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„Empowerment” in Einrichtungen
und Diensten der Behindertenhilfe
2 „Empowerment” Impressum Ein Rahmenkonzept
in der Behinderten- der BBT-Gruppe
hilfe Juni 2012
Impressum
Rahmenkonzept „Empowerment”
in Einrichtungen und Diensten
der Behindertenhilfe
Herausgeber:
Barmherzige Brüder Trier e. V. (BBT e. V.)
Kardinal-Krementz-Strasse 1-5
56073 Koblenz
www.bb-trier.de
Redaktion:
Sarah Glessner (Barmherzige Brüder Rilchingen)
Alexander Nötzel (Barmherzige Brüder Saffig)
Ulrike Schmid (Barmherzige Brüder Schönfelderhof Zemmer)
1. Auflage 2012
Printed in Germany.
3
Inhalt
Vorwort
„Empowerment” – Mitbestimmung, 5
Mitwirkung und Selbstbestimmung für alle
„Empowerment & Coaching“ – 6
Inhaltlicher Kernansatz ressourcen-
bezogener Betreuung
Empowerment aus unserer Sicht 7
1.1 Definition 8
1.1.1 Empowerment 8
1.1.2 Coaching 9
1.2 Zielgruppen 9
1.3 Grundaussagen zum Empowerment 9
1.4 Gründe für die Einführung von 9
Empowerment-Konzepten –
Paradigmenwechsel im Kontext
sozialer Arbeit
5 Ausblick 15
„Empowerment” – Mitbestimmung,
Mitwirkung und Selbstbestimmung für alle
Das vorliegende Konzept stellt einleitend in ausführlicher Aus Trägerverantwortung heraus verweisen wir deshalb
Weise die Genese und das Grundverständnis von „Empo- darauf, die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen zur
werment“ als wertschätzende und fördernde Haltung der praktischen Umsetzung des Empowermentkonzeptes, die
Selbstständigkeit und Befähigung der Menschen mit Behin- in den Kapiteln 2.3 und 3 benannt werden, gut im Blick
derungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dar. Auch zu halten. Insbesondere ist es uns als christlichem Träger
wenn mit diesem Ansatz in den Einrichtungen der Behin- aus Fürsorge gegenüber unseren Klienten und Bewohnern
dertenhilfe in der BBT-Gruppe bereits seit langem und in wichtig, dass Empowerment nicht zu einem übergestülpten
bewährter Weise gearbeitet wird, bietet das nun vorliegende Pflichtkonzept und damit zur potenziellen Überforderung
Konzept einen Gesamtüberblick und ermöglicht eine interne Einzelner wird (s. S. 14). Empowerment, die Selbstbestim-
wie externe Darstellung der professionellen Arbeit. mung des eigenen Lebens, schließt immer auch die Befä-
Der Empowermentansatz geht von einem positiven Men- higung der Übernahme der Verantwortung für sich und
schenbild aus und hat die Kompetenzen und Ressourcen jedes andere ein. Verantwortung kann und darf nicht einseitig
einzelnen Menschen im Blick. Die Grundhaltung entspricht ausgelegt werden, sondern muss immer in Beziehung des
dem christlichen Menschenbild, wie es in den Grundsätzen Einzelnen gegenüber Dritten gestaltet und gelebt werden.
und Leitlinien des Trägers zum Ausdruck gebracht wird. Empowerment ist die Voraussetzung für Inklusion, doch
Empowerment als ein Konzept zur Entwicklung und Stärkung setzt das Gelingen dieses Ansatzes auch die Vorbereitung
persönlicher Fähigkeiten und Kompetenzen des Bewohners/ des gesellschaftlichen Umfeldes voraus, in dem die Klienten
Klienten nimmt den für die heutige Betreuungsethik zentra- leben und möglicherweise arbeiten.
len Wert der Autonomie ernst. Ziel ist, die gleichberechtigte Die Reichweite des Empowermentansatzes ist somit auch
Teilhabe von Menschen mit Einschränkungen am Leben in zum Schutz der uns betreuten Menschen gut im Blick zu hal-
der Gesellschaft zu ermöglichen, wie sie im Grundgesetz und ten. Grenzen des Empowermentansatzes sehen wir darin gege-
Behindertengleichstellungsgesetz zum Ausdruck kommt ben, dass entweder die Klienten oder deren Umwelt durch
(s. S. 14 – Konzept). Überforderung, Mangel an Ressourcen und damit begrenzter
Auf der Basis unseres christlichen Gottes- und Menschen- Begleitung überfordert sind oder auch dadurch, dass Klienten
bildes und vor dem Hintergrund der im Konzept dargestell- selbstschädigende Vorstellungen und Zielsetzungen verfolgen
ten rechtlichen Aussagen begrüßen wir den Empowermen- und entsprechend fachliche Begleitung ablehnen. In derarti-
tansatz als Grundlage der Arbeit mit den Bewohnern und gen Situationen ist eine explizite ethische Beratung sinnvoll.
Klienten im Ressort 4 im Hinblick auf die aktuelle Thematik Uns ist es aus unserer christlich-sozialen Verantwortung
der gesellschaftlichen Inklusion der Menschen mit Behinde- heraus wichtig, auch den Blick auf die geschöpflichen
rungen. Dieser erweiterte gesellschaftliche Ansatz erfordert Grenzen eines jeden Menschen und einer jeden sozialen
ein Mehr an Begleitung und Beratung durch Coaching und Gemeinschaft nicht zu verlieren. Werden die Grenzen der
andere fachliche Unterstützung. personellen, der sozialen wie auch der finanziellen Ressour-
Von unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wird cen nicht beachtet, können der gute Ansatz und das damit
eine offene, auf Augenhöhe begleitende Grundhaltung verbundene Ziel ins Gegenteil verkehrt werden.
erwartet sowie eine ethische und rechtliche Kompetenz in Die sicher nicht einfachen ethischen Abwägungsprozesse
der Abwägung von Autonomie, fachlicher Fürsorge und setzen qualifizierte Mitarbeiter voraus. Dafür Sorge zu tra-
der Nicht-Schadens-Verantwortung des Klienten/Bewohners gen, liegt im Verantwortungsbereich der jeweiligen Haus-
Dritten gegenüber. und Bereichsleitungen.
Vor mittlerweile ca. fünfzehn Jahren wurde der personen- Das geht nur, wenn die Betreuten und Klienten über die
zentrierte Ansatz in den Mittelpunkt der Betreuungsarbeit Fähigkeit verfügen, eigene Entscheidungen zu treffen, als
gestellt. Die Erbringung der Hilfeleistung sollte sich an den Individuum das Gefühl haben, etwas bewegen zu können,
individuellen Bedürfnissen orientieren, nicht die Defizite und wenn professionelle Beziehungsarbeit zum Ziel hat, die
vordergründig betrachten, sondern in erster Linie die Fähig- Kompetenzen der Klienten zu stärken.
keiten und Ressourcen in den Blick nehmen. Empowerment und Selbstbefähigung bedeuten aber auch
Die individuelle Hilfeplanung, heute begleitet durch den das Mitwirken und die Beteiligung an Gremien in den Ein-
THP (Teilhabeplan), wurde als gemeinsam zu bearbeitender richtungen und in der Ablauforganisation. Hier wurde im
Prozess von Betreuern und Klienten als elementarer Betreu- Ressort 4 ein Netzwerk gebildet, um Inhalte zu transportieren
ungsbaustein etabliert und konzeptionell verankert. und die Mitwirkung an allen Standorten zu ermöglichen. Es
Viele unserer Betreuten und Klienten waren und sind aber gibt in den Einrichtungen Empowermentbeauftragte, die
aufgrund ihrer Krankheitssymptomatik nicht in der Lage, ihre dies gewährleisten. Koordiniert wird dieses Netzwerk von
Fähigkeiten bzw. Ressourcen entsprechend ihrer jeweiligen der Netzwerkleitung Behindertenhilfe. Die Beauftragten der
Lebenssituation einzubringen bzw. ihre Rechte, Bedürfnisse jeweiligen Einrichtungen bilden zusammen mit interessier-
und Wünsche zu realisieren und am Betreuungsprozess mit- ten Betreuten und Klienten das Netzwerk Empowerment
zuwirken. Mitwirken bedeutet an der Stelle, die eigenen und haben die Konzeption „Empowerment und Coaching“
persönlichen Ressourcen wie Zuversicht, Selbstvertrauen, erstellt. Bestandteile der Konzeption sind unsere Ziele, eine
positives Selbstwertgefühl und ein stabiles Selbstsystem zu Ist-Analyse, unsere Haltung zu Empowerment, Methoden
entwickeln, um die persönlichen Interessen im täglichen zur Umsetzung, aber auch Grenzen von Empowerment. Die
Umgang miteinander zu vertreten. Insofern ist das nochma- Konzeption wird allen Interessierten zur Verfügung stehen
lige Entdecken der eigenen Fähigkeiten unabdingbar, um und dient als Leitlinie für unsere Umsetzung von sozialpsy-
Empowerment persönlich umsetzen zu können. chiatrischer Betreuungsarbeit.
Zieldimensionen von individueller Betreuung sind meines An dieser Stelle nehme ich die Gelegenheit wahr, mich
Erachtens: „Nichts ohne meine Person – Antworten auf die bei allen Kolleginnen, Kollegen, Klientinnen und Klienten
Bedürfnisse der Klienten entsprechend ihres definierten im Ressort 4 zu bedanken, die aktiv am Empowerment und
Bedarfes finden – die Kompetenzen der Klienten stärken.“ Coaching-Prozess teilnehmen und ihn tagtäglich leben.
Albert Mandler
Netzwerkleitung
Ressort 4 Behindertenhilfe
7
Jeder Mensch sollte über sein eigenes Leben selber ent- In unseren Einrichtungen wird der Empowerment-Gedanke
scheiden können. Diese Möglichkeit ist bei manchen Men- aktiv gelebt. Es gibt verschiedene Mitwirkungsgremien, wie
schen, aufgrund ihrer Beeinträchtigung, in einigen Lebens- die Bewohnervertretung und den Werkstattrat. Außerdem
bereichen eingeschränkt. Genau da benötigt dieser Mensch gibt es verschiedene Arbeitskreise, in denen Klienten und
dann Unterstützung. Darüber hinaus bleibt er aber ein Mitarbeiter gemeinsam Ideen zum Thema „Selbstbestim-
Mensch, der das Recht auf ein weitgehend selbstbestimm- mung und Mitwirkung“ entwickeln. Somit bleibt dieses
tes Leben hat. Es ist wichtig, dass beeinträchtigte Men- Thema immer aktuell. Auch im Alltag gibt es genügend
schen ernst genommen werden. Sie sollten an den Entschei- Möglichkeiten, sich zu entfalten und zu beteiligen. Nicht
dungen, die ihr Leben mitbeeinflussen, beteiligt werden. bevormundet zu werden ist eine wichtige Voraussetzung für
In einer Einrichtung bedeutet dies, dass seitens der Mit- ein erfülltes Leben. Dies ist auch in Einrichtungen möglich.
arbeiter dem Klienten ein größtmögliches Maß an Selbst-
bestimmung und Mitwirkung eingeräumt wird. Die Unter-
stützung sollte wirklich nur da einsetzen, wo es notwendig
ist. Kein Mensch möchte bevormundet werden, egal, ob er
eine Beeinträchtigung hat oder nicht. Empowerment zielt
genau darauf ab. Der Mensch soll in seinen Möglichkeiten
der Selbstbestimmung, Mitwirkung und in seinen Fähigkeiten
gestärkt werden.
Diese Definitionen betonen die aktive Aneignung von 1.4 Gründe für die Einführung von
Macht, Kraft und Gestaltungsmöglichkeiten durch die Empowerment-Konzepten – Paradigmen
Betroffenen selbst. wechsel im Kontext sozialer Arbeit
Neben den angeführten Gründen für die Einführung von 2.2 Gesetzliche Grundlagen
Empowerment-Konzepten, haben auch die Haltung des
Trägers – abgebildet in den Grundsätzen und Leitlinien des Auch wenn bis heute nicht alle Forderungen umgesetzt
„Barmherzigen Brüder Trier e.V.“ sowie gesetzliche Vor- sind, für die sich Rechtsbewegungen für unterdrückte
gaben (z.B. Grundgesetz, Landesgesetz über Wohnformen und benachteiligte Gruppen eingesetzt haben, ist in der
und Teilhabe, UN-Behindertenrechtskonvention, Wohnbe- deutschen Verfassung der Schutz der Würde, Mitwirkung,
treuungsvertragsgesetz) – dazu beigetragen, den Empower- Selbstbestimmung und Selbstverantwortung eines jeden
ment-Gedanken in den Einstellungen und Haltungen der Menschen verankert.
Mitarbeiter zu verankern und die Voraussetzungen dafür Die verfassungsrechtliche Grundlage bildet dabei das
zu schaffen, dass sie im Alltag und täglichen Miteinander Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG)3:
gelebt werden können. Artikel 1: (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Artikel 2: (1) Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner
Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer
2.1 Haltung des Trägers verletzt (...)
Artikel 3: (1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
Ausgehend von einem christlichen Menschenbild ist es (3) (...) Niemand darf wegen seiner Behinderung
Zielsetzung der Barmherzigen Brüder, eine zeitgemäße benachteiligt werden.
Umsetzung des Heilsauftrages Jesu im Dienst der Menschen Ziel des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen
zu leisten. So wurde der Grundauftrag des Ordens und (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG4) ist es, „die
der Dienstgemeinschaft seit Peter Friedhofen (1819-1860) Benachteiligung von behinderten Menschen zu beseitigen
immer wieder durch den gesellschaftlichen Wandel, das sich und zu verhindern sowie die gleichberechtigte Teilhabe
ändernde Selbstverständnis der Menschen und den damit von behinderten Menschen am Leben in der Gesellschaft
verbundenen Bedarfen zur Aktualisierung herausgefordert. zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebens-
Am Anfang des 21. Jahrhunderts ist es für eine moderne führung zu ermöglichen.”
sozialpsychiatrische Einrichtung daher unerlässlich, eine Darüber hinaus stärkt das Landesgesetz über Wohn-
Auseinandersetzung mit den Zielen und Inhalten des Empo- formen und Teilhabe (LWTG) die Rechte der Bewohner auf
wermentansatzes zu führen, zumal die Autonomie in der Mitwirkung und Mitbestimmung in Bezug auf die Wahl und
ethischen Abwägung von Werten und Gütern im Gesund- Gestaltung ihrer Wohnsituation.
heits- und Sozialwesen als zentraler Wert angesehen wird. Der Aspekt Arbeiten findet im Behindertenrecht mit dem
Wichtig ist festzuhalten, dass es Empowerment in unseren Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) – Rehabilitation und Teilhabe
Einrichtungen nicht erst seit Aufkommen dieses Begriffs behinderter Menschen –, in der Werkstättenverordnung
gibt, sondern es auch schon vorher gelebt wurde. sowie der Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (WMVO)
seinen Niederschlag. § 139 des SGB IX regelt die Mitwirkung
Dafür gibt es eine Vielzahl von Beispielen: von beeinträchtigten Menschen im Arbeitsbereich einer
– Mitwirkung bei der individuellen Planung der Hilfen anerkannten Werkstatt.5
– regelmäßige Gruppenbesprechungen und Bewohner Die Werkstättenverordnung fordert eine angemessene
versammlungen Mitwirkung in den die Interessen der beeinträchtigten Men-
– Regelkommunikation von Bewohnervertretung und schen berührenden Angelegenheiten der Werkstatt.6
Werkstattrat mit der Leitungsebene Wichtige Grundaussagen zur Stärkung der Rechte beein-
– Einbindung der Bewohnervertretung und des Werk- trächtigter Menschen und deren Gleichstellung in der
stattrates in Entscheidungsprozesse der Einrichtung Gesellschaft wurden von den Vereinten Nationen im Jahre
2006 durch die UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) auf
den Weg gebracht. Dabei handelt es sich um einen völ-
kerrechtlichen Vertrag, der bereits bestehende Rechte für
Menschen mit Beeinträchtigungen konkretisiert und auf
deren Lebenssituation anpasst.
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Der Vertrag wurde inzwischen von zahlreichen Ländern Aus diesem demokratischen Grundverständnis heraus hat
unterzeichnet und ratifiziert. In Deutschland trat die Kon- sich in unseren Einrichtungen ein Netzwerk aus verschie-
vention am 26. März 2009 in Kraft. densten Gruppen und Gremien gebildet, die nach innen
Ziel der UN-Konvention ist es, Chancengleichheit und und außen wirken.
Gleichstellung zu fördern sowie Diskriminierung zu unter-
binden. Exemplarisch seien folgende genannt:
Eine zentrale Bedeutung hat dabei das Prinzip der „Sozi- – Werkstattrat
alen Inklusion“. Dies bedeutet, dass beeinträchtigte Men- – Bewohnervertretung
schen im vollen Umfang an der Gesellschaft teilhaben und – Mitarbeitervertretung
einbezogen werden sollen. – verschiedene Arbeitskreise und Projektgruppen
– Hauszeitungen
2.3 Voraussetzungen – christliche Gesprächskreise
– Gruppenbesprechungen
Um den gesetzlichen Grundlagen nachzukommen, bedarf – Supervisionsgruppen
es gewisser organisatorischer Voraussetzungen. – Freizeit-, Sport- und Kulturgruppen
Neben der Bereitstellung von Räumlichkeiten und – Kundenrückmeldeverfahren
Arbeitsmaterialien bieten unsere Einrichtungen und Dien- – Bewohner- und Vollversammlungen
ste allen Klienten und Mitarbeitern die Möglichkeit, sich in – Unterstützung durch Beauftragte für Empowerment
verschiedenen Gruppen und Gremien zu engagieren und und Coaching
einzubringen. – Arbeitskreis Mitwirkung und Selbstbefähigung
Jede dieser Gruppen kann bei Bedarf externe Unterstüt- – Teilnahme an Mitwirkungs- und Veränderungsprozessen
zung in Anspruch nehmen. Dies könnte beispielsweise ein
Coach für die Bewohnervertretung, ein Supervisor für ein Die Grundsätze und Leitlinien der BBT-Gruppe bringen zum
Team oder eine Fortbildung sein. Ausdruck: „Nur informierte Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
Als Träger von sozialen Einrichtungen sind wir Teil der ter sind auf Dauer motiviert.“7
freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsordnung. Das zeigt Dies gilt auch für die Klienten. Es gibt daher eine Vielzahl
sich auch darin, dass wir immer dort, wo unsere Interessen von Fort-, Weiterbildungs- und Kulturangeboten für Kli-
betroffen sind, nach außen hin Stellung zum politischen enten und Mitarbeiter. Diese Angebote haben in unseren
und gesellschaftlichen Geschehen in Gemeinde, Land und Einrichtungen einen hohen Stellenwert, sie werden finan-
Bund beziehen. Zum anderen leben wir Demokratie auch ziell und organisatorisch unterstützt. Alle Beteiligten haben
nach innen. dabei die Gelegenheit, sich fachlich, methodisch, sozial,
Jeder Klient und Mitarbeiter ist dazu eingeladen, seine persönlich und ethisch weiterzubilden.
Meinungen, Anregungen und Wünsche nach seinen Mög-
lichkeiten einzubringen.
Klienten und Mitarbeiter haben hierfür verschiedene
Umgangskulturen entwickelt:
– Anliegen werden gehört und berücksichtigt.
– Informationen werden zeitnah zur Verfügung gestellt.
– Regelmäßiger Austausch auf und zwischen allen
Ebenen findet statt.
– Entscheidungen werden unter Abwägung aller
Sichtweisen getroffen.
– Organisatorische Strukturen können mit beeinflusst
werden.
12 „Empowerment” 3. Umsetzung von Ein Rahmenkonzept
in der Behinderten- Empowerment in der BBT-Gruppe
hilfe unseren Einrichtungen Juni 2012
Die Praxis des „Empowerment“ unterstützt Menschen bei 3.1 Bedeutung von Empowerment
ihrer Suche nach Selbstbestimmung und autonomer Lebens- in unseren Einrichtungen
regie und stellt ihnen Ressourcen zur Verfügung, mit deren
Hilfe sie die eigenen Lebenswege und Lebensräume eigen- Empowerment ist nicht nur als Methode, sondern auch als
bestimmt gestalten können. professionelle Haltung zu sehen. Es stellt im Idealfall den
Das eigentliche Empowerment kann dabei nur von den Hintergrund sozial-professioneller Berufsidentität dar.
Betroffenen selbst erbracht werden. Die Aufgabe der pro- Dies erfordert eine Neugestaltung der Rolle von professi-
fessionell Tätigen ist es, Empowerment-Prozesse zu fördern, onellen Helfern – Unterstützungsangebote müssen mit den
notwendige Rahmenbedingungen zu schaffen und beste- Klienten besprochen und ausgehandelt werden. Der Klient
hende Hindernisse zu beseitigen. wird somit Auftraggeber für soziale Leistungen.
Dabei werden Mitarbeiter und Klienten von den Beauf- Der Mitarbeiter stellt konsequent die Förderung der vor-
tragten für Empowerment und Coaching unterstützt. Diese handenen Stärken und Fähigkeiten in den Vordergrund der
tragen unter anderem dazu bei, dass Klienten ihre Mitwir- Klientenarbeit.
kungsrechte realisieren können und unterstützen sie bei der Dadurch hat sich die praktische Arbeit wesentlich verän-
Wahrnehmung ihrer Interessen. dert (vgl. Kapitel 1.4).
Da wir ständig neuen Situationen und Gegebenheiten Zur Förderung der vorhandenen Ressourcen eignet sich
ausgesetzt sind, ist es notwendig, sich den damit verbun- insbesondere der methodische Ansatz der „Psychoedukation“.
denen Veränderungen zu öffnen. Im Rahmen dieses Angebotes geht es nicht nur um Informa-
Erhalt und Weitergabe von (neuen) Informationen sind tionsvermittlung und Aufklärung im Hinblick auf die Beein-
wichtige Quellen, um auf diese Veränderungen zu reagie- trächtigung. Vielmehr werden mit dem Klienten verschiedene
ren. Manchmal benötigen wir die Hilfe oder den Rat eines Problemlösungs- und Krisenbewältigungsstrategien sowie
anderen Menschen, um an unsere Fähigkeiten zu gelangen unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten erarbeitet.
und diese zu aktivieren. Auch das „Training Sozialer Kompetenzen“ ermöglicht
Der Mitarbeiter, der in Beziehung zum Klienten tritt, eine Stärkung der eigenen Fähigkeiten. Hier werden unter
sollte sensibel auf dessen Fähigkeiten, Bedürfnisse, Vorstel- anderem mit Hilfe von Rollenspielen verschiedene Alltags-,
lungen und Ziele reagieren. Krisen- und Problemsituationen dargestellt und reflektiert.
Er motiviert den Klienten, Verantwortung zu übernehmen, Eine konstruktive Auseinandersetzung mit subjektiv als
um mittelfristig eigene Entscheidungen treffen zu können. belastend oder schwierig empfundenen Situationen führt
Es entsteht ein individueller Unterstützungsrahmen, den zu einem gestärkten Selbstvertrauen und einer Steigerung
der Klient unter Einbeziehung des Hilfeplaninstruments der Selbstständigkeit.
(IHP/THP) aktiv mitgestaltet, und in dem beide auf Augen-
höhe miteinander arbeiten. Eine weitere Möglichkeit des Empowerment erschließt sich
Der Mitarbeiter hat die Möglichkeit, im Hinblick auf Ehr- in der Teilnahme an Selbsthilfegruppen, um als und mit
lichkeit, Verlässlichkeit, Offenheit und soziales Miteinander „Experten in eigener Sache“ gemeinsame Bewältigungsstra-
eine Vorbildfunktion für die Klienten einzunehmen. tegien zu erarbeiten, Erfolg und Misserfolg zu reflektieren
Ein Loslösen von einengenden Denkschablonen ist und sich gegenseitig auszutauschen.
gewünscht, kreativen Ideen wird Raum gelassen und neue All diese „Methoden“ werden getragen von einer wert-
Wege können erprobt werden. schätzenden Atmosphäre und Grundhaltung, die auch
Freiraum geben appelliert an die Selbstbestimmung des Ausdruck des christlichen Selbstverständnisses der Einrich-
Klienten und bedeutet für den Mitarbeiter, sich auf profes- tungen des BBT e.V. ist.
sionelle Art „zurückzunehmen“. Es ist unabdingbar, dass auch Mitarbeiter sich selbst
Solche Strukturen ermöglichen in den Einrichtungen die „empowern“. Sie übernehmen im Rahmen ihres Dienstes für
aktive Einflussnahme des Einzelnen. Darüber hinaus erlau- die Einrichtung Verantwortung und beziehen Stellung für
ben sie die Bildung von Interessengemeinschaften. andere und sich selbst – Reflexion des eigenen beruflichen
Der „Empowerment-Gedanke“ darf jedoch kein über- Handelns wie auch die gemeinsame Reflexion, vom Dialog
gestülptes Pflichtkonzept sein – Klienten, die sich aus ihrer bis zum Mehrpersonen-Setting, sind dabei von Bedeutung.
Lebenssituation heraus für eine klare Nicht-Teilnahme ent- Dies gelingt beispielsweise, wenn die Möglichkeit besteht
scheiden, finden auch hierfür die Akzeptanz und fördernde – sich auszutauschen,
wie unterstützende Begleitung der Mitarbeiter. – sich zu hinterfragen,
Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen entwickeln – sich gegenseitig zu stärken,
oft ihre ganz eigenen Ansätze, sich selbst zu helfen – Krank- – sich zu motivieren,
heitssymptome können sogar Lösungsversuche sein, um ein – Fähigkeiten wahrzunehmen,
seelisches Ungleichgewicht auszugleichen. Dieses Potenzial – Ressourcen zu schonen.
gilt es, in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen und Ver-
trauen in die Selbstbemächtigung des Klienten zu haben.
14 „Empowerment” 4. Grenzen von Ein Rahmenkonzept
in der Behinderten- Empowerment der BBT-Gruppe
hilfe Juni 2012
Wie bereits in Kapitel 2.2 beschrieben wurde, hat jeder auch haben muss, um das Zusammenleben von Menschen
Mensch ein Recht auf die „freie Entfaltung seiner Persön- überhaupt zu ermöglichen. Es wird aber auch deutlich, dass
lichkeit“ und somit auf ein selbstbestimmtes Leben. die Ausübung der „Selbstbestimmung“ unumgänglich mit
Allerdings hat Autonomie auch Grenzen. Denn dort, dem „Tragen der Konsequenzen“ und der „Übernahme
wo die Rechte anderer Menschen verletzt werden, findet von Verantwortung“ verbunden ist. Die Forderung, ein
Selbstbestimmung ihre Einschränkungen. Dies gilt auch im selbstbestimmtes Leben führen zu können, ist existenziell
Hinblick auf die begrenzten wirtschaftlichen Ressourcen wichtig, die damit verbundenen Pflichten sind aber ebenso
im Gesundheits- und Sozialwesen und damit für unsere von Bedeutung und dürfen keinesfalls außer Acht gelassen
Einrichtungen. werden.
Im Arbeitsfeld der Psychiatrie gibt es immer wieder
Folgendes Beispiel soll dies verdeutlichen: Grenzsituationen. So kann es für den Mitarbeiter ein Spa-
In der Ortschaft ist Tempo 50 km/h erlaubt. Da mir dies gat sein, zwischen der Selbstbestimmung des Klienten, der
heute aber viel zu langsam ist, entscheide ich mich für die fachlichen Einschätzung und der vertraglich vereinbarten
Anwendung meines Grundrechts auf Selbstbestimmung und Fürsorgepflicht abzuwägen: Es gibt beispielsweise eine
fahre mit Tempo 100 km/h durch die Ortschaft. Grenze zwischen ungewöhnlicher Wohnraumgestaltung
Dadurch mache ich mich nicht nur strafbar, sondern und Verwahrlosung; zwischen dem Konsum von Alkohol
gefährde mich und andere Menschen erheblich. Für ein als Genuss oder als Substanz, die gefährdendes Verhalten
solches Verhalten müsste ich dann sämtliche Konsequenzen auslösen kann. Widersprüchlichkeiten gehören zum Leben
tragen. An diesem kurzen Beispiel kann man erkennen, dass und müssen personen- und situationsgerecht verhandelt
das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben Grenzen hat und werden.
15
5. Ausblick
Literatur Fußnoten
Ditschler, Kurt (2001): 1 Herriger 2006, S. 20
Die Werkstatt für behinderte Menschen im neuen 2 vgl. Knuf/Osterfeld/Seibert 2007, S. 21-27
SGB IX. – (Arbeitshilfen für die Praxis, 41), Northeim: CDIT-Verlag 3 vgl. Stascheit, Hrsg. 2002, Kap. 1
4 vgl. Stascheit, Hrsg. 2002, Kap. 151
Grundsätze und Leitlinien (2006): Hrsg. Barmherzige 5 vgl. Stascheit, Hrsg. 2002, Kap. 150
Brüder Trier e.V., 6. Auflage, Koblenz 6 vgl. Ditschler 2001, S. 48
7 Grundsätze und Leitlinien 2006, S. 15
Herriger, Norbert (2006): Empowerment in der Sozialen Arbeit. Eine Einfüh- 8 vgl. Ditschler 2001, S. 48
rung. – 3. erw. und aktual. Auflage, Stuttgart: Kohlhammer
Stascheit, Ulrich (Hrsg. 2002): Gesetze für Sozialberufe. Stand: BGBI. I Nr. 58
vom 20. August 2002. – (Recht soz: Nomos-Texte), 9. Auflage, Baden-Baden:
Nomos