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Mit der demografischen Entwicklung, der steigenden Zahl hoch- Gemeinsam mit Praktikern aus Krankenhäusern, stationären und
betagter Menschen und damit verbunden der wachsenden Zahl ambulanten Pflegeeinrichtungen wurden Handlungshilfen für die
chronisch und multimorbid erkrankter Personen, erlangt das Thema Praxis erarbeitet, um Impulse und Anregungen durch Wissenstransfer
›Pflege‹ sowohl auf der individuellen als auch auf der gesellschaft- für den Arbeitsalltag zu geben und damit einen Beitrag zur Verbes-
lichen Ebene einen höheren Stellenwert. Dieser Bedeutungszuwachs, serung der Arbeitsbedingungen zu leisten. Um einen engen Bezug
die neuen Herausforderungen und die steigenden Anforderungen zur und einen stetigen Austausch mit der Pflegepraxis herzustellen,
an Pflege verlangen Antworten, wie Pflege zukunftsfähig gestaltet wechselten sich im Projektverlauf Workshops mit Beteiligung der
werden kann. Heute sind die Arbeitsbedingungen in der Pflege oft Praxiseinrichtungen und Verarbeitungsphasen durch die Autoren ab.
durch hohe körperliche und psychische Belastungen, Zeitdruck und Dabei ging es weniger darum, neues Wissen zu generieren als viel-
ungünstige Arbeitszeiten charakterisiert, was zu hohen Kranken- mehr darum, das bereits vorliegende theoretische und praktische
ständen und geringer Verweildauer im Beruf führt. Zudem wirken Wissen für die Praxiseinrichtungen in geeigneter Form nutzbar zu
sich Belastungen der Beschäftigten direkt auf die Pflegequalität aus. machen. Allen Mitwirkenden war dabei wichtig, solche Inhalte und
Die Herausforderungen in der Pflege bedürfen einerseits einer Aspekte innerhalb der Themenfelder zu bearbeiten, die über ein
gesellschaftlichen Lösung, sie dürfen nicht individualisiert werden. Verbesserungs- bzw. Veränderungspotenzial auf der betrieblichen
Andererseits sollen und müssen die Akteure der Praxisfelder ihre Ebene verfügen.
Gestaltungsspielräume erkennen und nutzen, um die heutigen und Entstanden sind sechs Handlungshilfen, die praktische Empfeh-
zukünftigen Herausforderungen meistern zu können. lungen und Anregungen für die Pflegepraxis geben, Hintergründe
Anknüpfend an den ganzheitlichen Ansatz des Memorandums beleuchten, Sachverhalte darstellen, Gute-Praxis-Beispiele vorstellen
›Für eine neue Qualität der Arbeit in der Pflege‹ haben das Institut und als Impuls- und Ideengeber fungieren sollen, um neue Wege in
Arbeit und Technik, Gelsenkirchen, und seine Kooperationspartner in der betrieblichen Praxis zu denken und ggf. auch zu gehen.
dem Projekt ›Handlungshilfen für die Pflegepraxis‹ sechs Themen
aus dem Pflegealltag bearbeitet, die besondere Belastungen für die
Beschäftigten darstellen:
Inhalt 5 Vorwort
15 3 Gut ankommen!
Den Einstand neuer Führungskräfte erfolgreich gestalten
29 6 Führung im Dialog
Besprechungen erfolgreich gestalten
43 9 Führungsaufgabe Kündigung
Trennungsgespräche fair gestalten und durchführen
47 10 Literaturhinweise
Gute Führung in der Pflege 5
Vorwort
›Führung macht den Unterschied‹ – was zunächst nach die sich an der Entwicklung der Handlungshilfe durch
einem Gemeinplatz klingt, hat heute zweifellos auch für ihre Erzählungen, die zur Verfügung gestellten Beispiele
Pflegeeinrichtungen seine Gültigkeit. Die vorliegende guter Praxis, das offene Feedback zu den Beiträgen und
Handlungshilfe will, angesichts der immer unüberschau- viele wertvolle Beiträge engagiert beteiligt haben.
barer werdenden Literatur zu diesem Thema, kompri-
miert und prägnant das aktuelle Fachwissen zum Thema
präsentieren und darüber hinaus tragfähige Praxisempfeh-
lungen bereitstellen. Die Auswahl der Handlungsfelder
erfolgte im Rahmen des INQA-Projekts Handlungshilfen
für die Pflegepraxis mit den teilnehmenden Praxiseinrich-
tungen. Wir bedanken uns herzlich bei den Einrichtungen,
6 Kompetent, menschlich, erfolgreich
Gute Führung in der Pflege 7
›Führung‹ ist kein abstraktes Geschehen. Bei der Führung 4. Sozial-kommunikative Kompetenz verstanden als die
von Mitarbeitern geht es darum, auf Basis einer dyna- Fähigkeit, sich mit anderen zusammen- und auseinan-
mischen Beziehung zwischen Menschen gemeinsam derzusetzen, kreativ zu kooperieren und zu kommuni-
anspruchsvolle Arbeitsziele zu erreichen. Die folgenden zieren.
Hinweise zu guter Führungspraxis sind deshalb sehr
konkret. Sie wurden aus der langjährigen, intensiven Übertragen auf die Situation in Pflegeeinrichtungen lassen
Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Führungskräften sich aus diesem Modell folgende Anforderungen an
aus stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen, erfolgreiche Führungskräfte ableiten:
Krankenhäusern und Kliniken im Rahmen von Qualitäts-
entwicklungsprojekten, Workshops und Coachings abge- Personale Kompetenz zeigt sich darin, dass Führungs-
leitet und durch gezielte Einzelinterviews mit ›erfolg- kräfte
reichen‹ Führungskräften untermauert. Bei der Frage – gezielt Prioritäten setzen und die Aufgaben, die erledigt
danach, was eine erfolgreiche Führungskraft auszeichnet, werden sollen, sorgfältig auswählen. Sie nutzen weni-
kristallisiert sich ein Kompetenzprofil heraus, das an ge Ziele mit hoher Relevanz, um sich selbst und die
folgenden Eckpunkten verdeutlicht werden soll: Mitarbeiter auf etwas zu konzentrieren und Ergebnisse
und Resultate zu erzielen.
1. Personale Kompetenz verstanden als die Fähigkeit, sich – eine produktive Grundhaltung im Umgang mit den
selbst gegenüber klug und kritisch zu sein, produktive Mitarbeitern entwickelt haben: ›making out the best of
Einstellungen, Werthaltungen und Ideale zu entwickeln. ordinary people‹.
– sich nicht hinter externen Vorgaben verstecken, son-
2. Aktivitäts- und Handlungskompetenz verstanden als dern eine klare eigene Position vertreten.
die Fähigkeit, alles Wissen und Können, alle Ergebnisse – eine konsequent kundenorientierte Einstellung ent-
sozialer Kommunikation, alle persönlichen Werte und wickelt haben und diese glaubhaft vorleben.
Ideale auch wirklich willensstark und aktiv umsetzen zu – die aktuelle Qualität der eigenen Dienstleistung rea-
können. listisch einschätzen (ohne zu beschönigen oder das
aktuelle Niveau als der Weisheit letzten Schluss zu
3. Fachlich-methodische Kompetenz verstanden als die betrachten).
Fähigkeit, mit fachlichem und methodischem Wissen
gut ausgerüstet auch schwierige Probleme schöpfe-
risch zu bewältigen.
8 Kompetent, menschlich, erfolgreich
Aktivitäts- und Handlungskompetenz zeigt sich darin, – gute Leistungen der Mitarbeiter erwarten, fordern und
dass Führungskräfte fördern.
– klare Vorstellungen davon haben, wo sie ›hinwollen‹ – sich von Mitarbeitern trennen, wenn deutlich wird,
und eine in den eigenen Werten fundierte, vertiefte dass die Zusammenarbeit nicht funktioniert.
Vorstellung von der Gestaltung der Dienstleistungen
haben. Sozialkommunikative Kompetenz zeigt sich darin, dass
– bewusst mit konkreten, reflektierten und von den Führungskräfte
Mitarbeitern mitgetragenen Zielen arbeiten. – einen aktiven Austausch über Veränderungen mit ihren
– ›Vollgas‹ geben (Ressourcen zur Verfügung stellen, Mitarbeitern suchen und diese dabei unterstützen, mit
Rahmenbedingungen schaffen, Mitarbeiter unter- den Veränderungen umzugehen.
stützen etc.), wenn entschieden wurde, dass etwas – die Angemessenheit ihres Führungshandelns im Dialog
Bestimmtes gemacht werden soll. mit den Mitarbeitern überprüfen und eine offene
– genau prüfen, inwiefern und mit welchem Aufwand Feedback-Kultur vorleben.
extern erhobene Anforderungen in der Einrichtung um- – grundsätzlich bereit sind, eine auf Kontinuität ange-
gesetzt werden sollen. Die Mitarbeiter erleben so, dass legte offene Arbeitsbeziehung mit den Mitarbeitern zu
Führung primär die Aufgabe wahrnimmt, optimale gestalten.
Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Mitarbei- – die individuellen Kompetenzen und Ressourcen der
ter sich auf das ›Kerngeschäft‹ konzentrieren können. Mitarbeiter genau kennen und berücksichtigen.
– einen ›langen Atem‹ haben bei der Zielverfolgung. – ihre Mitarbeiter in all ihrer Unterschiedlichkeit mögen.
Sie lassen sich durch Widerstände, Rückschläge nicht – für Mitarbeiter ansprechbar sind, wenn diese (nicht nur
demotivieren oder aufhalten. arbeitsbezogene) Probleme haben.
– die Wirksamkeit der vorgenommenen Veränderungen – sich nicht aufspielen und keine hierarchische Distanz
überprüfen. kultivieren.
Frage: Wie gehen Sie vor, wenn wichtige Ent- wicklungen anzustoßen. Damit habe ich gute Was bedeutet ›Wertschätzung‹ für Sie?
scheidungen getroffen werden müssen? Erfahrungen gemacht. Langfristig führt das Ich versuche, den Mitarbeitern mit einer
Frau Mauer: Für mich als PDL ist es wich- dazu, dass die Mitarbeiter sich zunehmend wertschätzenden Haltung zu begegnen.
tig, strukturiert vorzugehen und wo immer selber trauen, Lernbedarfe anzumelden. Wich- Wichtig finde ich, dass ich mich wirklich für
sinnvoll und möglich, Feedback aus der Praxis tig ist, dass sie die Verantwortung für ihr Tun die Mitarbeiter interessiere. Damit meine ich
einzuholen. Ein Beispiel dazu: Kürzlich sollte behalten. nicht, private Geschichten zu erzählen. Für
ein neues Infusionssystem eingeführt werden. mich bedeutet, Mitarbeiter wertzuschätzen,
Ich habe das System zunächst in der Stations- Möglichst selbstständig und eigenverantwortlich wenn ich mich für ihre Potenziale interessiere,
leitungsrunde vorgestellt. Danach habe ich arbeitende Mitarbeiter wünscht sich wohl jede ihre Meinung zu fachlichen Themen ernst-
die Mitarbeiter aufgefordert, Argumente pro Führungskraft. Welche Erfahrungen haben Sie haft anhöre und wenn ich den Mitarbeiter
und contra zu sammeln. Im nächsten Schritt in Ihrer Führungspraxis mit dieser Thematik unterstütze, sich noch weiterzuentwickeln.
konnten die Mitarbeiter das Pro und Contra gemacht? Auf diesem Weg wächst langsam auch das
diskutieren. In solchen Diskussionsrunden Man kann die Mitarbeiter nicht ›über einen Vertrauen, persönliche Themen anzusprechen
halte ich mich inhaltlich zurück. Ich möch- Kamm scheren‹. Will ich gut führen, muss ich und sich näher kennenzulernen. Das ist mei-
te die Argumente der Mitarbeiter wirklich mich auf die Mitarbeiter einstellen. Grund- ne Art zu führen. Damit habe ich bislang gute
kennenlernen. Wichtig ist für mich aber auch, sätzlich ist mir wichtig, dass die Mitarbeiter Erfahrungen gemacht.
Diskussionen zu begrenzen, denn irgend- ihr Potenzial einbringen können, dass sie
wann sind alle Argumente genannt. Dann so weit wie möglich selbstständig arbeiten Machen Sie alles mit sich selber aus oder gibt
steht die Entscheidung an. können. Wenn es klappt, dann kann ich es auch für Sie Orte, wo Sie sich von anderen
den nächsten Schritt gehen und noch mehr Unterstützung holen?
Wie gestalten Sie die Beziehungen zu Ihren Verantwortung übertragen. Aber auch in die Ich habe gelernt, mir selber Unterstützung
Mitarbeitern? andere Richtung: Wenn es nicht klappt, Mit- zu holen durch Coaching oder kollegiale
Ich trenne sehr deutlich Privates und arbeiter überfordert sind oder Verantwortung Beratung, wenn ich in einer Frage nicht
Berufliches. Ich weiß nicht, ob das unbedingt nicht wahrnehmen können oder wollen, muss weiterkomme. Ich brauche immer wieder die
sein muss. Aber mir hilft es, eine Beziehung ich einen Schritt zurückgehen. Reflexion und den Blick von außen auf meine
aus einer guten und professionellen Distanz Führungstätigkeit.
aufzubauen. Das irritiert vielleicht manche Was sollte eine gute Führungskraft in der Pflege
Mitarbeiter. Aber je länger sie mich kennen, noch mitbringen? Können Sie uns noch ein ›Erfolgsgeheimnis‹
umso mehr können sie diese Form der Bezie- Die Dinge sachlich und gerecht betrachten verraten?
hung akzeptieren oder sogar wertschätzen. zu können und aufgeschlossen zu sein für die Kontinuität ist wichtig. Geplant vorzuge-
Argumente der Mitarbeiter. Sich nicht unter hen. Einen langen Atem haben und Dinge, die
Wie gehen Sie vor, wenn Sie bei Mitarbeitern Druck setzen zu lassen und damit eigene man für wichtig hält auch konsequent umset-
Defizite erkennen? Emotionen möglichst im Griff zu haben. zen. Damit wird man auch für die Mitarbeiter
Wichtig finde ich, offen und ehrlich zu Denn wenn Sie als Führungskraft unter Druck berechenbar. Nichts ist schlimmer, als immer
kommunizieren. Gerade auch, wenn ich bei geraten, werden Sie von Ihren Emotionen wieder neue Dinge anzufangen und nichts
Mitarbeitern Defizite erkenne, spreche ich gesteuert. Das führt meist dazu, dass Sie zu Ende zu bringen. Damit unterminiert man
diese offen an. Aber nicht anklagend, sondern unbesonnen handeln, zu früh ›loslegen‹ oder die Motivation der Mitarbeiter ganz entschei-
so, dass ich versuche, Impulse zu setzen, Ent- einfach selber ›kopflos‹ werden. dend.
10 Gute Einstellungen zahlen sich aus
Gute Führung in der Pflege 11
Wie Sie vorgehen können – Nutzen Sie das Bewerberinterview zur ›Kompetenz-
– Erstellen Sie ein klares Anforderungsprofil für die zu diagnostik‹! Sie können dazu einen Interviewleitfaden
besetzende Stelle! Es enthält neben den fachlichen erstellen. Der Interviewleitfaden enthält Fragen, mit
Anforderungen (Kenntnisse der Expertenstandards, denen die zu beurteilenden Kompetenzen ›fassbar‹
Fähigkeit zur Pflegeplanung usw.) die gewünschten gemacht werden sollen. Mit den Fragen bitten Sie die
wesentlichen überfachlichen Kompetenzen (wie Kom- Bewerber, eigene erlebte Situationen zu schildern, in
munikationsfähigkeit, Teamfähigkeit, Kundenorientie- denen es z.B. auf Kommunikationsfähigkeit ankommt
rung u.a.). Erst auf dieser Basis können Sie fundierte und das eigene Verhalten oder die eigene Vorgehens-
Entscheidungen treffen. weise zu beschreiben. Die Fragen können Sie direkt aus
– Konzentrieren Sie sich auf wenige erfolgsentscheiden- den von Ihnen erstellten Definitionen ableiten!
de Anforderungen!
– Definieren Sie, was Sie genau unter z.B. Kommuni- Einige Fragebeispiele zur Kompetenzermittlung
kationsfähigkeit verstehen! Woran zeigt sich in der
Kommunikationsfähigkeit:
Praxis gute Kommunikationsfähigkeit?
»Schildern Sie eine Situation, in der es Ihnen beson-
ders gut und deutlich gelungen ist, zuzuhören und auf
Beispiel: ›Kommunikationsfähigkeit‹
Ihren Gesprächspartner einzugehen!«
– Geht auf andere offen und wohlwollend, aber
»Berichten Sie über ein Gespräch mit einer Ihnen
ohne Distanzlosigkeit zu
eher unangenehmen Person. Beschreiben Sie Ihr eige-
– Legt in allen – auch in schwierigen und konflikt-
nes Verhalten im Gespräch mit dieser Person!«
geladenen – Situationen ein gutes, beherrsch-
tes Auftreten an den Tag Lernbereitschaft:
– Ist in der Lage, schnell Kontakte zu knüpfen »Berichten Sie von einer Tätigkeit, die neu für Sie war,
und auszubauen Sie richtig herausforderte und dazu zwang, etwas
– Besitzt und zeigt Wertschätzung gegenüber Neues zu lernen!«
seinem Gesprächspartner »Jeder von uns kennt aus eigener Erfahrung miss-
– Kann zuhören und geht auf Gesprächspartner ein liche berufliche Situationen. Schildern Sie eine solche,
die Sie erlebt haben. Was haben Sie aus ihr gelernt?«
– Legen Sie Ihren Bewertungsmaßstab im Rahmen des
Auswahlverfahrens fest! Es genügt nicht, aufgrund Mit diesen Fragen können Sie – im positiven Sinne –
der in den Bewerberunterlagen vorliegenden Angaben ›nachbohren‹, d.h., Sie können das Erfahrungslevel der
auf vorhandene oder nicht vorhandene Kompetenzen Bewerber sehr genau erkunden. Es wird zudem schnell
zu schließen. deutlich, inwieweit die befragten Personen überhaupt
schon solche Situationen erlebt und auf welchem Level sie
diese bewältigt haben. Dokumentieren Sie im Auswahlge-
spräch die jeweiligen Bewerberantworten und bewerten
Sie diese methodisch und systematisch! Eine Bewertungs-
skala unterstützt dabei Ihren Bewertungsprozess:
Gute Führung in der Pflege 13
3 Gut ankommen!
Den Einstand neuer Führungskräfte erfolgreich gestalten
Viele Neubesetzungen von Führungspositionen in der Sie fühlt sich zunehmend isoliert. Auch die Heimleitung
Pflege scheitern innerhalb eines Jahres. Negative Auswir- rückt mehr und mehr ab. Frau Horten fühlt sich ungerecht
kungen für alle Beteiligten sind kaum zu vermeiden: Die behandelt und bereut bald den Wechsel. Sie fragt sich,
Einrichtung muss die Stelle neu besetzen, die gescheitere welche Perspektive sie noch hat. Eine Geschichte eines
Führungskraft büßt Selbstvertrauen und möglicherweise ›verpatzten‹ Wechsels. Ein Einzelfall? Sicher nicht!
Karriereperspektiven ein, die Mitarbeiter werden verun-
sichert. Ein Beispiel: Im Bewerbungsgespräch hat die
Heimleitung vom ›frischen Wind‹ gesprochen, den sie
sich von der neuen WBL Frau Horten erhofft. Einige ›altge-
diente‹ WBL seien nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Frau
Horten startet daher mit viel Schwung und Elan und will
neue Konzepte schnell umsetzen. Sie ist sicher, über die
volle Rückendeckung der Heimleitung zu verfügen. Vier
Monate später ist sie kurz davor, das Handtuch zu werfen.
Der Grund: Sie hatte sich viel zu schnell darauf konzen-
triert, was man alles anders machen kann. Die anderen
WBL fühlten sich dadurch unter Druck gesetzt und in ihrer
bisherigen Arbeit entwertet. Die Mitarbeiter ihres Wohn-
bereichs hatten zunächst große Erwartungen in die neue
WBL gesetzt. Endlich würde der bisher etwas vernachläs-
sigte Wohnbereich in ein besseres Licht gesetzt werden.
Doch auch sie fühlten sich durch das Tempo der Verände-
rung entwertet. Als Frau Horten noch zwei offensichtliche
Fehler passieren, verlieren sie zunehmend das Vertrauen.
Für Frau Horten wird der Alltag immer mühevoller.
16 Gut ankommen!
Was Sie wissen sollten tigt. Ein Beispiel: Frau Müller wurde als neue PDL in
Warum scheitern so viele Führungswechsel in der Pflege? einer stationären Pflegeeinrichtung eingestellt, um die
Sie scheitern, weil dortige desolate Pflegesituation zu verbessern. Schnell
– Einrichtungen bei der internen Besetzung von Füh- bringt sie notwendige Veränderungsmaßnahmen auf
rungspositionen immer noch ›hoch ausgeprägte den Weg. Jedoch: Die drei Maßnahmen mit der höchs-
Fachlichkeit‹ mit ›Führungskompetenz‹ gleichsetzen. ten Priorität waren von den WBL unter der alten PDL
Führungspositionen werden dann intern mit der fach- bereits vorgeschlagen worden. Sie konnten sich damit
lich besten Pflegekraft besetzt. nur nicht durchsetzen. Frau Müller ist schnell erfolg-
– Einrichtungen bei der internen Besetzung von Füh- reich und erntet die Lorbeeren. Die WBL ziehen mit.
rungspositionen oft froh sind, wenn sich überhaupt Dennoch beobachten sie die Entwicklung mit ›gemisch-
jemand findet, der ›den Job‹ übernehmen will. Auf die ten Gefühlen‹ aus Hoffung, Konkurrenz und der Verge-
Prüfung der Voraussetzungen wird weitgehend ver- genwärtigung des eigenen vergangenen Scheiterns.
zichtet.
– Einrichtungen meist keine Karriereplanung oder Talent- Wie Sie vorgehen können (als Einrichtung)
management vornehmen und bei der Besetzung frei- – Bemühen Sie sich aktiv um den eigenen Führungs-
gewordener Führungsstellen nur kurzfristig reagieren kräftenachwuchs!
können.
– Einrichtungen sich zu sehr auf die Erfüllung formaler Beispiel: Sozialholding Mülheim
Voraussetzungen verlassen. Die neue WBL gilt als ge- Die Sozialholding Mülheim ist Träger mehrerer
eignet, weil sie eine Qualifizierung zur WBL absolviert stationärer Pflegeeinrichtungen und eines ambu-
hat. lanten Pflegedienstes. Im Zusammenhang mit der
– die neue Führungskraft nicht über die Voraussetzungen Entwicklung der Leistungsangebote wurden u.a.
und Kompetenzen verfügt, die sie für eine erfolgreiche neue Führungsstrukturen eingeführt. Frei gewor-
Tätigkeit braucht. Die auswählende Einrichtung hat die dene und neu geschaffene Führungspositionen
Defizite im Bewerbungsverfahren zwar ›erahnt‹, aber sollten möglichst intern besetzt werden. Um zu
nicht thematisiert. Diese werden in den ersten Wochen klären, ob Mitarbeiterinnen der eigenen Einrich-
und Monaten sichtbar, können dann aber nicht kurz- tungen bereit und fähig zur Übernahme von Füh-
fristig durch Supervision oder Schulungsangebote kom- rungsverantwortung waren, lud man interessierte
pensiert werden. Mitarbeiter zu einem Informationstag ein. Die
– Vorgesetzte ihre Erwartungen nicht klar äußern. Still- Resonanz war überraschend groß. Zunächst in-
schweigend wird davon ausgegangen, dass die neue formierte die Geschäftsführung über die weiteren
Führungskraft ›schon verstehen wird, auf was es geplanten Entwicklungen und die sich daraus erge-
ankommt‹. Auf der anderen Seite versäumen neue benden Chancen zur Übernahme von Führungspo-
Führungskräfte oft, Erwartungen der Vorgesetzten, der sitionen in der Pflege. Im Anschluss erhielten die
Kollegen und der Mitarbeiter in Erfahrung zu bringen. Mitarbeiter Gelegenheit, in Kurzvorträgen zu vorab
Sie tun dies nicht, weil sie Angst haben, als unsicher ausgegebenen Fragestellungen das persönliche
zu erscheinen und ›krempeln lieber die Ärmel hoch‹ Wissen und Erfahrungen vorzustellen. Aus der Art
und fangen an. der Präsentation konnten erste Hinweise gewon-
– die neue Führungskraft die wahren Hintergründe des nen werden, welches interne Führungspotenzial
Wechsels nicht ausreichend versteht oder berücksich- zur Verfügung steht.
Gute Führung in der Pflege 17
– Gehen Sie bei der (Neu-)Besetzung von Führungspo- – Gehen Sie überlegt vor! Lassen Sie sich Zeit und
sitionen sorgfältig vor. Erstellen Sie ein detailliertes sichten Sie die Themen der Einrichtung, des Bereichs
stellenbezogenes Sollprofil und ein bewerberbezogenes oder des Teams! Machen Sie sich erst ein eigenes
Ist-Profil! Bild, bevor Sie loslegen! Nutzen Sie dazu unterschied-
– Klären Sie die Erwartungen an die neue Führungskraft! liche Quellen und Perspektiven, z.B. externe Prüfbe-
Berücksichtigen Sie dabei auch die spezifischen Rah- richte oder Ergebnisse von Audits oder Mitarbeiter-
menbedingungen, die die neue Führungskraft vorfin- und Kundenbefragungen. Studieren Sie die vorliegen-
den wird! So sollte im Auswahlverfahren der Führungs- den Fakten!
stil der ausgeschiedenen Stationsleitung thematisiert – Lernen Sie die Stärken und Ressourcen kennen, auf die
werden. Sie bauen können und nutzen Sie sie! Welche Prozesse
– Teilen Sie Ihre Erwartungen der neuen Führungskraft laufen besonders gut und reibungslos? Über welche
mit und klären Sie genau, inwieweit diese den Erwar- Stärken und Kompetenzen verfügen die Mitarbeiter?
tungen gerecht werden kann und will! Welche Kooperationen bestehen und bringen gute Er-
– Sorgen Sie dafür, dass die neue Führungskraft in der gebnisse? Welche Innovationen wurden in den letzten
Einarbeitung sorgfältig begleitet wird! Jahren erfolgreich umgesetzt?
Mit einem systematischen Vorgehen können Sie die not- Sonderfall interne Besetzung
wendigen Voraussetzungen schaffen, um ein stimmiges Frau Werner war lange Jahre Pflegekraft in einer chirurgi-
›Programm‹ zu erstellen, mit dem Sie Vorgesetzte, Mitar- schen Station. Nach dem Ausscheiden der alten Stations-
beiter und andere Interessengruppen überzeugen und mit leitung hat sie die Position übernommen. Seitdem ist alles
dem Sie Ihren langfristigen Führungserfolg sicher auf die ganz anders. Im Kreis der neuen Stationsleitungskollegen
Bahn bringen können. Ein solches Programm sollte fühlt sie sich unsicher und unvertraut. Auf der anderen
Seite hat sich das Verhältnis zu den ehemaligen Kollegin-
– auf die besonderen Bedingungen der Einrichtung zuge- nen verändert. Frau Werner vermisst bald die zwanglose
schnitten sein. Damit ist es glaubwürdig und vertrau- und selbstverständliche Art des Umgangs. Und: Die ehe-
ensfördernd. maligen Kolleginnen verhalten sich anders. Es kommt vor,
– ambitioniert sein und herausfordernde Ziele enthal- dass Gespräche im Dienstzimmer verstummen, wenn sie
ten. Damit wirkt es motivierend und orientierend. eintritt. Auch spaßige Bemerkungen wie »sollen wir dich
Insbesondere Teams, die ›schlechte Ergebnisse‹ erzielt jetzt siezen?« nimmt sie mit gemischten Gefühlen auf.
haben, erwarten ein schlüssiges Programm, das einen Irgendwie fühlt sie sich außen vor.
›wirklichen Schritt nach vorne‹ ermöglicht.
– deutlich machen, dass es die wesentlichen in der Ver- Was Sie wissen sollten
gangenheit erzielten Errungenschaften bewahren Auf den ersten Blick erscheint der Wechsel aus dem
wird. Damit wirkt es wertschätzend und respektvoll. Team in die Vorgesetzten-Position einfach und bequem.
Deshalb: Sagen Sie nicht nur, was Sie verändern Der ›interne Aufsteiger‹ kennt Mitarbeiter, Abläufe und
wollen, sondern auch, was Sie aus welchen Gründen Besonderheiten der Einrichtung. Oft wird jedoch nicht
unbedingt erhalten wollen. ausreichend gesehen, dass der Wechsel voraussetzungs-
Gute Führung in der Pflege 19
reich und störanfällig ist. Pflegeteams bilden meist eine – Suchen Sie aktiv die Zugehörigkeit auf der Ebene der
Kultur aus, in der Gleichheit und wechselseitige Solidarität gleichgestellten Führungskräfte! Suchen Sie den Erfah-
dominieren und Rangunterschiede überstrahlen oder rungsaustausch auf dieser Ebene!
ganz ignorieren. Wechselt ein Teammitglied in die Rolle – Teilen Sie Ihrem Team mit, wie Sie in der Führungs-
des Vorgesetzten, dann ist der Rangunterschied nicht zu position die Zusammenarbeit gestalten wollen!
leugnen. Die Aufgabe der neuen Vorgesetzten besteht nun
darin, den hierarchischen Wechsel in einer neuen Art des Praxisbeispiel
Verhaltens und der Kommunikation zu vollziehen. Dies ist
kein einmaliger Akt. Oft sprechen ›interne Aufsteiger‹ von Managementnachwuchs erfolgreich entwickeln:
der Einsamkeit in der neuen Rolle. Die Hohenhonnef GmbH
Wie Sie neue Führungskräfte aus dem Team beim Die Hohenhonnef GmbH ist Träger von Einrichtun-
Wechsel in die neue Position unterstützen können gen in der Behindertenhilfe und hat sich verpflichtet,
– Inszenieren Sie den Wechsel in die Führungsposition! eigenen Mitarbeitern interessante Karrierepers-
– Trauen Sie der neuen Führungskraft zu, den Wechsel pektiven zu bieten. So werden Mitarbeitern mit
aus eigener Kraft zu schaffen! Führungspotenzial Sonderaufgaben übertragen,
– Gehen Sie davon aus, dass der Wechsel Zeit braucht sie werden zu internen Experten für bestimmte
und zwischendurch Irritationen und ›Durchhänger‹ Themen qualifiziert oder erhalten die Möglichkeit,
selbstverständlich auftreten werden! Führungsaufgaben (Moderation von Arbeitskreisen
– Zweifeln Sie in solchen Fällen nicht an der Führungs- und Besprechungen usw.) wahrzunehmen. Auf
kompetenz der neuen Führungskraft! diese Weise lernen Mitarbeiter, das Geschehen aus
– Beachten Sie die Hierarchie von Beginn an! Das heißt: neuen Perspektiven jenseits der Teamebene wahr-
Übergehen Sie niemals die neue Führungskraft! Auch zunehmen und Abläufe entsprechend zu gestalten.
wenn Sie Mitarbeiter des Teams wegen scheinbarer Der Wechsel in eine formelle Führungsposition wird
Kleinigkeiten ansprechen! dadurch erleichtert.
Viele Strukturen und Leistungen in der Pflege können nur fühlen sich fair behandelt, wenn sie das Verhältnis von
funktionieren, weil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ›Geben‹ (z.B. Arbeitseinsatz, Leistung, Engagement)
ganzem Herzen und oft mit mehr Einsatz arbeiten, als und ›Bekommen‹ (z.B. Lohn, Status, Anerkennung) als
eigentlich von ihnen verlangt werden kann. Es ist nur zu ausgewogen betrachten. Behandelt die Einrichtung die
verständlich, wenn sie sich dafür eine deutliche Anerken- Mitarbeiter fair und großzügig, werden sich die Mitar-
nung wünschen. Doch bewusstes Loben ist gar nicht beiter ebenso verhalten. So übernehmen Mitarbeiter
so einfach, wie es zunächst klingt. Den meisten Führungs- freiwillig auch unangenehme Aufgaben und sind bereit,
kräften ist klar, dass Lob und Anerkennung innerlich kurzfristige persönliche Belastungen, Herausforde-
gedeckt, ›authentisch‹ und gehaltvoll sein müssen, wenn rungen und Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen.
sie nicht zu lächerlichen Ritualen verkommen sollen. Einige Beispiele:
Dennoch gelingt es längst nicht jedem, die eigenen lobens- – Mitarbeiter leisten Überstunden und helfen damit,
werten Vorsätze umzusetzen und den Mitarbeitern spür- krankheitsbedingte Personalengpässe zu überwin-
bar Anerkennung entgegenzubringen. den.
– Ein Mitarbeiter ist bereit, sich in eine neue Aufgabe
Was Sie wissen sollten einzuarbeiten.
Lob und Anerkennung sind mehr als bloße Nettigkeiten. – Eine Mitarbeiterin ist bereit, eigene Verhaltensdefi-
Dabei wird schnell übersehen, dass Anerkennung und Lob zite anzugehen und an einer entsprechenden Schu-
eigenständige Wirkfaktoren darstellen, deren Fehlen sich lung teilzunehmen.
negativ bemerkbar macht: – Eine Mitarbeiterin mit geringen Deutschkenntnis-
sen, die sich bisher nicht in Teambesprechungen
1. Gut belegt ist, dass fehlende Anerkennung im Zusam- geäußert hat, erklärt sich bereit, für die nächste
menhang mit einer hohen Verausgabungsbereitschaft Besprechung einen kurzen fachlichen Input vorzu-
der Mitarbeiter ein echtes Gesundheitsrisiko darstellen bereiten.
kann.
Unfaire Behandlung führt hingegen dazu, dass Mitarbeiter
2. Ergebnisse der Fairnessforschung zeigen, dass Mitar- versuchen, das verloren gegangene Gleichgewicht wie-
beiter, die sich fair behandelt fühlen, mehr leisten, sich derherzustellen. Etwa dadurch, dass sie ihr Engagement
aktiver engagieren und stärker mit dem Unternehmen ›angemessen zurückfahren‹. Viele Führungskräfte sehen
identifizieren sowie mehr Vertrauen entwickeln als Mit- diese Zusammenhänge nicht oder unterschätzen aus
arbeiter, die sich unfair behandelt fühlen. Mitarbeiter vielfältigen Gründen das Thema:
22 Leistung loben lernen
– Sie legen so hohe Maßstäbe an das Handeln und – Und ähnlich: Sie meinen, dass das Bedürfnis der Mitar-
Verhalten der Mitarbeiter an, dass sie scheinbar keine beiter nach Lob und Anerkennung ein Zeichen man-
Gelegenheit finden zu loben – denn meistens bleiben gelnder persönliche Reife ist. Wirklich reife Menschen
die Mitarbeiter unter dem geforderten Niveau. benötigen externe Bestätigung nicht.
– Sie meinen, dass Mitarbeiter ihre arbeitsvertraglich
fixierten Pflichten erfüllen und dafür eine entsprechen- Wie Sie vorgehen können
de Vergütung erhalten. »Warum sollte ich jemanden – Anerkennung und Lob müssen informiert und indivi-
loben für etwas, dass ich billigerweise von ihm erwar- duell erfolgen. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit aktiv
ten kann?« auf die Mitarbeiter. Es ist im Alltag oft nicht leicht,
– Sie nehmen besondere Leistungen von Mitarbeitern die Mitarbeiter ebenso aufmerksam zu beachten wie
zwar wahr, loben aber nicht, weil sie gedanklich schon Daten, Zahlen, Vitalwerte, aktuelle Probleme usw.
längst einen Schritt weiter sind. – Loben Sie sofort, wenn Sie Anerkennenswertes wahr-
– Sie haben Mitarbeiter für gute Leistungen anerkannt. nehmen! Verschieben führt zu Vergessen! Wenn Sie
Die Mitarbeiter haben nicht so reagiert, wie die Füh- sofort und unmittelbar loben, dann nutzen Sie Ihre
rungskraft es erwartet oder gewünscht hat. Statt Freude augenblickliche emotionale Präsenz! Vielleicht ist
und Dankbarkeit vielleicht nur ein wortloses Entgegen- Ihnen gerade ›ein Stein vom Herzen gefallen‹, als Ihr
nehmen des Lobs. Verunsicherung oder Enttäuschung Mitarbeiter sich bereit erklärt hat, die wichtige (und
aufseiten der Führungskraft können das Resultat eines unangenehme) Aufgabe zu übernehmen? Ihr Lob wirkt
solchen Missverständnisses sein. überzeugend, wenn Sie es aus Ihrer Erleichterung oder
– Sie stellen Lob und Anerkennung unter generellen gar Begeisterung heraus formulieren. Wenn Sie Ihr Lob
Manipulationsverdacht und wollen sich auf dieses auf die nächste Besprechung verschieben, ist es oft
Terrain nicht begeben. »Immer wenn ich von meinem nicht mehr stimmig!
eigenen Vorgesetzten gelobt wurde, wusste ich, dass er – Kritisieren sollten Sie nur unter vier Augen, Loben geht
etwas von mir wollte!« Also lassen sie das Loben ganz. immer!
– Sie sehen Lob und Anerkennung unter der Perspek- – Loben Sie konkret! Pauschallob (»haben Sie toll ge-
tive der Verteilungsgerechtigkeit. Wenn ich A für eine macht!«) kommt nicht an!
Leistung lobe, dann muss ich B für eine entsprechende – Sprechen Sie Ihr Lob persönlich aus! Delegiertes Lob
Leistung ebenfalls loben, sonst ist mein Handeln nicht wirkt nicht!
gerecht. Außerdem werden damit Erwartungen ge- – Verzichten Sie auf alle Formen ›manipulativer Lobhu-
weckt, Neid und Missgunst entstehen. Also lassen sie delei‹! Wenn Sie etwas von einem Mitarbeiter erwarten,
es lieber ganz. sprechen Sie es offen an!
– Sie kommen tatsächlich nicht dazu, Mitarbeiter für – Machen Sie sich klar, dass Sie mit Ihrer Praxis des
gute Leistungen anzuerkennen, weil ›Problemfälle‹ sie Lobens nicht isoliert sind. Sie wirken damit prägend
so sehr in Anspruch nehmen. Sie sind froh, dass alle für eine Kultur der wechselseitigen Anerkennung!
anderen ›keinen Ärger‹ machen und Aufmerksamkeit
benötigen.
– Sie meinen, dass Lob und Anerkennung nicht in die
heutige Zeit passen. Souveräne Mitarbeiter, die ihr
Potenzial in der Arbeit verwirklichen wollen und die
eigene Entwicklung selbstbewusst in die Hand nehmen,
brauchen kein Lob und keine Anerkennung.
Gute Führung in der Pflege 23
Praxisbeispiel
4. Teamzusammenarbeit stärken
Die Pflegeteams sind darin geübt, sich untereinander offen über
individuelle ›Stärken‹ und ›Schwächen‹ auszutauschen. In einem
intensiven Teamentwicklungsprozess lernten die Pflegeteams,
selbstständig Probleme und Konflikte anzugehen und zu lösen.
Seitdem können auch Leistungsschwächen untereinander auf-
gefangen und Fehler oder Fehlerrisiken offen im Team bearbeitet
werden.
Gerade für Führungskräfte, die einen kooperativen Füh- treffen und kränken kann. Beim anderen Extrem wird aus
rungsstil umsetzen wollen, bedeutet das Kritikgespräch der taktvollen Ansprache des Mitarbeiters, die die mögli-
eine anspruchsvolle Aufgabe. Viele Führungskräfte scheu- che Wirkung des Gesagten beim Gegenüber im Auge hat,
en den kritischen Dialog und die Konfrontation mit ihren nebulöses ausweichendes Gerede ›um den heißen Brei‹,
Mitarbeitern. Sie fürchten, dass diese negativ reagieren, das den Mitarbeiter verwirrt und im Unklaren zurücklässt.
die Schuld auf andere abwälzen, verärgert reagieren
oder die Kritik nur scheinbar annehmen. Darüber hinaus
fürchten sie oft um das generelle Arbeitsklima im Betrieb.
Dennoch: Mängel in der Arbeitsleitung oder unangemes-
sene Verhaltensweisen können Arbeitsabläufe stören, die
Zusammenarbeit belasten oder gar negative Auswirkun-
gen für Bewohner und Patienten haben. Damit wird das
Kritikgespräch zur nicht delegierbaren Führungsaufgabe.
– Konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche und setzen – Kritisieren Sie niemals vor dem gesamten Team! Sie
Sie Schwerpunkte! Generalabrechungen entmutigen stellen damit den Mitarbeiter bloß. Dieser setzt sich
nur. Kritik kann nur in wohldosierter Form konstruktiv danach in der Regel nicht mit der Kritik auseinander,
verarbeitet werden. sondern mit der Frage, wie er den erlittenen Gesichts-
– Vermeiden Sie unzutreffende Verallgemeinerungen wie verlust vor dem Team kompensieren kann.
›immer‹, ›nie‹, ›alle‹ usw. Wer damit konfrontiert wird, – Stellen Sie keine Interpretationen als Fakten dar! »Dir
dass er Konflikten ›immer‹ aus dem Wege geht, der liegt ja überhaupt nichts daran, die EDV-Kenntnisse
wird entweder resigniert zusammensacken oder sich anzueignen. Du willst einzig und allein deine Ruhe
an wenigstens eine Situation erinnern, in der er sich haben!«
doch einer Auseinandersetzung gestellt hat. Eine kon- – Bleiben Sie ruhig, sachlich und höflich! Scharfer Ton-
struktive Auseinandersetzung findet in beiden Fällen fall, beißender Unterton, unhöfliches Gebaren und
nicht statt. ausfallende Bemerkungen wecken entweder die Selbst-
– Argumentieren Sie präzise und konkret! Was genau verteidigungsenergie des Mitarbeiters oder führen zu
haben Sie beobachtet? In welchen Situationen tritt Gehorsam und Unterordnung aus Angst. In beiden
das problematische Verhalten auf? Welche Folgen und Fällen findet Lernen nicht statt.
Konsequenzen entstehen dadurch für das sachliche
Ergebnis der Zusammenarbeit?
28 Führung im Dialog
Gute Führung in der Pflege 29
6 Führung im Dialog
Besprechungen erfolgreich gestalten
1. Scheinbar liegt es auf der Hand: Eine kommunikations- Vor der Besprechung
störende Sitzordnung, fehlende oder defekte Medien, – Klären Sie für sich, welche Themen in welchem Um-
Störungen durch piepende Handys oder das Heraus- fang und in welcher Form behandelt werden sollen.
rufen von Teilnehmern sind alles andere als förderlich Kann das Thema evtl. auch anders und leichter vermit-
für konstruktive und ertragreiche Besprechungen – telt werden? Vielleicht reicht eine Rundmail? Oder der
trotzdem gehören sie in vielen Einrichtungen zum Verweis auf neue Infos im Handbuch?
Besprechungsalltag. Kennen Sie das? Die Besprechung – Vereinbaren Sie einige wesentliche ›Besprechungsre-
hat gerade begonnen. Der erste Tagesordnungspunkt geln‹ und achten Sie darauf, dass diese in der Praxis
wird diskutiert. Da wird Frau Müller ›wegen einer auch konsequent eingehalten werden!
dringenden Angelegenheit‹ herausgerufen. Ohne Frau – Definieren Sie möglichst schon im Vorfeld präzise Be-
Müller kann nicht sinnvoll diskutiert werden. Die Zeit sprechungsziele! Diese sollten spätestens am Ende der
verrinnt. Es stehen noch drei wichtige Themen an. Als Besprechung erreicht, visualisiert und abschließend
Frau Müller zurückkehrt, sind zehn Minuten vergangen. mit den Teilnehmern vereinbart werden.
Mühsam wird der Faden wieder aufgenommen. Oder
klingelnde Handys. Und Teilnehmer, die den Anruf Beispiele für Besprechungsziele
annehmen, ›weil es leider nicht anders geht, weil es Bis zum Ende der Besprechung …
besonders wichtig ist‹. Oder das neue Flipchart – leider – haben wir entschieden, ob wir eine interne
ohne Papier. Oder der schöne neue Besprechungs- Schulung ›basale Stimulation‹ durchführen
raum. Leider sind die Tische so angeordnet, dass werden.
sechs Teilnehmer nebeneinander sitzen und sich nicht – haben wir Ideen entwickelt, wie wir die Pflege-
anschauen können. Ausnahmen? Kommt alles häufiger visite stärker für ein gezieltes Feedback für die
vor, als man denkt. Mitarbeiter nutzen können.
– haben wir Rückmeldung aus dem Team (Beifall,
2. Besprechungszeit ist knappe Zeit. Oft werden Bespre- Bedenken, offene Fragen) zur geplanten Einfüh-
chungen so mit Themen ›zugepflastert‹, dass von rung der neuen Infusionstherapie eingeholt.
vornherein klar ist, dass sie nicht alle bearbeitet werden – haben wir geklärt, wer als Mitarbeiter in den
können. Am Ende der Besprechung ist man frustriert, neu eröffneten Wohnbereich wechseln soll.
›weil wir so vieles wieder nicht geschafft haben‹. – sind alle Mitarbeiter darüber informiert, welche
neuen Leitlinien sie in der Pflege zu berücksich-
3. Das Thema ist benannt. Es wird engagiert diskutiert. tigen haben.
Ein roter Faden ist nicht erkennbar. Man kommt ›vom
Hölzchen aufs Stöckchen‹. Eigentlich ging es um das – Sobald die Besprechungsziele klar sind, kann auch eine
neue Infusionsgerät. Als der Besprechungsleiter ›zum tragfähige Zeitplanung für die anstehenden Themen
Thema zurückführt‹, ist die Hälfte der Besprechungs- erfolgen. Es macht z.B. einen großen Unterschied, ob
zeit verbraucht. Ein Ergebnis ist nicht in Sicht. Sie zu einem brisanten Thema erst einmal die Resonanz
der Mitarbeiter einholen oder gleich eine Entscheidung
herbeiführen wollen. Für die Entscheidung werden
Sie in der Regel einen größeren Diskussions- und damit
auch Zeitbedarf ansetzen müssen.
Gute Führung in der Pflege 31
– Bei den Besprechungszielen zeigt sich, ob Sie als – Sorgen Sie dafür, dass die Teilnehmer in der Bespre-
Führungskraft generell planvoll und überlegt vorge- chung die wichtigsten Papiere zur Verfügung haben!
hen. Wenn Sie planvoll vorgehen, dann werden Sie – Vermeiden Sie unbedingt, offene Diskussionsprozesse
bestimmte Themen sinnvoll über verschiedene Bespre- zu einem Thema anzuzetteln, wenn Sie eine Entschei-
chungen mit dem Team verteilen. Sie werden z.B. erst dung dazu insgeheim bereits getroffen haben! Sie
einmal die Resonanz des Teams zu einem neuen Ver- verlieren damit nur an Vertrauen und Glaubwürdigkeit.
fahren einholen, danach Änderungsvorschläge einho-
len und dann die Entscheidung planen und umsetzen. Nach der Besprechung
– Besprechungsziele eignen sich darüber hinaus hervor- – Halten Sie sich unbedingt an die getroffenen Vereinba-
ragend, den Diskussionsprozess zu steuern. Wenn das rungen! Seien Sie Vorbild und führen Sie die Aufgaben,
Ziel etwa darin besteht, Ideen zu entwickeln, können die Sie selber übernommen haben, zuverlässig durch!
Sie hitzige Rededuelle, in denen die Ideen angegriffen Halten Sie Zusagen ein!
und verteidigt werden, nachdrücklich und überzeugend – Achten Sie auch darauf, dass sich die Mitarbeiter an
mit dem Verweis auf das Ziel unterbrechen. Vereinbarungen halten und ihre Zusagen einhalten!
– Legen Sie die Reihenfolge der Themen nach deren Wenn Mitarbeiter ihre übernommenen Verpflichtungen
Bedeutung fest! Erst das besonders Wichtige! nicht eingehalten haben, dürfen Sie dies nicht einfach
– Prüfen Sie, ob Sie Ihre Mitarbeiter inhaltlich vorab ein- durchgehen lassen oder übergehen! Sonst tragen
binden können, etwa indem diese für kurze Themen- Sie dazu bei, dass sich eine Kultur der ›Folgenlosig-
inputs sorgen! keit‹ etabliert: »Ob man hier was macht oder nicht, ist
eigentlich egal – niemand merkt es ja!«.
32 Potenziale erkennen, Kompetenzen entwickeln
Gute Führung in der Pflege 33
7 Potenziale erkennen,
Kompetenzen entwickeln
Das Mitarbeiterentwicklungsgespräch
Das Mitarbeiterentwicklungsgespräch gehört zu den kooperativ abzustimmen, also Wege zu finden, wie beide
wichtigsten Instrumenten der Führung und der Personal- Seiten profitieren können. Es kann nur dann gelingen, die
entwicklung. Das Hauptziel dieses Instruments besteht Leistungsfähigkeit und Leistungserbringung von Mitar-
darin, individuelle Förderungs- und Entwicklungsschritte beitern langfristig für die Einrichtung zu erhalten, wenn
zu vereinbaren und zu bewerten. Das Mitarbeiterentwick- Personalmanagement und Mitarbeiterführung dies zu ihrer
lungsgespräch wird regelmäßig (meist jährlich) als ›Vier- vordringlichen und kontinuierlichen Aufgabe machen.
Augen-Gespräch‹ von der Führungskraft in der Pflege und Doch wichtige, übergeordnete Themen wie etwa
einem Mitarbeiter/einer Mitarbeiterin geführt. – regelmäßiges Feedback zur individuellen Leistung,
– Fähigkeiten und Kompetenzen im Einrichtungsrahmen
Das sollten Sie wissen konstruktiv einbringen und umsetzen können,
Die Pflegelandschaft hat sich in den letzten Jahren ebenso – Leistungs- und Kompetenzdefizite ansprechen und zu
verändert wie die Mitarbeiter, die dort arbeiten. Fachliche individuellen Entwicklungsprozessen anregen und bei
Anforderungen in Pflegeberufen steigen stetig. Dies be- der Umsetzung unterstützen und begleiten
trifft insbesondere Kompetenzen, die Beziehungen zu Be-
wohnern, Patienten, Angehörigen produktiv zu gestalten. gehen in der normalen Alltagskommunikation ›zwischen
Auch eigenverantwortliches Arbeiten, Selbstorganisation Tür und Angel‹ schnell unter.
und Kooperationsbereitschaft gehören zu unverzichtbaren Das Mitarbeiterentwicklungsgespräch kann als ›Aus-
Schlüsselkompetenzen. Auf der anderen Seite verändern zeit‹ vom operativen Tagesgeschäft angesehen werden,
sich grundlegende Einstellungen und Werthaltungen der bei dem Führungskraft und Mitarbeiter vom ›Spielfeld
Pflegekräfte. Wünsche nach persönlicher Entwicklung, auf die Tribüne gehen, um das laufende und zukünftige
perspektivische Karrierewege und hohe Erwartungen an gemeinsame Spiel zu schauen‹. Der geschützte Rahmen
einen attraktiven Arbeitsplatz treten neben Motive, eine des Vier-Augen-Gesprächs ermöglicht eine Qualität der
sinnvolle Arbeit für andere Menschen zu verrichten und Kommunikation und Begegnung, die zu einem vertief-
über einen sicheren Arbeitsplatz zu verfügen. ten wechselseitigen Verständnis führen kann. Oft sehen
Betrachtet man Pflegeeinrichtungen als ›lernende Führungskräfte die Durchführung von Mitarbeitergesprä-
Organisationen‹, dann ergibt sich daraus die Aufgabe, die chen als unangenehme Aufgabe an. Sie fühlen innere
neuen organisationalen Rahmenbedingungen und die Ver- Widerstände, offen mit den Mitarbeitern über Arbeitsleis-
änderungen und Entwicklungen aufseiten der Mitarbeiter tung, Stärken und Schwächen zu sprechen oder sich der
34 Potenziale erkennen, Kompetenzen entwickeln
7. Wenn Sie Kritik äußern, sollte diese immer gut dosiert 10. Dokumentieren Sie die getroffenen Vereinbarungen.
sein und mit Unterstützung verknüpft werden. Zu viel 11. Halten Sie eigene im Gespräch gegebene Zusagen
Kritik entmutigt. zuverlässig ein.
8. Konzentrieren und beschränken Sie sich auf das Ar- 12. Nutzen Sie die im Rahmen des Gesprächs erarbeite-
beitsverhalten des Mitarbeiters. Die Persönlichkeit des ten Ergebnisse und Vereinbarungen für Ihre alltägliche
Mitarbeiters ist tabu. Führungstätigkeit. Damit machen Sie das Instrument
9. Führen Sie die Gespräche mit größtmöglicher Of- lebendig und verhindern, dass es sich als ›isoliertes
fenheit. Das bedeutet, auf manipulatives Verhalten Sondergespräch‹ erschöpft!
zu verzichten, um das Vertrauensverhältnis nicht zu
beeinträchtigen.
Rückschau auf die vergangene Arbeitsperiode Vorschau auf die kommende Arbeitsperiode
– Welche Aufgaben hat der Mitarbeiter in der zurück- – Arbeitsziele: Welche Ziele sollte der Mitarbeiter in
liegenden Periode hauptsächlich bearbeitet? der kommenden Arbeitsperiode erreichen?
– Sind Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten klar – Persönliche Entwicklungsziele: Welche persönlichen
definiert? Entwicklungsziele will der Mitarbeiter verfolgen?
– An welchen Förder- oder Weiterbildungsmaßnah- – Kompetenzentwicklung (zukünftige Arbeitsperiode):
men hat der Mitarbeiter teilgenommen? Welche Welche Kompetenzen müssten weiter gefördert
haben sich positiv auf das tägliche Arbeitsgesche- (Stärken) oder entwickelt (Entwicklungsbereiche)
hen ausgewirkt und welche nicht? werden, damit der Mitarbeiter die aufgabenbezoge-
– Wie zufrieden sind Sie mit den Leistungen, der Auf- nen und persönlichen Entwicklungsziele gut errei-
gabenbearbeitung des Mitarbeiters in der vergan- chen kann?
genen Arbeitsperiode? Was war positiv, was war – An welchen Fördermaßnahmen sollte der Mitarbei-
negativ? Was ist gut gelungen? Was ist weniger gut ter teilnehmen?
gelungen?
– Über welche Qualifikationen, Kompetenzen, Fähig-
keiten verfügt der Mitarbeiter, die er zurzeit nicht
oder nur bedingt einsetzen kann?
36 Potenziale erkennen, Kompetenzen entwickeln
Pflege (in welcher Organisationsform auch immer) beein- Menschliche Fehler im Gesundheitswesen
flusst in grundlegender Weise Sicherheit, Gesundheit und
Wohlbefinden der Menschen, die sich ihr anvertrauen. Deitinger und Nardella (Istituto Superiore per la
Fehler können hier dazu führen, dass Menschen (schwer) Prevenzione e la Sicurezza del Lavoro – ISPESL)
geschädigt werden. Dennoch ist auch klar, dass Fehler haben im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie
in einer komplexen Arbeitsumwelt (eines Krankenhauses, wichtige Hinweise zu Fehlerursachen und Fehler-
einer Pflegeeinrichtung) nicht zu vermeiden sind. wahrscheinlichkeiten erarbeitet.
Danach sind aus Unachtsamkeit und Vergess-
lichkeit entstehende Fehler typisch für Mitarbeiter,
Modernes Fehlermanagement zeigt seine Qualität darin, leugnen. Anerkennung erhalten die, die gute Nachrichten
dass es bringen und von Erfolgen berichten. Man schiebt sich ge-
– ermöglicht, aus entstandenen Fehlern optimal zu genseitig den schwarzen Peter zu, das Teamklima nimmt
lernen und damit die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Schaden. Wenn Mitarbeiter das Schweigen brechen und
Wiederholungen so weit wie möglich zu reduzieren. über Missstände berichten, gelten sie schnell als ›Nest-
– alle notwendigen Maßnahmen zur Fehlerprävention beschmutzer‹. Das führt dazu, dass aus Fehlern nicht
ergreift. gelernt werden kann. Umso wahrscheinlicher ist es, dass
sie wieder auftreten. Zudem werden Beinahe-Fehler nicht
Ein ausschließlich verfolgtes ›Null-Fehler-Prinzip‹ kann thematisiert und kommuniziert. Eine sinnvolle Fehlerpro-
schädliche ›Fehlerkreisläufe‹ hervorrufen. So kann z.B. ein phylaxe kann so nicht greifen und neue Fehler entstehen.
besonders anspruchsvolles Leitbild dazu führen, dass die Die Mitarbeiter werden ängstlich – ihr Handeln wird mehr
in Fehlern zum Ausdruck kommende Diskrepanz zwi- und mehr davon geprägt, Fehler zu vermeiden. Lust und
schen Anspruch und Realität nicht toleriert wird. Mitarbei- Mut, Neues auszuprobieren, lassen nach. Denn Neues
ter, die Fehler gemacht haben, werden zur Rechenschaft auszuprobieren bedeutet ja, sich in eine ›Unsicherheits-
gezogen. Bei Fehlern sucht man die Schuldigen. In der zone‹ zu begeben. Darunter leidet langfristig auch die
Folge neigen die Mitarbeiter verstärkt dazu, eigene Hand- Innovationsfähigkeit der Einrichtung. Anlässlich einer ex-
lungen zu beschönigen, Fehler zu vertuschen oder zu ternen Qualitätsprüfung wird deutlich, welche Defizite in
Gute Führung in der Pflege 41
der Einrichtung vorliegen. Die Führungskräfte fühlen sich 4. Lernen aus Fehlern ist nur dann möglich, wenn über
getäuscht und gehen dazu über, verstärkt zu kontrollieren. Fehler und Beinahe-Fehler offen kommuniziert wird.
Eine Misstrauenskultur ist entstanden. Belohnen Sie die Mitarbeiter, die offen über Fehler
Eine angemessene ›Fehlerkultur‹ entsteht, wenn eine berichten! Niemand spricht gerne über Fehler oder
Balance zwischen Fehlertoleranz und Fehlervermeidung Beinahe-Fehler. Führen Sie entsprechende Gespräche
hergestellt wird. ›Fehlertoleranz‹ bezeichnet dabei eine deshalb so, dass Mitarbeiter sich für ihre Offenheit
Haltung, die tolerant mit Fehlern umgeht und mit Ver- belohnt fühlen! Denn es braucht immer Überwindung
ständnis und Hilfsbereitschaft reagiert, wenn etwas nicht und Mut, eigene Fehler offen zu thematisieren.
klappt, Fehler gemacht oder Missstände aufgedeckt wur- 5. Fördern Sie eine Kultur, in der eine offene Kommuni-
den. Das heißt nicht, Fehler billigend in Kauf zu nehmen. kation und wechselseitige Überprüfung möglich sind.
Fehler sollen auch weiterhin vermieden werden und es Mitarbeiter sollten befähigt werden, authentisch und
wird alles getan, damit sie rechtzeitig entdeckt oder ent- zeitnah Feedback zu geben und zu empfangen und
schärft werden können. Aber wenn sie geschehen, führt keine Scheu haben, auch gegenüber Führungsperso-
dies nicht zu Sanktionen, sondern zu Hilfsbereitschaft nen Kritik anzubringen.
und Unterstützungsangeboten von Seiten der Führungs- 6. Seien Sie sich bewusst, dass Mitarbeiter genau prüfen,
kräfte, der Kollegen und/oder der anderen Pflegebereiche. ob Ihre Worte mit Ihren Handlungen übereinstimmen.
Pflegekräfte, die über persönliche Unzulänglichkeiten und Sonntagsreden zur ›produktiven Fehlerkultur‹ werden
Fehler oder Missstände im gesamten Team oder Pflege- als solche entlarvt, wenn Ihr Handeln ganz anders
bereich berichten, lösen damit keine Vorhaltungen oder ›gestrickt‹ ist.
Sanktionen aus, sondern initiieren einen Unterstützungs- 7. Führen Sie eine Fehlerevaluation durch und keine
mechanismus. Suche nach Schuldigen.
8. Richten Sie Ihr Handeln konsequent danach aus,
Wie Sie vorgehen können zukünftige Fehler zu vermeiden, statt Schuld zuzu-
1. Verdeutlichen Sie Ihren Mitarbeitern, wie Sie den Um- weisen!
gang mit Fehlern gestalten wollen, welche Fehlerkultur 9. Unterscheiden Sie zwischen Verantwortung und
Sie wünschen, wie Sie selber dabei vorgehen und was Schuld. Lassen Sie den Mitarbeiter, der einen Fehler
Sie von den Mitarbeitern erwarten! gemacht hat, in der Verantwortung, aber setzen Sie
2. Stellen Sie dar, dass Ihnen das Lernen aus Fehlern ihn nicht in Schuld!
lieber ist als Stillstand ohne Fehler! 10. Gestehen Sie offen eigene Fehler ein!
3. Unterstützen Sie die Mitarbeiter bei der Analyse der
Fehler und helfen Sie Ihnen dabei, die richtigen Kon-
sequenzen zu ziehen. So sorgen Sie dafür, dass die
Mitarbeiter sich selber immer kompetenter einschät-
zen und steuern können. Lernen aus Fehlern steigert
die Selbstachtung und die Fähigkeit, sich selber zu
steuern.
42 Führungsaufgabe Kündigung
Gute Führung in der Pflege 43
9 Führungsaufgabe Kündigung
Trennungsgespräche fair gestalten und durchführen
Das sollten Sie wissen sich hinter den Entscheidungen und Urteilen anderer,
Eine Kündigung löst in der Regel bei dem Betroffenen reden um den ›heißen Brei‹ herum oder gehen dem
starke Emotionen aus. Das Selbstwertgefühl sinkt oft dra- Gekündigten nach dem Gespräch aus dem Weg, weil das
matisch. Viele Einrichtungen messen dem Thema ›Tren- eigene schlechte Gewissen plagt. Führungskräfte nutzen
nung von Mitarbeitern‹ wenig Bedeutung bei. Das liegt das Trennungsgespräch, um noch einmal ›richtig Tache-
zum einen daran, dass der Prozess als eine unangenehme les‹ zu reden. Dies führt dazu, dass das Ausmaß an
Pflicht gesehen wird, die man möglichst schnell hinter Kränkung zusätzlich durch die Art der Übermittlung der
sich bringen will. Ein anderer Grund ist, dass die Tragweite Kündigung unnötig gesteigert wird. Der Trennungspro-
und die mittelbaren Folgen einer Kündigung nicht erkannt zess wird dann oft nicht nur von dem Betroffenen als
werden. Trennungsgespräche werden daher leider oft unfair und kränkend erlebt. Auch wenn Kündigungen der
mangelhaft vorbereitet und münden in unprofessionelles Ausnahmefall sind und nicht zum Tagesgeschäft gehören,
Verhalten: Führungskräfte versuchen, die Aufgabe an die sollten sie systematisch vorbereitet werden. Ein gutes
Personalabteilung zu delegieren; Führungskräfte teilen die Trennungsmanagement hat nicht nur die Gehenden,
Kündigung zwar persönlich mit, übernehmen aber keine sondern auch die Bleibenden und die künftig Kommenden
Verantwortung für die Entscheidung, sondern verstecken im Blick.
Gute Führung in der Pflege 45
10 Literaturhinweise
Benien, K.: Schwierige Gespräche führen. rororo 2003 Osterloh, M.: Investition Vertrauen. Gabler 2007
Deitinger, P.; Nardella, Chr.: Unveröffentlichtes Manuskript des Istituto Schneider, Th.; Weber, M.: Das Mitarbeitergespräch. mtt Werkstattreihe 2004
Superiore per la Prevenzione e la Sicurezza sul Lavoro (2007)
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Erpenbeck, J.; Heyse, V.; Max, H.: Kompetenzen erkennen, bilanzieren und nahmen der Personalentwicklung in Kliniken. OSC 3/2007
entwickeln. Waxmann 2004
Seifert, J.: Visualisieren. Präsentieren. Moderieren. Gabal 2007
Fischer, P.: Neu auf dem Chefsessel. Redline Wirtschaft, 7. Aufl. 2002
Struß, E.: Müssen wir dich jetzt siezen? Carl-Auer Verlag 2007
Hartmann, M.; Funk, R.; Arnold, Chr.: Gekonnt moderieren. Beltz 2001
INQA Handlungshilfe ›Leitfaden Personalgespräch‹. Kostenlos zu bestellen
über www.inqa-pflege.de > Publikationen; Sammelmappe: Handlungshilfen
für eine gesunde Pflege. Oder per E-Mail an: gesundpflegen@baua.bund.de.
Als kostenloser Download unter: www.inqa-pflege > Wissen > Führung
Kanning, U.-P. (Hrsg.): Förderung sozialer Kompetenzen in der Personalent-
wicklung. Hogrefe 2007
Knoblauch, J.; Kurz, J.: Die besten Mitarbeiter finden und halten. Campus 2007
Lorenz, M.; Rohrschneider, U.: Praxishandbuch für Personalreferenten.
Campus 2007
Mistele, P.; Tolle, A.: Zur Konstruktion von Lernräumen in Hochleistungs-
systemen. OSC 3/2007
Mitarbeiterorientiertes Führen und soziale Unterstützung am Arbeits-
platz. Kostenlos zu bestellen unter: http://www.inqa.de/Inqa/Navigation/
publikationen,did=56808.html
Nagel, R. et al.: Das Mitarbeitergespräch als Führungsinstrument.
Klett-Cotta 1999
Möller, H. et. al.: Die Einführung von Mitarbeitergesprächen an österreichischen
Universitäten in OSC, Ausgabe 4/2006
Impressum
Herausgeber:
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
Friedrich-Henkel-Weg 1-25 44149 Dortmund
Telefon +49 231 9071-0 Fax +49 231 9071-2454 poststelle@baua.bund.de www.baua.de
Text:
Jochen Schneider
Konkret Consult Ruhr, Gelsenkirchen www.kcr-net.de
Grundlage für die Erarbeitung der vorliegenden Broschüre war das INQA-Projekt:
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Institut Arbeit und Technik, Gelsenkirchen
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