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D IE JÜ D ISC H E B E W E G U N G
ERSTE FOLGE
M A R TIN BUBER
DIE JÜ D ISCH E
BEW EG U N G
GESAMMELTE AUFSÄTZE
UND ANSPRACHEN
E R STE F O L G E
1900-1914
JÜ D IS C H E R V E R L A G B E R L IN
C o p y rig h t by th e J ü d is c h e r V erlag I916.
Druck der Spamerschen Buchdruckerei Leipzig
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lung der nationalen Psyche bewußt machen; man
will die spezifischen Eigenschaften eines Blutstam
mes gleichsam verdichten und schöpferisch ver
werten; man will die Volks ins tinkte dadurch pro
duktiver machen, daß man ihre A rt verkündet.
Goethes Traum einer W eltliteratur nimmt neue
Formen an: nur wenn jedes Volk aus seinem Wesen
heraus spricht, mehrt es den gemeinsamen Schatz.
So sehen wir in der tiefen Einheit des W er
dens allgemeine und nationale K ultur ver
schmelzen. Was den besten Geistern unserer Z eit
vorleuchtet, ist ein von Schönheit und gütiger
Kraft durchtränktes Menschheitsleben, in dem j eder
Einzelne und jedes Volk mitschafft und mitgenießt,
ein jedes in seiner A rt und nach seinem W erte.
Jener Teil des jüdischen Stammes, der sich als
jüdisches Volk fühlt, ist in diese neue Entwicklung
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Völker auszuleben versuchte; und in W ahrheit
blühten gerade aus diesem LebensgefühL lose in
ihm ruhend wie Seerosen auf den Fluten insere
großen G e is te s s c h ö p fu n g e n auf. D Exil
wirkte wie eine Folterschraube: das Lebe ^efühl
wurde verrenkt. Die äußere Knechtu der
Wirtsvölker und die innere Zwingherrsc t des
Gesetzes trugen in gleichem Maße dazu i, das
Lebensgefühl von seinem natürlichen A' Iruck,
dem freien Schaffen in Wirklichkeit und vimst,
abzulenken. Die Bewegung, die in unserer Z eit
anhebt, wird den Juden wieder dazu bringen, sich
als Organismus zu fühlen und nach harmonischer
Entfaltung seiner Kräfte zu streben, ins Gehen,
Singen und Arbeiten so viel Seele zu legen wie in
die Behandlung intellektueller Probleme, und eine
gesunden und vollkommenen Leibes in Stolz und
Liebe froh zu werden. Sie wird den Zwiespalt
zwischen Denken und Tun, die Inkongruenz von
Enthusiasmus und Energie, von Sehnsucht und
Opfermut aufheben und die einheitliche Persön
lichkeit, die aus e in e r Willensglut heraus schafft,
wiederherstellen. Sie wird Staub und Spinnweb
des inneren Ghettos von unserer Volksseele ab
kehren und dem Juden den Blick ins Herz der N a
tur verleihen, ihn lehren, Bäume, Vögel und Sterne
seine Geschwister zu nennen und an der Indivi-
dualität aller Wesen seine eigene zu messen. Sie
wird durch Erziehung eines lebendigen Schauens
und durch Sammlung der schöpferischen Kräfte
die Gabe jüdischen Malens und Meißelns entfalten
und vor dem dunklen Tasten jungjüdischer Dich
ter die Feuersäule der Auferstehung einherwandeln
lassen. Den Festen der Tradition wird sie eine
zweite Jugend schenken: wir werden lernen, das
Werdende zu feiern, das künftige Erringen, die
geahnte W iedergeburt; von starren Denkmälern
schützender Tradition wird sie uns zu jungen
Weihegärten eines jungen Volkes führen. Sie
wird uns die Schlichtheit und Wahrhaftigkeit eines
freitätigen Lebens zuteilen. Sie wird uns vor einer
äußeren eine innere Heimat schaffen: dadurch, daß
sie das Judentum zu neuer Einheit zusammen
schließt und uns so das Ruhen im Brudertum der
Herzen gewährt; dadurch, daß sie uns im N eu
hebräischen eine moderne Sprache schenkt, in der
wir die wahren Worte für L ust und Weh unserer
Seele finden können; dadurch, daß wir in eine
Lebensgemeinschaft eintreten, welche die alte an
gestammte und doch wieder eine neue ist. Über
unsere Tage wird der Glanz einer neuen Schönheit
ausgegossen.
Diese nationale Bewegung ist die Form, in der
sich die neue menschheitliche K ultur für unser
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Volk ankündigt. Uns liegt ein innerer Kampf
ob, ehe wir ihres Segens teilhaftig werde ' önnen.
Manchen Krankheitsstoff müssen wir ferner,
manches Hemmnis niederzwingen, bevc ;ir rei
werden zur Wiedergeburt des Judenvoll; welch
nur ein Teilstrom ist der neuen Mc ihe
Renaissance.
Inhalt Seite
V o r w o r t.................................................................................. 5
i. Jüdische Renaissance. „Ost und West“ vom Januar 1901 7
2. Gegenwartsarbeit. „Die Welt“ vom 8. Februar 1901 17
3. Feste des Lebens. „Die Welt“ vom 1. März 1901 . 23
4. Das Zion der jüdischen Frau. „Die Welt“ vom 26. April
1 9 0 1 ..................................................................................28
5. Wege zum Zionismus. Polnisch im „Rocznik zydowski“
(1901); deutsch „Die Welt“ vom 20. Dezember 1901 39
6. jüdische Wissenschaft. „Die Welt“ vom 11. und 25. Ok
tober 1 9 0 1 ............................................................................45
7. Von jüdischer Kunst. „Die Welt“ vom 17. Januar 1902 58
8. Die Schaffenden, das Volk und die Bewegung. „Jüdi
scher Almanach 5663“ ...................................................68
9. Ein geistiges Zentrum. „Ost und West“ vom Oktober
1 9 0 2 ..................................................................................78
10. Renaissance und Bewegung. I. Geschrieben 1903; ge
druckt in dem Sammelbuch „Die Stimme der Wahr
heit“ als erster Teil der Abhandlung „Das jüdische
Külturproblem“ (1905). 2. Geschrieben 1910; gedruckt
ungarisch als Teil eines Aufsatzes „Renaissance. Eine
Feststellung“ (Entgegnung auf einen Artikel Max
Nordaus) im „Magyar Zsido Almanach“ (1911)
deutsch u n v erö ffen tlich t....................................................95
11. Zionistische Politik. Geschrieben Anfang 1904; ge
druckt in dem Sammelbuch „Die Stimme der Wahr
heit“ als zweiter Teil der Abhandlung „Das jüdische
Kulturproblem“ ...........................................................109
Seite
12. Was ist zu tun? Polnisch „Moriah“ vom Februar 1904;
deutsch u nveröffentlicht........................................... 122
13. Theodor Herzl. „Freistatt“ (München) vom 23. Juli
J 9 ° 4 .............................................................................. 137
14. Herzl und die Historie. „Ost und West“ vom August
1 9 0 4 .............................................................................. 152
15. Die hebräische Sprache. „Jüdische Rundschau“ vom
14. und 21. Januar 1 910.............................................174
16. Das Land der Juden. Tschechisch in A. Kollmanns Vor
wort zu seiner Übertragung der „Drei Reden über das
Judentum“ (1911); deutsch „Die Welt“ vom 29. März
1 9 1 2 .............................................................................. 191
17. Er und wir. Herzl-Gedenknummer der „Welt“ vom
20. Mai 1 9 1 0 .............................................................195
18. Das Gestaltende. U nveröffentlicht...................................204
19. Zwiefache Zukunft. Hebräisch in Band IV des
„Heathid“ (1912); deutsch „Selbstwehr“ vom 12. Sep
tember 1 9 1 2 ...............................................................216
20. Der Augenblick. „Die Welt“ vom 9. Januar 1914 . 221
21. Die Tempelw'eihe. „Jüdische Rundschau“ vom 1. Januar
1 9 1 5 ..............................................................................229
Anhang: Kunst und Judentum. Geleitwort des Sammelbuchs
„Jüdische Künstler“ ( 1 9 0 3 ) ...................................... 245