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Gesellschaft

MUSIK

Die erste deutsche Band


Silly waren in der DDR eine Legende, nun soll der Gruppe das gelingen,
was noch kein Ost-Rocker geschafft hat: Die Musiker wollen auch die Fans im Westen erobern –
und ihre Vergangenheit hinter sich lassen. Von Jochen-Martin Gutsch

CARSTEN KOALL / VISUM

Silly-Sängerin Loos in Schwerin am 18. September: Sie haben sich entschieden, keine Ost-Rock-Konzerte mehr zu spielen

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Wahrscheinlich ist es genau gehen und zwei neue Songs zu spielen. Die Frage ist, ob der Westen schon
dieser Septemberabend in Super, Mensch!“ weich genug ist. Ein durchlässiges, erober-
Berlin-Wuhlheide, an dem Uwe Hassbecker, der Silly-Gitarrist, bares Gebiet für eine Band mit Vergan-
sich die Band endgültig sagt später, dass man mit dem MDR über genheit.
JAHRE aus der Vergangenheit löst. die neuen Songs verhandeln musste. Der Vor ein paar Tagen saßen Silly bei Ste-
Wahrscheinlich passiert es in MDR zeichnet den Abend auf, irgend- fan Raab im Studio. Sie stellten ihre neue
einem kurzen Moment zwischen zwei wann wird er im Fernsehen laufen, es Single vor, mit der sie Anfang Oktober
Songs, nach „Mont Klamott“ von 1983 wird wohl auch eine DVD geben, und der auch beim Bundesvision Song Contest
und „Warum ich?“ von 2010. MDR hätte lieber drei alte Songs gehabt, antreten werden, den Raab organisiert.
„Mont Klamott / auf’m Dach von Ber- DDR-Liedgut. Weil es besser zur Ziel- „Was war denn euer erfolgreichster
lin. Mont Klamott / sind die Wiesen so gruppe passe. „Wir haben dann gesagt, Song vor der Wende?“, fragte Raab jetzt.
grün“, hatte Anna Loos gerade gesungen, wir spielen nur einen alten und zwei neue „Das, was jeder kennt im Osten? So wie
die Leute vor der Bühne hatten die Hän- Songs. Oder wir spielen gar nicht“, sagt ,Alt wie ein Baum‘ von den Puhdys?“
de gereckt und waren in der Zeit zurück- Hassbecker. Ritchie Barton, der Silly-Keyboarder,
geflogen. Zurück ins morsche Ost-Berlin Die Band kann es sich leisten. Wieder lächelte. Es war, als moderiere Dagmar
mit seinen Kohleöfen und Zweitaktmo- leisten, muss man sagen. Silly haben ein Frederic noch den „Kessel Buntes“ im
toren, hinauf auf den Mont Klamott, den neues Album draußen, das auf Platz drei DDR-Fernsehen und würde Marius Mül-
alten Trümmerberg in Friedrichshain. in die Charts schoss und sich auch im ler-Westernhagen plötzlich fragen: Sag
„Dort hängen wir zum Weekend die Lun- Westen gut verkauft. Vor ein paar Wo- mal, was ist denn eigentlich dein größter
gen in den Wind / bis ihre schlappen Flü- chen bekam die Band eine „Goldene Hit da drüben? „Na ja“, sagte Barton
gel so richtig durchgelüftet sind.“ Schallplatte“ überreicht für über 100 000 jetzt. „Unser Ost-Hit, sozusagen, war ,Ba-
Es war immer noch ein guter Song, und verkaufte Alben. Eine Marke, die keine taillon d’amour‘.“
er passte gut hierher, zu „Ostrock in Klas- der alten Ost-Bands in den vergangenen „O-ho-ho!“, sagte Raab, als hätte Bar-
sik“ am 11. September, einer Art All- 20 Jahren erreicht hat. Nicht mit einem ton einen schweinischen Witz erzählt.
Stars-Konzert. Ein paar alte Bands treten „Das war erlaubt? Ein französisches, ka-
auf, singen zwei, drei Songs, ummalt vom pitalistisches Wort?“
Babelsberger Filmorchester. Das ist, mehr „Offensichtlich“, sagte Barton und starr-
oder weniger, das Konzept. Vor allem te durch Raab hindurch.
aber geht es um eine Art Deal: Die Leute Silly gibt es seit 1978. Von der Urbe-
im Publikum können einen Abend lang setzung ist heute niemand mehr dabei,
durch ihre ostdeutsche musikalische Ver- aber Ritchie Barton, Uwe Hassbecker und
gangenheit spazieren wie durch eine Wes- Jäcki Reznicek, der Bassist, spielen seit
ternkulisse. Die alten Bands auf der Büh- den achtziger Jahren in der Band. Die
ne sind noch einmal gefeierte Helden. Sängerin hieß Tamara Danz, und sie sang
Man wärmt sich aneinander, man hält lakonisch, herb, teils ordinär, oft kühl,
sich aneinander fest, man belügt sich ein aber was sie sang, schien irgendwie zu
UTE MAHLER / OSTKREUZ

bisschen. Dann geht man nach Hause. stimmen. Die Texte schrieb ihr der Rock-
Aber jetzt steht Anna Loos am Büh- Dichter Werner Karma auf den Leib.
nenrand, das Mikro zwischen den Fin- Silly und andere DDR-Bands hatten es
gern, und erklärt dem Publikum, dass nicht leicht im Osten, weil sie genauso
Silly den Deal platzen lassen. „Wir leben, am Westen gemessen wurden wie Jeans,
wie ihr ja auch, im Hier und Heute. Im Silly-Sängerin Danz 1985 Kassettenrecorder oder Kaffee. Es gab
Jahr 2010. Deshalb spielen wir jetzt zwei „So einen Scheiß singe ich nicht“ noch keinen „Ost-Rock“ damals. Der Be-
neue Songs von unserem neuen Album“, griff entstand erst nach der Wende. Man
sagt sie und schaut ins Publikum. Die Leu- neuen Album. Es war, wenn man so will, sagte „Ost-Musik“, und es war nicht nett
ten wirken nicht unzufrieden. Eher über- ein musikhistorischer deutsch-deutscher gemeint.
rascht. Es sind die einzigen neuen Songs, Moment. Ost-Musik spielte ein Discjockey besser
die an diesem Abend in Berlin gespielt Vor allem aber haben sich Silly ent- nicht in einem Jugendclub in Ost-Berlin
werden. Sie schwimmen wie frisches schieden, zukünftig keine Ost-Rock-Kon- Mitte der achtziger Jahre, wenn er Ärger
Fleisch in einem Kessel kalter Suppe. zerte mehr zu spielen. Dieser Abend in vermeiden wollte. Nicht Karat, die nach
Anschließend gehen Silly von der Büh- Berlin ist ihre Abschiedsvorstellung. Sie Schlager klangen, nach den siebziger Jah-
ne, beifallumtost. Vorbei an Dieter „Ma- machen noch mal mit aus alter Verbun- ren. Und auch nicht die Puhdys, damals
schine“ Birr, dem Sänger der Puhdys, der denheit und wahrscheinlich auch, damit schon alt, mit dem grauhaarigen Peter
immer mehr aussieht wie ein altgewor- nicht der Eindruck entsteht, die Band Meyer an den Keyboards, der aussah wie
dener Berliner Taxifahrer, vorbei an Jür- würde vergessen, woher sie kommt. Wur- ein Schulhausmeister. Aber es gab eine
gen Karney, dem Moderator des Abends, zeln sind wichtig, der Osten ist wichtig, Handvoll Bands, die es in die jungen Her-
der früher im DDR-Fernsehen durch die aber Silly setzen gerade an zum Sprung zen schafften. Pankow waren darunter
Schlagersendung „Bong“ führte, vorbei über die alte Zonengrenze. Sie wollen und eben auch Silly. Sie wirkten nicht
an André Herzberg, dem Sänger der schaffen, was die Puhdys, Karat oder „ostig“ – ein größeres Kompliment konn-
Band Pankow, einer der besten, die es im City zuvor nicht schafften. Silly wollen te eine DDR-Band nicht bekommen.
Osten gab. gesamtdeutsch sein. Oder einfach nur Die Szene war klein, überschaubar, so
Backstage, in der engen Band-Gardero- deutsch. Eine Band jedenfalls, an der wie das Land. Im Jahr erschienen in der
be, steht dann die Zukunft. Sie heißt Mi- nicht ständig das Wort „Ost“ klebt wie DDR vielleicht zehn Rock-Alben. Die
chael Schacke, kommt aus Braunschweig altes Papier. Bands tourten von Rostock bis nach Suhl
und zieht jeden aus der Gruppe erst mal „Ost-Band“. „Ost-Rock“. „Ost-Stars“. und wieder zurück. So verdienten sie
an seine Brust. Schacke ist ein junger, an- „Ost-Hit“. Geld. An den eigenen Plattenumsätzen
genehmer Typ und seit gut einem Jahr „Es gibt eine Riesenchance für uns“, waren nur die wenigsten Bands beteiligt.
einer der Manager von Silly. „Super!“, sagt Hassbecker. „Die Zeichen stehen bes- Der größte Mangel, den es in der DDR
sagt Schacke. „So rotzfrech. Da rauszu- ser als je zuvor.“ gab, wenn man jung war, waren nicht die
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Silly-Frontfrau Loos mit Bassist Reznicek*: Die Identität bewahren, das Neue wagen, ein Bein im Osten, eins im Westen

West-Reisen. Es war der Mangel an Enter- sie ließen uns machen. Nur bei der Plat- Herz. Aber man machte auch nicht wei-
tainment. tenfirma war man unzufrieden. Sie sag- ter. Die Band ruhte.
Am Ende wurden Silly zur erfolgreichs- ten, unsere Texte würde in Deutschland „Alles lief auseinander“, sagt Hassbe-
ten DDR-Band der achtziger Jahre. Drei- niemand verstehen. Gemeint war natür- cker. Er und Ritchie Barton starteten ei-
mal „LP des Jahres“, rund 1,25 Millionen lich Westdeutschland. Deutschland war ne Karriere als Produzenten und Studio-
verkaufte Platten, und die Cover für den Westdeutschland. Ich meine, die saßen musiker, Jäcki Reznicek spielte eine Zeit-
Westen fotografierte Jim Rakete. dort in München, der Osten, der war so lang Bass bei einem Soloprojekt des Ärz-
Als die DDR verschwand, verschwan- weit weg für die. Tamara hat dann bei te-Sängers Farin Urlaub und kümmerte
den auch erst mal die Bands. Im Westen der BMG angerufen und gesagt: ,Okay, sich um seine Dozentur an der Musik-
kannte sie niemand. Im Osten wollte sie dann schickt uns doch mal ein paar Texte.‘ hochschule Dresden. Manchmal spielten
niemand. „Im Osten lief gar nichts mehr“, Na ja, die Texte, die kamen, waren dann sie noch alle drei zusammen in der Live-
sagt Gitarrist Hassbecker. „Die Auftritts- grausam, ganz furchtbares Zeugs. Schla- Band von Joachim Witt.
möglichkeiten, die Veranstalter, die Ver- gertexte. Damit hätten wir die letzten ver- 14 Jahre lang erschien kein neues Al-
anstaltungsorte, wir spielten oft in Kreis- bliebenen Silly-Fans auch noch verprellt. bum. Silly lagen eingefroren unter dem
kulturhäusern – alles verschwand. Und Tamara sagte nur: ,So einen Scheiß singe ewigen Eis wie ein ostdeutscher Mam-
auch das Publikum. Die Leute liefen los, mutknochen. Dort würde die
um sich Tina Turner anzuschauen oder Im Westen kannte sie niemand, Band vermutlich auch immer
Genesis oder die Stones.“ noch liegen, gäbe es nicht
Silly fuhren für ein paar Konzerte nach im Osten wollte sie niemand. Anna Loos, die neue Sängerin.
Dänemark und in die USA, die Verträge Das neue Herz. Sie ist schön,
waren zu DDR-Zeiten geschlossen wor- ich nicht.‘ Und das war’s dann mit dem talentiert und, was vielleicht noch wich-
den, vielleicht noch gedacht als sozialis- Plattenvertrag.“ tiger ist für die Zukunft, in einer Weise
tisch-kapitalistischer Musikaustausch, wer Das nächste Silly-Album erschien 1993, ostdeutsch, die man im Westen kaum be-
weiß? 1990 saß die Band dann im Produk- beim Label Deutsche Schallplatten Berlin, merkt.
tionsstudio von Peter Maffay am ruhigen dem Nachfolger des alten DDR-Musik- Anna Loos steht backstage am Fenster
Starnberger See, um neue Songs aufzu- verlags. Das Album verkaufte sich nicht der Garderobe und raucht. Von draußen
nehmen. Die Plattenfirma BMG hatte ih- schlecht, aber auch nicht gut. Mit dem fliegen Musikfetzen herein, das „Ostrock“-
nen zwei Produzenten aus der Band von nächsten Album, „Paradies“, wollte die Publikum summt, Dirk Michaelis singt
Udo Lindenberg zur Seite gestellt. Es lief Band durchstarten. Aber im Juli 1996, „Als ich fortging“, auch ein großer DDR-
auch ganz gut. „Die Produzenten waren kurz nach der Veröffentlichung, starb Ta- Hit, den man manchmal noch in Wende-
völlig in Ordnung, wir verstanden uns so- mara Danz an Krebs; mit 43 Jahren. Ta- Dokumentationen im Fernsehen hört,
fort“, sagt Ritchie Barton. „Später haben mara Danz war nicht nur die Sängerin. weil der Titel so gut zu passen scheint in
sie uns dann erzählt, dass sie uns eigent- Sie war das Gesicht von Silly. Der Motor, den Herbst 89.
lich in eine glattere, poppigere Richtung die Frontfrau, das Herz. Tamara Danz Es muss seltsam sein, wenn man wie
lenken sollten. Vielleicht wie Pur. Aber war vielleicht der einzige Rockstar, den Anna Loos von außen kommt und plötz-
die DDR je hervorgebracht hat. lich diese Welt betritt, in der die Bands
* Vor dem „Ostrock in Klassik“-Konzert in Berlin am Die Band löste sich anschließend nicht vor allem als Ausstellungsstücke funktio-
11. September. auf. Das brachten die Männer nicht übers nieren. Als tourendes Wandermuseum
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für DDR-Musik. Karat haben auch eine nichts. Zu Hause legte ich die Platte auf, sind jetzt so als Edelkomparsen mit da-
neue Platte draußen, aber sie spielen heu- und es haute mich völlig um.“ bei“, sagt Bassist Reznicek.
te keine neuen Songs, sondern nur die Die Platte hieß „Bataillon d’Amour“. Wahrscheinlich ist das der einzige Weg.
guten alten. Sie sitzen in der Ost-Rock- Die Band hieß Silly. Gut 20 Jahre später Das Loch in der Mauer.
Welt wie in einem Indianerreservat. ist Anna Loos vom Fan zur Frontfrau auf- Jochen Schuster, der Plattenboss, der
Ost-Rock ist eine Marke, ein fester Be- gestiegen. Die Band hatte Anna Loos eine die Band für zwei Alben zu Universal
griff, aber weder Anna Loos noch Ritchie Weile beobachtet, getestet. Barton, Hass- holte, dem größten Musikkonzern der
Barton oder die anderen aus der Band becker und Reznicek, alle herausragende Welt, glaubt, „dass der Act irgendwann
können genau erklären, woher der Be- Live-Musiker, waren erst misstrauisch und wiedervereinigt sein wird“.
griff eigentlich stammt. Wer ihn erfunden dann überzeugt. Es ist jetzt eigentlich Michael Schacke, der junge Band-Mana-
hat. Uwe Hassbecker glaubt, es waren genauso wie in dem Film „Rock Star“, in ger aus Braunschweig, glaubt, dass Silly
Journalisten. Gehässige Ost-Journalisten, dem Mark Wahlberg den Fan einer Me- im Westen noch „drei, vier Jahre“ brau-
um genau zu sein. tal-Band spielt, deren Sänger er plötzlich chen werden. „Nur damit erst mal allen
Man muss sich Ost-Rock wie einen wird. Eine Hollywood-Geschichte. klar ist: Die gibt es. Allein dieser Transfer.“
Sack vorstellen, in den alles gestopft wird, Anders als Mark Wahlberg in „Rock Er kannte die Band selbst kaum, als er das
was musikalisch und stilistisch eigent- Star“ kann Anna Loos aber nicht nur Management übernahm. „Ich hatte sie nach
lich nicht zusammengehört. Es geht bei singen. Sie kann auch Türen öffnen. Sie der Wende zufällig bei einem Konzert in
Ost-Rock auch gar nicht um die Musik. kann Silly in Fernsehshows, Radiosender, der Lüneburger Heide gesehen. Fand ich
Es geht um die Herkunft. in die wichtigen Magazine und Zeitungen beeindruckend damals, die waren so düs-
An diesem Abend in Berlin spielen die schleusen, die der Band ansonsten ver- ter-atmosphärisch und dabei progressiv.“
Puhdys, Electra, Silly, City, Rockhaus, schlossen blieben, weil sie dort niemand Axel Horn, der zweite Band-Manager,
Günther Fischer, Angelika Mann, Pan- kennt. Kein Chefredakteur, kein Mode- auch aus Braunschweig, kannte von Silly
kow, Renft und auch Michael Hirte, das rator, kein West-Publikum. Silly sind im nur den Namen und schloss sich erst mal
„Supertalent 2008“ vielleicht, weil Hirte Osten eine Legende. Im Westen sind sie für ein Wochenende zu Hause ein, um
aus der Lausitz kommt. Das ist Silly-Platten zu hören, DVDs
ungefähr so, als würden im zu sehen, in die Band-Ge-
Westen Kraftwerk, BAP, Trio, schichte einzutauchen. Als er
Boney M., die Fantastischen das Zimmer wieder verließ,
Vier, Heinz Rudolf Kunze und war er überzeugt, einen ver-
Hansi Hinterseer zusammen sunkenen Schatz gefunden zu
Konzerte geben, weil sie West- haben. „Die Band ist ja Kul-
Rock sind. turgeschichte. Zumindest in ei-
Anna Loos hat, als sie bei nem Teil des Landes.“ Später
Silly einstieg, klargemacht, ist Axel Horn dann aufgefal-
dass sie etwas anderes will. len, dass er der Band viel näher
Neue Songs, neue Zeiten. Sie war als angenommen. „Das
riss so lange die Fenster auf, Basslehrbuch, dass ich im Wes-
bis die Band ordentlich durch- ten hatte und mit dem ich ab
gelüftet schien und bereit für und zu übte, hatte Jäcki Rez-
eine zweite Karriere. nicek geschrieben. Ich wusste
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Anna Loos ist eigentlich nur lange nicht, wer das ist.“
Schauspielerin. Sie spielte im Rock-Band Silly in Raabs Sendung „TV-total“: „Das war erlaubt?“ Der Plan von Schacke und
„Tatort“, in Fernseh- und Ki- Horn sieht jetzt so aus, dass
nofilmen, im Moment ist sie in der ARD- fast noch No-Names. Eine späte New- sie die Identität der Band bewahren und
Fernsehserie „Weissensee“ zu sehen, wo comer-Band mit drei Männern zwischen gleichzeitig das Neue wagen wollen. Ein
sie die alkoholkranke Frau eines Stasi-Of- 49 und 56 Jahren an den Instrumenten. Spagat also. Ein Bein im Osten. Eins im
fiziers spielt. Dabei lag der Osten bereits Hassbecker sagt: „Im Westen sind alle un- Westen. Aber warum sollte sich der Wes-
weit hinter ihr. Sie verließ die DDR 1988, sere Songs neu. Auch die alten.“ ten plötzlich, nach 20 Jahren, für Silly in-
floh über die Tschechoslowakei und Un- Besser kann man es nicht formulieren. teressieren?
garn in die Bundesrepublik. Sie spricht Im SPIEGEL wurde die Band in den Jochen Schuster, der Plattenboss, sieht
nicht über die Umstände der Flucht, weil vergangenen 20 Jahren nur ein paar Mal für Silly einen Platz zwischen den Grup-
sie ihre Geschichte nicht herausstellen kurz erwähnt: etwa in der Meldung über pen Silbermond, Ich+Ich, Klee und Ro-
möchte und vermutlich auch, weil sie den Tod von Tamara Danz und in einem senstolz. Michael Schacke sagt: „Silly ist
weiß, wie schnell daraus Folklore werden Artikel über das Soloprogramm des Schau- eine musikalische Alternative. Biokost
kann. Wie aus so vielen Wende-Geschich- spielers Jan Josef Liefers, das „Soundtrack sozusagen. Sehr gute Musiker machen
ten. Am Ende sitzt man in irgendeiner meiner Kindheit“ heißt und in dem er glaubwürdige Kunst, mit relevanten Tex-
Jubiläumssendung. Als Ost-Beispiel, als Songs von DDR-Bands spielt. Liefers ten. Deshalb war auch die Rückkehr von
Ost-Farbe. wuchs in Dresden auf und ist der Ehe- Werner Karma so wichtig. Eine große
Anna Loos wuchs auf in der Stadt Bran- mann von Anna Loos. Sie sind beide Ost- Band muss was zu sagen haben. Sie
denburg. „Dort gab es in den achtziger und-West-Stars, sie bewegen sich spielend braucht eine Botschaft.“
Jahren in der Hauptstraße einen Platten- zwischen den Welten, und wenn Anna Werner Karma hat eine kleine Schreib-
laden, und vor dem Plattenladen standen Loos heute in eine Talkshow geht, dann wohnung in einem viergeschossigen Neu-
eines Tages Leute an. Also stellte ich mich meist nur unter der Bedingung, dass sie bau in Berlin-Adlershof, nicht weit ent-
dazu, schwänzte die Schule, weil ich auch die Band mitbringen kann. So schaff- fernt von den alten Studios des DDR-
dachte, sie verkaufen dort eine Lizenz- ten es Silly zu Giovanni di Lorenzo in die Fernsehens. Er sitzt auf der Couch, er
platte aus dem Westen. Aber es gab dann „3 nach 9“-Talkshow, zum „Quiz der Deut- trägt Hausschuhe, es ist still hier, es gibt
nur eine Ost-Platte, und ich war total schen“ im Ersten und auch zum Mode- viele Bücher, Nietzsche, Volker Braun,
enttäuscht. Nur das Cover gefiel mir. Shooting der „Brigitte“. „Eigentlich woll- Bukowski, Heiner Müller, Puschkin, und
Ein Frauengesicht war vorn drauf, sonst ten sie das mit Anna machen. Aber wir man kann sich vorstellen, wie Karma je-
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Silly-Fans bei einem Konzert in Zwickau: „Dort hängen wir zum Weekend die Lungen in den Wind“

den Tag ein paar Stunden in den Büchern aber das Silly-Comeback ist natürlich leicht klang das in den Ohren der Uni-
versinkt, um einen Gedanken zu finden, auch sein eigenes. versal-Leute so, als stünden die Russen
der sich in einen Song-Text gießen lässt. „Komischerweise fahren plötzlich viele in 15 Minuten am Kurfürstendamm.
Karma ist 58 Jahre alt und vermutlich Westler auf Silly und die Texte ab.“ Im Flur von Karmas Schreibwohnung
der bekannteste Rock-Dichter der DDR. Wegen der Botschaft? hängt die „Goldene Schallplatte“, die er
In den achtziger Jahren schrieb er fast Vielleicht, sagt Karma. für „Alles Rot“ bekam. Wie eine Trophäe,
alle Silly-Texte. Er beschrieb die Enge, Als Utopie, als Idee habe er an der die Karma dem Westen entrissen hat.
die Tristesse, die Ausbrüche, die Sehn- DDR gehangen, sagt Karma. Wahrschein- In Berlin-Wuhlheide, beim „Ostrock“,
süchte. „Die Ferne ist ein schöner Ort / lich werde er das auch nie ablegen kön- singen die Puhdys ihren letzten Song. Es
Doch wenn ich da bin, ist sie fort / Die nen. Und er wolle das auch gar nicht. „Ichist fast Mitternacht, Geisterstunde. Die
Ferne ist, wo ich nicht bin / Ich geh und habe mein Wertesystem, und ich glaube, Leute klatschen noch mal im Takt des
geh und komm nicht hin.“ das schimmert in meinen Texten überall Rock’n’Roll. Das Konzert war nicht aus-
Es ging immer nur um die Texte im durch.“ Karma reibt sich jetzt nicht mehr verkauft wie in den Jahren zuvor. Nicht
Rock-Land DDR. Den Fans wie der Zensur. an der DDR. Er reibt sich an Deutschland. mal fast ausverkauft. Womöglich stirbt
Ende der achtziger Jahre zerstritt sich Das eine Land war klein. Das andere ist der Ost-Rock auch im Osten.
Karma mit Silly. Oder die Band mit Kar- In die enge Garderobe von
ma. Erst Anna Loos holte ihn zurück. Sie wirkten nicht „ostig“ – ein Silly drängen sich die alten
Werner Karma ist jetzt zuständig für Weggefährten wie in einer
die Botschaft von Silly. Die Frage ist, was größeres Kompliment gab es nicht. Wärmestube, die neues Leben
die Botschaft sein könnte? schenkt. Jürgen Ehle von Pan-
Karma lehnt sich zurück in die Couch groß. Aber die Problemlagen scheinen kow, Thomas „Monster“ Schoppe von
und überlegt. „Ich mach eigentlich das ähnlich zu sein. Systemübergreifend, so- Renft und Toni Krahl, der City-Sänger.
Gleiche wie in der DDR“, sagt er schließ- zusagen. City haben den Hit „Am Fenster“ ge-
lich. „Ich benenne die Defizite.“ „Ich hatte mir im Osten mal einen Ci- schrieben, einen der erfolgreichsten Pop-
Karma hat nach der Wende Texte für troën gekauft“, sagt Karma. „Schickes Songs der DDR-Geschichte neben „Über
Veronika Fischer, Edo Zanki, Joachim Auto. Brauchte ich gar nicht, aber ich sieben Brücken musst du geh’n“ von Ka-
Witt und City geschrieben. Sein Schreib- wollte wohl sehen, was mit mir passiert.“ rat, von dem im Westen immer noch alle
geschäft lief weiter, aber es war auch Und, was passierte? denken, es sei ein Peter-Maffay-Song.
so, dass ihn der Westen genauso wenig „Na ja, nichts. Es hat mich auch nicht Krahl sagt, dass er mit City kaum im Wes-
zu brauchen schien wie Silly, Karmas glücklicher gemacht.“ ten spielt. Vielleicht zwei, drei Shows im
alte Liebe. Udo Lindenberg ließ sich ein Womöglich ist das ja die Botschaft. Jahr. „Im Westen läuft es nur als Ost-
paar Mal Texte schicken, aber am Ende Das neue Silly-Album heißt „Alles Paket. Puhdys, Karat und City zusam-
hat er nie einen genommen. „Udo sagte: Rot“, so wie der erste Song auf der CD, men. Na ja, is’ eben so“, sagt Krahl.
,Super Texte, Werner. Aber wir sind ge- deren Text Werner Karma geschrieben Einen Moment lang steht er neben
rade auf einem anderen Trip. Vielleicht hat. Bei Universal gab es Diskussionen, Uwe Hassbecker und Ritchie Barton. Je-
auf der nächsten Platte.‘“ ob man das Album wirklich so nennen mand schießt ein Erinnerungsfoto. So als
Ähnlich lief es mit Purple Schulz und sollte. Alles Rot – ausgerechnet für das gingen die einen auf eine weite Reise.
einigen anderen. Karma sagt es nicht so, Comeback einer alten DDR-Band. Viel- Und der andere bleibt zurück. 
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Geheimakte Deutschland
Vor 20 Jahren: Wie Europa Politiker die Einheit verhindern wollten

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