, Art. 97 OR Rn. 19; BEKOMM/BECKER, Art. 97 OR
Rn. 107; BASLERKOMM/WIEGAND, Art. 102 OR Rn. 2; KOZIOL/WELSER, a.a.O. (Fn. 3), S.
198; EHRENZWEIG/MAYRHOFER, Das Recht der Schuldverhältnisse, 3. Aufl., Wien 1986, S.
7f.
53 HUBER, Leistungsstörungen, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des
Schuldrechts, Band I, Köln 1981, S. 647, 700.
54 § 376 Abs. 1 dt HGB; Art. 190 Abs. 1 OR.
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Der Erfüllungsanspruch — Primärer Inhalt der Obligation? Vortrag vom 12.9.1996
bestimmte individuelle Sache richtet, und ihnen daher nicht viel an der Übertragung ebendieses
Stückes liegt.
55 § 884 Abs. 1 ZPO; § 346 Abs. 2 österreichische Exekutionsordnung (EO); in der Schweiz
ist wegen der Zweiteilung der Vollstreckungsregeln (Geldforderungen werden nach dem
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, andere Forderungen nach kantonalem
Zivilprozeßrecht vollstreckt) kantonales Recht anwendbar, vgl. etwa § 251 ZPO Basel-Stadt,
§ 301 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO Zürich.
56 Für die Schweiz: Pfändungsbeamter.
57 RG 7.12.1919, RGZ 94, 326; EMMERICH, a.a.O., (Fn. 7), S. 187ff., 197ff.; KELLER/SIEHR,
Kaufrecht, 3. Aufl., Zürich 1995, S. 35; ZIEGLER, a.a.O. (Fn. 12), S. 155ff.; Honsell, Die
Vertragsverletzung nach dem Wiener Kaufrecht, SJZ 1992, 345, 352;
SCHLECHTRIEM/HUBER, Art. 47 CISG Rn. 22f.
58 BGH, BB 1958, 1222; zu den Voraussetzungen im Einzelfall vgl. RG 15.12.1908, RGZ 70,
127, 131f.; EMMERICH, a.a.O. (Fn. 7), S. 203ff.
59 In der Sache übereinstimmend ZIEGLER, a.a.O. (Fn. 12), S. 154; SCHLECHTRIEM/HUBER, Art.
28 CISG Rn. 9f. m.w.Nw.
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Der Erfüllungsanspruch — Primärer Inhalt der Obligation? Vortrag vom 12.9.1996
b. Stückschuld
Wird zwischen Schuldner und Gläubiger eine Stückschuld vereinbart, wird damit implizit
erklärt, daß ein bestimmtes Stück, und kein anderes, Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung
sei. Hier wird der Gläubiger in aller Regel auf dem Erfüllungsanspruch beharren, denn er hat ein
Interesse an der Sache, das über den bloßen Wert hinausgeht und nicht nur in Geld abgegolten
werden kann. Behauptet der Schuldner Unvermögen, gelangt er mit dem Verfahren von § 283
BGB resp. § 368 ABGB zu seinem Recht60. Auch in diesem Fall wird die Vollstreckung des
Urteils durch Wegnahme der Sache durch den Gerichtsvollzieher durchgesetzt.
c. Schlußfolgerungen
Ob der Gläubiger bei der Übertragung von Sachen auf Erfüllung klagt oder über die
Verzugsregeln Schadenersatz einfordert, hängt von seinen Interessen ab. Im Regelfall wird er
dann auf der Erfüllung beharren, wenn es sich um einzigartige Ware handelt61, an der er ein
spezifisches Interesse hat, oder wenn die Ware auf dem Markt nicht erhältlich oder sonst knapp
ist62.
Der im deutschen Recht und im einheitlichen Kaufrecht als Normalfall apostrophierte Vor-rang
der Naturalerfüllung wird damit in der Praxis auf die Fälle reduziert, die im anglo-ameri-
kanischen Recht als Ausnahme vom Vorrang des Geldersatzes anerkannt werden63. Obwohl von
unterschiedlichen dogmatischen Ausgangspunkten herkommend, hat sich der praktische
Unterschied minimiert64.
60 MEDICUS, a.a.O. (Fn. 3), Rn. 363; KOHLER, JuS 1991, 943; in der Schweiz findet sich eine
der Sache nach ähnliche Lösung z.Bsp. in § 309 ZH ZPO, der bestimmt, dass der Kläger erst
dann Schadenersatz wegen Nichterfüllung verlangen kann, wenn der Zwang zur Erfüllung
der Pflicht in natura nichts bewirkt hat.
61 Vgl. dazu den englischen leading case Pusey v. Pusey, 23 Engl. Rep. 465 (1684):
Verurteilung zur Lieferung eines antiken Signalhorns; USA: Fast v. Southern Offshore
Yachts, 587 F. Supp. 1354 (D. Conn. 1984): Erfüllungsanspruch bei der Lieferung einer
spezialangefertigten Jacht.
62 Vgl. dazu den eingangs dargestellten Fall Sky Petroleum Ltd. v. V.I.P. Petroleum Ltd.
1974 1 W.L.R. 576 (Ch.D.); in den USA existiert eine Rechtsprechung zu der Automobil
Knappheit nach dem Zweiten Weltkrieg, z.B. McAllister v. Patton, 215 S.W.2d 701 (Ark.
1948).
63 Zum anglo-amerikanischen Recht vgl. Sec. 52 Sale of Goods Act 1979; § 2-716 UCC: dazu
Laclede Gas Co. v. Amoco Oil Co., 522 F. 2d 33 (8th Cir. 1975); Klein v. Pepsi Co., Inc.,
845 F. 2d 76 (4th Cir. 1988); YORIO, a.a.O. (Fn. 18), S. 292ff.; TREITEL, a.a.O. (Fn. 11), Rn.
62; RHEINSTEIN, a.a.O. (Fn. 46), S. 138ff., insb. 143f.
64 RABEL, a.a.O. (Fn. 43), S. 375ff; SCHWENZER/MÜLLER-CHEN, Rechtsvergleichung,
Tübingen 1996, S. 80ff., 106f.
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Der Erfüllungsanspruch — Primärer Inhalt der Obligation? Vortrag vom 12.9.1996
65 Anders noch das alte Schweizer Obligationenrecht (Art. 111 aOR): “Jede Verbindlichkeit zu
einem Tun löst sich bei verschuldeter Nichterfüllung in Schadenersatz auf”. Illustrativ dazu
BGer 29.11.1906, BGE 32 I 654, 662: „(...) weil ein Zwang gegen den Schuldner behufs
Naturalerfüllung (...) die persönliche Freiheit antastet (...), muss daher auch nach
schweizerischem Recht nicht nur bei Obligationen etwas zu tun, (...) sondern auch bei
solchen, etwas zu unterlassen, eine Realexekution durch Zwang gegen die Person des
Schuldnders unzulässig sein“.
66 So schon Pickering v. Bishop of Ely (1843) 2 Y. & C. Ch. Cas. 249; RESTATEMENT (Second)
of Contracts § 367 (1); TREITEL, a.a.O. (Fn. 11), Rn. 65; RHEINSTEIN, a.a.O. (Fn. 46), S.
145f.; Yorio, a.a.O. (Fn. 18), S. 355; FARNSWORTH, Contracts, Boston 1990, S. 835.
67 ESSER/WEYERS, Schuldrecht, Band II: Besonderer Teil, 7. Aufl., Heidelberg 1991, S. 244f.;
BLOMEYER, Münchner Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 1, München 1992, § 5 Rn. 1ff.
68 Dies vor allem mit der Begründung, daß die Erfüllung nur mit Zwang durchzusetzen ist, der
mit der persönlichen Freiheit des Einzelnen nicht zu vereinbaren ist.
69 § 611 Abs. 1 BGB; Art. 319 Abs. 1 OR; vgl. oben S. 1ff. und S. 12.
70 STEIN/JONAS/BREHM, § 887 ZPO Rn. 7, 10; BAUMBACH/LAUTERBACH/ALBERS/HARTMANN,
Kommentar zur ZPO, 52. Aufl., München 1994, § 887 ZPO Rn. 20, 24; NEUMANN-
DUESBURG, Die Zwangsvollstreckung zur Erwirkung positiver Handlungen analog § 890
ZPO, NJW 1964, 748, 750ff.; SÜSS, Zur Problematik der Vollstreckbarkeit von
Weiterbeschäftigungsurteilen, NZA 1988, 719; WOLF, Die Vollstreckung des Anspruchs auf
Arbeitsleistung, JZ 1963, 434, 436; LÜKE, Vollstreckung des Anspruchs auf Arbeitsleistung,
in: Recht und Rechtserkenntnis, Festschrift für Ernst Wolf, hrsg. von
Bickel/Hadding/Jahnke/Lüke, Köln 1985, S. 459, 467ff.
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Der Erfüllungsanspruch — Primärer Inhalt der Obligation? Vortrag vom 12.9.1996
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Der Erfüllungsanspruch — Primärer Inhalt der Obligation? Vortrag vom 12.9.1996
c. Schlußfolgerungen
Im deutschen Rechtskreis wird das Recht des Gläubigers anerkannt, auf Erfüllung einer
Handlung zu klagen, wenngleich auf der Ebene der zwangsweisen Durchsetzung sichergestellt
wird, daß kein übermäßiger Druck auf den Schuldner ausgeübt wird: Direkter Zwang kommt in
80 Vgl. die Nachweise oben in Fn. 66; zu den Voraussetzungen zur Gewährung einer
injunction im Einzelnen siehe YORIO, a.a.O. (Fn. 18), S. 368ff.; zum Zweck: RESTATEMENT
(Second) of Contracts § 367, comment c.
81 Vgl. zum Stand der Diskussion: DÜTZ, Arbeitsrecht, 2. Aufl., München 1994, S. 82;
REHBINDER, Schweizerisches Arbeitsrecht, 12. Aufl., Bern 1995, S. 62ff.
82 REHBINDER, Schweizerisches Arbeitsrecht, 12. Aufl., Bern 1995, S. 63.
83 YORIO, a.a.O. (Fn. 18), S. 365; Warner Bros. Pictures, Inc. v. Nelson, 1 K.B. 209 (1937)
(Bette Davis); Philadelphia Ball Club v. Lajoie, 51 A. 973 (1902) (der
Unterlassungsbeklagte wird als „besonders heller Stern am Baseball Firnament bezeichnet“).
84 So auch der ähnlich gelagerte amerikanische Fall Schubert Theatrical Co. v. Rath, 271 F. 2d
827 (2d Cir. 1921).
85 [1989] All E. R. 103 (C.A.).
86 Evening Standard Co. Ltd. v. Henderson (1987) I.C.R. 588.
87 § 890 dt ZPO (dazu STEIN/JONAS/BREHM, § 890 ZPO Rn. 4ff.); § 306 ZH ZPO (vgl. auch
HABSCHEID, a.a.O. (Fn. 75), S. 586f.; WALDER, Zivilprozeßrecht nach den Gesetzen des
Bundes und des Kantons Zürich unter Berücksichtigung anderer Zivilordnungen, 3. Aufl.,
Zürich 1983, S. 520); § 355 EO (PETSCHEK, a.a.O. (Fn. 75), § 69 B); Rule 45/5 der Rules of
the Supreme Court (England); Rule 70 der Federal Rules of Civil Procedure (USA) (dazu
FRIEDENTHAL/KANE/MILLER, Civil Procedure, 2. Aufl., St. Paul (Minn.) 1993, S. 699ff.).
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praxi nicht vor; eingesetzt wird bei vertretbaren Handlungen das Institut der Ersatzvornahme und
bei unvertretbaren Handlungen der indirekte Zwang mittels Buße oder Haft.
Das anglo-amerikanische Recht hat generell eine restriktivere Einstellung zur Naturalerfüllung
bei Arbeitsleistungen. Dies hängt damit zusammen, daß wegen des Mangels an einem rational
durchorganisierten Vollstreckungsverfahren die Erfüllungsklage als drastische Maßnahme
angesehen wurde. Denn die Folgen der Mißachtung des Urteils waren (und sind) der contempt of
court mit zum Teil drastischen Freiheits- und Geldstrafen. Eine gewisse Lockerung ist allerdings
in neuerer Zeit beobachtbar, indem vermehrt die Ersatzvornahme zugelassen wird.
Die Klage des Arbeitgebers auf Unterlassung einer anderweitigen Arbeitsleistung wird in allen
untersuchten Rechtsordnungen mehrheitlich abgelehnt. Ausnahmen werden nur in sehr geringem
Umfang gemacht.
Zusammengefaßt läßt sich sagen, daß aus den aufgeführten Gründen der Vorrang des Er-
füllungsanspruchs praktisch nicht zur Geltung kommt, sondern daß der Gläubiger bei der Ver-
letzung einer vertraglichen Handlungspflicht in den meisten Fällen direkt zum Schadenersatz
greifen wird.
4. Zwischenergebnis
Es hat sich gezeigt, daß der grundsätzliche Vorrang des Erfüllungsanspruchs im deutschen
Rechtskreis in der Praxis durch manche Differenzierungen abgeschwächt und dem anglo-
amerikanischen Modell angenähert wurde. Dies ist auch auf die Vollstreckungsmechanismen
zurückzuführen, die dem Gläubiger zur Durchsetzung seines Anspruchs auf Erfüllung zur
Verfügung stehen.
Ein Gläubiger hat typischerweise bei Leistungsinhalten, die schwer oder gar nicht durch Geld zu
ersetzen sind, wie z.B. bei wertvollen Einzelstücken, Antiquitäten oder maßgefertigen
Leistungen ein Interesse an der Erfüllung in natura, wenn er diesen Anspruch praktisch mit
vernünftigem Aufwand durchsetzen kann. Ansonsten wird er sich den Vertragsgegenstand
anderweitig beschaffen und Schadenersatz verlangen.
Ist der Schuldner verpflichtet etwas zu tun, zu dulden oder zu unterlassen und handelt er dem
zuwider, mag der Gläubiger zwar ein großes Interesse an der Naturalerfüllung haben. Seine
Aussichten auf Realexekution sind aber gering, weshalb von vornherein Schadenersatz gewählt
werden wird88. Einzig bei vertretbaren Handlungen, die auch ein Dritter vornehmen kann, wird
der Gläubiger mittels des Instituts der Ersatzvornahme zum vertraglich vereinbarten Ziel
gelangen.
Zusammengefaßt zeigen diese rechtsvergleichenden Erwägungen, daß in der Rechtspraxis dem
Grundsatz des Vorrangs der Erfüllung in natura nicht die ihm in der Dogmatik verliehene
gewichtige Bedeutung zukommt. Es stellt sich deshalb die Frage, welche Folgerungen daraus
gezogen werden müssen.
88 So auch BUCHER, a.a.O. (Fn. 3), S. 330; TREITEL, a.a.O. (Fn. 11), Rn. 46.
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Der Erfüllungsanspruch — Primärer Inhalt der Obligation? Vortrag vom 12.9.1996
Es wurde schon ausführlich dazu Stellung genommen, daß aus historischer, rechtstatsächlicher
und rechtsvergleichender Sicht keine zwingenden Gründe für die Beibehaltung dieses Grund-
satzes sprechen89. Doch auch rechtspolitisch und wirtschaftlich empfiehlt es sich, den Gläubiger
von der Pflicht zu entbinden, in erster Linie Realerfüllung zu verlangen. Zwar ist richtig, daß
eine inhaltsgetreue Durchsetzung der Forderung dem Prinzip der Vertragstreue am besten
entspricht. Auf der anderen Seite muß beachtet werden, daß es sich aus ökonomischen Gründen
für beide Vertragsparteien lohnen kann, wenn statt der ursprünglich geschuldeten Leistung
Geldersatz ausgerichtet wird. Außerdem darf nicht einfach angenommen werden, daß das
Interesse des Gläubigers nur auf den Vertragsinhalt als solchen gerichtet ist. In den meisten
Fällen ist er, wie gezeigt, im Falle der Nichterbringung der Leistung mit Geldersatz zufrieden.
Es darf nicht vergessen werden, daß die materiell-rechtliche Frage, ob der Gläubiger auf
Erfüllung oder auf Schadenersatz klagen kann, praktisch von geringer Bedeutung ist. Denn die
Entscheidung des Gläubigers ist viel mehr davon abhängig, ob er das zu erstreitende Urteil rasch
und mit vernünftigem Aufwand durchsetzen kann. Er wird daher vom Schuldner nicht Erfüllung
verlangen, wenn von vornherein klar ist, daß sich das Urteil nicht oder nur mit Mühe wird voll-
strecken lassen90. Diese Beobachtung wird durch die englische Rechtspraxis erhärtet, die parallel
zu einer großzügigeren Gewährung des Erfüllungsanspruchs von den drastischen Folgen des
contempt of court abrückt und sich der kontinental-europäischen Vollstreckungspraxis annähert.
Darüber hinaus profitiert der Schuldner insofern vom Wahlrecht, als daß er sich vom Vertrag
„loskaufen“ kann, wenn er nicht leisten möchte, obwohl er könnte. Zudem hat er auch bei einer
Schadenersatzklage noch die Möglichkeit, in natura Ersatz zu leisten. Denn steht einmal fest, daß
ein Schadenersatzanspruch gegeben ist, sehen die kontinentalen Rechte übereinstimmend die
Möglichkeit der Naturalrestitution als Rechtsfolge des Schadenersatzanspruches vor. Ohne näher
auf diese Problematik eingehen zu können, sei festgehalten, daß die Aufgabe des Prinzips des
Vorrangs des Erfüllungsanpruchs demzufolge für keine der beiden Vertragsparteien bedeutet,
daß sie eines Rechtes verlustig geht91.
Neu ist der Gedanke der Wahlfreiheit nicht, schon Art. 45 Abs. 1 CISG enthält ihn: Erfüllt der
Verkäufer eine seiner Pflichten nach dem Vertrag oder dem Übereinkommen nicht, hat der
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Der Erfüllungsanspruch — Primärer Inhalt der Obligation? Vortrag vom 12.9.1996
Käufer neben dem Anspruch auf Erfüllung (Art. 46 CISG) auch einen Schadenersatzanspruch
(Art. 74ff. CISG)92.
Ein nach dem Vorbild des internationalen Kaufrechts liberal ausgestaltetes Wahlrecht des
Gläubigers wird daher den rechtspolitischen, rechtstatsächlichen und wirtschaftlichen Vorgaben
besser gerecht als das Prinzip des Vorranges der Erfüllung in natura.
VI. Fazit
Rechtsansprüche gegen einen leistungsunwilligen Schuldner sollen nach den im deutschen
Rechtskreis vorherrschenden Vorstellungen inhaltsgetreu durchgesetzt werden. Dieser Vorrang
des Erfüllungsanspruchs zwingt den Gläubiger unabhängig von seinen Interessen im Einzelfall
und der Natur der Forderung, zuerst vom Schuldner Erfüllung in natura zu verlangen.
Das anglo-amerikanische Recht geht gerade vom gegenteiligen Prinzip aus: der Gläubiger hat
primär das Recht, bei der Nichterfüllung einer Forderung Geldersatz zu verlangen. Nur wenn die
Zusprechung von Geld nicht adäquat ist, wird Realerfüllung gewährt.
Eine Analyse verschiedener Leistungsinhalte hat gezeigt, daß die Unterschiede zwischen den
beiden Ausgangspunkten in der Praxis aber gering sind. Der Erfüllungsanspruch wird bei der
Übertragung von Sachen dann in Anspruch genommen, wenn der Gläubiger ein besonderes
Interesse daran hat, das über den bloßen Sachwert hinausgeht. Bei der Erbringung persönlicher
Leistungen ist zwar der deutsche Rechtskreis großzügiger als der anglo-amerikanische. Dadurch,
daß auf der vollstreckungsrechtlichen Ebene ein derartiger Anspruch jedoch sinnvollerweise nur
bei vertretbaren Handlungen mit der Ersatzvornahme durchsetzbar ist, nähern sich die beiden
Rechtskreise auch insofern wieder an.
Aus diesen Überlegungen muß gefolgert werden, daß nicht von einem Vorrang des Erfül-
lungsanspruchs oder des Schadenersatzanspruchs gesprochen werden darf. Es bedarf beider
Rechtsbehelfe: Den Erfüllungsanspruch braucht es schon wegen des möglichen Affektions-
interesses des Gläubigers, den Schadenersatzanspruch wegen seiner effizienten, flexiblen und
schnellen Durchsetzbarkeit.
Rechtsdogmatisch ist diese Erkenntnis in ein Wahlrecht des Gläubigers zwischen dem
Erfüllungsanspruch und dem Schadenersatzanspruch umzusetzen. Damit soll erreicht werden,
daß das Vertragsverhältnis trotz Leistungsstörung den Interessen der Parteien gemäß erfüllt
werden kann. Ein starrer dogmatischer Vorrang des Erfüllungsanspruchs, der dem Gläubiger
scheinbar immer genau das zu geben verspricht, wofür er verhandelt und bezahlt hat,
schematisiert die involvierten Interessen über die Maßen und widerspricht zudem dem Grundsatz
der Vertragsfreiheit.
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