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Benjamin B. Ferencz
Von Nürnberg
nach Rom
Die strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen gegen Sanktionen für solch gravierende Verstöße gegen elemen-
den Frieden und die Menschlichkeit wurde nicht 1945 in tare Grundsätze des Völkerrechts vorzusehen. Einige
Nürnberg erfunden. Seit der Antike haben angesehene deutsche Offiziere, die der Greueltaten bezichtigt waren,
Gelehrte von Plato bis Grotius die Rechtmäßigkeit von wurden schließlich vor den deutschen Reichsgerichtshof
Krieg und Kriegsführung diskutiert. Vor mehr als zwei- gestellt. Dieser verhängte nur wenige und geringe Strafen.
hundert Jahren forderte Immanuel Kant in seiner Schrift Die Unfähigkeit, die Hauptverantwortlichen für den Krieg
Zum Ewigen Frieden den Schutz des Friedens und der und seine Greuel vor Gericht zu stellen, unterstrich die
Menschenrechte durch die Herrschaft des Völkerrechts. Notwendigkeit, ein effektiveres System internationaler
Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs entsprachen Strafjustiz zu schaffen.
die Nürnberger Tribunale dem weltweit verbreiteten
Wunsch der Menschen nach einer friedlicheren und Der Völkerbund erklärte 1927, daß ein Angriffskrieg nie-
menschlicheren Welt. Als 1991 im früheren Jugoslawien mals als Mittel internationaler Streitbeilegung fungieren
und 1994 in Ruanda ethnische und politische Gewalt in könne und folglich ein internationales Verbrechen sei. Im
Form von Völkermord und anderen Verbrechen gegen Jahr 1928 schwor der Kellogg-Pakt dem Krieg als Instru-
die Menschlichkeit ausbrach, reagierte der Sicherheitsrat ment nationaler Politik ab, und eine Pan-Amerikanische
der Vereinten Nationen durch die schnelle Einsetzung Konferenz erklärte den Angriffskrieg zu einem „Verbre-
von speziellen Tribunalen in Den Haag und Arusha, chen gegen die Menschheit“. Dennoch wurde kein Gericht
deren Aufgabe die Strafverfolgung der Haupttäter ist. geschaffen, welches die Vertragsbrüchigen zu bestrafen
Ein weiterer bedeutender Schritt, vom Gesetz der Stärke vermocht hätte. 1931 marschierte Japan in der Mandschu-
zur Stärke des Gesetzes zu gelangen, könnte im Sommer rei ein, und 1934 griff Mussolini Äthiopien an. Nachdem
1998 in Rom folgen. Dort werden sich die Nationen ver- König Alexander von Jugoslawien 1935 in Marseilles er-
sammeln, um den Grundstein für einen ständigen Inter- mordet worden war, berief der entrüstete Völkerbund ein
nationalen Strafgerichtshof zu legen. Komitee, das eine Konvention zur Unterdrückung solch
terroristischer Anschläge entwerfen sollte. Das Komitee
Das erste große Bemühen, kriegsbezogenen Verbrechen erarbeitete einen vollständigen, etwa fünf Seiten langen
durch das Völkerrecht Einhalt zu gebieten, gab es nach Vertragstext für die Errichtung eines internationalen
dem Ersten Weltkrieg. Eine von den Siegermächten beru- Strafgerichtshofes. Kein Staat war jedoch gewillt, ihn zu
fene Kommission gelangte 1919 hinsichtlich der Feind- akzeptieren. Die Menschheit sollte für die Unentschlos-
staaten zu folgender Forderung: Alle Personen, die gegen senheit ihrer Entscheidungsträger teuer bezahlen.
Kriegsgesetze und -gebräuche oder gegen Gesetze, die
dem Schutz der Menschenwürde dienen, verstoßen hät- Hitler begann den deutschen Eroberungsfeldzug durch
ten, müßten - unabhängig von ihrer Position - strafrecht- Europa. Nach dem Blitzkrieg der deutschen Panzer
lich zur Rechenschaft gezogen werden. Niemals zuvor kamen die SS-Einsatzgruppen, um ohne Erbarmen oder
war ein Souverän für die Entscheidung, einen Krieg zu Reue jeden Juden - ob Mann, Frau oder Kind -, jeden
führen, gerichtlich belangt worden. Deshalb hielt man es Zigeuner oder jeden zu ermorden, der als Widersacher
für unfair und rechtlich nicht begründbar, den deutschen wahrgenommen wurde und dessen man habhaft werden
Kaiser für das Verbrechen der Aggression vor ein Straf- konnte. Kriegsgefangene wurden hingerichtet oder zu
gericht zu stellen. Statt dessen sah der Vertrag von Ver- Tode gehungert; Millionen von Zivilisten wurden zu
sailles vor, daß Wilhelm II. sich vor einem Alliierten Ge- Sklavenarbeit gezwungen, während diejenigen, die zur
richt „schwerster Verletzung der internationalen Moral Zwangsarbeit nicht in der Lage waren, in den Gaskam-
und Heiligkeit der Verträge“ zu verantworten hätte. Be- mern der Konzentrationslager einfach vernichtet wurden.
fehlshaber geringeren Ranges, welche verschiedener Japanische Truppen begingen ähnliche Verbrechen in
Greueltaten bezichtigt wurden, sollten dem Gericht eben- den von ihnen besetzten Gebieten. Wiederholte Warnun-
falls überstellt werden. gen der Alliierten, man werde die Verantwortlichen die-
ser Greueltaten zur Verantwortung ziehen, verhallten un-
Deutschland verurteilte den Vertrag unverzüglich als beachtet. Die Briten schlugen vor, bekannte Nazigrößen -
Diktat. Der Kaiser fand Zuflucht in Holland. Seine Aus- wenn der Krieg gewonnen sei - einfach außer Landes zu
lieferung wurde mit dem Hinweis verweigert, daß kein bringen und hinzurichten. Deutsche und japanische Be-
internationales Strafgericht die Kompetenz habe, ein fehlshaber hätten es vor diesem Hintergrund als Er-
Staatsoberhaupt anzuklagen. Die enttäuschten Bevoll- leichterung, nicht aber als Überraschung empfinden kön-
mächtigten der Alliierten empfahlen, die deutsche Ag- nen, daß sie sich für ihre verwerflichen Taten vor einem
gression formell zu verurteilen und künftig strafrechtliche ordentlichen Gericht zu verantworten hatten.
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Policy Paper der Stiftung Entwicklung und Frieden
1. VERBRECHEN GEGEN DEN FRIEDEN (Pla- Generalversammlung der Vereinten Nationen bestätigte
nung und Führen eines Angriffskrieges), später einstimmig sowohl die Charta als auch die Rechts-
2. KRIEGSVERBRECHEN (verboten durch Gewohn- prechung des IMT. Die darin enthaltenen Prinzipien wur-
heitsrecht und die Haager Konventionen) und den damit als gültiger Ausdruck bindenden Völkerrechts
3. VERBRECHEN GEGEN DIE MENSCHLICH- nochmals bekräftigt.
KEIT (wie Völkermord und ähnliche Greueltaten
gegen die Zivilbevölkerung). Verbrechen solchen Ausmaßes, wie sie das IMT offenleg-
te, bedurften der Mitwirkung vieler Teile der deutschen
Nur die Befehlshaber, die Organisatoren oder Anstifter Gesellschaft; die vier Besatzungsmächte jedoch waren
der Verbrechen sollten vor dem IMT zur Verantwortung nicht in der Lage, sich auf weitere gemeinsame Verfahren
gezogen werden. Befehle von übergeordneter Stelle soll- zu einigen. Statt dessen erließen sie das Kontrollratgesetz
ten nicht als Rechtfertigung dienen, sondern als mildern- Nr. 10, welches sich an die IMT-Charta anlehnte und die
de Umstände bei der Strafzumessung berücksichtigt wer- Besatzungsmächte ermächtigte, in ihren jeweiligen Besat-
den können. Jede Bestimmung der 30 Artikel war sorgfäl- zungszonen derartige Prozesse selbständig durchzufüh-
tig konstruiert, um den Angeklagten ein faires Verfahren ren. Die Vereinigten Staaten entschieden sich, mit einem
zu garantieren. Es war das erste Gericht dieser Art in der Dutzend Folgeprozessen in demselben Nürnberger Ge-
Geschichte der Menschheit. richtsgebäude fortzufahren. Der Chefankläger war Gene-
ral Telford Taylor (Absolvent der Juristischen Fakultät in
24 bedeutenden Nazi-Kriegsverbrechern wurde das Ver- Harvard und später Professor an der Columbia und der
fahren gemacht. Der Chefankläger der Vereinigten Yeshiva Universität). Unter den Angeklagten befanden
Staaten und Hauptarchitekt der IMT-Charta war Robert sich Ärzte, die für illegale Experimente an Menschen ver-
H. Jackson. Er war vom Obersten Gerichtshof der USA, antwortlich waren; Juristen, die das Recht gebeugt hatten,
dem US Supreme Court, entsendet worden. „Wir dürfen um die Ziele der Nazis zu erreichen; hochrangige Offizie-
nie vergessen“, sagte Jackson, „daß der Maßstab, den wir re des Militärs, die sich für ihre Greueltaten zu verant-
bei der Verurteilung der Angeklagten anlegen, der Maß- worten hatten; Beamte des Außenministeriums, die bei
stab ist, an dem uns morgen die Geschichte messen wird.“ der Planung des Angriffskrieges geholfen hatten;
Die Angeklagten wurden vor Gericht von qualifizierten schließlich Industrielle, die fremdes Eigentum konfisziert
Verteidigern ihrer eigenen Wahl vertreten - die Kosten und Insassen von Konzentrationslagern bis zum Tode
trugen die Alliierten. Die Richter der Siegerstaaten be- hatten arbeiten lassen. Insgesamt 177 Angeklagten wurde
dauerten, daß keine wirklich neutralen Personen zu Ge- der Prozeß gemacht, 35 wurden freigesprochen. Diese
richt saßen; aber Rache war nie ihr Ziel. Das Verfahren zwölf Verfahren, bei denen nur amerikanische Richter
wurde in vier Sprachen abgehalten. Es war der Öffent- auf der Richterbank saßen, trugen zur weiteren Klärung
lichkeit zugänglich. Jeder sollte sehen können, daß die des Völkerrechts bei und machten deutlich, daß Verbre-
Prozesse der Nachwelt als Empfehlung dienen wollten, chen gegen die Menschlichkeit auch dann bestraft werden
indem sie das große Ziel der Menschheit erfüllten, Ge- können, wenn sie in Friedenszeiten begangen wurden.
rechtigkeit zu tun. Die Nazigrößen erhielten ein faires Mit dieser Position stellte sich das amerikanische Richter-
Verfahren, welches sie selbst niemandem gewährt hatten. gremium gegen die zuvor vom IMT vertretene Ansicht.
Einige Angeklagte wurden freigesprochen. Daß feindli- Das Recht wurde hierdurch in seiner Zielsetzung, die
che Gefangene dem Urteil des Gesetzes unterstellt wur- Menschheit zu schützen, einen weiteren Schritt vorange-
den, war, wie Jackson es formulierte, „einer der bedeu- bracht.
tendsten Tribute, den die Stärke jemals an die Vernunft
gezahlt hat.“ Im gleichen Zeitraum führte die US-Armee unter An-
wendung des Kriegsrechts in dem befreiten Konzentra-
Die Rechtsprechung der angesehenen Juristen der Alli- tionslager Dachau Prozesse durch. Angeklagt waren eine
ierten war eindeutig, umfassend und überzeugend. Die Anzahl gefangengenommener Lagerkommandanten so-
Richter verwiesen auf die vielen Verträge und internatio- wie Personen, die alliierte Soldaten ermordet hatten.
nalen Deklarationen, die den Angriffskrieg zu einem ille- Weitere Verfahren fanden sowohl in den anderen deut-
galen Akt erklärten („das schwerste internationale Verbre- schen Besatzungszonen als auch in Staaten statt, die von
chen“). Hierfür sei sogar ein Staatsoberhaupt zur Re- deutschen Truppen überfallen worden waren. Die Ver-
chenschaft zu ziehen. Das Gericht zeichnete die Ursprün- fahren entsprachen im wesentlichen den Nürnberger Pro-
ge der Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach. Die zessen. Sie trugen zur wachsenden Substanz des interna-
Richter vertraten die Auffassung, daß die Charta des Tri- tionalen Strafrechts bei. Im Fernen Osten bestellte Ge-
bunals kein neu geschaffenes Recht darstellte, das nur da- neral Douglas MacArthur, Oberbefehlshaber der Alliier-
zu bestimmt gewesen wäre, die Deutschen zu bestrafen. ten Streitkräfte in dieser Region, nach dem Vorbild der
„Das Recht ist nicht statisch“, befand das Tribunal, „son- IMT-Charta Tribunale, vor denen sich japanische Be-
dern durch fortlaufende Anpassung folgt es den Bedürf- fehlshaber für Aggression, Kriegsverbrechen und Ver-
nissen einer sich verändernden Welt.“ Das IMT stellte brechen gegen die Menschlichkeit zu verantworten hat-
fest, daß Angriffskrieg und Verbrechen gegen die Mensch- ten. Viele Japaner vertraten die Ansicht, die amerikani-
lichkeit Verletzungen anerkannter rechtlicher Normen schen Atombomben auf Hiroshima seien gleichfalls als
seien. Seine Rechtsprechung basierte auf gerade in der Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen. Sie
Entstehung begriffenem Gewohnheitsrecht. Zugleich ging empfanden insofern die gegen die Japaner gerichteten
das IMT über die bisherige Rechtsauffassung einen be- Verfahren als heuchlerisch und unterstellten ihnen, mehr
grüßenswerten, längst überfälligen Schritt hinaus. Die Rache als Gerechtigkeit zu sein. In eine ähnliche Rich-
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Policy Paper der Stiftung Entwicklung und Frieden
tung ging auch Richter Pal aus Indien, der dem Tribunal
chen entschuldigt oder der Strafjustiz entzogen wer-
in Tokyo angehörte und alle 28 Angeklagten freigespro-
den können. Die Begehung solch unermeßlichen Un-
chen hätte. In einer abweichenden Meinung vertrat er die
rechts setzt fast unweigerlich die Mitwirkung eines
Auffassung, daß alle Nationen einen Teil der Verantwor-
Staates voraus. Deshalb kann nur ein ständiges inter-
tung für den Krieg und seine unvermeidbaren Folgen zu
nationales Tribunal, das bereits besteht, bevor Ver-
tragen hätten.
brechen begangen werden, den Angeklagten ein fai-
res Verfahren und den Opfern mehr Sicherheit bie-
Empfehlungen:
ten, daß ihnen Gerechtigkeit zuteil wird.
● Damit man wirklich von Gerechtigkeit sprechen ● Prinzipien müssen die Oberhand gegenüber Poli-
kann, muß diese eindeutig sein und überall gleicher- tik und vermeintlichem Eigennutz gewinnen. Die
maßen auf jede Person angewendet werden. Tribu- durch die modernen Massenmedien alarmierte Welt-
nale, die von Siegermächten ins Leben gerufen wer- gemeinschaft muß informiert werden, wann immer
den, genießen - egal wie fair die Verfahren sein mö- und wo immer Verbrechen des hier behandelten Aus-
gen und wieviel Schuld die Angeklagten auf sich maßes zu geschehen drohen. Die Verhinderung un-
geladen haben - nur einen zweifelhaften Ruf, solange menschlicher Gewalt ist das Hauptziel, unilaterale
diejenigen, die zu Gericht sitzen, selbst einiger Taten Intervention jedoch ist nicht die Antwort. Neue multi-
schuldig sind, die von anderen verurteilt werden. nationale Institutionen müssen gegründet werden, um
Nürnberg strebte an, die Ächtung nur einiger Ver- Alarm zu schlagen. Sie müssen mit den nötigen Kom-
brechen zu erreichen: Verbrechen von solcher Schwe- petenzen ausgestattet werden, internationale Ver-
re, daß die Zivilisation ihre Wiederholung mög- brechen verhindern oder beenden sowie die Verant-
licherweise nicht überlebt hätte. Jede Kategorie von wortlichen strafrechtlich zur Verantwortung ziehen zu
Verbrechen, die in Nürnberg verurteilt wurde - die können. Diejenigen, in deren Macht das Schicksal von
Führung eines Angriffskrieges, Verbrechen gegen die Völkern steht, müssen wissen, daß die Mißachtung
Menschlichkeit und massive Verletzungen des Kriegs- fundamentaler Regeln moralischen Verhaltens nie-
rechts -, muß ebenso wie Völkermord universell mals toleriert werden kann und die für das Unrecht
geächtet bleiben. Die Suche nach präziseren Defi- Verantwortlichen auf jeden Fall zur Anklagebank der
nitionen sollte nicht dazu führen, daß diese Verbre- internationalen Gerechtigkeit geführt werden.
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Policy Paper der Stiftung Entwicklung und Frieden
oder ins Exil gezwungen wurden. Beispiele können in der berichteten. Durch diese Greueltaten wurde die „Säube-
früheren Sowjetunion, der VR China, Bangladesch, rung“ des Gebiets mit dem Ziel nationaler Vorherrschaft
Uganda, Kambodscha und anderswo gefunden werden. angestrebt. Der Sicherheitsrat ernannte eine Ermittlungs-
Unzählige unschuldige und hilflose Menschen wurden zu kommission, der der Rechtsexperte Prof. M. Cherif
Opfern von Aggression und von ungeheuerlichen Ver- Bassiouni von der amerikanischen dePaul Universität
brechen gegen die Menschlichkeit. Die internationale Ge- vorstand. Er bestätigte und dokumentierte abscheuliche
meinschaft versagte in ihrer Aufgabe, diese zu verhindern Grausamkeiten, welche an den Holocaust und Auschwitz
oder zu bestrafen - zu ihrer immerwährenden Schande! erinnerten. Die Zeit war gekommen - zum ersten Mal seit
den Nürnberger Prozessen -, um mit Hilfe des Völker-
Als 1974 ein kurzes Tauwetter in den amerikanisch- rechts diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die die Ver-
sowjetischen Beziehungen aufzog, gelang es durch die antwortung für solch schockierende internationale Verbre-
Zustimmung der Generalversammlung, einen Konsens chen trugen, welche nicht länger ignoriert werden konnten.
über die Definition des Verbrechens der Aggression zu
erreichen. Die entsprechende Deklaration der General- Empfehlung:
versammlung, die sich allerdings nicht mit dem Recht auf
● Staatsführungen müssen aufhören, die Vereinten
Selbstverteidigung befaßte, bestätigte, daß nur der Sicher-
Nationen als Sündenbock zu mißbrauchen. Es muß
heitsrat die Kompetenz habe, einen Angriffskrieg seitens
erkannt werden, daß die Organisation der Vereinten
eines Staates festzustellen. Die Definition enthielt eine
Nationen lediglich ein Instrument ist, welches ohne
Auflistung von Beispielen aggressiver Handlungsweisen,
ein Tätigwerden seiner Mitgliedstaaten zu handeln
erlaubte aber eine beachtliche Flexibilität bei der Ent-
nicht in der Lage ist. Frühe Entwürfe für einen inter-
scheidung, ob solche (oder auch andere) Handlungen als
nationalen Strafgerichtshof, die von den Vereinten
kriminell einzustufen seien. Als die Definitionshürde erst
Nationen mit Hilfe angesehener Experten erarbeitet
einmal überwunden war, forderte die Generalversamm-
wurden, zeigen, daß die Schaffung eines solchen Ge-
lung die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen
richts in kurzer Zeit möglich ist - allerdings nur, wenn
(International Law Commission, ILC) auf, die Arbeit an
der politische Wille hierzu vorhanden ist. Wichtige
den Entwürfen für den Code of Crimes und für das Statut
politische Führer, die sich weltweit in Schlüsselposi-
eines internationalen Strafgerichtshofes wiederaufzuneh-
tionen befinden, müssen gemeinsam den Mut auf-
men. Es war ein sehr langsamer Prozeß. In ihm spiegelte
bringen, Regeln für den internationalen Umgang zu
sich das Fehlen politischen Willens auf seiten der Ent-
akzeptieren, welche die Welt für jedermann sicherer
scheidungsträger wider.
machen. Sie sollten nachdrücklich ermutigt werden,
einem verbindlichen und durchsetzbaren Mindest-
Die Situation änderte sich dramatisch, als verläßliche
standard menschlichen Verhaltens zuzustimmen und
Fernsehberichte aus Jugoslawien 1992 erschütternde Bil-
durch ihn auch gebunden zu werden. Die Führungen
der von mißhandelten und verhungernden Gefangenen
der Welt sollten auf diesem Weg voranschreiten und
zeigten und über Massenvergewaltigungen Tausender
so den Weg weisen!
moslemischer Frauen durch die serbischen Streitkräfte
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Policy Paper der Stiftung Entwicklung und Frieden
Jedes neugeborene Kind muß zunächst krabbeln, bevor 1994 eskalierte in Ruanda ein grausamer Bürgerkrieg.
es laufen kann. Ähnliches gilt für Ad hoc-Tribunale. Der Angestachelt durch eine extremistische Elite, die die Re-
neue ICTY blieb dementsprechend nicht von Problemen gierung unter ihrer Kontrolle hatte, begann die dominan-
verschont. Wenig vorbildlich war die Kooperation mit te Volksgruppe der Hutu eine Kampagne zur Ausrottung
Staaten wie Serbien (ähnliches gilt für Kroatien und Bos- der in der Minderheit befindlichen Tutsi. Eine Ermitt-
nien), gegen deren Staatsangehörige das Tribunal Ankla- lungskommission des Sicherheitsrats bestätigte, daß etwa
ge erhob, deren Verfassungen jedoch eine Auslieferung eine halbe Million Tutsi - Männer, Frauen und Kinder -
verbieten. Zwei Umstände haben zudem den Respekt ge- sowie gemäßigte Hutu grauenvoll massakriert wurden.
mindert, der sowohl dem Sicherheitsrat als auch seinem Aufgehetzt durch ihre Führer, hackten Hutu-Milizen und
Ad hoc-Straftribunal entgegengebracht wird: zum einen Teile der Bevölkerung die Opfer in Stücke oder prügelten
die Tatsache, daß der Gerichtshof über keinerlei eigene sie zu Tode. Mächtige Staaten waren unwillig, in einen
Erzwingungsmechanismen verfügt; zum anderen das Ver- internen Konflikt einzugreifen, und nicht bereit zuzuge-
sagen der Staaten, Verdächtige festzunehmen, gegen die ben, daß sie einen Völkermord zulassen würden. Sie ver-
ein Haftbefehl besteht. Der frühere Führer der bosnischen säumten es, rechtzeitig einzugreifen und so das Morden
Serben, Radovan Karadzic, und der Kommandeur der ser- zu verhindern. Hunderttausende flohen in einer Atmo-
bischen Armee in Bosnien, Radko Mladic, die gravieren- sphäre des Terrors in die Nachbarstaaten, wo die Grau-
der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Mensch- samkeiten weitergingen. Im Juli 1994 erlangte die von
lichkeit beschuldigt werden, sind prominente Beispiele. Tutsi geführte Ruandische Patriotische Front (RPF) die
Es ist aber zu erwarten, daß das Zögern, die multinationa- Macht und versprach, Gerechtigkeit als Teil des Wieder-
len Truppen zur Verhaftung mit Haftbefehl gesuchter versöhnungsprozesses zu üben.
Verdächtiger einzusetzen, überwunden wird, sobald sich
die politische Situation weiter stabilisiert hat und die Ri- Der Sicherheitsrat reagierte auf das öffentliche Entsetzen
siken reduziert worden sind. David Scheffer, US-Son- - wenn auch verspätet - mit der erneuten Errichtung eines
derbotschafter für Kriegsverbrechen, warnte in Hinblick speziellen Straftribunals, um Massenmörder zur Rechen-
auf die mutmaßlichen Kriegsverbrecher kürzlich: „Ihr schaft zu ziehen und so zur Wiederherstellung des Frie-
Tag vor dem Jugoslawien-Tribunal wird kommen.“ dens beizutragen. Das Internationale Straftribunal für
Ruanda (International Criminal Tribunal for Rwanda,
Empfehlung: ICTR) wurde Ende 1994 mit der Resolution 955 ins
Leben gerufen und folgte dem Muster des ICTY. Ein
● Der Sicherheitsrat muß dem ersten von ihm ge-
internationaler Angriffskrieg war nicht Gegenstand der
schaffenen Gericht eine größere Unterstützung zuteil
Zuständigkeit des Gerichts; nur gravierende Verletzun-
werden lassen. Das Versagen, den ICTY bei der
gen von Menschenrechten wurden für strafbar erklärt.
Durchführung seines Mandats zu unterstützen, min-
Nur einige konkret aufgeführte Verbrechen, die im Jahr
dert den Respekt, der dem Sicherheitsrat selbst entge-
1994 in einem genau definierten Gebiet begangen worden
gengebracht wird und von dem die Weltordnung ab-
waren, wurden in die Zuständigkeit der internationalen
hängt. Der Präsident des Gerichtshofes hat von ern-
Strafverfolgung gestellt. Das Statut des ICTR erwähnt
sten Weigerungen zur Mitarbeit berichtet, insbe-
ausdrücklich, daß Völkermord, Kriegsverbrechen und
sondere darüber, daß per Haftbefehl gesuchte Ver-
Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch dann bestraft
dächtige nicht verhaftet wurden und daß der Zugang
werden, wenn der Konflikt - wie in Ruanda - kein interna-
zu Orten, an denen Verbrechen geschahen, sowie zu
tionaler, sondern ein innerstaatlicher war.
Zeugen und Beweismitteln verweigert wurde. Hier
muß der Sicherheitsrat darauf bestehen, daß die Staa-
Um Geld und Personal zu sparen, teilten sich das ICTY
ten ihren vorrangigen Verpflichtungen aus der UN-
und das ICTR denselben Chefankläger und die Beru-
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Policy Paper der Stiftung Entwicklung und Frieden
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Policy Paper der Stiftung Entwicklung und Frieden
versuchte in einem halben Dutzend langwieriger Sitzun- Gerichtshofes fallen sollte, nämlich Völkermord, Kriegs-
gen bei den Vereinten Nationen, eine Einigung zu errei- verbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
chen. Generalsekretär Kofi Annan, der sich auf das An- Zweifelhaft war dagegen, ob Verbrechen einbezogen wer-
liegen seines Vorgängers Boutros-Ghali beziehen konnte, den sollten, zu deren Eindämmung bereits spezielle Ver-
nannte den ICC „das Symbol unserer größten Hoffnun- träge bestehen: Greueltaten, terroristische Handlungen,
gen für die Einheit von Frieden und Gerechtigkeit“. US- Anschläge gegen UN-Personal und Drogenhandel. Denn
Präsident Clinton erklärte in der Generalversammlung diese Verträge sehen bereits adäquate Möglichkeiten der
Ende 1997: „Bevor das Jahrhundert endet, sollten wir Bestrafung vor. Norwegen schlug vor, daß weitere Straf-
einen ständigen Internationalen Gerichtshof schaffen, um taten später hinzugefügt werden könnten. Verbrechen,
die schwerwiegendsten Verletzungen des humanitären die durch andere Verträge bereits verboten sind (Treaty
Rechts strafrechtlich verfolgen zu können.“ Alle schienen Crimes), verblieben im Text als eingeklammerte Optio-
darin übereinzustimmen, daß ein ICC gebraucht würde. nen. Mit Ausnahme des Völkermords bedurfte die präzi-
Er sollte nur aktiviert werden, falls nationale Gerichte se Definition der Verbrechen weiterer Diskussion.
nicht bereit oder unfähig wären, die Straftäter zur Rechen-
schaft zu ziehen. Der ICC sollte durch einen Vertrag er- Die meisten Staaten (darunter Frankreich, Deutschland,
richtet werden, der allen Staaten offensteht. Er sollte eine Italien, Ägypten, Dänemark), eine große Anzahl kleiner
unabhängige und kompetente Instanz zur Aburteilung Staaten sowie die ILC und viele andere Rechtsexperten
nur der schwerwiegendsten internationalen Verbrechen bestanden darauf, daß das Verbrechen der Aggression in
und zudem „fair, effizient und wirksam“ sein. das Statut aufgenommen werden müßte. Denn die Aus-
lassung dieses „schwersten Verbrechens“ könnte als
Die Aufgabe bestand nun darin, das gemeinsame Anlie- nachträgliche Ablehnung der Nürnberger Prozesse und
gen in einem schlüssigen Text zusammenzuführen, der als stille Umkehrung von der Ächtung des Krieges selbst
von Juristen aus 185 Staaten akzeptiert werden kann - aus aufgefaßt werden. Einige Staaten (darunter die USA,
Staaten mit unterschiedlichen rechtlichen und sozialen Großbritannien, Rußland, China und Pakistan) waren
Systemen und einem möglicherweise unterschiedlich der Ansicht, daß der Begriff der Aggression für die An-
großen Engagement für das Ziel. Die Herausforderung wendung in einem Strafverfahren nicht angemessen defi-
war ein Test für Einfallsgabe und Einsatzwillen des Vor- niert sei und daß die Aufnahme in das Statut die Ein-
bereitungskomitees. In intensiven Bemühungen strebten beziehung des Sicherheitsrats erforderlich mache und da-
verschiedene Arbeitsgruppen nach einem Konsens über durch die Unabhängigkeit des Gerichts beeinträchtigen
jeden Artikel des vorgelegten Entwurfs. Die wichtigsten würde. Der Entwurf der ILC sah vor, daß kein Indivi-
Kontroversen betrafen folgende Punkte: duum der Aggression beschuldigt werden könnte, bis der
Sicherheitsrat eine Aggression seitens eines Staates fest-
● Wie wird der Gerichtshof errichtet?
gestellt hätte. Obgleich diese Bekräftigung der Verant-
● Welche Verbrechen fallen in die Zuständigkeit des
wortung des Sicherheitsrats lediglich dessen bestehende
ICC, und wie sollen sie definiert werden?
Pflichten (wie sie auch die UN-Charta und andere In-
● Welche Prinzipien des Strafrechts werden angewendet?
strumente vorsehen) unterstrich, löste sie beachtliche
● Wie wird die Zusammensetzung und Verwaltung des
Bedenken aus. Die deutsche Delegation unter der Lei-
Gerichts ausgestaltet?
tung von Hans-Peter Kaul drang auf einen Kompromiß
● Welche Befugnisse hat die Anklagevertretung bei den
bei der Definition, welcher Teile der Nürnberger Charta
Ermittlungen und bei der Erhebung der Anklage?
mit Auszügen aus der Konsensdefinition von 1974 ver-
● Welche Beweisregeln werden angewendet?
band. Um die Aufnahme der Aggression akzeptabler
● Wie hoch sollen die Strafen ausfallen?
erscheinen zu lassen, wurde weiterhin vorgeschlagen, die
● Wie sehen das Berufungs- und Revisionsverfahren aus?
Unabhängigkeit des ICC bei der Entscheidung über
● Über welche Vollstreckungsmechanismen verfügt das
Schuld oder Unschuld eines jeden individuell Verdäch-
Gericht?
tigen ausdrücklich hervorzuheben.
● Wie soll das gesamte Paket schließlich in die Tat um-
gesetzt werden?
Die Definition der Verbrechen gegen die Menschlichkeit
Als das PrepCom seine Arbeit am 3. April 1998 beendete, (ein Begriff, der von der Nürnberger Charta übernom-
war ein großer Fortschritt erzielt. Viele Differenzen - ge- men wurde) warf mehrere Fragen auf, allerdings nicht an-
kennzeichnet durch eckige Klammern um alternative nähernd so viele wie die Erläuterung aller Kriegsver-
Textvarianten - blieben jedoch ungelöst. Der Bericht des brechen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz
Komitees wird an die internationale Staatenkonferenz (IKRK) versucht seit mehr als 130 Jahren, Kriegsver-
gehen, die vom 15. Juni bis zum 17. Juli 1998 in Rom statt- brechen zu verhindern. Es listete etwa 50 verschiedene
findet. Sie wird sich der Herausforderung stellen müssen, Kriegsverbrechen auf und legte eine 35 Seiten umfassen-
die vielen Meinungsverschiedenheiten beizulegen, damit de Kommentierung zu ihrer Erklärung vor. Frauengrupp-
die Nationen auf dem Weg zu einer besseren Völker- en drängten besonders darauf, geschlechtsbezogene Ver-
rechtsordnung voranschreiten können. brechen wie Vergewaltigung, erzwungene Prostitution
und Sterilisation (gender crimes) sowie Verbote gegen
2. Offene Fragen den Einsatz von Kindern im Krieg zu definieren und in
das Statut aufzunehmen. Viele Delegierte waren der An-
a) Auswahl und Definition der Verbrechen
sicht, daß eine kürzere Auflistung oder die Einbeziehung
Es schien Übereinstimmung darüber zu herrschen, daß der bestehenden Genfer Konventionen durch einen Ver-
ein „harter Kern“ von Verbrechen in die Zuständigkeit des weis reichen würden.
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Policy Paper der Stiftung Entwicklung und Frieden
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Policy Paper der Stiftung Entwicklung und Frieden
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Policy Paper der Stiftung Entwicklung und Frieden
bracht werden. Es wurde noch keine Einigung erzielt Welt auszulöschen vermögen, ihm aber die Fähigkeit
über das Verhältnis des Gerichtshofes zu den Vereinten fehlt, ein relativ simples Statut zu entwerfen, das eine wei-
Nationen und darüber, wie das ICC finanziert werden soll tere Entwicklung in diese negative Richtung von Anfang
- ob durch den regulären UN-Haushalt (der den Launen an verhindern könnte. Diejenigen, die durch das Schick-
der Generalversammlung ausgesetzt ist), durch Mittel der sal in die Position gelangt sind, Entscheidungen zu tref-
Staaten, die dem Vertrag zur Errichtung des ICC beitre- fen, müssen endlich die Chancen für den Frieden ergrei-
ten, durch freiwillige Spenden oder aber eine Kombina- fen. Einen entsprechenden politischen Willen vorausge-
tion aller drei Möglichkeiten. Der Sitz des ICC wird setzt, kann ein Internationaler Strafgerichtshof gewiß
wahrscheinlich in Den Haag sein, aber Nürnberg hat Realität werden. Dies muß geschehen zum Wohl einer
ebenfalls angeboten, den Gerichtshof aufzunehmen. Wie menschlicheren und friedlicheren Welt. Die Rechtsge-
viele Staaten die Konvention unterzeichnen müssen, be- meinschaft sitzt über sich selbst zu Gericht und hat die
vor sie in Kraft treten soll, ist noch nicht entschieden; einzigartige Gelegenheit, sich selbst in ehrenwerter Weise
ebensowenig weiß man, wann die wichtigsten Staaten den freizusprechen.
neuen Vertrag wohl ratifizieren werden. All dies wird der
Generalversammlung Ende 1998 vorgelegt, die dann über Empfehlungen:
das weitere Vorgehen zu entscheiden haben wird.
● Es sollte jeder Versuch unternommen werden,
die größtmögliche Akzeptanz des geplanten Interna-
Eine Verschiebung kann der Sache abträglich sein und
tionalen Strafgerichtshofes zu erreichen. Wenn alle
das gesamte Ziel gefährden. Die Charta für das Nürn-
Meinungen zu dem Thema gehört worden sind, muß
berger IMT wurde in sechs Wochen formuliert und um-
der Streit ein Ende haben und entschlossenem Han-
faßte nur 30 Artikel. Viele andere perfekt geeignete Mo-
deln weichen. Die für das Inkrafttreten des Vertrages
delle wurden vor Jahren von den Vereinten Nationen und
erforderliche Zahl von Unterzeichnungen und Ratifi-
sachverständigen Organisationen entworfen. Das Statut
kationen sollte auf das zur Erreichung der Arbeits-
des Internationalen Straftribunals für das frühere Jugosla-
fähigkeit des Gerichts unverzichtbare Minimum re-
wien enthält nur 34 Artikel und wurde in ein paar Wo-
duziert werden und nicht höher als 50 sein. Die
chen fertiggestellt. Das gleiche gilt für das Ruanda-Tribu-
Finanzierung ist ein immer noch ungelöstes Problem.
nal. Geeignete Verfahrensordnungen für solche Gerichte
Zu Beginn sollten die zur Errichtung des ICC be-
gibt es bereits und können den Bedürfnissen eines neuen
nötigten Mittel dem regulären Haushalt der Verein-
ICC leicht angepaßt werden. Es ist sehr viel wichtiger,
ten Nationen entnommen werden, da die ärmeren
sich auf die wesentlichen Punkte zu konzentrieren, als zu
Staaten nicht bereit sein werden, Verpflichtungen
versuchen, jedes vorstellbare Problem vorherzusehen und
einzugehen, welche sie überfordern könnten. Aber
eine Einigung über jedes Detail zu erreichen. Der Wunsch
das Haushaltsbudget der Vereinten Nationen ist von
nach Einstimmigkeit und Universalität ist lobenswert,
Schwankungen bedroht und anfällig für politischen
aber ihm darf nicht gestattet werden, das Unterfangen zu
Druck, so daß es besser wäre, den Unterzeichnerstaa-
vereiteln oder sich zu einer Falle zu entwickeln, in der der
ten - so schnell wie möglich - die dauerhafte Finanzie-
kleinste gemeinsame Nenner zur Norm wird und mehr-
rung zu überantworten. Das Verhältnis zwischen den
deutige Bestimmungen das Fehlen einer wirklichen Ei-
Vereinten Nationen und dem ICC kann mit Hilfe
nigung verdecken.
einer späteren Vereinbarung festgelegt werden.
● Sobald die Schlußakte unterzeichnet ist, muß
Die Nürnberger Prozesse schufen einen Präzedenzfall und
energisch für die vorbehaltslose Ratifikation gewor-
hielten das Versprechen hoch, „niemals wieder“ würden
ben werden. Die Ratifikation des ICC-Gründungsver-
Aggression, Völkermord, Verbrechen gegen die Mensch-
trages durch demokratische Staaten, die ja Wähler-
lichkeit und Kriegsverbrechen ohne eine Bestrafung der
schaften mit unterschiedlichen politischen Überzeu-
Täter hingenommen werden. Die Welt hat bereits mehr
gungen haben, könnte längere Zeit in Anspruch neh-
als ein halbes Jahrhundert auf die Erfüllung dieses Ver-
men. Hier müssen die Nichtregierungsorganisationen
sprechens gewartet. Millionen unschuldiger Menschen ha-
eine Schlüsselrolle übernehmen und der Welt vermit-
ben die Unfähigkeit von Staatsführern, diesen Traum zu
teln, daß der Internationale Strafgerichtshof dem
erfüllen, teuer bezahlt. Ist die Welt auf Improvisationen
Frieden und somit einem öffentlichen Interesse dient,
des Sicherheitsrats angewiesen, damit diejenigen zur Re-
indem er die fundamentalen Menschenrechte aller
chenschaft gezogen werden, die den Namen der Mensch-
Völker schützt. Sie müssen ihre Kräfte bündeln und
heit beschmutzen? Grausame Verbrechen zu verurteilen
sich auf die Hauptziele konzentrieren, damit man
und dennoch nichts für die Schaffung eines ständigen
ihre Stimmen laut und deutlich durch alle Informati-
Gerichtshofs zur Verurteilung der Täter zu tun, bedeutet,
onsnetze der Welt ertönen hört: „Wir haben genug!“
die Opfer zu verhöhnen und mehr Unrecht herauszufor-
dern. Junge Menschen aus allen Teilen der Welt haben
Nürnberg hat sich erfolgreich der Vergangenheit ge-
sich Hunderten von Nichtregierungsorganisationen ange-
stellt. Die Entscheidungsträger in Rom müssen auf
schlossen, um sich für die Errichtung einer neuen univer-
dem Vorbild der Nürnberger Prozesse aufbauen und
sellen Institution einzusetzen, die sich zum Schutz funda-
haben die Zukunft zu bewältigen. Die Zeit ist reif:
mentaler Rechte der Menschen in aller Welt des Schutz-
Jetzt muß gehandelt werden!
schildes des internationalen Strafrechts bedienen kann.
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Policy Paper der Stiftung Entwicklung und Frieden
Autor
Prof. Benjamin B. Ferencz, der 1943 in Harvard promovierte (J.D. Harvard 1943), war im Rahmen der Nürnberger
Folgeprozesse Chefankläger in den Verfahren gegen die SS-Einsatzgruppen. Er leitete führende Organisationen
in Deutschland, die sich um die Entschädigung und Wiedergutmachung für Opfer der Nazi-Verfolgung kümmer-
ten. Er ist eremitierter Professor des Völkerrechts, Autor vieler Bücher und gefragter Referent zu Fragen des
Weltfriedens. Er möchte Tobias Debiel seinen besonderen Dank für dessen redaktionelle Anregungen aussprechen.
Mitunterzeichner
Prof. Richard J Goldstone ist Richter am Verfassungsgericht Südafrikas. Vom 15. August 1994 bis zum 30. Sep-
tember 1996 war er in Den Haag der gemeinsame Chefankläger für den Internationalen Strafgerichtshof für das
ehemalige Jugoslawien und den Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda.
Prof. Dr. jur. Bruno Simma ist Professor für Völkerrecht und Europarecht an der Ludwig-Maximilians-Universität
München. Von 1988 bis 1992 war er Professor of Law an der University of Michigan in Ann Arbor. 1987-1996 war
er Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zur Kontrolle des gleichnamigen
Paktes. Seit 1997 ist er Mitglied der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen.
Prof. Dr. jur. Christian Tomuschat ist Professor für öffentliches Recht, insbesondere Staats- und Völkerrecht, an
der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 1977 bis 1986 war er Mitglied des Menschenrechtsausschusses nach dem
Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Zwischen 1985 und 1996 war er Mitglied der Völker-
rechtskommission der Vereinten Nationen. Gegenwärtig ist er Koordinator der Kommission zur Aufklärung der
Vergangenheit in Guatemala.
Die Stiftung Entwicklung und Frieden wurde 1986 als eine gemeinnützige und überparteiliche Organisation ge-
gründet. Gründungsvorsitzender war Willy Brandt. Die Arbeit der Stiftung beruht auf drei Prinzipien: globale
Verantwortung, interdisziplinäre Sicht und überparteilicher Dialog. Für diese Orientierung bürgen heute die
Persönlichkeiten, die die Gremien der Stiftung leiten: Vorsitzender des Kuratoriums ist Ministerpräsident
Dr. h.c. Johannes Rau. Dem Vorstand gehören als Vorsitzender der Chef der Senatskanzlei des Landes Berlin,
Staatssekretär Volker Kähne, und seine Stellvertreter Staatssekretär a.D. Dr. Klaus Dieter Leister und
Prof. Dr. Franz Nuscheler an. Vorsitzender des Beirates ist Prof. Dr. Dieter Senghaas.
In der Reihe POLICY PAPER nehmen namhafte Experten Stellung zu drängenden Fragen der Weltentwicklung.
Auch damit will die Stiftung Entwicklung und Frieden sich intensiv an der politischen Diskussion über globale
Themen beteiligen und politische Handlungsempfehlungen geben. Die POLICY PAPERs erscheinen in unregel-
mäßiger Reihenfolge.
Ausgewählte Hefte aus der Reihe POLICY PAPER (Soweit nicht anders angegeben, sind die POLICY PAPER
in deutscher und englischer Sprache erschienen. Preis pro Heft: DM 5,00.):
7 Frieden durch Sanktionen? Empfehlungen für die deutsche UN-Politik. Von Manfred Kulessa und Dorothee
Starck, Dezember 1997.
6 Rio plus 10. Der deutsche Beitrag zu einer globalen Strategie für nachhaltige Entwicklung. Von Thomas Fues,
1997.
2 Global Governance. Herausforderungen an die deutsche Politik an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Von
Dirk Messner und Franz Nuscheler, 1996.
Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder.
Herausgeber:
Stiftung Entwicklung und Frieden (SEF), Gotenstr. 152, 53175 Bonn
Tel.: 0228 - 95925-0; Fax: 0228 - 95925-99; eMail: sef.bonn@t-online.de
Redaktion: Tobias Debiel
Deutsche Übersetzung: Heike Berger-Kerkhoff
© Stiftung Entwicklung und Frieden, Mai 1998