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Fahrermangel im deutschen

Straßengüterverkehr
– Strukturelle Treiber und verkehrs-
politischer Handlungsbedarf

Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister


für Verkehr und digitale Infrastruktur Nr.1/2020

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Fahrermangel im deutschen
Straßengüterverkehr –
Strukturelle Treiber und verkehrs-
politischer Handlungsbedarf

Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats


beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur

Februar 2020

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STRUKTURELLE TREIBER UND VERKEHRSPOLITISCHER HANDLUNGSBEDARF

Inhaltsverzeichnis

1 Handlungsbedarf für die deutsche Verkehrspolitik 4


1.1 Fahrermangel im Straßengüterverkehr als
verkehrspolitisches Problem 4
1.2 Ursachen, aktueller Stand und Prognose des Fahrermangels
in Deutschland 8
2 Bisherige und aktuelle Maßnahmen der deutschen
Verkehrs- und Arbeitsmarktpolitik 11
2.1 Förderprogramm des BMVI 11
2.2 Qualifizierungsprogramm der Bundesagentur für Arbeit 11
2.3 Änderung des Fahrpersonalgesetzes 12
2.4 Aufnahme in das Innovationsprogramm Logistik 2030 13
2.5 Zwischenfazit zu den bisher ergriffenen Maßnahmen 13
3 Impulse und Empfehlungen für weitere verkehrspolitische
Maßnahme 14
3.1 Erleichterungen für den Berufseinstieg 14
3.2 Steigerung der Jobattraktivität 16
3.3 Positive Imagebildung des Berufs 18
3.4 Fazit zu den Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats 19
Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats 20

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1 Handlungsbedarf für die deutsche Verkehrspo-
litik

1.1 Fahrermangel im Das Verständnis von Berufskraftfah-


Straßengüterverkehr rern umfasst die Transportkategorien
als verkehrspoliti- Lkw-Nah- und Fernverkehr sowie die
Kurier-, Express und Paketdienste
sches Problem
(KEP). Es betrifft das Führen von Fahr-
Im Straßengüterverkehr besteht auch zeugen wie Transportern bis 3,5 Ton-
bei einer konjunkturbedingten Ent- nen sowie von Lkws ab 3,5 bis zu 44
schärfung bereits heute in mehreren Tonnen zulässigem Gesamtgewicht.
Ländern Zentral-Europas ein erhebli- Nachfolgend steht der Lkw-
cher Fahrermangel. Für die Zukunft ist Fernverkehr im Mittelpunkt.
in Deutschland mit einer bedeuten-
Das Problem des Fahrermangels kann
den Verschärfung des Problems zu
weder durch technologische Entwick-
rechnen. Der Fahrermangel hat
lungen noch durch Verlagerungen auf
volkswirtschaftliche Auswirkungen
andere Verkehrsmittel mittelfristig in
und betrifft nahezu alle Wirtschafts-
ausreichendem Maß gelöst werden.
und Lebensbereiche. Um die Versor-
Technologische Alternativen im Stra-
gungssicherheit der Bevölkerung und
ßenverkehr wie autonomes Fahren
der Wirtschaft zu gewährleisten, sind
und Platooning, welche den Bedarf an
kurz-, mittel- und auch langfristig
Berufskraftfahrern reduzieren wür-
deutlich mehr Berufskraftfahrer nötig.
den, sind noch weit von einer
Der Wissenschaftliche Beirat beim
Markteinführung entfernt und stehen
Minister für Verkehr und digitale Inf-
kurz- bis mittelfristig nicht als Substi-
rastruktur warnt davor, dass sich der
tut zur Verfügung. Für das autonome
Lkw-Fahrermangel in Deutschland
Fahren fehlen zudem die Vorausset-
schon in absehbarer Zeit zu einem
zungen einer flächendeckenden digi-
großen Problem auch für die Leis-
talen Infrastruktur. Eine nennenswer-
tungskraft der deutschen Wirtschaft
te Verlagerung auf den Verkehrsträ-
entwickeln kann. Um dies abzuwen-
ger Schiene ist nicht möglich. Denn
den, ist ein verstärktes politisches
aufgrund massiver operativer Prob-
Engagement erforderlich.
leme im Bereich Wagenladungsver-

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STRUKTURELLE TREIBER UND VERKEHRSPOLITISCHER HANDLUNGSBEDARF

kehr und erheblicher Kapazitätseng- re Anzahl der einzusetzenden Lkws.


pässe auf wichtigen Trassenabschnit- Dies trägt zumindest leicht zur Ent-
ten kann die Bahn in absehbarer Zeit spannung des Fahrermangels bei. In-
keine zusätzlichen größeren Sen- frastrukturausbau, verbesserte Pla-
dungsvolumina von der Straße über- nungen sowie optimiertes Straßen-,
nehmen. Auch der Ausbau des Schie- Verkehrs- und Baustellenmanagement
nennetzes und Digitalisierungsinitiati- sind somit als Maßnahmen zur Be-
ven der Bahn stellen keine Alternati- gegnung des Fahrermangels zu sehen
ven zu einer Lösung des Problems des und zu fördern. Sie werden das Prob-
Lkw-Fahrermangels dar. lem des Fahrermangels aber nicht
lösen können.
Aus umweltpolitischer und insbeson-
dere klimapolitischer Sicht wünscht Entlastungen des einheimischen Ar-
man sich derzeit einen Rückgang des beitsmarktes durch den Einsatz von
Lkw-Verkehrs und des Gütertrans- Fahrpersonal aus dem Ausland bei
ports insgesamt. Dies kollidiert aller- inländischen Unternehmen sind wich-
dings mit den wirtschaftlichen Ent- tig, aber nicht beliebig ausweitbar. Die
wicklungen, die nach allen Prognosen europaweit zunehmende Transport-
zu einem Anstieg des Straßengüter- nachfrage bedingt, dass ausländische
verkehrs führen werden. In der Um- Fahrer ihren Beruf vermehrt in ihren
weltpolitik gilt der Grundsatz einer Heimatländern ausüben. Die Integra-
graduellen und langfristigen Anpas- tion von Fahrern aus dem Nicht-EU-
sung zugunsten umweltverträglicher Ausland ist in großer Zahl schwierig
Verkehrsmittel, möglichst ohne plötz- und unterliegt gesetzlichen Beschrän-
liche und dramatische Belastungen für kungen. Erleichterungen für die An-
Wirtschaft und Gesellschaft. Um die- werbung und Ausbildung ausländi-
sen Grundsatz auch beim Güterver- scher Arbeitskräfte stellen daher zwar
kehr umzusetzen, muss das Problem eine wichtige politische Handlungsop-
des Lkw-Fahrermangels abgemildert tion dar, die auch in den folgenden
werden, selbst wenn mittel- und lang- Empfehlungen aufgegriffen wird, doch
fristig eine partielle Güterverkehrsver- werden sie allein nicht reichen. Zu-
lagerung weg von der Straße anzu- dem unterliegt ihre Wirksamkeit Risi-
streben ist. ken, die von Entwicklungen in ande-
ren Ländern beeinflusst werden.
Einen gewissen Hebel stellen noch zu
realisierende Effizienzsteigerungen in Grundsätzlich vertritt der Wissen-
den Bereichen Infrastruktur, Ver- schaftliche Beirat die Auffassung, dass
kehrsmanagement und Logistik dar. eine Branche ihre wirtschaftlichen
Sie ermöglichen kurz- und mittelfristig Probleme selbst angehen muss. Dreh-
höhere Lkw-Auslastungsgrade und und Angelpunkt für eine Lösung des
damit einhergehend (bei konstantem Problems Fahrermangel sind Lohner-
Sendungsvolumen) eine etwas kleine- höhungen und Verbesserungen der

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Arbeitsbedingungen für Lkw-Fahrer stellen. Der Markt zeigt offensichtlich
am Markt. Solche Marktanpassungen eine hohe Wettbewerbsintensität, so
finden bereits statt und werden in dass kaum Spielräume für Preiserhö-
Zukunft weiter erfolgen. Es besteht hungen bestehen.
aber die Sorge, dass die marktlichen
Hinzu kommt, dass die Betreiber
Anpassungsprozesse – wie graduelle
schwerer Lkws in der letzten Zeit ei-
Lohnerhöhungen oder Effizienzsteige-
nem wachsenden Konkurrenzdruck
rungen – ohne verkehrspolitische
durch eine neuartige Fahrzeugkatego-
Flankierung nicht rechtzeitig und in
rie ausgesetzt sind. Fahrzeuge mit bis
ausreichendem Maße stattfinden
zu 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtge-
werden. Als Folge drohen dann erheb-
wicht und einer kleinen Schlafkabine
liche Anpassungszwänge mit negati-
über dem Führerhaus sind nach der-
ven Auswirkungen auf die Wirt-
zeit geltendem Recht von der Maut-
schaftsabläufe.
pflicht befreit und auch den Vorschrif-
Graduelle Marktanpassungen werden ten zu Lenk- und Ruhezeiten nicht
durch verschiedene Faktoren er- unterworfen. Ferner gelten für diese
schwert. Dies hat mit der besonderen Fahrzeuge keine Wochenendfahrver-
Situation Deutschlands als wichtiges bote und keine generellen Geschwin-
Ursprungs- und Destinationsland für digkeitsbegrenzungen. Damit sind
Güterverkehre einerseits und als zent- diese Fahrzeuge hoch agil einzusetzen
rales europäisches Transitland ande- und fahren zu sehr niedrigen Grenz-
rerseits zu tun. So wurden in Deutsch- kosten, zumal auch sie oft aus Nach-
land beispielsweise im Jahr 2016 ins- barländern mit niedrigeren Einkom-
gesamt gut 257 Mio. Fahrten im Be- mensniveaus und Mineralölsteuern
reich Güterverkehr durchgeführt und kommen, um den deutschen Markt zu
dabei Güter mit einem Gesamtge- bedienen. Der schnell wachsende
wicht von über 3,1 Mrd. Tonnen Marktanteil dieser Fahrzeuge führt zu
transportiert (Güterverkehrsstatistik, einem erhöhten Bedarf an Fahrern
BMVI 2020). Der Anteil ausländischer und oftmals zu erhöhten Emissionen
Mautgebührenzahler belief sich 2018 und Straßenbelastungen, selbst bei
in Deutschland auf insgesamt 41,7% konstantem Sendungsvolumen.
(Mautstatistik, BAG 2018). Daher sind
Die inländischen Unternehmen des
in Deutschland permanent eine große
Schwerlastverkehrs zögern daher mit
Zahl von ausländischen Lkws unter-
Preiserhöhungen, da sie unkalkulier-
wegs, welche im Rahmen der Kabota-
bare Marktanteilsverluste gegenüber
ge-Regelungen – oder aber deren
den Konkurrenten befürchten müs-
teilweiser Unterlaufung – eine stets
sen. Zudem sind auf dem Straßengü-
drohende, potenzielle Konkurrenz für
terverkehrsmarkt viele Kleinstunter-
die inländischen Transporteure dar-

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STRUKTURELLE TREIBER UND VERKEHRSPOLITISCHER HANDLUNGSBEDARF

nehmen aktiv, die 1-5 Fahrzeuge, 1-10 Flankierung sind Anpassungsprozesse


Mitarbeitende und geringe Eigenkapi- mit weitreichenden negativen Folgen
talreserven haben. Bei diesen Markt- zu befürchten.
teilnehmern ist davon auszugehen,
Eine in diesem Zusammenhang denk-
dass ihre prekäre Position am Markt
bare Maßnahme wäre die Lockerung
kaum Preiserhöhungen erlaubt. Wenn
der Kabotage- und Entsendebe-
die Transportunternehmen generell
schränkungen in Deutschland. Doch
den Spielraum für Preiserhöhungen
sie wäre ein zweischneidiges Schwert.
gering einschätzen, dann müssen sie
Ausländische Unternehmen würden
auch gegenüber Kostenerhöhungen
sich in Deutschland stärker entfalten
zurückhaltend sein. Hinsichtlich des
können. Dies würde einerseits die
Fahrermangels werden sie daher nur
drohenden Engpassprobleme bei Lkw-
sehr zögerlich Lohnerhöhungen oder
Fahrern für Wirtschaft und Gesell-
mit Zusatzkosten verbundene Verbes-
schaft abmildern. Andererseits wür-
serungen der Arbeitsbedingungen der
den jedoch angesichts der beschrie-
Fahrer anbieten. Es droht eine Ver-
benen Situation der inländischen Un-
schleppung der notwendigen Anpas-
ternehmen diese vor noch stärkere
sungen, die branchenweit zu einer
Anpassungszwänge gestellt werden
Zuspitzung des Problems des
und viele Anbieter müssten den Markt
Fahrermangels führen kann.
verlassen. Dies liegt auch daran, dass
Hinzu kommt, dass Transportunter- die Kontrollen von Mindestlohn, Si-
nehmen die Arbeitsbedingungen ihrer cherheits- und Qualitätsstandards bei
Fahrer nur unvollständig kontrollieren Lkws und Fahrern, die nur vorüberge-
können. Auf der Strecke werden die hend im Lande sind, sowie die Haf-
Arbeitsbedingungen insbesondere tungsdurchsetzung bei ausländischen
durch die relative Knappheit von Park- Unternehmen schwieriger sind als bei
und Übernachtungsmöglichkeiten und inländischen Anbietern. Ob die inlän-
die Prozesse bei den Güterterminals dische Branche dann in der Lage wäre,
(siehe dazu genauer Abschnitt 3.2) Strukturanpassungen wie Lohnerhö-
beeinträchtigt. Die Verschlechterung hungen für Lkw-Fahrer und Verbesse-
der realen Arbeitsbedingungen wird rungen des Berufseinstiegs besser zu
begleitet von der Erosion des ehemals meistern, erscheint fraglich. Die Poli-
vorteilhaften Berufsbildes. tik hat sich im Koalitionsvertrag ein-
deutig gegen eine Lockerung der Ka-
Der Markt steht damit zwar weiterhin
botage-Regelungen ausgesprochen.
in erster Linie selbst in der Verantwor-
Sollte eine solche Lockerung später in
tung, die nötigen Anpassungen zu
Betracht gezogen werden, wäre die
schaffen, braucht dabei aber zumin-
Branche deutlich besser darauf vorbe-
dest temporär verkehrspolitische Un-
reitet, wenn zuvor wirksame Maß-
terstützung und wirksame Förder-
nahmen greifen würden, die das Prob-
maßnahmen. Ohne verkehrspolitische

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lem des Fahrermangels abmildern. Die Ein Grund für den Mangel an qualifi-
folgende Stellungnahme nimmt die zierten Bewerbern ist die Aussetzung
gültigen Regelungen des Kabotage- der Wehrpflicht im Jahr 2011. Die
und Entsenderechts als gegeben und Bundeswehr als Ausbildungsstätte für
diskutiert in diesem Rahmen Maß- spätere Berufskraftfahrer hat dadurch
nahmen zur Milderung des beachtlich an Bedeutung verloren.
Fahrermangels. Zum Vergleich: Im letzten Jahr der
Wehrpflicht (2010) haben 17.800
1.2 Ursachen, aktueller Menschen eine Kraftfahrausbildung
Stand und Prognose bei der Bundeswehr erfolgreich abge-
des Fahrermangels in schlossen, im Jahr 2018 waren es nur
Deutschland noch ca. 11.000 Personen.

Der demografische Wandel in


Deutschland begründet ebenfalls den
Zunächst gilt es, die Ursachen des Mangel an Fahrern. Der Anteil der
Fahrermangels in Deutschland aufzu- unter 20 -jährigen an der Gesamtbe-
zeigen. Mittels statistischer Progno- völkerung ist zwischen 1950 und 2018
sen wird auf dieser Basis ein Zu- von 30 Prozent auf 18 Prozent gesun-
kunftsbild aufgezeigt, welches Rück- ken. Eine anhaltende Abnahme dieser
schlüsse auf den verkehrspolitischen Altersgruppe wird bis ins Jahr 2060
Handlungsbedarf erlaubt. durch das Demografie-Portal des
Ursachen des Fahrermangels Bundes und der Länder prognostiziert.
Trotz hoher Nettozuwanderung und
In einer Studie des Bundesverbands leicht gestiegener Geburtenrate findet
für Logistik (BVL) aus dem Jahre 2017 weiterhin eine verstärkte Alterung der
wird ein Mangel an qualifizierten Be- Bevölkerung in Deutschland statt.
werbern als Hauptgrund für offene Laut der 14. koordinierten Bevölke-
Stellen in der Transport- und Logistik- rungsvorausberechnung des Statisti-
branche identifiziert. Der Fachkräfte- schen Bundesamtes sinkt die Bevölke-
mangel wird von 74 Prozent der Be- rung im Erwerbsalter bis zum Jahr
fragten als primärer Faktor für unbe- 2035 um 4-6 Millionen Menschen
setzte Stellen in Unternehmen ange- (Destatis). Mangelnder Nachwuchs
geben. 80 Prozent der Befragten be- führt laut Bundesamt für Güterver-
merken zudem, dass die Anzahl an kehr (BAG) auch zu einer Verschie-
geeigneten Bewerbern für eine Stelle bung in der Altersstruktur der Berufs-
in den letzten Jahren zurückgegangen kraftfahrer. Waren im Jahr 2012 noch
ist. 23,2 Prozent der Fahrer der Alters-
gruppe 55-65 Jahre zuzuordnen, sind
es im Jahr 2017 bereits 26,5 Prozent.

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STRUKTURELLE TREIBER UND VERKEHRSPOLITISCHER HANDLUNGSBEDARF

Die Altersgruppe von Fahrern über 65 hohem Stress für die Fahrer. Schließ-
Jahren stieg im gleichen Zeitraum von lich sind die Raststätten-Kapazitäten
einem Wert bei null auf 2,5 Prozent- mit Zugang zu Basis-Services wie WC
punkte an. Dem gegenüber steht die und Dusche zu knapp bemessen.
Altersgruppe der Fahrer zwischen 25-
Aktueller Stand
55 Jahren: Diese sank von 74 Prozent
im Jahr 2012 auf 68,4 Prozent (2017). Laut einer Befragung der Bundesver-
Die Nachwuchsgruppe mit Fahrern einigung Logistik (BVL) sind 78 Prozent
unter 25 Jahren sank im selben Zeit- der Logistikdienstleister von einem
raum von 2,8 Prozent auf 2,6 Prozent. Mangel an qualifizierten Fachkräften
betroffen. Die Fachkräfteengpassana-
Auch das unattraktive Berufsbild des
lyse der Bundesagentur für Arbeit aus
Berufskraftfahrers gilt als zentraler
dem Dezember 2019 weist die Fach-
Faktor des Fahrermangels. Insbeson-
kräftegruppe Berufskraftfahrer in al-
dere im Lkw-Fernverkehr sind Fahrer
len deutschen Bundesländern außer
lange Zeit von ihren Familien getrennt
Mecklenburg-Vorpommern mit der
und sozial isoliert. Die Verbreitung der
Bezeichnung „Fachkräftemangel“ aus
Telematik und des digital unterstütz-
und erkennt diese Berufsgruppe da-
ten Trackings von Lkws führen zum
mit als Mangelberuf an (Statistik der
Bild des „gläsernen“ Fahrers – im Ge-
Bundesagentur für Arbeit 2019). Die
gensatz zum früheren „König der
Berufsgruppe Berufskraftfahrer wurde
Landstraße“ mit vielen subjektiv emp-
dahingehend auf die Positivliste der
fundenen Freiräumen. Begrenzte Wei-
Bundesagentur für Arbeit gesetzt, um
terbildungs- und Aufstiegsmöglichkei-
eine gezielte Zuwanderung von Fach-
ten und eine oftmals als respektlos
kräften in Ausbildungsberufe zu er-
empfundene Behandlung der Fahrer
möglichen.
an den Rampen als „letztes Glied in
der Kette“ verschärfen das unattrakti- Laut Deutschem Speditions- und Lo-
ve Berufsbild. gistikverband (DSLV) fehlen der Lo-
gistikbranche allein in Deutschland
Nicht zuletzt begünstigen unattraktive
aktuell etwa 45.000 Berufskraftfahrer
Arbeitsbedingungen den Fahrerman-
mit weiter schnell steigender Ten-
gel. Wachsendes Verkehrsaufkommen
denz. In Deutschland scheiden aktuell
und eine überlastete Verkehrsinfra-
jährlich ca. 30.000 Berufskraftfahrer
struktur bedingen immer mehr Staus
altersbedingt aus dem Berufsleben
und erhöhen den Zeitdruck. Denn die
aus. Demgegenüber stehen lediglich
eng vorgegebenen Zeitfenster an den
knapp 17.000 Personen, welche durch
Rampen, die einsatzsynchronen Anlie-
eine Ausbildung zum Berufskraftfah-
ferkonzepte und der Mangel an Stell-
rer hinzugewonnen werden (Bundes-
und Parkplätzen für Lkws führen bei
verband Güterverkehr, Logistik und
gleichzeitigem Zwang zur Einhaltung
Entsorgung BGL).
von Lenk- und Ruhezeitregelungen zu

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Die Verkehrsleistung im deutschen Bei dieser Prognose des Fahrerman-
Straßengüterverkehr belief sich im gels ist der zu erwartende Anstieg der
Jahr 2017 auf insgesamt 484 Mrd. Verkehrsleistung noch nicht mitbe-
Tonnenkilometer. Gegenüber dem rücksichtigt. Gleichzeitig weist aber
Vorjahr (2016) bedeutet das ein ver- die Verkehrsprognose des BMVI be-
zeichnetes Wachstum von 1,7 Pro- züglich der Verkehrsleistung des Stra-
zent. Der Anteil des Verkehrsträgers ßengüterverkehrs in Deutschland bis
Straße betrug dabei 74 Prozent an der ins Jahr 2030 einen Anstieg auf 607
gesamten Verkehrsleistung zu Lande Mrd. Tonnenkilometer aus und ver-
(Straße, Schiene, Wasserstraße). Die merkt damit ein Wachstum von über
Beförderungsmenge im Straßengüter- 20 Prozent gegenüber dem Jahr 2017.
verkehr stieg im Vergleich zum Vor- Der Nutzfahrzeugbestand wird mittel-
jahr im Jahr 2018 um 1,2 Prozent auf fristig bis zum Jahr 2040 von heute
insgesamt 3,2 Mrd. Tonnen an (Desta- knapp 3,15 Mio. auf 3,5 Mio. Fahrzeu-
tis). Der Lkw-Bestand in Deutschland ge ansteigen (Shell).
betrug gut 3,1 Millionen Fahrzeuge
Damit ist festzuhalten: Die Nachfrage
(inkl. Fahrzeuge bis 3,5 Tonnen zuläs-
nach Transportangeboten im Stra-
sigem Gesamtgewicht) zum
ßengüterverkehr wird in Deutschland
01.01.2019 und verzeichnet damit ein
voraussichtlich weiter steigen. Die
Wachstum von 3,9 Prozent gegenüber
Zahl der verfügbaren Lkw-Fahrer wird
dem Vorjahr (Kraftfahrtbundesamt
gleichzeitig deutlich abnehmen. In der
KBA).
Folge ist mit verstärkten Fracht-
Zukünftige Entwicklung raumengpässen und anhaltend ein-
brechenden Service-Levels zu rech-
Laut einer Umfrage der BVL erwarten
nen. Es ist demnach dringend Abhilfe
rund 82 Prozent der befragten Lo-
gefordert. Der Verkehrspolitik kommt
gistikdienstleister langfristig negative
dabei eine wichtige flankierende Rolle
bis stark negative Auswirkungen des
zu.
Fachkräftemangels in der Logistik auf
den eigenen Unternehmenserfolg.
Gemäß der Internationalen Straßen-
union (IRU) werden bis zum Jahr 2027
ca. 185.000 Berufskraftfahrer in
Deutschland fehlen, gemessen an der
Anzahl der Berufskraftfahrer in
Deutschland im Jahr 2016 von gut 1.1
Millionen Personen ein beachtlicher
Anteil.

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2 Bisherige und aktuelle Maßnahmen der deutschen


Verkehrs- und Arbeitsmarktpolitik

2.1 Förderprogramm des rern in Deutschland von 4.800 (in


BMVI 2009) auf 7.300 (in 2013) an. In einem
zweiten Zeitraum (2013-2016) war ein
Die Bundesregierung hat ein Pro- anhaltender Rückgang der abge-
gramm zur Förderung der Aus- und schlossenen Ausbildungsverträge von
Weiterbildung, Qualifizierung und Berufskraftfahrern auf insgesamt
Beschäftigung in Unternehmen des 6.800 im Jahr 2016 zu verzeichnen. Im
Güterkraftverkehrs mit schweren darauffolgenden Jahr (2017) erhöhte
Nutzfahrzeugen aufgelegt. Das Pro- sich die Anzahl wiederum auf knapp
gramm startete 2009 und ist unbefris- 7.100. Insgesamt ist trotz des wech-
tet angelegt. Die Förderung wird in selhaften Verlaufs eine gewisse mit-
Form eines nicht rückzahlbaren Zu- telfristige Zunahme der Anzahl abge-
schusses gewährt. Bei betrieblichen schlossener Ausbildungsverträge seit
Ausbildungsverhältnissen zum Berufs- Beginn der Maßnahme zu verzeichnen
kraftfahrer werden bis zu 50% der (Destatis). Verglichen mit der Anzahl
zuwendungsfähigen Kosten gefördert. altersbedingter Abgänge von Fahrern
Die Förderung erhöht sich für mittlere pro Jahr ist die Anzahl der abgeschlos-
Unternehmen auf 60% und für kleine senen Ausbildungsverträge allerdings
Unternehmen auf 70%. Pauschal wer- weiterhin sehr niedrig.
den 50.000 € als zuwendungsfähige
Kosten pro Ausbildungsverhältnis an- 2.2 Qualifizierungspro-
erkannt. gramm der Bundesagen-
tur für Arbeit
Ziel des Förderprogramms ist die Er-
höhung der Anzahl an Personen, wel- Basierend auf der Anerkennung der
che sich für eine Aus- und Weiterbil- Berufskraftfahrer als Mangelberuf
dung im Berufsfeld Berufskraftfahrer führt die Bundesagentur für Arbeit ein
entscheiden. umfassendes Qualifizierungspro-
gramm durch, das Transportunter-
In den ersten vier Jahren nach Beginn
nehmen die Möglichkeit gibt, bei der
der Maßnahme (2009-2013) stieg die
Integration von Flüchtlingen in die
Anzahl an abgeschlossenen Ausbil-
Gesellschaft mitzuwirken. Im Rahmen
dungsverträgen bei Berufskraftfah-
einer Teilqualifizierung können Teil-

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nehmende die klassische Berufsaus- Unterkunft beziehen. Die Verfügbar-
bildung segmentiert in einzelne The- keit preiswerter Unterkünfte ist aller-
menkomplexe absolvieren. Diese dings viel zu knapp und deren Aus-
Lehrgänge sind bei der Bundesagentur stattung zudem oft ungenügend. Die
förderbar in Gestalt von Bildungsgut- Absicht, Fahrer durch Vorgaben zu
scheinen (bis zu 100% der Kosten). Bei schützen, erzielt einen konträren Ef-
Absolvierung sämtlicher Module kann fekt. Denn Fahrer bevorzugen oftmals
ein Berufsabschluss erworben wer- die Übernachtung in den generell
den. komfortabel ausgestatteten Lkws
nicht zuletzt auch vor dem Hinter-
Mit dem vorliegenden Qualifizie-
grund, dass sie damit die ihnen zu-
rungsprogramm hat sich die Bunde-
stehenden, steuerfreien Spesensätze
sagentur für Arbeit auf lediglich einen
nicht ausgeben müssen, aber auch,
Ansatzpunkt fokussiert: Schulung und
um die Fahrzeuge vor Diebstahl be-
Einsatz von Geflüchteten im Berufs-
wachen zu können. Die mangelnde
feld Berufskraftfahrer. Über die Zieler-
Flexibilität für Fahrer erschwert die
reichung und Wirkung der Maßnahme
Ausübung des Berufes zusätzlich und
liegen keine Daten vor.
schadet dem Berufsimage.
2.3 Änderung des Fahrper- Ausländische Fahrer werden durch die
sonalgesetzes Regelung stärker betroffen als inländi-
scher Fahrer, denn die Kosten einer
Ein von der EU-Kommission initiiertes
Heimfahrt ins Ausland sind im Schnitt
Gesetzespaket (EU-Richtlinie
sicherlich absolut höher als zu einem
2002/15/EG und EU-Verordnung
inländischen Standort und gegebene
561/2006) wurde von Deutschland im
Kosten von Übernachtung oder Heim-
Rahmen der Änderung des Fahrper-
fahrt sind für ausländische Fahrer auf-
sonalgesetzes im Jahr 2017 umge-
grund ihres niedrigeren Gehalts relativ
setzt. Kernaussage der Gesetzesände-
höher als für inländische Fahrer. Da-
rung ist, dass Berufskraftfahrer ihre
her könnte die Maßnahme den Effekt
wöchentliche Ruhezeit nicht mehr im
haben, für die inländischen Unter-
Fahrzeug verbringen dürfen. Durch
nehmen den Konkurrenzdruck durch
die Neuregelung will die Bundesregie-
ausländische Unternehmen etwas
rung Sozialstandards für die Fahrer
abzumildern und ihnen somit Spiel-
schützen und die Verkehrssicherheit
raum für eine Lohnerhöhung zu eröff-
erhöhen. Bei Zuwiderhandlungen
nen. Ob dies tatsächlich der Fall ist
drohen Unternehmen Geldbußen in
und ob es die negativen Auswirkun-
einer Höhe von bis zu 1.500 EUR.
gen der Regelung für die eigenen Fah-
Die Fahrer müssen aufgrund dieser rer überkompensiert, ist nicht be-
Regelung für längere Ruhezeiten ent- kannt. Auch ist fraglich, ob Wettbe-
weder nach Hause fahren oder eine werbspolitik in dieser Form sinnvoll

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STRUKTURELLE TREIBER UND VERKEHRSPOLITISCHER HANDLUNGSBEDARF

ist. Insgesamt sieht der Wissenschaft- kungskontrolle der bisherigen Maß-


liche Beirat die aktuelle Regelung eher nahmen.
kritisch und empfiehlt eine Revision
(siehe Kapitel 3.2).

2.4 Aufnahme in das Inno-


vationsprogramm Logis-
tik 2030
Drohende Versorgungsengpässe auf-
grund des Fahrermangels im Lo-
gistiksektor rücken immer mehr ins
Bewusstsein von Politik und Öffent-
lichkeit. Eine Verbände-Initiative aus
Transport, Logistik, Industrie und
Handel hat einen Fünf-Punkte-Plan
gegen Logistik-Engpässe und Fahrer-
mangel entwickelt. Der Bundesver-
kehrsminister hat hierbei die Schirm-
herrschaft für eine Imagekampagne
übernommen.

Die Beseitigung des Fahrermangels in


Deutschland wurde durch den Bun-
desverkehrsminister in das Innovati-
onsprogramm Logistik 2030 des BMVI
aufgenommen. Diese Maßnahme ist
als positives Signal an die Branche und
deren Akteure zu werten.

2.5 Zwischenfazit zu den


bisher ergriffenen Maß-
nahmen
Die bisherigen Maßnahmen zeigen,
dass die deutsche Verkehrspolitik ver-
sucht hat, einzelne Akzente zu setzen.
Der Gesamteindruck ist jedoch, dass
die Maßnahmen keineswegs ausrei-
chen, um dem Problem des
Fahrermangels wirksam entgegenzu-
treten. Zudem fehlt bislang eine Wir-

Seite 13
3 Impulse und Empfehlungen für weitere verkehrspo-
litische Maßnahme

Der Wissenschaftliche Beirat skizziert leichtern bzw. für bestimmte Perso-


im Folgenden eine systematische, nengruppen überhaupt erst zu ermög-
breiter als bisher angelegte Politik zur lichen. Potenzielle Erleichterungen
Linderung des Fahrermangels, die von beim Zugang zum Führerschein dürfen
der Erleichterung des Berufseinstiegs dabei nicht zu Lasten der Verkehrssi-
über die Steigerung der Jobattraktivi- cherheit gehen. Beispiele aus dem
tät bis zu einem Marketing für ein Ausland zeigen Potentiale dafür auf,
positives Berufsbild reicht. Da es je- Ausbildungsprozesse zu verschlanken
doch keinen „Königsweg“ zur Lösung und mit entsprechenden Anreizsys-
des Problems gibt, ist eine Kombinati- temen zu kombinieren.
on verschiedener Impulse nötig, in die
In diese Richtung geht der Vorschlag,
sich die bisher ergriffenen Maßnah-
einen (ggf. eingeschränkten) Lkw-
men (siehe Kapitel 2) als Bestandteile
Führerschein bereits mit 17 Jahren zu
oder ausbaufähige Ansätze einglie-
ermöglichen. Eine „Jugendlichkeits-
dern lassen.
Problematik“ – analog zum Pkw – wä-
Die Impulse orientieren sich an den
re in diesem Fall nicht zu erwarten,
identifizierten Ursachen des
jedoch müsste altersbedingten kör-
Fahrermangels in Deutschland und
perlichen und geistigen Besonderhei-
sind als Anregungen an die Verkehrs-
ten Rechnung getragen werden (z.B.
politik zu verstehen. Eine umfassende
schnellere Ermüdung im jungen Alter).
Analyse der Wirkungen jedes einzel-
Die Maßnahme darf nicht als Vorstufe
nen Vorschlags kann hier nicht geleis-
für die Einführung des Pkw-
tet werden. Generell ist zu konstatie-
Führerscheins mit 17 missverstanden
ren, dass alle beschriebenen Impulse
werden, sondern ist klar als Teil einer
das Potenzial haben, den Fahrerman-
Berufsausbildung zu sehen.
gel zu lindern, darüber hinaus aber
auch mit Nebeneffekten verbunden Anknüpfend an das bereits initiierte
sein können, die bei einer Umsetzung Förderprogramm des BMVI ist es un-
zu bedenken wären. abhängig vom Alter der Kandidaten
denkbar, eine finanzielle Förderung
3.1 Erleichterungen für den des Führerscheinerwerbs oder die
Berufseinstieg Auszahlung eines Bonus vom Staat bei
Eine erste Klasse an Maßnahmen zielt Abschluss einer Fahrerausbildung und
darauf ab, den Berufseinstieg zu er- anschließender Arbeit im Beruf auszu-

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STRUKTURELLE TREIBER UND VERKEHRSPOLITISCHER HANDLUNGSBEDARF

loben. Auch die Umschulung von Ar- reich dienen, wo ein Programm mit
beitnehmern mit anderem Hinter- halber Lehrzeit (1,5 statt wie bisher 3
grund (Quereinsteiger) kann auf diese Jahre Ausbildungszeit) bereits in eini-
Art unterstützt werden. Die Teilnah- gen Landesteilen umgesetzt wurde.
me an solch einem Programm sollte
Vor dem Hintergrund der demogra-
auch in die Aufnahme einer entspre-
phischen Entwicklung in Deutschland
chenden Tätigkeit münden und nicht
sollte die Akquise ausländischer Ar-
nur als Zugang zu einem kostenlosen
beitnehmer angestrebt und erleich-
Führerschein gesehen werden. Auf
tert werden. Dazu gehören auch
besonders restriktive Anforderungen
Social-Media-Aktivitäten wie etwa
ist in dieser Hinsicht allerdings zu ver-
Flagship-Programme. Eine Prüfung
zichten. Es reicht, wenn der Erwerb
und ggf. Beseitigung bestehender bü-
des geförderten Führerscheins mit
rokratischer Hürden, z.B. bei der An-
einer zeitlich begrenzten „Schnupper-
erkennung ausländischer Führer-
Tätigkeit“ im Fahrerberuf verbunden
scheine, hält der Wissenschaftliche
wird. Die Aufnahme der Tätigkeit
Beirat für angebracht. Man kann auch
muss auch nicht beim ausbildenden
über eine stark geförderte Um- oder
Unternehmen erfolgen, um die För-
Nachschulung der Fahrerkenntnisse
derfähigkeit zu erhalten.
auf Basis eines ausländischen Führer-
Sinnvoll erscheint zudem die Optimie- scheins nachdenken. Um Arbeitneh-
rung / Straffung des Qualifikations- mer aus dem europäischen Ausland
prozesses, bei unveränderter Qualität anzulocken, kann ein kombiniertes
der Ausbildung bzw. uneingeschränk- Angebot von Fahrerausbildung,
ter Aufrechterhaltung etablierter und Sprachkurs, weiteren Integrationspro-
bewährter Anforderungen an die Qua- grammen und vorübergehendem
lifikation als Berufskraftfahrer. Denk- Wohnraum aufgesetzt werden. Dies
bar ist dabei eine beschleunigte würde ausländischen Arbeitnehmern,
Grundqualifikation durch ein modula- die am deutschen Arbeitsmarkt inte-
res Qualifizierungsprogramm, in dem ressiert sind, die Gelegenheit für ei-
eine Grundqualifikation für einen nen Einstieg geben, dies mit einer
leichten Einstieg ebenso enthalten ist Berufsausbildung in einer Branche, die
wie modulare Vertiefungen (ggf. ge- langfristig Arbeitskräftebedarf aufwei-
fördert) nach Bedarf (Stufenpro- sen wird, zu verbinden. Solche Pro-
gramm). Diese Vertiefungen, die in gramme können speziell auch Flücht-
der Regel mit Blick auf die Anforde- lingen zugänglich gemacht werden,
rungen im jeweiligen Unternehmen um deren Eingliederung zu fördern.
erfolgen, könnten über eine Bezu-
schussung für die betroffenen Unter-
nehmen zusätzlich erleichtert werden.
Als generelles Beispiel mag hier Öster-

Seite 15
3.2 Steigerung der Job- Die Anwerbung von Arbeitskräften
attraktivität aus dem Ausland würde auch durch
die Vermittlung von langfristigem
Eine zweite Klasse von Maßnahmen Wohnraum für die Fahrer unterstützt
adressiert die Attraktivität des Kraft- werden. Eine solche Unterstützung
fahrerberufs. Dazu gehören überge- von staatlicher Seite kann einen
ordnete Aspekte wie etwa die finanzi- Wettbewerbsvorteil gegenüber ande-
elle Situation der Arbeitnehmer oder ren Nationen bedeuten, in denen ein
bessere Möglichkeiten der Vereinbar- solches Angebot nicht vorhanden ist.
keit von Familie und Beruf. Auf der Dieser Service kann auch inländischen
Detailebene betrifft dies die konkre- Arbeitskräften angeboten werden,
ten Arbeitsbedingungen der Lkw- wenn für sie Umzüge nötig werden.
Fahrer. Die hier vorgeschlagenen Für inländisches ebenso wie für aus-
Maßnahmen zielen dabei sowohl auf ländisches Fahrpersonal wichtig er-
die Gewinnung potenzieller Interes- scheinen Programme zur besseren
senten am Fahrerberuf als auch auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
die langfristige Bindung bereits für
den Beruf gewonnener Fahrer ab. Nicht zu vernachlässigen ist zudem
das Weiterbildungsangebot für Fahrer
Ein zentraler Aspekt bei der Entschei- (sowohl mit unmittelbarem Bezug zur
dung für oder gegen den Kraftfahrer- Fahrertätigkeit als auch darüber hin-
beruf ist zweifellos die Entlohnung. aus) sowie die Möglichkeit, derartige
Entsprechend muss es Ziel sein, deut- Angebote auch wahrzunehmen. Ent-
liche Lohnsteigerungen für Lkw-Fahrer sprechende Konzepte zur fahrerischen
zu erreichen. Für dieses Bestreben Weiterbildung, z.B. durch den Einsatz
zuträglich könnten gezielte Mautbe- von mobilen Fahrsimulationen sowie
freiungen für Unternehmen mit Fahr- die Einbindung von Fahrzeug-
zeugen sein, die überdurchschnittlich Herstellern, sind im Ausland bereits zu
wenig Emissionen ausstoßen. Umge- beobachten (siehe z.B. Volvo Group
kehrt könnte auch eine Mauterhe- Australia Driver Academy). Aber auch
bung von kleineren Lkw (unter 7,5 die zunehmende Digitalisierung, die
Tonnen) in Erwägung gezogen wer- zweifellos eine Herausforderung für
den, die dann entsprechend Spiel- die Branche darstellt, kann im Kontext
raum für höhere Margen bei den grö- Weiterbildung als Chance verstanden
ßeren Lkws schaffen könnte. In die und aufgegriffen werden nach dem
Neugestaltung des Lkw-Mautsystems Motto „Digitalisierung verändert den
könnte auch eine Anreizsetzung in Beruf, schafft ihn aber nicht ab“. Ent-
Verbindung mit der Fahrzeugauslas- sprechende Weiterbildungsangebote
tung einbezogen werden. sowie diesbezügliche Anpassungen in
den Ausbildungsprogrammen können

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STRUKTURELLE TREIBER UND VERKEHRSPOLITISCHER HANDLUNGSBEDARF

zusätzlich geeignet sein, den Beruf für In diesem Zusammenhang erscheint


potenzielle Interessenten attraktiver auch eine Revision des Fahrpersonal-
zu machen. gesetzes in Bezug auf das zwingende
Verbringen der wöchentlichen Pau-
Der Verbesserung der Arbeitsbedin-
senzeiten außerhalb des Fahrzeuges
gungen während der Touren dient
geboten. Das Bestreben der Bundes-
eine Förderung für das Aufrüsten von
regierung, Sozialstandards für die Fah-
Parkplätzen und Raststätten im Hin-
rer schützen, ist zwar prinzipiell zu
blick auf Services wie Zugang zu sani-
unterstützen. Jedoch legt die Erfah-
tären Einrichtungen (Dusche / WC)
rung seit Einführung des Gesetzes
sowie Verfügbarkeit von Internet oder
nahe, dass dessen aktuelle Ausgestal-
Bewachung der Fahrzeuge. Dies gilt
tung von den Fahrern nicht als Schutz,
auch für privat betriebene Stationen.
sondern vielmehr als finanzielle Ver-
Um neue und größere Raststätten und
schlechterung wahrgenommen wird,
Parkplätze zu errichten, sollte der
und damit der Attraktivität des Kraft-
Bund die betroffenen Kommunen
fahrerberufs abträglich ist. Entspre-
finanziell kompensieren, so zum Bei-
chend empfiehlt der Wissenschaftli-
spiel für eine (verbindlich zu vereinba-
che Beirat eine mit EU-Recht kompa-
rende) verstärkte polizeiliche Präsenz
tible Neufassung des Gesetzes, sodass
bei diesen Anlagen und in ihrem
längere Pausen mit Übernachtungen
räumlichen Umfeld. Bei sehr großen
im Fahrzeug erlaubt werden, wenn
Anlagen, für deren konkrete Standor-
Mindeststandards im Fahrzeug (Kabi-
te es ausreichende räumliche Flexibili-
ne) und am Parkplatz (sanitäre Anla-
tät gibt, könnte der Bund ein Aus-
gen) erfüllt sind. Zusammen mit den
schreibungsmodell für die Kommunen
zuvor beschriebenen Anstrengungen
mit der Diktion aufsetzen, dass dieje-
für eine Aufrüstung von Parkplätzen
nige Kommune, welche die geringsten
und Raststätten sollte sich dann eine
Kompensationszahlungen fordert,
Verbesserung der Bedingungen für die
einen Zuschlag für die Errichtung der
Fahrer ergeben.
Anlage mit dem Zuschuss erhält. Die
Refinanzierung solcher Bundeszah- Eine besondere Situation entsteht für
lungen kann über die Lkw-Maut erfol- die Fahrer an den Rampen von Hubs
gen. Denn die der Lkw-Maut zugrun- und Distributionszentren. Be- und
deliegende Wegekostenrechnung be- Entladeslots werden im Vorfeld ein-
rücksichtigt alle im Zusammenhang zelnen Fahrzeugen zugeteilt, wobei
mit den Bundesfernstraßen entste- die Algorithmen der Slotvergabe sich
henden Kosten. Dabei werden Kosten an optimierten Abläufen in den Hubs
von speziell für Lkws eingerichteten und nicht an den Touren der Lkws
Raststätten und Parkplätzen auch voll ausrichten. Das Verpassen eines zuge-
den Lkws angelastet. teilten Slots führt in der Regel dazu,
dass ganze Touren zusammenbrechen

Seite 17
und zudem empfindliche Strafzahlun- Kampagnen zugunsten der Lkw-Fahrer
gen für die Transportunternehmen wäre ebenso hilfreich wie die Unter-
fällig werden. Entsprechend groß ist stützung des Auslobens von CSR-
der Druck auf die Fahrer, die Slots zu orientierten1 Awards für Unterneh-
treffen. Die Fahrer planen deshalb men, die einen besonders fairen und
Zeitpuffer in der Nähe der Rampen respektvollen Umgang mit Lkw-
ein, z.B. auf nahe gelegenen Auto- Fahrern pflegen.
bahnparkplätzen. Vor den Rampen
Weitere denkbare Maßnahmen ad-
rücken die Lkws dann schrittweise
ressieren das Image der Logistik- und
auf. Dieses Aufrücken gilt als Lenkzeit,
Transportbranche allgemein. Davon
obwohl die Fahrzeuge größtenteils
profitiert auch das Berufsbild des Lkw-
stehen. Dieses Gesamt-Phänomen löst
Fahrers.
einen großen Stressfaktor bei den
Fahrern aus. Mit gezielten Förder- Generell notwendig erscheint eine
maßnahmen kann das BMVI auf die Förderung des Berufsimages durch ein
Verbreitung digitaler Instrumente aktiveres Marketing sowohl von Sei-
einwirken, welche die Slot-Planung ten der Arbeitgeber als auch von öf-
mit der Tourenplanung kombinieren fentlicher Seite. Dazu gehört z.B. das
und so den Druck auf die Fahrer redu- Bewerben des Berufs in Schulen, etwa
zieren. mit Hilfe eines „rollenden Arbeitsplat-
zes“ einschließlich Demonstrations-
3.3 Positive Imagebildung
maßnahmen an Lkws. Die beruflichen
des Berufs Möglichkeiten, die sich aus den in
Eine weitere Kategorie von Maßnah- Kapitel 3.2 beschriebenen Maßnah-
men zielt auf die öffentliche Wahr- men ergeben, sind mit einer geeigne-
nehmung des Berufsbildes Kraftfahrer ten Öffentlichkeitsarbeit zu unterstüt-
ab. Hier ist ein breites Spektrum an zen. Es ist davon auszugehen, dass
Maßnahmen denkbar. nicht jeder Flottenbetreiber über die
Kapazitäten oder Kompetenzen ver-
Anknüpfend an die Arbeitsbedingun- fügt, die notwendige Öffentlichkeits-
gen erfahren Lkw-Fahrer oftmals kei- arbeit zu leisten. Unterstützung von
ne ausreichende Wertschätzung, ins- öffentlicher Seite, z.B. hinsichtlich der
besondere beim Kundenkontakt an strategischen Ausrichtung zur Akquise
den Be- und Entladestellen sowie in von Fahrern, ist hier erforderlich.
der breiten Öffentlichkeit, etwa in
Anbetracht des großen Lkw- Als besondere Zielgruppe sind Frauen
Aufkommens auf den Autobahnen. zu fördern. Im Jahr 2017 betrug der
Dies kann als Hemmnis bei der Be-
rufswahl wirken. Die verkehrspoliti- 1
CSR: Corporate Social Responsibility, Unter-
sche Förderung von Image- nehmerische Sozialverantwortung.

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STRUKTURELLE TREIBER UND VERKEHRSPOLITISCHER HANDLUNGSBEDARF

Frauenanteil bei sozialversicherungs- terungen für den Berufseinstieg, Stei-


pflichtigen Berufskraftfahrern ledig- gerung der Jobattraktivität und positi-
lich 1,7 Prozent. Hier liegt deutliches ve Imagebildung für den Beruf zu er-
Potential, auch vor dem Hintergrund greifen, die deutlich über die bisher
technologischer Entwicklungen und ergriffenen Maßnahmen hinausge-
der damit verbundenen Reduzierung hen. Dazu bedarf es einer umfassen-
der Anforderungen an die Körper- den Aufarbeitung der hier unterbrei-
kraft. Maßnahmen der Öffentlich- teten Vorschläge, um mögliche Ne-
keitsarbeit sind sinnvollerweise auch beneffekte vor einer Umsetzung ge-
konkret auf diese Zielgruppe und de- zielt festzustellen. Im Zusammenhang
ren Wünsche und Bedürfnisse zuzu- mit der Umsetzung legt der Wissen-
schneiden. schaftliche Beirat darüber hinaus die
Eruierung und Festlegung geeigneter
Jegliche Imageförderung muss dabei
Wirkungskontrollen nahe, die auch
mit Fingerspitzengefühl betrieben
auf das Zusammenspiel mit den Initia-
werden. Denn eine positivere Darstel-
tiven der Marktakteure auszulegen
lung des Berufsbildes darf nicht tat-
sind
sächliche Maßnahmen zur Behebung
von Missständen (siehe auch Kapitel
3.2.) ersetzen, ansonsten wären sogar
konträre Effekte zu befürchten.

3.4 Fazit zu den Empfehlun-


gen des Wissenschaftli-
chen Beirats
Nicht zuletzt mit Blick auf die aktuelle
Klimadebatte geht es bei verkehrspo-
litischen Maßnahmen zur Linderung
des Fahrermangels keinesfalls darum,
einen Modal Shift zugunsten der Stra-
ße zu bewirken. Vielmehr sollen die
Maßnahmen notwendige Initiativen
der Marktakteure flankieren, um die
sich abzeichnenden negativen Konse-
quenzen wie eine Gefährdung der
Versorgungssicherheit für die Bevöl-
kerung abzuwenden.

Der Wissenschaftliche Beirat emp-


fiehlt der deutschen Verkehrspolitik,
Maßnahmen in den Bereichen Erleich-

Seite 19
Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats
beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur

Prof. Dr.-Ing. Hartmut Fricke Dresden

Prof. Dr.-Ing. Markus Friedrich Stuttgart

Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike Dresden

Prof. Dr. Astrid Gühnemann Wien

Prof. Dr. Hans-Dietrich Haasis Bremen

Prof. Dr. Natalia Kliewer Berlin

Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Knorr Speyer

Prof. Dr.-Ing. Ullrich Martin Stuttgart

Prof. Dr. Kay Mitusch (Vorsitzender) Karlsruhe

Prof. Dr. Stefan Oeter Hamburg

Prof. Dr. Tibor Petzoldt Dresden

Prof. Dr. Gernot Sieg Münster

Prof. Dr. Wolfgang Stölzle St. Gallen

Prof. Dr.-Ing. Peter Vortisch Karlsruhe

Prof. Dr. rer. nat. Hermann Winner Darmstadt

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Impressum
Herausgeber
Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur
Geschäftsstelle d. Wiss. Beirats
Robert-Schuman-Platz 1, 53175 Bonn

Stand
Februar 2020

Redaktion
Wissenschaftlicher Beirat
beim Bundesministerium Verkehr und digitale Infrastruktur

Weitere Informationen im Internet unter


www.bmvi.de

Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der


Bundesregierung. Sie wird kostenlos abgegeben und ist
nicht zum Verkauf bestimmt.

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