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die dritte seite badische zeitung
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Eine Massentierhaltung, die trotzdem das Tierwohl im Blick hat – so stellt sich Landwirt Jan-Hendrik Hohls aus Niedersachsen seinen Hof vor. FOTOS: ROMAN PAWLOWSKI

Eine Frage des Ringelschwanzes


Mit Turboschweinen und es viele: Kein Platz sich zu bewegen, zu Hoch sind auch Hohls’ Investitionen. Die Basis für Billigfleisch made in Germa- für einen umfassenden Wandel in der
wenig Frischluft und Tageslicht, energie- Einen Teil der Kosten finanzierte Hohls ny bildeten neue Technologien, neue Nutztierhaltung vor. Alle Vertreter der
Dumpingpreisen wurde lastiges Mastfutter, kein Kontakt zu den über eine Tierwohl-Förderung des Bun- Hochleistungszüchtungen, immer größe- sonst aus Prinzip zerstrittenen Gruppen
Deutschland zum drittgrößten anderen Tieren. des, dazu bekommt er eine „Ringel- re Betriebe, mies bezahlte Arbeitskräfte Tierhalter, Handel, Schlachtbetriebe und
Doch Schweine sind soziale und neu- schwanzprämie“ des Landes Niedersach- aus Osteuropa. „Weitere Erfolgsfaktoren Agrarwissenschaftler hatten sich ge-
Schweinefleisch-Exporteur der gierige Tiere. Mit ihren wild lebenden sen, aktuell 16,50 Euro pro Mastschwein waren das systematische Auslagern von einigt. Doch der Knackpunkt ist der Klas-
Welt. Das Modell kommt an Vorfahren haben sie eins gemeinsam: den und fünf Euro pro Ferkel. „Damit sich die- Umweltkosten und das Ausblenden von siker: Wer bezahlt das Ganze? Experten
sein Ende. Kann die Branche starken Spiel- und Wühltrieb. Damit sei- se Haltungsform rechnet, müssen wir 40 Tierschutzproblemen“, sagt Achim Spil- schätzen die Kosten bis 2040 auf 2,5 bis
ne Tiere ihn ausleben können, bietet Prozent über dem Marktpreis bekom- ler, Agrarökonom an der Uni Göttingen. 4,1 Milliarden Euro. Jedes Jahr.
auch anders? Hohls ihnen viel Programm. Es gibt Bürs- men“, sagt er. Aktuell liegt der bei zwei Jetzt sei das Erfolgsmodell an sein Ende Eine Krise nach der anderen, zu wenig
ten, an denen sich die Schweine scheu- Euro pro Kilo. Nach der Mast wiegt ein gekommen. „Und die Branche hat keinen Rückhalt der Verbraucher, politischer
■ Von Daniela Schröder ern, Duschen und Wassertränken zum Schwein 120 Kilo, der Landwirt be- Plan, wie es für sie weiter gehen kann.“ Druck : Gibt es für die deutschen Schwei-
kommt 95 Kilo Schlachtgewicht bezahlt. Für die Politik dagegen ist die Sache nehalter überhaupt eine Zukunft?
Der Ringelschwanz ist der Maßstab. „Ein Mit der Schweinemast Geld zu verdie- klar: Die Nutztierhaltung in Deutschland „Ja“, sagt Agrarökonom Spiller: „Mit
ausgeglichenes, zufriedenes Tier hält den nen, das ist ohnehin nicht einfach. Auf braucht einen Umbau. Zu tun gibt es viel. Tierwohl eine Marke aufbauen, beim Ver-
Schwanz geringelt und aufgestellt“, sagt dem Markt gibt es enorme Schwankun- Nur drei Prozent der Schweine im Land braucher das nötige Vertrauen schaffen,
Jan-Hendrik Hohls. „Das ist der sichtbare gen der Preise für Ferkel, Futtermittel leben in offenen Ställen mit Strohboden, wegkommen vom Fleisch als austausch-
Indikator für Tierwohl.“ Hohls schaut in und Schlachttiere. In den vergangenen nur ein Prozent kann ins Freie. Der Rest bare Massenware – da liegen die neuen
einen großen, hohen Stall voller Mast- Jahren wurde es für die Schweinehalter frisst sich in engen, geschlossenen, klima- Geschäftsmodelle.“
schweine, mit Holzwänden in mehrere richtig schwierig. Erst ein Absatzein- tisierten Ställen fett. Beim Umbau der
Bereiche geteilt. Ganz hinten jagen sich bruch in der Pandemie, dann ein Export- Branche geht es nicht allein um das Tier-
kleine, schlanke Schweine, mittelgroße einbruch wegen der Afrikanischen wohl. Es geht zugleich um Umwelt- und Auch die Schweineköpfe
stehen dicht an dicht an einer Tränke, alle Schweinepest, zuletzt explodierende Fut- Klimaschutz. Denn egal ob in geschlosse-
tragen die Ringelschwänze hochgereckt. ter- und Energiepreise, dazu der Trend zu nen oder in offenen Ställen: Die intensive
lassen sich noch gut verwerten
Vorne liegen fette Schweine im Stroh und weniger Fleischkonsum. Zugleich stehen Haltung belastet Böden, Wasser, Luft.
dösen, noch eine Woche, dann geht es für neue Auflagen für weniger Tiere in größe- Die Zahl der Schweine in deutschen Landwirt Hohls in Becklingen sieht die
sie zum Schlachthof. ren Ställen an. Ställen soll daher deutlich runtergehen. Zukunft optimistisch. „Alle Krisen haben
Der Maststall liegt am Rande von Beck- Die Interessengemeinschaft der Agrarminister Özdemir verfolgt dabei uns bisher sogar vorangebracht.“ Seine
lingen, ein Dorf nördlich von Celle in Nie- Schweinehalter (ISN) klagt über „eine drei Wege: Eine Kennzeichnungspflicht, Ferkel züchtet Hohls selbst, das macht ihn
dersachsen. Aktuell leben 800 Tiere im noch nie dagewesene Vielfachkrise“ und wie die Tiere gehalten wurden. Geänder- unabhängig von den klassischen Proble-
Stall, pro Jahr produziert Hohls’ Hof zwi- einen „Strukturbruch“, viele Schweine- te Baugesetze, damit sich Ställe schneller men der Branche. Den Großteil des Fut-
schen 8.000 und 9.000 Mastschweine, mäster sähen keine Zukunft mehr. Zwi- und mit mehr Platz für das einzelne Tier ters baut er selbst an. Den Dünger liefern
dazu kommen 2.000 Ferkel und mehr als schen November 2020 und November umbauen lassen. Ein staatliches Förder- ihm seine Schweine, das macht ihn unab-
300 Muttertiere in jeweils eigenen Groß- 2022 gaben 3.500 Schweinehalter auf, programm für den Umbau und die laufen- hängig von Düngerpreisen.
ställen. Eine Massentierhaltung, kein das sind 17 Prozent der Betriebe. Vor al- den Kosten für mehr Tierwohl im Betrieb. Und das Ganze funktioniert für ihn
kleiner Bio-Hof. Aber eine, bei der es laut lem kleine Höfe machen ihre Schweine- Neu sind die Ideen von Özdemir nicht. über Regionalität. Hohls verkauft seine
Hohls anders laufe als in der klassischen ställe dicht, besonders dramatisch ist die Ein Expertenteam um den ehemaligen Schweine an eine Fleischerei, eine halbe
Schweinebranche mit ihren Turbotieren, Lage in Süddeutschland. „Was hier pas- Landwirtschaftsminister Jochen Borchert Stunde Autofahrt entfernt, die lässt sie in
Schlachtfabriken, Dumpingpreisen. Eine siert“, heißt es beim ISN, „ist der Kahl- (CDU) legte sie 2020 in einem Konzept einem kleinen Schlachthof um die Ecke
Massentierhaltung mit dem Fokus auf schlag in einer ganzen Branche.“ schlachten. Die Ladenpreise für Fleisch
Tierwohl sei das hier – die sich auch für Lange Zeit gab es für die deutsche und Schinken liegen einige Euro über
den Landwirt lohne. Schweinebranche nur Wachstum. Mit konventioneller Ware, doch die Kunden
Vom Geschäftsmodell Turboschwein acht Milliarden Euro Umsatz pro Jahr ist in den neun Filialen kauften die Produkte,
hat sich Hohls verabschiedet. Seine Tiere sie für die Landwirtschaft das wichtigste sagt Fleischer Lukas Zimmermann.
hält er in Ställen mit viel Platz, Strohein- Segment im Fleischsektor. Und die Bran- Um die höheren Einkaufspreise auszu-
streu und Außengehege. Die Ferkel, Sau- che produziert weit mehr als im eigenen gleichen, baut der Fleischer auf eine be-
en und Mastschweine leben in Gruppen, Land konsumiert wird: 2021 rund fünf sondere Strategie: Er verwertet das ganze
alle tragen ihren Ringelschwanz, zu fres- Jan-Hendrik Hohls Millionen Tonnen Schweinefleisch – ver- Schwein. „Vom Kopf bis zum Schwanz,
sen gibt es auf dem Hof angebautes Ge- braucht wurden jedoch 3,6 Millionen das ist immer wieder eine Herausforde-
treide. Ein Konzept, das ein Tierwohl- Baden, die Böden der Ställe sind mit Stroh Tonnen. Nach Spanien und den USA ist rung.“ Gerade verarbeiten seine Leute
Bündnis der deutschen Fleischindustrie ausgelegt, in dem die Tiere wühlen und Deutschland der weltweit drittgrößte Ex- Schweineköpfe, „das Fleisch darin eignet
mit einem Innovationspreis auszeichne- schlafen, zum Koten laufen sie in einen porteur von Schweinefleisch. Zugleich sich super für Leberwurst und aus dem
te. Der Hof ist ein Demonstrationsbetrieb Außenbereich. Insgesamt hat jedes aber importiert Deutschland jedes Jahr zarten Backenfleisch machen sie Konser-
des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Schwein 1,5 Quadratmeter Platz, doppelt große Mengen Schweinefleisch, 2021 ven, – Schweinebäckchen in Madeira-
„Klar“, sagt Hohls, „mit dem, was wir ma- so viel wie üblich. „Schweine sind von waren es knapp eine Million Tonnen. Sauce. „Wir versuchen, möglichst alles
chen, agieren wir in einer Nische. Aber so Natur aus Läufer,“ sagt Hohls. Wie kann das sein? Zum einen wegen aus den Tieren rauszuholen und so die
weiter machen wie früher, das ging für Naturgemäß suchen sich Schweine ihr uns Verbrauchern. Ein Schwein besteht Wertschöpfung hochzuhalten.“.
mich nicht mehr.“ Futter selbst. Der Großteil der Nerven aus mehr als Schnitzel, Koteletts, Filets. Der Regionalansatz ist in der Fleisch-
Hohls, 44, Agraringenieur und Be- eines Schweins sitzt im Rüssel, „allein das Doch die weniger edlen Teile des Tieres branche nicht neu. Als Erfolgsgeschichte
triebswirt, übernahm mit 29 den Betrieb Aufspüren der Nahrung macht die Tiere wollen die Bundesbürger nicht essen. So gilt die Bäuerliche Erzeugergemeinschaft
seiner Eltern. Vor fünf Jahren stellte er happy“, sagt Hohls. In seinen Ställen hän- gehen Innereien, Füße, Schnauzen, Oh- Schwäbisch-Hall. Ende der 1980er
seine Tierhaltung grundlegend um. Auf gen Raufen mit Heu, an dem die Schwei- ren vor allem nach Asien. Gleichzeitig im- schlossen sich Landwirte mit Schweine-
das Modell Ringelschwanz. Normaler- ne rupfen, Futtermaschinen streuen Ha- portiert Deutschland hochwertige mastbetrieben zusammen. Heute gehö-
weise tragen Schweine in deutschen Stäl- fer und Gerste ins Stroh, dazu gibt es Erb- Schweinestücke aus Ländern wie Bel- ren gut 1.500 Höfe zum Verbund.
len keinen Schwanz, die Züchter kupie- sen und Haferkleie. gien, Dänemark und den Niederlanden, Landwirt Hohls aus Becklingen sagt:
ren ihn wenige Tage nach der Geburt und „Meine Tiere sind permanent mit dem um den eigenen Bedarf zu decken. „Ich bin froh, dass ich nicht an den Han-
ohne Betäubung. Das Kupieren ist zwar in Prozess des Fressens beschäftigt“, sagt Der bisherige Erfolg der Schweine- del gebunden bin.“ Er liefert an einen
der EU verboten, wird in Deutschland Hohls. Gründe und Zeit für Aggressionen branche basierte auf einem für Deutsch- Edeka in der Region, alles andere geht an
aber praktiziert und toleriert, damit die blieben ihnen nicht. Um sicherzugehen, land eigentlich untypischen Wettbe- die Fleischerei Zimmermann. Eine Win-
Tiere sich nicht gegenseitig verletzen. dass sie sich nicht gegenseitig verletzen, werbsmodell: die Kostenführerschaft. Win-Beziehung, sagt Hohls. „Das Tier-
Denn stehen Schweine unter Stress, bei- sind er und seine Leute viel in den Ställen Möglichst geringe Produktionskosten wohl hängt nicht von uns Landwirten ab.
ßen sie einander die Schwänze ab. Und unterwegs. In Summe bedeute Tierwohl plus möglichst niedrige Verkaufspreise, Wir wollen mehr Tierwohl. Doch dafür
Stress ist in der klassischen Massentier- viel Aufwand, sechs Festangestellte plus das war die Formel, austauschbare Mas- brauchen wir auch den Handel. Und vor
haltung der Normalzustand. Gründe gibt zehn Saisonhelfer arbeiten auf dem Hof. senware das Ergebnis, Fleisch und Wurst. 800 Tiere leben aktuell auf dem Hof. allem die Verbraucher.“

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