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de/essays/flipperautomat-als-kinogeschichte
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„Es gibt zur Zeit keinen besseren Flaubert als den Flipper.“ (Friedrich Wolfram
Heubach) 1
Für eine kurze Dauer wird aus dem Flipperautomaten eine Diskursmaschine. Insbesondere
in den 1970er Jahren eignet sich dieses massenkulturelle Spielgerät – wenn auch in
wenigen Aufsätzen und Studien – als Gegenstand diverser Theorien und Disziplinen:
semiologisch-ethnologisch (vgl. Oppitz 1974b), kunsthistorisch (vgl. Hainz 1970),
dialektisch-materialistisch (vgl. Warneken 1974), psycho-mythologisch-materialistisch (vgl.
Heubach 1987) 2 , sozialempirisch und psychoanalytisch (vgl. Meistermann-
Seeger/Bingemer 1971) 3 , systemtheoretisch (vgl. Schimank 1999) 4 oder zen-buddhistisch
(vgl. Polin/Rain 1979a) 5 wird dem Flipper beigekommen.
Eine distinkte Theoriebildung, gar wie etwa beim Massenmedium Film die Etablierung
eines eigenständigen akademischen Fachs, bleiben dem Flipperautomaten erspart; ein
Menetekel ist vielleicht ein in den 70er Jahren vorbereiteter Band zum Flipper, den der
Kunsthistoriker Benjamin Buchloh herausgeben will, um ihn dann schließlich doch
zurückzuziehen. Folgerichtiger ist freilich, dass die Popularität des Flippers zwar groß ist,
aber eher kurz währt und längst vorüber ist (ganz anders als die des geselligen
Kickerkastens). 6 Heutzutage werden nur noch wenige neue Modelle produziert, und der
Automat findet noch vereinzelt Obdach in Kneipen, Spielhallen und Hobbykellern von
sammelnden Liebhaber_innen.
Dass mitunter auch noch in Kinoentrées Flipper stehen, ist Überrest eines innigen
Verhältnisses zweier Massenkulturen. Denn gäbe es tatsächlich so etwas wie eine „Pinball-
ology“ 7 , dann nämlich müsste einer ihrer Stränge die historische Verquickung von Flipper
und Kino sein. Finden sich auch in Literatur 8 , Theater 9 , Skulptur 10 , Malerei 11 ,
Fotografie 12 , Musik 13 , Mode 14 oder Comic 15 Bezüge, weist das Kino eine besondere
Affinität zum Flipper auf. Sie lässt sich in drei Komplexe rubrizieren: 1. Der Flipper als
Ausstattungsobjekt, Motiv und Zeichen im Film; 2. Kino und Flipper unter einer
korrespondierenden ideologiekritischen und marxistischen Perspektive, bezogen auf den
Kapitalismus fordistischer und kulturindustrieller Form; 3. Der Flipper als
Merchandisingprodukt des Films, darin dessen Paratext wie Adaption. Diese Rubriken
entsprechen darüber hinaus einer mehr oder weniger zeitlichen Abfolge im Verhältnis beider
Massenkulturen. Dessen Modifikationen auszuloten, erzählt eine kleine Kultur- und
Wissensgeschichte des Flippers via Film und Kino, die mit den anfangs genannten
theoretischen Ansätzen korrespondiert und trotzdem einen eigenständigen Diskurs
ausbildet, der Aspekten der Theorie vorgreift, sie weiterschreibt oder andere Akzente setzt.
Und schließlich reflektieren jene Transformationen im Verhältnis von Flipper und Kino en
miniature Transformationsprozesse westlicher Arbeits- und Lebensverhältnisse. Paolo
Virno geht – weniger ironisch, als es zunächst erscheinen mag – so weit, am allmählichen
Verschwinden des Flippers Anfang der 1980er die ökonomische und soziokulturelle Zäsur
der Nachkriegszeit festzumachen: „Le régime capitaliste [...] a connu deux phases
distinctes, voire incommensurables. La première va de la fin de la guerre à la disparition des
flippers, la seconde commence justement du jour où l’on a exterminé ces machines du
caprice humain.“ 16 Mit dem Blick vom Kino auf den Flipper wird dieser Umbruch noch
konturiert.
Gefragt nach den Gemeinsamkeiten des jungen französischen Nachkriegskinos, nach Stil
und Themen einer neuen Schule, antwortet François Truffaut ziemlich launig: „Je ne vois
qu’un point commun entre les jeunes cinéastes : ils pratiquent tous assez systématiquement
l’appareil à sous, contrairement aux vieux metteurs en scène qui préfèrent les cartes et le
whisky.“ 19 Später präzisiert er: „Le seul trait commun des auteurs Nouvelle Vague était
leur pratique du billard électrique“. 20 Wo Truffaut den generationellen Unterschied zum
Altherrenhaften von Kartenspiel und Whisky in der gemeinsamen Leidenschaft der jungen
Regisseure für den Flipper („l’appareil à sous“ / „billard électrique“) ausmacht, wird die
eigentliche Frage nach einer filmstilistischen Homogenität der so genannten Schule der
Nouvelle Vague scheinbar unernst, spielerisch ausgekontert. Doch ist die gewitzte Abwehr
der Frage politisch, weil mit ihr überhaupt das Konzept der Schule negiert wird – mit dem
Verweis auf den massenkulturellen Zeitvertreib.
Doch trifft Truffaut unwillkürlich etwas tatsächlich Verbindendes des jungen französischen
Kinos, durchstreift man Filme der 1960er Jahre: Der Flipper ist immer wieder Teil der
Kulisse. Mehr noch als zeitgeschichtliches Kolorit, z. B. der Pariser Bistros jener Jahre,
wird der Flipper dort zum Zeichen von Initiation und Systemkritik.
Wenn in LES QUATRE CENTS COUPS (F 1959) die Schule geschwänzt wird, dann
erweist Truffaut diesem ideologischen Staatsapparat den gleichen Respekt, den er für die
Idee einer stilprägenden Schule des jungen französischen Kinos übrig hat. Als Kontrast
wird auch in LES QUATRE CENTS COUPS die Massenkultur positioniert. Die Lausbuben
lassen das Klassenzimmer Klassenzimmer sein und suchen stattdessen die Affektion ihrer
Körper: 21 im Kino, beim Flippern im Café und in einem Rotor, einer runden, sich rasant
drehenden Box auf der Kirmes.
LES QUATRE CENTS COUPS, R: Francois Truffaut, F 1959: Kino & Kirmes
Die Szene am Flipperautomaten ist sehr kurz und evoziert beispielhaft juvenile, urbane
Freizeitbeschäftigung. Das Flippern ist aber auch Teil eines somatischen Dreisatzes: vom
regungslos gebannten Schauen auf die Leinwand, zum Stehen beim Flippern – für das es
allein die schnelle Reaktion der Finger und die ruckhafte Bewegung der Hüfte braucht –,
bis hin zum lustvoll entmächtigten Körper Antoines (Jean-Pierre Léaud), durch Fliehkraft
an die Holzbretter des Rotors gepresst. Ganz anders als beim Fußballspielen am Filmende,
das disziplinarische Einübung ins Kollektiv ist, liefern sich die Körper der Kinder hier auf
a-soziale, nicht zwanghaft soziale Weise, Maschinen, Apparaten, Automaten aus.
Währenddessen sprechen die beiden Jungs fast nichts. Nicht zuletzt in diesem Aussetzen
verbaler Kommunikation bilden Kino, Flipper und Rotor das Konträre zum
Aufgerufenwerden, zum Rede-und-Antwort-stehen-Müssen in der Schule, 22 zur
Althusser’schen Anrufung. 23 Die genussvolle Unterwerfung unter die Automatismen des
Ablaufens der Filmspule, des Rollens der Flipperkugel, des Kreiselns auf dem Jahrmarkt
und die damit einhergehende Entbindung vom Sprechzwang sind das Andere gegenüber
dem ideologischem Staatsapparat Schule und dessen Subjektivierungspraxis.
Keine Schüler mehr sind die Taugenichtse in LES MAUVAISES FRÉQUENTATIONS /
DU CÔTÉ DE ROBINSON (F 1963) von Jean Eustache.
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Der Film eröffnet mit einer Flipperpartie, dann ziehen die jungen Männer in anmutiger
Verschlagenheit – als Motto wird zu Beginn „Quand je joue je gagne“ ausgerufen – durch
Pariser Straßen und Tanzlokale, um schließlich eine Frau um ihr Portemonnaie zu
erleichtern. Das Flippern trägt zur Atmosphäre des Paris der 1960er und dessen
Jugendkultur bei (ähnlich tut dies auch das Herumschlendern zwischen den Flippern in
Jean Hermans Experimentalfilm ACTUA-TILT (F 1960)). Die Gesinnung der Halunken
bei Eustache ist in der Pose beim Flippern schon komprimiert, „eine ungezwungene,
untätige oder kokette Haltung, [...] diese[...] theatralische[...] Aufmerksamkeit unserer
westlichen Spieler, die in kleinen, untätigen Gruppen um den Flipperautomaten streichen
und wohl darauf bedacht sind, den übrigen Besuchern des Cafés das Bild eines kennerhaften
und gewieften Gottes zu vermitteln“, 24 wie es Roland Barthes im Unterschied zum
japanischen, flipperähnlichen Automatenspiel Pachinko bemerkt. 25 Der Flipper, an dem die
jungen Männer in LES MAUVAISES FRÉQUENTATIONS spielen, kündet dagegen gar
nicht von jungen Göttern, sondern sieht kassandrahaft deren kommendes Treiben voraus:
das Modell heißt „Gaucho“ und verweist so etymologisch auf „Wegelagerer“. Die Gassen
und Lebenswege sind hier gleichermaßen abschüssig, sie entraten gewollt kleinbürgerlicher
Rechtschaffenheit. Mit Friedrich Heubach findet sich eine Entsprechung zu den Bahnen des
Flippers: „Die schiefe Ebene, vor der – als Akzidenz begriffen – im bürgerlichen
Bewußtsein noch die Moral bewahren kann [...], wird hier [d.i. der Flipper; D.G.] zum
Anders als in LES QUATRE CENTS COUPS haftet dem Flippern in Filmen Jean-Luc
Godards nichts Eskapistisches an. Die Macht ist hier nicht am anderen Ort des
ideologischen Staatsapparats (der Schule, dem Internat), sie zeigt sich darin, dass alle sich
ständig als Subjekte anrufen. Bei Godard tritt der Flipper im Zusammenhang der
verfremdenden Darstellung alltäglicher Situationen auf, zu denen sich der Automat als
Kommentar verhält.
Etwa im Zwist zweier Getrennter: Die Gesichter der Frau und ihres Verflossenen sind am
Anfang von VIVRE SA VIE (F 1962) der Kamera verborgen, die stattdessen die
Hinterköpfe beim zähen, resignierten Streit in den Blick nimmt; allenfalls im Spiegel hinter
dem Bartresen, an dem sie hocken, sind die Gesichter verschwommen zu sehen. Irgendwann
gehen die beiden zu einem Münzautomat (wie die deutsche Übersetzung der filmischen
Zwischentitel den Flipper nennt), weil sie sich nichts mehr zu sagen haben.
Teilnahmslos verrichten sie das Spiel, wechseln sich ab, während die Konversation in
Belanglosigkeiten und Bruchstückhaftem versandet: Keine Fragmente einer Sprache
vergangener Liebe mehr, nurmehr unmotiviertes Flippern. Erst am Automaten geraten die
Vorderköpfe ins Bild, aber die Gesichter sind ausdruckslos.
Verstreut ist das Motiv des Flippers auf visueller und akustischer Ebene in MASCULIN
FÉMININ (F 1966): wenn Jean-Pierre Léaud den Flipperknopf weniger drückt als haut,
um sofort das Interesse am Spiel zu verlieren, oder wenn eine junge Frau im Vorübergehen
den Flipperabzug zieht, ohne sich dann weiter um den Lauf der Kugel zu scheren. Am
Flipper wird sich en passant und unkonzentriert abreagiert. Wenn Léaud einmal länger am
Automaten spielt, wird sein aggressives Spiel musikalisch mit dem Lied „Si tu gagnes au
flipper“ verdoppelt.
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Das erste Gespräch findet zwischen einer jungen Frau und einem am Nebentisch sitzenden
Mann statt. Hinter den beiden sind zwei Flipperautomaten arrangiert, an einem spielt eine
gestandene Dame in stoischer Manier und mit Zigarette. Der Mann sagt zur Frau, dass man
im Kino nicht wirklich dazu komme, miteinander zu reden, um sie dann mit der Frage zu
provozieren, ob sie denn überhaupt wisse, was „reden“ sei. Das Gespräch trotzt den
rhetorischen Techniken des Flirts und stellt Sprechakte als gewaltförmige gerade da aus,
wo es um vermeintlich bloß objektive Akte der Benennung (von ihrem Geschlechtsteil, von
seinem Arbeitsplatz) geht. Das zweite Gespräch, zwischen einem Schriftsteller und einer
Schülerin, kreist um pubertäre Sinnsuche, die auf joviale Bonhomie prallt, bis das Mädchen
eingeschüchtert feststellt, sie hätte ihre Fragen an den Intellektuellen besser in Briefform
gestellt. Auch hier bleibt der Flipperautomat präsent, im Spiegel hinter den beiden
reflektiert, und sein Klackern punktiert die holprige Konversation. Die dritte
Sprachsituation ist zuerst kaum im selben Café verortbar; allein das aus der Ferne
gedämpfte Klingeln des Flipperautomaten verortet die zwei hinter aufgetürmten
Bücherstapeln sitzenden Männer. Der eine zitiert aus Büchern und Zeitungen Theoriefetzen
und Aktualitäten, während der andere das Gesagte notiert.
Verfremdet werden die Alltäglichkeit soziokultureller Distinktionsversuche, die
intellektuelle Pose und Posse, die Liebesanbahnung, das argumentative Übertrumpfen, die
Zitateklauberei und Aufschneiderei. Die Situationen werden zu Lehrstückchen über
Entfremdung im Sprechen und des Sprechens.
Das kommentiert der Flipperautomat nonverbal aus dem Hintergrund: Nicht einfach Dekor
einer Szenerie aus dem Paris der 1960er, ist er dasjenige Ding, das scheinbar in simplem
Kontrast zu den Sprechakten steht, weil es dem Prinzip körperlicher Reaktionsfähigkeit
gehorcht. Doch tatsächlich ist das Verhältnis von Sprachsituationen und Flipper in 2 OU 3
CHOSES QUE JE SAIS D’ELLE nicht diametral, sondern dialektisch: Der Flipper ist
zunächst Überbietung eines sprachlichen Unvermögens; seine Laute sind elektromechanisch
und auf eine bestimmte Menge an Tönen begrenzt. Seine Verlautbarungen gehorchen der
Ökonomie des Kleingelds im Münzschlitz. Doch gerade in dieser reduzierten
Kommunikationsfähigkeit erklingt der Sound des Spätkapitalismus. Dessen Regime der
Kommodifizierung erfasst alle sozialen Verhältnisse (deren Facetten der gesamte Film
Godards verhandelt): Sozialität hat dann aber ihre wesentliche Form in den Dingen selbst,
nämlich als verdinglichte Kommunikationsverhältnisse. In diesem Sinne liest sich Friedrich
Heubachs Sprachkritik warenförmiger Dinge wie ein Trailer zu 2 OU 3 CHOSES QUE JE
SAIS D’ELLE: „Die Dinge haben ihr [d.i. die Sprache; D.G.] den Rang abgelaufen, sie sind
beredter. Ariel, Stuyvesant, schwarze Rosen im Hemd, High Fidelities, Coca Cola, Flipper,
Ralley Streifen etc. artikulieren profitabler. Unter den Bedingungen der entwickelten
Warenproduktion erscheinen die Worte in ihrer ‚Gratiskultur’ zunehmend anachron, und
ihre kommunikativen etc. Funktionen werden den Dingen übertragen, in deren ‚Wertnatur’
dann der Schlüssel zur Kommerzialisierung auch der Kommunikation liegt: die Dinge sind –
anders als Worte – Zeichen mit Wert. Sie transportieren mir die Bedeutungen nicht mehr
für nichts, sondern nur noch gegen bar.“ (Heubach 1972: S. 241) „Kurz: Von der Sprache
als sprechender Sprache zu reden ist romantisch. Zu reden wäre von den Dingen als
vielsagenden.“(Ebd.: S. 243.) Nicht Wortschöpfung, vielmehr Wertschöpfung. Der
Flipperautomat bei Godard ist als ein solches Ding – anders als bei Truffaut – nicht
Refugium gegen herrschaftliche Subjektivierungspraktiken, sondern verdinglichte
Kommunikation, was er gar nicht erst verbrämen kann. In Analogie zu Roland Barthes’
Sprachsituation verweist: Die ältere Flipperspielerin ist Helen Scott, Dolmetscherin in den
Interviews von Truffaut mit Alfred Hitchcock für das 1966 erschienene Buch
Hitchcock/Truffaut. Hinübergeblinkt wird von Godard zur Nouvelle Vague, als wollte sich
Truffauts Wort von deren einzigen Gemeinsamkeit, nämlich dem Faible fürs Flippern, noch
einmal bewahrheiten.
Devianz
Verbindet sich mit dem Flipperautomat im französischen Kino der 1950er und 60er Jahre
ein Refugium im widerständigen Sprachlosen (Truffaut) oder aber verdinglichte
Kommunikation (Godard), zeichnet ihn im amerikanischen eine andere Zeichenhaftigkeit
aus. Zeithistorischer Hintergrund mag das Verbot dieses Unterhaltungsspielautomaten in
vielen amerikanischen Bundesstaaten zum Teil bis in die 1970er Jahre sein (vgl. Reynolds
2010), was zu Razzien in Spiellokalen und der Konfiszierung von Flippern führt.
Entsprechend ist der Flipper im amerikanischen Film häufig mit sozialer Devianz assoziiert.
Ein frühes Beispiel ist der running gag eines an der pinball machine geschickten
Truckerfahrers in THEY DRIVE BY NIGHT (USA 1940), der mit verzweifelter Grimasse
dennoch ein Pechvogel ist, weil er vor lauter Freispielen und deswegen verspäteter
Lieferungen beinahe dreimal seinen Job verloren hätte.
Wird hier Spielsucht komödiantisch aufbereitet, konturiert der Automat in Max Ophüls’ den
American Dream torpedierendem CAUGHT (USA 1949) die Egomanie eines kaltherzigen,
exzentrischen Millionärs. In dessen viktorianischem, holzvertäfeltem Protzbau ist der
Automat das einzige moderne Mobiliar, dem er bei einem Herzanfall fast zum Opfer fällt: im
Taumel reißt er die pinball machine um, und sie stürzt auf ihn wie ihm auch seine zynischen
Ränkespiele auf die Füße fallen.
Der Automat in CAUGHT – wie auch in THEY DRIVE BY NIGHT – ist noch einer ohne
die im Deutschen namensgebenden Flipperarme, die das erste Mal 1947 eingebaut werden;
sein auffälligstes Merkmal ist, dass er dort als Luxusobjekt in einem Privatraum steht.
Ganz anders die verranzten Bars, in denen Flipperautomaten im Kontext von Sexualdelikten
auftreten – in ANATOMY OF A MURDER (USA 1959) und THE ACCUSED (USA
1988). Zeichnen sich beide Film dadurch aus, juristische und gesellschaftliche Debatten zu
Vergewaltigung zu flankieren und wird im filmhistorischen Vergleich die fortgeschrittene
Delegitimierung sexueller Gewalt deutlich, ist hingegen die Kontinuität der Konnotation des
Flipperautomaten bemerkenswert. In ANATOMY OF A MURDER steht der Flipper
„World Champ“ am Tatort des aufzuklärenden Mordes:
Ohne dass er mit dem Verbrechen im unmittelbaren Verhältnis stünde, hat der Flipper eine
unheilvolle Präsenz, er ragt aus dem Hintergrund einer sonst kargen, heruntergekommenen
Spelunke heraus. Der Flipper ist hier Zeichen whitetrashiger Kultur. Unterstrichen wird
das Spielgerät als zwielichtiges Objekt durch die Auskunft derjenigen Frau, die mutmaßlich
Opfer einer Vergewaltigung wurde, ihre allerliebste Freizeitbeschäftigung sei Flippern,
später kommentiert durch die Ermahnung des Anwalts, sie solle sich in Zukunft gefälligst
von „men, juke joints, booze, and pinball machines“ fernhalten.
Seine Statistenrolle bei Otto Preminger schlägt 30 Jahre später in THE ACCUSED zum
tatsächlichen Schauplatz einer Gewalttat um. Die in Premingers Film latente Devianz des
Flipperns wird explizit. Wo in ANATOMY OF A MURDER weder das Verbrechen noch das
Flippern gezeigt werden, präsentiert in THE ACCUSED ein sehr langer Rückblick die
Geschehnisse in der schäbigen, am Ortsrand und unter einer hoch aufragenden
Highwaybrücke liegenden Bar The Mill. THE ACCUSED setzt deren Hinterraum mit
Flippern, Billardtisch, Videospielautomaten und Jukeboxen als anrüchiges Ambiente in
Szene. Die chauvinistische Stimmung in der Kneipe wird bis zu ihrem gewaltsamen Ende
dekliniert: Spielt Jodie Foster gerade noch ausgelassen und sexy am Flipper – dem Modell
„Slam Dunk“, dessen Frontscheibe mit einer halbnackten Frau in einem Basketballkorb
sexistisch aufmacht –, wird sie später auf dessen Spielfeld gedrückt und von drei Männern
vor einer johlenden Schar brutal vergewaltigt. 28
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Die Kamera nimmt dabei immer wieder den Blick der Frau ein und vermittelt beklemmend
ihr Ausgeliefertsein. Das vorherige ruppige, obsessive und sexualisierte Flippern der
Männer bereitet motivisch diese Vergewaltigung vor; der Körper der Frau wird dem
Automat gleichgesetzt. 29 Mit Roland Barthes lässt sich hierin ein grundsätzliches
maskulinistisch-sexualisiertes Strukturelement des Flipperspiels erkennen: „Der [...]
Spielautomat unterhält eine Symbolik der Penetration: Es geht darum, mit einem gut
geführten ‚Stoß’ das Pin-up-girl zu besitzen, das da lachend und erwartungsvoll auf der
Rückentafel leuchtet.“ (Barthes 1981: S. 46)
Schwabing
LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD, Rainer Werner Fassbinder, BRD 1969
Bei Wim Wenders steht Hanns Zischler verloren und stoisch im Hinterzimmer einer Kneipe,
wo ihn die unbewegte Kamera lange beim Flippern zeigt, während Roy Black aus der
Musicbox ertönt; unterbrochen wird das Spiel nur, wenn Zischler den Fensterverschlag zu
einem Münchner Hinterhof mit strolchenden Kindern öffnet.
Der Flipper wird später in Kontrast zum Billardtisch gesetzt, an dem Zischler und Wenders
selbst schier endlos mit den Queues hantieren. Das Billard hat, trotz Spelunke, einen
seriöseren Anstrich, stiftet zwischen Schauspieler und Regisseur eine wortlose,
gleichberechtigte Interaktion und ruft überdies ein älteres, reiferes männliches
Initiationsritual auf, glaubt man der generationellen Unterscheidung, die Marshall Frady
trifft: „[O]ne of the common events in the private unarticulated history of my own
generation, growing up during the Fifties in the fluorescent beginnings of the shopping-
center civilization, was that we tended to come by those rude musks of experience by way of
playing pinball machines – much as poolrooms once served the boyhood seasoning of our
fathers“ (Frady 1972: S. 159); „it was not pool tables but pinball machines that acted,
obliquely, as the medium of translation out of that nebulous [...] boyhood.“ (Ebd.: S. 164)
Sowohl bei Wenders wie bei Fassbinder zieht der Flipper weitere Kreise, als ein filmisches
Motiv zu sein. Der Automat wird schon in Wenders’ erster Filmarbeit verwendet – nicht als
Objekt, sondern strukturgebend: SAME PLAYER SHOOTS AGAIN (BRD 1967), der im
Titel eine gängige Instruktion an den Flipperspieler zitiert, wiederholt fünfmal die
identische Kamerafahrt, die einen angeschossenen, strauchelnden Mann zeigt, der eine
Maschinenpistole mit sich schleppt. In der ursprünglichen Fassung variieren die Sequenzen,
indem sie verschieden koloriert sind; die fünffache Wiederholung der selben Sequenz
wiederum basiert auf der in den 1960ern geläufigen Anzahl von Flipperkugeln pro Spieler.
In SAME PLAYER SHOOTS AGAIN überlappen sich der Flipper und das Schießgewehr,
um da schon eine juvenile bundesrepublikanische Angstlust am waidwund geschossenen
Stadtguerillero als popkulturellen Topos vorwegzunehmen. 30
Auch Fassbinders Leidenschaft fürs Flippern artikuliert sich dezidiert politisch; sie steht für
die Ablehnung bourgeoiser Lebensformen ein: In einem Gespräch mit der Filmkritik, das die
Produktion von LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD diskutiert, wird Fassbinder nach
einem möglichen Zusammenhang seiner Film- und Theaterarbeiten zum Sozialismus
gefragt, was er nicht nur mit der praktizierten Politisierung des Privaten bejaht, 31 sondern
auf die eigentümliche Nachfrage – „Und da gehören also auch Flipper dazu, und so weiter?“
– erwidert: „Logisch gehören Flipper dazu. Da gehören Flipper dazu und gehören lauter
Dinge dazu, die Spaß machen. Wenn ich gerne Flipper spiele, kann damit niemand was
anfangen. Aber wenn ich jemand so gerne mag, daß ich ihn heirate, das ist dann schon
wieder benutzbar.“ – „Was heißt benutzbar?“ – RWF: „Ich heirate jemand, dann habe ich
ein Verantwortungsbewußtsein, folglich muß ich arbeiten, weil ich für jemand mitarbeiten
muß oder umgekehrt, und dadurch bin ich in einem Prozeß drin.“ [...] RWF: „Ich spiele
zum Beispiel auch viel lieber Flipper allein als mit anderen Leuten.“ (Ebd.: S. 475) 32 Die
Idee vom Flipper als halb lustigem, halb ernst gemeintem emanzipatorischen Gegenentwurf
zu Eheschließung und Reproduktionsparadigma erfährt in einer Arbeitsnotiz Fassbinders
von 1971 eine trotzig entschlossene Traurigkeit: „Einer, der eine Liebe im Bauch hat, muß
nicht am Flipper spielen, weil eine Liebe schon genug mit Leistung zu tun hat, daß man die
Maschine nicht braucht, gegen die man doch nur verlieren kann. [...] [D]ie Vorstellung von
einer schönen Liebe ist eine schöne Vorstellung, aber die meisten Zimmer haben vier
Wände, die meisten Straßen sind gepflastert, und zum Atmen brauchst Du Luft. Ja – die
Maschine ist ein perfektes Ergebnis des Kopfes. Ich habe mich entschlossen, ich spiel
wieder Flipper und laß die Maschine gewinnen, egal – der letzte Sieger bin ich.“
(Fassbinder 1971: S. 25) Gegen die Maschine, gegen den Flipperautomaten zu verlieren, ist
angebrachter, ist immer noch besser, als in die Maschinerie kleinbürgerlicher Liebe zu
geraten. Dem Surrogat romantischer Liebe wird die Wahrhaftigkeit des einsamen Flipperns
vorgezogen.
Giant Balls
Die angeführten Filme aus den 1950er, 60er und frühen 70er Jahren sind sich zumindest
darin ähnlich, dass der Flipperautomat zumeist kein zentrales Thema ist. Dagegen richtet
der wahrscheinlich bekannteste Flipperfilm, eine Adaption der gleichnamigen Rockoper von
The Who, TOMMY (GB 1975), seinen gesamten Plot auf das Flippern aus.
Der Film spitzt einen bestimmten Topos des schon beschriebenen filmischen (und auch
theoretischen) Flipperdiskurses zu, nämlich den zur nonverbalen Kommunikation, wenn er
den jeglicher verbaler (und visueller) Kommunikation unbefähigten Tommy allein beim
Flippern sein Glück finden lässt.
Der durch ein Trauma stumm, taub und blind gewordene Tommy findet in einem auf der
Schrotthalde aufgebahrten Flipperautomaten Trost – und erweist sich wundersamerweise
als genialer Spieler, der bald zum Star wird. Seine Fingerfertigkeit hat sich von den
kategorisierten Sinnen völlig emanzipiert. Ein ähnliches somatisch-instinktives Flippern
beschreibt Marshall Frady in seiner Hymne auf das Spiel: „It was, along with everything
else, most assuredly a gently dynamic intercourse of kinetics, involving a fine elegance of
watchwork movements, thoughtless subtle reactions, a body wit of discreet and infinitely
varied syncopations.“(Frady 1972: S. 164) 33
Wo er ein derart wichtiges Element der Diegese ist, ist der Film vor das Problem der
Visualisierung des Flipperns gestellt. Sind in anderen Filmen meistens Halbtotale der
Spieler_innen am Automaten und Nahaufnahmen des Spielfelds zu sehen, setzt TOMMY
hingegen auf groteske Szenografie. Wenn Tommy im Showdown den Pinball Wizard (Elton
John) niederringt, findet der Wettstreit vor Publikum auf einer Bühne statt, auf der zwei
Flipperautomaten aufgestellt sind.
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Doch ist das Spiel vermischt mit einem Rockkonzert, 34 große Leuchttafeln blinken schrill
kaum nachvollziehbare Punktestände. Das einsame Spiel am Automaten wird zu einem
simultanen Wettbewerb, so als spielten die beiden gegeneinander (wie etwa beim Tennis).
Zwar zeichnet das Groteske TOMMY ästhetisch, narrativ und thematisch überhaupt als
Mittel aus, doch wirkt das Flippern in direkter Konkurrenz und vor Zuschauer_innen in
besonderem Maße absurd. Den Kick des herkömmlichen Flipperns muss der Film ins große
szenische Arrangement eines massenkulturellen Events übersteigern. Zur selben Ästhetik
greift auch das Setting des Finales, wenn Jünger_innen des von Tommy gegründeten
Hybrids aus Sekte, Selbsthilfegruppe und Freizeitcamp revoltieren und die massenhaft
aufgestellten Flipper zertrümmern. Werden die Spielgeräte maschinengestürmt, dominieren
schon zuvor Unmengen riesiger, aufeinander getürmter Kugeln die Szenerie, als wollten sie
die Giant Pool Balls Claes Oldenburgs vorwegnehmen. 35 Als größenwahnsinniges Dekor
machen sie die Zerstörung der Flipper zu einer lächerlichen Geste, weil die Flipperkugeln
den Automaten schon entwachsen scheinen. Wo TOMMY den Flipper überdeutlich zum
zentralen Thema macht, kippt die filmische Darstellung aus der Präsentation der bloßen
Automaten hinaus. Die komplementäre Konzeption zeichnet Wayne Sourbeers
Experimentalfilm MONTAGE V: HOW TO PLAY PINBALL (USA 1963) aus, der mit
schnellen Schnitten, Überblendungstechnik und einem Soundtrack, den die Komponistin
Jean Eichelberger Ivey mit der Bearbeitung aufgenommener Flippersounds besorgt, die
Automaten in genuin filmische Ästhetiken übersetzt.
Umgekehrt markieren die gigantischen Vergrößerungen des Flippers und die Fantastik
seiner Spielkultur in TOMMY den historischen Zenit der filmischen Präsentationen des
Automaten.
Hieran schließen zwei andere Filme mit nostalgischem Blick an: Überdeutlich ist dies in
Richard Linklaters Historienfilm DAZED AND CONFUSED (USA 1993). 36 Die
Spielothek einer texanischen Provinzstadt Mitte der 1970er Jahre ist zentraler
Anlaufpunkt, wo Jugendliche zum Ende des Schuljahres abhängen.
Der filmische Blick aus den 1990ern wird zu einem musealen, wenn alle möglichen
Spielgeräte vergangener Freizeitkultur nebeneinander wie Ausstellungsobjekte aufgereiht
sind. Den Gegenpol dazu bilden Nahaufnahmen der rollenden Flipperkugel und der
Flipperarme: Eben diese Bilder sehnen die Überwindung der historischen Distanz herbei,
sie versprechen im Close-up das immersive Jetztsein im Spiel und im Vergangenen.
Dass Linklaters Film nostalgisch ist, macht die zeitliche Differenz. Doch schon TILT (USA
1979) ist ein leiser Abgesang auf die Flipperkultur.
Anders als in den ästhetischen Überzeichnungen und Gigantismen von TOMMY kehren
noch einmal Nahaufnahmen von Flipperspielfeldern, Spielständen und rollenden Kugeln
wieder. Mit den heruntergekommenen, tristen arcades in Atlantic City und anderswo
kündigt TILT aber den bald beginnenden massenkulturellen Niedergang des Flippers schon
an. Und wenn am Ende ein videotechnisch eingeblendetes „Game Over“ den Film beschließt
und eben kein von zu starkem Geruckel verursachtes „Tilt“ aufleuchtet, erklingt geradewegs
schon der Jargon der Computerspielkonsole.
Noch auf andere Weise bricht TILT mit der filmischen Geschichte des Flippers: Im
Mittelpunkt steht eine junge, weibliche Meisterin des Flipperns, die mit Wettspielen ihr
Einkommen macht. So schert TILT – gleichzeitig der Spitzname der 14-Jährigen, die von
Brooke Shields gespielt wird – aus der maskulinistischen Bildtradition des Flipperns aus, 37
auch wenn auf ihren hinteren Hosentaschen blickfängerisch und frivol „Pinball Champ“
aufgenäht ist. Ihrem öfters als hustler titulierten Kompagnon kann sie am Ende nicht zu
männlicher Attitüde verhelfen („She can’t win your balls for you, son“), und der Film
verbindet damit ihre zumindest latente Emanzipation.
Sind Brooke Shields und TILT, sind weibliche Automatenspielerinnen im Film überhaupt
die Ausnahme, verhält es sich in der Musik anders. In den meisten der angeführten Filme
steht dem Flipper „un frère siamois mécanique“ (Virno 1998: S. 82) zur Seite, die
Jukebox. 38 Diese räumliche und kulturelle Nähe von Musik und Flipper zeigt sich auch an
einem anderen Ort, dem Musikclip. Dort ist das Thema des Flippers auffallend mit Frauen
verbunden. Über vier Lieder und Clips lassen sich historische Verschiebungen feststellen,
die die Geschlechterverhältnisse betreffen.
Le Billard électrique von Edith Piaf handelt von einem jungen Mann in der Kneipe, der
vergebens auf seine Verabredung wartet und sich die Zeit am Flipperautomaten vertreibt.
Die Liedzeilen, die sich dem Flippern widmen, singt und brüllt Piaf in großer Gehetztheit,
eingeholt wird mit onomatopoetischen Wörtern Geklingel, Geschrille und Zählerstand:
„Ding ! Cent mille ! Ding ! Ding ! Deux cent mille ! Trois cent ! Quatre cent ! Cinq cent mille
! Ding ! Ding ! Ding ! Re-ding ! Ding ! DING !... TILT !!!“ In einem Filmmitschnitt eines
Konzerts von 1962 im niederländischen Nijmegen ahmen Hände, Arme und vor allem
Daumen Piafs das Abschießen der Flipperkugel und das Drücken der Knöpfe nach.
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Le Billard électrique
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Diese Geste wiederholt sich im Clip mit der Ansicht verschiedener Flipperfrontscheiben,
durch die ihre Augen blinken. Außerdem wird das Splitscreenverfahren eingesetzt, wenn
Goya singt und neben ihr die Nahaufnahme eines Bumpers auf dem Flipperspielfeld zu
sehen ist, an den die Kugel prallt. Diese Bildpraxis hat nichts von den sexualisierten
weiblichen Motiven auf Flipperautomaten, stattdessen schreibt sich im Wortsinn ein
weiblicher Blick in den Automaten ein.
Eine emanzipatorische Wende nimmt das Motiv der Flipperkugel in Corynne Charbys
Popsong Boule de Flipper (1986). Nicht dem Boy wird nachgeweint, das Girl besingt sich
selbst als Flipperkugel: „Je vis comme une boule de flipper qui roule“.
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Im Musikvideo treibt sich Charby in einer Spielhalle herum; sie flippert dort, aber das Motiv
der Kugel wird auch in anderen Spielen gefunden, beim Billard und Bowling. Charby
hantiert zudem mit einer großen silbernen Kugel; die Flipperkugel, der sie sich im Liedtext
gleichmacht, würde in der filmischen Visualisierung zu winzig ausfallen.
Dementgegen vergrößert das Musikvideo zu No Limits! (1993) den Flipper:
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Diskurse zum Flipper gestiftet hat, kündet vor allem ein Text von Bernd Jürgen Warneken
aus der schmalen Theoriegeschichte des Flippers der 70er Jahre von einer noch anderen
Beziehung zum Kino: Diese zielt nicht auf einzelne Filme ab, sondern konzipiert die
Erkenntnisobjekte von Kino und Flipper als strukturell analoge. Rekurriert wird bei
Warneken dabei auf film- und kinotheoretische Positionen Walter Benjamins und Siegfried
Kracauers aus den 1920er und 30er Jahren.
Grundsätzlich ist zunächst festzuhalten, dass flippertheoretische Texte von Friedrich
Heubach, Dieter Hainz oder eben Warneken „die Flipper-Euphorie in der antiautoritären
Phase der [bundesrepublikanischen] Linken“ (Heubach 1979: S. 131) veranschaulichen.
Dem Phänomen des Flipperautomaten wird dialektisch-materialistisch, ideologiekritisch
und unter dem Eindruck der Kulturindustriethese der Frankfurter Schule begegnet,
entschieden positioniert wird sich gegen kulturkonservative und jugendpädagogistische
Ressentiments; 41 jene Positionen stehen ein Stück weit der Schwarzmalerei eines Roger
Caillois entgegen, der das Flippern als „jeux vides“, „jeux nuls“, „pseudo-jeux“ (Caillois
1967: S. 1129) disqualifiziert.
Ausgehend vom Umstand, dass der Großteil von Flipperspielern nicht nur männlich ist,
sondern hauptsächlich aus jungen Arbeitern, Schülern und Studenten besteht, analysiert die
Ideologiekritik über solche Sozialemperie hinaus den strukturellen Bezug des Flippers zu
kapitalistischen Arbeitsverhältnissen: Dem Flipper wird die Wiederholung
spätkapitalistischer, fordistisch-tayloristischer Fabrikarbeit attestiert (vgl. Warneken 1974:
S. 107), weil hier die „Automatisierungselemente den Unterhaltungsinhalt selbst bilden“.
(Ebd.: S. 85.) Die Freizeit arbeitet den Produktionsverhältnissen reproduktionslogisch zu.
„[A]ls Maschine verbindet er akustische und visuelle Erfahrungen aus der
Produktionssphäre mit den unendlich zu variierenden und verfeinernden Aktionen und
Techniken des zweck- und gewinnfreien Spiels mit der Kugel.“(Ebd.: S. 23) Doch die
spielerische Tätigkeit „gewinnt kein von ihr erlösendes Produkt, sondern nur ein Zeichen
ihrer Effektivität: Zahlen.“ (Heubach 1979: S. 129.) Das Numerische (ähnlich einer
„Registrierkasse“ (Hainz 1970:S. 21)) geht zudem Hand in Hand mit dem Erotischen, wie
es sich oftmals in der massenkulturellen Ornamentik der Flipperfrontscheiben findet und
seine Entsprechung wiederum in industrieller Arbeit hat: „Die Glamour-Girls treten oft
gleich in Kolonnen auf, Zahlenreihen balancierend oder im Tabellenkostüm. Kaum schöner
könnte man den Satz Kracauers illustrieren: ‚Die Beine der Tiller-Girls sind die Hände in
der Fabrik.’“ (Ebd.: S. 23) Muss die Physis des Spiels – egal welcher Finesse – der Logik
des Automaten folgen und mag eben der Fabrikarbeit am Band ähneln, 42 soll das Flippern
trotzdem nicht allein deren schlichte Wiederholung, nicht allein deren Abziehbild sein,
sondern schafft mit der Möglichkeit zur Aggression im Spiel (vgl. Warneken 1974: S. 96)
auch Kompensation gegenüber der Erfahrung in der Arbeit. Doch tauge das Flippern
trotzdem nicht als „sedative Gegenerfahrung zur kapitalistischen Alltagspraxis“ (ebd.: S.
121), weil es noch erfahrungsärmer und gänzlich unproduktiv sei. So konstatiert
Warneken, „daß das Spiel weder Konzentration noch Entspannung bedeutet, weder geistige
Bei Warneken indes nimmt der rezeptionsästhetische Vergleich von Flipper und Kino
wesentlich breiteren Raum ein. Geräuschkulisse und visuelle Effekte des Flippers ähnelten
„Unterhaltungsmittel[n], welche die Apperzeptionsfähigkeit vor allem durch elektrisch
ausgelöste Erscheinungen in mehrfacher Weise beanspruchen“. Das, was der Flipperspieler
wahrnehme, erinnere „an die Addition von ‚sounds, lights und action’ in der Beat- und
Popmusik ebenso wie an Filme mit rascher Schnittfolge und speziell den Trickfilm, welcher
als Kombination von Bewegungs- und Lauteffekten in wechselndem Schnittrhythmus dem
Zuschauer einem Wechselbad von Eindrücken – wenn auch nicht Tätigkeiten –
verschiedenen Tempos aussetzt.“ (Warneken 1974: S. 104 f) Warneken subsumiert den
Truffauts LES QUATRE CENTS COUPS – attestiert Warneken dem Flipper eine
tendenziell eskapistische Funktion: „Die Chocks im Spiel wären demnach dazu da, den
ungleich inhaltlicheren der Realität zu entkommen, oder anders ausgedrückt: Wer am
Flipper dem Gehalt der alltäglichen chokhaften Erfahrungen entgehen will, unterwirft sich
dafür der Gestalt dieser Erfahrung. Zerstreuung hieße hier nichts anderes als die
momentane Dekomposition des Individuums, um der anstürmenden Tagesproblematik kein
Ziel mehr zu bieten.“ (Ebd.: S. 120)
Im Weiteren vertieft Warneken den Begriff der Zerstreuung, den er zunächst von Benjamin
übernimmt, im Anschluss an Siegfried Kracauer, wo er eine tendenziell andere Richtung
nimmt. In „Kult der Zerstreuung“ von 1926 ist Zerstreuung zentraler Begriff im
Verständnis vom Kino als maßgeblichem Ort für die Erkenntnis gesellschaftlicher Zustände.
Kracauer deckt in der Zerstreuung der Zuschauer_innen zwar auch die klandestine
Einübung kapitalistisch-urbaner Subjektivierungen auf, doch geht es dialektisch bald um
den moralischen und politischen Gehalt einer Kultur der Zerstreuung. Bei Kracauer sind die
Berliner Kinos der 1920er Jahre „Paläste der Zerstreuung“ (Kracauer 1926: S. 311), die
den Zustand von Kultur und Gesellschaft bestimmbar machen. Wo bildungsbürgerlich-
idealistische Kulturinhalte den Zerfall bürgerlicher Gesellschaft verbrämten, ist die
Popularität des Films laut Kracauer darauf zurückzuführen, dass seine Form den
gesellschaftlichen Gegebenheiten entspricht, ja sie aufdeckt: „Das Berliner Publikum
handelt in einem tiefen Sinne wahrheitsgemäß, wenn es [...] dem Oberflächenglanz der
Stars, der Filme, der Revuen, der Ausstattungsstücke den Vorzug erteilt. Hier, im reinen
Außen, trifft es sich selber an, die zerstückelte Folge der splendiden Sinneseindrücke bringt
seine eigene Wirklichkeit an den Tag.“ (Ebd.: S. 314 f.) Ähnlich wie später Benjamin
beschreibt Kracauer die Filmrezeption als etwas, das sich dem bewussten Nachvollzug
versperrt: „Die Erregungen der Sinne folgen [...] so dicht, daß nicht das schmalste
Nachdenken sich [...] einzwängen kann.“ (Ebd.: S. 314) Nichts Pejoratives ist jedoch damit
verbunden: Die Zerstreuungssucht führt Kracauer zurück auf „die Anspannung der
arbeitenden Masse – eine wesentlich formale Anspannung, die den Tag ausfüllt, ohne ihn zu
füllen. Das Versäumte soll nachgeholt werden; es kann nur in der gleichen
Oberflächensphäre erfragt werden [...]. Der Form des Betriebs entspricht mit
Notwendigkeit die des ‚Betriebs’.“ (Ebd.: S. 313f.) Trotz gegenläufiger, restaurativer
Tendenzen im Kino, die sich laut Kracauer anstrengen, der Zerstreuung – oberflächlichen,
überkommenen Kulturgehalten nacheifernd – Sinn aufzupfropfen, hält die Massenkultur
nicht nur dem Theoretiker Erkenntnis bereit. Vielmehr ermächtigt Kracauer das Publikum
im Wunsch nach Zerstreuung den Zerfall bürgerlicher Kultur potentiell zu erkennen.
Obwohl Kracauers Thesen zum Zusammenhang von kapitalistischer Arbeit,
Zerstreuungskultur und Kino in den 1920er Jahren als dialektisch-materialistisches Vorbild
für den Flipper der 70er Jahre geeignet scheinen, distanziert sich Warneken, was eine
allgemeine politische Bewertung von Massenkultur anbelangt: Kracauers Implikationen der
Zerstreuungskultur erscheinen ihm als weit zu optimistisch, was die potentielle Erkenntnis
des Kinopublikums betrifft. 44 Ein wesentlicher Grund für die Kritik an Kracauer scheint
Warnekens übergeordnete Perspektive auf das Verhältnis von Arbeit und Freizeit zu sein,
das nicht in „struktureller Homologie, sondern in einem Funktionsbezug“ (Ebd.: S. 113)
stehe. Dementsprechend kann laut Warneken erst die Ablösung kapitalistischer
Produktionsverhältnisse die Möglichkeit sogenannter gehaltvoller Unterhaltungsformen
bieten. Keineswegs Bildermaschinenstürmerei ist seine Losung, sehr wohl aber die Aussicht
auf einen sozialen, d. h. positiv kommunikativen Gebrauch nicht zuletzt des Flippers in
einem zukünftig nicht mehr kommodifizierten Sozialen. Die Frage der Kommunikation –
und hier schließt Warneken an denjenigen Topos an, der sich durch die filmische Motiv- und
Zeichengeschichte zieht – treibt seinen Text im Besonderen um; „Flippern nämlich ist kein
Spiel, das – wie Börsenspiele oder Kartenspiele – noch ein halbwegs zusammenhängendes
Gespräch oder ein Planen, Nachdenken, Probieren, Unterbrechen gestattete. Es addiert sich
aus Handgriffen, die als prinzipiell gleiche im strengen Sinn keine Kontinuität haben.“
(Ebd.: S. 102) Markanterweise verrutscht Warnekens Kritik an der Sprachlosigkeit des
Flipperspiels implizit nicht nur hin zur Affirmation der Sprachmächtigkeit bürgerlicher
Öffentlichkeit. Unausgesprochen ist das Flippern in seiner (vermeintlichen oder
tatsächlichen) Sprachlosigkeit dem Kinobesuch noch einmal ähnlich.
Indiana Jones
Indiana Jones-Flipper-Frontscheibe
Für das Leuchtbild sind fotorealistisch Figuren aus den Filmen entnommen, am
prominentesten der Oberkörper Harrison Fords als titelgebende Figur mit obligatorischem
Hut und Peitsche über der Schulter; um sein Konterfei sind kreisförmig vier weitere
Filmfiguren in kleineren Abbildungen zu sehen. Der Kopf von Jones ist im zentralen
Rundbogen eines aus drei Bögen bestehenden Säulengangs platziert. Dass die
Flipperfrontscheibe ein Triptychon zeigt, entspricht den drei Teilen der Filmreihe. Jeder
Bereich des Bildensembles ist einem der Filme zugeordnet und komprimiert einzelne
Filmszenen: Der linke Bildteil gehört dem dritten Teil der Reihe an, der rechte dem zweiten.
Die in der Mitte der unteren Bildhälfte sichtbare Bundeslade ist zentrales Motiv des ersten
Films; in den anderen Bilddritteln sind diejenigen Objekte abgebildet, die die Plots der
beiden anderen Filme bestimmen: der Heilige Gral und ein hinduistischer Sivalinga-Stein.
Wollte man – entgegen der abendländischen Tradition – die Frontscheibe von rechts nach
links lesen, sind die Bildteile in chronologischer Folge angebracht, insofern der zweite Film
diegetisch ein Prequel zum ersten ist. Die gesamte Frontscheibe bezieht also drei Elemente
ein: Filmfiguren, Filmszenen und in der Filmhandlung relevante Objekte. Hinzu kommen
Schriftelemente: Auf der oberen Bildhälfte prangt der Name „Indiana Jones“.
Typographisch entspricht er dem Titeldesign, das ab dem zweiten Film verwendet wird:
Von links nach rechts verkleinert sich die Schriftgröße der einzelnen Buchstaben, was den
comichaft gestalteten Schriftzug dynamisiert. Die Farbgebung unterstützt das: Vertikal
gehen die einzelnen Buchstaben von Rot über Orange zu Gelb über. Die Frontscheibe stellt
für den Flipper eine Art Werbung dar, weil sie dasjenige Automatenteil ist, das für
potentielle Spieler_innen schon aus der Distanz sichtbar ist und lockt. Aus der Perspektive
des Kinos ist die Frontscheibe so Äquivalent zum Filmplakat – indes als konstitutiver Teil
des Beworbenen selbst.
Wo das Filmplakat Motive versammelt, die dem Film entnommen sind, kehren auch die in
der Flipperfrontscheibe gezeigten filmischen Elemente (Figuren, Narration, Objekte,
Schrift) auf dem Spielfeld und im Spielverlauf wieder. So sind Bilder von Köpfen
verschiedener Figuren und von Filmobjekten auf dem Feld verteilt, Targets sind mit Namen
versehen. Noch prägnanter sind dreidimensionale Miniaturen, die an Objekte in den Filmen
angelehnt sind: einige sind dekorativ (Flugzeuge), andere für das Spiel funktional
(Goldschädel, Brücke).
Ein Objekt ist besonders markant: Der Abzug der Flipperkugel am Automaten ist als
Revolver gestaltet. Die Farbgebung des Spielfeldes nimmt das Rot, Orange und Gelb des
Indiana Jones-Schriftzugs auf, ergänzt vor allem durch Grün, das Urwälder als
wiederkehrende filmische Schauplätze assoziieren lässt. Die über das Feld verteilten
farbigen Lichtquellen, die unterschiedlich aktiviert werden, sorgen für eine atmosphärische
Note. Noch expliziter als die visuellen verweisen akustische Elemente auf die Filme: 52
Während des Spielverlaufs werden filmische Originaltöne eingespielt: wiederkehrende
Dialogfetzen und Originalfilmmusik, ergänzt durch eigens produzierte Geräuscheffekte
(Peitschenknall, Affengebrüll, Mopedgeknatter, Schlangengezisch, Elefantengetröte,
Flugzeugmotorengebrumme, Pferdegeklapper u. a.). Die Stimme, die den Spieler_innen
Anweisungen gibt, gehört dem Schauspieler John Rhys-Davies, der selbst in zwei der drei
Filmteile mitspielt.
Die skizzierten Bezüge des Flippers auf die Filme folgen einer Praxis der Fragmentierung:
Elemente werden aus den Filmen herausgelöst, um sie auf die Spielfläche zu verteilen. Der
Flipperautomat verhält sich zum Film wie es die Montage zu Kader und Tonspur tut: Es
wird herausgetrennt und neu zusammengefügt. Doch entsteht im Flipper hieraus kein
chronologisch und topologisch geordneter Zusammenhang, stattdessen bleiben die
Komponenten verstreut. Der Automat nivelliert damit den Stellenwert von Filmpersonnage,
Szenen, Objekten, Schriften und Tönen, weil diese gleichberechtigt sicht- und hörbare Teile
des Automaten sind.
Diese Praxis der Fragmentierung zeigt sich auch in den Spielmodulen von Indiana Jones:
The Pinball Adventure. Der Spielablauf teilt sich in zwölf Module auf, die je nach
Aktivierung zu unterschiedlichen Zeitpunkten spielbar sind und je bestimmte Targets,
Lanes und Rampen integrieren, deren Anspielen mit der Kugel Punkte erbringt. Der
Automat weist drei Spielmodule auf, die nicht auf dem eigentlichen Spielfeld, sondern
ausschließlich über den auf der Frontscheibe integrierten Bildschirm zu bewältigen sind.
Der Screen wird ansonsten dafür benutzt, Punktestände anzuzeigen, zu den verschiedenen
Modulen zugehörige Elemente zu visualisieren oder schriftlich Spielanweisungen zu geben.
Bei jenen drei Modulen, die auf dem Screen stattfinden, wird den Flipperknöpfen ihre
eigentlich Funktion – das Auslösen der Flipperarme – genommen, sie lösen nun
Bewegungen auf dem Screen aus. Der Flipper integriert damit Spielweisen, die mit dem
Flippern nichts mehr zu schaffen haben, sondern der Video- und Computerspielkonsule
entlehnt sind. Alle zwölf Spieleinheiten wiederum rekurrieren auf Handlungselemente, je
vier auf einen Film. Die narrativen Komponenten des Flipperspiels orientieren sich an
bestimmten Sequenzen der Filme, modifizieren sie aber für eine Spielaufgabe: Der Flipper
überträgt also Sequenzen und narrative Elemente nicht in Form von Levels, die
nacheinander gespielt werden müssen; die Spielmodule gehorchen nicht einer invarianten
Folge. Somit entsagt der Flipper der Logik erzählerischer Kontinuität.
Eine solche Diskontinuität korrespondiert grundlegend dem Wesen der Flipperkugel. Sie
schießt zwischen Objekten, Bildern und Schriftelementen des Spielfelds umher und löst
Spielmodule (sowie dazugehörige Tonspuren und Visuals auf dem Bildschirm) und
Punktgewinne aus. Gibt es bezüglich der Adaption von Filmen in die Logik eines Flippers
selbstverständlich Überschneidungen mit Games, ist der wesentliche Unterschied, dass
Den Dschungel Südamerikas durchforstet der Archäologe Jones nach einem Heiligtum
einer untergangenen Hochkultur, das er schließlich in der Ruine eines peruanischen
Tempels findet. Die goldene Götzenfigur bekommt er zwar in seine Hände, löst dadurch aber
unwillentlich uralte Vorrichtungen aus, die zur Abwehr von Eindringlingen und Räubern
installiert wurden. Den Parcours tödlicher Gefahren überwindet Jones in größter Not, an
dessen Ende erwartet ihn jedoch noch eine riesige, steinerne Kugel, die aus ihrer Halterung
katapultiert wird und in großer Geschwindigkeit den abschüssigen Gang hinter Jones
hinabrollt. 53 Im allerletzten Moment kann er, die Götze in seinen Händen, der massiven
Kugel entkommen, die den Zugang zum Tempel mit Wucht verschließt.
Anders als in der filmischen Motiv- und Zeichengeschichte zeigen die Indiana Jones-Filme
keine aufgereihten Automaten, keine Spielhallen, keine herumlungernden
Flipperspieler_innen. Mit der überdimensionierten, eine Kuhle hinab rasende Kugel als
dramaturgischem Höhe- und Schlusspunkt der Anfangssequenz von RAIDERS OF THE
LOST ARK referiert die Filmreihe auf den Flipper nicht als manifestes Objekt, sie indiziert
ihn als Spur (obwohl er völlig aus dem modernen urbanen Milieu hinaus in den Dschungel
und die Frühhistorie verrückt wird – des Tempels, aber auch der Frühgeschichte des
Flippers selbst, der zum filmdiegetischen Zeitpunkt der 1930er Jahre in seiner geläufigen
Bauart so noch nicht konstruiert ist). Die Indiana Jones-Reihe bedient sich ikonografisch
und narrativ beim Dschungel- und Abenteuerfilmgenre der 1930er und 40er Jahre, bei
exotistischen literarischen Räuberpistolen, Groschenheftchen, Pulpfiction, Comics,
Vaudevilles, Freakshows und Jahrmarktattraktionen. Die Filme werden so zum
Ausstellungsraum eines massenkulturellen Sammelsuriums des 19. und 20. Jahrhunderts.
Die rollende Kugel wiederum ist Zeichen der da noch jüngsten massenkulturellen
Archivierung, der Flipperkultur. Diese latente Art der Referenz auf die
Unterhaltungskultur des Flippers macht die Indiana Jones-Reihe just zu demjenigen
Zeitpunkt – Anfang der 1980er Jahre – als sich deren Hochzeit dem Ende zuneigt, in den
Spielhallen schon elektronische Bildschirmspiele Einzug gehalten haben und
Videospielkonsolen für Privathaushalte auf den Markt gekommen sind.
An diesem Übergang in der Geschichte massenkultureller Automatenspiele partizipiert auch
die Indiana Jones-Filmreihe. Sie tut dies zum einen im Merchandising, wenn mehrere
Computerspiele zu den Filmen herausgebracht werden, zum anderen in den Filmen selbst.
Der zu Beginn vor der riesigen Kugel flüchtende Indiana Jones fungiert fortan selbst als
Äquivalent einer umherprallenden Flipperkugel: Die dynamische, von Springen, Hüpfen,
Hangeln, Schwingen, Fallen, Rollen geprägte Eingangssequenz von RAIDERS OF THE
LOST ARK ist stilprägend für den Ereignischarakter aller Filme, in denen der
Wissenschaftler Jones selten in Hörsälen Vorlesungen abhält, sondern Urwälder, Zeppeline,
Höhlen, Katakomben, Hängebrücken, Schlangengruben mit Skills meistert. Der somatische
Ereignis- und Affektcharakter der Filme assoziiert einerseits die da neueren
Unterhaltungsmedien der elektronischen und alsbald digitalen Games mit ihren Levels und
Aufgaben, andererseits die alten Kirmes- und Freizeitparkkulturen, deren Attraktionen
Karussell, Geisterbahn, Wasserrutsche und andere Katapulte im Blockbusterkino neu
reüssieren. 54 Die Kugel zu Beginn der Filme weist den Flipper als Scharnier zwischen
jenen neueren und älteren Kulturen aus. Programmatisch wird in den Filmen der Indiana
Jones-Reihe jene ‚Rechnung’ neu aufgemacht, die in LES QUATRE CENTS COUPS (wie
eingangs beschrieben) der Dreisatz von Kino, Flipper und Jahrmarktvehikel bildet. Im
Blockbusterkino ist nun aber ihre Summe berechnet.
Der Umstand, dass der Flipper nicht als Filmmotiv erscheint, korrespondiert der seit den
1980ern zunehmenden Herstellung filmthematischer Flippermodelle. Nur an deren
Schauplatz wird die Verbindung zum Kino manifest, während umgekehrt der Flipper das
Blockbusterkino nurmehr als Spur durchzieht.
Friedrich Heubach verkündet Anfang der Siebziger: „Es gibt zur Zeit keinen besseren
Flaubert als den Flipper“; er provoziert nicht nur mit dem ähnlichen Wortklang und der
Gleichsetzung von Hoch- und Unterhaltungskultur, sondern versteht den massenkulturellen
Spielautomaten in der Nachfolge des bürgerlichen Romans des 19. Jahrhunderts, was
dessen Aussagekraft für den Status moderner Subjektkonstitution betrifft. Diese
behauptete Bedeutung des Flippers scheint mit seiner meist damals schon räumlichen
Prekarität zu kollidieren: „In den Städten zumeist per Order in die Gegenden zwischen
Bahnhof und Strich angesiedelt, sind die Spielhallen bereits als Räume der Instabilität
gekennzeichnet.“ (Hainz 1970: S. 23) Diese Orte der billigen Unterhaltung – in der Nähe
auch der Bahnhofskinos jener Zeit – künden seinen (hochnäsig bourgeois gewünschten)
Niedergang als Unterhaltungsmedium an, wenn schon damals hellseherisch prognostiziert
wird, der Flipper „steht [...] in den Städten und wartet auf seinen Abgang in die
Rumpelkammer der Geschichte.“ (Ebd.: S. 23) In den 1990ern muss Paolo Virno deswegen
ganz grundsätzlich konstatieren: „On se plaint : les bars n’en sont pas, les usines ne
ressemblent plus à des usines, les adolescents sont prudents et sceptiques. Le flipper a
disparu du paysage urbain et le Parti communiste aussi : que faire ?“ (Virno 1998: S. 86) –
fragt Virno schließlich mit Lenin, um nicht völlig nostalgisch-resignativ zu klingen.
Der ökonomische, kulturelle und soziale Bedeutungsverlust, der den Flipper seit den
1980ern rapide ereilt hat, zeigt einen Wandel massenkultureller Unterhaltung an. Die
Spielhallen selbst (und die bürgerlichen Kasinos sowieso) sind davon nicht betroffen,
ebensowenig wie ihre Spielautomaten mit Geldgewinnmöglichkeit. Auch diejenigen Spiele,
die den Wettkampf oder das Gruppenerlebnis feiern, wie Billard und Kickerkasten, sind in
Kneipen weiter vertreten. Das relative Verschwinden des Flippers aus dem öffentlichen
Raum verläuft aber parallel mit dem Einzug elektronischer, televisueller und digitaler
Spielkonsolen in Privaträume. Die Gemengelage, dass der Flipper kein Spielgerät mit
Gewinnmöglichkeit ist, dass er nicht Kollektivierung (oder deren Surrogat) befördert und
dass er zudem technisch für Störungen anfällig und seine Wartung umständlich und
kostspielig ist, mag ausschlaggebend für seine Marginalisierung sein.
Jener Strukturwandel betrifft also die Freizeitkultur im Fordismus. Analysiert man den
Flipper als Analogon fordistischer Fabrikarbeit (oder stellt beide in einen
Funktionszusammenhang), wie es die marxistische Linke der 1970er Jahre tut, dann würde
der Bedeutungsverlust gerade des Flippers (und nicht der anderer Spielautomaten)
Transformationsprozessen kapitalistischer Arbeitsverhältnisse korrespondieren. Von der
sukzessiven Marginalisierung industrieller Produktion in den westlichen kapitalistischen
Staaten seit den 70ern lässt sich – will man der kulturindustriethetischen Analyse folgen –
ableiten, dass dies auch zu Modifikationen der Subjektivierungsformen und biopolitischen
Maßnahmen in der Freizeitkultur und ihren Spielen führen muss.
An jene Aspekte – fordistische Freizeitkultur der Nachkriegsjahrzehnte und deren
Strukturwandel unter den Vorzeichen postfordistischer Ökonomie – schließt die Frage an,
auf welche Weise das Kino die Geschichte des Flippers spezifisch flankiert. Als
Ausstattungsobjekt, Motiv und Zeichen v. a. in den 1950er, 60er und 70er Jahren
verschafft die Filmgeschichte dem Flipper ein audiovisuelles Archiv: Der Automat ist nicht
Konservat, es wird (meistens) an ihm gespielt, qua filmischem Medium ist er Teil von
sozialen Räumen und Architekturen. Was am Automaten ausgehandelt wird, nimmt
Themen, die in populären und wissenschaftlichen Publikationen zum Flipper behandelt
werden, größtenteils vorweg; Aspekte werden verdichtet und zugespitzt, was etwa die
Verhandlungen von Sprache, Jugend, Urbanität, Delinquenz oder Geschlechterverhältnissen
(die in der Literatur kaum vorkommen) angeht. Die nationalkinematografischen
Besonderheiten korrespondieren zudem den unterschiedlichen gesetzlichen
Rahmenbedingungen für Spielautomaten.
In diesem ersten Verhältnis dokumentiert und signifiziert der Film die Flipperkultur; das
zweite, strukturelle Verhältnis von Kino und Flipper behandelt dann in dialektisch-
materialistischer Analyse Ähnlichkeiten beider Freizeitkulturen. Beim Text von Bernd
Jürgen Warneken handelt es sich nicht im engeren Sinne um einen rezeptionstheoretischen
Vergleich, der dann vielleicht auch die Differenz von geruhsamem Sitzen im Kinosessel und
lässigem oder angespanntem Stehen am Flippertisch benennen müsste. Stattdessen wird
der Flipper in die Tradition von Chock und Zerstreuung gestellt. Wenn Walter Benjamin
und Siegfried Kracauer in den 1920er und 30er Jahren dem Kino eine bedeutsame
subjektkonstitutive und auch gesellschaftsanalytische Rolle zuweisen, avanciert bei
Warneken der Flipperautomat in den 1970ern zu einem vergleichbaren Objekt.
Zeithistorisch geschieht dies, wenn das Kino selbst in eine Krise geraten ist, deren einer
Grund in der Konkurrenz zum Fernsehen liegt. Vice versa ist es bemerkenswert, dass in der
linken Theorie der Flipper als passables Objekt von Gesellschaftskritik gerade dann
entdeckt wird, wenn das Produktions- und Arbeitsregime des Taylorismus, das ihm
entsprechen soll, weitreichenden Strukturveränderungen unterzogen ist.
Im Unterschied zum Flipper transformiert sich jedoch das Kino, dessen Tod schon bald
ausgerufen wird, im Übergang zu postfordistischen Freizeitkulturen. Der Kinoraum selbst
erfährt seine institutionelle und architektonische Neuformierung in Kinoketten und
Multiplexkinos. Wichtiger in der sich seit den 1970ern forciert verändernden Freizeitkultur
ist, dass der Film technisch und medial ausdifferenziert und relokalisiert wird – in einer
Entwicklung, die der Implementierung von Spielekonsolen in Privaträume vergleichbar ist.
(Hervorzuheben wäre die Digitalisierung des Kinos, die zwar auch am Flipperautomat
stattfindet, der aber dort eine materielle Grenze gesetzt ist.)
Der gesellschaftliche Bedeutungsverlust des Flippers zeigt sich aus filmgeschichtlicher
1 Heubach 1972b: S. 244. Erste, knappe Überlegungen zum Verhältnis von Flipper und Kino finden sich in:
Göttel 2014: S. 52-55.
2 Heubachs Forschung zum Flipper hat mehrere Veröffentlichungen erfahren, die textlich mitunter nur leicht
variieren; vgl. Heubach 1972a; vgl. Heubach 1982; vgl. Heubach 1072b.
3 Speziell dem Zusammenhang zwischen Automatenspiel und frühkindlicher psychischer Entwicklung widmet
sich die Studie in ihren theoretischen Passagen: „Wir sehen [...] einen spielerischen Umgang mit dem
technischen Gerät, das in seinem Ernst und seiner Bedeutung für die Gesellschaft und ihre Zukunft so
wichtig ist, wie die Mutter es für das Kind war. Denn beide, Mutter und Technik, garantieren für die
Zukunft Wohlstand, Sicherheit, Sattheit, Lust. Im Spiel aber wird die Unabhängigkeit von all diesem
erlebt.“ (Ebd.: S. 23) Und weiter: „Ob Spieler oder Nichtspieler, der Spielautomat wird als etwas Ähnliches
erfahren wie eine in der frühen Kindheit erlebte Mutter, die in der Spielhalle wie in einem gemütlichen
Heim haust. Vorurteile und Opposition gegen Spieler, Spielautomaten und Spielhallen weisen zurück auf
eine frühe Kindheit, in der die zärtlich gewährende Mutter allzu früh abgelöst wurde durch Strenge und
Forderungen nach Einordnung in Gesetzlichkeiten: es entsteht eine Triebhemmung. Triebbedürfnisse, die
sehr früh gebremst wurden, führen später zu einer Vorurteilshaltung, vor allem gegenüber dem Spiel.“
(Ebd.: S. 55 f.).Rudolf Heinz’ metapsychologisches „Flipper-Fragment“ beschreibt eine generelle
Strukturgleichheit zwischen Automat und Psyche aus: „Mitnichten illustriert der Spielautomat arbiträr per
analogiam irgend didaktisch die Funktion des psychischen Apparats. Wenn schon, so figuriert dieses
mortale Sonderding als Organprojektion des vitalen Innenmechanismus der Seel (und umgekehrt dieser als
Introjektion jenes).“ (Heinz 1989: S. 675.
Schimank konstruiert eine pädagogisch vermittelte Analogie von Flippern und Lebenskunst, d.h. hier:
moderner Selbstoptimierung: „Wie kann der einzelne es vermeiden, durch immer wieder auftretende
Identitätsgefährdungen in chronische existenzielle Verunsicherung und Verzweiflung gestürzt zu werden?
Zur Beantwortung dieser Frage will ich einen zunächst sicherlich gewagt, ja sogar frivol anmutenden
Vergleich anstellen. Ich will die um die Identitätsbehauptung bemühte Person mit einem Flipperspieler
vergleichen und zeigen, daß die Art und Weise, wie dieser trotz aller Widrigkeiten etwas erreichen, nämlich
Punkte sammeln und Freispiele erzielen kann, den in der modernen Gesellschaft angemessenen Praktiken
der Identitätsbehauptung gleicht. Wer über Flipperspielen nachdenkt, kann also Lebenskunst lernen.“
(Ebd.: S. 250 f.).
Das vollendete Meistern des Flipperns findet seine Entsprechungen in buddhistischen Termini: „Mit der
Möglichkeit, Freikugeln und Freispiele gewinnen zu können, kommt unter anderem auch die Idee der
Wiedergeburt ins Spiel. Die Kugel mag zwar sterben, doch wenn der Spieler eine bestimmte Fertigkeit
erreicht hat (sein Verhalten also bestimmten qualitativen Normen genügt), kann er sie zu neuem Leben
erwecken und gewinnt so die Möglichkeit zu einer neuerlichen Wiedergeburt der Kugel. So entsteht ein
endloser Kreis von Leben, Tod, Wiedergeburt, der dem zen-buddhistischen Konzept des Samsara ähnlich
ist. [...] Dieses Ziel besteht aus dem ununterbrochenen, ewigen Spiel einer einzigen Kugel; es ist Nirwana.“
(Ebd.: S. 123).
Die massenkulturelle Bedeutung des Flippers speziell in den USA, wird in einem Zitat aus einem Text
Bernard Asbells, einer Reportage über den Flipperhersteller „Gottlieb“ deutlich, gerade im Vergleich mit
einem hochkulturellen Beispiel: „In pianos the name is Steinway and in pinball games the name is Gottlieb,
the aristocrat of instruments, preferred by all discriminating players. The Gottlieb – to be sure – is a
democratic kind of aristocrat; you can find one almost anywhere. An inscription on every Gottlieb rings of
wholesome sportsmanship: ‚Amusement Pinballs – as American as Baseball and Hot Dogs’.“ (Asbell 1963:
S. 20).
„Pinball-ology“ lautet der Titel eines Kapitels in Marco Rossignolis umfassendem,
populärwissenschaftlichem Buch zum Flipper; vgl. Rossignoli 2000: S. 20.
Vgl. z. B. Murakami 1980, vgl. Horstmann 1990, vgl. Eco 1988. Eine experimentelle literarische Form, die
das Flippern zum Motiv hat, wählt Claude Vandeloise, der historische Persönlichkeiten und spezifische
Flippermodelle zusammenführt; die jeweiligen Flipperpartien werden in Kurzgeschichten imaginiert, die
außerdem von Zeichnungen der Flippermodelle begleitet werden; vgl. Vandeloise 1977.
Vgl. Adamov 1955, Fo 1960.
Vgl. z. B.: Joseph Cornell, Untitled (Penny Arcade Portrait of Lauren Bacall) (ca. 1945/46); William T.
Wiley, Punball: Only One Earth (2007-2008).
Vgl. z. B.: Wayne Thiebaud, Four Pinball Machines (1962); Robert Indiana: The Red Diamond American
Dream #3 (1962); Blinky Palermo, Flipper (1970); Maria E. Piñeres, Hic et Nuc (Here and Now) (2012)
(vgl. auch andere Arbeiten von Piñeres); Charles Bell, 100 Points When Lit (1981) (vgl. auch andere
Arbeiten von Bell). In der Ausstellung „Pinball in Contemporary Art“, die 2011 im Pacific Pinball Museum
stattfand, wurden einige der hier angeführten künstlerischen Arbeiten präsentiert; vgl.
www.pacificpinball.org.
Vgl. z. B.: Candida Höfer, Flipper (1973).
Vgl. z. B. Dieter Schnebel, Flipper (Kammermusik für Spielautomaten, Darsteller, Instrumente, Tonband)
(2002/2003); bei den Fehlfarben singt man wiederum: „ich schau mich um und seh nur ruinen. vielleicht
liegt es daran daß mir irgendetwas fehlt. ich warte darauf daß du auf mich zukommst. vielleicht merk ich
dann daß es auch anders geht. dann stehst du neben mir und wir flippern zusammen. paul ist tot kein
freispiel drin. ein fernseher läuft taub und stumm. ich warte auf die frage die frage wohin.“ (aus:
Fehlfarben, „Paul ist tot“ (Monarchie und Alltag) (1980).
Vgl. z. B.: Moschino Pinball Bomber Jacket.
Vgl. z. B.: Peellaert 1967.
Virno 1998: S. 82. In seinem Text adaptiert Virno Pier Paolo Pasolinis „Von den Glühwürmchen“, wo die
Zäsur des italienischen Nachkriegskapitalismus am Verschwinden der Glühwürmchen festgemacht wird.
Virno indes distanziert sich von Pasolinis vermeintlichem Nostalgismus, weil ihm Trauer über das
Verschwinden des Flippers nicht als politische Haltung geeignet scheint; vgl. Pasolini 1975.
Vgl. http://www.pingeek.com/film/film.htm.
Eine der IMDb nicht unähnliche Datenbank von Flippermodellen ist die Internet Pinball Machine Database;
vgl. www.ipdb.org.
Parinaud 1959: S. 1. Im Interview heißt es weiter: „Ce n’est pas un paradoxe car, en dehors de ce jeu, je
constate surtout qu’il existe essentiellement des différences entre nous.“ (Ebd.: S. 1).
François Truffaut im Interview, in: Le Monde, 24. Januar 1962.
In der Auswertung des Fragebogens der empirischen Studie der Deutschen Gesellschaft für
Sozialanalytische Forschung Anfang der 1970er Jahre nennen 61 Prozent der jüngeren Spieler_innen (bis
24 Jahre) den Flipper als liebsten Automatentyp; vgl. Meistermann-Seeger/Bingemer 1971: S. 39.
Uwe Schimank hingegen will im Flipperspielen einen pädagogischen Wert erkennen, der im Kontext
„biographische[r] Selbststeuerung“, also von Selbstoptimierung, nutzbar gemacht werden, weswegen der
Flipper am besten Eingang in den Staatsapparat Schule finden sollte: „Wer es schafft, so zu flippern, daß er
sich immer wieder herausgefordert fühlt, sein Bestes zu geben, wer sich bemüht, die Kugel im Spiel zu
halten, um glückliche Koinzidenzen zu initiieren, wer gelegentliche Chancen gezielter Treffer zu nutzen
lernt und so allmähliche Erfolgserlebnisse hat, und wer sich nicht von der Hektik des Geschehens anstecken
läßt, sondern ruhig bleibt: Der erwirbt eine Haltung, wie er sie bei seiner biographischen Selbststeuerung
benötigt. Vielleicht sollte man Flipperspielen in die schulischen Lehrpläne einbauen. Es gab schon
unsinnigere pädagogische Konzepte.“ (Schimank 1999: S. 270) Als kritische Entgegnung auf diese
Position lässt sich z. B. Michael Oppitz’ Verständnis der spielerischen Didaktik des Flippers im Sinne einer
Claes Oldenburg, Giant Pool Balls, 1977; Aaseeterrassen, Münster; ein anderer Film, der ebenfalls zu
grotesk riesenhaften Flipper-Arrangements neigt, ist THE FINAL PROGRAMME, R: Robert Fuest, GB
1973.
Ein anderes Beispiel von Linklater ist BEFORE SUNRISE (USA 1995), wo die beiden Verknallten
minutenlang in einer Wiener Kneipe flippern und dabei über ihre romantischen Beziehungen plaudern;vgl.
http://www.youtube.com/watch?v=GinBWW1p1GE
Für eine sozialempirische Perspektive zum Geschlechterverhältnis in der Flipperszene vgl.
Manning/Campbell 1973: S. 344-348.
Dass die Jukebox möglicherweise ein ähnliches Schicksal erlitten hat wie der Flipper, davon zeugt eine
literarisch-essayistische Darstellung Peter Handkes: „[K]aum einer von seinen Bekannten, die er in den
letzten Monaten – als eine Art Marktforschungsspiel – danach gefragt hatte, [hatte] mit dem Gerät etwas
anzufangen gewußt. Die einen, unter ihnen freilich auch ein Priester, hatten nur die Achseln gezuckt und
den Kopf darüber geschüttelt, daß derartiges überhaupt von Interesse sein konnte, die anderen hielten die
Jukebox für einen Flipper, wieder andere kannten nicht einmal das Wort und glaubten erst bei ‚Musicbox’
oder ‚Musiktruhe’ zu verstehen, was gemeint war.“ (Handke 1990: S. 11 f.
Virno 1998: S. 86
In einem ganz anderen theoretischen, nämlich neurologischen Bezug verwendet Gilles Deleuze en passant
den Flipperautomat: „C’est vrai que la neurologie m’a toujours fascine. Mais pourquoi ? C’est qu’est ce qui
se passe dans la tète de quelqu’un quand il a une idée. Je préfère quand il a une idée, parce que quand il n’a
pas d’idée ca se passe un peu comme dans un billard électrique.“ ( L’ABÉCÉDAIRE DE GILLES
DELEUZE [TV-Interviews mit Claire Parnet], F 1988/89, 1996).
Heubach macht mit einigem Furor in der orthodox marxistischen Linken hingegen den Gegner einer
linksemanzipatorischen Analyse des Flippers aus: „Ich kenne – von den Jugendschützern und den in
abendländischen Werten Handelnden lohnt nicht die Rede – keine impertinenteren Beschränktheiten als die
jener Moralmarxisten und verweinten linken Pestalozzis, die im Delirium ihres präservativen Humanismus’
wieder mal zeigefingernd ihr Menetekelchen absingen und sich nicht entblöden, aus der Diaspora ihrer
säuberlichen Seelen den Flipper als/zur Ausgeburt spätkapitalistischer Surrogat-Produktion zu erklären. –
Wem ist denn das etwas Neues, wer hat denn den Kapitalismus so metaphysisch böse gesehen, daß ihn der
Witz verwundern kann, mit dem dieser auch noch das Löcken gegen die ihm konstitutiven Verdrängungen
systemerhaltend zu integrieren versteht. Diese zwischen biblischer Strenge und linker Askese oszillierende
Kulturkritik mißversteht öfter als erträglich den Marxismus als Schlabberlatz, der ihrem debilen Sabber die
Nachsicht garantiere.“ (Ebd.: S. 131).
In diesem Zusammenhang spricht Hainz von den Spielautomaten als „Prüfstände[n] der
Realitätstüchtigkeit.“ (Ebd.: S. 23).
In „Über einige Motive bei Baudelaire“ führt Benjamin auch das Hasardspiel – ein populäres Würfelspiel
v.a. im 19. Jahrhundert – als Beispiel einer Freizeitbeschäftigung an, das er in Entsprechung zur
kapitalistischen Fabrikarbeit verortet, insofern dort „die Vergeblichkeit, die Leere, das Nicht-vollenden-
dürfen“ der Tätigkeit des Fabrikarbeiters gespiegelt sei. „Auch dessen vom automatischen Arbeitsgang
ausgelöste Gebärde erscheint im Spiel, das nicht ohne den geschwinden Handgriff zustande kommt, welcher
den Einsatz macht oder die Karte aufnimmt. Was der Ruck in der Bewegung der Maschinerie, ist im
Hasardspiel der sogenannte Coup. Der Handgriff des Arbeiters an der Maschine ist gerade dadurch mit
dem vorhergehenden ohne Zusammenhang, daß er dessen strikte Wiederholung darstellt.“ (Benjamin 1939:
S. 223)
Zur Kritik Warnekens an Kracauer vgl. Warneken 1974: S. 122f.
Der Zeitschriftenaufsatz „Päng. Crack. Klumm. Zoff. Flopp. Blip. Kläng. Zachapp“ ist im Zeit-Magazin mit
dem Autorennamen Dieter Hainz angegeben; im Literaturverzeichnis von Meistermann-Seegers und
Bingemers Psychologie des Automatenspiels dagegen wird für den selben Aufsatz Benjamin Buchloh als
Autor ausgewiesen, der außerdem als Mitarbeiter für jene Studie im Impressum genannt ist. Von Stil und
Methode des Aufsatzes her lässt sich tatsächlich auf Buchloh als Autor schließen. Das Pseudonym Dieter
Hainz wäre wahrscheinlich ableitbar von Buchlohs zweitem Vornamen, nämlich Benjamin Heinz-Dieter
Buchloh.
Hainz 1970: S. 23
Eine ideologiekritische Analyse amerikanischer Flipperfrontscheiben der 1950er leistet auch Gianni Emilio
Simonetti in einem Katalog zu einer Ausstellung solcher Scheiben in Mailand Anfang der 1970er; vgl.
Simonetti 1970.
Zu Capras Verfilmung kalauert Oppitz: „[W]eniger Shangri-La als Shangri-L.A.“ (Oppitz 1974b: S. 24).
Oppitz analysiert sehr detailliert die spezifische Aneignungs- und Fortschreibungspraxis des Shangri-La-
Mythos durch den Flipper: „[D]er Flipper Shangri-La [wirft] fiktive und reale ethnographische Fakten
zusammen. Häufiger noch als vorfindbare und erfundene Ethnographica zu verbinden, ist beim Flipper
Shangri-La ein anderes Verfahren zu beobachten: ethnographisch exakte oder partiell exakte Details
werden aus dem kulturspezifischen Zusammenhang, in den sie hineingehörten, herausgenommen und als
Ingredienzien einer willkürlichen, synkretistischen Auslese weiterverwertet. Da dieses Verfahren
konstituierend ist für den ganzen Flipper als einem Zeichen, ist es angeraten, näher zu verfolgen, wie die als
manipulierbare Fertigteile benutzten Details im einzelnen aussehen und als Bestandteile des ganzen Bildes
montiert wurden.“ (Ebd.: S. 65).
Hingegen ist der am Flipperautomat forschende Semiologe Oppitz selbst bildlich, nämlich in einer
Fotografie, die mit dem Text abgedruckt ist, repräsentiert; das Foto stammt von Candida Höfer und gehört
zu ihrer Serie Flipper (vgl. Anm. 12).
Im Jahr 2008 erscheint ein weiteres von Stern produziertes Flippermodell, das auch den vierten Teil der
Indiana Jones-Reihe – INDIANA JONES AND THE KINGDOM OF THE CRYSTAL SKULL (USA
2008) – bildlich und narrativ aufnimmt; dieser Flipper mit dem Namen Indiana Jones ist nicht Teil meiner
Lektüre; für eine Rezension dieses Modells vgl. z. B.: http://www.pinballnews.com/games/indianajones/
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das erste Flippermodell, das das Midway’s DCS Zurück
Sound nach oben
System
verwendet; vgl. http://www.ipdb.org/machine.cgi?id=1267
Beim Flipper wird jene Filmszene der rollenden, riesigen Kugel ins Videodisplay aufgenommen, sie
begleitet dort die Funktion des Multiballs.
Die kurze Passage, in der Benjamin in „Über einige Motive bei Baudelaire“ im Kontext des Choks den
Lunapark mit der Fabrikarbeit in Beziehung setzt, erweist sich für eine Perspektive auf das in die Tradition
der Kirmes gestellten Blockbusterkino als erwähnenswerte biopolitische Ergänzung: „Was der Lunapark in
seinen Wackeltöpfen und verwandten Amüsements zustande bringt, ist nichts als eine Kostprobe der
Dressur, der der ungelernte Arbeiter in der Fabrik unterworfen wird (eine Kostprobe, die ihm zeitweise für
das gesamte Programm zu stehen hatte; denn die Kunst des Exzentriks, in der sich der kleine Mann in den
Lunaparks konnte schulen lassen, stand zugleich mit der Arbeitslosigkeit hoch im Flor).“ (Benjamin 1939:
S. 222 f.).
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7. 2 OU 3 CHOSES QUE JE SAIS D’ELLE, DVD Alive © original copyright holders.
8. 2 OU 3 CHOSES QUE JE SAIS D’ELLE, DVD Alive © original copyright holders.
9. 2 OU 3 CHOSES QUE JE SAIS D’ELLE, DVD Alive © original copyright holders.
10. 2 OU 3 CHOSES QUE JE SAIS D’ELLE, DVD Alive © original copyright holders.
11. © original copyright holders.
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15. THE ACCUSED, DVD Paramount © original copyright holders.
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17. LIEBE IST KÄLTER ALS DER TOD, DVD STUDIOCANAL © original copyright holders.
18. TOMMY, DVD Alive © original copyright holders.
19. TOMMY, DVD Alive © original copyright holders.
20. TOMMY, DVD Alive © original copyright holders.
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24. Le Billard électrique © original copyright holders.
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