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73. Jahrgang, 46/2023, 11.

November 2023

AUS POLITIK
UND ZEITGESCHICHTE
New Work
Bettina-Johanna Krings Friedericke Hardering
NEW WORK UND NEW-WORKISIERUNG
DIE ZUKUNFT DER ARBEIT VON ARBEIT
Michael Homberg · Samuel Greef ·
Mirko Winkelmann Wolfgang Schroeder
HOME IS WHERE ENDE DER KOLLEKTIVEN
THE OFFICE IS INTERESSEN­V ERTRETUNG?
Hans-Jürgen ­Urban Jason Lemberg
ZWISCHEN ENTGRENZUNG SELBSTVERWIRKLICHUNG
UND EMPOWERMENT IM BERUF
Gregor Ritschel
SOCIAL-MEDIA-TRENDS
QUIET QUITTING
UND TANG PING

Der
APuZ-Podcast

ZEITSCHRIFT DER BUNDESZENTRALE


dcast
FÜR POLITISCHE BILDUNG bpb.de/apuz-po

Beilage zur Wochenzeitung


New Work
APuZ 46/2023
BETTINA-JOHANNA KRINGS FRIEDERICKE HARDERING
NEW WORK UND DIE ZUKUNFT DER ARBEIT NEW-WORKISIERUNG VON ARBEIT
Versteht man New Work als ein Konzept von New Work hat sich in den vergangenen Jahren
Arbeits- und Lebensräumen, in denen Menschen zu einem Versprechen auf eine bessere Arbeits-
die Tätigkeiten verrichten, die sie „wirklich welt entwickelt. Inwieweit dieses Versprechen
wirklich“ tun wollen, dann ist damit die Auffor- eingelöst werden kann, hängt von der jeweiligen
derung verbunden, das Konzept der modernen Intention ab, mit der New-Work-Maßnahmen in
Erwerbsarbeit grundlegend zu hinterfragen. Unternehmen eingeführt werden.
Seite 04–09 Seite 29–34

MICHAEL HOMBERG · MIRKO WINKELMANN SAMUEL GREEF · WOLFGANG SCHROEDER


HOME IS WHERE THE OFFICE IS ENDE DER KOLLEKTIVEN INTERESSEN­
Das Arbeiten von zu Hause gilt heute als VERTRETUNG?
Kenn­zeichen neuer Lebens- und Arbeitsmodelle Hinter „New Work“ verbergen sich ambivalente
im Zeichen des digitalen und technologischen Entwicklungen. Gewerkschaften und Betriebs-
Wandels. Was in den vergangenen Jahren oft als räte sind notwendig, um diese moderne Arbeits-
„New Work“ beschrieben wurde, hat jedoch welt menschengerecht zu gestalten. Dafür muss
eine lange Vorgeschichte. sich die kollektive Interessenvertretung selbst an
Seite 10–16 die veränderten Verhältnisse anpassen.
Seite 35–40
HANS-JÜRGEN U ­ RBAN
ZWISCHEN ENTGRENZUNG JASON LEMBERG
UND EMPOWERMENT SELBSTVERWIRKLICHUNG IM BERUF
Die digitalisierte sowie orts- und zeitflexible Ein Großteil der Menschen sucht Sinn und
Arbeit trägt Rationalisierungs- und Humanisie- Erfüllung im Beruf. In den aktuellen Debatten
rungspotenziale in sich. Soll die Humanisierung um Arbeit erscheint das Thema Selbstverwirkli-
der Arbeit ausgeschöpft werden, müssen neue chung oft als neues Phänomen, als naive Fantasie
Rechte der abhängigen Arbeit und arbeitspoliti- der Millennials und der Generation Z – aber
sche Gestaltungskonzepte ineinandergreifen. auch als arbeitsmarktpolitischer Irrweg.
Seite 17–22 Seite 41–46

GREGOR RITSCHEL
SOCIAL-MEDIA-TRENDS QUIET QUITTING
UND TANG PING
Quiet Quitting und Tang Ping problematisieren
die Arbeitskultur des karrieristischen Über-
engagements, das von der vagen Aussicht auf
beruflichen Aufstieg getragen wird. Sie können
als Symptom für die Nichteinlösung des New-
Work-Versprechens verstanden werden.
Seite 23–28
EDITORIAL
„Das Ziel der Neuen Arbeit besteht nicht darin, die Menschen von der Arbeit
zu befreien, sondern die Arbeit so zu transformieren, damit sie freie, selbstbe-
stimmte, menschliche Wesen hervorbringt.“ So beschrieb der österreichisch-
amerikanische Sozialphilosoph Frithjof Bergmann 2004 in „Neue Arbeit, neue
Kultur“ sein einflussreiches New-Work-Konzept. Er entwickelte seine Vision
einer modernen Arbeitswelt, nachdem er in den 1970er Jahren in Flint, Michi-
gan, beobachtet hatte, wie viele Menschen in der Automobilindustrie durch
computergestützte Automatisierung ihre Jobs verloren. Bergmanns Ansatz war
seinerzeit ein Gegenentwurf zum kapitalistischen, aber auch zum kommunis-
tischen Arbeitsmodell und führte zu einem Nachdenken über das System der
Lohnarbeit und die Bedürfnisse von Arbeiterinnen und Arbeitern.
Neue Aufmerksamkeit erhielt das New-Work-Konzept im Zuge der Corona-
Pandemie, als sich die Arbeitswelt zwangsläufig radikal veränderte. Gleichwohl
gibt es bis heute keine allgemein gültige Definition, was darunter zu verstehen
ist. Häufig wird damit der Strukturwandel der Arbeit beschrieben, der nicht
zuletzt durch den technologischen Fortschritt vorangetrieben wird. Dazu gehö-
ren neben flexiblen Arbeitsformen wie Homeoffice und Vier-Tage-Woche auch
organisationskulturelle Aspekte wie flache Hierarchien und Selbstorganisation.
Viele dieser Ansätze versprechen mehr räumliche und zeitliche Selbstbestim-
mung sowie größere Eigenverantwortung – Selbstverwirklichung geht damit
jedoch nicht zwangsläufig einher.
Dass gute Arbeit jene Arbeit ist, die man – in den Worten Bergmanns –
„wirklich, wirklich will“, darüber besteht weitgehend Einigkeit. Doch welche
Maßnahmen dafür notwendig sind, welche Auswirkungen sie auf die Beschäf-
tigten haben und wo sie jenseits von herkömmlichen Bürotätigkeiten eingesetzt
werden können, darüber gehen die Meinungen weit auseinander. So lässt sich
unter dem Stichwort „New Work“ eine grundsätzliche Debatte darüber führen,
wie die Zukunft der Arbeit aussehen kann und soll. Die Autorinnen und Auto-
ren dieser Ausgabe, die diese Diskussion aufgreifen, wurden von der Redaktion
im Rahmen eines Call for Papers aus zahlreichen Einsendungen ausgewählt.

Lorenz Abu Ayyash

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APuZ 46/2023

NEW WORK UND DIE ZUKUNFT DER ARBEIT


Bettina-Johanna Krings

Die Auseinandersetzung mit dem Begriff „New durch die Digitalisierung neue Arbeitsformen
Work“ führt tief in die Welt des Organisations- wie Plattformarbeit, die erhebliche Risiken für
und Individualcoachings. Die dort zu findenden die Beschäftigten bergen. Die (monetäre) Kluft
Beschreibungen und Kriterien beziehen sich aller- zwischen einfacher und qualifizierter Arbeit so-
dings nur noch bedingt auf die Ursprungsidee des wie zwischen formeller und informeller Arbeit
Philosophen Frithjof Bergmann, der den Begriff hat sich deutlich vergrößert, was zu neuen For-
und die soziale Bewegung von New Work in den men der Prekarisierung von Arbeit geführt hat.04
1970er Jahren ins Leben rief. Bergmann entwickel- In diesem Beitrag knüpfe ich an den Ursprungs-
te das Konzept in Zeiten großer Umbrüche, als in gedanken von Bergmann an, das Konzept von
der US-amerikanischen Autostadt Flint ein gan- New Work als einen weitreichenden Kulturwandel
zer Industriezweig schloss, was viele Menschen in der Erwerbsarbeit zu deuten. Eine solche Perspek-
Arbeitslosigkeit, Existenzangst und ohne Leben- tive stellt dezidiert die Bedürfnisse der arbeitenden
sperspektive zurückließ. Aus der Kritik am vor- Menschen in den Mittelpunkt. Diese Ausrichtung
herrschenden Modell der Lohnarbeit sollten neue wurde in den vergangenen Jahren zwar auch im
Arbeitsformen entstehen, die auf den handwerk- Rahmen der vielfältigen Debatten um die Digita-
lichen, geistigen und künstlerischen Fähigkeiten lisierung der Arbeit in fast allen Branchen disku-
der Menschen aufbauen und die Möglichkeit er- tiert. Allerdings, so meine These, wird nur ein klei-
öffnen sollten, eigene Fähigkeiten zu entwickeln, ner Teil von New Work umgesetzt. In der Regel
zu fördern und in Arbeitsprojekten umzusetzen. setzen die Konzepte bei den Beschäftigten an, ohne
Auf diese Weise sollten Beschäftigungsmodelle die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in den
entstehen, die man „wirklich wirklich will“ und Blick zu nehmen. So sollen aus Sicht der Unterneh-
die somit die Selbstentfaltung der Beschäftigten men im Rahmen von New Work verstärkt Kompe-
erlauben.01 Eingebettet werden sollten diese neu- tenzen der Beschäftigten entwickelt und ihre Mo-
en Arbeitsformen in technisch avancierte und ge- tivation gefördert werden. Auf diese Weise soll die
meinschaftlich organisierte Lebens- und Produk- Bindung an das Unternehmen gestärkt und die Ef-
tionsformen, die den Menschen ein gutes Leben fizienz der Arbeitsprozesse erhöht werden. Diese
ermöglichen. Kurz: Der emanzipatorische Cha- Ziele werden heute auch von einem Großteil der
rakter der Arbeit wurde als Gegenkonzept zur jüngeren Erwerbstätigen eingefordert, was die Un-
Lohnarbeit in kapitalistisch organisierten Syste- ternehmen – begünstigt durch die Personalknapp-
men entworfen. Bergmanns Ideen und Visionen heit in fast allen Branchen – unter einen enormen
führten weltweit zu einer sozialen und kulturellen Handlungsdruck ­setzt.
Bewegung, die in sehr unterschiedlichen Initiati- Die andere, noch weitgehend unausgefüllte Sei-
ven umgesetzt und weitergedacht wurden. 02 te des Konzepts bezieht sich auf New Work als ei-
Auch ohne Branchenzusammenbrüche wie nen weitreichenden gesellschaftlichen Wandel von
in Flint in den 1970er Jahren ist die Arbeit seit Arbeit. Versteht man New Work als ein Konzept
Jahrzehnten weltweit im Umbruch. Die Digi- von Arbeits- und Lebensräumen, in denen Men-
talisierung, das Entstehen neuer Geschäftsfel- schen die Tätigkeiten verrichten, die sie „wirklich
der und Märkte, der demografische Wandel und wirklich“ tun wollen, dann ist damit die Aufforde-
nicht zuletzt die Corona-Pandemie haben zu rung verbunden, das Konzept der modernen Er-
einem ungeahnten Wandel der Arbeit geführt. werbsarbeit grundlegend zu hinterfragen und neu
Starre Arbeitszeiten sind Optionen des mobilen zu denken. Dem komme ich im Folgenden nach
Arbeitens gewichen. Unternehmen und Gewerk- und nehme New Work als normativen Orientie-
schaften stehen vor der Herausforderung, diesen rungsrahmen für die Zukunft der Arbeit in den
Umbruch zu gestalten.03 Gleichzeitig entstehen Blick. Dabei zeichne ich die von Frithjof Berg-

04
New Work APuZ

mann entwickelten Prämissen von New Work Polarisierung im Hinblick auf den Zugang zu
nach. Darauf aufbauend werden ausgewählte As- Erwerbsarbeit gemeint. Zum anderen beschreibt
pekte moderner Arbeitsverhältnisse diskutiert, die er die wachsende Zahl von working poor, also
in kritischen Debatten über neue Formen der Er- von Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht
werbsarbeit reflektiert werden. In einem kurzen mehr mit einem einzigen Job bestreiten können.
Fazit werden Überlegungen zu New Work als Vi- Mit dem Thema Polarisierung formuliert Berg-
sion für die Zukunft der Arbeit vorgestellt.1234 mann auch einen zweiten Befund. Während auf
der einen Seite die Armut zunehme, stiegen auf
PATHOLOGIEN der anderen Seite die Anforderungen und der
DER ERWERBSARBEIT Druck in der Erwerbsarbeit stetig an, was zu
stressbedingten Erkrankungen bei einem gro-
Bergmanns Visionen von New Work wurzeln tief ßen Teil der Beschäftigten führe.
in der Kritik an einem auf Wachstum basieren-
den Wirtschaftsmodell, dessen negative Auswir- – Kontinuierliche Automatisierung menschlicher
kungen bis heute anhalten. Schon früh vergleicht Arbeit: Bergmann vermutete weltweit große
er das Zerstörungspotenzial dieses Systems mit Entlassungswellen, etwa in der privaten und
dem Bild eines Zuges, der nicht mehr zu stoppen öffentlichen Verwaltung sowie in der Indus-
ist.05 Diese Kritik schließt sowohl westlich-kapi- trie.09 Im Zusammenhang mit der Automa-
talistische als auch kommunistisch geprägte Wirt- tisierung von Arbeit beschäftigte er sich im-
schaftsformen ein. Seine Beschreibungen des auf mer wieder mit der Frage, wie Produktivität
fossilen Rohstoffen basierenden Wirtschaftssys- in Arbeitsprozessen entsteht. So würden in
tems erscheinen aktueller denn je, wobei sich die der Industrie bestimmte Arbeitsabläufe auto-
Kollateralschäden dieses Systems bei Bergmann matisiert, andere aber nicht, was dazu führe,
nicht nur auf die ökologischen Folgen beschrän- dass es junge Menschen gebe, die den ganzen
ken. Mit seiner Kritik am Konzept der modernen Tag „eine Scheibe Hackfleisch zwischen zwei
Erwerbsarbeit zielt er auf die „Pathologie[n] des Brötchenhälften“ legten.10 Es sei wichtig, so
Lohnarbeitssystems“.06 Diese seien in den Ur- Bergmann, über den Einsatz von Technik
sprüngen des Lohnarbeitssystems selbst angelegt nachzudenken und darüber, ob Produktivi-
und hätten sich – unterbrochen von einer kurzen tät heute nicht viel stärker an der Qualität der
Phase allgemeiner Wohlstandsentwicklung – bis Arbeit gemessen werden ­müsse.
heute durchgesetzt.07 Mit Blick auf die US-ame-
rikanischen Rahmenbedingungen der Erwerbsar- – Globalisierung von Produktions- und Arbeits-
beit beschreibt er drei strukturelle Problemberei- ketten: Aus der verengten Sicht der Wirt-
che moderner Arbeitskonzepte.08 schaftsakteure, so Bergmann, steht das Wort
„global“ vor allem für den globalen Markt.
– Polarisierung von Armut und Reichtum im so- Globalisierung sei verbunden mit neuen Ge-
zialen Gefüge: Damit ist zum einen die soziale schäftsmodellen und den Folgen global or-
ganisierter Wertschöpfungsketten. Der Fo-
kus auf die rasch wachsenden Handels- und
01 Frithjof Bergmann, Neue Arbeit, neue Kultur, Freiburg/Br.
2004.
Produktionsmöglichkeiten verstelle jedoch
02 New Work Charta, ­https://humanfy.de/new-​work-​charta. den Blick auf die negative Seite der Globali-
03 Siehe hierzu auch die Beiträge von Samuel Greef/Wolf- sierung, nämlich dass immer mehr Menschen
gang Schroeder und von Hans-Jürgen Urban in dieser Ausgabe auf der Suche nach Arbeit seien. Die welt-
(Anm. d. Red.).
weite Kapitalisierung von Sektoren wie der
04 Vgl. António B. Moniz/Bettina-Johanna Krings, Robots
­Working With Humans or Humans Working With Robots?
Landwirtschaft führe dazu, dass es nicht nur
­Searching for Social Dimensions in New Human-Robot Interaction im Norden, sondern auch im globalen Süden
in Industry, in: Societies 3/2016.
05 Vgl. Bergmann (Anm. 1), S. 30.
06 Ebd., S. 83. 09 Vgl. für die USA auch Carl Benedikt Frey/Michael A. Os-
07 Vgl. Burkart Lutz, Der kurze Traum immerwährender Pros- borne, The Future of Employment: How Susceptible Are Jobs
perität. Eine Neu-Interpretation der industriell-kapitalistischen to Computerisation?, in: Technological Forecasting and Social
Entwicklung im Europa des 20. Jahrhunderts, Frank­furt/M. 1984. Change 114/2017, S. 254–280.
08 Vgl. Bergmann (Anm. 1), S. 83 ff. 10 Bergmann (Anm. 1), S. 87.

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APuZ 46/2023

immer schwieriger werde, von der Arbeit ein fang stehen meist gesellschaftliche „Problemfäl-
menschenwürdiges Leben zu führen. Auf der le“, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen oder
Suche nach Arbeit setzten sich große Migrati- nie integriert wurden. Seien es arbeitslos gewor-
onsströme in Bewegung. Diese wiesen auf die dene Menschen, Jugendliche mit Drogenproble-
Alternativlosigkeit des Systems der Lohnar- men, Strafgefangene, die jede Hoffnung auf ein
beit hin, das weltweit immer mehr zur Exis- menschenwürdiges Leben verloren haben. Er er-
tenzgrundlage der Menschen werde.11 zählt aber auch von ehemals erfolgreich integrier-
ten Menschen wie Bankern und Informatikerin-
Für Bergmann überwiegen die strukturellen Pro- nen aus dem Silicon Valley, die im Hamsterrad
bleme des historisch gewachsenen Lohnarbeits- ihres Berufsalltags erfolglos, krank und schließ-
verhältnisses in modernen Gesellschaften. Er plä- lich aus dem Arbeitssystem herausgeschleudert
diert dafür, dieses durch ein neues Verständnis von wurden. Projekte in den USA, Europa und Ost-
Arbeit zu ersetzen. New Work solle helfen, die- europa haben Bergmanns Erfahrungshorizont
sen Übergang vom System der Lohnarbeit zu ei- über die vielfältigen Ausprägungen des Lohnar-
nem intelligenteren und humaneren System der beitssystems erweitert und sein Wissen über die
Arbeit zu vollziehen. Im Umkehrschluss bedeu- vielen Facetten von Arbeit bereichert.14 Vor dem
tet dies nicht die Abschaffung des Wirtschaftssys- Hintergrund dieser Erfahrungen entwickelte er
tems, sondern dessen evolutionäre Weiterentwick- die folgenden übergeordneten Ziele einer neuen
lung.12 Vor diesem Hintergrund wurde und wird Arbeitskultur.
in zahlreichen New-Work-Zentren weltweit ver-
sucht, eine neue Arbeitskultur zu entwickeln. Das – Neue Formen des Wirtschaftens: Laut Berg-
erste Zentrum für New Work entstand in Flint, mann ist die auf Massenproduktion ausge-
weitere folgten mit dem Ziel, Bergmanns Ideen in richtete Wirtschaft so weit fortgeschritten,
die Praxis umzusetzen. Die dort gelebte Arbeits- dass sie zu komplex, zu teuer und zu unöko-
kultur setzt konsequent beim Individuum an und logisch geworden ist. Die Billigpreise der Pro-
betont den Wandel von der Ausübung der Arbeit dukte verschleiern die Externalisierung der
als existenzielle Notwendigkeit hin zur Ausübung Folgekosten wie Rohstoffabbau mit seinen
der Arbeit als Berufung. Aus dieser Perspektive ökologischen Folgen, die sozialen Probleme
soll jeder Beschäftigte mit der Frage konfrontiert der Massenproduktion sowie die große Ver-
werden, was er oder sie „wirklich, wirklich“ tun schwendung der Produkte selbst. Er schlägt
will. Diese direkte Frage ist der Kern von New kleinere Produktionseinheiten wie regional
Work. Dieser Aufforderung zu folgen, fällt vielen eingebettete Werkstätten vor, in denen 30 bis
Menschen nicht leicht, weil sie nie gelernt haben, 50 verschiedene Produkte, zum Beispiel Mö-
nach ihren inneren Bedürfnissen zu leben. Den- bel, hergestellt werden. Grundlage wäre ein
noch sind viele ambitionierte Projekte entstanden, Netzwerk kleiner lokaler Produktionswerk-
wie zum Beispiel in Vancouver, wo obdachlos ge- stätten, die in die Vielfalt der Regionen einge-
wordene Jugendliche auf den Dächern mehrerer bettet sind.
Hochhäuser in der Innenstadt in sogenannten Bio-
Blocks Gemüse anbauen.13 – Förderung und Integration avancierter Tech-
nologien: Obwohl viele der New-Work-Pro-
NEW WORK jekte in subsistenzwirtschaftlichen Struktu-
ALS NEUE ARBEITSKULTUR ren angesiedelt sind, unterstützt Bergmann
nachdrücklich das Ziel, fortschrittliche Tech-
Bergmann berichtet in seinen Büchern anschau- nologien zu entwickeln und in neuen Ar-
lich von vielen Initiativen, in denen Menschen beitsformen einzusetzen. So sind für ihn di-
für sich neue Arbeitsinhalte entwickeln. Am An- gitale Technologien per se geeignet, seine
Vorstellungen von New Work umzusetzen.
Er betrachtet digitale Technologien als Ver-
11 Vgl. Robert Castel, Die Krise der Arbeit. Neue Unsicherhei-
netzungsmöglichkeiten, die Hierarchien über-
ten und die Zukunft des Individuums, Hamburg 2011.
12 Vgl. Lisa Herzog, Die Rettung der Arbeit. Ein politischer
Aufruf, München 2019. 14 Vgl. ders./Stella Friedmann, Neue Arbeit kompakt – Vision
13 Vgl. Bergmann (Anm. 1), S. 163. einer selbstbestimmten Gesellschaft, Freiburg/Br. 2007.

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New Work APuZ

flüssig machen und effizientere, horizontale die zu sichtbaren Verbesserungen der Lohnarbeit
Arbeitsstrukturen hervorbringen. Vergleich- geführt haben, nicht außer Acht gelassen werden.
bar etwa mit der sozialen Bewegung rund um So hat beispielsweise die Etablierung von indus-
dezentrale Produktionsformen auf Basis von triellen Beziehungen – Beziehungen zwischen
3D-Druckern in den vergangenen Jahren sieht Unternehmensleitung und Beschäftigten bezie-
Bergmann den Verdienst der Nutzung digi- hungsweise zwischen Arbeitgeberverbänden und
taler Technologien darin, neue gemeinschaft- Gewerkschaften –, Sozialversicherungen und be-
liche und solidarische Nutzungsformen zu trieblicher Mitbestimmung im vergangenen Jahr-
erproben. Damit sollen branchenübergrei- hundert zu einer deutlichen Verbesserung der Ar-
fend (neue) Arbeitszusammenhänge gefördert beits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten
werden. geführt.

– Veränderte Einstellung zur Arbeit: In den ERKENNEN UND GESTALTEN


New-Work-Zentren sollen sich die Menschen DER EIGENEN FREIHEIT
auf die Suche nach einer Tätigkeit machen, die
sie als etwas Schönes empfinden. Arbeit soll Sowohl die negativen Auswirkungen des Wirt-
als Tätigkeit verstanden werden, die sie als schaftssystems als auch die Herausforderungen,
Person stärkt. Die vielfältigen Formen des Tä- die sich aus den strukturellen Problemen der
tigseins werden hier als Möglichkeit verstan- Lohnarbeit ergeben, sind zwar seit vielen Jahr-
den, sich aus starren gesellschaftlichen Struk- zehnten Gegenstand der arbeitssoziologischen
turen zu befreien, sich selbst und seine Talente und sozialphilosophischen Forschung. Die For-
zu entdecken und zu entfalten. Hier grenzt schungsarbeiten von Frithjof Bergmann sind je-
Bergmann das Konzept dezidiert von moder- doch besonders eindrucksvoll. In der Sichtbar-
nen qualifizierten bis hochqualifizierten Ar- machung von Einzelschicksalen liegt zweifellos
beitsformen ab, bei denen diese Erwartungen das große Verdienst seiner Arbeit und der Arbeit
(Engagement, Commitment) auch von den der New-Work-Zentren. Einerseits zeigt er große
Arbeitgebern an die Beschäftigten herangetra- Empathie für die Menschen, die durch das gesell-
gen werden.15 New Work soll aber die Men- schaftliche Raster der Erwerbsarbeit gefallen sind.
schen ermächtigen, sie (wieder) in ihre eigene Andererseits ist er empört über den unerschütter-
Lebendigkeit hineinführen und nicht nur ein lichen Glauben dieser Menschen, „selbst schuld
„Zahlungsmittel“ für den Erhalt der eigenen an ihrer Arbeitslosigkeit“ zu sein.18 Bergmanns
Existenz sein.16 Ansätze sind radikal und gesellschaftspolitisch
aktuell. Sie verweisen auf den Ansatz der Selbs-
Alle drei Ziele nehmen in Bergmanns Werk ei- termächtigung und Emanzipation der Individu-
nen hohen Stellenwert ein. Arbeit als Mittel zur en in Arbeitsprozessen. Seine Kritik am gesell-
Emanzipation wirkt allerdings in den Beschrei- schaftlichen Konzept der Lohnarbeit, eingebettet
bungen Bergmanns häufig idealisiert und wird in das kapitalistische System einer Wachstumslo-
der Vielfalt heutiger Arbeitsrealitäten kaum ge- gik, wird seit Jahrzehnten in vielen wissenschaft-
recht. Die Philosophin Lisa Herzog weist in die- lichen und öffentlichen Diskursen aufgegriffen
sem Zusammenhang auf zwei Aspekte hin, die und diskutiert.
Berücksichtigung finden sollten: Zum einen soll- Weitgehender Konsens in den aktuellen
te Erwerbsarbeit für die Lebensgestaltung nicht Debatten ist die Annahme, dass auch in wohl-
überbetont werden. Vielfältige „Möglichkeiten fahrtsstaatlich organisierten Gesellschaften der
zur Reduzierung von Arbeit und zur Effizienz- Trickle-down-Effekt nicht (mehr) funktioniert.
steigerung“ sollten auch zur „Schonung natürli- Dieser besagt, dass „wirtschaftliche Zuwächse
cher Ressourcen“ genutzt werden. 17 Zum ande- von den wohlhabenden Schichten der Gesell-
ren sollten arbeitspolitische Errungenschaften, schaft irgendwie zu den weniger Privilegierten
‚hinuntertröpfeln‘“.19 Die vergangenen Jahr-
zehnte machten jedoch zunehmend deutlich,
15 Für Kritik an diesen Erwartungen vgl. auch Luc Boltanski/
Ève Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2003.
16 Bergmann (Anm. 1), S. 379. 18 Bergmann (Anm. 1), S. 100.
17 Herzog (Anm. 12), S. 23 ff. 19 Herzog (Anm. 12), S. 20.

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APuZ 46/2023

dass gesellschaftliche Probleme nicht allein der en Auftrieb. 23 Im Rahmen dieser Diskussi-
Gestaltungsmacht der Märkte überlassen wer- onen gibt es viele Parallelen zum Konzept
den dürfen. Im Gegenteil: Spätestens die Pande- von New Work, etwa in der Debatte um
mie, aber auch jüngere Krisen wie der Krieg in den Sinn von Arbeit, Arbeit als „Vorsorgen-
der Ukraine haben gezeigt, dass eine „demokra- des Wirtschaften“ 24 oder in Konzepten, die
tische Kontrolle der Wirtschafts- und Arbeits- Arbeiten, Wirtschaften und Leben zusam-
welt“ 20 notwendig ist, die weit in die Arbeitswelt menführen. Ihnen allen liegt die Annahme
hineinreicht. An zwei Beispielen, der Automati- zugrunde, dass alle Tätigkeiten wie Fürsor-
sierung von Arbeitsprozessen und der Erweite- gearbeit, Reproduktionsarbeit, künstleri-
rung des Arbeitsbegriffs, wird dies im Folgenden sche und gestalterische Arbeit als Arbeit zu
skizziert. verstehen sind. Darüber hinaus geht es auch
um die Frage, wie Existenzsicherung, sozi-
– Automatisierung von Arbeitsprozessen: Die alstaatliche Absicherung und gesellschaft-
herausragende Rolle der technologischen Ent- liche Teilhabe vom System der Lohnarbeit
wicklung im New-Work-Konzept entspricht entkoppelt und in neue gesellschaftliche Le-
den aktuellen (kritischen) Debatten um die bens- und Arbeitsmodelle integriert werden
Automatisierung von Arbeitsprozessen durch können.
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz.21
Auch in diesen Diskussionen werden digitale Die Neubewertung von Arbeit, neue Formen
Technologien als zentrale Voraussetzung für der gesellschaftlichen Anerkennung von Arbeit,
den Fortschritt in Arbeitsbereichen wie der die Rückkehr zu kleineren, regionalen Produk-
Produktion oder der Medizin gesehen. Zu- tionseinheiten oder die Umdeutung innovati-
nehmend werden auch soziale und ethische ver Technologien in Arbeitsprozessen, die einer
Aspekte in die Gestaltung digitaler Technolo- „vorsorgenden“ Wirtschaftsweise dienen sol-
gien in Arbeitsumgebungen einbezogen. Vor len, sind Themen, die seit Jahrzehnten in kriti-
allem Debatten über ethische Dimensionen, schen, wissenschaftlichen Debatten verhandelt
beispielsweise im Gesundheitswesen, müssen werden.25 Sie basieren auf der Annahme, dass
verstärkt geführt werden. Denn hier werden das „Erwerbsarbeitssystem umgebaut“ werden
Entscheidungen darüber getroffen, ob sich muss, um eine „gleichberechtigte Einbeziehung
digitale Technologien in einem System ent- der Menschen in das Gemeinwesen“ zu ermögli-
wickeln, in dem die ökonomische Effizienz chen.26 Vor diesen Forderungen stellt Bergmann
von Arbeitsprozessen und damit die Anpas- seine Frage an die Menschen, was sie in ihrem
sungsbereitschaft der Menschen zum Maßstab Leben wirklich, wirklich tun wollen. Bei dieser
wird, oder ob Ideen umgesetzt werden, bei Frage geht es um nichts weniger als um das in-
denen die Qualität der Arbeit im Vordergrund dividuelle Erkennen und Gestalten der eigenen
steht.22 Freiheit. Der Freiheitsbegriff des New-Work-
Konzepts ist tief verwurzelt in den Freiheitsver-
– Neubewertung und Erweiterung des Ar- sprechen unserer Gegenwartsgesellschaft. New
beitsbegriffs: Die Diskussion um eine Neu- Work setzt zweifellos bei den Menschen an, um
bewertung des Arbeitsbegriffs hat eine lange dieses Freiheitsversprechen Schritt für Schritt
Tradition und erhielt im Zuge der Debat- einzulösen, was auch als utopische Seite des
te um Postwachstumsgesellschaften neu- Konzepts verstanden werden kann.

20 Ebd., S. 22. 23 Vgl. Irmi Seidl/Angelika Zahrnt (Hrsg.), Tätigsein in der


21 Vgl. Bettina-Johanna Krings/António B. Moniz/Philipp Frey, Postwachstumsgesellschaft, Marburg 2019.
Technology as Enabler of the Automation of Work? Current 24 Adelheid Biesecker/Uta von Winterfeld, Erwerbsarbeit
Cocietal Challenges for a Future Perspective of Work, in: Revista im Schatten – im Schatten der Erwerbsarbeit? Plädoyer für
Brasileira de Sociologia 21/2021, S. 206–229. ein schattenfreies Arbeiten, 18. 3. 2011, h­ ttps://gegenblende.
22 Vgl. Arne Manzeschke/Alexander Brink, Die Digitalisierung dgb.de/artikel/++​co++​a3a26b18-​5167-​11e0-​79ac-​0 01ec-
im Gesundheitswesen: Ethische Perspektiven, in: Alexandra 9b03e44.
Manzei-Gorsky/Cornelius Schubert/Julia von Hayek (Hrsg.), 25 Vgl. Axel Honneth, Kampf um Anerkennung, Frank­furt/M.
Digitalisierung und Gesundheit, Baden-Baden 2022, S. 25–66, 1994.
hier S. 50. 26 Seidl/Zahrnt (Anm. 23), S. 13.

08
New Work APuZ

SCHLUSS Entwicklung der Menschen zu fördern und mit


den Unternehmenszielen in Einklang zu brin-
Geht man zu den Ursprüngen von New Work gen. So beschreibt etwa die Aussage „New Work
zurück, so fasst das folgende Zitat des Sozialphi- needs inner Work“29 die individuellen Entwick-
losophen Oskar Negt die Grundgedanken gut lungsprozesse, die Menschen durchlaufen, um in
zusammen: flexiblen und selbstorganisierten Teams gleich-
berechtigt zusammenzuarbeiten. Empathiefä-
„Wir müssen ganz andere und reichhaltigere For- higkeit, die Fähigkeit zur Selbstreflexion und die
men der Arbeit entwickeln und fördern, in de- gemeinsame Entwicklung von Unternehmenszie-
nen die Menschen sich in ihren Ansprüchen an len sind beispielsweise Eigenschaften, die hier in
Selbstverwirklichung wiedererkennen, weil sich langsamen Prozessen gemeinsam erlernt werden.
ihre individuelle Tätigkeit gleichzeitig als verant- Aber, und hier schimmert doch wieder die ur-
wortungsbewusste Arbeit für das Gemeinwesen sprüngliche Idee von New Work durch, es wer-
erweist.“27 den auch Grundelemente guter (Selbst-)Führung
wie Sinnstiftung, Wertschätzung, Vertrauen und
Bergmann hatte einen ganz anderen Adressaten- Verantwortung erarbeitet, die individuell entwi-
kreis im Blick als heutige New-Work-Konzepte. ckelt und im Team zur Entfaltung gebracht wer-
Heute steht meist die Entfaltung des Individuums den sollen.30
in Arbeitszusammenhängen im Vordergrund, Das große Verdienst von New Work ist, dass
meist aus der Perspektive der Unternehmen. Ge- es ein Konzept ist, das sich in der Praxis bewäh-
rade in der Zeit nach der Pandemie werden gro- ren muss. Es ist kein theoretisches Konzept, das
ße Anstrengungen unternommen, Arbeitswel- in der Kritik am Lohnarbeitssystem verharrt,
ten nach New-Work-Kriterien zu schaffen. Hier sondern das sich an den Erfahrungen der Men-
entstand und entsteht eine enorme Vielfalt des- schen messen lassen will. Lösungsstrategien ori-
sen, was unter dem Label New Work firmiert. entieren sich an den Bedürfnissen der Menschen.
Individuelle Coaching-Strategien, Self-Assess- Sie sind regional in Gemeinschaftsprojekten ver-
ments, digitale Tools werden in allen Branchen ankert und zielen darauf ab, das auszudrücken,
in Unternehmensstrategien umgesetzt, um die was die Menschen wirklich wollen. Im Gegensatz
Motivation und Eigenverantwortung der Be- zu heutigen Ansätzen wandte sich Bergmann ex-
schäftigten zu steigern. Gleichzeitig wird an der plizit an Menschen, die bereits durch das gesell-
physischen Gestaltung der Arbeitsumgebung ge- schaftliche Raster gefallen waren und kaum noch
arbeitet. „Neue und offene Arbeitswelten mit eine gesellschaftliche Perspektive hatten. Vor die-
Rückzugs- und Spielmöglichkeiten“ sollen den sem Hintergrund entwickelte er Arbeitsutopien,
Beschäftigten ein angenehmes Arbeitsklima er- die heute in vielfältiger Weise weiterentwickelt
möglichen.28 New2930 Work steht weitgehend für in- werden. Aber auch für die aktuellen New-Work-
telligente Arbeitsbedingungen und flexibel nutz- Ansätze ist es notwendig, die gesellschaftspoli-
bare Arbeitswelten. tische Dimension von New Work nicht aus den
Gleichzeitig kann der Blick auch auf neue, Augen zu verlieren. Nur wenn man bei New
experimentelle Arbeitsformen gerichtet werden. Work das Ganze im Blick behält, kann das Kon-
Hier sind in den vergangenen Jahren zahlreiche zept realisiert werden und kreative normative Po-
sozialinnovative Start-ups entstanden, die un- tenziale entfalten.
ter dem Schlagwort „New Work“ neue Unter-
nehmensmodelle erproben. Ein Ansatz versucht
etwa, ganz im Sinne Bergmanns, die individuelle

27 Oskar Negt, Arbeit und menschliche Würde, Göttingen


2001, S. 713 ff.
28 Stefanie Hutschenreuther, Arbeiten 4.0: Bunt, vielfältig, BETTINA-JOHANNA KRINGS
individuell, in: Anzeigensonderveröffentlichung zur Zukunft der
ist Senior Scientist am Institut für Technikfolgenab-
Arbeit, 2019, www.faz.net/-​4 -​0 -​16426239.html.
29 Joana Breidenbach/Bettina Rollow, New Work Needs Inner
schätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher
Work, München 2019. Institut für Technologie (KIT).
30 Vgl. ebd., S. 45 bettina-​johanna.krings@kit.edu

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APuZ 46/2023

HOME IS WHERE THE OFFICE IS


Zur Geschichte der Telearbeit
Michael Homberg · Mirko Winkelmann

Im Juli 1973 erprobte eine interdisziplinäre For- de, seiner Familie und seinen Arbeitskollegen
schergruppe um den ehemaligen Raketeninge- ­beruht“.01
nieur Jack Nilles an der University of Southern Bemerkenswert an dieser Episode sind vor
California in Los Angeles in mehreren Feldver- allem zwei Punkte: erstens die zentrale Rolle, die
suchen ökonomische und ökologische Alter- Telearbeit speziell in der breiteren gesellschaft-
nativen zur Büroarbeit. Dazu untersuchte die lichen Diskussion um die „Zukunft der Arbeit“
Gruppe die Möglichkeiten, die Computer und und vor allem um eine „Flexibilisierung“ der Ar-
digitale Netzwerke boten, um neue Formen beit in der Folgezeit einnahm. Zweitens die Be-
dezentralen Arbeitens zu etablieren. Möglich ständigkeit der zentralen Argumente, die seit
wurde dies durch Minicomputer in eigens ein- den 1970er Jahren immer wieder – und zum Teil
gerichteten Satellitenbüros, die über (Telefon-) bis heute – zu diesem Thema vorgebracht wer-
Standleitungen mit den Großrechnern in den den und in denen sich die Euphorien und Ängs-
Zentralen der kooperierenden Unternehmen te des digitalen Zeitalters exemplarisch wider­
verbunden waren. Die Beschäftigten, zu Be- spiegeln.02
ginn vor allem Sach­be­arb­ei­ter:­innen in Banken Die kurze Geschichte der Telearbeit in der
und Versicherungen, konnten so wohnortnah Bundesrepublik, die hier in Diskurs und Praxis
arbeiten, statt täglich weite Strecken mit dem beschrieben wird, soll dazu dienen, den mit dem
Auto zur Arbeit fahren zu müssen, was unter schillernden Begriff „New Work“ bezeichneten
dem Eindruck der ersten Ölkrise 1973 zu einem Wandel der Erwerbsarbeit hin zu mehr Autono-
dringlichen Anliegen wurde. Für diese Form der mie, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung
Substitution von Verkehr durch Telekommuni- als ein Feld umfassender Verhandlungen über die
kation wählte Nilles den Begriff „telecommu- Zukunft der Arbeit darzustellen. An ihrem Bei-
ting“, also „
­ Telependeln“. spiel wollen wir diskutieren, wie der Weg in die
Nilles und sein Team nahmen in ihrer Stu- digitale Gesellschaft verlaufen ist und welche Ak-
die viele zentrale Argumente vorweg, die den teure ihn geprägt ­haben.
US-amerikanischen und auch den deutschen
Diskurs über Telearbeit in der Folgezeit be- HEIMARBEIT:
stimmen sollten. Ursprünglich ging es ihnen VON DER NORM
um die Entlastung des Verkehrssystems und ZUM NORMBRUCH
die Verringerung der Energieabhängigkeit der
amerikanischen Wirtschaft. Darüber hinaus Das Arbeiten von zu Hause war über viele Jah-
skizzierten sie aber bereits die verschiedenen re nichts Neues gewesen. Im Gegenteil: Ob hohe
sozioökonomischen Facetten der neuen Form Beamte, Richter, Ärzte oder auch Lehrer – ge-
der Arbeitsorganisation – von einer stärkeren rade im (Bildungs-)Bürgertum gehörte es über
Leistungskontrolle über mehr Autonomie bis Jahrhunderte hinweg zur Normalität, im heimi-
hin zu einer besseren Vereinbarkeit von Be- schen Arbeitszimmer Fachliteratur zu studieren,
ruf und Privatleben für die Beschäftigten. Ins- Schriftstücke zu verfassen oder Korresponden-
gesamt sah Nilles rosige Zeiten heraufziehen: zen zu pflegen. Auch für Kaufleute und Hand-
„eine günstige Veränderung der Lebensqua- werker war eine Trennung von Arbeits- und
lität für den Einzelnen; eine Veränderung, die Wohnort eher selten; meistens befanden sich Ge-
auf einer gesünderen Umwelt und einem stär- schäftszimmer oder Werkstatt, zusammen mit
keren Gefühl der Identität mit seiner Gemein- Warenlager und Wohnräumen, unter einem D ­ ach.

10
New Work APuZ

Mit dem Aufkommen der sozialen Frage zu von Büros und dezidierten Gewerbegebieten so-
Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Heimar- wie dem Bedeutungsverlust des landwirtschaftli-
beit kritisch beäugt. Im Fokus standen hierbei chen Sektors wurde die Trennung von Arbeits-
aber nicht die bürgerlichen Schichten, sondern und Wohnort für die meisten Berufszweige in
einfache Arbeiter:innen und landlose Bauern, die den Industrieländern zwar allmählich zur Norm.
im Auftrag städtischer Händler im sogenannten Ganz verschwand die klassische Heimarbeit je-
Verlagssystem in ihren heimischen vier Wänden, doch nicht. Als eher schlecht entlohnter und
in der Regel gegen Bereitstellung der Rohstoffe meist wenig sinnstiftender (Neben-)Erwerb, bei-
und per Stücklohn, Waren wie Tuch12 herstellten.03 spielsweise zur Herstellung von Christbaum-
Durch den Preisverfall bei diesen Produkten im schmuck oder Montage von Kugelschreibern,
Zuge der Industrialisierung war diese Art der de- wurde sie über das gesamte 20. Jahrhundert hin-
zentralen Erwerbstätigkeit bald nicht mehr ein- weg weiter praktiziert. Der Anteil der Heim­ar­
träglich.04 Ikonisch wurde das Elend der Heim­ bei­ter:­innen an der Gesamtzahl aller Erwerbstä-
ar­bei­ter:­innen im schlesischen Weberaufstand, tigen sank indes weiter und lag 1980 bei gerade
dem eine entscheidende Rolle in der Vorge- einmal 0,7 Prozent – also bei rund 148 000 Heim­
schichte der politischen Umwälzungen von 1848 ar­beit­neh­mer:­innen.06
zukam. Noch um das Jahr 1900 wurde das The- Das heimische Arbeitszimmer verschwand
ma heiß diskutiert, nunmehr vor allem mit Blick nach 1945 allerdings keineswegs – insbesondere
auf die Beschäftigung von Frauen. Schon damals nicht das von Lehrern, Journalisten oder Juris-
hieß es, es habe nur „selten (…) eine Frage mehr ten. An der Schwelle der 1960er Jahre erprobten
Staub aufgewirbelt, als die nach der Regelung der zudem auch einzelne Computerfirmen im ang-
Heimarbeit.“05 loamerikanischen Raum neue Modelle des Ar-
Die klassische Heimarbeit wurde damit für beitens von zu Hause: etwa 1957 Computations
lange Zeit zum Sinnbild prekärer Beschäfti- Inc. in Harvard, Massachusetts, oder 1962 Free-
gungsverhältnisse und auch zur Folie der ersten lance International in Chesham, 40 km nörd-
Diskussionen über Telearbeit in Deutschland. lich von London. Diese spezialisierten sich auf
Mit dem Siegeszug der Fabriken, dem Entstehen die Vermittlung von Programmierarbeiten. An-
gesichts der immensen Kosten und der schie-
ren Größe der Elektronengehirne standen die
01 Vgl. Jack M. Nilles et al., The Telecommunications-Transpor-
tation Tradeoff. Options for Tomorrow, New York 1976, S. 158 f.,
Computer jedoch keineswegs in den Wohnun-
(eig. Übersetzung). gen der Angestellten. Vielmehr wurde der Code
02 Vgl. dazu allg. Frank Bösch, Euphorie und Ängste. Westliche hier mit Stift auf Papier im heimischen Arbeits-
Vorstellungen einer computerisierten Welt: 1945–1990, in: zimmer erstellt, dann postalisch an die Rechen-
Lucian Hölscher (Hrsg.), Die Zukunft des 20. Jahrhunderts:
zentren gesendet, wo er in Lochkarten gestanzt
Dimen­sionen einer historischen Zukunftsforschung, Frank­
furt/M.–New York 2017, S. 221–252; Martina Heßler, Zur
und schlussendlich in den Rechner eingegeben
Persistenz der Argumente im Automatisierungsdiskurs, in: APuZ ­wurde.07
18–19/2016, S. 17–24. Zugleich gab es bereits Mitte der 1960er Jah-
03 Vgl. Roland Bettger, Verlagswesen, Handwerk und Heimar- re erste praktische Versuche einer räumlichen
beit, in: Rainer A. Müller et al. (Hrsg.), Aufbruch ins Industriezeit-
Verlagerung von Erwerbsarbeit mittels neu-
alter, Bd. 2, München 1985, S. 175–183. Vgl. dazu auch Jürgen
Kocka, Kampf um die Moderne. Das lange 19. Jahrhundert in
er Computertechnik. In aller Regel war diese
Deutschland, Bonn 2022, S. 67–75. neue Heimarbeit eine Verlegenheitslösung, um
04 Während um 1850 noch knapp 10 Prozent aller Beschäf- etwa Programmiererinnen nach der Geburt ei-
tigten im Heimgewerbe arbeiteten, waren es um 1900 nur noch
2,7 Prozent. Vgl. Jürgen Kocka, Arbeitsverhältnisse und Arbeiter-
existenzen. Grundlagen der Klassenbildung im 19. Jahrhundert, 06 Vgl. Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.), ANBA. Arbeitsstatistik
Bonn 1990, S. 224–264, hier S. 231–235; Karl Ditt/Sidney 1980 – Jahreszahlen, Nürnberg 1981, S. 24.
Pollard, Von der Heimarbeit in die Fabrik, Paderborn 1992; 07 Vgl. Janet Abbate, Recoding Gender. Women’s Changing
Friedrich Lenger, Metropolen der Moderne, München 2013, Participation in Computing, Cambridge MA 2012, S. 113–143.
S. 63–78. Zur Rolle des Programmierens vgl. David Gugerli, Wie die Welt
05 So die Frauenrechtlerin Elisabeth Gottheiner zit. nach Eva in den Computer kam. Zur Entstehung digitaler Wirklichkeit,
Schöck-Quinteros, Heimarbeiterschutz für „die Mütter des arbei- Frank­furt/M. 2018, S. 37–59; Nathan Ensmenger, The Computer
tenden Volkes“. Deutschland 1896–1914, in: L’Homme. Zeitschrift Boys Take Over, Cambridge MA 2010, S. 51–82; Mar Hicks,
für feministische Geschichtswissenschaft 9/1998, S. 183–215, Programmed Inequality, Cambridge MA 2018, S. 205–216
hier S. 183. sowie S. 225–240.

11
APuZ 46/2023

nes Kindes im Betrieb zu behalten. Die Initiative ein schillerndes Bild des Arbeitens von zu Hau-
für solche Arbeitsarrangements ging dabei in vie- se zeichnete.10
len Fällen von den Beschäftigten selbst aus.08 Die Eine breitere Diskussion der Idee elektro-
räumliche Flexibilisierung des Arbeitsortes ging nisch vernetzter Gesellschaften setzte 1980 mit
schon in diesen Jahren mit der Lockerung von dem Erscheinen des globalen Bestsellers von Al-
Regeln und Gewohnheiten im Bereich der Ar- vin und Heidi Tofflers „The Third Wave“ ein –
beitszeitorganisation einher, etwa mit dem An- auch in Deutschland. Das amerikanische Futuro­
stieg der Teilzeitarbeit, aber auch neuen, indivi- logen­ehepaar, das schon 1970 mit „The Future
duellen Arbeitszeitvereinbarungen. Diese sollten Shock“ für Aufsehen gesorgt und Begriffe wie die
später auch die Auseinandersetzung um die elek- „Wegwerfgesellschaft“ geprägt hatte, beschrieb
tronische Heimarbeit prägen. hierin den Weg von „der Industriegesellschaft zu
einer humaneren Zivilisation“, so der Untertitel
ELECTRONIC COTTAGES der deutschen Übersetzung.11
Neben positiven Auswirkungen auf die Um-
Das wichtigste Unterscheidungsmerkmal zwi- welt und hier insbesondere den Verkehr und Ener-
schen klassischer Heimarbeit und dem, was wir gieverbrauch, zu deren Erörterung sie ausgiebig
heute Telearbeit – im heimischen Homeoffice auf die Studie von Nilles verwiesen, beleuchteten
oder in Form der mobilen Remote Work – nen- die Tofflers auch die sozialen Aspekte des Tele-
nen, ist die verwendete Technik. Die Entwick- commutings. So bedeute die neue „Sesshaftigkeit“,
lung der neuen Arbeitsarrangements war daher wie sie schrieben, „weniger erzwungene Mobilität,
eng mit der Ausbreitung neuer digitaler Hard- weniger Stress für den einzelnen, weniger flüchti-
ware verbunden, allen voran von Terminals und ge zwischenmenschliche Beziehungen“.12 Bei ih-
PCs. Neben der Miniaturisierung der Computer- nen avancierte die Telearbeit in den neuen „elec-
technik durch Mikrochips spielte auch die Ent- tronic cottages“ damit zu einem Kernelement der
wicklung der kommunikationstechnischen Infra- Lebens- und Arbeitswelten von Morgen.
strukturen, das heißt der Datenverbindungen und Werke der populären Zukunftsforschung wie
-dienste, eine große ­Rolle. „The Third Wave“ hatten auch in Deutschland im
Dass die Geschichte des Telependelns – wie „Age of Uncertainty“ (John Kenneth Galbraith,
Nilles Experimente zeigen – Ende der 1970er Jah- 1977) der 1970er und 1980er Jahre, in denen apo-
re in der Nähe des Silicon Valleys, der Heimstät- kalyptische Visionen etwa von den „Grenzen des
te der Computer- und Halbleiterindustrie, ihren Wachstums“ (Club of Rome, 1972) dem Image als
Ausgang nahm, mag daher kaum verwundern. Krisendekaden Ausdruck verliehen, eine große
Schon lange vor den ersten praktischen Versu- Reichweite.13 Eine genauere Betrachtung dieser
chen war die Idee vernetzter Arbeitswelten über Szenarien einer anbrechenden „postindustriel-
die amerikanische Westküste hinaus zum Gegen- len Gesellschaft“ (Daniel Bell, 1973) zeigte indes,
stand populärer Imaginationen geworden. Der dass auch die sozialwissenschaftliche Forschung
Topos einer Dezentralisierung der Wirtschaft, die neuen digitalen Technologien, trotz aller Am-
der auch die gegenkulturell-libertären Ver­tre­ter:­ bivalenzen, wenigstens zu Beginn durchaus eu-
innen einer alternativen Ökonomie begeisterte,09 phorisch herbeisehnte und als Schlüssel zur Ge-
besaß im anglo-amerikanischen Raum eine länge- staltung der „Zukünfte der Arbeit“ diskutierte.
re Tradition. Die Medien zitierten diesen Topos
gerne. So etwa das „New York Magazine“, das in
seiner Titelstory „Home Is Where The Office Is“ 10 Vgl. Theodore Pettus, Home Is Where the Office Is, in: New
York Magazine, 12. 4. 1982, S. 28–34.
11 Vgl. Alvin Toffler, Die Zukunftschance. Von der Industriege-
08 Vgl. Abbate (Anm. 7), S. 115 f.; Mar Hicks, Sexism Is a Fea- sellschaft zu einer humaneren Zivilisation, München 1980. Zur
ture, Not a Bug, in: Thomas S. Mullaney et al. (Hrsg.), Your Com- Entstehung und Rezeption vgl. Torsten Kathke, Im Banne des
puter Is on Fire, Cambridge MA, S. 135–158, hier S. 143–147. „Zukunftsschocks“. Zukunftsvorstellungen in populären Sachbü-
09 Darunter war z. B. auch Stewart Brand, der Begründer chern der 1970er-Jahre, in: Paulina Dobroc/Andie Rothenhäus-
des „Whole Earth Catalog“, der als Bibel der kalifornischen ler (Hrsg.), 2000 Revisited. Visionen der Welt von morgen im
Computer-Alternativkultur um 1970 gelten kann. Vgl. dazu Fred Gestern und Heute, Karlsruhe 2020, S. 141–157.
Turner, From Counterculture to Cyberculture, Chicago 2006; 12 Toffler (Anm. 11), S. 213.
Ursula Huws, The Making of a Cybertariat. Virtual Work in a 13 Vgl. dazu Elke Seefried, Zukünfte. Aufstieg und Krise der
Real World, New York 2003, S. 86–100. Zukunftsforschung 1945–1980, Berlin 2015.

12
New Work APuZ

In der Bundesrepublik der 1970er Jahre skiz- versenden. Da im Bereich der Sekretariate und
zierten Intellektuelle wie der Kybernetiker Karl Schreibarbeiten vor allem Frauen für die Sachbe-
Steinbuch oder der Soziologe und Systemanaly- arbeitung beschäftigt waren, waren die Teilneh-
tiker Helmut Krauch Planungs- und Machbar- mer des Versuchs ausnahmslos ­weiblich.16
keitsvisionen aus dem Geiste des Computers.14 Der Modellversuch war in dieser Form proto-
Bis zur Mitte der 1980er Jahre – vor allem vor typisch für die Einführung neuer Informations-
dem Hintergrund des Orwell-Jahres 1984 – rück- und Kommunikationstechniken im Bürobereich.
ten dann die politischen, soziokulturellen und Angesichts des damaligen Entwicklungsstan-
ökonomischen Belastungen und Bedrohungen des der Technik kamen für die Rationalisierung
durch den computergemachten Fortschritt stär- des Büros vor allem einfache Routinetätigkeiten
ker in den Fokus.15 infrage, die – eingedenk des allgemein stark ge-
schlechtsspezifisch gegliederten Arbeitsmarktes
ARBEITSPLÄTZE dieser Jahre – mehrheitlich von Frauen verrich-
UND KABELNETZE tet wurden.17
Die Telearbeitsexperimente erregten von Be-
Anfang der 1980er Jahre schwappte die publizis- ginn an die Gemüter.18 So rangen Politik, Kon-
tische Welle des Telearbeitsdiskurses auch nach zerne sowie Arbeitgeber- und Arbeitnehmerver-
Europa und in die Bundesrepublik. Eine erste bände um die diskursive Deutung der Telearbeit.
Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Dabei reichte das Spektrum von einer scharfen
Forschung und Technologie erörterte 1982 die Ablehnung der elektronischen Heimarbeit, die
„Auswahl, Eignung und Auswirkungen von in- insbesondere von den Gewerkschaften in Ana-
formationstechnisch ausgestalteten Heimarbeits- logie zum historischen Heimarbeiterelend der
plätzen“ – und noch im selben Jahr unternahm schlesischen Weber des 19. Jahrhunderts gese-
der Siemens-Konzern erste Versuche im Bereich hen wurde,19 bis hin zum Lobpreis als neue Form
der „autarken Texterfassung“. So begann, wenn der persönlichen Entfaltung und Möglichkeit zur
auch etwas zeitversetzt, die Praxis des Telearbei- besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
tens auch in Deutschland. Für einen Modellver-
such in Baden-Württemberg wurden in der Folge
16 Vgl. Hans-Ulrich Wegener, Telearbeit für das Büro: Ein
zwischen 1984 und 1986 insgesamt 21 häusliche
Modellversuch der Siemens AG, in: Data Report 1/1983, S. 4–7;
Telearbeitsplätze eingerichtet. Primär sollte es Hans-Jörg Bullinger et al., Telearbeit. Schaffung dezentraler
darum gehen, einen neuen Datenübertragungs- Arbeitsplätze unter Einsatz von Teletex, Halbergmoos 1987.
dienst, der unter dem Namen „Tele­tex“ von Sie- 17 Zu den Auswirkungen der (Arbeitszeit-)Flexibilisierung, dem
mens entwickelt wurde, zu erproben. Dieser bot Wandel des Arbeitsmarktes und der Ausweitung des Dienstleis-
tungssektors vgl. Christina von Oertzen, Teilzeitarbeit und die
die Möglichkeit, mittels elektronischer Spei-
Lust am Zuverdienen. Geschlechterpolitik und gesellschaftlicher
cherschreibmaschinen layout-getreue Texte zu Wandel in Westdeutschland 1948–1969, Göttingen 1999,
S. 210–232; Christiane Kuller, Ungleichheit der Geschlechter,
in: Hans Günter Hockerts/Winfried Süß (Hrsg.), Soziale Un-
14 Vgl. exemplarisch Karl Steinbuch, Communication in the gleichheit im Sozialstaat. Die Bundesrepublik Deutschland und
Year 2000, in: Robert Jungk/Johan Galtung (Hrsg.), Mankind Großbritannien im Vergleich, München 2010, S. 65–88.
2000, London 1969, S. 165–170; Helmut Krauch, Computer- 18 Zu Diskurs und Praxis der Telearbeit in der Bundesrepublik
Demokratie. Hilft uns die Technik entscheiden?, München vgl. eingehend Mirko Winkelmann, Vom Risiko zur Verhei-
1972, S. 58–60. Ein positives Bild der elektronisch „vernetzten ßung? Zukünfte des Arbeitens von zu Hause seit den 1980er
Gesellschaft“ prägten in der angloamerikanischen Debatte vor Jahren, in: Franziska Rehlinghaus/Ulf Teichmann (Hrsg.), Ver-
allem der britische Computerexperte James Martin („The Wired gangene Zukünfte der Arbeit: Aussichten, Ängste und Aneig-
Society“, 1978) sowie in der Folge die US-Autoren Joseph Deken nungen im 20. Jahrhundert, Bonn 2019, S. 127–153; Michael
(„Electronic Cottage“, 1983) und Tom Forester („High-Tech Homberg/Anja Abendroth/Laura Lükemann, From „Home
Society“, 1985). Work“ to „Home Office Work“? Perpetuating Discourses and
15 Vgl. Joseph Weizenbaum, Die Macht der Computer und Use Patterns of Tele(home)work Since the 1970s, in: Work,
die Ohnmacht der Vernunft, Frank­furt/M. 1977; Klaus Haefner, Organisation, Labour & Globalisation 1/2023, S. 74–116,
Der Große Bruder. Chancen und Gefahren für eine informierte hier S. 83–90.
Gesellschaft, Düsseldorf 1980. Zum Wandel des Diskurses ab 19 Vgl. Angelika Bahl-Benker, Elektronische Heimarbeit: Die
den späten 1970er Jahren vgl. auch Daniel T. Rodgers, Age „schöne neue Arbeitswelt“?, in: Die Mitbestimmung 12/1983,
of Fracture, Cambridge MA 2011; Andreas Reckwitz, Gesell- S. 572–576; Ina Hönicke, Kinder, Küche und Computer:
schaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Teleheimarbeit: Traumjob oder Schlesische Verhältnisse?, in:
Berlin 2017. Computerwoche Extra, 8. 2. 1985, S. 4–7.

13
APuZ 46/2023

1983 forderte die IG Metall gar ein Verbot der


Telearbeit.20
Die Kritiker der „elektronischen Heimarbeit“
– allen voran aus den Gewerkschaften – bemerk-
ten, dass die Advokaten des Arbeitens von zu
Hause, besonders in der christ­lich-libera­len Ko-
alition unter Kanzler Helmut Kohl, in der zeit-
lichen und räumlichen Flexibilisierung der Ar-
beitswelten ein Werkzeug sähen, um eine neue
konservative Sozial- und Familienpolitik ins Werk
zu setzen. Für sie erschien der Vorstoß, Kind und
Karriere zusammenzubringen, so vor allem als
ein Mittel, die werktätigen Frauen (einmal mehr)
ans Haus zu binden, und sie sahen darin die Per-
petuierung überkommener Rollenbilder und die
Förderung einer „neuen ­Mütterlichkeit“.21
Bis in die 1990er Jahre wurden im Bundestag
im Zusammenhang mit dieser Kontroverse enga-
gierte Debatten über die Chancen und Risiken der
neuen Technik, die Veränderung von Beschäfti-
gungsverhältnissen, neue und alte Ungleichheits-
konstellationen, Rollenbilder und Werte geführt.
Trotz hitziger Auseinandersetzungen und weite- Computer-Heimarbeiterin an ihrem Arbeitsplatz in
rer, nun größerer Modellversuche, allen voran bei der Küche mit Kindern, 1990
Unternehmen wie IBM22 oder der Telekom, blieb © J. H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung, Archiv der sozialen
die viel diskutierte Verheißung vom mobilen Ar- Demokratie, Signatur 6/FJHD021146
beiten aber ein Papiertiger.

„NEW WORK“ Noch 1985 nutzten einer Studie zufolge ledig-


IM HOMEOFFICE? lich 5 Prozent der Haushalte in der Bundesrepu-
blik einen Computer; dabei war auch die Akzep-
Nur wenige Jahre später, um die Jahrtausendwen- tanzrate für Telearbeit im europäischen Vergleich
de, sah der Blick auf Telearbeit schon ganz anders ausgesprochen gering: Von 10 000 befragten Haus-
aus. Dies bezeugten auch die sich rapide verän- halten in Deutschland, Frankreich, Großbritanni-
dernden politischen und gesellschaftlichen Dis- en und Italien interessierten sich in Deutschland
kurse über das digitale Zeitalter. Mit der zuneh- lediglich etwas mehr als 8 Prozent der angestellten
menden Verbreitung der Technik veränderten sich Beschäftigten für diese neue Arbeitsform.23 All-
auch die Haltungen zum Computer. So bauten mählich wuchs die Zahl der installierten Compu-
viele Menschen in der Bundesrepublik über die ter und heimischen Internetanschlüsse, und bis
wachsende Akzeptanz von PCs lange bestehende 2000 besaßen bereits 47 Prozent der Haushalte ei-
Berührungsängste gegenüber digitaler Technik ab. nen PC. Um 2005 gab es rund 45 Millionen PCs in
Deutschland, wobei rund 37,5 Millionen Nutzer:­
innen einen Internetzugang hatten.24
20 Vgl. dazu Hans-Ulrich Wegener, Autarke Texterfassung:
Ein neues Organisationsmodell, in: Proceedings zum Kongress
für Textverarbeitung Köln vom 25. bis 27. 10. 1982, Eschborn 23 Vgl. Empirica, Trends and Prospects of Electronic Home
1982, S. 75–90; Joseph Huber, Telearbeit. Ein Zukunftsbild als Working. Results of a Survey in Four Major European Countries,
Politikum, Opladen 1987, S. 141–155. Brüssel 1987, S. VII, S. 3, S. 16 ff.
21 Zu dieser Kritik vgl. Angelika Bahl-Benker, Chips: Weg- 24 Vgl. Rudolf Stöber, Neue Medien. Geschichte: Von Gutenberg
bereiter einer neuen Armut?, in: Vorgänge 1/1985, S. 84–96, bis Apple und Google. Medieninnovation und Evolution, Bremen
hier S. 90 ff.; Huber (Anm. 20), S. 118–123. 2012, S. 123–128; Anteil der privaten Haushalte in Deutschland
22 Vgl. Wilhelm R. Glaser/Margrit O. Glaser, Telearbeit in mit Personal Computern von 2000 bis 2022, 30. 8. 2023, h­ ttps://
der Praxis. Psychologische Erfahrungen mit außerbetrieblichen de.statista.com/statistik/daten/studie/​160925/umfrage/ausstat-
Arbeitsstätten bei der IBM Deutschland GmbH, Berlin 1995. tungsgrad-​mit-​personal-​computer-​in-​deutschen-​haushalten.

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New Work APuZ

Mit der Normalisierung der Computernut- demie 2020 als Zäsur, als binnen weniger Wochen
zung ab dem Jahr 2000 verlor das Telearbeiten die computergestützte Verlagerung des Arbeitens
vielerorts sein schlechtes Image. Zwar blieben ins Homeoffice – und speziell der Einsatz digitaler
die Kritiker des zunehmenden Globalisierungs- Videokonferenz-Tools – in vielen Branchen vorü-
und Flexibilisierungsdrucks auch weiter hörbar, bergehend zum Standard erhoben wurde.
doch lenkten sie, allen voran die Gewerkschaften,
unter dem Eindruck des Dotcom-Hypes letzt- SCHLUSS
lich ein. In der Hochphase des positiven Blicks
auf die Globalisierung banden sich große Er- Die langsame Verbreitung des Homeoffice in der
wartungen an die Auslagerung von Arbeitspro- Bundesrepublik bis ins 21. Jahrhundert spiegelt
zessen, die Mobilisierung von Expertise und die die weiten, verschlungenen Wege in die digitale
neue, digitale Vernetzung von Arbeitsmärkten.25 Gesellschaft. So zeigt sich die kurze Geschichte
Das Credo der Stunde lautete „Being digital“,26 der Telearbeit, insbesondere am Beispiel der Bun-
und optimistische Prognosen aus den USA pro- desrepublik, als widerständig gegenüber populä-
klamierten, dass die durch digitale Technologien ren Revolutionsnarrativen, die den digitalen Wan-
und allen voran durch das World Wide Web be- del als disruptives Ereignis inszenieren.30 Vielmehr
schleunigte Vernetzung den Globus flach werden dauerte es, auch als die technischen Voraussetzun-
lasse – inklusive homogener Arbeitsbedingungen, gen einmal vorhanden waren, mehrere Dekaden,
Chancen und Löhne.27 Dabei zeitigte der digitale bis sich die digitale Technik verbreitete und noch-
Wandel, gerade in globaler Perspektive, neue di- mals länger, bis sie auch gesellschaftlich akzeptiert,
gitale Ungleichheiten und Risikokaskaden.28 beherrscht und großflächig eingesetzt wurde.31
Die Nutzung der Arbeitsform Telearbeit blieb Die Dynamiken des Diskurses waren dabei
allerdings auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts von der realen Nutzungspraxis entkoppelt; so er-
weiterhin zurückhaltend. Dabei waren es nun zu- schien die Telearbeitsdebatte gerade zu Beginn
nehmend auch die – mehrheitlich männlichen – als Schauplatz überwiegend politischer und aka-
besser bezahlten und hoch ausgebildeten leitenden demischer Auseinandersetzungen. Im deutschen
Angestellten und Manager, die aus dem Verspre- Diskurs dominierte eingangs der 1980er Jahre die
chen der Telearbeit Kapital schlugen, zumal wenn Rede von der „Computer-Heimarbeit“, die zeitge-
es sich um alternierende Modelle des Pendelns zwi- nössisch vor allem als neue Arbeitsform für Frau-
schen Büro und heimischem Arbeitszimmer han- en angesehen wurde. Im Versprechen, Familie,
delte.29 Umso stärker erwies sich die Corona-Pan- Kind und Karriere zusammenzubringen, erschien
sie wahlweise als Chance für mehr Emanzipation
oder, in ihrer Tendenz zur verstärkten Flexibilisie-
25 Zur Einordnung des Diskurses vgl. Michael Homberg,
rung des Arbeitens, als Impulsgeber neuerer For-
Mensch | Mikrochip. Die Globalisierung der Arbeitswelten in der
Computerindustrie 1960 bis 2000 – Fragen, Perspektiven, The-
men einer digitalen Leistungskontrolle, die sozia-
sen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 2/2018, S. 267–293. le und ökonomische Risiken nach sich zieht und
26 Nicholas Negroponte, Being Digital, New York 1995. rechtliche Regelungen nötig macht.32 Zugleich os-
27 Vgl. Thomas L. Friedman, The World Is Flat. A Brief History zillierte der Diskurs von Beginn an zwischen der
of the Twenty-First Century, New York 2005.
Vorstellung von Tele­ar­beit­er:­innen als Akkord­
28 Vgl. dazu exemplarisch Michael Homberg, Digitale Unab-
hängigkeit. Indiens Weg ins Computerzeitalter – eine interna-
tionale Geschichte, Göttingen 2022; Mary L. Gray/Siddharth 30 Zum populären Narrativ vgl. Dave Cook, The Global Re-
Suri, Ghost Work. How to Stop Silicon Valley from Building a mote Work Revolution and the Future of Work, in: Jay Liebowitz
New Global Underclass, New York 2019; Lisa Nakamura et al., (Hrsg.), The Business of Pandemics, Boca Raton 2020, S. 143–
Technoprecarious, Cambridge MA 2020. 166; Tsedal Neeley, Remote Work Revolution. Succeeding from
29 Die Soziologie porträtierte dazu den Programmierer als Anywhere, New York 2021.
Prototypen des „Flexiblen Menschen“. Vgl. Richard Sennett, 31 Vgl. dazu Mirko Winkelmann, Wende oder Wandel?
Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin Telearbeit, Homeoffice und die ‚Informationsgesellschaft‘ in der
2000, S. 27–30. Zur Praxis des Telearbeitens vgl. Bettina Maus/ BRD seit den 1980er Jahren, in: Heike Weber (Hrsg.), „Technik-
Gabriele Winkler, Bewegliche Geschlechterarrangements bei wende“? Historische Perspektiven auf soziotechnische Umbrüche,
Telebeschäftigten, in: Gabriele Winkler (Hrsg.), Telearbeit Technikgeschichte 90, Baden-Baden 2023, S. 115–139.
und Lebensqualität. Zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, 32 Zur Verrechtlichung von Telearbeitsarrangements vgl.
Frank­furt/M. 2001, S. 17–60, hier S. 17 f. und S. 26–30. Zum Wolfgang Kilian/Wolfgang Borsum/Uwe Hoffmeister, Telearbeit
Geschlechterverhältnis von Tele­ar­beit­er:­innen ab den 1990er und Arbeitsrecht. Forschungsbericht i. A. des Bundesministers für
Jahren vgl. Homberg/Abendroth/Lükemann (Anm. 18), S. 91–95. Arbeit und Sozialordnung, Bonn 1987.

15
APuZ 46/2023

arbeiter:­
innen, die routinisierten Schreibtischar- risikobewussten „unternehmerischen Selbst“ ver-
beiten nachgingen, und dem Ideal zusehends hoch körperte die New Economy und ihren Trend zur
bezahlter, besser ausgebildeter Fachleute, die die „Entgrenzung“ der Arbeit, der sich auch als Fol-
neuen Freiheiten des mobilen Arbeitens und des ge des digitalen Wandels darstellte.33 So erschei-
Arbeitens von zu Hause genossen.3 nen die aktuellen Debatten um das digitale Zeit-
In der Praxis blieb die digitale Technik am alter aus der Perspektive einer „Vorgeschichte der
Arbeitsplatz ein durchaus ambivalentes Phäno- Gegenwart“ als Zielmarke einer längeren Kon-
men. Einerseits ermöglichte sie in vielen Fällen fliktgeschichte des Kapitalismus.
eine Autonomie, die im Anschluss an die The-
sen der New-Work-Theoretiker auch als Sinn- MICHAEL HOMBERG
bild einer neuen Freiheit gesehen werden kann. ist Privatdozent für Neuere Geschichte an der
Dabei entwickelte sich das Telearbeiten, als Ar- Universität Potsdam und wissenschaftlicher
beiten von zu Hause und später als mobiles Ar- Mitarbeiter am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische
beiten, von einem Arbeitsarrangement, das keiner Forschung Potsdam.
wollte, zu einer „Arbeit, die man wirklich, wirk- homberg@zzf-​potsdam.de
lich will“. Andererseits drängte die andauernde,
ubiquitäre „Erreichbarkeit“ und „Konnektivität“ MIRKO WINKELMANN
im 24/7-Kapitalismus die Ar­beit­neh­mer:­innen in ist Wissenschafts- und Technikhistoriker. Er leitet
neue Abhängigkeiten und Zwänge. Das Ideal des beim Deutschen Bibliotheksverband e. V. (dbv) ein
kreativen, flexiblen, eigenverantwortlichen und bundesweites Programm zur Digitalisierung und
Modernisierung von öffentlichen Bibliotheken in
33 Vgl. Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst, Frank­ ländlichen Räumen.
furt/M. 2007. winkelmann@gmail.com

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APuZ – Der Podcast

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New Work APuZ

NEW ­WORK ZWISCHEN ENTGRENZUNG


UND EMPOWERMENT
Hans-Jürgen ­Urban

Der Begriff „New Work“ ist in aller Munde. Da- on, die Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit
bei ist New Work kein exakt definierter Termi- auf die Beschäftigten delegieren zu können.06
nus technicus. Vielmehr kann er in der aktuellen In den folgenden Ausführungen ist unter
Debatte als Chiffre für alles verstanden werden, New Work oder Neuer Arbeit eine Erwerbsar-
was neu an der Arbeit der Zukunft sein oder ver- beit zu verstehen, die auf der Grundlage digita-
mutet wird, und zugleich für das, was neu sein lisierter Arbeits- und Kommunikationsmittel an
soll. Somit findet New Work als analytischer, Orts- und Zeitflexibilität gewinnt und die sich
prognostischer und zugleich als normativer Be- oftmals in einer neuen, freilich interessenpolitisch
griff Anwendung. umkämpften Arbeitskultur entwickelt. Dabei
Begriffshistorisch geht der Terminus „New richtet sich der Blick aus der Interessenperspek-
Work“ auf den Sozialphilosophen Frithjof Berg- tive der abhängig Arbeitenden auf Möglichkeiten
mann zurück.01 Er stellte ihn in das Zentrum sei- und Gefahren der Neuen Arbeit, um Elemente ei-
ner Anthropologie und Sozialtheorie. In dieser ner arbeitskraftzentrierten Gestaltungspolitik zu
formulierte Bergmann das Zielbild einer befrei- skizzieren. Im Vordergrund steht das Modell des
ten (Erwerbs-)Arbeit, in der die Menschen nur Homeoffice als eine dominante Form digitalisier-
das verrichten, „was sie wirklich, wirklich wol- ter und mobiler Arbeit. Homeoffice kann in der
len.“02 Das Ziel der Neuen Arbeit bestehe nicht Sozialform der abhängigen Beschäftigung inner-
darin, „die Menschen von der Arbeit zu befrei- halb der Arbeits- und Sozialverfassung, aber auch
en, sondern die Arbeit so zu transformieren, da- als soloselbstständige Arbeit im Rahmen von
mit sie freie, selbstbestimmte, menschliche Wesen Click- und Crowdworking in der Plattformöko-
hervorbringt.“03 Die Konzepte von New Work in nomie organisiert sein.
den gegenwärtigen arbeitswissenschaftlichen und
politischen Debatten haben sich zumeist vom so- VERWILDERUNG DER
zialutopischen Gehalt der bergmannschen Ideen ARBEITSBEZIEHUNGEN
entfernt. Das Institut für angewandte Arbeitswis-
senschaft begreift New Work als einen „Sammel- Die folgenden Überlegungen beruhen auf der
begriff für Konzepte und Maßnahmen zur Ge- Diagnose, dass sich die Umbrüche in der Arbeit
staltung zukunftsfähiger, wertschöpfender und im Kontext der allgemeinen Veränderungsdyna-
sinnstiftender Arbeit sowie deren Bedingungen miken des Gegenwartskapitalismus vollziehen.07
und Umgebungen.“04 Die Fraunhofer-Gesell- Vielfach diagnostizierte Restrukturierungs-, Di-
schaft definiert New Work als eine „erwerbsori- gitalisierungs- und De-Lokalisierungsprozesse
entierte Arbeit mit einer Arbeitsweise, die durch werden als Facetten des Übergangs vom natio-
ein hohes Maß an Virtualisierung von Arbeits- nalen Wohlfahrtsstaatskapitalismus zum globalen
mitteln, Vernetzung von Personen, Flexibilisie- Finanzmarktkapitalismus gefasst. In der so ein-
rung von Arbeitsorten, -zeiten und -inhalten ge- geleiteten neuen Periode der Erwerbsarbeit brin-
kennzeichnet ist.“05 Und die Bundesvereinigung gen Digitalisierung und De-Lokalisierung sozia-
der Deutschen Arbeitgeberverbände fordert un- le Arbeitskonflikte hervor, die sich außerhalb der
ter dem Stichwort „New Work“ die Verkürzung Arbeits- und Sozialverfassung und ihren arbeits-
der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten zwi- und sozialrechtlichen Standards vollziehen; oder
schen Ende und Beginn der Arbeit, die Verschie- sie bewegen sich innerhalb der Arbeitsbeziehun-
bung der Höchstarbeitszeit auf die wöchentliche gen, unterlaufen aber etablierte Regeln zu Ar-
statt auf die tägliche Arbeitszeit sowie die Opti- beitsbedingungen und Arbeitszeiten.

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APuZ 46/2023

Diese1234567 Entwicklung ist soziologisch als Ver- Crowdsourcing und/oder die Überführung von
wilderung der Arbeitsbeziehungen beschrieben Beschäftigten in den Status der Selbstständigkeit
worden.08 Die Verwilderungsthese besagt, dass bedeutet die Verschiebung der Arbeits- und Sozi-
nicht die Technik, sondern machtbasierte Trans- alverfassung in andere Rechtsräume. Erhebliche
formationskonflikte über die Entwicklungsrich- Verschlechterungen wesentlicher Sozialstandards
tung von Arbeit und Arbeitsbeziehungen im ka- sind häufig die Folge.
pitalistischen Formationswechsel entscheiden Die Verwilderungsanalyse erfasst aber auch
und dass diese Konflikte durch ökonomische und soziale Konflikte, die sich innerhalb der institu-
technologische Dynamiken sowie gesellschaft- tionellen Arbeits- und Sozialverfassung und da-
liche Kräfteverhältnisse geprägt werden. Dabei mit in Arbeitsverhältnissen mit einem gewissen
erzeugt die finanzmarktkapitalistische Restruk- arbeits-, tarif- und sozialrechtlichen Schutz ab-
turierung mit ihrem Rentabilitäts- und Produk- spielen (interne Verwilderung). Von besonde-
tivitätsdruck ein ungünstiges Milieu für die Ent- rer Bedeutung sind hier Konflikte um die Regu-
faltung der Humanisierungspotenziale, die der lierung von Leistungsbedingungen, den Schutz
Digitalisierung der Arbeit durchaus innewohnen, der psychischen Gesundheit und die Arbeits-
etwa in Form von geringeren Arbeitsbelastungen zeit. Gerade in diesen Bereichen prallen die Fol-
und gesundheitlichen Verschleißerscheinungen gen verschärfter Produktivitätsvorgaben auf die
oder von Qualifikationszuwächsen und Autono- gestiegenen Ansprüche der Beschäftigten nach
miespielräumen. Leistungsgerechtigkeit und sozialer Anerken-
Die Verwilderungsanalyse richtet den Blick nung. Mit dem Einsatz digitaler Arbeitsmit-
zum einen auf Beschäftigungsverhältnisse, die sich tel verstärken sich, zum Teil differenziert nach
außerhalb der Institutionen der Arbeitsbeziehun- Qualifikation und Arbeitssituation, die Belas-
gen etablieren (externe Verwilderung). Typische tungsfaktoren wie Arbeitsintensität, Zeitdruck
Beispiele hierfür sind Click- und Crowdwor- und Anforderungsprofile. Digitaler oder tech-
king, die sich in der Sozialform der Soloselbst- nikbedingter Stress nehmen vor allem durch in-
ständigkeit in der digitalen Plattformökonomie tensivierte und häufig gestörte Arbeit zu – dies
entwickeln. Plattformarbeit kann als standardi- umso mehr, je länger und flexibler die Arbeits-
sierte Routinearbeit (zum Beispiel Textproduk- zeiten sind.
tion oder Datenauswertung bei Umfragen) oder
als kreative Arbeit im Designbereich sowie bei- NEUE REGELN FÜR
spielsweise als innovative IT-Arbeit geleistet DIE NEUE ARBEITSWELT
werden. Die Auslagerung von Aufgaben durch
Es ist also davon auszugehen, dass die Verwilde-
rung der Arbeitsbeziehungen die Aktivierung der
01 Vgl. etwa Frithjof Bergmann, Neue Arbeit, neue Kultur,
Freiburg/Br. 2008.
humanisierungspolitischen Potenziale erschwert.
02 Ebd., S. 121 ff. Zugleich sind neue Gefahren für die Gesundheit
03 Ebd., S. 12. und Lebensqualität der orts- und zeitflexibel Ar-
04 Institut für angewandte Arbeitswissenschaft, Was ist beitenden offensichtlich. Dabei spielt offenbar
New Work … und was nicht, 24. 4. 2023, www.arbeitswissen-
die Existenz oder das Fehlen von Schutz- und
schaft.net/fileadmin/Downloads/Angebote_und_Produkte/Zah-
len_Daten_Fakten/ifaa_Zahlen_Daten_Fakten_New_Work.pdf.
Partizipationsrechten der Betroffenen eine wich-
05 Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation tige Rolle. „Nach aktuellem Forschungsstand ist
(Fraunhofer IAO), New Work. Best Practices und Zukunftsmodelle, (…) festzuhalten, dass Arbeit von zuhause ohne
Stuttgart 2019, S. 5. konkrete betriebliche Vereinbarungen mit durch-
06 Vgl. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberver-
schnittlich höheren Anforderungen und einem
bände, New Work. Zeit für eine neue Arbeitszeit, 2020, h­ ttps://
arbeitgeber.de/wp-​content/uploads/​2020/​11/bda-​publikation_
größeren Risiko der negativen Beanspruchungs-
new_work.pdf. folgen einhergeht.“09 Mit Blick auf die Arbeit im
07 Vgl. Hans-Jürgen Urban, Gute Arbeit in der Transformation. Homeoffice lassen sich einige Konfliktachsen
Über eingreifende Politik im digitalisierten Kapitalismus, Ham-
burg 2019.
08 Vgl. ders., Digitalisierung und die Verwilderung der Arbeits- 09 Vgl. Nils Backhaus/Anita Tisch/Beate Beermann, Telearbeit,
beziehungen, in: Janis Ewen et al. (Hrsg.), Sozialpartnerschaft im Homeoffice und Mobiles Arbeiten: Chancen, Herausforderungen
digitalen Kapitalismus – Hat der institutionalisierte Klassenkom- und Gestaltungsaspekte aus Sicht des Arbeitsschutzes, Dortmund
promiss eine Zukunft?, Weinheim 2022, S. 82–101. 2021, S. 6.

18
New Work APuZ

und -inhalte benennen, die für eine arbeitskraft- reichenden Neuorganisation der betrieblichen
zentrierte Regulierung von New Work wichtig Büro- und Wissensarbeit. Begriffe wie Modern
sind.10 Workspaces oder -places, Desksharing und hy-
bride Teams stehen für Konzepte des Raumma-
Orts- und Zeitsouveränität nagements, in denen Arbeitsabläufe neu struktu-
Ein wesentliches Regulierungsziel sollte die Si- riert und feste Arbeitsplätze abgeschafft werden.
cherung einer möglichst weitreichenden Orts- Diese Konzepte zielen darauf ab, neue Motiva-
und Zeitsouveränität der Beschäftigten sein. Ar- tions- und Produktivitätspotenziale bei den Be-
beitswissenschaftliche Forschungen zeigen, dass schäftigten zu aktivieren, aber auch Miet- und
nicht das Homeoffice an sich, sondern vor al- Arbeitsmittelkosten zu senken. Für die Beschäf-
lem die Entscheidungsbefugnis der Beschäftigten tigten beginnt der Arbeitstag nicht selten mit der
über Einsatz und Dauer des Homeoffice die Ar- Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz im
beitszufriedenheit erhöht.11 Sie zeigen zugleich, Betrieb. Arbeitsplatzsuche unter Zeitdruck, un-
dass sich unfreiwillige Arbeit von zu Hause ne- zureichende ergonomische Ausstattung, Lärm-
gativ auf die Beschäftigten auswirkt, da viele Be- belastung in Großräumen und Störungen beim
schäftigte nicht über die räumlichen Voraus- konzentrierten Arbeiten werden zu Gesundheits-
setzungen, etwa ein geeignetes Arbeitszimmer, risiken mobiler Büroarbeit im Betrieb. Problem-
verfügen.12 Es zeigt sich, dass Selbstbestimmungs- gerechte Raum- und Arbeitsorganisationskon-
rechte für die Qualität von New Work von gro- zepte müssen diesen Risiken entgegenwirken.14
ßer Bedeutung sind. Sie müssen etwa Wahlmög-
lichkeiten hinsichtlich der Häufigkeit und Dauer Soziale Mindeststandards
von Homeoffice-Arbeit umfassen, einschließ- Die Sicherung sozialer Mindeststandards ist ins-
lich des Rechts auf eine frei gewählte Rückkehr besondere bei der Soloselbstständigkeit auf und
in den Betrieb. Sie können durch Ziehungsrech- mit Onlineplattformen ein zentrales Regulie-
te abgesichert werden, die den Beschäftigten das rungsfeld. Dabei geht es um Rechte auf Entloh-
Recht einräumen, den Arbeitsort innerhalb des nung für geleistete Arbeit. Und zwar auch dann,
Arbeitsverhältnisses möglichst flexibel und an- wenn das Arbeitsangebot nicht oder nicht in vol-
lassbezogen sowie nach eigenen Bedürfnissen zu lem Umfang angenommen wird. Da diese Arbeit
wählen.13 Da Kollisionen mit Ansprüchen der in der Regel auf der Basis von Werk- und Dienst-
Arbeitgeber, aber auch anderer Beschäftigter ab- verträgen geleistet wird, greifen arbeits- und sozi-
sehbar sind, sollten Ziehungsrechte in kollektive alrechtliche Regelungen, die etwa Gegenstand des
Vereinbarungen wie Betriebsvereinbarungen und gewerkschaftlichen Rechtsschutzes sind, kaum.15
Tarifverträge eingebunden werden. Diese sollten Auch deshalb sind die Kontakte zwischen Crowd-
in Mitbestimmungsverfahren unter Beteiligung workern und Gewerkschaften bislang eher lose.
von Beschäftigten, Betriebs- und Personalräten Dennoch sind Aktivitäten der Annäherung zu
sowie Gewerkschaften vereinbart werden. beobachten. Zu diesen gehört etwa die Internet-
Aber nicht nur der externe Arbeitsplatz, son- plattform www.faircrowdwork.org der IG Metall,
dern auch die verbleibende Arbeit im Betrieb be- auf der sich digitale Ar­beit­er:­innen vernetzen und
darf arbeitspolitischer Aufmerksamkeit. Nicht umfassende Beratung in sozialen Fragen erhalten
selten korrespondiert Homeoffice mit einer weit- können. Ziel dieses Kommunikations- und Ko-
operationsangebots ist es nicht zuletzt, der im Be-
10 Vgl. Hans-Jürgen Urban, Heilsversprechen Homeoffice. reich Crowdwork weit verbreiteten sozialen Iso-
Zu den Schattenseiten eines arbeitspolitischen Shootingstars, lation entgegenzuwirken.
in: Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2021,
Zur sozialen Absicherung selbstständiger
S. 103–113.
11 Vgl. Cathrin Becker et al., Homeoffice in Corona-Zeiten –
Plattformarbeit könnte der Ausbau der Sozial-
Sind Ausmaß und/oder Flexibilität wichtig für Arbeitszufrieden- versicherungssysteme zu Erwerbstätigenversi-
heit, soziale Unterstützung, Commitment und Arbeitsunterbre-
chungen?, in: Gruppe, Interaktion, Organisation: Zeitschrift für
angewandte Organisationspsychologie 2/2022, S. 173–187. 14 Vgl. IG Metall, Modern Workspaces. Handlungshilfe für die
12 Vgl. Backhaus/Tisch/Beermann (Anm. 7), S. 7. betriebliche Interessenvertretung, Frank­furt/M. 2022.
13 Vgl. Ulrich Mückenberger, Ziehungsrechte. Ein zeitpolitischer 15 Vgl. Wolfgang Däubler, Digitalisierung und Arbeitsrecht.
Weg zur „Freiheit in der Arbeit“?, in: WSI-Mitteilungen 4/2007, Künstliche Intelligenz – Homeoffice – Arbeit 4.0, Frank­furt/M.
S. 195–201. 2022, S. 490 ff.

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APuZ 46/2023

cherungen mit Versicherungsschutz für alle Er- durch orts- und zeitflexibles Arbeiten in die vom
werbstätigen beitragen. Denkbar wären auch die Arbeitgeber durchzuführende Gefährdungsbeur-
Schaffung eines eigenen Rechtsraumes und der teilung (§ 5 ArbSchG) einzubeziehen sind. Dazu
Aufbau einer neuen Institution. Diskussionswür- gehören physische und psychische Belastungs-
dig sind Vorschläge zur Ergänzung der Sozial- faktoren ebenso wie Fragen der Arbeitszeit, der
versicherungssysteme durch ein Modell der „Di- Arbeitsorganisation und der sozialen Beziehun-
gitalen Sozialen Sicherheit“ (DSS). Es sieht vor, gen. Empirische Studien zur Verbreitung von Ge-
„direkt in die Plattformen einen digitalen Mecha- sundheitsgefährdungen zeigen hier eklatante De-
nismus zu implementieren, der mit jeder Been- fizite in den Betrieben.19 Ein Zustand, der weder
digung eines Jobs einen bestimmten Prozentsatz juristisch noch arbeitspolitisch akzeptabel ist.
des vereinbarten Entgelts auf das DSS-Konto des
Plattformarbeiters überweist.“16 Dabei geht es ARBEITSPOLITISCHE FLANKIERUNG
um ein digitales System persönlicher Konten, auf
denen sich die Beiträge aus allen Plattformaufträ- Die skizzierten Maßnahmen können dazu beitra-
gen ansammeln könnten. gen, das institutionelle Setting der Arbeitsbezie-
hungen auf die Potenziale und Risiken der Neuen
Schutz vor Entgrenzung Arbeit anzupassen. Eine gelingende Rechtsset-
Zahlreiche Studien belegen bei orts- und zeitflexi- zung allein garantiert aber noch nicht ihre Wirk-
bler Arbeit einen starken Trend zur Entgrenzung samkeit. Arbeits- und Sozialrechte bedürfen auch
der Arbeitszeit, zur Vermischung von Arbeits- arbeitsorganisatorischer und arbeitskultureller
und Lebenszeit und den damit verbundenen ge- Flankierungen, wenn ihre Wahrnehmung nicht
sundheitlichen Belastungen.17 Zwar werden etwa an der Realität kapitalistischer Rentabilitäts- und
die bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privat- Produktivitätszwänge scheitern soll.
leben, der Wegfall von Pendelzeiten sowie größe-
re Spielräume bei der selbstbestimmten Planung Reale Arbeitsautonomie
und Gestaltung der Arbeit als Vorteile der Arbeit Die arbeitssoziologische Forschung verweist seit
von zu Hause geschätzt. Gleichzeitig werden im geraumer Zeit auf mitunter subtile, arbeitsorgani-
Homeoffice aber auch häufiger als sonst übergrif- satorische oder unternehmenskulturelle Mecha-
fige Erreichbarkeitserwartungen von Vorgesetz- nismen der Verhaltensbeeinflussung der Beschäf-
ten beklagt, und die Probleme, in der arbeitsfreien tigten. Mit Begriffen wie „indirekte Steuerung“,20
Zeit abzuschalten, nehmen zu.18 Von besonde- „interessierte Selbstgefährdung“21 oder „kon-
rer Bedeutung wären hier Vereinbarungen über trollierte Autonomie“22 werden Methoden der
Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit, das Personalführung erfasst, die durch die Gestal-
Recht des Arbeitgebers auf Erreichbarkeit so- tung der Rahmenbedingungen der Arbeit Ein-
wie spiegelbildlich das Recht des Arbeitnehmers fluss auf die Wertorientierungen und Verhal-
auf Nichterreichbarkeit. Dass dies nur auf der tensweisen der Beschäftigten nehmen. Nicht die
Grundlage einer entsprechenden Dokumentati- Anweisung der Vorgesetzten, sondern der an die
on der Arbeitszeiten möglich ist, sollte selbstver- Beschäftigten weitergegebene Markt- und Kun-
ständlich sein. dendruck erzwingt überlange oder überintensive
Darüber hinaus zeigen Erfahrungen aus der Arbeitsleistungen. Oder die Beschäftigten wer-
betrieblichen Praxis, dass Homeoffice mitunter den über Unternehmenskulturen beziehungswei-
nicht die Alternative zur Arbeit im Betrieb ist,
sondern eine Form der Mehrarbeit nach Ende der
19 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Sicherheit
regulären Arbeitszeit, um das anfallende Arbeits-
und Gesundheit bei der Arbeit – Berichtsjahr 2019, Dortmund
volumen bewältigen zu können. Auch hier ist da- u. a. 2020, S. 20.
rauf hinzuweisen, dass mögliche Gefährdungen 20 Vgl. Dieter Sauer, Die organisatorische Revolution. Umbrü-
che in der Arbeitswelt. Ursachen, Auswirkungen und Arbeitspoli-
tische Antworten, Hamburg 2013.
16 Enzo Weber, Digitale Soziale Sicherung: Potenzial für die 21 Vgl. Andreas Krause et al., Interessierte Selbstgefährdung
Plattformarbeit, in: Wirtschaftsdienst 13/2020, S. 37–40, hier – von der direkten zur indirekten Steuerung, in: Arbeitsmedizin
S. 38. Sozialmedizin Umweltmedizin 3/2015, S. 164–170.
17 Vgl. Backhaus/Tisch/Beermann (Anm. 7). 22 Vgl. Peter Vieth, Kontrollierte Autonomie. Neue Herausfor-
18 Vgl. ebd., S. 4 ff. derungen für die Arbeitspsychologie, Heidelberg 1995.

20
New Work APuZ

se Corporate Identity in Normmuster eingebun- Spannungsverhältnis zwischen stabilen Hierar-


den, in denen ihre arbeitsinhaltlichen Ansprüche chien und mehr Selbstorganisation aber vielfach
unternehmenskompatibel kanalisiert werden keineswegs im Sinne der Beschäftigten auflösen.
und Leistungsbereitschaft ohne Gegenleistung Von einer „dauerhaften Kraftanstrengung“ etwa
als Teil des betrieblichen Arbeitsethos erwartet in Richtung eines „coachenden, lateralen und un-
wird. Erzwungen beziehungsweise erwartet wird terstützenden Führungsverständnisses“ ist häufig
ein extraproduktives Arbeitsverhalten, das die wenig zu spüren.25 Es spricht einiges dafür, dass
Arbeitsleistung über die arbeitsvertragliche Ver- dem Ziel einer wertebasierten und sinnstiftenden
pflichtung hinaus möglichst auf Dauer stellt. Arbeit in der New-Work-Philosophie mehr Auf-
Auch in der neuen Arbeitswelt werden Un- merksamkeit geschenkt wird als in der unterneh-
ternehmen, die einem harten Marktwettbewerb merischen Praxis. Ohne einen nachhaltigen un-
ausgesetzt sind, dazu neigen, partizipative Ele- ternehmenskulturellen Paradigmenwechsel, der
mente zur Kostensenkung oder Produktivitäts- Räume für eine sinnstiftende Identifikation der
steigerung zu instrumentalisieren. Dabei werden Beschäftigten mit ihrer Arbeit eröffnet und stabi-
etwa teilautonome Organisationsmodelle den Be- lisiert, wird dieser Anspruch von New Work je-
schäftigten zusätzliche Aufgaben bei der Planung doch ins Leere laufen.
und Organisation von Arbeitsabläufen abver-
langen, die für die Unternehmen entsprechende Ressourcenbasiertes Empowerment
Planungs- und Organisationskosten senken, für Die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers,
die Beschäftigten aber mit zusätzlichen und un- Gesundheitsgefährdungen auch bei mobiler Ar-
bezahlten Anstrengungen verbunden sind. Auch beit zu ermitteln, zu beurteilen und zu minimie-
Maßnahmen zur Abflachung von Hierarchien ren, steht außer Frage. Doch schon die Fragen,
und zur Eröffnung zusätzlicher Handlungsspiel- welche Ausstattungsstandards (bei Bildschir-
räume für Individuen und Teams in neuen agilen men, Tastaturen oder etwa Headsets) einzuhal-
Arbeitsformen können neue Selbstbestimmungs- ten sind, wie deren Umsetzung in der Privatwoh-
räume eröffnen, sie können aber auch schnell auf nung überprüft wird und wer die Kosten trägt,
Kosten- und Produktivitätsziele ausgerichtet und erweisen sich häufig als Konfliktpunkte. Insbe-
damit in ihren emanzipatorischen Potenzialen sondere die Überwachung der einschlägigen Ar-
beschnitten werden. Es wird deutlich, dass die beitsschutzvorschriften am Arbeitsplatz wird
Realisierung von Selbstorganisation und Partizi- strukturell erschwert, wenn der Arbeitsort im
pation nicht allein durch positives Recht gesichert Rahmen multilokaler Arbeit ständig wechselt.
werden kann. Sie beruhen auf Voraussetzungen, Eine zentrale Anforderung besteht darin, auf die
die nur durch eine entsprechende Arbeitspolitik „Unsichtbarkeiten“ des Arbeitsschutzes bei orts-
und revitalisierte Konzepte einer „Demokratisie- und zeitflexibler Arbeit zu reagieren.26 Die be-
rung von Arbeit“ gesichert werden können.23 trieblichen Akteure, die für gesundheitsförder-
liche Arbeitsbedingungen verantwortlich sind,
Sinnstiftende Arbeitskulturen verlieren die Arbeitsplätze der Heimarbeiter aus
Dies gilt auch für die arbeitskraftzentrierte Sinn- dem Blick, und für diese sind die Maßnahmen des
stiftung in der Arbeit. Neben hoher Orts- und Arbeitsschutzes nicht präsent, weil sie ihnen für
Zeitflexibilität, agilen und projektbasierten Orga- ihre Arbeitssituation und ihre Arbeitsbedürfnisse
nisationsformen, veränderten Führungsstruktu- nicht angemessen erscheinen.
ren durch Enthierarchisierung und partizipativen Dieser arbeitsschutzpolitischen Sprachlo-
Entscheidungsmechanismen spielen „Werteba- sigkeit müssen die Arbeitsschutzakteure entge-
sierung und Sinnstiftung durch Arbeit“ eine zen- gentreten. Aufgrund des Fehlens entsprechen-
trale Rolle im New-Work-Konzept.24 Empirische der Kontrollmechanismen im Homeoffice sind
Befunde zeigen jedoch, dass viele Unternehmen nicht zuletzt die Beschäftigten selbst gefordert,
zwar auf orts- und zeitflexible Arbeit setzen, das

25 Vgl. ebd., S. 7 und S. 5.


23 Vgl. Christoph Schmitz/Hans-Jürgen Urban, Demokratisie- 26 Vgl. Arno Georg/Kerstin Guhlemann, Arbeitsschutz und
rung der Arbeit. Eine vergessene Dimension der Arbeitspolitik?, individuelle Gesundheitskompetenz. Perspektiven der Prävention
Frank­furt/M. 2021. von Arbeitsintensivierung in der „Arbeit 4.0“, in: WSI-Mitteilun-
24 Vgl. Fraunhofer IAO (Anm. 5), S. 4 f. gen 1/2020, S. 63–70, hier S. 68.

21
APuZ 46/2023

drohende Schutzlücken zu vermeiden. Sie müs- den. Bei alledem werden die arbeitsinhaltlichen
sen zum Beispiel mithilfe arbeitswissenschaft- Ansprüche und sozialen Sinnbezüge, die gerade
lich abgesicherter Checklisten auf die Einhaltung hochqualifizierte Beschäftigte in der Arbeit reali-
von Arbeitszeit- und Ergonomiestandards ach- siert sehen wollen, mitschwingen. Dabei müssen
ten und sind damit als Kontrolleure ihrer eigenen soziale Rechte mit arbeitsorganisatorischen Ge-
Arbeitsbedingungen gefordert. Die Fähigkeit zur lingensbedingungen einhergehen. Letztlich geht
Selbstorganisation und Selbstbeobachtung, kurz: es darum, das Versprechen einer gesundheitsför-
Empowerment, wird zur Schlüsselressource. Al- derlichen, selbstbestimmten und sinnerfüllten
lerdings unterscheiden sich arbeitskraftzentrier- Arbeit, die der Idee von New Work entspringt,
te Empowermentstrategien von rein psycholo- in die reale Arbeitswelt zu übertragen und gegen
gischen Ansätzen, die in Managementkonzepten starke Rationalisierungs- und Ökonomisierungs-
häufig vorherrschen.27 Zum einen kann der Auf- tendenzen durchzusetzen. Konflikte um New
bau arbeitsbezogener Gesundheitskompetenz nur Work öffnen ein Politikfeld, das für betriebliche
dann einen wirksamen Beitrag leisten, wenn er in und gewerkschaftliche Interessenvertretungen
„betriebliche Arbeitsbündnisse von Beschäftigten, Möglichkeiten und Fallstricke enthält. Gerade so-
Experten und Interessenvertretungen“ eingebun- lidarische Gestaltungskonzepte müssen sich der
den ist, die das Zusammenspiel aus „wechselnden Spaltungsdynamik bewusst sein, die einer Kon-
Arbeitssituationen, gesundheitlichen Wirkungen zentration auf hochqualifizierte Wissensarbeit in
und Handlungswissen bezüglich der eigenen Ar- den Unternehmen oder den Branchen der Digi-
beitstätigkeit analysieren und zielgenau Gestal- tal- und Kreativwirtschaft innewohnt. Eine sol-
tungsoptionen in der betrieblichen Organisati- che arbeitspolitische Engführung übersieht, dass
onsentwicklung verankern.“28 Zum anderen ist die digitale Neuorganisation von Arbeit alle Be-
er mit der Bereitstellung von zeitlichen und ma- reiche der Arbeitsorganisation verändert. Auch
teriellen Ressourcen verbunden.2930 Während psy- in der unmittelbaren Produktion oder bei gering
chologisches Empowerment am individuellen qualifizierter Arbeit steigen die Schutzbedürfnis-
Erleben und Empfinden der Betroffenen ansetzt se und Anforderungen an Gute Arbeit. Auch die-
und durch positive Wahrnehmungen in der Arbeit se Bereiche müssen als arbeitspolitische Gestal-
die Leistungsbereitschaft und Unternehmenstreue tungsfelder bearbeitet werden.
stärken will, zielt ressourcenbasiertes Empower- Zugleich eröffnet die Gestaltung von New
ment auf die Stärkung der Voraussetzungen für Work den Interessenvertretungen einen Zugang
eine selbstbestimmte und kollektive Praxis und zu den oft hochqualifizierten Belegschaftstei-
besteht auf der arbeitgeberseitigen Bereitstellung len, die den Gewerkschaften traditionell eher di-
materieller Ressourcen und belastbarer Partizipa- stanziert gegenüberstehen. Die neuen digitalen
tions- und Mitbestimmungsrechte. Kommunikationswege ermöglichen schnelle und
kostengünstige Formen der wechselseitigen In-
AUSBLICK formation und Kooperation. Und je stärker die
Konflikte um die Regeln der Neuen Arbeit als
Vieles spricht dafür, dass Konflikte um reale partizipative Prozesse organisiert werden, des-
Orts- und Zeitautonomie, gegen entgrenzte Ar- to eher entstehen belastbare Vertrauensbezie-
beitszeiten und Leistungsanforderungen sowie hungen, die die Grundlage für gemeinsames po-
um ressourcenbasiertes Empowerment Schlüs- litisches Handeln bilden können. Die Hoffnung,
selkonflikte in der New-Work-Welt sein wer- dass der Kampf um Neue Arbeit einen Beitrag
zur Revitalisierung der Gewerkschaften leisten
kann, ist durchaus berechtigt.30 Eine Garantie da-
27 Vgl. Jana Lorra/Hanna Möltner, New Work: Die Effekte
von Leader-Member Exchange auf psychologisches Empower-
für gibt es allerdings ­nicht.
ment, extraproduktives Verhalten und Fluktuationsabsicht der
Mitarbeitenden, in: Zeitschrift für Arbeitswissenschaft 3/2021,
S. 322–336. HANS-JÜRGEN URBAN
28 Georg/Guhlemann (Anm. 28), S. 68.
ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG
29 Vgl. ebd.
30 Vgl. Lena Hipp/Martin Krzywdzinski, Remote Work: New
Metall und Honorarprofessor für Soziologie an der
Fields and Challenges for Labor Activism, in: Work and Occupa- Friedrich-Schiller-Universität Jena.
tions 3/2023, S. 445–451. hans-​juergen.urban@igmetall.de

22
New Work APuZ

PRAGMATISCHE ARBEITSMORAL?
Die Social-Media-Trends Quiet Quitting und Tang Ping
Gregor Ritschel

Im Juli 2022 postete Zaid Kahn, ein Ingenieur aus verstanden werden. New Work verhieß einst die
New York, auf der Social-Media-Plattform Tik- Aufhebung der Entfremdung der Arbeit durch
Tok ein nur wenige Sekunden langes Video mit die Wiederentdeckung und Einbindung intrinsi-
sanfter Musik und positiven Alltagsszenen. Die scher Motivation. Die Idee des Konzepts bestand
aufgezeichnete Nachricht darin lautete: „Ich habe darin, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten,
kürzlich von dem Begriff Quiet Quitting gehört. dass man die Arbeit „wirklich, wirklich will“.02
Dabei kündigt man nicht seinen Job, sondern ver- Doch immer mehr Menschen ziehen es vor, sich
abschiedet sich von der Vorstellung, immer mehr den aktuellen Arbeitsbedingungen so weit wie
zu leisten. Du erfüllst deine Pflichten, aber du möglich zu entziehen, und suchen ihren Sinn jen-
löst dich von der Hustle-Kultur, die dir sagt, dass seits der Arbeitswelt. Die Versprechen der alten
Arbeit dein Leben ist. Arbeit ist nicht dein Le- Arbeitskultur scheinen nicht mehr zu gelten. Das
ben. Dein Wert als Person wird nicht durch deine neue Arbeitsideal der Generationen Y und Z ist
pro­duktive Leistung definiert.“01 Quiet Quitting häufig eine Arbeit, die vor allem weniger Zeit in
bedeutet also nicht, wie man zunächst vermuten Anspruch nimmt.
könnte, still und heimlich zu kündigen oder be- Zeitlicher Kontext für die Entstehung des
reits einen anderen Job im Auge zu haben. Viel- Phänomens Quiet Quitting ist die sogenannte
mehr bedeutet es, in seinem Lohnarbeitsverhält- Great Resignation, die große Kündigungswelle in
nis nicht mehr die Extrameile zu gehen, nicht den Vereinigten Staaten in den Jahren der Coro-
mehr über die Belastungsgrenze hinaus zu gehen na-Pandemie 2021 und 2022. Auch in Deutsch-
– sich also von der sogenannten Hustle-Kultur zu land blieb die vermeintliche Arbeitsmüdigkeit
lösen. der jüngeren Generationen nicht unbemerkt und
Der im deutschen Diskurs seit Langem be- löste eine breite Debatte im Feuilleton aus. „Der
kannte Begriff der „stillen“ oder „inneren“ Kün- Spiegel“ titelte am 27. Mai 2023: „Wir machen
digung schließt die Möglichkeit von Glück und uns nicht mehr kaputt! Warum die Generation Z
Sinnerfüllung in der Arbeit tendenziell aus. Zu- anders arbeiten will – und alle ansteckt“. Der So-
dem wird der Begriff häufig als Vorstufe zur tat- zialwissenschaftler Klaus Hurrelmann hat in der
sächlichen Kündigung verstanden. Dies muss „Zeit“ das neue Streben der Generation Z nach
beim Quiet Quitting nicht der Fall sein. Hier geht einer gelungenen Work-Life-Balance in digital
es um die bewusste Kultivierung einer Abgren- entgrenzten Zeiten folgendermaßen beschrie-
zungshaltung gegenüber Überforderungen durch ben: „Wir reden hier von Menschen, die digital
den Arbeitgeber oder durch strukturell entgrenz- groß geworden sind. Sie wissen, dass man theo-
te Arbeitsroutinen. Im Folgenden wird gezeigt, retisch 24 Stunden am Tag erreichbar ist, an sie-
dass sich diese Abgrenzungshaltung aus unter- ben Tagen in der Woche. Sie fürchten, dass der
schiedlichen Quellen speisen kann. Dabei kann Arbeitgeber permanent etwas fordern kann. Und
die Tätigkeit durchaus noch als sinnvoll und auch sie haben große Angst, dass sie in einen Burn-out
mit Freude besetzt empfunden werden. hineinrutschen. Denn viele von ihnen haben im
Quiet Quitting problematisiert zunächst die Umfeld, manchmal sogar bei den eigenen Eltern,
Arbeitskultur des karrieristischen Überengage- erlebt, wie schnell das geht. (…) Deswegen wol-
ments, das von der vagen Aussicht auf berufli- len sie nur noch so viel arbeiten, dass sie davon
chen Aufstieg getragen wird. Gleichzeitig kann leben können. Sie wollen keine Überstunden ma-
der Social-Media-Trend auch als Symptom für chen, freitags früher gehen und an manchen Ta-
die Nichteinlösung des New-Work-Versprechens gen gar nicht arbeiten. Viele aus den älteren Ge-

23
APuZ 46/2023

nerationen der über 50-jährigen Babyboomer Folgt man Zahid Kahns Definition, ist Bart-
können das einfach nicht verstehen und finden leby nicht der Urvater der Quiet Quitter, da
diese Haltung unverschämt.“03 Hurrelmanns es diesen nicht um eine völlige Arbeitsverwei-
Perspektive auf das Phänomen ist meines Erach- gerung geht. Sie mögen ihren Job, wollen aber
tens richtig, aber vermutlich in ihrer Erklärungs- nicht, dass er ihr Leben völlig dominiert und su-
kraft nicht umfassend, denn heute spielen neben chen nach einer gelungenen Work-Life-Balance.
generationsspezifischen Merkmalen oder arbeits- Was bleibt, ist die Rätselfrage, warum gerade in
kulturellen Einstellungen auch ökonomische Set- den vergangenen zwei Jahren so viele Menschen
tings wie die Verteilung von Produktionsgewin- ihren Job gekündigt haben oder zu Quiet Quit-
nen eine Rolle bei der Erklärung des Phänomens tern geworden sind. Angesichts zusätzlicher
Quiet Quitting. Aufgaben sagten auch sie ganz höflich „I would
prefer not to“.
VORBILD BARTLEBY?
ERSCHÖPFTE IDEALE
Einige Beobachter dieses Trends meinen, in Her-
mann Melvilles literarischer Figur Bartleby („Bart- Um Quiet Quitting zu beleuchten, lohnt sich ein
leby der Schreiber“, 1853) mit seinem berühmten Blick auf die US-amerikanische Arbeitskultur
Ausspruch „I would prefer not to“ den Urvater der 1980er und 1990er Jahre, in der die sogenann-
der Quiet Quitter zu erkennen. Der Erzähler ist te Hustle-Kultur ihren Ursprung hat. Getragen
ein nicht namentlich genannter älterer Anwalt wurde diese von der Sozialfigur der Yuppies und
mit einem Büro an der Wall Street. Er beschäf- jener Aufstiegswilligen, die das Versprechen des
tigt Schreiber, die Dokumente von Hand abschrei- Neoliberalismus zu ihrem Credo gemacht hat-
ben, darunter auch den verloren wirkenden Bart- ten. Für sie galt und gilt: „Work hard, play hard“.
leby. Zunächst fertigt Bartleby mit großem Eifer In diesem Setting leisten Arbeitnehmerinnen und
hochwertige Abschriften an. Doch als er eines Ta- Arbeitnehmer mehr als vertraglich vereinbart. Sie
ges vom Erzähler gebeten wird, bei der Korrektur arbeiten schneller, länger und jederzeit, vor allem
eines Dokuments zu helfen, antwortet Bartleby:123 seit der Erfindung von Handy und E-Mail. Trei-
„Ich würde es lieber nicht tun“ – was bald zu sei- bende Kraft ist die Hoffnung, bei der nächsten
ner ständigen Antwort auf jede Anfrage wird. Ver- Beförderungsrunde berücksichtigt zu werden.
wirrt übernimmt der Erzähler selbst diese Aufga- Man glaubt, seines Glückes Schmied zu sein und
be. Bartlebys höfliche Weigerungen häufen sich in am Ende zu Geld und Anerkennung zu kommen.
den folgenden Wochen, bis er schließlich gar nichts Für viele der heutigen Arbeitnehmerinnen und
mehr tut und nur noch aus dem Fenster starrt. Der Arbeitnehmer, die der Hustle-Kultur huldigen,
wohlwollende Erzähler unternimmt noch mehre- gilt, dass sie auch in ihrer Freizeit an ihre Projekte
re vergebliche Versuche, mit Bartleby zu sprechen, denken, die sie voll und ganz in Beschlag nehmen.
der mittlerweile im Büro wohnt. Auch der Ver- Diese Kultur bildet die Kontrastfolie des Quiet
such, Bartleby gewaltsam aus der Kanzlei zu ent- Quitting.
fernen, scheitert, und selbst eine großzügige Ab- Relevant für Quiet Quitting sind ebenso die
findung lehnt Bartleby höflich ab. Am Ende sieht Veränderungen der Arbeitswelt der vergange-
sich der Erzähler gezwungen, die Kanzlei zusam- nen 30 Jahre. Insbesondere die Bewältigung der
men mit den anderen Mitarbeitern zu verlassen. Corona-Pandemie hat zu einem Überdenken des
Seine Nachmieter lassen Bartleby von der Polizei Stellenwerts von Arbeit geführt. In dieser Aus-
ins Gefängnis werfen, wo er bald die Nahrungs- nahmesituation, in der vor allem Care-Tätigkei-
aufnahme verweigert und stirbt. ten ins Blickfeld gerieten, stellte sich die Frage,
welche Tätigkeiten die Gesellschaft eigentlich tra-
01 Zaid Leppelin, TikTok vom 25. 7. 2022, www.tiktok.com/​ gen. Und manch einer fragte sich, ob er – in An-
@zaidleppelin/video/7124414185282391342?lang=de-DE. lehnung an das gleichnamige Buch von David
02 Frithjof Bergmann, Neue Arbeit, neue Kultur, Freiburg/Br. Graeber – nicht in einem „Bullshit-Job“ a­ rbeitete.
2020, S. 10.
In der Wissensgesellschaft haben sich die Tä-
03 „Junge Menschen können sich dieses Verhalten leisten“,
Interview mit Klaus Hurrelmann, 7. 11. 2022, www.zeit.de/arbeit/​
tigkeiten von der industriellen Produktion in die
2022-​10/quiet-​quitting-​phaenomen-​berufsleben-​arbeitszeit-​in- Büros verlagert. Auch das Management hat sich
terview. schleichend angepasst. Man ging zu einigen Prin-

24
New Work APuZ

zipien von New Work über. Starre Arbeitszeit- eine vermeintliche Faulheit sowie falsche An-
regelungen wichen zunehmend flexiblen Arbeits- reize durch sozialstaatliche Leistungen in der
zeiten. Anwesenheitspflichten wurden durch Krise – oder sie verurteilten das Quiet Quit-
mobiles Arbeiten ersetzt. Und autoritäre Füh- ting moralisch als unerklärliche Verkommen-
rungsformen machten flachen Hierarchien Platz. heit der Jugend. Andere Kommentatoren wie
In Zeiten multipler Krisen sind lange Planungs- Trevor Noah, ehemaliger Moderator der Daily
und Produktionszyklen überflüssig geworden. Show, nahmen die Arbeitnehmerinnen und Ar-
Stattdessen werden agile Arbeitsformen prak- beitnehmer in Schutz, weil diese oft nicht mehr
tiziert, die einer zunehmend instabilen Welt an- von ihrem Lohn leben könnten.06 Zeitgleich for-
gepasst sind. Man arbeitet mit Prototypen, holt mierte sich auf Internetseiten wie „Reddit“ die
sich laufend Feedback vom Kunden ein und ab- Anti-Work-Bewegung. All dies geschieht vor
solviert jede Woche einen neuen Sprint mit ei- dem Hintergrund der Verrentung der Baby-
nem selbst definierten Teilziel. Damit das funk- boomer. Diese Trends verschärfen den Arbeits-
tioniert, braucht es ein ständiges Abgleichen, die kräftemangel in vielen Bereichen. Damit wächst
Förderung der Kreativität der Mitarbeiterinnen auch der Druck auf die Arbeitgeber, bessere Ar-
und Mitarbeiter und auch eine Verlagerung der beitsbedingungen zu schaffen und höhere Löh-
Steuerung von der Chefetage hin zur kollektiven ne zu zahlen.
Selbststeuerung. Man ist zwar angestellt, trägt Doch nicht jeder kann ad hoc den Arbeitge-
aber auch Führungsverantwortung. In einer sol- ber wechseln. Oft fehlt es an geeigneten Alter-
chen agilen Arbeitswelt wird es immer schwieri- nativen, sei es in zeitlicher, finanzieller, inhalt-
ger, am Feierabend einen mentalen Schlussstrich licher oder örtlicher Hinsicht. Eine Kündigung
zu ziehen. ohne neuen Job ist riskant, vor allem in Krisen-
Das einst emanzipatorische und kapitalismus- zeiten. In solchen Fällen kann zumindest an der
kritische New-Work-Konzept, wie es Frithjof Work-Life-Balance gearbeitet werden. Der Fi-
Bergmann entwarf und das beispielsweise zeitli- nancial-Times-Kolumnist John Gapper kom-
che Freiräume jenseits der Lohnarbeit zur Ent- mentiert den Quiet-Quitting-Trend so: „Nach
faltung der eigenen Persönlichkeit vorsah, wird Jahrzehnten der zunehmenden Arbeitsintensi-
heute oft in eine Managementstrategie umge- tät, der ausgedehnten Ziele und der Hustle-Kul-
münzt, die sich darauf beschränkt, Arbeitsplätze tur haben junge Arbeitnehmer eine effiziente
etwas attraktiver zu gestalten oder den Beschäf- Methode entwickelt, um sich zu wehren.“07 Das
tigten mehr Eigenverantwortung zu übertra- Problem der Arbeitgeber scheint ihm selbstver-
gen, um mehr Leistung aus ihnen herauszuholen. schuldet, da sie Arbeitsplätze ausgelagert und
Dem ursprünglichen ganzheitlichen, an der Ent- die Arbeitsplatzsicherheit eingeschränkt hätten.
wicklung der Persönlichkeit interessierten An- Dies habe dazu geführt, dass sich junge Arbeit-
satz Bergmanns wird dies oft nicht gerecht, wie nehmer nach Nebenjobs umsehen oder ihre ei-
Bergmann selbst noch vor einigen Jahren in ei- genen kreativen Projekte entwickeln. Dadurch
nem Interview kritisierte.04 wird es wahrscheinlicher, dass sie ihren Job auf-
Für das Verständnis von Quiet Quitting ist geben und mehr Zeit und Energie für ihre eige-
außerdem die Great Resignation von 2021 und nen Ideen aufwenden. 08 Unter den gegebenen
2022 in den USA von Bedeutung, bei der insge- Bedingungen ist es oft durchaus rational, einen
samt fast 100 Millionen Menschen ihre Jobs kün- Job als „Standbein“ zu nutzen, der beispielswei-
digten.05 Als Beweggründe wurden vor allem se die Sozialversicherungen abdeckt, und dane-
schlechte Arbeitsbedingungen, gesundheitliche ben das „Spielbein“ zu pflegen, also den Neben-
Bedenken, aber auch empfundene Sinnlosig- job, in dem die eigentliche Freude am Schaffen
keit genannt. Konservative Stimmen beklagten ­liegt.

04 Vgl. „Ich ärgere mich sehr, sehr tüchtig“, Interview mit Frithjof 06 Vgl. The Daily Show, 15. 10. 2021, www.youtube.com/watch?​
Bergmann, 27. 8. 2018, www.haufe.de/personal/hr-management/ v=​D5fOUgKwCYM .
frithjof-bergmann-uebt-kritik-an-akteuller-new-work-debatte_​80​ 07 John Gapper, The Office’s Quiet Quitters Should Follow
_​467516.html. This Advice: Young Employees Facing Stress and Burnout Who
05 Vgl. Kate Morgan, The Great Resignation Is „Over“. What Plan to Ease Off Must Do So Discreetly, 27. 8. 2022, www.ft.com/
Does that Mean?, 31. 7. 2023, www.bbc.com/worklife/article/​ content/c5cddb3a-​dcf8-​4ef8-​a1c2-​ed866c214d2b.
20230731-​the-​great-​resignation-​is-​over-​what-​does-​that-​mean. 08 Vgl. ebd.

25
APuZ 46/2023

TANG PING Sun Liping zufolge konzentriert sich die Bewe-


IN ­C HINA gung auf Chinesinnen und Chinesen, die es sich
leisten können, weniger zu arbeiten – meist weil
Die Erschöpfung, die viele junge Menschen mit sie wohlhabende Eltern haben.12 Andere chinesi-
den bisherigen Arbeitsidealen empfinden, ist sche Kommentatoren stehen der Bewegung wohl-
nicht auf die westliche Welt beschränkt. Dies wollender gegenüber und teilen die Kritik: Wa-
wird durch den chinesischen Social-Media-Trend rum sich auf diese Arbeitsverhältnisse einlassen,
„Tang Ping“ („Flach hinlegen“) deutlich. Nicht wenn ein sozialer Aufstieg ohnehin kaum mög-
wenige Chinesinnen und Chinesen haben genug lich ist?13 In China trifft derzeit in den Städten
vom 996-System – Arbeit von 9 Uhr morgens eine hohe Akademikerquote auf einen gesättig-
bis 9 Uhr abends an sechs Tagen in der Woche. ten Arbeitsmarkt. Staatschef Xi Jinping appelliert
Sie machen sich keine Illusionen mehr über die deshalb unter dem Motto „Esst die Bitterkeit“ an
Aufstiegschancen in einem bereits gesättigten Ar- die Jugend, auch aufs Land zu ziehen und Jobs
beitsmarkt mit hohem Konkurrenzdruck. Sie be- unterhalb ihres Qualifikationsniveaus anzuneh-
ginnen sich von der vorrangigen Arbeitsethik ih- men.14 Perspektivisch wird der demografische
rer Elterngeneration zu distanzieren und tun dies Wandel in China sicherlich zu einer Stärkung der
mit den Ausdrücken „Tang Ping“ und „Bai Lan“ Erwerbsbevölkerung führen. Dennoch waren im
(„es verrotten lassen“). Auch in China geht es da- April 2022 immer noch 16 Prozent der Chinesen
rum, den hohen Druck in der Arbeitswelt kritisch zwischen 16 und 24 Jahren arbeitslos. Das Un-
zu hinterfragen.09 behagen der Jugend speist sich also einerseits aus
Der Begriff „Tang Ping“ tauchte erstmals zu der Arbeitslosigkeit und den enttäuschten Erwar-
Beginn der Corona-Pandemie Anfang 2020 auf der tungen angesichts mangelnder Aufstiegschancen
Plattform „Weibo“ auf. Junge Chinesinnen und bei den Erfolglosen, andererseits aus der Überar-
Chinesen tauschten sich dort unter dem Hashtag beitung der Erfolgreichen.15 Eine Umverteilung
über ihre Erfahrungen im Arbeitsleben aus und der Arbeit könnte sich hier auf beiden Ebenen
erwogen immer häufiger, nur noch in Teilzeit zu positiv auswirken.
arbeiten oder sich in abgelegene Tempel zurück-
zuziehen, um ihre Lebensentwürfe zu überden- STAGNATION
ken. Insbesondere wurde die Absurdität eines sich DER REALLÖHNE
ständig verschärfenden Wettbewerbs beklagt. Die
Idee, Lebensziele durch unermüdliche Arbeit zu Die Entwicklung der Unzufriedenheit im Berufs-
erreichen, wurde infrage gestellt, da sie keine Zeit leben in Deutschland wurde 2022 durch eine For-
zum Leben oder gar zum Konsum lasse.10 sa-Umfrage beleuchtet. Demnach stieg die Unzu-
In China ist es die ständige Konkurrenz auf friedenheit von 25 Prozent 2021 auf 37 Prozent
dem Arbeitsmarkt,11 der man sich entziehen will. 2022.16 Es wurden unterschiedliche Gründe für
Diese wird auch als Wolfskultur bezeichnet. Die einen beabsichtigten Jobwechsel beziehungsweise
Idee von Tang Ping besteht darin, nur so viel zu für die Unzufriedenheit am Arbeitsplatz genannt:
arbeiten, dass die Lebenshaltungskosten gedeckt 28 Prozent der Unzufriedenen empfanden das
sind. Ziel ist es, sich von gesellschaftlichen Zwän-
gen zu befreien und einen gewissen Postmateri- 12 Vgl. Jean-Louis Rocca, Mittelschicht im Reich der Mitte. Die
alismus zu leben. Dem chinesischen Soziologen Reformprofiteure der vergangenen 30 Jahre haben Angst vorm
Abstieg, 13. 10. 2022, ­https://monde-​diplomatique.de/artikel/​
!5885174.
09 Vgl. China’s New „Tang Ping“ Trend Aims to Highlight Pres- 13 Vgl. ebd.
sures of Work Culture, 3. 6. 2021, www.bbc.com/news/world-​ 14 Vgl. Elisabeth Schmidt, Wirtschaftskrise: Chinas Jugend –
asia-​china-​57348406. gebildet und arbeitslos, 8. 6. 2023, www.zdf.de/nachrichten/
10 Vgl. Ariane Picoche, Tang Ping: The Chinese Millennials Lying wirtschaft/china-​arbeitslosigkeit-​jugendliche-​100.html.
Flat to Protest Against Overwork, 17. 1. 2022, www.welcometo- 15 Vgl. Vincent Ni, The Rise of „Bai Lan“: Why China’s Frustra-
thejungle.com/en/articles/tang-​ping-​chinese-​milennials-​protest-​ ted Youth Are Ready to „Let It Rot“, 26. 5. 2022, www.theguar-
overwork. dian.com/world/​2022/may/​26/the-​rise-​of-​bai-​lan-​why-​chinas-​
11 Vgl. David Bandurski, The „Lying Flat“ Movement Standing frustrated-​youth-​are-​ready-​to-​let-​it-​rot.
in the Way of China’s Innovation Drive, 8. 7. 2021, www.broo- 16 Vgl. Jeder vierte Jobwechsler kündigt ohne neuen Job,
kings.edu/techstream/the-​lying-​flat-​movement-​standing-​in-​the-​ 20. 1. 2022, www.hrjournal.de/jeder-​vierte-​jobwechsler-​kuendigt-​
way-​of-​chinas-​innovation-​drive. ohne-​neuen-​job.

26
New Work APuZ

Führungsverhalten als problematisch, 27 Prozent Dass der nicht mehr vorhandene Aufop-
wünschten sich eine bessere Work-Life-Balance ferungswille der jüngeren Generation ökono-
und 24 Prozent ein attraktiveres Arbeitsumfeld, mische Gründe hat, lässt sich auch mit sozio-
während nur 19 Prozent finanzielle Anreize und logischen Zeitdiagnosen stützen. Wurde die
15 Prozent eine attraktivere Position als Grund Bundesrepublik der Nachkriegszeit noch als
für einen beabsichtigten Jobwechsel nannten.17 „nivellierte Mittelstandsgesellschaft“ (Helmut
Quiet Quitter achten besonders auf ihre Work- Schelsky) bezeichnet – und sprach man später
Life-Balance und vermeiden Überstunden. Be- noch von einer Aufstiegsgesellschaft, in der zu-
trachtet man in diesem Zusammenhang die Ent- mindest alle Schichten wie in einem Fahrstuhl ge-
wicklung der Überstunden in Deutschland im meinsam nach oben fuhren, auch wenn dabei Ab-
Zeitverlauf, so zeigt sich, dass die jährliche Über- stände erhalten blieben, so charakterisiert etwa
stundenquote 2000 bei rund 31 bezahlten und 28 der Soziologe Oliver Nachtwey die Gegenwart
unbezahlten Überstunden lag – 2020 waren es der Bundesrepublik als „Abstiegsgesellschaft“.21
nur noch 14 bezahlte und 17 unbezahlte Über­ Die Stellung in der Gesellschaft gleiche dabei eher
stunden.18 einer abwärts fahrenden Rolltreppe, auf der man
Vielleicht sind es also nicht nur die Überstun- immer schneller laufen müsse, um nicht abzustei-
den, die ein Quiet Quitting motivieren: Die Schlag- gen. Auch wird immer deutlicher, dass ein hoher
zeilen sind seit Jahren geprägt von Manager­boni sozialer Status eher erblich bedingt ist. Dies wird
und Meldungen über hohe Divi­denden­aus­schüt­ für eine Demokratie, in der das Leistungs­ideal
tung­en. Gleichzeitig belegen die Statistiken eine nach wie vor hochgehalten wird, zunehmend
seit Jahrzehnten anhaltende Real­lohn­krise, und zum Problem.22
die grassierende Inflation verschärft die Situation. In nicht planbaren Krisenzeiten verschiebt
Bis zur Corona-Pandemie und mit Ausnahme der sich der Fokus der jungen Erwerbstätigen auf das
Finanzkrise 2008 ist das Bruttoinlandsprodukt in Hier und Jetzt, auf ihre Gesundheit, auf Familie
den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich gestie- und Freunde und auf soziale Aktivitäten. Hinzu
gen. Erst Ende 2022 und im ersten Quartal 2023 kommt, dass für die Mehrheit der Beschäftigten
ist wieder ein leichter Rückgang zu verzeichnen. (und nach wie vor insbesondere für Frauen) der
Grund dafür ist die inflationsbedingte Konsum- Alltag jenseits der Lohnarbeit mit Betreuungs-,
zurückhaltung, die sich insbesondere in den Be- Pflege- und Erziehungsaufgaben ausgefüllt ist.
reichen Nahrungsmittel, Bekleidung und Mobi- Diese Aufgaben lassen häufig keine Überstun-
lität bemerkbar macht.19 Die Reallöhne hingegen den zu. Schon die Norm der 40-Stunden-Woche
sind 2022 gegenüber dem Vorjahr um 4 Prozent ist hier schlicht zu hoch angesetzt. Zusammen
gesunken.20 Zwar sind sie in den vergangenen mit dem Gender Pay Gap und der unsichtbaren
20 Jahren im Durchschnitt stetig leicht gestiegen, Decke für Frauen und Minderheiten ist ein ab-
doch hat sich die Schere zwischen Bruttoinlands- gekühltes Verhältnis zur Lohnarbeit durchaus
produkt und Reallöhnen immer weiter geöffnet. ­plausibel.

LESS IS BEAUTIFUL
17 Vgl. XING-Studie zeigt: Jeder Vierte kündigt Job, ohne neue
Stelle in Aussicht zu haben, 18. 1. 2022, www.xing.com/news/
articles/xing-​studie-​zeigt-​jeder-​vierte-​kundigt-​job-​ohne-​neue-​
Fasst man die Hintergründe von Quiet Quit-
stelle-​in-​aussicht-​zu-​haben-​4540742. ting zusammen, so lassen sich zunächst zwei
18 Vgl. Mehr als ein Fünftel der Arbeitnehmenden leistet Ebenen unterscheiden. Betrachtet man die in-
unbezahlte Überstunden, 13. 3. 2023, www.haufe.de/personal/ dividuelle Bedürfnislage der Beschäftigten, so
hr-​management/arbeitszeit-​ueberstunden-​in-​deutschland_​80_​
kann es punktuell an Wertschätzung oder Füh-
412324.html.
19 Vgl. Statistisches Bundesamt, Bruttoinlandsprodukt: Aus-
führliche Ergebnisse zur Wirtschaftsleistung im 1. Quartal 21 Vgl. Oliver Nachtwey, Die Abstiegsgesellschaft. Über das
2023, Pressemitteilung Nr. 203 vom 25. 5. 2023, www.destatis.​ Aufbegehren in der regressiven Moderne, Berlin 2016.
de/DE/Presse/Pressemitteilungen/​2023/​05/PD23_​203_​ 22 Vgl. Kira Baresel et al., Hälfte aller Erbschaften und Schen-
811.html. kungen geht an die reichsten zehn Prozent aller Begünstigten,
20 Vgl. dass., Nach Revision: Reallöhne im Jahr 2022 um www.diw.de/de/diw_​01.c.​809832.de/publikationen/wochen-
4,0 % gegenüber 2021 gesunken, Pressemitteilung Nr. 166 vom berichte/​2021_​05_​1/haelfte_aller_erbschaften_und_schen-
27. 4. 2023, www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/​ kungen_geht_an_die_reichsten_zehn_prozent_aller_beguens-
2023/​04/PD23_​166_​62321.html. tigten.html.

27
APuZ 46/2023

rungskompetenz in der Arbeitssituation man- Quiet Quitting ist ein Symptom einer pragma-
geln. Auch fehlende Karriere- oder Gestaltungs- tisch gewordenen Arbeitsmoral. Die sich herausbil-
möglichkeiten können problematisch sein. Diese dende neue Arbeitskultur scheint sich weitgehend
Umstände können aber angesichts der Abhän- vom New-Work-Ideal des „wirklich, wirklich
gigkeit vom Job durchaus ausgehalten werden. Wollens“ zu verabschieden. Gute Arbeit kann
Auf gesellschaftlicher Ebene ist die ausufernde heute einfach weniger Arbeit bedeuten, beispiels-
Hustle-Kultur zu nennen, von der sich die Quiet weise in Form einer Vier-Tage-Woche. Die bisheri-
Quitter abgrenzen wollen. Ihre Selbstbeschrän- gen Untersuchungen zeigen, dass die Beschäftigten
kung kann als Reaktion auf die Entgrenzung der damit zufriedener sind, weniger krank werden und
Arbeit verstanden werden. auch die Produktion nicht sinkt.23 Derzeit wün-
Quiet2345 Quitting ist insgesamt als Einzel- schen sich rund 81 Prozent der Vollzeitbeschäftig-
kämpferstrategie zu bewerten, insofern hier ten die Vier-Tage-Woche, die überwiegende Mehr-
nicht der Weg einer gewerkschaftlichen Ak- heit in Verbindung mit vollem Lohnausgleich.24 In
tion zur Verbesserung der Arbeitsverhältnis- einer Gesellschaft, in der mehr Zeit zur Verfügung
se beschritten wird. Die Form der Kritik lässt steht, könnten immer mehr Menschen neue krea-
sich damit erklären, dass in den USA, dem tive und soziale Tätigkeiten entdecken, die ihnen
Ursprungsland des Trends, die Gewerkschaf- und der Gesellschaft guttun.25
ten zumindest in den vergangenen Jahrzehn-
ten eher schwach waren, während es in Chi- GREGOR RITSCHEL
na keine organisierte Zivilgesellschaft gibt. Die ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum
Generationen Y und Z sind aber nicht unsozi- für Lehrer:­innen­bil­dung und Schulforschung der
al, sondern entdecken das Soziale neu, ebenso Universität Leipzig mit dem Schwerpunkt politische
wie die drängenden globalen Probleme, die die Bildung und Medienbildung
Klimakrise mit sich bringt. Aufstieg durch Ar- gregor.ritschel@uni-​leipzig.de
beit scheint aber immer weniger möglich oder
gar attraktiv. So wird der sich immer schneller
drehende Kreislauf von Produktion und Kon-
sum angesichts globaler Grenzen zunehmend
infrage gestellt. Gleichzeitig ist Wohneigentum
in den Städten unbezahlbar geworden. Insofern
APuZ auf X
wird immer häufiger darauf verzichtet, sich le- @apuz_bpb
benslang mit Krediten zu belasten. Aktuell gibt
es eine neue Knappheit auf dem Arbeitsmarkt,
die den Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern eine bessere Verhandlungsposition ver-
schafft, auch wenn die Reallöhne derzeit noch
sinken. Das Quiet Quitting ist jedoch nur für
nicht prekäre Arbeitssituationen geeignet. So
sind beispielsweise Personen, deren Aufent-
haltsstatus an den Arbeitsplatz gebunden ist,
gezwungen, sich übermäßig zu engagieren.

23 Vgl. Britta Beeger/Philip Plickert, Großbritannien: Wie Auf X meldet sich die
realistisch ist eine Viertagewoche?, 21. 2. 2023, www.faz.net/
aktuell/wirtschaft/unternehmen/vier-​tage-​woche-​kampagne-​zu- Redaktion zu tagesaktuellen
frieden-​mit-​experiment-​in-​grossbritannien-​18695069.html. Themen mit Links zu Beiträgen
24 Vgl. Hans-Böckler-Stiftung, Neue Studie: Rund 81 Pro-
zent der Vollzeitbeschäftigten wollen Vier-Tage-Woche, aus der APuZ und dem Netz-
große Mehrheit wünscht Lohnausgleich, Pressemitteilung
vom 8. 5. 2023, www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-​2675-​
werk der Bundeszentrale für
rund-​81-​p rozent-​d er-​vollzeitbeschaftigten-​wollen-​v ier-​tage-​ politische Bildung.
woche-​49242.htm.
25 Siehe dazu Gregor Ritschel, Freie Zeit, Bielefeld 2021.

28
New Work APuZ

NEW-WORKISIERUNG VON ARBEIT


Zeitdiagnose zum Wandel der Arbeitswelt
Friedericke Hardering

Wer sich gegenwärtig mit dem Wandel der Arbeits- ist Ausdruck der Überzeugung, dass altgediente
welt beschäftigt, kommt um das Schlagwort „New Verfahrensweisen und Ansätze in der Arbeitswelt
Work“ kaum herum. „New Work“ zählt wie „New nicht länger wirksam sind. In diesem Kontext ist
Normal“ oder „Arbeit 4.0“ zu den Begriffen, die eine neue Welle organisationaler Transformati-
im Kontext der Corona-Pandemie Auftrieb er- onsprozesse entstanden.
halten haben und auf Wandlungstendenzen in der Betrachtet man gegenwärtige Definitionen von
Arbeitswelt hindeuten. Unter New Work werden New Work, die auf mehr Selbstbestimmung und
aktuell vor allem neue Formen der Arbeitsorganisa- Sinnhaftigkeit der Arbeit zielen, so kann die New-
tion wie Homeoffice, neue Bürokonzepte, hybride Workisierung zunächst als Prozess der Verbesse-
Arbeit, Vier-Tage-Woche, Selbst­organisation, New rung der Arbeitswelt gedeutet werden. Gleichzeitig
Leadership oder agiles Arbeiten verstanden. Die- impliziert die New-Workisierung eine problemati-
se zeichnen sich insbesondere durch eine zeitliche sche Überakzentuierung des Neuen. So werden in
und räumliche Flexibilisierung von Arbeit sowie der Debatte einerseits frühere Entwicklungen in
neue Formen der Zusammenarbeit aus. Ursprüng- Richtung einer Neuen Arbeit kaum berücksichtigt.
lich ist der Begriff „New Work“ durch Frithjof Damit wird die Kontinuität von New Work unter-
Bergmann geprägt, der 2004 in „Neue Arbeit, neue schätzt. Andererseits wird die positive Seite über-
Kultur“ ein Konzept für eine andere Arbeitsgesell- höht und die mit neuen Arbeitsformen einherge-
schaft entworfen hat.01 Ihm ging es darum, aufzu- hende Zunahme von Belastungen und Konflikten
zeigen, wie sich Gesellschaften von der Fixierung teilweise ausgeblendet. Auch kann die verallgemei-
auf Lohnarbeit lösen können. New Work umfasst nerte Erwartungsstruktur, dass Arbeit nun alleror-
daher neben organisationalen Gestaltungsansätzen ten New Work sein soll, zu einer Verwässerung des
auch die Idee einer anderen Arbeitswelt, in der Er- Konzeptes und Schwächung des transformatori-
werbsarbeit neben anderen Tätigkeitsformen steht. schen Potenzials in Richtung gute Arbeit führen.
Insgesamt handelt es sich um einen vielschichtigen Ziel dieses Beitrags ist es, die Ambivalenzen des
Begriff, der verschiedene Ansätze der Arbeitsor- Prozesses der New-Workisierung der Arbeit auf-
ganisation sowie ein neues Verständnis von Arbeit zuzeigen. Dazu wird zunächst der Begriff „New
jenseits der Erwerbsarbeit einschließt und viel- Work“ beleuchtet, der sowohl eine kapitalismus-
leicht gerade wegen seiner Vieldeutigkeit so popu- kritische Sicht auf Erwerbsarbeit und ein erweiter-
lär werden konnte. tes Arbeitsverständnis als auch Hoffnungen auf ei-
Bei aller Unschärfe hat sich New Work in den nen Gestaltwandel von Arbeit in Organisationen
vergangenen Jahren zu einem Versprechen ei- umfasst. Anschließend wird gezeigt, dass viele der
ner besseren Arbeitswelt entwickelt, und es lässt als New Work beschriebenen Maßnahmen weit
sich gegenwärtig ein Prozess der „New-Worki- weniger neu sind, als suggeriert wird. Um die ak-
sierung“ von Arbeit beobachten. Mit der New- tuellen Veränderungen besser einordnen zu kön-
Workisierung von Arbeit wird die gegenwärtige nen, ist es hilfreich, sich die kritische Perspektive
Bedeutungszunahme der Idee des neuen Arbei- der Arbeitsforschung zu vergegenwärtigen. In ei-
tens bezeichnet. Dem Ruf nach New Work kann nem nächsten Schritt werden die Ambivalenzen
sich demnach kaum jemand entziehen, und als konkreter New-Work-Maßnahmen beleuchtet.
Folge der New-Workisierung ist New Work Abschließend werden zwei Szenarien der New-
ist zu einer generalisierten Erwartungsstruktur Workisierung skizziert und Anregungen formu-
in der Arbeitswelt geworden: wenn schon Ar- liert, wie die Diskussion um New Work versach-
beit, dann New Work. Die New-Workisierung licht werden kann.

29
APuZ 46/2023

Chancen für einen Bedeutungsgewinn von lung, und es geht um die Gesundheit und das Sin-
New Work ergeben sich vor allem dann, wenn nerleben der Beschäftigten, mal zielen die Maß-
Maßnahmen differenziert betrachtet werden, nahmen eher darauf ab, die Wettbewerbsfähigkeit
wenn New Work in Verbindung mit etablierten der Organisationen zu erhöhen.03 Je nach Zielset-
Gestaltungsansätzen von Arbeit gedacht wird zung können auch die Folgen für die Beschäftig-
und wenn sich die Debatte von der Erwerbsar- ten unterschiedlich sein und von einer tatsächli-
beitszentrierung löst und andere Tätigkeitsfelder chen Verbesserung der Arbeitsqualität bis hin zu
einbezieht.1 Arbeitsverdichtung und erhöhten Arbeitsbelas-
tungen reichen. Inwieweit die Versprechen von
VERSPRECHEN New Work für eine bessere Arbeitswelt eingelöst
EINER BESSEREN ARBEITSWELT werden können, hängt also wesentlich von der
Intention ab, mit der die Maßnahmen eingeführt
Der Bedeutungsgewinn von New Work fällt in werden. Um ein klares Bild zu erhalten, ist daher
eine Zeit, in der die Zukunft der Arbeit durch eine differenzierte Betrachtung der Maßnahmen
technologische Innovationen und einen weite- notwendig.
ren Digitalisierungsschub neu verhandelt wird. Dies ist auch die Voraussetzung, um Ten-
Viele New-Work-Gestalter*­ innen nehmen an, denzen eines „New-Work-Washing“ zu erken-
dass durch veränderte Rahmenbedingungen wie nen. Kennzeichnend dafür ist, dass an die Rhe-
die Klimakrise oder den Fachkräftemangel alte torik von New Work in einer humanistischen
Gestaltungsansätze für Organisationen ausge- Tradition angeknüpft, tatsächlich aber eine an-
dient haben. Ein grundlegend neues Verständ- dere Agenda verfolgt wird. New-Work-Washing
nis von Arbeit sei notwendig. Diese Sichtweise ist kein gänzlich neues Phänomen: Bereits in den
findet sich insbesondere in Annahmen rund um Debatten um einen „neuen Geist des Kapitalis-
das Thema Agilität, wo davon ausgegangen wird, mus“ Anfang der 2000er Jahre wurde darauf ver-
dass die VUCA-Welt, die volatil, unsicher, kom- wiesen, wie positiv besetzte Begriffe wie „Selbst-
plex und mehrdeutig ist, alte Annahmen über die verwirklichung“, „Autonomie“, „Authentizität“
Arbeitswelt obsolet macht.02 oder „Kreativität“, die eigentlich aus der Kapi-
In dieser Gemengelage hat sich New Work talismuskritik stammen, nun im Kontext der
als ein Versprechen entwickelt, Organisationen Arbeitswelt genutzt werden, um als Motivati-
Angebote zu bieten, um innovativer zu wer- onsgrundlage zu fungieren und eine positive Be-
den und sich im globalen Wettbewerb behaup- zugnahme auf die Arbeitswelt zu ermöglichen.04
ten zu können. So finden sich mittlerweile zahl- Die Begriffe dienen auch dazu, die neuen Unsi-
reiche Leitfäden, Toolbooks und Empfehlungen, cherheiten eines flexiblen Kapitalismus zu ver-
wie Organisationen durch New-Work-Ansät- decken. Dieser Gedanke der Vereinnahmung
ze transformiert werden können. Kern der hete- von Kritik an der Arbeitswelt lässt sich auch auf
rogenen Definitionen von New Work sind neue New Work übertragen: Die von Frithjof Berg-
Formen der Arbeitsorganisation, die durch räum- mann beschriebene Neue Arbeit steht ursprüng-
liche und zeitliche Flexibilität sowie durch neue lich in der Tradition kapitalismuskritischer
Führungskonzepte mehr Eigenverantwortung, Ansätze, die für eine Erweiterung des Arbeits-
Selbstorganisation, Autonomie und Sinnstiftung begriffs plädieren. Bergmann ging es vor allem
der Beschäftigten ermöglichen. Gleichzeitig wird darum, den Begriff der Arbeit nicht nur auf Er-
mit New Work eine Steigerung der Innovations- werbsarbeit zu beziehen, sondern auf andere Tä-
fähigkeit und Produktivität verbunden. Die Ziele, tigkeitsfelder wie Subsistenzarbeit oder selbst-
die mit New-Work-Maßnahmen verbunden sind, ständige Arbeit auszuweiten. Von dieser Idee ist
können also sehr unterschiedlich sein: Mal liegt in der Debatte um New-Work-Maßnahmen in
der Fokus stärker auf der Organisationsentwick-

03 Vgl. Franziska Schölmerich/Jan Koch/Carsten C. Schermuly,


01 Vgl. Frithjof Bergmann, Neue Arbeit, neue Kultur, Freiburg/Br. Eine Taxonomie von New Work-Praktiken – Unterschiede in
2004. Wirkungsziel und Wirkungsebene, in: Organisationsberatung,
02 VUCA steht für Volatility (Unbeständigkeit), Uncertainty Supervision, Coaching 2/2023, S. 213–230.
(Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehr- 04 Vgl. Luc Boltanski/Ève Chiapello, Der neue Geist des Kapi-
deutigkeit). talismus, Konstanz 2003.

30
New Work APuZ

Organisationen wenig übrig geblieben. So wird Zugespitzt wird dieser Gedanke in der These
der einst kritische Begriff vereinnahmt und stel- von der Entgrenzung der Arbeit. Hier wird davon
lenweise als rhetorische Figur genutzt, um ei- ausgegangen, dass die altbekannten Trennlinien
nen positiven Bezug zur Arbeit zu ermöglichen. zwischen Arbeitswelt und Lebenswelt beziehungs-
New Work kann so zu einem Etikett verkom- weise zwischen Person und Arbeitskraft erodieren
men und darüber hinaus das im Konzept ange- und dies als Teil einer neuen betrieblichen Ratio-
legte transformative Potenzial für eine andere nalisierungsstrategie zu verstehen ist:08 Demnach
Arbeitswelt verlieren. wächst die Verantwortung der Beschäftigten für
den Markterfolg, sie sollen selbst Lösungen für
NEUE UND ALTE KRITIK die gestiegenen Marktanforderungen finden. Dazu
werden ihnen mehr Autonomie und Möglichkei-
Vieles an New Work ist keineswegs so neu, wie ten zur Selbstorganisation angeboten. Diese Ver-
der gegenwärtige Hype um das Thema sugge- antwortungsübernahme der Beschäftigten kommt
riert.05 In der Arbeitssoziologie wurde die Ver- auch in Konzepten des „Arbeitskraftunterneh-
größerung zeitlicher und räumlicher Gestal- mers“ oder des „unternehmerischen Selbst“ zum
tungsspielräume schon seit den 1980er Jahren Ausdruck, die die Erwartung an Beschäftige her-
unter dem Stichwort „Flexibilisierung von Ar- vorheben, unternehmerisch zu handeln und ihren
beit“ verhandelt.06 Diskutiert wurden neue Mög- Alltag um die Arbeit herum zu organisieren.09
lichkeiten der Arbeitsgestaltung wie Gleitzeit, Insgesamt werden die neuen Arbeitsformen
aber auch Telearbeit und die Ausbildung atypi- in den bisherigen Debatten als ambivalent und
scher oder prekärer Beschäftigungsformen. Eine widersprüchlich eingeschätzt, da die gewachse-
weitere Entwicklung neben der Flexibilisierung ne Verantwortung den Einzelnen einerseits über-
von Arbeit ist die seinerzeit diagnostizierte Sub- fordern und überlasten kann,10 andererseits aber
jektivierung von Arbeit. Darunter wurde einer- auch die Chance bietet, die eigene Persönlich-
seits der Wunsch von Beschäftigten nach größerer keit stärker in die Arbeit einzubringen. Im Un-
innerer Beteiligung an der Arbeit verstanden, an- terschied zu früheren Debatten ist in der aktuel-
dererseits die erweiterte organisationale Indienst- len öffentlichen Diskussion um New Work ein
nahme subjektiver Fähigkeiten wie Kreativität deutlich optimistischerer Ton zu vernehmen, der
und Selbststeuerungsfähigkeit.07 Viele Untersu- vor allem die Gestaltungschancen Neuer Arbeit
chungen in dieser Tradition richten das Augen- und Flexibilisierung als Weg zu menschengerech-
merk auf die Ambivalenzen, die mit den neuen ter Arbeit herausstellt. Allerdings regt sich mitt-
Flexibilisierungsmöglichkeiten und Subjektivie- lerweile auch zunehmend Kritik an dieser allzu
rungserwartungen einhergehen: Demnach kön- optimistischen Lesart.11 Für die weitere Diskussi-
nen die neuen Freiheiten im Kontext gestiegener on um New Work ist es wichtig, sowohl die älte-
betrieblicher Leistungserwartungen aufgezehrt ren als auch die jüngeren Kritiken nicht aus dem
werden und zur Selbstausbeutung führen. Blick zu verlieren.

05 Vgl. Eckhard Heidling/Nick Kratzer, New Work Flexible, 08 Vgl. Nick Kratzer, Arbeitskraft in Entgrenzung. Grenzenlose
Mobile, Project-Driven: Can Increasing Self-Organization Anforderungen, erweiterte Spielräume, begrenzte Ressourcen,
Contribute to a New Design of Work?, in: Ronggui Ding/Rein- Berlin 2003.
hard Wagner/Constanta-Nicoleta Bodea (Hrsg.), Research on 09 Vgl. Gerd-Günter Voß/Hans J. Pongratz, Der Arbeitskraft-
Project, Programme and Portfolio Management, Cham 2022, unternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft?, in:
S. 65–85. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 1/1998,
06 Vgl. Nick Kratzer/Dieter Sauer, Flexibilisierung und Subjekti- S. 131–158; Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst.
vierung von Arbeit, in: Berichterstattung zur sozioökonomischen Soziologie einer Subjektivierungsform, Frank­furt/M. ­2007.
Entwicklung in Deutschland. Arbeit und Lebensweisen, Wiesba- 10 Vgl. Thomas Fuchs/Lukas Iwer/Stefano Micali (Hrsg.), Das
den 2005, S. 125–149. überforderte Subjekt. Zeitdiagnosen einer beschleunigten
07 Vgl. Frank Kleemann/Ingo Matuschek/Gerd-Günter Voß, Gesellschaft, Berlin 2018.
Subjektivierung von Arbeit. Ein Überblick zum Stand der Dis- 11 Vgl. Detflef Gerst, New Work: Zwischen neuer Freiheit
kussion, in: Manfred Moldaschl/Gerd-Günter Voß (Hrsg.), Sub- und fremdbestimmter Flexibilität, in: WSI-Mitteilungen 1/2023,
jektivierung von Arbeit, München–Mering 2002, S. 53–100; S. 62–68; Elke Ahlers, New Work(load). Gestaltungsansätze für
Martin Baethge, Arbeit, Vergesellschaftung, Identität. Zur zu- selbstorganisierte Formen der Arbeitsorganisation 2023, WSI
nehmenden normativen Subjektivierung der Arbeit, in: Soziale Policy Brief Nr. 78/2023, www.boeckler.de/fpdf/HBS-​0 08600/​
Welt 1/1991, S. 6–19. p_wsi_pb_​78_​2023.pdf.

31
APuZ 46/2023

GELINGENDE HUMANISIERUNG Erfahrungen der vergangenen Jahre deuten da-


DER ARBEITSWELT? rauf hin, dass hybrides Arbeiten, also die Kombi-
nation von Homeoffice und Büroarbeit, auch in
Inwieweit tragen organisatorische Veränderun- Zukunft relevant sein wird. Auch wenn die Ein-
gen unter dem Label „New Work“ tatsächlich zu führung von Homeoffice in vielen Unternehmen
einer Humanisierung der Arbeitswelt bei? Um kein geradliniger Prozess war und die Redukti-
die Vor- und Nachteile für Beschäftigte und Or- on von Belastungen eine fortwährende Aufga-
ganisationen bestimmen zu können, müssen die be bleibt, liegt der Mehrwert vor allem in der er-
Maßnahmen differenziert betrachtet werden, da höhten zeitlichen und räumlichen Autonomie der
sie sehr unterschiedlich sein können und von Beschäftigten, die ein wesentlicher Faktor für ge-
räumlichen und zeitlichen Flexibilisierungspro- sundes und zufriedenes Arbeiten ist.
zessen bis hin zur Einführung von agiler Arbeit Ein weiteres Feld organisationaler New-
reichen. Inwieweit die Transformationen tatsäch- Work-Transformationen sind Veränderungen von
lich das Ziel einer verbesserten Arbeitsqualität er- Hierarchiestrukturen, die Einführung neuer Füh-
reichen, wird kritisch diskutiert.12 rungskonzepte oder neue Formen der Selbstor-
Ein Beispiel ist das Homeoffice, das in den ganisation. Auf dem Weg zu New Work entste-
vergangenen Jahren vor allem durch die Coro- hen oft zunächst mehr Konflikte, Unsicherheiten
na-Pandemie massiv an Bedeutung gewonnen und Belastungen. Neue Ansätze treffen auf eta-
hat und oft als Inbegriff von New Work gesehen blierte Denk- und Handlungsmuster. Routinen
wird. Telearbeit gab es zwar schon früher und geraten ins Wanken. Sei es bei der Einführung ei-
wurde bereits in den 1990er Jahren vereinzelt ge- nes digitalen Kollaborationstools oder der Ein-
nutzt, aber erst mit den verbesserten technischen führung soziokratischer Strukturen und Selbst-
Möglichkeiten hat sich die Nutzungshäufigkeit organisation.17 Die Chancen auf eine gelingende
verändert.13 Die Befunde zum Homeoffice sind Transformation erhöhen sich, wenn Beschäftigte
heterogen: Homeoffice ist beliebt. Viele Beschäf- gut begleitet werden und Weiterbildung geför-
tigte wünschen sich die Möglichkeit, mehrere dert wird.18 Eine weitere Herausforderung be-
Tage in der Woche von zu Hause aus zu arbeiten. steht darin, dass mehr Selbstverantwortung, die
Darüber hinaus deuten Studien auf eine Verbes- ursprünglich dem Wunsch nach mehr Autonomie
serung der Work-Life-Balance durch die flexib- entspricht, in neue Zwänge und damit in Über-
le Zeiteinteilung und den Wegfall von Fahrzeiten forderung umschlagen kann. Anders als beim
zur Arbeit hin.14 Inwieweit Stress im Homeof- Thema Homeoffice, bei dem die Studienlage gut
fice zu- oder abnimmt, wird dagegen kontrovers ist, gibt es für organisationale New-Work-Trans-
diskutiert.15 Gerade in der Zeit der Pandemie er- formationen und die Einführung von Selbstor-
lebten Wissensarbeitende ein Gefühl der sozialen ganisation weit weniger vergleichbare wissen-
Isolation und des Gemeinschaftsverlustes, und schaftliche Befunde, dafür aber Fallstudien und
trotz vielfältiger Strategien der Sinnfindung blieb Praxisberichte.19
die Antwort auf die Frage nach dem Warum der Ähnlich dürftig und anekdotisch war lange
eigenen Arbeit teilweise unklar.16 Zeit die Studienlage zum agilen Arbeiten, einer
Aus Sorge um sinkende Produktivität ermu- kollaborativen Arbeitsmethode, bei der Teams
tigen viele Unternehmen ihre Beschäftigten mitt- in kurzen Zeitzyklen eng zusammenarbeiten
lerweile, wieder ins Büro zurückzukehren. Die und durch regelmäßiges Feedback ihre Herange-
hensweisen anpassen. Agiles Arbeiten wurde ur-
sprünglich vor allem im Bereich der Softwareent-
12 Vgl. Gerst (Anm. 11).
13 Siehe hierzu auch den Beitrag von Michael Homberg/Mirko
Winkelmann in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.). 17 Vgl. Lene Baumgart, New Work – Old Problem? Wie
14 Vgl. Tanja Carstensen, Zwischen Homeoffice, neuer Präsenz Postbürokratie die Digitalisierung erschwert, in: Organisations-
und Care. Die räumliche und digitale Neuordnung von Arbeit, beratung, Supervision, Coaching 2/2023, S. 181–194.
in: WSI-Mitteilungen 1/2023, S. 3–9. 18 Vgl. Christian Geyer, Verteilte Führungsarbeit statt vertikale
15 Vgl. Alan Felstead, Remote Working. A Research Overview, Hierarchie, in: Sozialwirtschaft 2/2023, S. 28 ff.
Milton 2022. 19 Vgl. Nicole Bischof, Self-Leadership in selbstorganisier-
16 Vgl. Friedericke Hardering/Mareike Biesel, Sinn finden ten Systemen am Beispiel Holacracy, in: Christoph Negri
im Homeoffice: Barrieren und Strategien der Sinnfindung, in: (Hrsg.), Führen in der Arbeitswelt 4.0, Berlin–Heidelberg 2019,
Personal Quarterly 1/2023, S. 10–15. S. 63–72.

32
New Work APuZ

wicklung genutzt und prägt mittlerweile die derungsprozesse hin zu Neuer Arbeit verlaufen
Arbeitskultur in ganz unterschiedlichen Berufs- keineswegs geradlinig. Vielmehr kommt es zu
feldern und Branchen. Doch gerade in den ver- Rückschlägen. Überforderung und Stressanstieg
gangenen Jahren konnten Studien die positiven können die Folge sein. Ob sich am Ende eines
Auswirkungen agiler Praktiken auf die psychi- Prozesses tatsächlich die angestrebten Verbesse-
sche Gesundheit durch geringere Arbeitsanforde- rungen einstellen, ist ungewiss. Inwieweit New
rungen und mehr Ressourcen sowie die positiven Work tatsächlich zu mehr Autonomie und Sinn-
Effekte agilen Projektmanagements auf Leistung stiftung führt, hängt nicht nur von den flexiblen
und Innovation nachweisen.20 Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung ab, son-
Ob Homeoffice, agiles Arbeiten oder neue dern maßgeblich von den Leistungserwartungen
Führungskonzepte: Mit Blick auf die wissen- im Unternehmen. Konterkarieren diese die Vor-
schaftliche Erforschung von New-Work-Maß- teile flexibler Arbeitsmöglichkeiten, können Ar-
nahmen zeigt sich ein sehr heterogenes Bild, und beitsverdichtung, Erreichbarkeitserwartungen
für viele von ihnen sind weitere empirische Un- und unrealistische Zielvorgaben die neu gewon-
tersuchungen notwendig, die Einblicke in Wirk- nenen Chancen untergraben.
mechanismen und Erfolgsfaktoren geben. Deut- Für die Arbeitswelt lassen sich aus diesen
lich wird: New-Work-Ansätze können zu mehr Überlegungen ein optimistisches und ein pessi-
Zufriedenheit und Gesundheit der Beschäftigten mistisches Szenario der New-Workisierung ab-
beitragen, sie können aber auch Belastungen, Ar- leiten: Im optimistischen Szenario gelingt die
beitsintensivierung und Konflikte fördern. Da- Umsetzung neuer Arbeitsformen. Negative Ef-
her ist es wichtig, auch die Schattenseiten von fekte, die in Umbruchsituationen entstehen, wer-
Transformationsprozessen in den Blick zu neh- den abgefedert, und die Beschäftigten werden ad-
men, um ihnen adäquat durch Weiterbildungs- äquat weitergebildet. New Work trägt in diesem
maßnahmen oder Belastungsreduktion begegnen Szenario zu einer Humanisierung der Arbeits-
zu können. Zudem ist – wie bei anderen organi- welt bei.
sationalen Transformationen auch – die Einbin- Anders sieht es im pessimistischen Szenario
dung der Beschäftigten elementar: Fühlen sich aus. Hier wird das Etikett „New Work“ vor allem
Beschäftigte bei der Umsetzung nicht gut infor- dazu benutzt, Effizienzsteigerungen durchzuset-
miert oder übergangen, entstehen Konflikte, und zen und den Beschäftigten mehr Verantwortung
auch gute Gestaltungsansätze können wirkungs- für den Markterfolg zu übertragen. Die Folgen
los bleiben. können weitere Arbeitsverdichtung, Überforde-
rung und Erschöpfung sein. Psychische Belastun-
NEW WORK ALS gen können weiter zunehmen. Die Intensivierung
GESTALTUNGSCHANCE digitaler Arbeit kann Entfremdung fördern und
Beschäftigte im Homeoffice mehr und mehr iso-
Die New-Workisierung der Arbeitswelt bietet er- lieren. Gleichzeitig können durch die fortschrei-
hebliche Chancen für eine Verbesserung der Ar- tende Digitalisierung und den vermehrten Einsatz
beit. New-Work-Maßnahmen sind aber weder von Künstlicher Intelligenz Unsicherheit und
Allheilmittel noch Selbstläufer, es kommt letzt- Angst vor Arbeitsplatzverlust bei den Beschäftig-
lich immer auf die konkrete Ausgestaltung an. ten zunehmen.
Größere Spielräume für eine flexible Arbeitsge- In Teilen der Arbeitswelt zeigen sich die
staltung, die von den Beschäftigten gewünscht Schattenseiten der New-Workisierung bereits:
werden, können mit neuen Gesundheitsrisi- im Bereich der Microworker, die als Selbststän-
ken einhergehen. Auch organisationale Verän- dige digitale Kleinstaufgaben bearbeiten, konkur-
rierend und isoliert um fragmentierte Aufgaben
20 Vgl. Sarah Rietze/Hannes Zacher, Relationships Between kämpfen und mit schlechten Arbeitsbedingungen
Agile Work Practices and Occupational Well-Being: The Role of konfrontiert sind. Oder im Bereich der hochqua-
Job Demands and Resources, in: International Journal of Envi- lifizierten Wissensarbeit, wo New-Work-Maß-
ronmental Research and Public Health 3/2022; Jan Koch/Ivana
nahmen von oben über die Köpfe der Beschäftig-
Drazic/Carsten C. Schermuly, The Affective, Behavioural and
Cognitive Outcomes of Agile Project Management: A Prelimina-
ten hinweg verordnet werden. Was aber braucht
ry Meta-Analysis, in: Journal of Occupational and Organizatio- es, damit New Work zu einer wirklichen Verbes-
nal Psychology 3/2023, S. 678–706. serung der Arbeitswelt führt?

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APuZ 46/2023

Stärken, Herausforderungen und Laufe der Zeit kaum verändert. Hierzu zählen sta-
Grundannahmen der Neuen Arbeit bile und sichere Beschäftigungsverhältnisse, gute
Die New-Workisierung der Arbeitswelt eröffnet Arbeitsbedingungen, eine faire Bezahlung und gute
neue Möglichkeitsräume für gute Arbeit. Dies Beziehungen zu Führungskräften und Kolleg*­
gelingt jedoch nur, wenn auch die Schattenseiten innen. Darüber hinaus tragen Autonomie, Zeite-
aktueller Transformationsprozesse, also Ambi- lastizität, eine sinnstiftende Aufgabe sowie Lern-
valenzen und Widersprüche, in die Debatte ein- und Entwicklungsmöglichkeiten dazu bei, dass
bezogen werden. Auch die detaillierte Auseinan- Beschäftigte motiviert und gesund arbeiten kön-
dersetzung mit den wissenschaftlichen Befunden nen.23 Es kommt daher auf eine gute Kombination
zu einzelnen New-Work-Maßnahmen und ihrer von alten und neuen Gestaltungsansätzen an. Dies
Wirksamkeit auf die Gesundheit oder Zufrieden- bedeutet auch, dass neuere Ansätze wie die Vier-
heit der Beschäftigten ist ein wichtiger Baustein, Tage-Woche wichtig sein können, um die zeitliche
um die Diskussion zu versachlichen. Für viele der Flexibilität zu erhöhen, ohne dabei die Relevanz
neuen Maßnahmen ist es jedoch wichtig, sich zu längst etablierter und verbreiteter Instrumente wie
vergegenwärtigen, dass es jenseits einer vermute- der Gleitzeit aus den Augen zu verlieren.
ten Evidenz eben noch keine belastbaren Wirk-
samkeitsnachweise gibt. Ganze Arbeit
Zu einer adäquaten Einschätzung des Neuen in den Blick nehmen
gehört auch ein nüchterner Blick auf die Diskus- New Work steht mit Bergmanns Überlegungen
sion um die veränderten Arbeitsorientierungen der in der Tradition erweiterter Arbeitskonzepte.24 In
Generation Z, also die Generation der heutigen Be- dieser Tradition, die stark von den Bewegungen
rufsanfänger. In der medial zugespitzten Diskussi- für Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtig-
on wird vor allem die Unterschiedlichkeit generati- keit inspiriert ist, geht es um das Zusammenspiel
onaler Vorstellungen betont. Gleichzeitig weist die von Erwerbsarbeit mit anderen Tätigkeitsformen
Forschung darauf hin, dass sich die Wünsche der wie Sorgearbeit, aber auch Freiwilligenarbeit und
Beschäftigten verschiedener Generationen an eine politischem und kulturellem Engagement.25 Die
gute und sinnstiftende Arbeit nur geringfügig un- Arbeitswelt lässt sich nur verbessern, wenn es ein
terscheiden.21 Es ist daher nicht zielführend, New- ehrliches Bild von dem gibt, was Menschen tag-
Work-Maßnahmen auf eine vermeintlich ganz an- täglich leisten, auch wenn diese Arbeit nicht be-
dere Generation auszurichten. Wichtiger ist es, zahlt wird und teilweise unsichtbar bleibt. Dazu
stereotype Vorstellungen abzubauen und sich an gehört auch die Frage: Welche Arbeit brauchen
den Gemeinsamkeiten zu orientieren, die sich in wir? Wo können wir sinnlose Arbeit vermeiden?
den Erwartungen an die Arbeit zeigen.22 Und wie können wir Arbeit nachhaltig gestal-
ten? Ein Wandel hin zu einer menschengerech-
New Work needs teren Arbeitswelt bedeutet immer, die ganze Ar-
(good) Old W
­ ork beit in den Blick zu nehmen. Gegenwärtig kreist
Auch2345 für New Work gilt: Neu ist nicht immer bes- die Diskussion vielfach nur um Erwerbsarbeit,
ser. Wesentliche Gestaltungsgrundsätze guter Ar- und Fragen der Sorgearbeit, aber auch alterna-
beit sind seit Langem bekannt und haben sich im tive Perspektiven auf eine wünschenswerte Zu-
kunft der Arbeit werden ausgeblendet. Damit die
21 Vgl. Martin Schröder, Der Generationenmythos, in: Kölner New-Work-Debatte einen produktiven Beitrag
Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 3/2018, zur nachhaltigen Transformation der Arbeitswelt
S. 469–494. leisten kann, ist die (Wieder-)Einbindung erwei-
22 Vgl. Friedericke Hardering, Die Sinnsuche der Generation Y.
terter Arbeitskonzepte unabdingbar.
Zum Wandel von Ansprüchen an den Sinn (in) der Arbeit, in:
Bernhard Badura et al. (Hrsg.), Fehlzeiten-Report 2018. Sinn
erleben – Arbeit und Gesundheit, Berlin 2018, S. 75–83.
23 Vgl. Eberhard Ulich, Arbeitspsychologie, Stuttgart 20117. FRIEDERICKE HARDERING
24 Vgl. Beate Littig/Markus Spitzer, Arbeit neu. Erweiterte ist Professorin für Zukunft der Arbeit und Digitali-
Arbeitskonzepte im Vergleich. Literaturstudie zum Stand der
sierung an der FH Münster. Ihre Forschungsschwer-
Debatte um erweiterte Arbeitskonzepte, Hans-Böckler-Stiftung,
Arbeitspapier 229/2011.
punkte sind Sinn der Arbeit, Arbeitssoziologie,
25 Vgl. Teresa Bücker, Alle_Zeit. Eine Frage von Macht und Digitalisierung der Arbeit und New Work.
Freiheit, Berlin 2022. f.hardering@fh-​muenster.de

34
New Work APuZ

ENDE DER KOLLEKTIVEN


INTERESSENVERTRETUNG?
New Work als Herausforderung für Gewerkschaften
und Betriebsräte
Samuel Greef · Wolfgang Schroeder

Der Begriff „New Work“ hat in den vergange- die Zukunft der Arbeit weder technologisch noch
nen fünf Jahren einen Boom erlebt. In Google vertraglich eindeutig fixiert ist – die Entwicklun-
Trends lagen die Spitzenwerte der Suchanfragen gen verlaufen nicht deterministisch, sondern sind
aus Deutschland zu New Work im Januar und durch die beteiligten Akteure beeinflussbar.
August 2022. Im Vergleich zu den Jahren 2004 In der Arbeitswelt übernehmen Gewerk-
bis 2015 haben sich die Anfragen vervierfacht, schaften und Betriebsräte02 – sofern vorhanden
im Vergleich zu 2019 verdoppelt. In dem Hype und handlungsfähig – unterschiedliche Funk-
um New Work zeichnen Medien und Unterneh- tionen, um die Interessen der Beschäftigten zu
men das Bild einer modernen Arbeitswelt, die mit vertreten und Entwicklungen in ihrem Sinne zu
Grundwerten und positiven Gefühlen verbunden beeinflussen. Überbetrieblich agieren die Ge-
ist: Es geht um Freiheit, Flexibilität, Erfüllung, werkschaften als Arbeitsmarkt-, Solidaritäts- und
Selbstbestimmung und Spaß. Agiles und mobiles Politikakteure.03 Den Betriebsräten obliegt die
Arbeiten, Work-Life-Blending, Sofalandschaften betriebliche Mitbestimmung. Mit Blick auf die
und Kickertische sind nicht mehr nur ein Aus- hinter New Work verborgenen Veränderungs-
hängeschild für Startups, sondern scheinbar für prozesse wird in diesem Beitrag die Frage nach
alle Unternehmen Teil des Kampfes um Arbeit- den Auswirkungen auf die kollektive Interessen-
nehmerinnen und Arbeitnehmer – in Zeiten des vertretung und dem damit möglicherweise ein-
demografischen Wandels, des Arbeitskräfteman- hergehenden Funktionswandel gestellt. Welchen
gels, großer Transformationsherausforderungen Herausforderungen stehen Gewerkschaften und
und multipler Krisen. Betriebsräten in diesem Kontext gegenüber? Wie
Die empirisch feststellbaren Veränderungen gehen sie mit den neuen Anforderungen um?
der Arbeitsverhältnisse und -bedingungen sind je- Und letztlich: Welche Perspektive ergibt sich da-
doch nur ein Teil des Puzzles. Das ganze Bild er- raus für die Zukunft der kollektiven Vertretung
schließt sich erst, wenn man hinter die Fassade der der Beschäftigteninteressen? Stehen wir vor dem
schillernden Chiffren von New Work und der Ar- Ende des etablierten Aus- und Verhandelns oder
beitswelt des digitalen Zeitalters blickt. Dann wer- transformiert sich die kollektive Interessenvertre-
den die Ambivalenzen sichtbar, die mit der ver- tung für einen Ausgleich des Interessengegensat-
meintlich neuen Normalität einhergehen – nämlich zes zwischen Kapital und Arbeit?
neue Unsicherheiten und Verwundbarkeiten. Die-
se zeigen sich besonders eindrücklich am Home­ AMBIVALENTER BEGRIFF
office und an der Plattformarbeit, die im Folgen-
den exemplarisch herangezogen werden.01 Nicht Wenngleich die Aufmerksamkeit für den Begriff
ohne Grund handelt es sich bei den Debatten um New Work erst in den vergangenen Jahren er-
New Work zumeist um einen Chancen-Risiken- heblich zugenommen hat, entstand er bereits vor
Diskurs. Damit ist gemeint, dass sowohl Gestal- einem halben Jahrhundert. Der österreichisch-
tungsnotwendigkeiten eröffnet werden als auch US-amerikanische Sozialphilosoph Frithjof Berg-
Gestaltungsmöglichkeiten und -perspektiven ge- mann, der den Begriff New Work in den 1970er
fragt sind. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Jahren prägte, tat dies aufgrund seiner Erfahrun-

35
APuZ 46/2023

gen bei General Motors in Flint, Michigan. Vor nicht, wie von einigen Akteuren proklamiert, das
dem Hintergrund der Jobverluste in einer tayloris- Ende der Arbeitsgesellschaft ein, sondern eröffnen
tisch getriebenen Automatisierung der Automo- neue Gestaltungsnotwendigkeiten und -chancen:
bilindustrie stellte er sich die Frage, was dabei mit Wie wollen wir in Zukunft arbeiten? Bergmanns
den Menschen passiert und wie deren neue Arbeit normatives Verständnis von New Work spiegelt
in Zukunft nicht nur aussehen könnte, sondern sich heute in den Konzepten der „Guten Arbeit“
sollte. Die Freiheit der Arbeit war für ihn nicht nur im Sinne des Deutschen Gewerkschaftsbundes
durch Entscheidungs-, sondern auch durch Hand- oder der „nachhaltigen menschengerechten Ar-
lungsfreiheit123 gekennzeichnet.04 Unter diesen Ein- beit“, wie es der Rat der Arbeitswelt formuliert.07
drücken verfasste er 2004 sein Manifest „Neue Ar- Wenn heute von New Work die Rede ist, dann
beit, neue Kultur“, in dem New Work für diejenige geschieht dies meist verkürzt auf technologische
Arbeit steht, die ein Mensch „wirklich, wirklich Aspekte und eine vermeintlich schöne neue Ar-
will“ – wobei die Werte Freiheit, Selbstständigkeit beitswelt, die nicht mehr von hierarchischen und
und Teilhabe an der Gemeinschaft zentral seien. starren Arrangements, sondern von flachen Hier-
In seiner damaligen Konzeption einer modernen archien, Flexibilität und Agilität geprägt ist. Sinn-
zukünftigen Arbeitswelt sollten innovative und bildlich für diese Entwicklungen stehen das mobile
smarte Technologien eingesetzt werden, um eine Arbeiten und das Homeoffice. Diese spielen auch
sinnvolle Arbeit zu gewährleisten, die gleichzei- nach den pandemiebedingten Betriebsschließun-
tig die Entwicklung eines lebendigeren, vollstän- gen der Corona-Zeit eine deutlich größere Rol-
digeren und stärkeren Menschen unterstützt.05 Im le als zuvor. 2022 arbeitete ein stabiler Anteil von
deutschen Kontext wurden die gleichen Aspekte 25 Prozent der Beschäftigten zumindest gelegent-
von Arbeitswissenschaft und Gewerkschaften ins- lich von zu Hause aus, während es vor der Pande-
besondere in den Bemühungen um die sogenann- mie nur 15 Prozent waren.08 Diese Form des mo-
te Humanisierung der Arbeitswelt seit den 1970er bilen, zeit- und ortsflexiblen Arbeitens wirkt sich
Jahren – und dann im staatlichen Forschungs- und sowohl auf die Arbeitsbedingungen der Beschäf-
Aktionsprogramm „Humanisierung des Arbeits- tigten im Homeoffice als auch im Unternehmen
lebens“ von 1974 bis 1989 – aufgegriffen,06 um aus. Besprechungen finden zunehmend virtuell
Antworten für eine menschenwürdige Mitgestal- statt, Unternehmen verkleinern ihre Büroflächen
tung der Umbrüche in der Produktion zu finden. oder führen Desksharing ein, bei dem sich Be-
Aus heutiger Perspektive sind diese Fragen schäftigte einen Schreibtisch reservieren oder einen
aktueller denn je: Im Kontext der Digitalisierung freien Arbeitsplatz suchen müssen. Gleichzeitig
werden erneut Rationalisierungs- und Automa- entwickeln sich neue Open-Space- und Co-Wor-
tisierungsdiskurse geführt. Diese läuten jedoch king-Bürokonzepte, die eher an bunte Wohnland-
schaften als an triste Büros erinnern.
01 Unternehmen vergeben über Internetplattformen (wie Click-
Der insbesondere durch die Digitalisierung
worker) Arbeitsaufträge, die vermeintlich Soloselbstständige vorangetriebene Wandel der Arbeitswelt fin-
(weder Unternehmen noch Plattform sehen sich als Arbeitgeber) det nicht nur im Dienstleistungssektor statt – er
online (Crowdwork) oder ortsgebunden (Gigwork) bearbeiten. macht auch vor den Werkstoren nicht halt. Be-
02 Personalräte im öffentlichen Dienst sind im Folgenden eben-
schäftigte in der Industrie nutzen verstärkt di-
falls inbegriffen.
03 Wie Gewerkschaften ihre Prioritäten zwischen den Funktio-
gital angereicherte Arbeitsmittel – vom smarten
nen austarieren, ist nicht festgelegt, sondern elementarer Teil ge- Handheld über Virtual-Reality-Brillen bis hin zu
werkschaftlicher Wandlungsprozesse und Strategiebildung. Vgl. autonom und kollaborativ arbeitenden Robotern.
Wolfgang Schroeder/Samuel Greef, Gewerkschaften und die In der Logistik sind automatische Routenpla-
Erosion der zivilgesellschaftlichen Basis: Von der Solidarorga-
nung, digitale Empfangsbestätigungen oder GPS
nisation zum Tarifverband, in: Cornelia Fraune/Klaus Schubert
(Hrsg.), Grenzen der Zivilgesellschaft. Empirische Befunde und
getrackte Fahrzeuge kaum wegzudenken.
analytische Perspektiven, Münster 2012, S. 133–155.
04 Vgl. Frithjof Bergmann, On Being Free, Notre Dame IN 1977. 07 Vgl. Rat der Arbeitswelt, Transformation in bewegten Zeiten.
05 Vgl. ders., Neue Arbeit, neue Kultur, Freiburg/Br. 2004. Nachhaltige Arbeit als wichtigste Ressource, Berlin 2023, S. 60 ff.
06 Vgl. Stefan Müller, Das Forschungs- und Aktionsprogramm 08 Vgl. Samuel Greef/Lukas Heller, Homeoffice in Hessen.
„Humanisierung des Arbeitslebens“ (1974–1989), in: Nina Mobiles Arbeiten als Digitalisierungstrend der Arbeitswelt, in:
Kleinöder et al. (Hrsg.), „Humanisierung der Arbeit“: Aufbrüche Liv Dizinger et al. (Hrsg.), Aufgebrochen im Wandel. Bilanz und
und Konflikte in der rationalisierten Arbeitswelt des 20. Jahrhun- Perspektiven schwarz-grüner Regierungspolitik 1999–2023 in
derts, Bielefeld 2019, S. 59–88. Hessen, Marburg 2023, S. 179–199.

36
New Work APuZ

Digitale Arbeitsinstrumente bieten das Po- treten Gewerkschaften als freiwillige kollekti-
tenzial für Unterstützung und Entlastung. Flexi- ve Zusammenschlüsse von Arbeitnehmern deren
blere Möglichkeiten der Arbeitsgestaltung kom- Interessen gegenüber Arbeitgebern, Politik und
men der Autonomie und Selbstbestimmung der Öffentlichkeit. Während sie mit Arbeitgeberver-
Beschäftigten entgegen. Diese Chancen für eine bänden oder Unternehmen tarifvertraglich abge-
menschengerechtere Gestaltung der Arbeit stel- sicherte Arbeitsbedingungen aushandeln und in
len aber nur eine Seite der Medaille dar. Auf ihrer Arrangements zwischen Staat und Verbänden po-
anderen Seite stehen die Risiken neuer digitaler litischen Einfluss nehmen, gestalten Betriebsräte
Überwachungs- und Kontrollregime, die Selbst- die Arbeitsorganisation auf betrieblicher Ebe-
überforderung, die zeitlich-räumliche Entgren- ne mit. Die Kopplung von überbetrieblicher und
zung von Arbeit und die Ausweitung unregulier- betrieblicher Ebene erfolgt nicht nur über Be-
ter Arbeitsverhältnisse wie Soloselbstständigkeit, triebsräte, die sich in der gewerkschaftlichen Mit-
Werkverträge oder Freiberuflichkeit.09 In Bezug gliederwerbung, der Mobilisierung in Arbeits-
auf New Work lassen sich drei zentrale Schluss- kämpfen und der Vermittlung von Forderungen,
folgerungen ziehen: Erstens ist New Work ambi- Beschlüssen oder Kompromissen engagieren.
valent. Der Diskurs über Chancen und Risiken Im Zuge der Verbetrieblichung und Dezen-
zeigt, dass New Work nicht automatisch auch tralisierung der Tarifpolitik, zum Beispiel durch
„Good Work“ ist. Zweitens realisieren sich die Haustarifverträge und Öffnungsklauseln im Flä-
Chancen für gute Arbeit nicht automatisch. Risi- chentarifvertrag, sind die Bedeutung und die Auf-
ken muss aktiv begegnet werden – es besteht also gaben der Betriebsräte über ihre Fokussierung auf
Gestaltungsbedarf, damit aus New Work auch die Mitbestimmung in sozialen und wirtschaftli-
Good Work wird. Und drittens trifft die positi- chen Angelegenheiten hinaus gewachsen.11 Dies
ve Gestaltungsperspektive auf eine geschwächte gilt nicht in gleichem Maße für ihre zeitlichen und
Gestaltungslandschaft. Die vorgesehenen kollek- personellen Ressourcen. Einerseits bieten sich ih-
tiven Akteure in den betrieblichen und überbe- nen neue Möglichkeiten der beschäftigtenorien-
trieblichen Arenen der Arbeitsbeziehungen – Be- tierten Mitgestaltung. Andererseits sind sie mit
triebsräte und Gewerkschaften – verlieren weiter mehr Aufgaben, neuem Wissensbedarf und ge-
an Einfluss. stiegenen Kompetenzanforderungen sowie Er-
wartungen der Beschäftigten konfrontiert. Hier
KOLLEKTIVE zeigt sich die umgekehrte Verkopplung der Are-
INTERESSENVERTRETUNG nen, indem die Gewerkschaften die betrieblichen
Akteure direkt durch Weiterbildungsangebote
Das duale System der industriellen Beziehun- oder indirekt durch gesetzliche Gestaltungsan-
gen ist gekennzeichnet durch die gleichzeitige forderungen unterstützen. Als System kommu-
Trennung und Verkopplung von überbetrieb- nizierender Röhren sind beide Ebenen und ihre
licher und betrieblicher Ebene der kollektiven Akteure von den New Work zugeschriebenen
Interessenvertretung.10 Grundgesetzlich abge- Entwicklungen in der Arbeitswelt betroffen.
sichert durch die Koalitionsfreiheit – das Recht
von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, sich zur ÜBERBETRIEBLICHE EBENE
Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirt-
schaftsbedingungen zusammenzuschließen – ver- Positiv betrachtet bieten die Debatten um New
Work Ansatzpunkte für die Humanisierung der
Arbeit und damit für gewerkschaftliche Forde-
09 Die Debatten sind zwar anschlussfähig an die Diskurse zum
rungen, Ideen und Initiativen. So zeichnete sich
Arbeitskraftunternehmen in den 1980er Jahren, gehen aber
bezogen auf die betroffenen Erwerbstätigengruppen und die re-
für das Homeoffice bereits frühzeitig eine über-
levanten Dimensionen (Selbst-Kontrolle, Selbst-Ökonomisierung, betriebliche Gestaltungsperspektive ab. Mit der
Selbst-Rationalisierung) über diese hinaus. Vgl. Gerd-Günter Voß, Reform des Betriebsverfassungsgesetzes vom
Arbeitskraftunternehmer, in: Hartmut Hirsch-Kreinsen/Heiner
Minssen (Hrsg.), Lexikon der Arbeits- und Industriesoziologie,
Baden-Baden 2017, S. 49–52. 11 Vgl. Wolfgang Schroeder, Gewerkschaften im Transforma-
10 Vgl. Walther Müller-Jentsch, Strukturwandel der industri- tionsprozess: Herausforderungen, Strategien und Machtressour-
ellen Beziehungen. „Industrial Citizenship“ zwischen Markt und cen, in: ders. (Hrsg.), Handbuch Gewerkschaften in Deutschland,
Regulierung, Wiesbaden 2007. Wiesbaden 2014, S. 13–45, hier S. 32 ff.

37
APuZ 46/2023

18. Juni 2021 wurde diesem Anliegen Rechnung mökonomie ist es schwierig, die Beschäftigten zu
getragen und explizit ein Mitbestimmungsrecht organisieren.15 Gleichzeitig stehen viele Unter-
bei der „Gestaltung von mobiler Arbeit, die mit- nehmen der Sozialpartnerschaft ablehnend ge-
tels Informations- und Kommunikationstechnik genüber; sie halten sich von Arbeitgeberverbän-
erbracht wird“ eingeführt (§ 87 Abs. 1 Nr. 14 Be- den fern oder gehen nur Mitgliedschaften ohne
trVG). Die Gewerkschaften waren sich der Am- Tarifbindung ein. Auch Praktiken wie Union
bivalenz mobiler Arbeit schon früh bewusst und Busting oder die Verhinderung von Betriebsräten
ergänzten den Diskurs um ein „Recht auf Home- kommen vor.
office“ um den „Anspruch auf einen Arbeitsplatz Gewerkschaftsaverse (insbesondere hochqua-
im Betrieb“. Vor dem Hintergrund von Solo- lifizierte) Beschäftigte und fehlende Zugänge zu
selbstständigkeit, fehlender sozialer Absicherung Erwerbstätigen jenseits des Betriebs erschweren
und teilweise prekären Arbeitsbedingungen in die Mitgliedergewinnung. Gleichzeitig müssen
der Plattformökonomie haben sie sich ebenso sich die Gewerkschaften auf veränderte Interes-
frühzeitig mit eigenen Regulierungsvorstellun- sen und Erwartungen der Beschäftigten einstellen
gen, Gestaltungsbemühungen und politischen – etwa durch qualitative Tarifpolitik und partizi-
Forderungen in den Prozess eingebracht.12 pative Beteiligungsformate. Wenn sie weiterhin
Über die politische Ebene hinaus bearbei- als status- und berufsunabhängige Branchenge-
ten die Gewerkschaften New Work auf tarifpo- werkschaften an ihrem integrativen Interessen-
litischer Ebene. Bereits vor der Pandemie regel- verständnis festhalten wollen, sind sie gefordert,
te etwa die IG Metall 2018 mit dem Tarifvertrag als Solidarorganisation Gemeinschaft und Zu-
zum Mobilen Arbeiten Fragen der Ruhezeiten, gehörigkeit unter widrigeren Umständen zu or-
der Freiwilligkeit oder der Aussetzung von Re- ganisieren. Dabei müssen sie die Balance halten:
gelungen zu Nacht- und Wochenendzuschlägen Trotz einer stärkeren Berücksichtigung indivi-
außerhalb der regulären Spät- und Nachtarbeit.13 dueller Mitgliederinteressen und einer stärkeren
Den negativen Aspekten von Crowdwork in der Orientierung an selektiven Anreizen (Mitglieder-
Plattformökonomie versucht die IG Metall durch logik) dürfen sie nicht zu reinen Versicherungs-
Informationen und Anreize zur Selbstorganisa- betrieben werden – denn das wäre das Ende der
tion sowie durch Beteiligung an Selbstregulie- kollektiven Interessenvertretung, die einen soli-
rungsinitiativen zu begegnen.14 darischen Interessenausgleich anstrebt und zu-
Eine große Herausforderung für die Gewerk- gunsten der Durchsetzungsfähigkeit Interessen
schaften besteht in der doppelten Problemla- selektiert und aggregiert (Einflusslogik). Damit
ge von Mitglieder- und Durchsetzungsschwäche agieren sie in der neuen Arbeitswelt in einem ver-
auf der einen Seite und der sogenannten Gegner- stärkten Spannungsverhältnis zwischen Mitglie-
krise – also der abnehmenden Gestaltungsmacht der- und Einflusslogik.
der Arbeitgeberverbände – auf der anderen Sei-
te. Dies zeigt sich vor allem in Bereichen der für BETRIEBLICHE EBENE
New Work besonders affinen Digitalwirtschaft
sowie in der hochqualifizierten Dienstleistungs- Infolge von Homeoffice und nicht direkt in die
arbeit. Hier sind die Gewerkschaften mit Blick betrieblichen Prozesse eingebundenen Arbeits-
auf ihre Mitglieder schlecht aufgestellt und wenig verhältnissen (Werkverträge, Crowdwork) ero-
durchsetzungsfähig. Insbesondere in der Plattfor- diert der Betrieb als sozialer und regulativer Ort.
Wenn Beschäftigte selten oder gar nicht vor Ort
arbeiten, fehlt nicht nur das soziale Miteinander
12 Vgl. Samuel Greef/Wolfgang Schroeder, Plattformökonomie
– was von Beschäftigten, die nicht zu Hause ar-
und Crowdworking: Eine Analyse der Strategien und Positionen
zentraler Akteure, Forschungsbericht, Berlin 2017, S. 99, S. 31 ff.
beiten wollen, häufig als zentraler Grund genannt
13 Vgl. Alexander Berzel/Wolfgang Schroeder, Homeoffice – wird. Der kollegiale Austausch leidet und die
eine Transformation der Arbeitswelt. Systematischer Überblick Gelegenheiten, sich im Betrieb über den Weg zu
und Perspektiven der Gestaltung, in: i3 Kasseler Diskussionspa-
piere 12/2021, S. 6.
14 Vgl. Samuel Greef/Benedikt Schreiter, Plattformökonomie 15 Vgl. Samuel Greef et al., Plattformökonomie und Crowd-
und Gewerkschaften, in: Wolfgang Schroeder/Ursula Bitzegeio/ working als Herausforderungen für das deutsche Modell der
Sandra Fischer (Hrsg.), Digitale Industrie. Algorithmische Arbeit. Arbeitsbeziehungen, in: Industrielle Beziehungen 2/2020,
Gesellschaftliche Transformation, Bonn 2020, S. 208–232. S. 205–226.

38
New Work APuZ

laufen, fallen weg. Das kann für Betriebsräte be- Abbildung: Auswirkung digitaler Transformation
deuten, dass sie seltener authentische Situationen auf Betriebsratsarbeit
vorfinden, um zu kommunizieren und ein offenes erhöhte Anzahl
Ohr für die Stimmungen, Nöte und Interessen der 76
an Themen
Belegschaft zu haben. Ebenso besteht die Gefahr, erhöhte Komplex-
dass Betriebsräte, die selbst im Homeoffice arbei- 81
ität der Themen
ten, für die Beschäftigten nicht mehr direkt an- erhöhter
sprechbar sind, weil die Tür zum Betriebsratsbüro 53
Erwartungsdruck
verschlossen bleibt. Präsenz, Zugänglichkeit und Geschwindigkeit zu bear-
Ansprechbarkeit müssen in virtuellen Kontexten 75
beitender Themen erhöht
nicht nur technisch ermöglicht, sondern auf allen
Seiten neu vermittelt und gelernt werden. erhöhte Arbeitsintensität 60
Die Ausweitung von Arbeitsverhältnissen jen-
Anteil der Betriebsräte mit Antwort „absolut“ oder „überwiegend
seits abhängiger Beschäftigung stellt Betriebsräte
richtig“ in Prozent
vor eine weitere große Herausforderung: die feh- Quelle: Claudia Niewerth et al., Betriebsräte in der doppelten
lende Zuständigkeit. Werkvertragsnehmerinnen Transformation, Düsseldorf 2022, S. 57.
und -nehmer, Soloselbstständige und Freelancer
fallen nicht unter die verbrieften Rechte der be-
trieblichen Mitbestimmung. Auch hier zeigt sich Diesen Potenzialen für mehr Mitbestimmung
die wechselseitige Abhängigkeit der betrieblichen stehen Gefahren der Überlastung und Überfor-
und überbetrieblichen Akteure. Eine Modernisie- derung gegenüber. Betriebsräte sollen die sozia-
rung des Betriebsverfassungsgesetzes, die den Rea- len und wirtschaftlichen Interessen der Beschäf-
litäten der digitalisierten Arbeitswelt gerecht wird, tigten vertreten, die Gewerkschaften bei der
muss von den Gewerkschaften als Akteure der po- Mitgliederwerbung und -mobilisierung unter-
litischen Interessenvertretung auf die gesetzgebe- stützen und im besten Fall die Innovationspoten-
rische Agenda gesetzt und gestaltet werden. ziale der Belegschaft für den Erhalt der Wettbe-
Insgesamt bringen die betrieblichen Ent- werbsfähigkeit im Strukturwandel oder in der
wicklungen nicht nur Gestaltungsnotwendig- sozial-ökologischen Transformation heben.
keiten, sondern auch Gestaltungsmöglichkeiten Nicht immer sind Betriebsräte gut genug aufge-
und damit Einflussperspektiven mit sich. Mit der stellt, um diese Aufgaben adäquat wahrnehmen
Einführung neuer digitaler Tools gehen Mög- zu können. Wenn sich ihr Aufgabenspektrum im
lichkeiten der Überwachung, Verhaltens- und Zuge der Digitalisierung stark erweitert und The-
Leistungskontrolle einher. Big-Data-Analyse- men wie Algorithmen und Künstliche Intelligenz
werkzeuge im Personalmanagement ermöglichen neue Kompetenzen und Wissen erfordern, wird
die automatisierte Auswertung von Fehlzeiten dies von Betriebsräten als Herausforderung emp-
oder der Nutzungsdauer von Software. Mobi- funden (siehe Abbildung), und es stellt sich die
le Endgeräte und GPS ermöglichen das Tracking Frage nach einer angemessenen Ressourcenaus-
von Bewegungs- und Standortdaten. Damit stel- stattung und notwendigen Weiterqualifizierun-
len sich zentrale ethische Fragen im Umgang mit gen. Betriebsräte agieren damit in einem verstärk-
diesen Mitarbeiterdaten. Diese werden nicht nur ten Spannungsverhältnis zwischen Einflussnahme
durch die Datenschutzgrundverordnung und das und Überforderung.
Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geregelt.
Betriebsräte sind über die mitbestimmungspflich- SCHLUSS
tige „Einführung und Anwendung von techni-
schen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Oft wird mit einem Hype verbunden, dass er
Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu so schnell vorbei sein kann, wie er gekommen
überwachen“ (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) direkt ist. Für New Work trifft diese Annahme nicht
eingebunden. Während die Gewerkschaften ent- zu. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass
sprechende tarifliche Regelungen und gesetzliche es beispielsweise beim Thema Homeoffice auch
Rahmenbedingungen aushandeln, können Be- einen Backlash von Unternehmen gibt, die ihre
triebsräte den Wandel durch innovative Betriebs- Beschäftigten zurück in die Firma beordern und
vereinbarungen begleiten und gestalten. eine Rückkehr zur Präsenzkultur anstreben. Jen-

39
APuZ 46/2023

seits dieser erwartbaren Versuche veränderungs­ Dabei eröffnet der vermehrte mitbestim-
averser Organisationen steht der Übergang in ein mungspflichtige Einsatz von Algorithmen und
neues Zeitalter außer ­Frage. Big Data auf betrieblicher Ebene neue Einfluss-
Die Arbeitswelt des digitalen Zeitalters un- möglichkeiten für Betriebsräte. Allerdings steigen
terscheidet sich in vielerlei Hinsicht von der des auch die Anforderungen an sie in Bezug auf Wis-
Industriezeitalters. Transformative Wandlungs- sen, Kompetenzen und Ressourcen, sodass die
prozesse setzen kollektive Arbeitnehmerorgani- Gefahr einer Überforderung besteht. Zudem ero-
sationen grundsätzlich unter Anpassungsdruck, diert mit der neuen mobilen Arbeitskultur nicht
um ihrer Rolle als Interessenvertretung gerecht nur der Betrieb als sozialer Raum, sondern auch
werden zu können. Die Gewerkschaften sind in als etablierter Regulierungsanker – genauso wie
der neuen Arbeitsarchitektur mit immer spezi- der Arbeitnehmerstatus durch Soloselbstständig-
fischeren Interessen konfrontiert, die schwieri- keit und Werkverträge infrage gestellt wird. Dies
ger zu organisieren sind. Gleichzeitig laufen sie fordert insbesondere die Gewerkschaften heraus
Gefahr, auf die spezifischeren Interessen mit in- – in einer Zeit, in der sie ohnehin seit Jahrzehnten
dividuelleren Angeboten zu reagieren. Wenn sie durch Mitgliederschwund, Erosion der Flächen-
die zunehmende Unsicherheit jedoch weniger tarifbindung und schwächelnde Arbeitgeberver-
kollektivvertraglich, sondern individualrechtlich bände unter Druck stehen.
abfedern, entwickeln sie sich zu Versicherungs- Menschengerechte New Work zu gewährleis-
betrieben und belasten damit ihre solidarische ten, erfordert Engagement auf allen Ebenen: von
Grundstruktur als kollektive Organisation. Be- der betrieblichen über die überbetriebliche bis hin
triebsräte laufen Gefahr, der Vielzahl neuer tech- zur politischen Ebene. Die Gewerkschaften sind
nischer, rechtlicher und psychischer Anforderun- dabei in allen Funktionen – als Arbeitsmarktakteur,
gen nicht angemessen begegnen zu können, weil als politischer Akteur und als Solidaritätsakteur –
ihnen dafür die Ressourcen fehlen. Zugleich er- gefordert, sodass weiterhin ein Ausgleich zwischen
geben sich für die Gewerkschaften Chancen zur Einfluss- und Mitgliederlogik notwendig ist. Dies
Unterstützung und Stärkung des Bündnisses in umfasst einen adäquaten gesetzlichen Rahmen, der
der dualen Interessenvertretung. Beide müssen entsprechende Kompetenzen und Verantwortlich-
sich also einerseits den neuen Bedingungen an- keiten auf überbetrieblicher und betrieblicher Ebe-
passen und sich damit selbst verändern. Anderer- ne sicherstellt, sowie die notwendigen Ressourcen
seits verlaufen die Entwicklungen nicht determi- für die Akteure. Gewerkschaften und Betriebsräte
nistisch. Wohin sich die Arbeitswelt entwickelt, müssen sich entsprechend aufstellen, um ihre Auf-
ist nicht vorherbestimmt, sondern gestaltbar. gaben in einer veränderten digitalen Arbeitswelt
Transformationsherausforderungen und Ein- weiterhin wahrnehmen zu können. Die kollektive
flusspotenziale treten somit gleichzeitig auf und Interessenvertretung ist die Antwort auf den Ge-
verstärken die notwendige Anpassungsleistung staltungsbedarf der digitalen Transformation und
auf Seiten der kollektiven Akteure. damit der New Work – zugleich muss sie selbst
Für die weitere Entwicklung der Arbeits­ transformiert werden, um den Gestaltungsanfor-
bedin­gungen und -verhältnisse im digitalen Zeital- derungen gerecht zu werden.
ter ist die Handlungsfähigkeit von Gewerkschaften
und Betriebsräten zentral für eine menschenge- SAMUEL GREEF
rechte Gestaltung der Arbeitswelt. Vielfach fin- ist Privatdozent am Fachbereich Gesellschafts-
det eine einseitige, risikoblinde, selbstgebastelte wissenschaften der Universität Kassel und wissen-
und selektive Bezugnahme auf das Konzept New schaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Politisches
Work statt – als zeitlich und räumlich flexibles, System der BRD.
spaßorientiertes Arbeiten in einer bunten, selbst- greef@uni-​kassel.de
gestalteten Welt des Work-Life-Blending. Diese
verkürzte und einseitige Sicht blendet aus, dass WOLFGANG SCHROEDER
New Work nicht automatisch Good Work ist. leitet seit 2006 das Fachgebiet Politisches System
Die Gefahr entgrenzter, auf Selbstoptimierung der BRD an der Universität Kassel, ist Fellow am
und Selbstausbeutung basierender Arbeit in pre- Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
kären Beschäftigungsverhältnissen bedarf einer und Mitglied des Rates der Arbeitswelt.
umfassenden Gestaltung. wolfgang.schroeder@uni-​kassel.de

40
New Work APuZ

SELBSTVERWIRKLICHUNG IM ­B ERUF
Zur Geschichte eines Mythos
Jason Lemberg

Das Ideal der beruflichen Selbstverwirklichung smarter not harder“ wird nach der Arbeitsein-
ist allgegenwärtig. Obschon über die damit ver- stellung von Be­rufs­ein­stei­ger:­innen gefragt. Das
bundenen Verheißungen oft nur mit deutlichen Streben nach Selbstverwirklichung führe immer
Einschränkungen gesprochen wird – so müssten wieder zu Irritationen, heißt es dort. So wür-
wichtige Kriterien hinsichtlich der beruflichen de jungen Menschen mitunter vorgeworfen, faul
Qualifikation und der biografischen Grundvor- oder unverschämt zu sein. Hierbei handele es sich
aussetzungen erfüllt sein –, ändere dies nichts an aber um ein generationelles Missverständnis: „Es
der Macht der damit verbundenen Bilder, Vor- sind einfach andere Dinge, die die Gen Z moti-
stellungen und Fantasien. Ganz im Gegenteil: Ein vieren. Umfragen zeigen beispielsweise, dass die
Großteil der Menschen sehnt sich nach einer er- Höhe des Gehalts und der Status ihnen nicht
füllenden Arbeit, und sagte nicht schon Konfu- wichtig sind. Stattdessen geht es um Selbstver-
zius: „Wähle einen Beruf, den du liebst, und du wirklichung, Spaß am Job, ein gutes Arbeitsklima
brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu sowie ein passendes ­Umfeld.“02
arbeiten“? Auch wenn die Autorin betont, dass dies kei-
Das starke Bedürfnis nach Sinn und Erfüllung neswegs Rückschlüsse auf die Leistungsbereit-
in der Arbeit findet seinen Ausdruck in zahlrei- schaft der jungen Menschen zulässt, scheint die
chen Zeitungsartikeln, (Online-)Ratgebern und vermeintliche Unlust einer ganzen Generation
Reportagen. Dabei kommt es zu bemerkenswer- Ärger und auch Ängste auszulösen. Von einem
ten Überschneidungen mit zentralen Aspekten Generationenkonflikt ist die Rede: Der Vorwurf
der arbeitspolitischen Debatte. Das betrifft die der Faulheit steht im Raum. In einer Reportage
Berufsvorstellungen der sogenannten Generati- von Radio Bremen unter dem Titel „Kein Bock
on Z der heute 20- bis 25-Jährigen ebenso wie den auf Arbeit? Die Work-Life-Balance der Gen Z“
Fachkräftemangel oder den Boom der Coaching- wird ein Sinneswandel festgestellt. Die berich-
Szene. Welche Rolle spielt dabei das Konzept der tende Reporterin gesteht dabei, dass sie ebenfalls
Selbstverwirklichung? gerne weniger arbeiten würde. Allerdings führe
Ein im März 2023 im „Südkurier“ veröffent- dieser Wunsch zur Anschlussfrage: „Müssten wir
lichter Artikel gibt sieben Tipps für die Suche nicht heute eher mehr arbeiten, um den Fachkräf-
nach dem „Traumjob“. Mit Blick auf die Motiva- temangel auszugleichen?“03
tion stellt die Autorin klar: „Den perfekten Job? Das Ideal der Selbstverwirklichung erscheint
Wollen doch eigentlich alle. Ganz besonders die in der aktuellen Berichterstattung sowohl als
Generation Z, die derzeit auf den Arbeitsmarkt neue Einstellung zur Arbeit, als naive Fantasie
strömt, strebt im Berufsleben nach Selbstver- als auch als arbeitsmarktpolitischer Irrweg. Diese
wirklichung.“01 Konzepte aus der Psychologie, Vielfalt ist auffällig und erklärungsbedürftig. Die
Umfrageergebnisse und Zahlen aus der Markt- abwegige Gegenüberstellung der vermeintlichen
forschung werden vorgestellt. Demnach gehe es Sinnsuche junger Menschen und des Fachkräfte-
um Selbsterkenntnis. Dabei helfe unter anderem mangels lenkt dabei von konkreten Problemen
das Gespräch mit Ex­pert:­innen. Es scheint, dass der Arbeitswelt ab.
die Sinnsuche im Berufsleben vor allem junge Dass die berufliche Sinnsuche weder ein neu-
Menschen betrifft. es noch ein Phänomen junger Menschen ist, zeigt
Dieser Eindruck verstärkt sich nach der Lek- der Coaching-Markt. Mit immer größeren Zu-
türe eines Artikels auf der Internetseite des Süd- wachsraten, die nicht zuletzt auf sehr nieder-
westrundfunks. Unter der Überschrift „Work schwellige Online-Angebote zurückzuführen

41
APuZ 46/2023

sind, hat sich berufliches Coaching über alle Un- Der Wandel der Arbeitswelt hatte einen be-
ternehmenshierarchien ausgebreitet. Ex­ pert:­ sonderen wirtschaftlichen Hintergrund. Ab Mit-
innen führen den zunehmenden Bedarf auf die te der 1970er Jahre zwang die Globalisierung die
Überforderung mit den aktuellen Entwicklungen Unternehmen zu Kosteneinsparungen. Indem
der Arbeitswelt zurück. In jedem Fall verspricht den Arbeiter:innen komplexere Tätigkeiten zu-
der Markt hohe123 Wachstumsraten.04 gewiesen wurden, konnten Arbeitsplätze einge-
Offensichtlich ist die Suche nach Sinn weit- spart und durch die Übertragung von mehr Ver-
verbreitet und kein Generationenphänomen. antwortung Kontrollinstanzen abgebaut werden.
Auch die in der aktuellen Debatte immer wieder Das sogenannte Job Enrichment sollte auch bei
anzutreffende Gegenüberstellung von „faulen monotonen Tätigkeiten für Zufriedenheit sorgen:
Be­rufs­ein­stei­ger:­innen“ einerseits und „fleißigen Verspätungen, Ungenauigkeiten, Krankenstände
Routiniers“ andererseits führt in die Irre. Sie ver- oder gar (stille) Kündigungen sollten so vermie-
stellt den Blick auf arbeitswissenschaftliche Kon- den werden.06
zepte, die längst Praxis geworden sind. Denn das Das scheinbar unaufhaltsame Streben nach
Streben vieler Menschen nach Sinn und Erfüllung Freude an der Arbeit ist also weniger auf gelun-
ist von Unternehmen längst als produktiver Fak- gene Selbstermächtigung als vielmehr auf wis-
tor erkannt worden. Unter dem Stichwort „Job senschaftlich fundierte und systematisch be-
Enrichment“ werden seit Jahren Modelle der triebene Beeinflussung zurückzuführen. Nicht
wohldosierten Übertragung von „Freiheit“ und Konfuzius, sondern unternehmerische Raffines-
Verantwortung erprobt, die Beschäftigte zufrie- se stand demnach Pate bei der Durchsetzung ei-
dener machen sollen. nes Paradigmas der Arbeitsfreude. Wenn der
Südwestrundfunk von „Selbstverwirklichung“
SELBSTVERWIRKLICHUNG und „Spaß am Job“ spricht, bringt er die Moti-
ALS ZEITHISTORISCHER vationstheorie von Frederick Herzberg auf den
UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND Punkt. Obwohl dies bereits in den 1970er Jah-
ren von Harry Bravermann nachgewiesen wurde
Bereits in den 1960er Jahren propagierte der und die Historikerin Sabine Donauer jüngst in
US-amerikanische Psychologe und Arbeitswis- einer Dissertation die entsprechende Dynamik
senschaftler Frederick Herzberg seine Vorstel- herausgearbeitet hat, scheint der Zusammenhang
lungen von glücklicher Arbeit: Demnach sind von Freiheit und Selbstverwirklichung einerseits
Ar­beit­er:­innen produktiver, wenn sie eigenver- und Leistung und Ausbeutung andererseits nach
antwortlich mit komplexen Tätigkeiten betraut wie vor zu i­ rritieren.
werden. Aus dieser Annahme abgeleitete Mo- Das sagt auch etwas über die Geschichtswis-
delle wurden von US-amerikanischen und bald senschaft aus. Denn die Geschichte der Arbeit
auch deutschen Unternehmen getestet und für wurde lange Zeit als Geschichte der Strukturen
wirksam befunden.05 und Organisationen der weißen Arbeiterschaft
geschrieben.07 Untersuchungen, die über das Jahr
1945 hinausgingen, waren selten.08 Dieses Feld
01 Catharina Schulz, Traumjob gesucht? Diese sieben Tipps
wurde den Sozialwissenschaften überlassen, in
helfen Dir, ihn zu finden, 12. 3. 2023, www.suedkurier.de/​
art416,11491616.
denen das Spannungsverhältnis von Arbeitsfreu-
02 Christina Sona, Was wir uns von der Arbeitseinstellung der de und Ausbeutung genauer untersucht wurde.
Gen Z abschauen sollten, 21. 3. 2023, www.swr.de/swraktuell/
rheinland-​pfalz/new-​work-​gen-​z-​arbeit-​motivation-​einstellung-​
rlp-​100.html. 06 Vgl. Harry Braverman, Die Arbeit im modernen Produkti-
03 Kein Bock auf Arbeit? Die Work-Life-Balance der Gen Z, onsprozeß, Frank­furt/M.–New York 1977, S. 37–40; Donauer
5. 7. 2023, www.ardmediathek.de/video/past-​forward/kein-​ (Anm. 5), 65 f.
bock-​auf-​arbeit-​die-​work-​life-​balance-​der-​gen-​z /​ard/​Y3JpZDov​ 07 Vgl. Kim Christian Priemel, Heaps of Work. The Ways of
L3JhZGl​vYnJlbW​VuLm​RlLzA1​NWY0​NT​IxLTRi​NTY​tNDd​hY​i0​4N​TF​ Labour History, 23. 1. 2014, www.hsozkult.de/literaturereview/
iLW​Y1 ​ N​D​gzZ​G I​zM​TQx​OC
​ ​9lc​G​lzb​2Rl​L3​Vy​bj​ph​ cmQ​6c​2h​vd​zpi​ id/fdl-​136825.
YW​E0​OT​JhN​TE​2YT​Rm​ZD​g5. 08 Vgl. Dietmar Süß/Winfried Süß, Zeitgeschichte der Arbeit:
04 Vgl. Carina Schwab, Orientierungslos. Sinnsuchende befeu- Beobachtungen und Perspektiven, in: Knud Andresen/Ursula Bit-
ern Coaching-Markt, 12. 6. 2023, ­https://orf.at/stories/​3318509. zegeio/Jürgen Mittag (Hrsg.), „Nach dem Strukturbruch“? Konti-
05 Vgl. Sabine Donauer, Faktor Freude. Wie die Wirtschaft nuität und Wandel von Arbeitsbeziehungen und Arbeitswelt(en)
Arbeitsgefühle erzeugt, Hamburg 2015, S. 58–64. seit den 1970er-Jahren, Bonn 2011, S. 345–365, hier: S. 355.

42
New Work APuZ

Ulrich Bröcklings Arbeiten zum „unternehme- Im Folgenden sollen daher Vorstellungen be-
rischen Selbst“ sowie Luc Boltanskis und Ève ruflicher Selbstverwirklichung als zeithistorischer
Chiapellos Untersuchungen zum modernen Ka- Untersuchungsgegenstand angesprochen werden.
pitalismus haben zentrale Schauplätze der neuen Vor dem Hintergrund der unternehmerischen
Arbeitswelt analysiert.09 Vorkehrungen seit den späten 1960er Jahren und
Angesichts dieses sozialwissenschaftlichen angesichts der aktuellen Debatte um Entschleu-
Vorrangs ist die Bedeutung jener geschichtswis- nigung – insbesondere seit der Corona-Pande-
senschaftlichen Studien besonders hervorzuhe- mie – erscheint eine diesbezügliche Historisie-
ben, die sich in jüngster Zeit unter dem Stichwort rung überfällig. Dabei stehen folgende Fragen im
der „Humanisierung der Arbeit“10 sowie dem des Vordergrund: Welche Aktualität, Akzeptanz und
„Wertewandels“11 der Ar­beit­er:­in­nen­ge­schich­te Attraktivität konnte die Idee der Selbstverwirk-
widmen. Teils in Übereinstimmung, teils in kri- lichung in der sich wandelnden Arbeitsgesell-
tischer, aber produktiver Auseinandersetzung schaft entfalten? Wie erklären sich die Dynamik,
mit dem zeithistorischen Konzept des „Struktur- die Anpassungsfähigkeit und letztlich die Lang-
bruchs“,12 das ab 1970 einen politisch und sozi- lebigkeit der damit verbundenen Vorstellungen
al folgenreichen Niedergang traditioneller Indus- – gerade angesichts der sozialen, ökonomischen
trien konstatiert, untersuchen sie die Bedeutung und politischen Umbrüche der vergangenen Jahr-
arbeitspolitischer Debatten, Initiativen und Pro- zehnte? Um diesen Fragen nachzugehen, ist es
gramme in der Bundesrepublik. Dabei fällt aller- aufschlussreich, sich die Ratgeberliteratur und
dings eine gewisse Distanz – teilweise sogar Ab- vor allem Stellenanzeigen im Wandel der Zeit nä-
lehnung – gegenüber sozialwissenschaftlichen her anzuschauen.
Perspektiven auf.13 Neben diesen interdiszipli-
nären Verständigungsschwierigkeiten konzen- SELBSTVERWIRKLICHUNGS­
triert sich die Forschung bisher vor allem auf das SZENARIEN
Management.14 Während für dessen Entwicklung
bereits Monografien vorliegen, ist die Perspektive Ratgeberliteratur
der Ar­beit­er:­innen seit 1970 noch nicht hinrei- Das Genre der Ratgeberliteratur wurde bereits
chend ausgeleuchtet ­worden.15 auf seinen kulturwissenschaftlichen Wert hin un-
tersucht. So wurde schon in den 1980er Jahren
09 Vgl. Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziologie
auf ihre Eignung zur Rekonstruktion von Träu-
einer Subjektivierungsform, Frank­furt/M. 20135; Luc Boltanski/Ève men und Idealen hingewiesen.16 Damals disku-
Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, Stuttgart 2006. tierte die Amerikanistin Birgitta Koch-Linde die
10 Vgl. Karsten Uhl/Stefan Müller/Nina Kleinöder (Hrsg.), sogenannte Success-Literatur der USA der 1970er
„Humanisierung der Arbeit“. Aufbrüche und Konflikte in der
und 1980er Jahre. Mithilfe von Ratgebern lieferte
rationalisierten Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2019.
11 Vgl. Bernhard Dietz/Jörg Neuheiser (Hrsg.), Wertewandel in
sie eine kulturwissenschaftliche Analyse der US-
der Wirtschaft und Arbeitswelt. Arbeit, Leistung und Führung in amerikanischen Gesellschaft in der Hochzeit des
den 1970er und 1980er Jahren in der Bundesrepublik Deutsch- Neoliberalismus.
land, Berlin 2017. Einen anderen Ansatz verfolgte die Soziologin
12 Vgl. Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael, Der Epo-
Stefanie Duttweiler in ihrer 2007 veröffentlichten
chenbruch in den 1970er-Jahren: Thesen zur Phänomenologie
und den Wirkungen des Strukturwandels „nach dem Boom“, in:
Dissertation.17 Sie analysierte einen Bestand von
Andresen/Bitzegeio/Mittag (Anm. 8), S. 25–40. 100 Büchern, die zwischen Ende der 1990er Jahre
13 So wird der Übergang zu einem „neoliberalen“ Zeitalter von und 2004 erschienen sind und den Anspruch er-
Dietz und Neuheiser in die Nähe einer populären Darstellung heben, Ratschläge zum Glücklichwerden bereit-
gerückt: Vgl. Bernhard Dietz/Jörg Neuheiser, Diesseits und
zuhalten. In Anlehnung an Boltanski, Chiapello
jenseits der Welt der Sozialwissenschaften. Zeitgeschichte als
Geschichte normativer Konzepte und Konflikte in der Wirt-
und Bröckling untersuchte die Autorin die in den
schafts- und Arbeitswelt, in: dies. (Anm. 11), S. 7–30, hier: S. 7. Ratgebern angewandten Techniken und zeigte,
14 Vgl. Christian Kleinschmidt, Der produktive Blick. Wahr- dass die vorgestellten Glückskonzepte und An-
nehmung amerikanischer und japanischer Management- und
Produktionsmethoden durch deutsche Unternehmer 1950–1985,
Berlin 2002; Ruth Rosenberger, Experten für Humankapital. Die 16 Vgl. Birgitta Koch-Linde, Amerikanische Tagträume. Success
Entdeckung des Personalmanagements in der Bundesrepublik und Self-Help-Literatur der USA, Frank­furt/M. 1984, S. 10.
Deutschland, München 2008. 17 Vgl. Stefanie Duttweiler, Sein Glück machen. Arbeit am
15 Vgl. Süß/Süß (Anm. 8), S. 355. Glück als neoliberale Regierungstechnologie, Konstanz 2007.

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APuZ 46/2023

leitungen sowohl hinsichtlich eines persönlichen zunehmende Professionalisierung der Texte fest.
Anspruchs („ich möchte glücklich sein“) als auch Unternehmen nutzten die Personalsuche auch
eines gesellschaftlichen Befehls („sei glücklich!“) zur Firmenwerbung. Gleichzeitig mit der rheto-
gelesen werden können. rischen Aufwertung stellte Bendel einen grund-
Zwar geben, so Duttweiler, die Glücksrat- sätzlichen Wandel in der Haltung gegenüber den
geber vor, sich auf private Belange zu bezie- A­dres­sat:­innen fest: Potenzielle Ar­beit­er:­innen
hen, doch die vorgeschlagenen Methoden sind wurden immer stärker in den Mittelpunkt ge-
als neoliberale Techniken der Selbstoptimierung rückt.20 Demnach drehten sich die Ausschrei-
zu lesen. Diese seien durch den modernen „Ar- bungen in den vergangenen Jahrzehnten offenbar
beitskraftunternehmer“, der sich durch die Be- verstärkt um deren Erwartungen, Hoffnungen
reitschaft auszeichnet, sein professionelles sowie und Wünsche. Dazu passt die zunehmend höf-
sein privates Leben weitgehend zu verschmelzen, lichere Formulierung der Anfragen – Kan­di­dat:­
zu beherrschen.18 Man kann davon ausgehen, innen wurden „gebeten“, sich zu bewerben, ab
dass eine solche Lektüre einerseits die Bereit- den 1970er Jahren wurde ein „persönliches Ge-
schaft verstärkte, Vorstellungen von Selbstver- spräch“ in Aussicht gestellt. Die Unternehmen
wirklichung im Beruf zu entwickeln, andererseits vermittelten ein Interesse am „Kennenlernen“
die Form, Priorität und Reichweite solcher Ar- potenzieller Mit­ar­beit­er:­innen. Über allem stand
beitsträume beeinflusste. der Appell an das „Lustgefühl“. Denn obwohl die
Anknüpfend an die Studien von Koch-Linde Anzeigen immer länger, die Beschreibungen im-
und Duttweiler könnten diese Ansprüche, Sehn- mer präziser wurden, sollte durch den Text das
süchte und Bilder sowie die ihnen zugrundelie- Bild der Freiheit, die Erwartung von beruflichem
genden Anleitungen, Belehrungen und Befeh- „Freiraum“, von Gestaltungsmöglichkeiten sug-
le im historischen Wandel untersucht werden: geriert werden.21 Das Geforderte sollte das Ge-
Welche Strategien werden präsentiert? Welches wünschte, das Notwendige das Erhoffte sein.
Selbst- und Fremdbild wird dadurch suggeriert? Bendel zufolge würden die „realen Machtverhält-
nisse“ hier „verschleiert“.22
Stellenanzeigen Während früher die Suche nach „fleißigen“
Eine zweite Möglichkeit, den Vorstellungen von Arbeitskräften im Vordergrund stand, sind heu-
beruflicher Selbstverwirklichung auf die Spur te „dynamische“ Mit­ar­beit­er:­innen gefragt. Ben-
zu kommen, sind Ausschreibungstexte: Welche dels quantitative Analyse zeigt eine regelrechte
Ideale von Arbeit werden in Anzeigen kommu- Konjunktur der Freude. Auch Begriffe wie „Be-
niziert? Zwar handelt es sich dabei um einen in- reitschaft“, „Faszination“ und „Wille“ nahmen
direkten Zugang – also um unternehmerische in den Anzeigen drastisch zu.23 In Anlehnung an
Vorstellungen von Selbstverwirklichungsidealen. Bravermann wäre vor diesem Hintergrund nach
Diese Quelle bietet jedoch den Vorteil der leich- der Zunahme immaterieller Werte zu fragen: Be-
ten Verfügbarkeit – für zahlreiche Berufsfelder, geisterung, Spannung, Motivation, Flexibilität.
über den gesamten Untersuchungszeitraum und Welchen Stellenwert nehmen solche Positionen
in Medien unterschiedlicher Reichweite. ein, die dazu geeignet sind, Vorstellungen von
Sylvia Bendel hat sich bereits in den 1990er selbstbestimmter Entfaltung im Berufsleben zu
Jahren mit Stellenanzeigen beschäftigt. Die befördern?
Sprachwissenschaftlerin wertete über 20 000 In- Welche Rolle solche Motive spielen, soll nach-
serate aus Schweizer Zeitungen seit den 1950er folgend analysiert werden. Dabei wird davon
Jahren maschinell nach besonders häufig ver- ausgegangen, dass das Aufladen mit scheinbaren
wendeten Begriffen aus.19 Dabei stellte sie eine Sinngehalten bei niedrig dotierten Stellen auffälli-
ger und damit leichter nachzuvollziehen ist als bei
18 Vgl. Gerd-Günter Voß/Hans J. Pongratz, Der Arbeitskraft- solchen, die dem Stelleninhaber wegen der grö-
unternehmer. Eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft, in: ßeren Komplexität und Eigenverantwortung von
Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 50/1998,
S. 131–158.
19 Vgl. Sylvia Bendel, Von der Stellenausschreibung zur Perso- 20 Vgl. ebd., S. 7 f.
nalwerbung. Sprachliche Veränderungen in den Stelleninseraten 21 Vgl. ebd., S. 8–19.
und ihre Bedeutung, 1999, www.sbendel.ch/wp-​content/up- 22 Vgl. ebd., S. 19.
loads/​2021/​02/Stellenanzeigen_Sprachwandel.pdf. 23 Vgl. ebd., S. 29.

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New Work APuZ

jeher mehr Freiraum eingestehen mussten. Aus tet auf einen größeren Gestaltungsspielraum hin,
diesem Grund wurden in einer Auswahl Positio- der allerdings durch die folgende Aufzählung ein-
nen mit Bezug zum Verkauf im Angestelltenver- geschränkt wird: „Dazu gehören Telefonverkauf,
hältnis erhoben, wie sie zwischen 1970 und 2010 Korrespondenz, Auftragsbearbeitung.“ Auch die
in Regionalzeitungen ausgeschrieben wurden. Es Zusicherung einer „angemessene[n] Einarbei-
wurden alle Verkaufsanzeigen in der jeweils ers- tung“,28 die sich in ähnlicher Weise auch an an-
ten Samstagsausgabe der Monate Juni der Jahre derer Stelle findet, vermittelt eher das Bild von
1970, 1980, 1990, 2000 und 2010 der „Frankfur- Struktur und Kontrolle als von Offenheit und
ter Neuen Presse“ erfasst und eine exemplarische Selbstbestimmung.
Auswahl einer Feinanalyse unterzogen. Zehn Jahre später ist ein Nebeneinander von
Das Erscheinungsbild des Stellenmarktes än- konkreten Angeboten und solchen, die zur För-
dert sich in dieser Zeit kaum. Stets bestimmen derung von Verwirklichungsfantasien geeignet
mehr oder weniger gleichförmige Kacheln das sind, erkennbar. So überrascht in der Stellenan-
Bild. Die meisten Anzeigen bestehen dabei nur zeige für eine Spielothek weniger der Wunsch
aus Text. Seltener sind Logos, Wappen oder Fo- nach einer Mitarbeiterin (sic!) mit „Laune,
tos integriert. Strukturiert werden die Anzeigen Charme & Schwung“ als die offen formulierte
durch Titel, Untertitel und durch die Hervorhe- Frage dahinter: „Haben Sie Spaß am Umgang mit
bung der gesuchten Stellen. Die Texte beschränk- Menschen?“ Auch die im Gegenzug angebote-
ten sich 1970 zunächst auf die eigentliche Aus- nen „Interessante[n] Arbeitszeiten“ bleiben vage.
schreibung. Der Stil kann als selbstbewusst und Gleichzeitig wird allerdings mit der Möglichkeit
locker, manchmal fast frech beschrieben werden. eines „Dauerarbeitsplatzes“ geworben.29 Ein an-
So warb der Versandhändler Neckermann deres Unternehmen wünscht sich „selbststän-
unter der Überschrift „Erfolgreich sein“: „Kön- diges ziel- und ergebnisorientiertes Arbeiten“
nen Sie mit Geld umgehen? Mit viel Geld! Für sowie „Einsatzbereitschaft und Durchsetzungs-
eine verantwortungsvolle Position innerhalb der vermögen“. Geboten wird „ein festes Arbeitsge-
Hauptkasse unserer Zentrale in Frankfurt su- biet“, aber auch: „sehr gute Entwicklungsmög-
chen wir einen Mitarbeiter mit guten kaufmänni- lichkeiten“.30
schen und buchhalterischen Kenntnissen. Neben Bis zum Jahr 2000 vollzieht sich ein grundle-
guter Bezahlung bieten wir viele andere Vortei- gender Wandel. Jetzt geht es um „hohe Einsatz-
le eines Großunternehmens. Hierüber und über bereitschaft, Flexibilität, Qualitätsbewußtsein
die Möglichkeiten des Weiterkommens informie- und selbstständiges Arbeiten“. Ein Autohaus mit
ren wir Sie gern.“ 24 Das Unternehmen schlägt ei- dem Motto „Immer in Bewegung“ sucht jeman-
nen durchaus konkreten Handel vor. Ein ähnli- den, der oder die als „Profi“ die Arbeitsabläufe
cher Tonfall findet sich in einer weiteren Anzeige: „optimieren“ kann. Es sei eine „anspruchsvolle
„Wir suchen also ‚fertige‘ Mitarbeiter, solche, die Aufgabe“. Im Gegenzug wird mit Begriffen ge-
wir nicht erst lange ‚aufbauen‘ müssen, die bereits arbeitet, die auf konkrete Werte schließen lassen:
Branchenerfahrung und Produktkenntnisse ha- Es wird ein sicherer Arbeitsplatz in einem „Fa-
ben. Entsprechend wird Ihr Verdienst sein.“25 milienunternehmen“ geboten. Andere Angaben
In der hier untersuchten Auswahl vergrö- betonen den Gestaltungsspielraum der Mit­ ar­
ßert sich der vermittelte Gestaltungsspielraum beit­er:­innen, das „leistungsgerechte Gehalt“ und
bis 1980 nicht wesentlich. Weder die Suche nach den „vielseitige[n] Arbeitsplatz“. Der Gesamtein-
„freundliche[n] und leistungsstarke[n] Mitarbei- druck wird durch den in Aussicht gestellten Start
ter/innen“26 noch die nach solchen „mit guten in eine „neue Zukunft“ zusammengefasst.31
Schreibmaschinenkenntnissen“27 lassen auf eine Weitere zehn Jahre später lässt sich 2010 die
besondere Aufladung mit Sinngehalt schließen. Professionalisierung der Anzeigentexte unter
Lediglich das Angebot der „selbstständige[n] Be- der Überschrift „Exzellente Mitarbeiter sind so
treuung eines ausgewählten Kundenkreises“ deu-

28 Anzeige BASF, FNP, 7. 6. 1980, S. 20.


24 Anzeige Neckermann, FNP, 6. 6. 1970, S. 25. 29 Anzeige Spielothek Gauselmann-Gruppe, FNP, 2. 6. 1990,
25 Anzeige Jean H. Nies, FNP, 6. 6. 1970, S. 26. S. 21.
26 Anzeige Inter Pares, FNP, 7. 6. 1980, S. 19. 30 Anzeige Xero Flor Begrünungen, FNP, 2. 6. 1990, S. 21.
27 Anzeige Stadtwerke Oberursel, FNP, 7. 6. 1980, S. 19. 31 Anzeige Auto Bach, FNP, 3. 6. 2000, II RMM.

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APuZ 46/2023

rar wie exzellenter Kaffee“ eindrucksvoll nach- ren Versuchen, Bilder und Träume von Arbeit zu
vollziehen. Eine junge Frau schaut den Leser an, entschlüsseln, sind diese werbetechnischen Fort-
während sie ihren Kaffee genießt. Erst nach einer schritte zu berücksichtigen.
Einleitung, in der auf eine „Trilogie aus Kapseln,
Maschinen und Nespresso-Club“ hingewiesen SCHLUSS
wird, folgt die Stellenbeschreibung für die „Bou-
tique“. Schon die Lektüre der Anzeige wird zum Seit 1970 nehmen atypische Arbeitsverhältnis-
Erlebnis. Dementsprechend lautet die erste Auf- se in der Bundesrepublik zu.33 Auf deren erheb-
gabe: „Mit Leidenschaft beraten und verkaufen“. liches prekäres Potenzial ist bereits hingewiesen
Außerdem gilt es, für den „ausgezeichneten“ Ein- worden.34 Welchen Preis die Gesellschaft da-
druck des Geschäfts zu sorgen. Gefordert werden für politisch und sozial, jeder und jede Einzelne
neben einer Ausbildung unter anderem ein „offe- privat und gesundheitlich zu zahlen hat, wurde
nes Wesen“, „sichere[r] und gepflegte[r] Auftritt“ durch den erzwungenen Stillstand großer Teile
sowie „Zuverlässigkeit und Flexibilität“. Gebo- des Arbeitslebens während der Corona-Pande-
ten werden „interessante Zukunftsperspektiven, mie deutlich. Vor diesem Hintergrund ist es nicht
vielfältige Entwicklungsmöglichkeiten und at- verwunderlich, dass die Debatte über Arbeit eine
traktive Konditionen“.32 besondere Aktualität erlangt hat. Sie wird jedoch
Das Unternehmen nutzt das Genre der An- durch grundlegende Missverständnisse erschwert.
zeige konsequent zur Selbstdarstellung. Eine Wie sonst ist es zu erklären, dass der „superglück-
Schlüsselrolle kommt dabei den Beschäftigten liche“, sich in Selbstausbeutung verwirklichende
zu. Sie sollen nicht mehr für einen anonymen „Malocher“35 derzeit gleichermaßen als karrieris-
Großkonzern arbeiten, sondern in einer „Bou- tisches Ideal, als unternehmerischer Geniestreich
tique“ beraten und verkaufen wollen. Es geht und als Verkörperung von Anmaßung und Faul-
jetzt sowohl um „Leidenschaft“ als auch um heit gelten kann? In der aktuellen Berichterstat-
„Flexibilität“: Interesse, Vielfältigkeit und At- tung überwiegt der Eindruck einer polarisieren-
traktivität. Der gebotene Rahmen wird nicht den Projektion auf junge Menschen.
durch die Nennung konkreter Leistungen belas- Die hier skizzierten Zugänge verstehen sich
tet, bleibt offen und wirkt dadurch umso exklu- als Annäherungen zur Historisierung von Ide-
siver: Hier wird passgenau nach Selbst­ver­wirk­ alen und Träumen beruflicher Selbstverwirkli-
lich­er:­innen gesucht.345 chung. Die methodischen Schwierigkeiten – etwa
Die hier skizzierte Entwicklung setzt sich bis im Hinblick auf sich wandelnde Begrifflichkeiten
heute fort. Der Handel mit exklusiven, immateri- – sind offensichtlich. Dennoch kann die histori-
ellen Werten gehört ebenso dazu wie das emotio- sche Analyse dazu dienen, die Kommunikation
nale Aufladen selbst nebensächlicher Verantwort- vorgestellter Arbeitsrealitäten besser zu verste-
lichkeiten. In der Zusammenschau wird deutlich: hen. Dabei zeigt sich, dass der Austausch imma-
Anzeigen sind Werbung. Diese Feststellung mag terieller Güter – Leidenschaft, Flexibilität, Freu-
trivial erscheinen, ist im Hinblick auf die hier in- de – immer wichtiger wird. Die Bereitschaft zur
teressierende Fragestellung aber von Bedeutung. weitgehenden Verschmelzung emotionaler, sozi-
In dem Maße, wie Unternehmen ihre Selbstdar- aler und beruflicher Ausdrucksformen wird vo-
stellung professionalisieren, produzieren sie im- rausgesetzt. Wie sehr es sich bei diesem Prozess
mer vollkommenere Bilder von Arbeit. Bei weite- um einen aktiven oder einen antizipativen Vor-
gang handelt, bedarf weiterer ­Forschung.

32 Anzeige Nespresso, FNP, 5. 6. 2010, S. 3.


33 Vgl. Jürgen Kocka, Arbeit im Kapitalismus. Lange Linien
der historischen Entwicklung bis heute, in: ApuZ, 35–37/2015,
S. 10–17, hier: S. 16.
34 Vgl. Nicole Mayer-Ahuja, Wieder dienen lernen? Vom west- JASON LEMBERG
deutschen „Normalarbeitsverhältnis“ zu prekärer Beschäftigung ist promovierter Historiker mit den Schwerpunkten
seit 1973, Berlin 2003, S. 51–54.
Wissenschafts- und Universitätsgeschichte sowie
35 Christiane Reymann, Superglückliche Malocher. Tischkicker
und Ringe unter den Augen – arbeiten bei einer Internetfirma,
Geschichte der Arbeit.
in: Manfred Moldaschl/Gerd-Günter Voß (Hrsg.), Subjektivie- jason.lemberg@gmx.net
rung von Arbeit, München–Mering 2003², S. 312–316.

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Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 3. November 2023

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