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Soll ich — darf ich es wagen?

«
Und wieder schritt er unschlüssig auf und nieder, wer weiß, wie
lange noch, wäre nicht der Purpurvorhang des Eingangs leise gehoben
worden.
Ein goldschimmernder Velarius warf sich vor dem kleinen Mann zur
Erde mit auf der Brust gekreuzten Armen. »Imperator, die Patrizier, die
du beschieden.«
»Geduld«, sagte jener, sich auf die Kline mit dem Gestell von Gold
und Elfenbein niederlassend, »rasch die Silberschuhe und die Chlamys.«
Der Palastdiener zog ihm die Sandalen mit den dicken Sohlen und
den hohen Absätzen an, welche die Gestalt um ein paar Zoll erhöhten,
und warf ihm den faltenreichen, mit Goldsternen übersäten Mantel um
die Schulter, jedes Stück der Gewandung küssend, wie er es berührte:
nach einer Wiederholung der fußfälligen Niederwerfung, die in dieser
orientalischen Unterwürfigkeit erst neuerlich verschärft worden war,
ging der Velarius.
Und Kaiser Justinianus stellte sich, den linken Arm auf eine
gebrochene Porphyrsäule aus dem Tempel von Jerusalem gestützt, die zu
diesem Behuf nach seiner Größe zurechtgesägt war, in seiner
»Audienzattitüde« dem Eingang gegenüber.
Der Vorhang ging zurück, und drei Männer betraten das Gemach mit
der gleichen Begrüßungsform wie jener Sklave; und doch waren sie die
ersten Männer dieses Kaiserreichs, wie, mehr noch als ihre
reichgeschmückten Gewänder, ihre hochbedeutenden Köpfe, ihre
geistvollen Züge bewiesen.
»Wir haben euch beschieden«, hob der Kaiser an, ohne ihre demütige
Begrüßung zu erwidern, »euren Rat zu hören — über Italien. Ich habe
euch alle nötigen Kenntnisse über die Dinge daselbst verschafft: die
Briefe der Regentin, die Dokumente der Patriotenpartei daselbst: drei
Tage hattet ihr Zeit. Erst rede du, Magister Militum.«
Und er winkte dem Größten unter den dreien, einer stattlichen, ganz
in eine reichvergoldete Rüstung gekleideten Heldengestalt. Die großen,
offenen, hellbraunen Augen sprachen von Treue und Zuversicht, eine
starke gerade Nase, volle Wangen gaben dem Gesicht den Ausdruck
gesunder Kraft, die breite Brust, die gewaltigen Schenkel und Arme
hatten etwas Herkulisches, der Mund aber zeigte trotz des grimmen
Rundbartes Milde und Gutherzigkeit.

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»Herr«, sprach er mit voller, aus tiefer Brust quellender Stimme,
»Belisars Rat ist immer: greifen wir die Barbaren an. Soeben hab’ ich auf
dein Geheiß das Reich der Vandalen in Afrika zertrümmert mit
fünfzehntausend Mann. Gib mir dreißigtausend, und ich werde dir die
Gotenkrone zu Füßen legen.«
»Gut«, sprach der Kaiser erfreut, »dies Wort hat mir wohlgetan. Was
sprichst du ‘Perle meiner Rechtsgelehrten’, Tribonianus?«
Der Angeredete war wenig kleiner als Belisar, aber nicht so
breitschultrig und die Glieder nicht so sehr durch stete Übung entwickelt.
Die hohe, ernste Stirn, das ruhige Auge, der festgeschnittene Mund
zeugten von einem mächtigen Geist. »Imperator«, sagte er gemessen,
»ich warne dich vor diesem Krieg. Er ist ungerecht.«
Unwillig fuhr Justinianus auf: »Ungerecht! Wiederzunehmen, was
zum Römischen Reich gehört.«
»Gehört hat. Dein Vorfahr Zeno überließ durch Vertrag das
Abendland an Theoderich und seine Goten, wenn sie den Anmaßer
Odoaker gestürzt.«
»Theoderich sollte Statthalter des Kaisers sein, nicht König von
Italien.«
»Zugegeben. Aber nachdem er es geworden — wie er es werden
mußte, ein Theoderich konnte nicht der Diener eines Kleinern sein —,
hat ihn Kaiser Anastasius, dein Ohm Justinus, du selbst hast ihn
anerkannt, ihn und sein Königreich.«
»Im Drang der Not. Jetzt, da sie in Not und ich der Stärkere, nehm’
ich die Anerkennung zurück.«
»Das eben nenn’ ich ungerecht.«
»Du bist unbequem und unbeholfen, Tribonian, und ein zäher
Rechthaber. Du taugst trefflich, meine Pandekten zusammenzubauen. In
Politik werd’ ich dich nie wieder befragen. Was hat die Gerechtigkeit mit
der Politik zu tun!«
»Gerechtigkeit, o Justinianus, ist die beste Politik.«
»Bah, Alexander und Cäsar dachten anders.«
»Sie haben erstens ihr Werk nicht vollendet, und dann zweitens« —
er hielt inne.
»Nun, zweitens?«
»Zweitens bist du nicht Cäsar und nicht Alexander.«
Alle schwiegen. Nach einer Pause sagte der Kaiser ruhig: »Du bist
sehr offen, Tribonianus.«

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»Immer, Justinianus.«
Rasch wandte sich der Kaiser zu dem Dritten. »Nun, was ist deine
Meinung, Patricius?«

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VIERZEHNTES KAPITEL

D er Angeredete verbannte rasch von seinen Lippen ein kaltes


Lächeln, das ihm die Moralpolitik des Juristen erweckt, und
richtete sich auf.
Er war ein verkrüppeltes Männchen, noch bedeutend kleiner als
Justinian, weshalb dieser im Gespräch mit ihm den Kopf noch viel mehr
als nötig gewesen wäre, herabsenkte. Er war kahlköpfig, die Wangen von
krankhaftem Wachsgelb, die rechte Schulter höher als die linke, und er
hinkte etwas auf dem linken Fuß, weshalb er sich auf einen schwarzen
Krückstock mit goldnem Gabelgriff stützte. Aber das durchdringende
Auge war so adlergewaltig, daß es von dieser unansehnlichen Gestalt
den Eindruck des Widrigen fernhielt, dem fast häßlichen Gesicht die
Weihe geistiger Größe verlieh: und der Zug schmerzlicher Entsagung
und kühler Überlegenheit um den feinen Mund hatte sogar einen
fesselnden Reiz. »Imperator«, sagte er mit scharfer bestimmter Stimme,
»ich widerrate diesen Krieg — für jetzt.«
Unwillig zuckte des Kaisers Auge: »Auch aus Gründen der
Gerechtigkeit?« fragte er, fast höhnisch. — »Ich sagte für jetzt.« —
»Und warum?« — »Weil das Notwendige dem Angenehmen vorgeht.
Wer sein Haus zu verteidigen hat, soll nicht in fremde Häuser
einbrechen.« — »Was soll das heißen?« — »Das soll heißen: vom
Westen, von den Goten droht diesem Reiche keine Gefahr. Der Feind,
der dieses Reich verderben kann, vielleicht verderben wird, kommt vom
Osten.«
»Die Perser!« rief Justinian verächtlich.
»Seit wann«, sprach Belisar dazwischen, »seit wann fürchtet Narses,
mein großer Nebenbuhler, die Perser?«
»Narses fürchtet niemand«, sagte dieser, ohne seinen Gegner
anzusehn, »weder die Perser, die er geschlagen hat, noch dich, den die
Perser geschlagen haben. Aber er kennt den Orient. Sind es die Perser
nicht, so sind es andre, die nach ihnen kommen. Das Gewitter, das
Byzanz bedroht, steigt vom Tigris auf, nicht vom Tiber.«
»Nun, und was soll das bedeuten?«
»Das soll bedeuten, daß es schimpflich ist für dich, o Kaiser, für den
Römernamen, den wir noch immer führen, Jahr für Jahr von Chosroes,
dem Perserkhan, den Frieden um viele Zentner Goldes zu erkaufen.«

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Flammende Röte überflog des Kaisers Antlitz: »Wie kannst du
Geschenke, Hilfsgelder also deuten!«
»Geschenke! Und wenn sie ausbleiben, eine Woche nur über den
Zahltag, verbrennt Chosroes, des Cabades Sohn, deine Dörfer.
Hilfsgelder! Und er besoldet damit Hunnen und Sarazenen, deiner
Grenze gefährlichste Feinde.«
Justinian machte einen raschen Gang durchs Zimmer. »Was also rätst
du?« fragte er, hart vor Narses stehenbleibend. »Nicht die Goten
anzugreifen ohne Not, ohne Grund, wenn man sich der Perser kaum
erwehrt. Alle Kräfte deines Reiches aufzubieten, um diese schimpflichen
Tribute abzustellen, die schmählichen Verheerungen deiner Grenzen zu
verhindern, die verbrannten Städte Antiochia, Dara, Edessa wieder
aufzubauen, die Provinzen wieder zu gewinnen, die du im nahen Osten
— trotz Belisars tapfrem Schwert — verloren, deine Grenzen durch
einen siebenfachen Gürtel von Festungen vom Euphrat bis zum Araxes
zu schirmen. Und hast du dies Notwendige alles vollbracht — und ich
fürchte sehr, du kannst es nicht vollbringen! —, dann magst du
versuchen, wozu der Ruhm dich lockt.«
Justinianus schüttelte leicht das Haupt. »Du bist mir nicht erfreulich,
Narses«, sagte er bitter.
»Das weiß ich längst«, sprach dieser ruhig.
»Und nicht unentbehrlich!« rief Belisar stolz. »Kehre dich nicht,
mein großer Kaiser, an diese kleinen Zweifler! Gib mir die
dreißigtausend, und ich wette meine rechte Hand, ich erobre dir Italien.«
»Und ich wette meinen Kopf«, sagte Narses, »was mehr ist, daß
Belisar Italien nicht erobern wird, nicht mit dreißig—, nicht mit sechzig
—, nicht mit hunderttausend Mann.«
»Nun«, fragte Justinian, »und wer soll’s dann können und mit
welcher Macht?«
»Ich«, sagte Narses, »mit achtzigtausend.«
Belisar erglühte vor Zorn: er schwieg, weil er keine Antwort fand.
»Du hast dich doch bei allem Selbstgefühl sonst nie so hoch über
deinen Gegner gestellt«, sprach der Jurist.
»Und tu’s auch jetzt nicht, Tribonian. Sieh, der Unterschied ist der:
Belisarius ist ein großer Held, der bin ich nicht. Aber ich bin ein großer
Feldherr — und siehe, das ist Belisarius nicht. Die Goten aber wird nur
ein großer Feldherr überwinden.«

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