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VI.

Die griechische Tyrannis


165

1. Begriff: 6. Innenpolitik
a. Verbreitung a. Unterschichten gefördert
b. ältere und jüngere Tyrannis b. Adel geduckt: Ährengleichnis
c. Archilochos c. Verbannung
d. Wortbedeutung d. Luxusverbote
e. Selbstbezeichnung, Anrede e. Phylenreform
f. Tyrann: Interpretation f. Sozialpolitik
g. Landwirtschaft
2. Quellen h. Töpferei
a. Quellen zur älteren Tyrannis: i. Technik
j. Münzen
Syrakus
k. Steuern
b. Mutterland
c. zur jüngeren Tyrannis
d. Archäologie
7. Außenpolitik
a. Ehebündnisse, Proxenie
b. Städtegründung
3. Entstehung
c. Kriege
a. Verfassungskreislauf
d. Sizilien
b. Wachstum der Städte
Spätere Stadtkönige 8. Kulturpolitik
c. Große Kolonisation a. Bauten:
d. Handwerk und Handel b. Korinth
Hopliten-Taktik
c. Samos
e. Prosperität
d. Athen: Akropolis
f. Schiedsmänner und Tyrannen
e. Piräus, Agora
f. Sizilien
4. Beispiele g. Stiftungen
a. Korinth: Bakchiaden h. Bildende Kunst
b. Kypselos i. Spiele
c. Periander j. Religion und Theater
d. Athen: Kylon k. Literatur: Samos, Athen
e. Drakon 1. Korinth, Sizilien
f. Peisistratos m. Piaton in Syrakus
g. Vertreibung n. Renaissance
h. Hippias
i. Syrakus: Gelon 9. Niedergang
j. Hieron a. Innerer Widerstand
k. Dionysios I b. Äußerer Widerstand
1. Dionysios II c. Tyrannenmörder
m. Agathokles, Hieran II d. Widerstandsrecht
e. Tyrannentopik
5. Herrschaft
a. Funktionen u. Institutionen 10. Bedeutung
b. Zeremoniell: ältere, a. ökonomisch, sozial, politisch
c. jüngere Tyrannis b. antizipierte Demokratie
d. Dynastie c. plebiszitäre Diktatur
e. Burg d. Stesichoros
f. Leibwache und Söldner
g. Entwaffnung Literatur zu VI
167

Wenn überhaupt Unrecht getan werden


muß, lohnt es sich nurfiir die Tyrannis.
Euripides

1. Begriff
la. Der Begriff tyrannis bezeichnet eine Form monarchischer Stadtherrschaften, die im
7. Jh. aufgekommen ist, sich rasch über die griechische Welt ausgebreitet hat, im 5. Jh.
deutlich zurückgeht, dann abermals um sich greift und erst im Hellenismus verschwindet
oder zum Stadtkönigtum wird. Nur in Randgebieten konnte sie sich halten. Die Forschung
unterscheidet dementsprechend zwischen einer älteren, vorklassischen Tyrannis 1 und einer
jüngeren, nachklassischen 2 .
Ib. Die ältere Tyrannis läßt sich als Ausdruck einer Wachstumskrise beim Ubergang
von der Aristokratie zur Demokratie begreifen, während die jüngere Tyrannis eine
Zerfallskrise der Polisdemokratie anzeigt, die gegen äußere oder innere Bedrohung eines
starken Mannes bedurfte. Die zweite Krise führte in den hellenistisch-römischen Flächen-
staat. Die Tyrannis war nur möglich, bevor die Polisgesinnung erstarkt war, und erst
wieder, nachdem sie zugunsten privater Interessen erlahmt war.
ic. Die Wörter tyrannos und tyrannis fehlen noch bei Homer, sie begegnen zuerst im
7. Jh. bei Archilochos von Paros: „Mir liegt an Gyges und seinem vielen Golde nichts,
mich treibt kein Ehrgeiz. Die Werke der Götter sind mir gleichgültig, ich strebe nicht nach
einer Tyrannis, all dies liegt meinen Augen fern" 3 . Das ist insoweit untypisch, als die
Tyrannis sonst als eine höchst beneidenswerte Stellung erschien 4 . Das Wort tyrannos soll
auf den Lyder Gyges zuerst angewandt worden sein5. Es wird von Hippias 6 als „tyrrhe-
nisch" bezeichnet. Wahrscheinlich hängt es mit etruskisch turan - „Herr, Herrin" und dem
Namen des Königs Turnus zusammen 7 ; sicher ist es nicht griechisch, wahrscheinlich klein-
asiatisch 8 .
Id. Tyrannos heißt ursprünglich soviel wie „Herr", ohne negativen Akzent. Im wert-
freien Sinn begegnet tyrannos als Beiname von Göttern, so bei der ägyptischen Göttin Isis9,
bei dem kleinasiatischen Sklavengott Men Tyrannos 10 und bei Heroen (so bei »Ödipus
Tyrannos« von Sophokles), selten in der Politik". Im politischen Bereich wird das Wort seit

* 1 Berve 1967; Kinzl 1979; Stahl 1987; Barcelö 1993 * 2 Stroheker 1958; Frolov 1975; Meister
1984 * 3 So spricht bei ihm der Zimmermann Charon: Aristoteles, Rhet. 1418b; Plutarch, Mor.
470 C; Archilochos, fr. 22 (Diehl) * 4 Euripides, Phoen. 524f; ders. bei Plutarch, Mor. 18 D;
125 DE; s.o. Motto! * 5 Euphorion von Chalkis, fr. 1; in: FHG. III S. 72 * 6 Hippias, VS. 86 B 9
* 7 W. Brandenstein, RE. VII A, 1948, S. 1409 * 8 Pompeius Festus 355/534 * 9 Pfohl Nr. 136
* 10 Dittenberger Nr. 1042 * 11 Thukydides VI 59,3
168 VI. Die griechische Tyrannis

Alkaios 12 und Solon 13 abfällig gebraucht. Kein griechischer Tyrann hat sich jemals nach-
weislich selbst „Tyrann" genannt, und dies unterscheidet den Terminus tyrannos von dem
Terminus dictator, der in der Verfassung der römischen Republik ein zwar außerordent-
liches, aber eben doch gesetzmäßiges Amt, eine Magistratur, bezeichnet 14 . In der römischen
Kaiserzeit seit Constantin 15 bedeutet tyrannus soviel wie Gegenkaiser, Usurpator.
le. Nach Xenophon 1 6 herrscht ein König gesetzmäßig über Freiwillige, ein Tyrann
jedoch gesetzlos über Unfreiwillige. So ist es verständlich, wenn Polybios 17 schreibt, alle
Monarchen wollten, zu Recht oder Unrecht, Könige heißen. Demgemäß haben sich die
Tyrannen in der Regel als König (basileus n ), als Herr (despotes), oder als Herrscher
(koiranos, anassön, dynastes, archöri) anreden lassen. Gelon und Hieron nannten sich
selbst nur mit dem Namen 19 , wurden von anderen hingegen als basileus (König), söter
(Retter) und euergetes (Wohltäter) gefeiert 20 . Das nimmt geradezu hellenistische Titel
vorweg 21 .
1f . Wo der Begriff tyrannos verwendet wird, ist er stets das Ergebnis einer Interpreta-
tion. Die Tyrannis erscheint durch die Überlieferung hochgradig typisiert. Piaton, 22
Xenophon 23 und Aristoteles 24 kennzeichnen den Tyrannen dadurch, daß er ohne Rücksicht
auf die Gesetze regiere und nur für seinen privaten Vorteil arbeite. Die Tyrannis erscheint
als Frucht der Hybris und gilt allenthalben als die schlechteste aller Staatsformen, wiewohl
die Nachrichten über einzelne Tyrannen durchaus positive Züge erkennen lassen.

2. Quellen
2a. Die Quellen über die ältere griechische Tyrannis verteilen sich ungleichmäßig.
Zeitgenössisch sind Hymnen von Pindar und Bakchylides auf Hieron von Syrakus.
Xenophons Schrift »Hieron« ist ein sokratischer Dialog zwischen dem Tyrannen und dem
Dichter Simonides über die gerechte Herrschaft, ideengeschichtlich bedeutsam 25 , aber
historisch unergiebig. Nachrichten über die frühen Tyrannen Siziliens verdanken wir
Herodot aus dem 5. Jh. und Diodor aus augusteischer Zeit, vermutlich weitgehend nach
dem verlorenen Werk des Timaios. Dieser war ein Sohn des Tyrannen von Tauromenion 26 ,
wurde von Agathokles verbannt und lebte später in Athen.
2b. Zeitgleiche historiographische Berichte fehlen für das Mutterland; die erhaltenen
Texte sind mindestens ein Jahrhundert von den Ereignissen getrennt. Am besten dokumen-
tiert ist die Herrschaft der Peisistratiden in Athen, namentlich durch Herodot und
Thukydides, sowie durch Aristoteles' »Politik« und »Athenaion Politeia«. Vereinzelte
Nachrichten liefern Piaton und Plutarch. Die Herrschaft der Kypseliden in Korinth wird
von den genannten, auf Athen fixierten Gewährsmännern nur am Rande erwähnt. Von

* 12 Alkaios, fr. 87 (Diehl) über Pittakos von Mytilene * 13 Plutarch, Sol. 14 * 14 Livius XXVII
35,1 * 15 Dessau Nr. 694 * 16 Xenophon, Mem. IV 6,12 * 17 Polybios VI 3,10 * 18 Pindar,
Pyth. I 60; III 70; ders., Olymp. I 23; Herodot III 42; V 35; 44; 113; VI 23; VII 161; Polybios
VII 8; Diodor XI 26,6; 38,2; 51; Photios 224 B 5; Nicolaus Damascenus 23 (59) bei Constanti-
nus Porphyrogenitus, Excerpta histórica II 1, S. 342; Suidas, Beta 144 * 19 Meiggs Nr. 28 ff
* 20 Diodor XI 26,6 * 21 s. u. X 4 k! * 22 Platón, Staat IX, passim * 23 Xenophon, Hieron,
passim; ders., Mem. IV 6,12 * 24 Aristóteles, Politik 1279 b 5; 1293 b 25; 1295 a * 25 Strauss +
Kojéve 1948/63 * 26 Plutarch, Timoleon 10
3. Entstehung 169

Periander schrieb Diogenes Laertios 27 eine Philosophenbiographie. Er gehörte zu den


Sieben Weisen.
2c. Der Schwerpunkt der jüngeren Tyrannis liegt in Sizilien. Zeitgenössische Berichte
haben wir in den echten Briefen Piatons, namentlich dem 7., 8. und 3. Eine zusammenfas-
sende Darstellung überliefert Diodor 28 . Dessen Geschichte Siziliens benutzten Plutarch für
die Viten von Dion und Timoleon, ebenso Pseudo-Aristoteles in den »Oeconomica« und
Nepos in seiner lateinischen Kurzbiographie von Dion. Plutarch hat keinen Tyrannen einer
Biographie gewürdigt.
2d. Inschriften von Tyrannen trugen deren Weihgeschenke, soweit man sie nicht später
entfernt hat 29 . Die sizilischen Münzen 30 sind künstlerisch unübertroffen, lassen aber nicht
erkennen, ob sie unter Tyrannen oder in Demokratien geprägt wurden. Das „Demara-
teion" heißt nach Gelons Frau Demarete. Sie stiftete das Edelmetall; daß sie selbst
dargestellt sei, ist nicht überliefert 31 . Die Münzen zeigen vielmehr die Stadtgöttin von
Syrakus, Arethusa-Artemis. Eindrucksvoll sind die Reste der Bauten 32 .

3. Entstehung
3a. Piaton 33 und Aristoteles 34 haben die Entstehung der Tyrannis aus dem Verfassungs-
kreislauf erklärt 35 . Am Anfang hätten Könige regiert, die sich durch Leistung ausgezeichnet
hätten. Ihre Nachkommen aber wären degeneriert. Die besseren Bürger wollten sich eine
korrupte Alleinherrschaft nicht gefallen lassen und hätten statt der Monarchie die
Aristokratie durchgesetzt. Nachdem die Adligen dann über die Anarchie die Herrschaft in
den Händen hielten, hätten sie diese zur persönlichen Bereicherung mißbraucht, und die
Aristokratie sei zur Plutokratie, die Herrschaft der Besten zur Herrschaft der Reichen
abgesunken. Dagegen seien als Führer der Unzufriedenen Tyrannen aufgestanden, bis sie
ihrerseits ihre Stellung mißbrauchten und der Demokratie Platz machen mußten. Die
immer extremere Demokratie führte dann über anarchische Gruppenkämpfe zum Sieg des
geschicktesten Parteiführers 36 . So erscheint die Tyrannis in der Folge der Verfassungen
zweimal: am Anfang und am Ende der Demokratie.
3b. Für die neuere Geschichtswissenschaft, die sich an Thukydides 37 anlehnt, bietet sich
ein etwas anderes Bild. Das Aufkommen von Tyrannen-Herrschaften sieht sie im Zusam-
menhang mit dem Wachstum der Städte. Die Siedlung in Dörfern verlor an Bedeutung; seit
dem 9./8. Jh. dominiert die Stadt im griechischen Siedlungsbild. Nur die abgelegenen und
zurückgeliebenen Landschaften hielten an der dörflichen Struktur fest. In den Städten gab
fortan der Adel den Ton an, Könige hielten sich nur in Randgebieten. In Kyrene endet die
Herrschaft der Battiaden um 450 v. Chr.; auf Cypern behaupteten sich Stadtkönige bis in
den Hellenismus; 38 in Pantikapaion auf der Krim regierte die als gerecht gerühmte Dynastie
der Spartokiden bis etwa 100 v. Chr.; 39 in Skepsis in Phrygien überlebte die Königsfamilie
den Übergang in die Aristokratie und die Demokratie. 40

* 27 Diogenes Laertios I 7 * 28 D i o d o r X I I I - X V I * 29 s.u. 5 b! 8 i! * 30 B M C . 2, Sicily


* 31 D i o d o r XI 26,3 * 32 s.u. 8 a - f ! * 33 Piaton, Staat VIII f * 34 Aristoteles, Politik 1286 b
* 35 D e m a n d t 1993, S . 8 6 f f ; 210ff * 36 A n o n y m u s Jamblichi, VS. 89,7,12 * 37 Thukydides I 13
* 38 G . H i l l , A History of Cyprus, I 1949, S. 156 ff * 39 Aeneas Tacticus V 2; Aelian, Var. hist. V I 1 3 ;
Strabon VII 4,4 * 40 Strabon XII 1,52
170 VI. Die griechische Tyrannis

Abb. 10.
3. Entstehung 171

3c. Zur gleichen Zeit vollzog sich eine Bevölkerungszunahme. Es kam zur großen
griechischen Kolonisation, die teils vom Mutterland, teils von den älteren Kolonien in
Kleinasien (namentlich von Milet 41 ) und der Ägäis (insbesondere von Euboia 42 ) ausging.
Zwischen 750 und 550 wurden viele Tochterstädte in Unteritalien und Sizilien gegründet,
weitere entstanden an der französischen und spanischen Mittelmeerküste, einige auch in der
Kyrenaika, an der Südküste Kleinasiens, im Marmarameer und im Pontos-Raum. Schließ-
lich saßen die Griechen, nach dem Wort Piatons, 43 um das Mittelmeer herum wie die
Frösche um einen großen Teich.
3d. Mit dem Fortschritt des Handwerks nahm die Sklaverei zu, weitete sich der Handel
aus. Neue, bürgerliche Schichten wurden reich, der grundbesitzende Adel verlor an Einfluß.
Dies gilt auch im Kriegswesen. Spielten in der frühgriechischen Welt erst die Streitwagen
und später die Reiterei militärisch die wichtigste Rolle, so gewann seit etwa 700 die
geschlossene Schlachtreihe (phalanx) schwer gepanzerter Hopliten (Fußkämpfer) Bedeu-
tung, in der die begüterten Bürger kämpften. Die Phalanx gibt es zwar schon bei Homer, 44
doch spielte sie damals nur eine sekundäre Rolle gegenüber den Wagenkämpfern. Die
Phalanx-Taktik, von Tyrtaios 45 um 650 beschrieben, blieb in kaum veränderter Form durch
die ganze Antike führend, bis der Verfall der Disziplin in der Spätantike der Reiterei wieder
das Übergewicht verschaffte.
3e. Die Verbindung zwischen Tyrannis und wirtschaftlicher Prosperität zeigt sich
deutlich an der Verbreitung dieser Herrschaftsform. Sie taucht auf in den am weitesten
entwickelten Städten: Zuerst auf dem Festland, in Korinth und Sikyon um 660, seit 615 mit
Panaitios von Leontinoi auf Sizilien458, um 560 folgt Athen, sodann finden wir Tyrannen
auf den Inseln, in Samos, in Kleinasien, vor allem in Milet und im weiteren Kolonialgebiet.
Thukydides 46 betrachtete die Tyrannis als Folge des Wohlstands in den Städten.
3f. Der Übergang der Vorherrschaft vom grundbesitzenden Adel auf das gewerbe-
treibende Bürgertum vollzog sich nicht reibungslos. Es kam zu bürgerkriegsähnlichen
Situationen (stasis), die entweder friedlich durch Schiedsmänner (diallaktes, aisymnetes)
oder gewaltsam durch Tyrannen an der Spitze der Unzufriedenen gelöst wurden. Die
Volkswahl für Schiedsrichter bei Wettkämpfen kannte schon Homer 47 , möglicherweise
gab der Sport das Modell für die Entscheidung von Streitfällen. Die Befugnisse dieser
Aisymneten gingen weit. Aristoteles 48 nennt sie „gewählte Tyrannen" und verweist auf
Pittakos von Mytilene, der zum Alleinherrscher gewählt worden war (587-579), um die
Rückkehr der verbannten Adligen zu verhindern, und sich von diesen als Tyrann von
miserabler Geburt beschimpfen lassen mußte 49 . Pittakos benutzte seine Tyrannis, um die
Oligarchie in eine Demokratie zu überführen. Er war sozusagen Solon, Peisistratos und
Kleisthenes in ein und derselben Person und verkörpert so die kürzeste Form der Ent-
wicklungsfunktion der Tyrannis. 50 Mit Recht gehört er neben Solon, Periander und
Peisistratos zu den Sieben Weisen.51

* 41 Strabon XIV 1,6 * 42 Strabon X 1,9 * 43 Piaton, Phaidon 109 b * 44 Homer, Ilias VI 6;
XI 90; XVI 215 * 45 Tyrtaios, fr. 8,35 ff (Diehl) * 45 a Eusebios-Hieronymus Chron. z. J.
* 46 Thukydides 1 1 3 * 47 Homer, Odyssee VIII 258 f * 48 Aristoteles, Politik 1285 a * 49 kako-
patris, Alkaios, fr. 87 (Diehl) * 50 Strabon XIII 2,3 * 51 Pausanias I 23,1; Snell 1971
ìli VI. Die griechische Tyrannis

4. Beispiele
4a. Die Geschichte der griechischen Tyrannis läßt sich an drei Städten besonders gut
ablesen: an Korinth, an Athen und an Syrakus. Korinth trägt zwar einen vorgriechischen
Namen, gewann aber Bedeutung erst durch den Zuzug von Doriern, vielleicht aus Argos 52 ,
um 900 v. Chr. Homer 53 betont den Reichtum der Stadt. Hier war das Königtum abgelöst
worden durch eine Aristokratie, innerhalb deren das Geschlecht der Bakchiaden seit dem
8. Jh. fünf Generationen lang 54 eine führende Stellung einnahm 55 . Aus ihren 200 Mitglie-
dern wählten sie jährlich einen Mann, der die königliche Macht ausübte 56 . Diese Herren
gründeten 734 Syrakus 57 und Kerkyra 58 . exportierten Vasen und waren vor allem im
Schiffsbau führend. Sie bauten Schiffe, auch für andere Städte, um 704 für Samos 59 . Die
älteste Seeschlacht soll um 660 zwischen Korinth und Kerkyra ausgetragen worden sein60.
4b. 657 kam es zum Staatsstreich des Kypselos 61 . Dieser Mann, von väterlicher Seite
her Arkadier 62 , über seine Mutter mit den Bakchiaden verwandt 63 , gehörte zu einer
benachteiligten Gruppe innerhalb des Adels und zeichnete sich zunächst als Polemarch
aus 64 . Mit dem dabei gewonnenen Anhang, d. h. den als Hopliten dienenden Bauern und
Handwerkern, vertrieb er die angeblich im Luxus verweichlichten 65 Bakchiaden und
errichtete eine dreißigjährige Tyrannis 66 . Die Angehörigen seiner Dynastie bezeichneten
sich selbst als Kypselidai61.
4c. Unter seinem Sohn Periander (625-585) erlebte die Stadt ihre Blüte; die auswärti-
gen Verbindungen reichten bis Ägypten. Daran erinnert der Name seines Neffen und
Nachfolgers Psammetich, mit dessen Sturz durch die inzwischen reichgewordenen Bürger
584 die Tyrannis in Korinth endete 68 . Sie hat sich hier 73 Jahre gehalten, länger dauerte sie
nur in Sikyon, dort genoß sie etwa 100 Jahre einen guten Ruf 6 9 .
4d. In Athen brachen die Spannungen später aus. Der erste Versuch, hier eine Tyrannis
zu errichten, stammt von Kylon. Dieser Athener hatte sich im Jahre 640 durch einen
olympischen Sieg einen Namen gemacht, die Tochter des Tyrannen von Megara geheiratet
und besetzte die Akropolis. Das Volk unterstützte ihn jedoch nicht, sondern folgte noch
den Alkmaioniden, jenem mächtigsten athenischen Adelsgeschlecht. Kylon wurde vertrie-
ben, seine Anhänger mußten sterben, obwohl sie das Asyl Athenas beanspruchten. Diese
Verletzung des Asylrechtes wurde den Alkmaioniden immer wieder vorgehalten 70 .
4e. Die nächsten Sturmzeichen waren die Gesetzesaufzeichnungen Drakons 62171 und
die Wirren, die zur Verfassungsreform Solons im Jahre 594/3 führten 72 . Auch Solon
verdankt seinen Ruhm Erfolgen im Kriege, und zwar dem gegen Megara um Salamis 73 .
Solon hätte sich, wie er schreibt, zum Tyrann machen können, das aber widersprach seinem
Gewissen 74 .

* 52 Pausanias II 4,2 * 53 Homer, Ilias II 570 * 54 Pausanias II 4,3 f * 55 Strabon VIII 6,20
* 56 Diodor VII 9,6 * 57 Thukydides VI 3,1 * 58 Strabon VI 2,4 * 59 Thukydides I 13,3: 300
Jahre vor dem Ende „dieses" Krieges * 60 Thukydides I 13,4 * 61 Diodor VII 9,3 * 62 Pausa-
nias V 18,7 * 63 Herodot V 92 * 64 Nikolaos von Damaskus 22 bei Constantinus Porphyro-
genitus, Excerpta histórica III S . 2 0 f * 65 Aelian, Var. hist. I 19 * 66 Herodot V 92; Diodor VII 9
* 67 Pfohl Nr. 40 * 68 Nikolaos von Damaskus 23 bei Constantinus Porphyrogenitus, Excerpta
histórica III S. 21 f; Eusebios-Hieronymus, Chron. zu 588 * 69 Aristoteles, Politik 1315 b; Strabon
VIII 6,25 * 70 Herodot V 71; Thukydides I 126; Plutarch, Sol. 12 * 71 Aristoteles, Ath. Pol. 4
* 72 Aristoteles, Ath. Pol. 5ff; Plutarch, Sol. 14ff * 73 Plutarch, Sol. 8 * 74 s.u. VII 4!
4. Beispiele 173

4f. Im Jahre 582 kam es zu einem zweiten vergeblichen Versuch, eine Tyrannis zu
errichten, unter dem Archonten Damasias. 75 Erfolg hatte erst 561 Peisistratos 75a . Er führte
seinen Stammbaum auf den gleichnamigen Sohn Nestors zurück 76 , mütterlicherseits war er
mit Solon verwandt 77 . Auch Peisistratos begann seine politische Laufbahn durch militäri-
sche Auszeichnungen, ebenfalls im Kampf gegen Megara 78 . In den innerattischen Ausein-
andersetzungen standen sich damals die Bewohner der Ebene unter dem Eteobutaden
Lykurg und die Bewohner der Küste unter dem Alkmaioniden Megakles gegenüber.
Peisistratos führte eine dritte Gruppe, die bei Herodot 79 als hyperakrioi, bei Aristoteles 80
und Plutarch 81 als diakrioi bezeichnet wird und sich anscheinend aus dem bergigen Norden
Attikas rekrutierte. Möglicherweise handelte es sich bei diesen, schon für die Zeit Solons
bezeugten 82 Fraktionen um sozialökonomische Interessengruppen: in der Ebene die
Grundbesitzer, an der Küste Handwerker und Händler, in den Bergen Hirten und
Kleinbauern. Jedenfalls heißt es von Peisistratos, er sei besonders volksnah eingestellt
gewesen, und diese Linie entspricht seiner späteren Politik.
4g. Nachdem er 560 seine Macht durch eine Leibwache gesichert hatte, regierte er
zunächst 5 Jahre. Dann wurde er vertrieben, aber bald danach zurückgerufen, weil selbst
die Alkmaioniden ohne ihn nicht fertig wurden. Aber er zerstritt sich wiederum mit ihnen
und mußte abermals gehen. Mit Hilfe seiner Gold- und Silberbergwerke in Thrakien 83 schuf
er sich eine Machtbasis, warb Söldner an, entwickelte ein weitgespanntes Netz außenpoliti-
scher Verbindungen 84 und ergriff 546 nach einem Sieg über die Aristokraten ein drittes Mal
die Herrschaft über Athen und Attika. Peisistratos regierte fortan unangefochten als
Volksführer {prostates tou démoiìf5. Seine Gärten öffnete er allen 86 , den Späteren schien
seine Regierung eine Goldene Zeit 87 . Plutarch überliefert eine Reihe von Anekdoten, aus
denen die Weisheit des Tyrannen spricht 88 .
4h. Peisistratos vererbte die Herrschaft seinem Sohn Hippias, der von 528 bis 510 an
der Macht war. Als Symptom für den Widerstand gegen das Regiment wird die Ermordung
Hipparchs, eines Bruders von Hippias durch die sog. Tyrannenmörder Harmodios und
Aristogeiton im Jahre 514 gewertet 89 . Die Vertreibung gelang jedoch erst, als sich die
Alkmaioniden mit den Spartanern verbündeten und die Akropolis belagerten 90 . In den
folgenden sozialen Konflikten, die zur Reform des Kleisthenes führten, zeigte sich die
Wirkung des Peisistratidenregiments auf die Entwicklung der Stadt. Sie erscheint in der
neuen Phylenordnung neben Küste und Binnenland als eigener Faktor, während in den
Kämpfen, die Peisistratos an die Macht gebracht hatten, zwar an der Küste, in der Ebene
und auf den Bergen sich Parteien bildeten, noch nicht jedoch in der Stadt 91 .
4i. Wie in Athen, so entstand auch in Syrakus die Tyrannis aus einem sozialen
Konflikt. Syrakus, aus fünf Städten zusammengewachsen 92 , war die größte Stadt der
griechischen Welt 93 . Als Tochterstadt von Korinth 94 hatte sie eine aristokratische Verfas-
sung, gegen die sich um das Jahr 485 das Volk und die Sklaven erhoben. Der „grundbesit-

* 75 Aristoteles, Ath. pol. 13 * 75a Euseb. Chron. z. J. * 76 Herodot V65; Homer,Odyssee XV 46


* 77 Plutarch, Sol. 1 * 78 Herodot I 59; Aristoteles, Ath. pol. 14,1; 17,2; Plutarch, Sol. 8
* 79 Herodot I 59 * 80 Aristoteles, Ath. pol. 13,4 * 81 Plutarch, Sol. 29 * 82 Plutarch, Mor. 805
DE * 83 s. u. 6i! * 84 s. u. 7 b! * 85 Aristoteles, Ath. pol. 28,2 * 86 Athenaios 532 F * 87 Ari-
stoteles, Ath. pol. 16,7 * 88 Plutarch, Mor. 189 B-D * 89 s. u. 9 c! * 90 Herodot V 62fT
* 91 Aristoteles, Ath. pol. 13,14; 21,4 * 92 Strabon VI 2,4 * 93 Diodor XIII 96,4 * 94 Thuky-
dides VI 3,1
174 VI. Die griechische Tyrannis

zende" Adel (gamoroi) wurde vertrieben und fand Hilfe bei Gelon. Er war Sohn des
Deinomenes 95 , nach dem die ganze Dynastie „Deinomeniden" heißt. Gelon war als
Reiterführer des Tyrannen von Gela zu dessen Nachfolger aufgestiegen. Er führte nun die
Gamoren nach Syrakus zurück 96 , regierte als strategos autokratör milde und gerecht97 und
brachte die Stadt zu hoher Blüte. Seinen Gegnern stellte er sich, indem er seinen Rücktritt
anbot, wodurch er nur umso mehr geliebt wurde 98 . Im Jahre 480 besiegte er gemeinsam mit
seinem Schwiegervater Theron von Akragas die Karthager unter Hamilkar bei Himera"
und war damit der mächtigste Mann der griechischen Welt. Seine Frau Demarete
vermittelte den Frieden mit Karthago 100 . Nach dem Sturz von Dionysios II 345 wurden alle
Tyrannenstatuen eingeschmolzen außer denen von Gelon 101 .
4j. Ihm folgte 478 sein Bruder Hieron I, der zuvor Gela beherrscht hatte 102 . Er schlug
die Etruskerflotte bei Cumae 474103, weitete seine Macht durch Annexion und Kolonisation
aus und hielt einen glänzenden Hof. Er bescherte der Stadt einen langen Frieden 104 . Die
Taten von Theron, Gelon und Hieron wurden nach ihrem Tode besungen 105 . Der dritte
Bruder Thrasybulos, der als hart galt und Söldner einsetzte, wurde vertrieben 106 . Es folgte
von 466 bis 406 eine demokratische Phase.
4k. Die jüngere Tyrannis in Syrakus setzte ein, als die Karthagergefahr erneut einen
Retter verlangte. 406 ließ sich Dionysios I zum strategos autokratör wählen, erhielt eine
Leibwache und setzte sich gegen den Widerstand der Oberschicht durch 107 . Seine Kriege
gegen Karthago verliefen wechselhaft, zeitweise verfügte er über die Hegemonie Siziliens
und Unteritaliens. Unter allen griechischen Tyrannen war er zweifellos der mächtigste 108 .
41. Nach einer Regierung von 38 Jahren 109 folgte ihm 367 sein Sohn Dionysios II110, der
durch seine vorübergehende Freundschaft zu Piaton 111 berühmt geworden ist. Piatons
wirklicher Freund in Syrakus war jedoch Dion 112 , der mit karthagischer Hilfe 357
Dionysios vertrieb. Dion wurde nolens volens seinerseits Tyrann 113 , endete durch Mord, und
Dionysios II kehrte zurück. 345 wurde er von den Syrakusanern und Korinthern unter
Timoleon abgesetzt und nach Korinth gebracht 114 . D a r a u f h a b e n die Syrakusaner an der
Frau und den Kindern des Tyrannen eine beispiellos grausame Rache genommen 115 .
4m. Im Jahre 317 kam es zum dritten Male zur Errichtung einer Tyrannis, als sich
Agathokles gegen die drohenden Karthager zum Oberfeldherrn erheben ließ116. 304 nahm
Agathokles den Königstitel an117, so wie dies kurz zuvor die Nachfolger Alexanders getan
hatten, und seitdem betrachteten sich die Herren von Syrakus als Könige. Hieron II
(275-215) 118 lieferte 264 den Anlaß zum ersten Punischen Krieg 119 ; die Herrschaft seiner
Nachfolger, die sich an Karthago anlehnten, wurde 212 durch die Römer gebrochen 120 .

* 95 Diodor XI 67,2 * 96 Herodot VII 155f * 97 Diodor XI 26,4; 38,1; 67,2 f * 98 Diodor XI
26,5; 38; Aelian, Var. hist. VI 11; XIII 37 * 99 Herodot VII 165 ff; Diodor XI 20ff * 100 Diodor
XI 26,3 * 101 Dion Chrysostomos, or. 37, 21 * 102 Herodot VII 156; Eusebios, Chron. z.J.
* 103 Diodor XI 51 (nennt Hieron basileus); Meiggs Nr. 29 * 104 Polybios VII 8 * 105 Arrian
I 12,2 * 106 Diodor XI 66,4; 68,5ff * 107 Diodor XIII 94f * 108 Isokrates or. V 65 * 109 Cicero,
Tuse. V 57 * 110 Diodor XIII 96,4; XV 74,5 * 111 Piaton, ep. VII 327 D * 112 Plutarch, Dion
passim-, Burckhardt, GK. I S. 184ff * 113 Nepos, Dion 6f * 114 Plutarch, Tim. 13; Diodor XVI 70;
s.u. 8m! * 115 Plutarch, Tim. 13; ders., Mor. 821 D; Aelian, Var. hist. VI 12; IX 8 * 116 Diodor
XIX 1 - 9 * 117 Diodor XX 54,1 (falsch eingeordnet) * 118 Polybios I 8,3 ff * 119 Polybios I
10,7ff * 120 Polybios VIII 37; Plutarch, Marcellus 13ff
5. Herrschaft 175

5. Herrschaft
5a. Die Tyrannen herrschten wie Könige. Sie waren zumeist begabte Militärs und
führten das Heer, bestimmten die Amtsträger, machten Innen- wie Außenpolitik und
sprachen Recht in höchster Instanz 121 . Mit den jeweils vorgefundenen Institutionen sind sie
in der Regel behutsam verfahren, Verfassungsänderungen haben sie vermieden. Die
solonischen Gesetze blieben unter den Peisistratiden in Geltung 122 ; Solon erhielt nach
seinem Tode unter Peisistratos sogar eine Ehrenstatue auf der Agora 123 . Wahrscheinlich
stammen das älteste Rathaus Athens 124 und der Bau für das Volksgericht 125 aus der
Peisistratidenzeit. Wie in Korinth, so wurden in Athen Jahr für Jahr die Oberbeamten vom
Volk gewählt, wobei Peisistratos selbst126 oder seine Anhänger ins Archontat kamen 127 .
Peisistratos hat ebenso den alten Adelsrat, den Areiopag, bestehen lassen; von einem
Bürger verklagt und vorgeladen, soll er sich dort in eigener Person verteidigt haben 128 .
Gelon 129 , Dionysios I130 und Agathokles 131 haben bisweilen die Volksversammlung einberu-
fen; die Kommandos vergab Dionysios an Familienmitglieder und Freunde 132 . Wahlen und
Beschlüsse erfolgten wie zuvor. Nach seinem Tode übernahm sein Sohn die Herrschaft
durch Volksbeschluß 133 .
5b. Der Tyrann besaß weder, wie der gewählte Aisymnet 134 oder der römische dicta-
torni ein demokratisches Amt noch, wie der dynastisch legitimierte König, eine monarchi-
sche Würde, sondern eine bloße Machtposition. Dies bezeugt die kaum entwickelte sakrale
und zeremonielle Seite. Trotz mancher Anleihen bei den orientalischen Fürsten der Zeit 136
finden wir bei den frühen Tyrannen im allgemeinen keine Herrschaftsattribute wie Purpur
und Krone, Szepter und Thron 137 , keine ruhmredigen Inschriften 138 , keine Münzbilder,
keine Proskynese, kein Gottesgnadentum, keine Mausoleen 139 . Die heroischen Ehren, die
Gelon nach seinem Tode erhielt, werden auf seine Beliebtheit zurückgeführt 140 , während
Hieron schon zu Lebzeiten heroisiert werden wollte 141 . Peisistratos hat sich allerdings bei
seiner ersten Rückkehr von Athena, vertreten durch das Blumenmädchen Phye142, geleiten
lassen, später gibt es den Hauspriester Onomakritos am Hofe, der eine Sammlung von
Orakeln besaß, denn wie die Könige von Sparta so haben auch die Tyrannen von Athen mit
Göttersprüchen Politik gemacht 143 .
5c. Erst die späteren Tyrannen von Kleinasien und Sizilien entwickelten ein regelrech-
tes Hofzeremoniell. Dionysios I soll ein langes Gewand, einen goldenen Kranz und einen
„tragischen" Mantel angelegt haben 144 . Er fuhr, von seiner Garde du Corps geleitet, in
einem weißen Viergespann durch die Stadt 145 und ließ sich als Dionysos darstellen 146 . Der

* 121 Dionysios I: Plutarch Mor. 175 E; anders Peisitratos s.u. * 122 Herodot I 59; Thukydides
VI 54,6; Aristoteles, Ath. pol. 16; Plutarch, Soi. 31 * 123 Aelian, Var. hist. VIII 16 * 124 Buleu-
terion: Camp 1989, S.44 * 125 Heliaia: Camp 1989, S.54f * 126 Thukydides VI 54,7 * 127 Thu-
kydides VI 56 * 128 Aristoteles, Ath. pol. 16 * 129 Diodor XI 26,5 * 130 Diodor XIV 64ff
* 131 Diodor XIX 9,1 * 132 Diodor XIV 63,4; XV 7,4 * 133 Diodor XVI 4f * 134 Aristote-
les, Pol. 1285a 30; s. o. 3f! * 135 s. u. XIII 8 n! * 136 Fadinger 1993 * 137 Livius XXIV 5
* 138 Meiggs Nr. 28f * 139 Diodor XI 38,2ff * 140 I.e. XI 38,5 * 141 I.e. XI 49,2 * 142 Hero-
dot I 60; Aristoteles, Ath. pol. 14. Phye wurde die Frau von Hipparchos: Athenaios 609 CD.
Zu einer möglichen Vasendarstellung: J. Boardman, Herakles, Peisistratos and Sons, Revue Ar-
chéologique 1, 1972, S. 57 ff * 143 Herodot VII 6 * 144 Athenaios 535 E * 145 Livius XXIV 5
* 146 Dion Chrysostomos, or. 37,21
176 VI. Die griechische Tyrannis

Scheiterhaufen, den sein Sohn nach seinem Tode für ihn errichtete, war ein Wunderwerk 147 .
Dionysios II nannte sich einen Sohn Apollons 148 . Klearch (gest. 352), ein Bewunderer des
älteren Dionysios 149 , trat in Herakleia Pontika als Sohn des Zeus auf, mit Purpurmantel,
Goldkranz und Adler 150 . Agathokles verzichtete auf ein Diadem, obschon er sich seit 304
als König ausgab 151 . Er trug stattdessen den „königlichen" Purpurmantel 152 , einen Myr-
tenkranz, angeblich um seine Kahlheit zu verbergen 153 . Lysias von Tarsos bevorzugte einen
goldenen Lorbeerkranz 154 . Der Ring des Polykrates trug nach mediterraner Sitte das
Emblem des Herrschers 155 . Auch Hermias von Atarneus (gest. 344) beglaubigte seine
Befehle durch seinen Siegelring156. Er nannte in seinen Urkunden neben sich auch seine
„Gefährten" (hetairof51).
5d. Fast alle Tyrannen stützten sich auf Familienangehörige 158 und versuchten, Dyna-
stien zu bilden 159 . So wie die alten Stadtkönigtümer der Herakliden in Sparta und der
Battiaden in Kyrene, so haben Tyrannenfamilien wie die Orthagoriden in Sikyon, die
Kypseliden in Korinth, die Peisistratiden in Athen, die Deinomeniden und später die
Dionyse in Syrakus eine erbliche Herrschaft angestrebt. Dies ist jedoch spätestens in der
dritten Generation gescheitert. Eine rühmliche Ausnahme bildet Agathokles, der auf dem
Totenbett den Syrakusanern die Demokratie zurückgab 160 . Dauerhafte Dynastien entstan-
den erst, als die jüngere Tyrannis unter hellenistischem Einfluß sich in ein Stadtkönigtum
verwandelte.
5e. Die Tyrannen residierten gewöhnlich in der Stadtburg, der jeweiligen Akropolis.
Dies gilt vermutlich für die Peisistratiden in Athen 161 , sicher für Polykrates in Samos 162 , für
kleinasiatische Herren 163 und für die Tyrannen in Akragas 164 und Syrakus. Sie wohnten in
der Burg auf der Wachtelinsel Ortygia 165 . Ausgegraben wurde der Tyrannenpalast in Larisa
am Hermos 166 .
5f. Dem Militärwesen galt die besondere Aufmerksamkeit der Tyrannen. Polykrates
besaß die stärkste Flotte in der Ägäis 167 . Dionysios II verfügte über 400 Schiffe, 100.000
Fußkämpfer und 9.000 Reiter 168 . Es gab Tyrannen, die auf eine Garde verzichten konnten,
wie Kypselos in Korinth 169 und Agathokles in Syrakus 170 , und solche, die sich mit
Anhängern aus der Bürgerschaft umgaben, wie Peisistratos mit den 50 „Keulenträgern",
die später auf 300 vermehrt wurden 171 . Seine dritte Machtergreifung hat er mit Soldtruppen
bewerkstelligt 172 , gewiß kein sympathischer Zug, aber auch der Sturz der Peisistratiden war
nur durch auswärtige Truppen zu erreichen. In jedem Falle ist eine solche Haustruppe seit
Periander mit seinen 300 Speerträgern 173 ein gewöhnliches Machtinstrument der Tyran-
nen 174 . Die Leibwächter von Phalaris in Akragas trugen eine graue Uniform. Die Tracht

* 147 Athenaios 206 E * 148 Plutarch, Mor. 338 B * 149 Diodor XV 81,5 * 150 Justin XVI 5,9 f
* 151 Diodor XX 54,1 * 152 I.e. XX 34,3; 5 * 153 Aelian, Var. hist. XI 4 * 154 Athenaios 215 C
* 155 Diogenes Laèrtios I 57; Strabon XIV 1,16 * 156 Diodor XVI 52,6; Strabon XIII 1,57;
Polyaen VI 48 * 157 Tod Nr. 165 * 158 Polyaen I 23 * 159 Diodor XXI 16,3; Justin XVI 5,18;
Nikolaos von Damaskus 23 bei Constantinus Porphyrogenitus, Excerpta historica II 1, S. 342
* 160 Diodor XXI 16,4 * 161 Herodot I 59; V 64; Aristoteles, Ath. Pol. 14f * 162 Sueton, Calig. 21
* 163 Justin XVI 4,11 * 164 Polyaen V 1,1 * 165 Diodor XIV 7,3; Livius XXIV 5: regia
* 166 J. Boehlau + K.Schefold, Larisa am Hermos, I 1940 * 167 Thukydides III 104 * 168 Aelian,
Var. hist. VI 12 * 169 Aristoteles, Politik 1315 b. Anders Kypselos' Sohn Periander: Herodot V 92
* 170 Diodor XIX 9,7 * 171 Aristoteles, Ath. pol. 14; Plutarch, Sol. 30 * 172 Aristoteles, Ath.
pol. 15 * 173 Nikolaos von Damaskus 23 bei Constantinus Porphyrogenitus, Excerpta historica II 1,
S. 342; Diogenes Laèrtios I 98 * 174 Diodor XXII 5,2; Livius XXIV 5
6. Innenpolitik 177

wurde nach seinem Tode verboten 175 . Dionysios I hielt eine landfremde Leibwache 176 und
kämpfte mit campanischen und keltischen Söldnern 177 . Aristoteles erklärte dies für typisch
tyrannisch, doch gilt das erst für die spätere Zeit. Den Dionysen von Syrakus wird eine
regelrechte Polizeiherrschaft nachgesagt, die Bürger seien bespitzelt worden, Tischgemein-
schaften (Syssitien) und Clubs (Hetairien) hätten den Verdacht der Tyrannen geweckt, die
Erziehung sei überwacht worden 178 .
5g. Die Bürger wurden in der Regel entwaffnet, die Waffen unter Verschluß genom-
men 179 . Dies entsprang wohl der Furcht der Tyrannen vor Widerstand, entspricht aber
einer allgemeineren Entwicklung zu einem staatlichen Waffenmonopol und zu einer
Zivilisierung der Bürgerschaft. Das öffentliche Auftreten in Waffen war auch in Sparta
nicht üblich und galt in klassischer Zeit als Merkmal zurückgebliebener Bergvölker 180 .

6. Innenpolitik
6a. Machtgrundlage der Tyrannen war gewöhnlich zunächst ihr Anhang bei den
Unterschichten, die sie an die Herrschaft gebracht hatten. Aristoteles 181 stellt dies als Regel
hin und führt die Maßnahmen gegen die Reichen auf, die für Peisistratos, Dionysios und
Theagenes von Megara überliefert sind. Es heißt, daß generell Frauen und Sklaven, also
stets die Benachteiligten, auf Seiten der Tyrannen gestanden hätten 182 . Klearch von
Herakleia am Pontos vertrieb die Adligen und gab deren Frauen an ihre Sklaven 183 .
Dionysios I hat Tausende von Sklaven freigelassen und Neubürger aufgenommen, die ihm
ergeben waren 184 . Zugunsten der kleinen Handwerker begrenzten die Kypseliden die
Sklaveneinfuhr nach Korinth 185 , hier war das Handwerk weniger verachtet als in anderen
griechischen Städten 186 . Dionysios I konfiszierte die Güter des Adels in Gela 187 und teilte
den Boden von Syrakus neu auf 188 , Agathokles enteignete die 600 Reichen, verfügte
Schuldentilgung und eine Bodenreform 189 .
6b. Das Vorgehen der Tyrannen gegenüber den Aristokraten erläutert am besten das
von Herodot 190 überlieferte Ährengleichnis. Kypselos, der Tyrann von Korinth, war
gestorben, und sein Sohn Periander wußte nicht recht, wie er seine Herrschaft sichern
könnte. Da schickte er einen Boten zu dem befreundeten Tyrannen von Milet mit der
Bitte um Rat. Dieser machte mit dem Boten einen Spaziergang durch die Felder, hörte
sich die Probleme aus Korinth an, aber antwortete nichts dazu. Stattdessen riß er
schweigend alle Ähren aus, die über das Korn besonders hoch aufragten. Der Bote erzählte
dies kopfschüttelnd Periander wieder, aber dieser verstand das Rezept. Indem er jeweils die
herausragenden Männer als mögliche Anführer des Widerstandes beseitigte, regierte er
unangefochten. Aristoteles 191 meinte, diese Taktik sei nicht nur Tyrannen, sondern allen

* 175 Plutarch, Mor. 821 E * 176 Cicero, Tusc. V 58 * 177 Justin X X 5,4fT * 178 Aristoteles,
Pol. 1313 b * 179 Aristoteles, Ath. pol. 15,3f; Aristoteles, Politik 1311 a; Plutarch, Sol. 30;
anders Thukydides VI 56; Polyaen I 23,2; V 2 * 180 Thukydides I 5f * 181 Aristoteles, Politik
1305 a 5; 1310 b 15; Athenaios 509 A * 182 Aristoteles, Politik 1313 b 35 * 183 Justin XVI 5,2ff
* 184 Diodor XIV 7,4f; 58,1 * 185 Nikolaos von Damaskus 23 bei Constantinus Porphyrogenitus,
Excerpta historica 11,1 S.342 * 186 Herodot II 167 * 187 Diodor XIII 93,2 * 188 Diodor XIV 7,4
* 189 Diodor XIX 9 * 190 Herodot V 92; Aristoteles, Pol. 1284 a 25; 1311 a 20 * 191 Aristoteles,
Politik III 8,3
178 VI. Die griechische Tyrannis

Herrschaftsformen von Nutzen, das Scherbengericht in der Demokratie sei im Prinzip


dasselbe.
6c. Die führenden Aristokraten flohen vor dem Tyrannen ins Exil. Das hatte für diesen
zwei Vorteile: er wurde Widersacher los und gewann deren Besitz, den er an seine Söldner
und Untertanen verteilen konnte 192 . Von dieser Zeit an lebte gewöhnlich ein erheblicher
Teil griechischer Bürger in der Verbannung, je nachdem, welche Gruppe daheim am Ruder
war. Allerdings haben niemals alle Adligen das Land verlassen. Während der ersten
Tyrannis des Peisistratos waren die Alkmaioniden in Attika geblieben, und ihr Anführer
Megakles hat dem zurückberufenen Tyrannen seine Tochter vermählt 193 . Unter der
Herrschaft des Hippias, 525, war der Alkmaionide Kleisthenes sogar Archon 1 9 4 , doch ging
die Familie nach dem Mord an Hipparch 514 außer Landes. Sie müssen außerhalb Attikas
über reichen Besitz verfügt haben, denn in Delphi ließen sie den Apollontempel erneuern 195 .
6d. Die Einschränkungen, denen Adlige unter der Tyrannenherrschaft ausgesetzt
waren, betrafen zunächst die Schaustellung des Reichtums. Periander erließ ein Luxus ver-
bot 196 . Gelon beschränkte den Aufwand beim Grabkult in Syrakus 197 , Pittakos in Mytile-
ne 198 , Peisistratos in Athen 1 9 9 .
6e. Von langfristiger Wirkung blieb die Auflösung der alten, durch aristokratische
Tradition geprägten Phylenordnung. In Griechenland gliederte sich die Bürgerschaft der
Städte militärisch und politisch in Phylen, in denen, so wie in den tribus der römischen
Republik, die alten Familien gewöhnlich eine starke Stellung besaßen. Deswegen finden wir
Phylenreformen zugunsten einer rein geographischen Gliederung, die Polykrates in Sa-
mos 200 und der Orthagoride Kleisthenes in Sikyon 201 durchführte. Dessen Enkel, der
Alkmaionide Kleisthenes, hat eine entsprechende Umgliederung in Athen vorgenommen 2 0 2 ,
die Demokraten schlössen sich hier in ihrer Politik gegen die Gentilordnung den Tyrannen
an. Was Peisistratos in Attika erreicht hat, ist die Aufhebung der adligen Gerichtsbarkeit.
Er ersetzte die aus dem Geburtsadel stammenden Richter durch Demenrichter 2 0 3 , die
staatlich autorisiert waren, nicht mehr bloß traditionell.
6f. Unter die Sozialpolitik der Tyrannen fällt die staatliche Versorgung der Kriegsinva-
liden und Kriegswaisen in Athen 204 und Samos 205 , die A u f n a h m e von Neubürgern in
Korinth, Athen und Syrakus 206 . Wir hören von dem Versuch, den Zuzug vom Land in die
Stadt einzuschränken 207 . Dahinter steht die Absicht, die Unzuträglichkeiten zu verhindern,
die mit einer Landflucht immer verbunden sind. Dieselbe Politik liegt der Begrenzung der
Sklavenzahlen 208 und dem Verbot des Schuldenmachens zugrunde 209 . Dazu hat Periander
von Korinth ein Aufsichtsamt (boule episkopön)2'0 eingerichtet. Zu den wirtschaftlichen
M a ß n a h m e n gehört das Gesetz gegen das Herumlungern, das f ü r Periander und Peisistra-
tos 211 überliefert wird. Periander soll die Hetären ersäuft haben 212 . Das Mußeverbot wurde

* 192 Diodor XXII 5,2; Polyaen V 31 * 193 Herodot I 61 * 194 Meiggs Nr. 6 c * 195 Herodot
V 62f * 196 Herakleides Pontikos, fr. 5, in: F H G . II S.213 * 197 Diodor XI 38,2 * 198 Cicero,
De leg. II 65 * 199 I.e. 64: bald nach Solon * 200 Th. Lenschau, Polykrates, RE. XXI 2,1952,
S. 1731 * 201 Herodot V 68 * 202 Aristóteles, Ath. pol. 21 * 203 I.e. 16,5; H. C. Harrell,
Public Arbitration in Athenian Law, 1936 * 204 Plutarch, Sol. 31 * 205 Paroemiographi I S. 146
* 206 Diodor XI 72,3 * 207 Aristóteles, Ath. pol. 16; Diogenes Laèrtios I 98 * 208 Nikolaos von
Damaskus 23 bei Constantinus Porphyrogenitus, Excerpta histórica II 1, S. 342 * 209 Herakleides
Pontikos, fr. 5, in: F H G . II S.213 * 210 I.e., emendavit Muellerus * 211 Plutarch, Sol. 31; Aelian,
Var. hist. IX 25 * 212 Athenaios 443 A
6. Innenpolitik 179

in der Demokratie beibehalten: Als ein Spartaner vernahm, ein Athener wäre wegen
Müßiggangs verurteilt worden, erklärte er diesen für den einzigen freien Athener 213 .
Eine zwielichtige Sache war die An- und Umsiedlungspolitik der sizilischen Tyrannen 214 .
Damit beseitigten sie nicht nur Notstände, sondern schufen auch neue. Spätere folgten
ihnen, denken wir an die Siedlungspolitik bei Alexander 215 , den Diadochen 216 und den
Imperatoren 217 .
6g. Für die Landwirtschaft hat sich namentlich Peisistratos eingesetzt. Armen Bauern
gab er Darlehen von Zugvieh und Saatgut 218 , auf Inspektionsreisen orientierte er sich über
den Zustand des Landes 219 . Die Öl- und Weinproduktion diente seit dem 6. Jh. zunehmend
der Ausfuhr. Polykrates hat neue Hunde-, Ziegen-, Schaf- und Schweinerassen einge-
führt 220 , Anaxilas von Rhegion soll den Hasen nach Sizilien gebracht 221 , Dionysios I die
Platane über Rhegion nach Italien eingeführt haben 222 .
6h. Innerhalb der Industrie war die Töpferei der wichtigste Sektor. Sowohl in Korinth
als auch in Athen bedeuten die Zeiten unter den Tyrannen ausgesprochene Blütephasen.
Unter den Kypseliden von Korinth wurde im 7. Jh. der regulierbare Töpferofen für den
Dreistufenbrand der schwarzfigurigen Malerei erfunden. Eine Zeitlang beherrschte korin-
thische Keramik den mediterranen Markt. In Athen fällt der Höhepunkt der schwarzfiguri-
gen Vasenmalerei sowie der Übergang von der schwarz- zur rotfigurigen Technik in die
Peisistratidenzeit (um 530). Erhebliche Mengen dieser Keramik wurden exportiert, insbe-
sondere nach Etrurien 223 und ins Schwarzmeergebiet. Sie verdrängte die korinthische Ware
vom Markt.
6i. Fortschritte machte ebenso die Metalltechnik. Die Peisistratiden erschlossen die
Silbergruben von Laureion in Attika, die mit Sklaven betrieben wurden 224 , und die im
thrakischen Strymon-Gebiet 225 . Aus der Zeit um 530 stammt der Bronze-Apoll vom
Piraeus, der älteste griechische Hohlguß 226 . Unter Polykrates wurde das doppeltgedeckte
Schiff 227 , unter Dionysios I die Pentere (ein Kriegsschiff mit fünf Ruderreihen) 228 und das
Katapult erfunden 229 , Hieron II ließ durch den Mathematiker Archimedes (erschlagen 212)
das größte Schiff seiner Zeit bauen 230 .
6j. Im engsten Zusammenhang mit der Wirtschaftsförderung stand eine Umordnung
des Finanzwesens. Nach 700 wurden in Lydien die ersten Münzen geprägt 231 . Pheidon von
Argos setzte das dorische Gerätegeld in Form von Eisenspießen 232 außer Kurs und weihte
es der Hera, in deren Heiligtum es 1894 von Ch. Waldstein gefunden wurde 233 . Pheidon
begründete mit seinen, in Ägina geprägten silbernen „Schildkröten" die älteste griechische
Währung (um 670 v. Chr.). Außerdem hat Pheidon Maße und Gewichte reformiert 234 . Die

* 213 Plutarch, Lyk. 24; ders., Mor. 221 C * 214 Polyaen I 27, 3 zu Gelon-, Diodor XI 49 zu
Hieron und Theron; XIV 96,4 zu Dionysius I * 215 s.u. IX Se.' * 216 s.u. X 6 b! * 217 s.u.
XV 91! * 218 Aelian, Var. hist. 9,25; Aristoteles, Ath. pol. 16 * 219 Aristoteles, Ath. pol. 16
* 220 Athenaios 540 C D * 221 Pollux V 75 * 222 Plinius, Nat. Hist. XII 3/7 * 223 s.u. XI 2d!
* 224 S. Lauffer, Die Bergwerkssklaven von Laureion, 1979, S. 13; 256 * 225 Herodot I 64
* 226 Boardman 1978, S.81 * 227 Plutarch, Per. 26; Paroemiographi II S.637 * 228 Diodor
XIV 41,3 * 229 Diodor XIV 50,4; nach Aelian (Var. hist. VI 12) erfand Dionys es persönlich.
* 230 Athenaios 206ff * 231 Xenophanes, VS.21 B 4; Herodot I 94 * 232 Plutarch, Lys. 17;
Seltman 1924, S. 117 ff * 233 Ch. Waldstein (Sir C. Walston), The Argive Heraeum, 1902. Die Spieße
befinden sich im Nationalmuseum Athen, Numismatische Sammlung * 234 Xenophanes I.e.; Stra-
bon VIII 3,33; 6,16; P. Courbin, Valeur Comparée etc., Annales E. S. C. 14, 1959, S. 209fT.
180 VI. Die griechische Tyrannis

Tyrannen in Korinth begannen bald ihrerseits zu prägen 235 ; in Athen haben das dann
einzelne Adlige mit ihren „Wappenmünzen" nachgemacht. Ihre Embleme erscheinen
ebenfalls auf den Schilden der gleichzeitigen Vasenmalerei 236 . Unter Hippias wurde die
Familienprägung der Eupatriden ersetzt durch die erstmals zweiseitig bebilderte Staats-
prägung mit dem Kopf der Athena vorn und ihrem heiligen Vogel, dem Steinkauz hinten 237 .
An diesen Dingen ist in der Demokratie nichts verändert worden. Das staatliche Münz-
monopol blieb erhalten. Das Silber der peisistratidischen Münzen stammt, wie Metall-
untersuchungen bestätigt haben, aus dem Strymongebiet in Thrakien, wo die Tyrannen
ihre Bergwerke besaßen 238 . Dionysios I prägte angeblich zeitweilig Zinn anstelle von
Silber239.
6k. Die wichtigsten Einnahmen waren Hafenzölle, die auch in Athen erhoben wurden,
daneben Marktgebühren 240 . Peisistratos hat eine zehnprozentige Bodenertragssteuer einge-
führt 241 , sein Sohn Hippias senkte sie auf 5% 242 . Steuern erhoben die Tyrannen auch in
Syrakus 243 . So wie die Geldwirtschaft das Aufkommen der Tyrannen begünstigt hat, haben
diese die Geldwirtschaft gefördert.

7. Außenpolitik
7a. Eine wichtige Stütze der Tyrannen waren ihre Außenbeziehungen. Als Aristokraten
haben sie Ehebündnisse mit Herren anderer Städte geschlossen, auf die sie im Notfall
zählen konnten. Periander heiratete die Tochter des Tyrannen von Epidauros 244 ; Kylon war
Schwiegersohn des Tyrannen von Megara 245 ; Peisistratos hatte als Nebenfrau eine Argive-
rin, die Witwe eines Kypseliden 246 ; seine dritte Gemahlin gehörte zu den Alkmaioniden 247 ,
die ihrerseits mit den Tyrannen von Sikyon verschwägert waren 248 . Ähnlich im Westen.
Gelon von Syrakus ehelichte die Tochter Therons von Akragas und dieser in zweiter Ehe
eine Nichte Gelons 249 . Dionysios I hat aus politischen Gründen zwei Frauen geheiratet,
angeblich in derselben Nacht 250 , Agathokles verschwägerte sich mit den Ptolemäern 251 und
mit Pyrrhus 252 . Kleinasiatische Tyrannen waren mit den Achämeniden versippt 253 . Demsel-
ben Zweck dienten Staatsfreundschaften. Die Kypseliden beherbergten die Stiftungen der
Lyderkönige in ihrem Schatzhaus zu Delphi 254 . Sie waren Gastfreunde (proxenoi) der
Tyrannen von Milet 255 und pflegten Kontakte mit den Pharaonen 256 , wie das auch
Polykrates getan hat 257 . Die Peisistratiden unterhielten gute Beziehungen zu Argos, Naxos
und Sparta, zu Eretria, Theben und Thessalien 258 . U m die Goldminen im Pangaion zu

* 235 BMC. 12, Corinth * 236 Seltman 1924, S. XVIII; kritisch zu den „Eupatriden-Münzen":
R. J. Hopper, in: Essays in Greek Coinage presented to Stanley Robinson, 1968, S. 16ff * 237 Ari-
stoteles, Oec. 1347a; Seltman 1924, S . 4 0 f f * 238 Herodot I 64; Aristoteles, Ath. Pol. 15,2
* 239 Aristoteles, Oec. 1349; Pollux IX 79 * 240 Herakleides 1. c. * 241 Aristoteles, Ath. pol. 16;
Herodot I 64 * 242 Thukydides VI 54 * 243 Plutarch, Mor. 175 E; Aristoteles, Pol. 1313 b 25;
Diodor X X 4,5 * 244 Herodot III 50; Pausanias II 28,8; Diogenes Laertios I 94 * 245 Herodot V
70 f; Thukydides I 126 * 246 Aristoteles, Ath. pol. 17 * 247 Herodot I 61 * 248 Herodot VI 26
* 249 Timaios, fr. 93, in: Jacoby, Fr. griech. Hist. Nr. 566 * 250 Diodor XIV 45,1; Aelian, Var.
hist. XIII 10 * 251 Justin XXIII 2,6 * 252 Plutarch, Pyrr. 9; Appian III 11,1 * 253 Dionysios
von Herakleia: Strabon XII 3,10 * 254 Herodot I 14 * 255 Herodot I 20; V 92 * 256 Aristoteles,
Pol. 1315 b; Meiggs Nr. 7 * 257 Herodot III 40f; IV 162; zum Siegelring des Polykrates: Herodot
III 42 * 258 Herodot I 61; 64; V 63; Aristoteles, Ath. pol. 17
8. Kulturpolitik 181

schützen, befreundeten sie sich mit den Königen von Makedonien 259 . Herodot meldet, daß
die Tyrannen sich gegenseitig gestützt hätten 260 , ähnlich wie gleichartige Systeme zu
anderen Zeiten, so die Heilige Allianz und der Dreikaiserbund im 19. und die faschistoiden
Staaten im 20. Jh. Umgekehrt hielten auch die Demokratien zusammen. 261
7b. Mehrfach wurde der Versuch unternommen, abhängige Tochterstädte zu gründen
und so Außenposten zu gewinnen. Bakchiaden und Kypseliden in Korinth haben Städte in
Arkadien 262 und am ionischen Meer gegründet 263 , darunter Kerkyra (Korfu) und Ambrakia,
sowie an der Nordägäis Poteidaia 264 . U m die Schwarzmeer-Route zu sichern, gewannen die
Athener Städte an den Meerengen, so Chersones durch den mit Peisistratos verfeindeten
älteren Miltiades 265 , Sigeion und Rhaikelos bei Saloniki durch Peisistratos selbst266. Wich-
tigste Außenstationen in der Ägäis waren Delos und Naxos 267 . Städtegründer waren eben-
falls die Tyrannen in Sizilien268, Ancona und die dalmatinischen Inseln wurden durch sie
besiedelt 269 . Agathokles baute eine Stadt in Nordafrika 2 7 0 . Daß Fürsten ihre Gründungen
nach sich selbst benennen, kommt erst unter orientalischem Einfluß im Hellenismus auf 271 .
7c. Die meisten Tyrannen gewannen ihr Ansehen, vielfach auch ihre Stellung durch
militärische Leistungen - so Kypselos 272 , Peisistratos 273 , Dionysios I274, Agathokles 275 und
Hieron II, der nach einem Sieg über die Mamertiner zum König ausgerufen wurde 276 .
Bisweilen urteilten sie als gewählte Friedensrichter. Den Schiedspruch im Streit mit
Mytilene um Sigeion erteilte Periander zugunsten Athens 277 . Im allgemeinen haben die
Tyrannen eine friedliche Politik betrieben, dies erklärt Herodot 278 damit, daß sich eben kein
Bürger für einen Tyrannen schlagen würde. Jetzt aber, wo demokratische Gleichheit
herrsche, arbeite und kämpfe jeder gern für „seine" Stadt.
7d. Zahlreiche Kriege führten die syrakusanischen Tyrannen, nicht nur gegen die
Karthager. Denn das war ihre raison d'etre. Hippokrates von Gela eroberte in Sizilien um
490 eine Griechenstadt nach der anderen 279 . Dionysios I unterwarf die Sikuler 280 , stürmte
mehrere Städte in Unteritalien 281 und plünderte etruskische Tempel 282 . Agathokles ver-
schenkte auch Städte als Mitgift 283 wie ein Agamemnon 284 .

8. Kulturpolitik
8a. „Immerhin aber ist zu sagen, daß die ganze Kultur, besonders Kunst und
Wissenschaft, unter haltbaren Tyrannien so gut oder besser zu gedeihen pflegte als in der
Freiheit." Damit hat Jacob Burckhardt 285 recht behalten. Was an bleibenden Leistungen
mit dem Namen der Tyrannen verbunden ist, liegt auf dem Gebiet der Kulturpolitik. Sie

* 259 Herodot V 94 * 260 Herodot VIII 142,5 * 261 s.u. VII 6 d! * 262 Athenaios 609 E
* 263 Strabon X 2,9 * 264 Thukydides I 56 * 265 Herodot VI 34 ff; Pausanias VI 19,6
* 266 Herodot V 65; 94; Aristoteles, Ath. pol. 15 * 267 Herodot I 64; Thukydides III 104
* 268 Diodor XI 49; Strabon VI 1,5; 2,3 * 269 Diodor XV 13f * 270 Hippagreta: Appian VIII
110 * 271 Phintias nach Phintias um 280: Diodor XXII 2,2 * 272 Nikolaos von Damaskus 22
bei Constantinus Porphyrogenitus, Excerpta histórica III S . 2 0 * 273 Aristoteles, Ath. pol. 14,1; 17,2
* 274 Diodor XIII 94,5 * 275 Diodor XIX 3 * 276 Polybios I 9,8 * 277 Herodot V 95; Aristote-
les, Rhetorik 1375 b * 278 Herodot V 78 * 279 Herodot VI 23; VII 154f; Thukydides VI 5,3
* 280 Diodor XIV 96,4 * 281 Kaulonia: Diodor XIV 106,3; Rhegion: XIV 111; Kroton: Livius
XXIV 3 * 282 Apollon und Leukothea: Aelian, Var. hist. I 20 * 283 Diodor XXI 4 * 284 Homer,
Ilias IX 149; 483; Odyssee IV 174 * 285 Burckhardt WB. 1868/1935, S. 89
182 VI. Die griechische Tyrannis

war eng mit der Wirtschafts- und Religionspolitik verknüpft. Die Tyrannen übernahmen
die mäzenatischen Traditionen des Adels und suchten diesen zu übertreffen. Das steigerte
sich bisweilen ins Gigantische.
8b. Kypselos errichtete das Schatzhaus der Korinther in Delphi 286 , es war das erste in
seiner Art. In Korinth baute Periander eine Wasserleitung und den großen dorischen
Apollontempel 287 . Periander unternahm den von Caesar 288 und Nero 289 wiederholten, doch
erst 1893 gelungenen Versuch, den Isthmos von Korinth zu durchstechen 290 . Stattdessen
wurde eine Schiffsschleife (diholkos) eingerichtet 291 . Erfolgreich war der Durchstich des
Isthmos von Leukas 292 . In Sikyon hatte Kleisthenes eine Säulenhalle errichtet, die noch in
der Kaiserzeit seinen Namen trug 293 .
8c. Polykrates, der das Meer beherrschte 294 , errichtete in Samos außer einer Burg 295
Schiffshäuser und eine Mole. Er holte Facharbeiter aus der Fremde 296 , darunter Eupalinos
aus Megara. Der von ihm angelegte Wassertunnel 297 ist etwa 1 km lang. Er wurde von zwei
Seiten begonnen, man traf sich in der Mitte. Die Wasserleitung hat die ganze Antike
hindurch funktioniert, ebenso wie der Brunnen des Theagenes in Megara 298 .
8d. Die Baupolitik kennen wir am besten bei den Peisistratiden in Athen. Auf der
Akropolis haben sie residiert, vermutlich im Bezirk der Artemis Brauronia 299 . Es gibt Reste
zahlreicher anderer, aus Poros, noch nicht aus Marmor errichteter Bauten, unter ihnen ist
der von Hippias erstellte alte Athenatempel, das (sie) Hekatompedon. Es war der erste
Tempel aus Stein in Athen und blieb Zentralheiligtum auch nach dem Bau des Parthe-
non 300 . In großer Zahl sind im Perserschutt Weihgaben der attischen Bevölkerung an
Athena gefunden worden. Soweit diese Objekte Inschriften tragen, stammen sie von kleinen
Leuten und nicht, wie die Weihgeschenke in Olympia oder Delphi von großen Herren 301 .
8e. Im Piraeus befestigten die Peisistratiden Munychia 302 . Auf der Agora bauten sie den
Tempel des Apollon Pythios und den Zwölfgötteraltar, der als Asyl galt 303 und von dem aus
die Straßenentfernungen gemessen wurden 304 ; weiterhin den Neunröhren-Brunnen, das
Ende der ältesten Athener Wasserleitung 305 . Im Nordwesten Athens erhielt der Heros
Akademos sein Temenos; südöstlich der Akropolis wurde mit dem Bau des gigantischen
Tempels für den olympischen Zeus begonnen 306 , der allerdings erst unter dem Kaiser
Hadrian fertiggestellt wurde 307 . Zwischen Beginn und Vollendung lagen 650 Jahre, ebenso
wie beim Kölner Dom (1248 bis 1880). Vermutlich stammen auch der Demeter-Tempel in
Eleusis und der Apollon-Tempel auf Delos von Peisistratos 308 . Die Baugesetze aus dem
peisistratidischen Athen verboten, daß die Obergeschosse überragten, daß die Treppen auf
die Straßen gingen, daß die Türen sich nach außen, in den Straßenverkehr öffneten 309 .

* 286 Herodot I 14; Plutarch, Mor. 164 A; 399 F; 724 B * 287 Herodot III 52 * 288 Dio XLIV
5,1 * 289 Sueton, Nero 19; Dio LXIII 16 * 290 Diogenes Laértios I 99; weitere Versuche unter-
nahmen Demetrios Poliorketes, Herodes Atticus und Morosini 1687 * 291 Thukydides III 15; VIII
7 ff * 292 Strabon X 2,9 * 293 Pausanias II 9,6 * 294 Thukydides III 104 * 295 regia: Sueton,
Caligula 21 * 296 Athenaios 540 C ff * 297 Herodot III 60; H. J. Kienast, in: Architectura 1970,
S.97ff * 298 Pausanias I 40,1 * 299 Herodot I 59; Pausanias I 23,7 * 300 Pausanias I 26,6
* 301 Ingeborg Scheibler, Griechische Künstlervotive der archaischen Zeit, Münchner Jahrbuch
der bildenden Kunst 30, 1979 S.7f * 302 Aristoteles, Ath. pol. 19,2 * 303 Herodot VI 108
* 304 Thukydides VI 54; Camp 1989, S.46ff * 305 Thukydides II 15; Pausanias 114,1; Camp 1989,
S. 49f * 306 Aristoteles, Politik V 9,4 * 307 Philostrat, Vitae soph. I 25, 533 * 308 Herodot I 64;
Thukydides III 104 * 309 Aristoteles, Oec. 1347
8. Kulturpolitik 183

8 f . Wie in Athen haben auch in Sizilien die Tyrannen fleißig gebaut. In Akragas
(Agrigent) errichtete Phalaris den riesigen Zeus-Tempel und befestigte die von den Sikanern
bedrohte Stadt 310 . Theron ließ durch den Baumeister Phaiax ein Kanalsystem anlegen 311 . In
Syrakus stiftete Gelon zwei Tempel 312 ; Dionysios I baute die Inselburg Ortygia aus 313 ,
befestigte die Stadt mit einer 27 km langen Mauer und legte in der Oberstadt das
Felsenkastell Euryalos an, die größte Festung der damaligen Welt 314 . Hieron II wetteiferte
mit den hellenistischen Königen als Mäzen beim Wiederaufbau von Rhodos 219 315 .
8g. All diese Bauten galten primär der Ehre der Stadt und der Götter und erst sekundär
derjenigen der Bauherrn, denn keiner trägt die Bauinschrift eines Herrschers, so wie wir es
in Persien und seit dem Hellenismus allenthalben vorfinden. Die Namen der Tyrannen
standen lediglich auf ihren kostbaren Weihgeschenken 316 . Nach Olympia 317 und Delphi 318
stifteten die Deinomeniden von Syrakus goldene Dreifüße, nach Delphi zudem den
berühmten Wagenlenker 319 , die Kypseliden dedizierten dem Zeus von Olympia die Kypse-
los-Lade 320 , eine Goldstatue 321 und eine Goldschale 322 . Polykrates schenkte dem Apollon
von Delos die Nachbarinsel Rheneia 323 . Dionysios II stiftete dem Apoll in Delphi
Kunstwerke 324 . In der demokratischen Zeit wurden die Namen der Tyrannen teilweise
ausgemerzt und durch die Namen der Städte ersetzt 325 .
8h. Wie die Architektur, so florierten auch die bildenden Künste unter den Tyrannen:
die Skulptur 326 , die Vasenmalerei 327 , die Münzprägung 328 . Anders als in der orientalischen
und römischen Hofkunst bleibt die Person des Tyrannen auch hier im Hintergrund.
Bildhauer, Maler und Stempelschneider haben Götter und Helden abgebildet, nie aber den
Tyrann als Person oder die Tyrannis als System verherrlicht. Von keinem Herrscher vor
dem 4. Jh. besitzen wir ein Porträt, von keinem ein Mausoleum. Von keinem Kunstwerk
der Peisistratidenzeit können wir sagen, ob es während der Herrschaft oder während der
Verbannung des Tyrannen hergestellt ist. Die Kunst blieb polisbezogen, aber unpolitisch.
8i. Der Polis kam ebenso die Verschönerung der Spiele zugute. Peisistratos hat das kurz
vor seiner Herrschaft gestiftete 329 Panathenäenfest, das als Geburtstag Athenas galt 330 , in
die Form gebracht, die von der Demokratie dann beibehalten wurde 331 . Durch ihre
Sportwettkämpfe genoß es einen weitverbreiteten Ruf, die Sieger erhielten Öl in besonderen
Amphoren 332 . Peisistratos bewegte sich hier in den Spuren des Periander von Korinth, auf
den die Isthmischen Spiele zurückgehen 333 , und des Kleisthenes von Sikyon, der in Olympia
mit einem Viergespann siegte334 und die pythischen Spiele ausgestaltet hat 335 . Sein Vater
Kypselos stiftete einen Schönheitswettbewerb für Frauen 336 . Die sizilischen Tyrannen

* 310 Diodor XIX 108; Polyaen 5,1 * 311 Diodor XI 25,3 * 312 I.e. 26,7 * 313 Diodor XIV 7
* 314 Diodor XIV 18; XX 29,8 * 315 Diodor XXVI 7 * 316 T o d N r . 7 f f * 317 Pausanias VIII
42,8; Weihungen des älteren Miltiades nach Olympia: Pausanias VI 19,6 * 318 Diodor XI 26,7;
Athenaios 231 F; Meiggs Nr. 28 * 319 s.u. 8 i! * 320 Dion Chrysostomos, or. XI 45; Pausanias
V 17,5 * 321 Strabon VIII 6,20; Diogenes Laertios I 56; * 322 Pfohl Nr. 40 * 323 Thukydides
I 13; III 104 * 324 Diodor XVI 57 * 325 Herodot I 14 * 326 Camp 1989, S.41 * 327 J. Board-
man, Schwarzfigurige Vasen aus Athen, 1974 * 328 s.o. 6 j! * 329 Markellinos, Vita Thuc. 3
* 330 Kallisthenes, fr. 52, in: Jacoby, F. gr. Hist. Nr. 124 * 331 Thukydides I 20; VI 56f; Aristo-
teles, Ath. pol. 18,3, Jenifer Neils, Goddess and Polis. The Panathenaic Festival in Ancient Athens,
1992 * 332 J. Frei, Panathenaic Prize Amphoras, 1973; Heibig I Nr. 650; 920 * 333 K. J. Beloch,
Griechische Geschichte, I 2, 1926, S.279 * 334 Herodot VI 126 * 335 Pausanias X 7,6 * 336 Athe-
naios 609 E
184 VI. Die griechische Tyrannis

haben sich an den Festspielen des Mutterlandes erfolgreich beteiligt, so Gelon, Theron und
Hieron. Ihr Bruder Polyzelos337 wurde berühmt durch den von ihm errungenen Wagensieg
447v.Chr., für den er den 1896 ausgegrabenen „Wagenlenker von Delphi" stiftete338.
Anaxilas von Rhegium ließ seinen Sieg mit dem Maultiergespann auf seine Münzen
setzen339. Ein Sieg im olympischen Wagenrennen machte Kylon so berühmt, daß er
versuchen konnte, in Athen eine Tyrannis zu errichten340.
8/ Wie die Spiele, so wurde die Religion überhaupt von den Tyrannen gefördert. In der
Familie der Deinomeniden war das Priestertum der Erdgötter erblich341. Unter Kypselos
hatte die Aphrodite von Korinth angeblich über tausend Hierodulen für die Tempelprosti-
tution342. Peisistratos entsühnte die heilige Insel Delos, indem er die Toten umbetten ließ343
und brachte aus seinem Heimatort Brauron den Artemis-Kult nach Athen344; den Göttern
von Eleusis bauten die Peisistratiden ein Heiligtum auch in Athen; aus dem Bergdorf
Eleutherai holten sie den Dionysos Eleuthereus und richteten ihm südlich der Akropolis
einen heiligen Bezirk ein345. Dieser wurde später zum Dionysos-Theater ausgebaut. 534 zog
Thespis aus Ikaria mit seinem Karren durch Attika und bereicherte die Dionysos-Feste mit
seinen Wechselgesprächen, aus denen das Drama hervorging346.
8k. Das Interesse der Tyrannen an der Literatur347 spiegelt sich in den großen
öffentlichen Bibliotheken - den ersten Europas - von Peisistratos in Athen, von Polykrates
in Samos348 und Klearch von Herakleia349. Den Polykrates pries Anakreon. 350 Peisistratos
bewirtete den Epiker Orpheus aus Kroton 351 und soll den Schiffskatalog in der Ilias352
gefälscht haben, um Athens Ansprüche auf Salamis zu stützen353. Hipparch hat, schon
unter Peisistratos354, die einzelnen Gesänge Homers nach Athen geholt, durch Onomakritos
in die gültig gebliebene Ordnung gebracht355 und sie bei den Panathenäen vortragen
lassen356. Er soll ein Schiff für den Dichter Anakreon von Teos ausgesandt und Simonides
von Keos um sich gehabt haben357. Die Bildung der Bevölkerung hätte ihm am Herzen
gelegen358. Selbst auf dem Lande konnte man damals lesen, wenn es zutrifft, daß Hipparch
Hermen mit Sprüchen für die Bauern aufstellen ließ359.
81. In Korinth hat angeblich schon Kypselos ein Symposion für die Sieben Weisen
organisiert360. Sein Sohn Periander, der ein Lehrgedicht von zweitausend Versen verfaßt
haben soll361, wurde selbst zu dieser Gruppe gerechnet362, ebenso Pittakos von Mytilene363.
Perianders Hofsänger war Arion, der nach der Überlieferung von einem Delphin vor dem

* 337 Diodor XI 48,3 * 338 Identifiziert durch Basisinschrift: F. Chamoux, L'Aurige, Paris 1955;
Hampe in: Gnomon 32, 1960, S . 6 4 f * 339 Pollux V 75; BMC. I Italy, S.373 * 340 Herodot
VII 70 f; Thukydides I 126 * 341 Herodot VII 153 * 342 Strabon VIII 6,20 * 343 Herodot I 64;
Thukydides III 104 * 344 Plutarch, Sol. 10 * 345 Pausanias I 38,8; Kern, Dionysos, RE. V 1,
1903, S. 1022 * 346 Marmor Parium A 43; Diogenes Laértios III 56; Suidas, Theta 282
* 347 Weber 1929 * 348 Athenaios 3 A; Gellius VI 17,1 * 349 Photios 222 b 25 * 350 Pausa-
nias I 2,3; Diodor XIV 1,16; Aelian, Var. hist. IX 4 * 351 Orpheus, VS. 1 A l ; nicht zu verwech-
seln mit dem Sänger Orpheus * 352 Homer, Ilias II 557 * 353 Strabon IX 1,10 * 354 Aelian,
Var. hist. XIII 14; Cicero, D e oratore III 137 * 355 Pausanias (VII 26,13) und die Anthologia
Graeca (XI 442) schreiben es Peisistratos selbst zu. R. Merkelbach, Untersuchungen zur Odys-
see, 1969, S. 239ff * 356 Aelian, Var. hist. VIII 2 * 357 Platon, Hipparch 228 B; Aristoteles, Ath.
pol. 18,1 * 358 Piaton, Hipparch 228 D ; Aelian, Var. hist. XIII 14 * 359 Scholien zu Demosthenes
X X 112; Corpus Inscriptionum Atticarum I 522; Suidas, Tau 981 * 360 Diogenes Laértios I 40
* 361 I.e. I 97 * 362 I.e. I 94ff * 363 Pausanias I 23,1
8. Kulturpolitik 185

Ertrinken gerettet wurde 364 . Er hat den Dithyrambos in die fortan gültige Form gebracht 365 .
Der weise Skythe Anacharis besuchte Periander 366 . Ibykos 367 und Anakreon 368 lebten am
Hofe des Polykrates. Die sizilischen Tyrannen förderten die Literatur ungewöhnlich
großzügig. Hieron I von Syrakus zog Aischylos 369 , Pindar 370 , Bakchylides 371 , Simonides 372
und Xenophanes 373 an seinen Hof. Dionysios I komponierte und dichtete selbst374, er trat
mit einer Tragödie »Hektors Lösung« hervor, die 367 in Athen preisgekrönt wurde 375 . Den
Dichter Philoxenos, der das Drama kritisierte, warf der Tyrann in die Latomien 376 . Die
Athener ehrten ihn mit mehreren Inschriften 377 . Lysias jedoch forderte in Olympia zum
gemeingriechischen Kampf gegen ihn auf 378 . Mehrere Tyrannen haben Geschichte geschrie-
ben (Duris, Antandros), andere verfaßten Dramen und Gedichte 379 oder trieben Philoso-
phie. Klearch von Herakleia am Pontos war Schüler Piatons 380 und hat sich als Tyrann mit
Philosophen umgeben.
8m. Piaton selbst wurde von Dionysios II, der sich als Sohn des Musenführers Apoll
betrachtete 381 , nach Syrakus geholt und feierlich empfangen 382 , doch wollte sich der Tyrann
dann nicht umerziehen lassen383. So ist Piatons Versuch, in Syrakus seinen Idealstaat zu
verwirklichen, gescheitert, und fortan gehörte der Tyrannenmord zum ethischen Lehrgut
der Akademie. Die Beziehungen von Dionysios II zu den Pythagoreern bilden den
historischen Hintergrund für die Verschwörung Dämons 384 , die Schiller in der »Bürgschaft«
gestaltete. Dionysios II hat seinen Lebensabend in Korinth im Dienste der Kultur als
Schulmeister verbracht 385 , während die umgekehrte Karriere vom Lehrer zum Tyrannen
bezeugt ist für Dionysios I386, Athenion von Athen 387 und Lysias von Tarsos 388 . In der
Neuzeit kennen wir diese Laufbahn von Mussolini, Lumumba und Mao Tse-tung.
8n. Die Kulturpolitik der griechischen Tyrannen erinnert an diejenige bei den Stadther-
ren der italienischen Renaissance, den Medici in Florenz, den Sforza in Mailand, den Scala
in Verona. Auch sie stützten sich auf die Unzufriedenheit im Volk mit der Signorie und
haben durch den kulturellen Glanz ihrer Hofhaltung den tyrannischen Charakter ihres
Stadtregiments zu überstrahlen versucht. Unser historisches Wissen beeinträchtigt zuweilen
den ästhetischen Genuß. Indem uns Charakter und Motive der Mäzene mißhagen, verlieren
wir die Lust an den von ihnen geförderten Werken. Die Kunst hat jedoch Anspruch auf
ästhetische Autonomie, sonst müßten wir die nach Revolutionen üblichen Bilderstürme
gutheißen, ja selbst den Parthenon und den Petersdom abreißen, die beide mit erschwindel-
ten Geldern erbaut wurden.

* 364 Herodot I 23 f * 365 Herodot 1. c. * 366 Athenaios 437 F * 367 Suidas, Iota 80, dort die
Kranich-Geschichte zu Schillers Ballade * 368 Suidas, Alpha 1916 * 369 Vita Aeschyli 8; 16;
Pausanias I 2,3 * 370 Aelian, Var. hist. IX 1 * 371 I.e. IV 15 * 372 I.e. IX 1; Pausanias I 2,3
* 373 Clemens Alexandrinus, Strom. I 64, in: ders., Bd. II S . 4 0 , 2 0 ed. Stählin * 374 Plutarch,
Tim. 15; Diodor XIV 109; XV 6f; 73 * 375 Diodor XV 74 * 376 Aelian, Var. hist. XII 44
* 377 Tod Nr. 108; 133; 136 * 378 Plutarch, Mor. 836 D * 379 Mamerkos von Kutane: Plutarch,
Timoleon 31 * 380 Athenaios 85 AB; Photios 222 b 10 * 381 Plutarch, Mor. 338 B * 382 Plut-
arch, Dion 13; Aelian, Var. hist. IV 18 * 383 Piaton, ep. 7; Diodor XV 7; Diogenes Laertios
III 18 ff * 384 Cicero, De off. III 45; Diodor X 4,3 f; Jamblichos, Vita Pyth. 234 f * 385 Valerius
Maximus VI 9 ext. 6; Porphyrios, Vita Pyth. 234 * 386 Diodor III 96,4 * 387 Athenaios 211 D ff
* 388 Athenaios 215 BC
186 VI. Die griechische Tyrannis

9. Niedergang
9a. Die griechische Tyrannis war eine kurzlebige Staatsform. Aristoteles 389 erklärt das
more geometrico: je geringere Macht die Monarchen hätten, desto länger hielte sich die
Monarchie. Die Tyrannis erzeuge einen ihrer Macht entsprechenden inneren Widerstand
und erliege diesem kurz über lang. Er organisierte sich in Männerfreundschaften, wie sie
gegen Phalaris, Hippias und Dionysios I bezeugt sind. Polykrates soll deswegen die
Ringschule von Samos geschlossen haben 390 , und auch der Versuch von Dionysios, die
Symposien in Syrakus zu unterbinden 391 könnte damit zusammenhängen. Ohne Frage war
der Freiheitswille der Bürgerschaft auf der einen Seite und die Dekadenz im Herrscherhaus
auf der anderen der wichtigste innere Grund für den Zerfall der Tyrannis. Sie litt unter dem
Widerspruch, daß sie zur Lösung einer Krise eingerichtet war und beseitigt wurde, sowohl
wenn sie die Krise gelöst hatte - dann brauchte man sie nicht mehr - , als auch, wenn sie sich
als unfähig erwies, die Krise zu lösen - dann konnte man sie nicht gebrauchen. Die
konstitutionelle Schwäche der Tyrannis lag in ihrer einseitigen Exekutivaufgabe, ohne
demokratische oder charismatische Legitimation.
9b. Die ältere Tyrannis führt hinüber in die Freiheit der Demokratie, die jüngere in den
Wohlstand unter einer hellenistischen oder der römischen Großmacht. Nachdem die
persischen Großkönige schlechte Erfahrungen mit ihren Satellitenfürsten gemacht hatten,
haben Diadochen und Imperatoren keine Klienteltyrannen mehr akzeptiert. Tyrannenstäd-
te hatten stets unter den Nachbarmächten Widersacher. Insbesondere Sparta galt - trotz
seiner Hilfe für Dionysios I392 - als Erbfeind aller Tyrannen 393 ; vermutlich deshalb, weil die
eigene Verfassung ständig durch einen Volksführer bedroht war, der sich an die Spitze der
Heloten stellen könnte. Plutarch 394 überliefert eine Liste von Tyrannen, die von Sparta
gestürzt wurden. Die berühmtesten sind die Peisistratiden in Athen.
9c. Tatsächlich haben die sogenannten Tyrannenmörder, Harmodios und Aristogeiton,
für die Begründung der attischen Demokratie ebensoviel oder ebensowenig geleistet wie die
Attentäter vom 20. Juli 1944 für den Parlamentarismus in Deutschland. Herodot 395 ,
Thukydides 396 und Aristoteles 397 berichten, daß die Verschwörer eine Privatrache vollzogen,
und daß die Herrschaft des Peisistratos viel erträglicher gewesen sei, als die national-
demokratische Ideologie das hinstelle. Diese historische Kritik hat sich jedoch gegen den
politischen Mythos nicht durchgesetzt. Weil man sich, zumal in den Zeiten der Spannung
mit Sparta, ungern daran erinnerte, wer die Tyrannis wirklich gestürzt hatte. Die
Demokratie legitimierte sich aus dem Gegensatz zur Tyrannis, und das führte zu einer
Schwarz-Weiß-Malerei, wie sie die historische Selbstrechtfertigung gewöhnlich erzeugt. Vor
dunkler Folie glänzt man heller398.
9d. Harmodios und Aristogeiton sind die Freiheitshelden des politischen Widerstandes
geblieben. Aus Plato 399 und Diodor 400 wissen wir, daß sie als Erneuerer der Isonomie
weiterlebten. Es gab einen regelrechten Kult für diese Männer. Sie erhielten Statuen, -

* 389 Aristoteles, Politik V 9,1 * 390 Athenaios 602 D * 391 Plutarch, Mor. 175 E * 392 Diodor
XIV 58,1; 64,4 * 393 Thukydides I 18; Aristoteles, Pol. 1312 b 5 * 394 Plutarch, Mor. 859 D
* 395 Herodot V 55-65 * 396 Thukydides I 20; VI 54ff * 397 Aristoteles, Ath. pol. 18; ders.,
Pol. 1311 a 35 * 398 Zur Tyrannenfeindschaft: Valerius Maximus II 10 ext. 1 (zu Rhodos) und
das Gesetz von etwa 280 v. Chr.: P. Frisch (ed. ), Die Inschriften von Ilion, 1975, Nr.25 * 399 Pia-
ton, Symp. 182 C; ders., Hipparch 228 B ff * 400 Diodor X 17
10. Bedeutung 187

zuerst von Antenor, dann von Kritios und Nesiotes die an der prominentesten Stelle der
Agora aufgestellt wurden 401 und als Schildzeichen der Athena auf Panathenäen-Vasen
erscheinen. Ihre angeblichen Gräber zeigte man noch in der Kaiserzeit den Touristen 402 ,
ihre Namen durften nicht an Sklaven vergeben werden, ihre Nachkommen genossen
Steuerfreiheit 403 . Die Peisistratiden wurden dagegen geächtet, ihre Inschriften getilgt, die
Statue von Hipparchs Sohn wurde umgeschmolzen in eine Tafel für die Namen von
Verrätern! 409 schwuren die Athener einen Eid, jeden Tyrannen-Anwärter zu töten und
jeden Tyrannenmörder zu ehren wie Harmodios und Aristogeiton 404 . Trinklieder auf die
Freiheitshelden kannte noch Athenaios 405 . Der Tyrannenmord wurde fortan widerspruchs-
los verherrlicht, das Attentat zum Schutze von Leben und Freiheit aufs höchste geprie-
sen406. Erst die christliche Staatsphilosophie hatte Bedenken gegen einen aktiven politischen
Widerstand 407 .
9e. Das Gegenbild sind dann die zahllosen Schauergeschichten der Tyrannentopik - ein
unerschöpfliches Thema der Rhetorik 408 . Phalaris von Akragas ließ sich angeblich einen
hohlen Bronzestier gießen, in dem er seine Gegner röstete und deren Geschrei er als das
Muhen des Stieres bezeichnete. Ausprobiert hat er das an dem Erzgießer selbst409. Dionys
soll in Syrakus durch seine Steuern die Bürger innerhalb von fünf Jahren an den Bettelstab
gebracht 410 , in Lokroi das ius primae noctis gefordert haben 411 . Von allen Bürgern gehaßt,
habe er sich in seine Burg eingeschlossen und sich von seinen Töchtern mit heißen
Walnußschalen rasieren lassen, weil er das Schermesser des Barbiers fürchtete. Dem
Schmeichler Damokles habe er einmal Tyrannenglück vorgeführt, indem er ihm im
goldenen Speisesaal alle Genüsse Siziliens präsentierte, aber über seiner Liege ein Schwert
an einem Faden aufhing 412 .

10. Bedeutung
10a. „Die Despotie schafft große Charaktere", heißt es bei Goethe. Das gilt auch
umgekehrt: Bedeutende Männer haben die Tyrannis geschaffen. Unter ihr hat sich ein
ökonomischer, sozialer und politischer Fortschritt vollzogen. Der ökonomische Fortschritt
besteht in den technischen und agronomischen Neuerungen, in der Herausbildung eines
exportierenden Handwerks. Der soziale Fortschritt liegt in der Entstehung einer Bürger-
schaft, die sich in den Städten und an der Küste konzentrierte. Es war eine Schicht, die im
Zuge der ökonomischen Maßnahmen der Tyrannen prosperierte und im Gefolge ihrer
Kulturpolitik das Selbstbewußtsein entfaltete, das die Grundlage der Demokratie abgab.
Daß die Tyrannen dies zwar bewirkten, nicht aber bezweckten, gehört zur Ironie der

* 401 Pausanias I 8,5; S. Brunnsaker, The Tyrant-Slayers of Kritios and Nesiotes, Lund 1955
* 402 Pausanias I 29,15 * 403 Demosthenes XX 29; Andokides I 98 * 404 Andokides I 96 ff
* 405 Athenaios 695 AB * 406 Schmidt-Lilienberg 1901; Friedel 1937 * 407 NT. Paulus, Römer-
brief 13 * 408 Pars pro toto: Megapenthes in Lukians »Kataplus« * 409 Diodor XXXII 25. Ein
tatsächlich 146 v. Chr. in Karthago erbeuteter, aus Sizilien stammender Bronzestier (Diod. I.e.)
dürfte Anlaß für das Gerücht gegeben haben, bei dem die Erinnerung an den Moloch mitge-
schwungen haben könnte. Gelon forderte von den Karthagern, die Sitte des Kinderopfers ein-
zustellen: Plutarch, Mor. 175 A; 552 A. * 410 Aristoteles, Politik V 9,5 * 411 Strabon VI 1,8
* 412 Cicero, Tusc. V 58 ff
188 VI. Die griechische Tyrannis

Geschichte. Der politische Fortschritt ist in einem Gewinn an Staatlichkeit zu sehen, der die
Tyrannis überlebt und überwunden hat. Es war die Stärkung der staatlichen Gerichtsho-
heit, der Wehrhoheit und Münzhoheit. Die patriarchalisch-gentilizischen Gewalten gingen
vom Adel auf die Stadt über und blieben in der Demokratie erhalten.
10b. Die Bedeutung der älteren Tyrannis liegt mithin in ihrer Geburtshilfe für die
Demokratie. Jacob Burckhardt 413 sprach von der „Todeskrankheit der Aristokratie" und
der „antizipierten Demokratie". D a ß die Tyrannen ihrer Herkunft nach zur Oberschicht
gehörten, besagt über ihre Zielsetzung ebensowenig wie die Tatsache, daß Luther katho-
lisch, Mirabeau ein Graf und Engels ein Fabrikant war. Auch der Teufel ist ein gefallener
Engel - similes similibus obstant. Erst unter der jüngeren Tyrannis gab es Aufsteiger aus
der Unterschicht zur Herrschaft. Berühmtester Fall ist Agathokles 414 .
10c. Die jüngere Tyrannis entstand, modern gesprochen, als plebiszitäre Diktatur in
der Demokratie aus Spannungen zwischen Arm und Reich oder in außenpolitischen
Notlagen. Zu allen Zeiten waren Wohlstand und Frieden eher Voraussetzungen als Folgen
der Demokratie. Sobald jene bedroht sind, kommt der Retter, der Tyrann, und gibt den
Leuten den Ratschlag des Peisistratos: jeder möge sich um das Seine kümmern, er selbst
werde schon für den Staat sorgen 415 .
lOd. Nach den Erfolgen des Phalaris von Akragas gegen die Karthager wollten ihn die
Männer von Himera ebenfalls zum strategos autokratör wählen. Da trat der Dichter
Stesichoros 416 vor sie und erzählte ihnen die folgende Fabel: „Das Wildpferd äste auf einer
schönen Weide, doch der Hirsch erschien und machte ihm die Wiese streitig. Daraufhin bat
das Wildpferd den Menschen, ihm zu helfen. Der kam gern, legte dem Pferd einen Sattel
auf, das nun seine Weide und seine Freiheit zugleich verlor." 417 Die Tyrannis ist ein
Lehrstück für die Politik überhaupt, wenn die Definition Paul Valerys stimmt: Die Politik
ist die Kunst, wie man die Menschen daran hindert, sich in ihre eigenen Angelegenheiten
einzumischen.

* 413 Burckhardt, GK. I 166 * 414 Diodor XIX 1,6 * 415 Aristoteles, Ath. poi. 15 * 416 gest.
560 v. Chr. Eusebios-Hieronymus, Chron. z. J. * 417 C. Halm (ed.), Fabulae Aesopicae, 1901
Nr. 175 aus Aristoteles, Rhet. II 20
Literatur zu VI 189

Literatur zu VI

Neuere Forschungen finden sich in den Zeitschriften zur Alten Geschichte und zur
griechischen Geschichte, s.o. Literatur zu I und V!

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