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HANDBUCH ZUR GUTEN PRAXIS DER

ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL

Für Mensch & Umwelt


ABBILDUNGSVERZEICHNIS
© Stephanie Neumann
Titel und Rückseite
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Seite 55 © Chushkin
Seite 62 © kirstypargeter
Seite 67 © AlidaStuut

Weitere Abbildungen
Seite 11 / 50 / 51 © Stadt Beckum
Seite 35 © Bayerische Staatsforsten AöR
Seite 75 © Dr. Hans-Gerhard Kulp
HANDBUCH ZUR GUTEN PRAXIS DER
ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL
IMPRESSUM
Herausgeber
Umweltbundesamt
Wörlitzer Platz 1
06844 Dessau-Roßlau
Telefon: 0340 / 2103 - 0
www.umweltbundesamt.de

Autoren
Carolin Dümecke, Iris-Lahaar Joschko, Kathrin Wagner
(CliMA Kompetenzzentrum für Klimaschutz und Klima-
anpassung, Universität Kassel) // www.uni-kassel.de
Christian Kind (adelphi) // www.adelphi.de

Redaktion
Andreas Vetter, Susanne Kambor
(KomPass – Kompetenzzentrum Klimafolgen und Anpassung,
Umweltbundesamt) // www.anpassung.net

Lektorat
Claudia Nikschtat // www.claudia-nikschtat.de

Gestaltung
stoffers/steinicke // www.stoffers-steinicke.de

Bildnachweise
Stephanie Neumann // www.werkstadt.net

Druck
PRINTPRINZ // www.printprinz.de
Gedruckt auf Recyclingpapier aus 100 % Altpapier

Auflage
1.000

Stand
Dezember 2013
INHALT
Anpassung an den Klimawandel – eine notwendige Aufgabe 7
Der Klimawandel und seine Folgen 8
Was zeichnet eine gute Anpassungsmaßnahme aus? 10
Die wichtigsten Kriterien auf einen Blick 14
Herausforderungen und Empfehlungen 16
Checkliste 18

Gesundheit 21
→ Hitzetelefon Sonnenschirm 22
→ Bildung und Gesundheit: Klimaanpassungsschule 26
Forstwirtschaft 29
→ Waldumbau in den Thüringer Wäldern 30
→ Waldumbau im bayerischen Staatswald 34
Landwirtschaft 37
→ Klimaanpassung im Pflanzenbau am Beispiel des Zweikulturennutzungssystems 38
→ Anbau von widerstandsfähigem Gemüse und Getreide 42
Hochwasservorsorge 45
→ Hochwasserschutz in Dresden 46
→ Ökologischer Hochwasserschutz an der Werse 50
Naturschutz und Biodiversität 53
→ Öko-Ausgleich auf der Luneplate 54
→ Integriertes Landschaftsplanerisches Fachkonzept der Hansestadt Lübeck 58
Verkehr 61
→ Klimaanpassungsstrategien in der Logistik 62
→ Klimaangepasste Haltestellen 66
Tourismus 69
→ Nordic Parc in der Wohlfühlregion Fichtelgebirge 70
→ Bildung und Tourismus: KlimaTour durch das Teufelsmoor 74
Stadt- und Freiraumplanung 77
→ Krupp-Park in Essen 78
→ Grüne Stadt Frankfurt 82

Schlusswort 84
Finanzierungs- und Beratungsmöglichkeiten 85
Weiterführende Informationen 86
Glossar 87
6
ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL –
EINE NOTWENDIGE AUFGABE
Die internationalen Bemühungen um den globalen Kli- bereitgestellte Tatenbank Anpassung soll auf dieser fach-
maschutz sind wichtig. Aber sie wirken in erster Linie lichen Grundlage um einen wichtigen Baustein bereichert
langfristig. Das Klima verändert sich jedoch schon heute werden: Gute Beispiele sollen hier zukünftig anhand von
– mit spürbaren Folgen. Die Anpassung an veränderte Kriterien bewertet und besonders hervorgehoben werden.
Klimabedingungen wird damit ebenso zur notwendigen
Aufgabe wie der Klimaschutz selbst. Anpassungsmaß- Zielgruppen und Ziele des Handbuchs
nahmen sollten deshalb frühzeitig geplant und umge- Dieses Handbuch richtet sich hauptsächlich an Ent-
setzt werden. scheider in der öffentlichen Verwaltung und in der Pri-
vatwirtschaft sowie an Nichtregierungsorganisationen.
Im Dezember 2008 wurde die „Deutsche Anpassungsstra- Es soll veranschaulichen, was eine gute Praxis bei der
tegie an den Klimawandel (DAS)“ beschlossen. Diese Stra- Anpassung an den Klimawandel ausmacht. Anhand
tegie soll dabei helfen, Deutschland anpassungsfähiger von Kriterien wurden gute Beispiele für bereits lau-
gegenüber den Folgen des Klimawandels zu machen. Das fende Maßnahmen ausgewählt und ausführlich erläu-
Kompetenzzentrum Klimafolgen und Anpassung tert. Die Idee: Diese Beispiele sollen Praxisakteure und
­(KomPass) im Umweltbundesamt (UBA) unterstützt die Maßnahmenträger zu eigenen Anpassungsmaßnahmen
Umsetzung der DAS wie auch unterschiedliche Akteure inspirieren und sie darin unterstützen, Hindernisse auf
der Klimaanpassung mit wissenschaftlicher Expertise. dem Weg zu überwinden.

Der Klimawandel und seine Folgen werden sich in Aufbau des Handbuchs
Zukunft noch verstärken: Wir müssen uns darauf einstel- In einem ersten Abschnitt geht das Handbuch auf die
len, dass Extremwetterereignisse zunehmen und die Folgen des Klimawandels und auf unterschiedliche regi-
Durchschnittstemperaturen weiter ansteigen. Das stellt onale und lokale Betroffenheiten ein. Außerdem werden
vor allem Kommunen, aber auch Unternehmen vor neue die Kriterien einer guten Praxis der Anpassung an den
Herausforderungen. Um wirkungsvolle Maßnahmen zur Klimawandel vorgestellt. Hindernisse, Stolpersteine und
Anpassung planen und umsetzen zu können, ist es hilf- Empfehlungen ergänzen die Darstellung. In dem zweiten
reich, zu wissen, welche Ansätze sich im Praxistest bereits und größten Teil des Handbuchs werden Praxisbeispiele
als erfolgreich erwiesen haben. Doch ab wann gilt eine für verschiedene Handlungsfelder, in welchen eine
Anpassungsmaßnahme als gutes Beispiel? Welche Krite- Anpassung an den Klimawandel erforderlich ist, vorge-
rien muss eine solche Maßnahme erfüllen? Das Umwelt- stellt. Pro Handlungsfeld werden jeweils zwei Beispiele
bundesamt ist – unterstützt durch das Forschungs- zur guten Praxis präsentiert – eines ausführlich und ein
vorhaben „Gute Praxis der Anpassung an den Klimawan- weiteres überblicksartig. Der dritte Teil des Handbuchs
del in Deutschland“ – diesen Fragen nachgegangen und geht auf Finanzierungs- und Beratungsmöglichkeiten
hat untersucht, was ein gutes Beispiel für eine Klimaan- sowie Literatur- und Internetquellen ein.
passung auszeichnet. Die vom Umweltbundesamt online

7
DER KLIMAWANDEL UND SEINE FOLGEN
Das Klima ändert sich. In den vergangenen 100 Jahren Temperaturdifferenz mittl. Temperatur zwischen
stieg die globale Durchschnittstemperatur um rund 1971 – 2000 und 2071 – 2100
0,8 Grad Celsius an. Vor allem seit Mitte der 1970er-Jahre
schreitet die globale Erwärmung1 immer schneller voran.
Eine der Hauptursachen dafür ist die zunehmende Kon-
zentration der Treibhausgase in der Atmosphäre. Die
Folgen des Klimawandels sind schon jetzt zu spüren und
werden sich in den kommenden Jahrzehnten noch ver-
stärken. Denn das Klimasystem reagiert träge.

Um abzuschätzen, wie sich das Klima in Zukunft entwi-


ckeln wird, nutzen Wissenschaftler verschiedene Klima-
modelle, die für unterschiedliche Emissionsszenarien
angewendet werden. Diesen Szenarien liegen verschie-
dene Annahmen über wirtschaftliche Entwicklung,
Bevölkerungswachstum und den damit einhergehenden
Treibhausgasemissionen zugrunde. Doch trotz aller
Unterschiede zeichnen die Erkenntnisse aus den Model-
len ein klares Bild: Neben langsam ansteigenden Durch-
schnittstemperaturen und einem veränderten Nieder-
schlagsregime führt der Klimawandel zu stärkeren
Klimaschwankungen und einer Zunahme von Extrem-
wetterereignissen wie Starkregen oder lang anhaltenden
Trockenperioden.

Damit einhergehend nehmen die Risiken für Hochwasser


und Überschwemmungen zu. Das alles hat Einfluss auf
unser tägliches Leben, ist also direkt mit sozialen, öko- LEGENDE
logischen und ökonomischen Folgen für die Gesellschaft Temperaturdifferenz (°C)
verbunden. 2,4 bis 2,8
2,8 bis 3,1
Modell: WETTREG 2010 3,1 bis 3,4
Szenario: A1B 3,4 bis 3,7
Realisierungen: 10 3,7 bis 4,0
Aggregation: Mittelwert 4,0 bis 4,3
4,3 bis 4,5
1
 mweltbundesamt (2013): Und sie erwärmt sich doch
U
0 40 80 160 240 320
– Was steckt hinter der Debatte um den Klimawandel? Kilometer

8
Der Klimawandel stellt die Gesellschaft vor zwei Heraus- Mittlere Temperatur von 2071 – 2100
forderungen: Der Ausstoß von Treibhausgasen muss
gemindert werden, um die schwerwiegenden Folgen ein-
zugrenzen. Und wir müssen uns schon jetzt an die Folgen
des Klimawandels anpassen.

Regionale und lokale Betroffenheit


Auch wenn der Klimawandel ein globales Phänomen ist
– seine Folgen kommen in erster Linie regional und lokal
zum Tragen. Einige Regionen sind dabei besonders
betroffen. So muss beispielsweise der Oberrheingraben
im Südwesten Deutschlands mit der stärksten Erwär-
mung rechnen. Schon heute werden dort deutschland-
weit die höchsten Temperaturen gemessen. Andere
Regionen wie zum Beispiel die Mittelgebirge werden
dagegen weitaus weniger betroffen sein.2 Es gilt also, die
eigene Betroffenheit abzuschätzen, wobei alle Folgen des
Klimawandels – etwa das vermehrte Auftreten von Hit-
zewellen, veränderte Niederschlagsverhältnisse und
extreme Stürme – einbezogen werden sollten.

Regionale Klimaprojektionskarten, welche auf Basis von


Klimamodellrechnungen zukünftige Klimaänderungen
abbilden, können Sie bei der Analyse unterstützen. Sol-
che Karten finden Sie beispielsweise im Klimaatlas des
Deutschen Wetterdienstes (www.dwd.de/klimaatlas).
Manchmal lässt sich der Anpassungsbedarf einer Region
direkt auf eine andere übertragen. In den meisten Fällen LEGENDE
muss jedoch nach Einzellösungen gesucht werden. Temperatur (°C)
-4,1 bis -3
-3 bis -1
Modell: WETTREG 2010 -1 bis 1
Szenario: A1B 1 bis 3
Realisierungen: 10 3 bis 5
Aggregation: Mittelwert 5 bis 7
7 bis 9
2
 mweltbundesamt (2005): Klimawandel in Deutschland.
U 0 40 80 160 240 320
9 bis 11,1
Vulnerabilität und Anpassungsstrategien klimasensitiver Systeme. Kilometer

9
WAS ZEICHNET EINE GUTE
­ANPASSUNGSMASSNAHME AUS?
Die Anpassung an den Klimawandel ist – im Gegensatz Wirksamkeit – dieses Kriterium erfüllt beispielsweise die
zum Klimaschutz – noch ein sehr junges Themenfeld. Grüngürtel-Maßnahme der Stadt Frankfurt. Damit sich
Erst in den letzten Jahren hat es sich in Forschung, Politik in Frankfurt keine Wärmeinseln bilden und die kühle
und Verwaltung etabliert. Aus diesem Grund gibt es bis- Luft aus dem Umland in die Stadt strömen kann, stehen
lang nur wenige Beispiele dafür, wie in der Praxis mit wichtige Kaltluftschneisen im Grüngürtel unter Land-
Klimaveränderungen umgegangen wird. Für Entschei- schaftsschutz. Sie wurden verbindlich als unbebaubar
dungsträger ist es deshalb umso wichtiger, ein Set an festgeschrieben. In der Innenstadt sollen sie nach Mög-
eingängigen Kriterien zur Hand zu haben, an denen sie lichkeit freigehalten werden.
sich bei der Planung von Anpassungsprojekten orientie-
ren können.

„Anpassungsmaßnahmen sollten generell Niemand kann exakt vorhersagen, wie sich das Klima
so gestaltet werden, dass sie den Zielen der
verändern wird. Aus diesem Grund ist es für ein Anpas-
Nachhaltigkeit gerecht werden. In der Praxis
sungsprojekt wichtig, dass es unter verschiedenen Kli-
ist es manchmal schwierig, alle Kriterien der
guten Praxis zu erfüllen. Doch auch eine maszenarien positive Wirkungen zeigt. Schon bei der
Maßnahme, die derzeit noch nicht alle Planung müssen deshalb unterschiedliche Klimaprojek-
Kriterien erfüllt, kann sehr wirksam Lösungen tionen berücksichtigt werden. Ein Beispiel für eine solche
für einige Herausforderungen des Klimawan- robuste Maßnahme ist der Hochwasserschutz der Stadt
dels bieten und gleichzeitig ökologische Dresden. Für die Berechnung zukünftiger Hochwasser-
Rucksäcke verkleinern sowie für jeden – frei ereignisse wird beim Hochwasserschutz der Starkregen-
zugänglich – die Lebensqualität steigern. katalog des Deutschen Wetterdienstes herangezogen.
Dann haben wir vielleicht nicht das beste, Dieser führt Starkregenereignisse auf, die statistisch
aber ein gutes Beispiel gefunden.“ gesehen alle 100 Jahre vorkommen. Um aber auf stärkere
Hochwasser vorbereitet zu sein, die bedingt durch den
Petra Mahrenholz, Leiterin des Kompetenzzentrums Klimawandel auftreten können, hat die Stadt Dresden bei
Klimafolgen und Anpassung im Umweltbundesamt ihren Planungen Bemessungswerte herangezogen, die

10
mindestens 15 Prozent über den Mittelwerten des Starkre- das Gebiet rund um den Fluss zu einem Ort der Naherho-
genkatalogs für die Region liegen. Damit konnte der lung und des Naturerlebens.
­K limawandel bei der Planung von Hochwasserschutz-
maßnahmen der Stadt Dresden auf sehr einfache Weise Anpassungsmaßnahmen sollen nicht nur heute, sondern
berücksichtigt werden. auch zukünftig wirksam sein. Doch manchmal verlaufen
die klimatischen oder gesellschaftlichen Entwicklungen
anders als gedacht. Dann heißt es, die Maßnahme an die
neuen Bedingungen anzupassen. Flexibilität ist wichtig
– und das heißt, dass eine Maßnahme der guten Praxis
mit verhältnismäßig geringen Kosten modifiziert, weiter-
entwickelt oder sogar rückgängig gemacht werden kann.
Dieses Kriterium erfüllt beispielsweise das Hitzetelefon
Sonnenschirm des Gesundheitsamtes der Region Kassel.
Per Telefon informieren Schwestern des Kurhessischen
Diakonissenhauses und Mitglieder des Senioren-
beirats der Stadt Kassel alle angemeldeten Nutzerinnen
und Nutzer – dies sind vor allem ältere Menschen – über
eingehende Hitzewarnungen des Deutschen Wetterdiens-
Außerdem sollte eine Maßnahme im Sinne der Nachhal- tes. Dabei achten sie auch darauf, ob der Gesprächspart-
tigkeit dem Ausgleich von ökonomischen, ökologischen ner Anzeichen gesundheitlicher Beeinträchtigung
und gesellschaftlichen Interessen bestmöglich Rechnung erkennen lässt, und geben Tipps, wie man sich bei starker
tragen. Nur so kann eine dauerhaft umweltverträgliche Hitze verhalten sollte. Das Angebot ist kostenlos und die
und sozial gerechte Entwicklung der Gesellschaft ermög- Anrufe werden flexibel – je nach eingehenden Warnun-
licht werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Hochwas- gen – durchgeführt.
serschutz an der Werse. Die Aufweitung des Flusses
schafft neben dem integrierten Hochwasserschutz Raum
für zahlreiche Biotope. Gleichzeitig macht der neu
geschaffene naturnahe Grünzug mit dem WerseRadWeg

Jede Maßnahme kostet Geld, sie muss finanziell tragbar


sein. Das heißt: Verglichen mit alternativen Maßnahmen
sollte sie einen höheren Nutzen bei gleichen Kosten
erbringen. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Kompensa-

11
tionsmaßnahmen an der Luneplate. Hier wurden die
Vordeichsflächen und ein Teil der alten Weser renaturiert.
Außerdem wurden ein Grünlandbereich und ein Tidepol-
der – ein eingedeichtes Gelände, das von Ebbe und Flut
beeinflusst wird – mit Tideschöpfwerk und Sturmflut-
werk angelegt. Trotz der hohen Kosten waren die Maß-
nahmen finanziell tragbar. Denn: Eine wahrscheinlich
kostengünstigere, alternativ geprüfte Deichrückverle-
gung war politisch nicht durchsetzbar und hätte nicht die
zahlreichen Vorteile für Flora und Fauna mit sich
gebracht.

Netzwerk an Personen an einer Maßnahme beteiligt, wie


zum Beispiel beim „Integrierten Landschaftsplanerischen
Fachkonzept der Hansestadt Lübeck“. Klimaschutz- und
Klimaanpassungsmaßnahmen werden hier in einem
Baukastensystem entwickelt.

Das Landschaftsplanerische Fachkonzept stellt den Bau-


stein „Auswirkungen des Klimawandels für Lübeck auf
die Landnutzungen“ dar, einen Aspekt, der im 2010 vor-
gelegten Integrierten Klimaschutzkonzept nicht behan-
delt wird. Die Inhalte des Fachkonzeptes fließen in den
Landschaftsplan „Klimawandel in Lübeck“ ein. Die
Gut ist es, wenn eine Maßnahme neben der Anpassungs- Landnutzungen werden nach möglichen Anpassungs-
wirkung noch weitere positive Nebeneffekte hat, zum maßnahmen untersucht. Dabei werden weitreichende
Beispiel auf Umwelt oder Gesellschaft. Auch hierfür ist und konkrete Maßnahmen zur Anpassung an den Klima-
der Hochwasserschutz Dresden ein gutes Beispiel. Durch wandel formuliert. Zum einen will die Stadt Lübeck die
die Renaturierung wirken der Bach und der umliegende
Grünbereich als Kaltluftschneise in Richtung Innenstadt.
Besonders im Sommer trägt dies zu einem guten Stadt-
klima bei.

Neben den bereits genannten Kriterien gibt es noch wei-


tere Aspekte, die bei Anpassungsmaßnahmen berück-
sichtigt werden sollten. Die Maßnahme sollte in einen
umfassenderen Plan, eine Strategie und in vorhandene
Entscheidungs- oder Prozessabläufe der durchführenden
Organisation integriert werden können. Dies erleichtert
die Umsetzung erheblich, denn oftmals ist ein ganzes

12
Anpassung an den Klimawandel in bestehende land- für eine solche Partizipation ist die Planung und Um­
schaftsplanerische Projekte integrieren. Zum anderen hat setzung des Grüngürtels rund um den Stadtkern von
sie neue, zusätzlich erforderliche Maßnahmen angedacht. Frankfurt am Main. Die Stadt sollte trotz Bebauung grü-
ner werden. Dabei wurde die Planung mit Bürgerinnen
Projekte brauchen eindeutige Ziele, nur so kann ihr Erfolg und Bürgern ebenso diskutiert wie mit Fachleuten und
gemessen werden. Bei der Planung eines Anpassungs- städtischen Gremien. In einem Internetforum konnte die
projektes sollten also unbedingt klare Ziele formuliert Bevölkerung die Vorschläge der Stadt Frankfurt zur
werden, anhand derer das Projekt evaluiert und die Kos- ­Anbindung des Grüngürtels diskutieren und bewerten.
ten und Nutzen im Nachgang überprüft werden können.
Um die eigene Region an den Klimawandel anzupassen,
setzt man im Fichtelgebirge darauf, Alternativen zum
Wintersportangebot zu entwickeln und mehr Touristen
in den Sommermonaten in die Region zu locken. Der
Grund: In der Mittelgebirgsregion, so deuten es die erhöh-
ten Durchschnittstemperaturen an, kann künftig nicht
mehr verlässlich mit Schnee und günstigen Wintersport-
verhältnissen gerechnet werden. Der Erfolg dieser
Tourismusstrategie lässt sich direkt anhand der Besu-
cherzahlen nachvollziehen.

Projekte zur Anpassung an den Klimawandel sollten alle


wichtigen Akteure sowie alle Personen, die durch die
Maßnahme betroffen sind, einbeziehen. Nur so können
Interessenskonflikte vermieden und Strategien dauerhaft
umgesetzt werden. Eine Maßnahme der guten Praxis
sollte demnach auf engen Partnerschaften zwischen ver-
schiedenen Akteuren aufbauen und alle wichtigen Inte-
ressensgruppen berücksichtigen. Ein gelungenes Beispiel

13
DIE WICHTIGSTEN KRITERIEN AUF EINEN BLICK
Nicht für jedes Praxisbeispiel in diesem Handbuch waren
alle Kriterien anwendbar oder auf Grundlage der vorlie-
▸ Wirksamkeit genden Informationen bewertbar. Bei einigen Projekten
Die Maßnahme mindert Risiken des Klima­ müssen die Ergebnisse erst noch zeigen, ob die Kriterien
wandels dauerhaft bzw. trägt zur Nutzung erfüllt werden. Wir haben deshalb bei der Darstellung der
von Chancen bei. Beispiele die Kriterien hervorgehoben, welche gute
Lösungswege verdeutlichen. Diese Maßnahmen bedeu-
▸ Robustheit ten für uns eine gute Praxis, da sie bereits heute eine
Die Maßnahme wirkt sich unter verschiedenen Vielzahl der Kriterien erfüllen.
Klimaszenarien positiv aus.
Bei rein informativen Maßnahmen – beispielsweise bei
▸ Nachhaltigkeit Projekten aus dem Bildungsbereich – lässt sich das Kri-
Die Maßnahme trägt dem Ausgleich aller terienraster nur bedingt anwenden. Denn: Im Fokus die-
Interessen (Ökonomie, Ökologie, Gesellschaft) ser Projekte steht weniger, dass die Maßnahme umgesetzt
bestmöglich Rechnung und ermöglicht eine wird, als vielmehr über bestimmte Aspekte der Anpas-
dauerhaft umwelt- und sozial gerechte Ent­ sung an den Klimawandel zu informieren. Daher sind bei
wicklung der Gesellschaft. den im Folgenden vorgestellten vorbildlichen Beispielen
aus dem Bildungsbereich keine Kriterien der guten Praxis
▸ Finanzielle Tragbarkeit aufgeführt. Eine Einschätzung des Autorenteams zur
Die Maßnahme ist für die Umsetzenden mit Erfüllung der Kriterien guter Praxis wird bei einigen Bei-
vertretbarem Aufwand finanzierbar. Alternative spielen in einem kleinen Kasten angezeigt.
Maßnahmen weisen keinen höheren Nutzen
bei gleichen Kosten auf.

▸ Flexibilität HIERBEI BEDEUTEN DIE SYMBOLE


Die Maßnahme kann mit verhältnismäßig Kriterium ist erfüllt.
geringen Kosten modifiziert werden.
Kriterium ist teilweise erfüllt, z. B. da
nur einige Maßnahmen aus einem Maß-
▸P
 ositive Nebeneffekte
nahmenbündel das Kriterium erfüllen.
Die Maßnahme hat neben der Anpassung an
den Klimawandel weitere positive Effekte auf Bewertung war nicht möglich,
Umwelt, Gesellschaft oder die durchführende z. B. aufgrund fehlender Informationen
Orga­nisation und das Erreichen ihrer Ziele.
Diese Effekte treten auch ohne Klima­verän­
derungen ein.
Der Ochsenkopf ist der zweithöchste Berg im Fichtelgebirge
und ein beliebtes Ziel für Wintersportler – die abnehmende
Schneesicherheit ist jedoch eine Herausforderung
für die Region.

14
15
HERAUSFORDERUNGEN UND EMPFEHLUNGEN
Erfolgreiche Projekte zur Anpassung an den Klimawan- Jahre geplant. Die Zeithorizonte, mit denen wir umgehen,
del haben eines gemeinsam: Sie helfen uns, gut auf die sind also je nach Handlungsbereich sehr unterschiedlich.
Folgen des Klimawandels vorbereitet zu sein, und verhin- Dies kann das eigene Planen vereinfachen oder erschwe-
dern damit größere Schäden für den Menschen und seine ren. Auch wenn die Folgen des Klimawandels vielleicht
Umwelt. Bevor es zur eigentlichen Umsetzung eines Kli- erst in einigen Jahren deutlicher spürbar sind, ist es
maanpassungsprojektes kommt, sind die Verantwort­ schon heute wichtig, sich anzupassen. Am kostengüns-
lichen vor verschiedenste Herausforderungen gestellt, tigsten und oftmals am einfachsten zu realisieren sind
welche regional, lokal oder sektorspezifisch sehr unter- Anpassungsmaßnahmen, die in bestehende Arbeitspro-
schiedlich sein können. Nachfolgend stellen wir Heraus- zesse integriert werden können. Denn: Meistens entste-
forderungen dar, die typisch für Anpassungsmaßnahmen hen durch den Klimawandel keine gänzlich neuen
sind, und geben Empfehlungen, wie damit umgegangen Probleme, sondern alte Probleme werden verstärkt. So ist
werden kann. Hochwasser ein hinlänglich bekanntes Problem. Neu ist
lediglich die erhöhte Wahrscheinlichkeit, mit der es zu
Unsicherheiten durch Projektionen einem solchen Ereignis kommen kann, sowie mögliche
Klimaprojektionen beziehen sich meist auf größere räum- größere Schadensausmaße.
liche Maßstäbe und sind daher lokal – in der Arbeit vor
Ort – schwer anzuwenden. Hinzu kommt, dass den Kli- Zusätzliche Herausforderungen
maprojektionen unterschiedliche Szenarien – beispiels- Oftmals ist der Klimawandel nicht die einzige Herausfor-
weise Annahmen über die zukünftigen Treibhaus- derung, die bewältigt werden will. Probleme wirtschaft-
gasemissionen – zugrunde liegen, die verschiedene mög- licher, gesellschaftlicher oder auch lokaler Natur können
liche Entwicklungen der Gesellschaft abbilden. Aussagen hinzukommen. So kann zum Beispiel der demografische
über zukünftige klimatische Veränderungen sind deshalb Wandel die Betroffenheiten durch den Klimawandel ver-
mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet. stärken, denn die Zunahme von Tropennächten belastet
besonders ältere Menschen – und von diesen gibt es in
Um die Risiken so gut wie möglich analysieren und eine der Bevölkerung immer mehr.
robuste Anpassungsmaßnahme entwickeln zu können,
sollten mehrere Klimaszenarien als Grundlage genutzt Auf der Suche nach Lösungen für den Umgang mit den
werden. Gleichzeitig sollte die Maßnahme so flexibel Klimafolgen lohnt der Blick über den eigenen Tellerrand.
sein, dass sie bei veränderten Auswirkungen des Klima- Dafür stellt das Kompetenzzentrum Klimafolgen und
wandels mit vergleichsweise geringem Aufwand ange- Anpassung im Umweltbundesamt (KomPass) die KomPass-
passt werden kann. Tatenbank bereit. Unter www.tatenbank.anpassung.net
können regionale und lokale Anpassungsmaßnahmen
Variierende Zeithorizonte und Betroffenheiten eingesehen und eingestellt werden. Neben einer Beschrei-
In der Forstwirtschaft stellt sich der Ertrag nicht in Jah- bung der Maßnahmen werden Erfolge, Zielkonflikte und
ren, sondern in Jahrzehnten ein. In anderen Bereichen Umsetzungshindernisse dargestellt sowie die Kontakt­
wie dem Tourismus wird saisonal oder nur für wenige daten der Ansprechpartner aufgeführt.

16
Risiken und Chancen ▸ Klima- und Nicht-Klima-Risiken ausgewogen
Sie gehen oft Hand in Hand: Chancen und Risiken. Auch berücksichtigen
wenn wir mit dem Klimawandel zuallererst Unsicherhei-
ten und Risiken verbinden, birgt er doch auch Chancen. ▸ Auf Maßnahmen mit geringem finanziellen
Eine frühzeitige Anpassung hilft, diese Chancen zu nut- Risiko und ausgewiesenem Zusatznutzen
zen. Unternehmen können so neue Marktlücken erschlie- fokussieren
ßen oder ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Viele
Maßnahmen bieten auch einen Mehrwert für die Allge- ▸ Am Prinzip der Nachhaltigkeit orientieren,
meinheit. So werden beispielsweise durch das Freihalten Fehlanpassung vermeiden, externe Effekte
von Freiluftschneisen im öffentlichen Raum Grünflächen beachten und zukünftige Anpassungsmög-
geschaffen, die der städtischen Bevölkerung als Nah­ lichkeiten nicht begrenzen
erholungsraum dienen können.
▸ Spezifische, überprüfbare Ziele für das
Um Chancen und Risiken systematisch zu durchdenken, Anpassungsvorhaben erarbeiten und
hat KomPass ein Onlinewerkzeug für die Auseinander- kommunizieren
setzung mit Klimafolgen und Anpassung entwickelt: den
Klimalotsen. Der Klimalotse richtet sich vor allem an ▸A
 npassungsmaßnahmen in bestehende
Kommunen. Er hilft bei der Erarbeitung von Anpassungs- Strukturen und Prozesse integrieren
strategien und -maßnahmen und unterstützt bei der
Umsetzung und der Erfolgskontrolle. Mehr dazu, wie Sie Maßnahmen priorisieren
und auswählen können, erfahren Sie auf den
Seiten des Klimalotsen:
Bei der Planung von Anpassungsmaßnahmen http://www.klimalotse.anpassung.net
können Sie sich an den Leitlinien des
Klimalotsen orientieren:
Bündelung von Kompetenzen
▸ Frühzeitig mit den wichtigsten Akteuren Um vorhandenes Wissen zusammenzuführen und die
zusammenarbeiten, Unterstützung des verschiedenen Akteure zusammenzubringen, empfiehlt
Managements sichern es sich, eine koordinierende Stelle einzurichten. Zahlrei-
che Städte haben bereits Klimaschutzbeauftragte vor Ort.
▸ Wissen und Verständnis für Klimafolgen Dies bietet sich auch für den Bereich der Klimaanpassung
aufbauen, Klimarisiken und kritische an. Dafür müssen nicht zwingend neue beziehungsweise
Schwellenwerte definieren parallele Stellen geschaffen werden: Meist lassen sich die
Kompetenzen auch in einer Stelle bündeln. Auch ein
▸ Veränderungskorridore und Tragweite intensiver Informationsaustausch ist für alle Beteiligten
künftiger Klimaentwicklungen berücksichtigen von Vorteil. Ein Dialog zwischen Wissenschaft und den
Akteuren aus der Praxis hilft, frühzeitig fachliche Hin-
▸ Erkenntnisse aus Natur- und dernisse aus dem Weg zu räumen und Lösungsansätze
Sozialwissenschaften einbeziehen für die Umsetzung gemeinsam zu erarbeiten.

17
CHECKLISTE
MASSNAHMEN ZUR ANPASSUNG AN DEN KLIMAWANDEL: DAS RICHTIGE VORGEHEN

Analyse und Planung ▸ Identifizieren Sie die Folgen des Klimawandels in Ihrem Bereich.
▸ Ermitteln Sie Risiken und Chancen. Erstellen Sie
eine Vulnerabilitätsanalyse (Betroffenheitsanalyse).
▸ Bestimmen Sie den Nutzen und die Dringlichkeit der Maßnahme.
▸ Identifizieren Sie kurz-, mittel- und langfristige Handlungsoptionen.
▸ Achten Sie auf die praktische Relevanz und die Integrationsmöglich-
keiten in bestehende Strukturen und Arbeitsprozesse.
▸ Erfassen Sie zusätzlich alternative Maßnahmen.
▸ Vergessen Sie nicht die klare Zielsetzung der Maßnahme und
planen Sie Mechanismen zur Erfolgskontrolle (Evaluation) ein.
▸ Ermitteln Sie die Tragfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Maßnahme.
▸ Versuchen Sie weitere positive Effekte und Mehrfachnutzen mit
Ihrer Maßnahme abzudecken.
▸ Überprüfen Sie die Maßnahme auf die Kriterien der guten Praxis.
▸ Stellen Sie Ressourcen frei und definieren Sie Zuständigkeiten.

Kooperation und ▸ Orientieren Sie sich an bereits umgesetzten Maßnahmen und


Kommunikation treten Sie mit den jeweiligen Ansprechpartnern in Kontakt.
▸ Verschaffen Sie sich einen Überblick darüber, welche Personen
oder Institutionen zur Planung und Umsetzung nötig sind.
▸ Überlegen Sie, wer aus Ihrem bestehenden Netzwerk betroffen
ist, und beziehen Sie diese Personen in die Planung ein.
▸ Schaffen Sie Akzeptanz in der Bevölkerung, bei Betroffenen
und Kooperationspartnern und binden Sie diese von Anfang
an ein. Kommunizieren Sie offen und frühzeitig.
▸ Gehen Sie neue Kooperationen ein. Bilden Sie Arbeitskreise,
führen Sie Workshops durch und ermöglichen Sie den
Informationsaustausch durch Onlinekommunikation.

Finanzierung ▸ Ermitteln Sie Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten.


▸ Nutzen und prüfen Sie externe Förderungsmöglichkeiten.
▸ Überprüfen Sie, ob bei Projekten, die derzeit in der Planung sind,
die Klimaanpassung integriert werden kann. Dies spart Kosten.

Die Einbettung von Entwässerung in grüne Infrastruktur stellt eine


18 Möglichkeit dar, mit der Zunahme von Starkregenereignissen umzugehen.
19
20
GESUNDHEIT

Der Klimawandel kann sich negativ auf unsere Gesund-


heit auswirken, beispielsweise durch eine Zunahme von
Unwettern und Hitzeperioden ohne nächtliche Abküh- Im Bereich der Gesundheit sollte eine
lung, den sogenannten Tropennächten. Bei anhaltender Maßnahme:
Hitze muss das Herz-Kreislauf-System Hochleistungen
vollbringen, der menschliche Organismus wird stark → wirksam sein, d. h., sie reduziert verläss-
belastet. Allein im Hitzesommer 2003 verstarben nach lich und dauerhaft die Gefährdung der
Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation in West- menschlichen Gesundheit durch übertrag-
europa 35.000 Menschen unmittelbar an den Folgen der bare und nicht übertragbare Krankheiten.
Hitzebelastung. In Deutschland geht man nach wissen- → robust sein, d. h., die Minderung der
schaftlichen Schätzungen von 7.000 Todesfällen aus, die Gesundheitsgefährdung tritt in verschie-
auf die Hitzewelle zurückzuführen sind. Die Klimaverän- denen Klimaszenarien ein.
derungen wirken aber nicht nur direkt, sondern auch → nachhaltig sein, d. h., die Maßnahme trägt
indirekt auf unsere Gesundheit. zur Gesundheitsvorsorge bei und berück-
sichtigt dabei ökonomische, ökologische
Die ansteigenden Temperaturen bieten ideale Bedingun- und soziale Interessen in gleichem Maße.
gen für die Ausbreitung von Krankheitsüberträgern. So →finanziell tragbar sein, d. h., die Adres­
breiten sich beispielsweise Zecken stärker aus, was wie- saten der Maßnahme sollten in der Lage
derum das Risiko einer Borreliose-Infektion erhöht. Bei sein, diese zu finanzieren.
einer Zunahme von Extremwetterereignissen kann auch → positive Nebeneffekte haben, d. h., die
die gesundheitliche Versorgung zur Herausforderung Maßnahme hat neben der Gesundheitsvor-
werden. Schließlich müssen ambulante Pflegedienste sorge weitere positive Effekte auf Umwelt,
ihre Patienten auch bei Starkregen, Hagel oder Sturm Gesellschaft oder auf die durchführende
erreichen können. Angesichts dieser Veränderungen Organisation und ihre Ziele. Die Effekte
braucht es Maßnahmen, die sich idealerweise an den sollten auch ohne Klimaveränderungen
Kriterien guter Anpassungspraxis orientieren. eintreten.
→ flexibel sein, d. h., die Maßnahme kann
mit verhältnismäßig geringen Kosten
modifiziert werden.

Da es im Bereich der Gesundheit um den


„ Ältere Leute sind bei Hitze sehr empfindlich und Schutz menschlichen Lebens geht, ist die
denken morgens nicht immer daran, was der Tag bringt. Wirksamkeit hier ein besonders wichtiges
Deshalb findet der Kontakt über das Telefon statt.“
Kriterium.
Schwester Annemarie, Kurhessisches Diakonissen-
mutterhaus Kassel

21
GESUNDHEIT

HITZETELEFON SONNENSCHIRM
Ehrenamtliche informieren ältere Menschen sprächs bieten die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes den
telefonisch über aktuelle Hitzegefahren. Nutzerinnen und Nutzern eine individuelle Risikoein-
schätzung an. Stellt sich dabei heraus, dass ein erhöhtes
Demografischer Wandel und Klimawandel – zusammen hitzebedingtes Risiko vorliegt, werden den Betroffenen
stellen sie die Gesellschaft vor große Herausforderungen. weitergehende Unterstützungsleistungen vorgeschlagen.
Die Lebenserwartung der Bevölkerung in Deutschland
steigt und damit auch der Anteil älterer und alter Men-
schen. Neben chronisch Kranken und Kindern sind ÄLTERE, ALLEINLEBENDE
gerade sie gesundheitlich von den Auswirkungen des
Klimawandels betroffen. Gleichzeitig nimmt die Bevöl­ Menschen
kerungsdichte ab: Immer mehr Menschen leben in SIND BEI HITZEWELLEN
­Einzelhaushalten. Wie aber soll man diese Menschen BESONDERS GEFÄHRDET.
erreichen, um in Hitzephasen gezielte Präventionsarbeit
zu leisten?

Das Hitzetelefon Sonnenschirm hat eine einfache und Dazu gehören eine individuelle Ge-
wirkungsvolle Lösung gefunden: Telefonisch informieren sundheitsberatung per Telefon oder im eige-
Schwestern des Diakonissenhauses und Mitglieder des nen Haushalt sowie eine ausführliche individu-
Seniorenbeirats ältere Menschen über Hitzegefahren. Im elle Risikoberatung im Rahmen eines präventiven
Rahmen von KLIMZUG-Nordhessen, dem Klimaanpas- Hausbesuchs.
sungsnetzwerk für die Region Nordhessen, entwickelten
das Gesundheitsamt Region Kassel und das Diakonissen- Zu den Kriterien für gute Praxis
mutterhaus 2010 das Hitzetelefon Sonnenschirm als Pilot- „Bisher gibt es kein vergleichbares Projekt. Das Hitzete-
projekt. Mittlerweile ist es als Serviceangebot fest lefon Sonnenschirm ist einzigartig in Deutschland. Es ist
verankert. In der Zeit vom 15. Juni bis 31. August infor- eine Maßnahme, die an die jeweiligen tagesaktuellen
mieren Diakonissen und Seniorenbeirat kostenlos über Wetterereignisse angepasst werden kann und ist somit
alle Hitzewarnungen der Warnstufe 2 des Deutschen gleichzeitig durch eine einfache Erweiterung des Ange-
­Wetterdienstes für die Stadt Kassel. Aufgrund haftungs- bots äußerst flexibel“, erläutert Heckenhahn. Als robuste
rechtlicher Vorgaben kann zwar keine individuelle tele- Maßnahme mindert das Hitzetelefon Gesundheits-
fonische Gesundheitsberatung durchgeführt werden. gefährdungen bei verschiedenen klimatischen
Doch die Ehrenamtlichen achten während des Telefon- Entwicklungen – etwa einem langsamen oder
gesprächs darauf, ob ihr Gesprächspartner Hinweise auf schnellen Anstieg von Durchschnitts- und
eine gesundheitliche Beeinträchtigung zeigt. Spitzentemperaturen. Das Hitzetelefon wirkt:
Die Evaluation durch das wissenschaftliche
Die schriftliche Anmeldung von Bürgerinnen und Bür- Teilprojekt von KLIMZUG-Nordhessen ergab,
gern nimmt das Kurhessische Diakonissenmutterhaus dass die Maßnahme dazu beiträgt, ältere Men-
Kassel entgegen. Während eines telefonischen Erstge- schen rechtzeitig zu warnen und so schwerwie-

22
genden gesundheitlichen Folgen vorzubeugen.
Persönliches Engagement und ehrenamtliche Tätigkeit
sind die Basis des Hitzetelefons. Somit ist es finanziell
leicht tragbar, setzt aber ein hohes Maß an Interesse und
Verbundenheit voraus. „Ein positiver Nebeneffekt war
zudem die Ansprache und der Kontakt zu älteren Men-
schen, die alleinlebend den sozialen Kontakt zu den Mit-
arbeitern des Hitzetelefons sehr begrüßt haben“, so
Manfred Aul, Vorsitzender des Seniorenbeirats.

Zur Planung und Umsetzung des Hitzetelefons


Sonnenschirm
Als Erstes galt es herauszufinden, in welchen stark hitze-
belasteten Gebieten besonders viele ältere Menschen
leben. Vor allem dort ist präventives Handeln erforder-
lich. In Kooperation mit KLIMZUG-Nordhessen wurden
dafür kleinräumige Klima- und demografische Daten mit „Gerade bei älteren Menschen, chro-
nisch Kranken und Pflegebedürftigen,
der baulichen Substanz der Wohngebiete verglichen.
aber auch bei Kindern kann Wärme-
Resultat waren die Risikogebiete der Stadt Kassel. In die-
belastung im Sommer gesundheitliche
sen Gebieten sollten exemplarisch Maßnahmen zur Probleme verursachen, die man durch
Anpassung an Hitzeextreme entwickelt und erprobt wer- entsprechende Vorsorge gut in den
den. Dazu wurde auf Stadtteilebene das Netzwerk Hitze- Griff bekommen kann.“
prävention gegründet, in dem ausgewählte Akteure
interdisziplinär und sektorübergreifend zusammenarbei- Markus Heckenhahn, Koordinator im
ten. Gesundheitsamt Region Kassel

Im Jahr 2010 führten Partner dieses Netzwerkes eine sich interessiert. Die Idee des Hitzetelefons Sonnen-
Stadtteilkonferenz durch. Ihr Ziel: den Klimawandel in schirm war geboren. Mit der Projektierung wurde
Nordhessen und seine gesundheitlichen Auswirkungen schließlich eine Arbeitsgruppe beauftragt, die sich aus
auf die ältere Bevölkerung zu diskutieren und Strategien Vertretern von KLIMZUG-Nordhessen und den beteiligten
für eine Vorsorge zu entwickeln. Rund 40 Personen aus Organisationen zusammensetzte. Ihr übergeordnetes Ziel
der Gesundheitswirtschaft, der kommunalen Altenhilfe, war es, ein für alle Beteiligten transparentes, einheitli-
dem Wohnungsbau, der öffentlichen Verwaltung, den ches und verbindliches Vorgehen zu erarbeiten. Die
Kirchen und dem Einzelhandel nahmen an der Konferenz Umsetzung sollte während der Sommermonate erfolgen.
teil. Das Diakonissenmutterhaus Kassel, vertreten durch Die Arbeitsgruppe entwickelte Arbeitsabläufe, Arbeits-
seine Oberin, brachte hier die Idee eines Hitzetelefons hilfen (Dokumentationsbögen etc.), ein Schulungskon-
ein. Gleichzeitig signalisierte sie die Bereitschaft, an der zept für die ehrenamtlichen Anruferinnen und Anrufer
Projektierung und Umsetzung verantwortlich mitzuwir- sowie die dazugehörigen Schulungsmaterialen. Realisiert
ken. Auch andere Anwesende – Mitarbeiter aus ambulan- wurde das Hitzetelefon durch den Seniorenbeirat der
ten Pflegediensten, Arztpraxen und Apotheken – zeigten Stadt Kassel und das Diakonissenmutterhaus Kassel.

23
GESUNDHEIT

AUF EINEN BLICK


Beispiel für gute Praxis Hitzetelefon Sonnenschirm
Ort der Umsetzung Kassel
Projektzeitraum 2010 bis heute
Projektziel Transfer gesundheitswissenschaftlicher Erkenntnisse über das
hitzebedingte Gesundheitsrisiko älterer Menschen und Initiierung
von geeigneten präventiven Maßnahmen für gefährdete Personen
Finanzierung Ehrenamtliche Tätigkeit
Ansprechpartner Markus Heckenhahn, Gesundheitsamt Region Kassel
markus.heckenhahn@stadt-kassel.de
Dr. Karin Müller (Amtsleiterin), Gesundheitsamt Region Kassel
karin.mueller@stadt-kassel.de

Internet http://www.stadt-kassel.de/miniwebs/gesund/15417

Das Hitzetelefon startete erstmalig im Sommer 2010. In Ausblick


der Testphase war das Angebot auf nur einen Kasseler Das Hitzetelefon Sonnenschirm wird in Kassel ab Som-
Stadtteil mit besonders hohen hitzebedingten Risiken mer 2013 als kostenlose Dienstleistung durch das
begrenzt. Aufgrund der positiven Erfahrungen und der Gesundheitsamt Region Kassel übernommen. Betrieben
großen öffentlichen Resonanz konnte das Hitzetelefon im wird es weiterhin von dem Diakonissenmutterhaus und
Sommer 2011 erstmals stadtweit angeboten werden. dem Seniorenbeirat Kassel. Im Rahmen des Projektes
wurden umfangreiche Materialien erstellt. Sie informie-
Hindernisse bei der Entwicklung & Durchführung ren über das Hitzetelefon und wichtige wissenschaft­
„Leider sind ältere Personen zwar in hohem Maß betrof- liche Ergebnisse zur Vorbeugung hitzebedingter
fen, doch generell gegenüber Präventionsangeboten sehr Gesundheits­gefährdungen in der Stadt. Die Infor­ma­
zurückhaltend. Sie unterschätzen häufig die eigene Vul- tions­materialien ermöglichen einen Erfahrungstransfer
nerabilität gegenüber hitzebedingten Risiken“, erklärt in andere Kommunen. Sie sind online verfügbar unter:
Markus Heckenhahn. www.stadt-kassel.de/miniwebs/gesund/19344/index.html.

24
Beteiligte Institutionen
Gesundheitsamt Region Kassel
Hochschule Fulda, Fachbereich Pflege und Gesundheit
Ortsbeirat Kassel-West
Vereinigte Wohnstätten von 1889 eG
Nachbarschaftshilfetreff Hand in Hand e. V. West
Evangelisch-freikirchliche Gemeinde Kassel-West
Diakoniestationen der Evangelischen Kirche Kassel
Kurhessisches Diakonissenmutterhaus Kassel
Seniorenbeirat Stadt Kassel
Klimaanpassungsakademie
Hausärztliche Praxis Dr. Popert
Kassel-West e. V.

GUTE-PRAXIS-CHECK

Wirksamkeit
Robustheit
Nachhaltigkeit
Flexibilität
Finanziell tragbar
Positiver Nebeneffekt

25
GESUNDHEIT

BILDUNG UND GESUNDHEIT: KLIMAANPASSUNGSSCHULE


Ein neuartiges Aus- und Weiterbildungsangebot Klimaanpassungsschule. Die Teilnehmerinnen und Teil-
informiert über gesundheitliche Gefahren und nehmer der Klimaanpassungsschule werden gezielt über
Risiken des Klimawandels und über den richti- die gesundheitlichen Gefahren, die mit dem Klima­
gen Umgang damit. wandel einhergehen, informiert. Außerdem stellen füh-
rende Experten Präventivmaßnahmen vor und lehren
Extreme Hitze, starker Pollenflug und eine zunehmende den richtigen Umgang in der medizinischen Versorgung.
Anzahl an Krankheitsüberträgern – die Auswirkungen Ergebnisse aus aktuellen Forschungsaktivitäten werden
des Klimawandels belasten die menschliche Gesundheit hierbei ebenso berücksichtigt wie der „Aktionsplan
und stellen Ärzte und Pflegekräfte vor neue Herausforde- Anpassung“ und die „Deutsche Anpassungsstrategie“.
rungen. Aus diesem Grund hat die Berliner Charité in
Kooperation mit der Stiftung Deutscher Polleninformati- Die Klimaanpassungsschule informiert über die richtige
onsdienst (PID) und der Europäischen Stiftung für Aller- medizinische Versorgung der betroffenen Patienten bei
gieforschung (ECARF) ein interdisziplinäres Aus- und unterschiedlichen klimatischen Bedingungen wie extre-
Weiterbildungsangebot zur Anpassung an den Klima- mer Hitze oder extremer Kälte. Gleichzeitig geht sie auf
wandel geschaffen: die Klimaanpassungsschule. die indirekten Folgen des Klimawandels ein – beispiels-
„Eine Fort- und Weiterbildungsveranstaltung hat es in weise auf die Zunahme von Stechmücken oder extreme
dieser Form bisher nicht gegeben“, so Prof. Dr. med. Karl- Pollenbelastung.
Christian Bergmann von der Charité, Koordinator der

AUF EINEN BLICK


Projektzeitraum 2012 – 2014
Projektziel Förderung der Aus- und Weiterbildung von Pflegekräften, Ärztinnen/
Ärzten und Gesundheitsbeauftragten zu den gesundheitlichen Aus-
wirkungen des Klimawandels
Finanzierung 122.000 EUR, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (BMU), Berlin
Ansprechpartner Charité Berlin, Prof. Dr. med. Karl-Christian Bergmann,
Dr. Andrea Schietinger
info@klimaanpassungsschule.info
Internet www.klimaanpassungsschule.de

26
28
FORSTWIRTSCHAFT

Kaum ein Wirtschaftszweig muss so frühzeitig auf den


Klimawandel reagieren wie die Forstwirtschaft. Mit ihren
langen Zeithorizonten und dem langsamen Wachstum Eine forstwirtschaftliche Maßnahme
der Bäume hat sie kaum eine Möglichkeit für kurzfristige sollte:
Anpassungsmaßnahmen. Wie stark der Klimawandel
sich auf die Forstwirtschaft auswirkt, hängt direkt von → wirksam sein, d. h., sie reduziert mit hoher
der Empfindlichkeit der Wälder ab. Wahrscheinlichkeit verlässlich und
dauerhaft die Risiken des Klimawandels
Aufgrund des Klimawandels wird es tendenziell wärmer für die Baumbestände.
und in vielen Regionen trockener werden. Doch nicht → robust sein, d. h., die Maßnahme mindert
jede Baumart ist gut an dieses neue Klima angepasst. Klimarisiken für die Baumbestände in
Gerade die Fichte – eine der häufigsten Baumarten in vielen unterschiedlichen Klimaszenarien.
Deutschland – ist wenig trockenheits- und hitzetolerant. → nachhaltig sein, d. h., die Aktivitäten
Da mit zunehmenden Temperaturen zudem die Gefahr berücksichtigen sowohl die ökologische
der Ausbreitung von Schadinsekten steigt, ist die für Bor- Funktion des Ökosystems Wald als auch
kenkäfer anfällige Fichte in Monokulturen besonders ökonomische und soziale Belange.
gefährdet. Darüber hinaus können Wetterextreme wie → finanziell tragbar sein, d. h., die Maß-
Hagel oder starke Stürme im Wald erheblichen Schaden nahme ist für Forstbesitzer, Forstwirte
verursachen. oder Holzhändler mit vertretbarem
Aufwand finanzierbar. Zusätzlich sollten
Auch im Falle eines Sturmes sind Fichtenreinbestände Handlungsalternativen keinen höheren
mit ihren flachen Wurzelsystemen besonders gefährdet. Nutzen bei gleichen Kosten aufweisen.
Um mit diesen Veränderungen gut umgehen zu können, → positive Nebeneffekte haben, d. h., die
bedarf es einer Vielzahl von Aktivitäten. Diese sollten Anpassungsmaßnahme hat positive
nach Möglichkeit die Kriterien guter Anpassungspraxis Wirkungen auf Umwelt, Gesellschaft oder
erfüllen. die durchführende Organisation und das
Erreichen ihrer Ziele. Diese Wirkungen
treten auch ohne Klimaveränderungen ein.
→ flexibel sein, d. h., die forstwirtschaftliche
Maßnahme kann mit verhältnismäßig
geringen Kosten modifiziert werden.

Angesichts der Unsicherheiten in Klimaprojek-


tionen und der langen Handlungshorizonte in
der Forstwirtschaft ist das Kriterium der
Robustheit hier von besonderer Bedeutung.

29
FORSTWIRTSCHAFT

WALDUMBAU IN DEN THÜRINGER WÄLDERN


Durch standortgerechte Baumartenwahl entste- kann. Außerdem fehlt dem Praktiker oft die Zeit, sich mit
hen vitale Mischwälder, die den Klimaverände- Klimaszenarien auseinanderzusetzen. Deshalb sind wir
rungen standhalten. einen Schritt weitergegangen und haben die wissen-
schaftlichen Daten aufgearbeitet und die bisherige forst-
Seit 2011 stehen Thüringens Forstpraktikern neue, nach liche Klimagliederung mit dem Blick auf die Zukunft
Standort differenzierte Empfehlungen für Baumarten zur unter Verwendung der Klimaszenariodaten neu definiert.
Verfügung. Der Fokus dieser Empfehlungen liegt auf dem Als neue Grundlage für die Artenauswahl haben wir Klima­
Klimawandel. Ihr Ziel: langfristig stabile, vitale und bereiche eingeführt, die die Vegetationszeit und den
artenreiche Wälder zu entwickeln und diese erfolgreich Wasserhaushalt beinhalten“, erläutert Ingolf Profft vom
an den Klimawandel anzupassen. Außerdem erprobt Service- und Kompetenzzentrum von ThüringenForst.
ThüringenForst in einem groß angelegten Modellprojekt
neue Strategien für den Waldumbau in Bergregionen. Der Förster

Das benutzerfreundliche Nachschlagewerk mit den


Mischwälder kann jetzt di-
rekt im Katalog
Baum­artenempfehlungen ist in Anlehnung an frühere TANNEN, BUCHEN UND KIEFERN nachschlagen
Arbeitsunterlagen entstanden und für die Förster digital SIND ROBUSTER GEGENÜBER und aussu-
KLIMAVERÄNDERUNGEN
und gedruckt abrufbar. Neu ist die Eingliederung in chen, welche
ALS REINE FICHTENWÄLDER.
Klimabereiche, die eine Beschreibung der Vegetationszeit Baumarten die
und des Wasserhaushalts beinhalten. Das Nachschlage- richtigen für
werk wird regelmäßig aktualisiert. Der Katalog basiert seinen Stand-
auf Klima- und Bodendaten, differenziert nach den ort sind. „Generell werden nur Mischbestände empfoh-
Wuchsregionen Thüringens. Grundlage hierfür ist eine len, mit Arten wie zum Beispiel Tanne, Buche, Kiefer und
wissenschaftliche Risikoanalyse und der ermittelte Ein- Fichte. Wenn eine Art ausfällt, können die anderen Arten
fluss der veränderten Klimaparameter auf Baumarten- weiterhin bestehen“, erläutert Ingolf Profft. Die neuen
und Altersstrukturen der Wälder. Dabei orientiert sich Baumartenempfehlungen sind für den Staatswald ver-
ThüringenForst an dem Szenario A1B und hat einen defi- pflichtend, dem Privat- und Körperschaftswald werden
nierten Zeitraum von 2041 bis 2070 im Blick. sie empfohlen.

Das Szenario geht im Vergleich zu anderen Szena- Im Herbst 2013 startete zudem ein Projekt für den
rien von einem mittleren Anstieg der CO2-Konzen- Waldumbau in den mittleren, Hoch- und Kammla-
tration aus. ThüringenForst hat gezielt nur dieses gen des Thüringer Waldes. Diese Standorte sind
eine Szenario gewählt. „In der praktischen Arbeit geprägt von Fichtenreinbeständen gleichen Alters.
ist ein Zeithorizont von 100 Jahren auch für Förster In der Modellregion traten in den 1940er-Jahren
schwierig zu fassen, weil man die Auswirkungen vermehrt Schäden durch Orkane und Borkenkäfer
selber nicht mehr miterlebt. Ein Prak- auf. Deshalb wurde bereits vor 50 Jahren das Ziel
tiker braucht einen festen Zeitho- formuliert, standortgerechte Misch- und Laub-
rizont, an dem er sich orientieren wälder zu etablieren. Schwierigkeiten

30
erheblichen Schnee- und Sturmbruchschäden“, erläutert
Profft. Darüber hinaus sind viele der Bestände stark vom
Rotwild geschädigt. Neben den wirtschaftlichen Einbu-
ßen war auch der Tourismus unmittelbar betroffen.

Durch die Bruchschäden waren Wanderwege zeitweise


oder auch permanent versperrt. Deshalb sollen nun vor
dem Hintergrund des Klimawandels praxistaugliche,
waldbaulich und forsttechnisch umsetzbare Empfehlun-
gen für die Bergregionen erarbeitet werden. Dabei wer-
den anhand der Baumartenempfehlungen sowohl die
verschiedenen Verfahren zur Verjüngung, die Erntesys-
teme, der Umgang mit Provenienzen und weitere wald-
bauliche Herangehensweisen überprüft. An dem
Waldumbauprojekt für Thüringens Bergwälder arbeiten
Partner aus Wissenschaft, Praxis und Verwaltung mit.
Ziel ist es, Handlungsempfehlungen und Bewirtschaf-
tungskonzepte für die Praxis zu entwickeln. Das gesamte
Modellgebiet umfasst ca. 8.000 Hektar. Darin eingebettet
„Der Waldumbau zählt zu einer unserer
sind die Zonen für aktive Waldumbaumaßnahmen mit
drängendsten Aufgaben zur Anpassung
einer Größe von ca. 1.000 Hektar. In den älteren Bestän-
an den Klimawandel.“
den soll neu aufgeforstet werden, in den jüngeren sollen
Ronny Eckhardt, Revierleiter, Revier Schneekopf Durchforstungs- und Pflanzmaßnahmen eine standort-
im Forstamt Oberhof gerechte Naturverjüngung ermöglichen.

Zu den Kriterien für gute Praxis


traten jedoch bei der Saat- und Pflanzgutversorgung auf. Der Waldumbau von Fichtenreinbeständen hin zu einem
Zu Wild-, Weide- und Mäuseschäden kamen fehlende Mischwald stellt eine wirksame Methode dar, um mit den
Pflegemaßnahmen, ebenso Dürre und Frost. Daher sieht Risiken des Klimawandels erfolgreich umzugehen. Denn:
man heute in diesem Gebiet großflächige, gleichaltrige Wenn eine Baumart aufgrund unvorhersehbarer Ein-
Fichtenreinbestände aus Tieflagen-Fichten, also Fichten, flüsse ausfällt, bleiben die anderen Baumarten erhalten.
die sich – genetisch fixiert – von Natur aus an tiefere Die Empfehlungen werden permanent geprüft und
Flachlandbereiche angepasst haben, sogenannte Tiefla- anhand neuer Erkenntnisse aus Klimaforschung und
gen-Provenienzen. „Tieflagen-Fichten waren damals Forstwirtschaft modifiziert. „Wir haben einen dynami-
weitgehend das einzig verfügbare Pflanzgut, das nach schen Aufbau des Katalogs gewählt, damit im Falle neuer
den Stürmen in den 1940er-Jahren in den höheren Lagen wissenschaftlicher Ergebnisse nicht wieder komplett
gepflanzt wurde. Die Äste von Tieflagen-Fichten sind umgedacht werden muss“, so Profft. Der Waldumbau in
waagerechter ausgerichtet als die von Fichten mit Her- den Thüringer Wäldern ist eine relativ robuste Maß-
kunft aus höheren Lagen. Da diese die Schneemengen nahme zur Anpassung an den Klimawandel. Verschie-
der höheren Lagen nicht gut halten konnten, kam es zu dene Emissionsszenarien wurden ausgewertet und eines

31
FORSTWIRTSCHAFT

AUF EINEN BLICK

Beispiel für gute Praxis Waldumbau im Thüringer Wald


Ort der Umsetzung Thüringen
Projektzeitraum Waldumbau in ganz Thüringen gemäß neuer Baumartenempfehlungen:
seit 2011 (fortlaufend); „Waldumbau in den mittleren, Hoch- und Kamm-
lagen des Thüringer Waldes“ als Modellvorhaben: 2013 – 2022
Projektziel Schaffung von strukturierten, stabilen, multifunktionalen Mischwäldern
für Mensch und Umwelt
Finanzierung 10.000 – 15.000 EUR/Hektar Waldumbau plus zusätzlicher wissenschaftlicher
Begleitung und Öffentlichkeitsarbeit
Ansprechpartner Ingolf Profft
Service- und Kompetenzzentrum der ThüringenForst – AöR, Gotha
ingolf.profft@forst.thueringen.de
Internet www.waldwandel-gegen-klimawandel.de

mit mittlerer Extremstufe der angenommenen Treibhaus- würde, hätte dies hohe Schäden und Risiken und somit
gasemissionen wurde explizit den Baumartenempfehlun- unmittelbare Umsatzeinbußen zur Folge. Deshalb ist der
gen zugrunde gelegt. Der Thüringer Waldumbau soll also Waldumbau finanziell tragbar – trotz der hohen Kosten
bis zum mittleren angenommen Anstieg der CO2-Konzen- und auch wenn wir erst in 50 Jahren den Erlös verbuchen
tration in der Atmosphäre optimiert werden. „Es soll ein können“, so Ingolf Profft.
erfolgreicher, zukunftweisender Waldumbau erreicht
werden, der sowohl wirtschaftliche, gesellschaftliche Zur Planung und Umsetzung des Waldumbaus
und Umweltaspekte berücksichtigt. Bei dieser nach­ in Thüringen
haltigen Herangehensweise ist die Akzeptanz der Bevöl- Waldumbau ist ein Prozess. Seit den 1990er-Jahren wird
kerung unabdingbar“, verdeutlicht Profft. Wenn die er in Thüringen vorangetrieben. Der Grund: Historisch
Waldstruktur verändert wird, dann verändert sich auch bedingt herrschen in den Wäldern des Freistaats in wei-
das Erscheinungsbild des Waldes. Dadurch dass es mehr ten Teilen Reinbestände vor, die teilweise nicht standort-
Baumarten gibt, wird der Wald im Vergleich zur bisheri- gerecht sind. Etwa 8.000 Hektar Wald wurden seitdem
gen Monokultur vitaler, robuster und das Landschafts- im Staatswald durch Saat oder Pflanzung umgebaut,
bild wird verbessert. Somit steigt im Sinne eines positiven rund 6.000 Hektar im Privat- und Körperschaftswald. Die
Nebeneffektes die Attraktivität des Waldes für Freizeit Herausforderungen des Klimawandels führen dazu, dass
und Erholung. Gleichzeitig nimmt die Biodiversität zu. die bisherigen Aktivitäten noch stärker vorangetrieben
„Wenn im Wald weiter wie bisher gewirtschaftet werden werden. Bereits 2011 hat ThüringenForst die neuen Emp-

32
fehlungen für die Baumartenwahl mit den neu aufgeführ- Beteiligte Institutionen
ten Klimabereichen herausgegeben. An den Baum- ThüringenForst – AöR, Service- und Kompetenzzentrum, Gotha
artenempfehlungen haben Botaniker und Forstwissen- Thüringer Forstämter Frauenwald und Oberhof
schaftler gemeinsam gearbeitet. Um den Revierförstern Universität Göttingen, Institut für Waldbau
die für den Staatswald verbindlichen Baumarten- TU Dresden, Fachrichtung Forstwissenschaften
empfehlungen näherzubringen, wurden sie im Rahmen Johann Heinrich von Thünen Institut, Eberswalde
von halbtägigen Weiterbildungsveranstaltungen in klei- FH Erfurt, Fachbereich Forstwirtschaft und Ökosystemmanagement
nen Gruppen geschult. Für Herbst 2013 sind im Rahmen Veterinärmedizinische Universität Wien
des Modellprojektes erste Pflanzmaßnahmen für den  hüringer Ministerium für Landwirtschaft, Forsten,
T
Bergwaldumbau geplant. Eine aktive Öffentlichkeits­ Naturschutz und Umwelt, Erfurt

arbeit begleitet die Maßnahmen. Wandervereine und Obere Naturschutzbehörde im Landesverwaltungsamt Weimar
Lokalpolitiker werden kontinuierlich informiert. Umweltverbände NABU Landesverband, Thüringen, Jena
BUND Landesverband Thüringen
Biosphärenreservat Vessertal-Thüringer Wald,
Schmiedefeld am Rennsteig

Regionale PEFC-Arbeitsgruppe Thüringen, Erfurt


Landesjagdverband & Hegegemeinschaften,Erfurt
Regionalverbund Thüringer Wald e. V., Zella-Mehlis

GUTE-PRAXIS-CHECK

Wirksamkeit
Robustheit
Nachhaltigkeit
Flexibilität
Finanziell tragbar
Positiver Nebeneffekt

 ie neuen Baumartenempfehlungen wurden im Rahmen


D
von halbtägigen Weiterbildungsveranstaltungen den Revier-
förstern nähergebracht.

33
FORSTWIRTSCHAFT

WALDUMBAU IM BAYERISCHEN STAATSWALD


Durch den gezielten Umbau von Reinbeständen bleibenden 172.000 Hektar geschehen sein. Bei der Wahl
in strukturierte Mischbestände begegnen die der Baumarten richten sich die Bayerischen Staatsforsten
Bayerischen Staatsforsten dem Klimawandel. nach den örtlichen Gegebenheiten. Wie aus einem Bau-
kastensystem werden so pro Waldbestand mehrere Baum­
Rund zwei Drittel des insgesamt 722.000 Hektar großen arten ausgewählt, hauptsächlich einheimische wie
bayerischen Staatswaldes sind mit Nadelhölzern bestockt, Buche, Ahorn und Eiche, aber auch Douglasien. Bei neu
darunter auch ein großer Anteil klimasensibler Fichten- zu begründenden Flächen wird mindestens ein Flächen-
reinbestände. Vor dem Hintergrund des Klimawandels anteil von 30 Prozent der genannten Baumarten einge-
bauen die Bayerischen Staatsforsten diese Reinbestände setzt.
sukzessive in widerstandsfähige und strukturierte Misch-
wälder um. In diesen wird die Fichte zwar weiterhin eine Die gezielte Förderung von Mischwald ist eine wirksame
wichtige Rolle spielen, allerdings muss sie sich auf Maßnahme, um die Widerstandsfähigkeit des Waldes zu
Gesellschaft einstellen. Die Buche wird als wichtigste erhöhen und das wirtschaftliche Risiko zu minimieren.
Laubbaumart deutlich zunehmen, ihr Anteil am Gesamt- Falls wider Erwarten eine Baumart ausfällt, sichern die
bestand wird von heute 17 Prozent auf 26 Prozent steigen. anderen Baumarten weiterhin den Fortbestand des Wal-
Ähnliches gilt für die Eiche und andere Laubbaumarten. des und den Ertrag. Außerdem erfolgen zwei Drittel des
Umbaus durch Naturverjüngung: Junge Bäume, die aus
Durch den Umbau von rund 255.000 Hektar an Reinbe- den Samen der Altbäume entstanden sind, werden gezielt
ständen werden naturnahe, leistungsfähige Mischwälder gefördert. Dies ist nicht nur finanziell wesentlich günsti-
aufgebaut. Bislang wurden bereits 83.000 Hektar ver- ger. Bäume aus Naturverjüngung haben außerdem deut-
jüngt. In etwa 25 Jahren soll dies auch für die noch ver- lich bessere Wuchseigenschaften und ein stabileres

AUF EINEN BLICK


Beispiel für gute Praxis Waldumbau im bayerischen Staatswald
Ort der Umsetzung Bayern
Projektzeitraum 2006, Abschluss in rund 25 Jahren
Projektziel Vorsorge und Risikominderung der Folgen des Klimawandels
Finanzierung Interne Finanzierung
Ansprechpartner Bayerische Staatsforsten AöR
info@baysf.de
Internet www.baysf.de

34
Wurzelsystem als gepflanzte Bäume. Der Waldumbau als
Teil der nachhaltigen, integrativen Forstwirtschaft im
bayerischen Staatswald berücksichtigt so die verschie-
denen Interessen – Wirtschaftlichkeit, Natur- und Was-
serschutz sowie den Wald als Naherholungsgebiet.

Beteiligte Institutionen
Bayerische Staatsforsten AöR, Regensburg

35
36
LANDWIRTSCHAFT

Wetter und Klima haben einen starken Einfluss auf den


landwirtschaftlichen Ertrag. Folgen des Klimawandels
wie veränderte Durchschnitts- und Extremtemperaturen, Eine Anpassungsmaßnahme in der
veränderte Niederschlagsverteilungen und CO2- oder Landwirtschaft sollte:
Ozon-Konzentrationen können vermehrt zu schwanken-
den Erträgen f ühren. Bei einer Zunahme von → wirksam sein, d. h., die Maßnahme trägt
Wetterextremen wie Starkregen, Hagel, Spätfrost oder verlässlich und dauerhaft zur Sicherung
auch durch ein vermehrtes Auftreten von Schadorganis- des landwirtschaftlichen Ertrags bei.
men ist teilweise mit erheblichen Ernteausfällen zu → robust sein, d. h., die Maßnahme wirkt sich
rechnen. in verschiedenen Klimaszenarien positiv
auf den Ertrag aus.
Als besonders kritisch werden für Deutschland eine → nachhaltig sein, d. h., die Sicherung des
Abnahme der Sommerniederschläge und die damit ein- landwirtschaftlichen Ertrags lässt sich
hergehende abnehmende Wasser verf ügbarkeit mit ökonomischen, ökologischen und
angesehen sowie eine Zunahme von Extremwetterereig- sozialen Interessen vereinbaren.
nissen und die steigende Variabilität des Klimas. → finanziell tragbar sein, d. h., die Maß-
Außerdem könnte eine Erwärmung über das Temperatur­ nahme ist für die umsetzenden Akteure,
optimum vieler traditioneller Pflanzen wie Kartoffeln z. B. Landwirte, mit vertretbarem Aufwand
oder Hafer problematisch werden. Diesen Folgen des finanzierbar. Gleichzeitig weisen alter-
Klimawandels kann mit angepassteren Sorten sowie native Maßnahmen bei gleichen Kosten
modifizierten Anbau- und Bewässerungsverfahren keinen höheren Nutzen auf.
begegnet werden. → positive Nebeneffekte haben, d. h., neben
der Sicherung des landwirtschaftlichen
Aktivitäten, mit denen Beeinträchtigungen durch den Ertrags ergeben sich weitere positive
Klimawandel in der Landwirtschaft reduziert werden, Effekte auf Umwelt, Gesellschaft oder die
sollten sich möglichst an den Kriterien für eine gute umsetzende Organisation.
Anpassungspraxis orientieren. → flexibel sein, d. h., die Maßnahme kann
mit verhältnismäßig geringen Kosten
modifiziert werden.

Da funktionierende Ökosysteme eine wichtige


Grundlage für die Landwirtschaft sind, stellen
bei Anpassungsmaßnahmen in diesem Hand-
Veränderungen der Witterungen, wie etwa die
lungsfeld die Nachhaltigkeit und positive
­Zunahme von Niederschlägen, sind über die Ernte-
erträge in der Landwirtschaft unmittelbar spürbar. Nebeneffekte besonders wichtige Kriterien dar.

37
LANDWIRTSCHAFT

KLIMAANPASSUNG IM PFLANZENBAU AM BEISPIEL


DES ZWEIKULTUREN-NUTZUNGSSYSTEMS
Wissenschaft trifft Praxis: Zwei Landkreise in zudem bedingt durch extreme Wetterereignisse wie Hagel
Nordhessen testen Alternativen im Pflanzenbau oder lange Trockenperioden Ernteeinbußen für die Land-
am Beispiel von Energiepflanzen. wirte zur Folge haben. Im Rahmen von KLIMZUG-Nord-
hessen, einem wissenschaftlichen Projekt zur Anpassung
Der Anbau von Energiepflanzen für Biogasanlagen hat in an den Klimawandel, entstanden im Landkreis Waldeck-
den letzten Jahren durch die politische Förderung stark Frankenberg und im Schwalm-Eder-Kreis Demonstra­
und beständig zugenommen, für viele Landwirte ist ein tionsflächen zum klimaangepassten Pflanzenanbau.
neuer Betriebszweig entstanden. Derzeit wird vor allem
Mais angebaut, der sich als „die Biogaspflanze“ etabliert Zielsetzung war dabei, ausgehend von den wissenschaft-
hat. Die starke Ausdehnung des Maisanbaus wird aus lichen Empfehlungen klimaangepassten Ackerbau über
Umweltschutzgründen als problematisch bewertet. Unter Instrumente der regionalen Steuerung wirksam zu etab-
anderem hat die Maispflanze aufgrund des späten Saat- lieren. Bildung und Beratung stellen dazu wirksame
zeitpunkts und eines langsamen Wachstums erst spät im ­Instrumente bereit, die regional definiert und umgesetzt
Jahr eine bodendeckende und damit -schützende Wir- werden können. Auf den Demonstrationsflächen werden
kung. den Landwirten Pflanzen vorgestellt, die in unterschied-
lichen Variationen in Kombination mit oder als Alterna-
Über viele Monate hinweg liegt der Boden überwiegend tive zur Energiepflanze Mais angebaut werden können.
brach. Er ist dadurch anfällig für Bodenerosion und Hierfür wurde ein Aus- und Weiterbildungskonzept für
Nährstoffauswaschung. Dies kann sich durch die erwar- Landwirte erarbeitet, welches den klimaangepassten
tete Zunahme von Niederschlägen im Winter noch erhö- Anbau unter lokalen Bedingungen vermitteln und den
hen. Somit können die Folgen des Klimawandels bereits Austausch unter den Landwirten fördern soll. Inzwischen
heute bestehende Belastungen von Böden und Gewäs- wurden die auf den Demonstrationsflächen stattfinden-
sern verstärken. Die Fixierung auf den Anbau von nur den Führungen in das Fortbildungs- und Beratungspro-
einer Kulturpflanze über das gesamte Jahr hinweg kann gramm des Landesbetriebs Landwirtschaft Hessen (LLH)

„Beispielhaft in diesem Projekt ist


die Zusammenarbeit aller vor Ort mit
der Thematik befassten Akteure unter
Einbeziehung der landwirtschaftlichen
Praxis.“

Axel Friese, Fachdienstleitung Landwirt-


schaft Waldeck-Frankenberg

38
aufgenommen. „Dies ist besonders wichtig“, betont Axel Boden- und Nährstoffver-
Friese, Leiter des Fachdienstes Landwirtschaft im Land- luste werden aufgrund der
kreis Waldeck-Frankenberg, „denn die besten Erfolge in größeren Robustheit des
der Beratung von Landwirten erzielt man, wenn man Anbausystems gegenüber
Demonstrationsversuche in Praxisbetrieben vor Ort klimatischen Verände-
anlegt. Für den Landwirt ist es wichtig, Anschauungsbei- rungen effektiv reduziert.
spiele in der Region unter den spezifischen Bedingungen Die Kombination ver-
der Standorte betrachten zu können. Dann steigt die schiedener Arten erhöht
Bereitschaft, sich mit Alternativen auseinanderzusetzen die Flexibilität. Unab-
und diese zu übernehmen“, so Axel Friese. hängig vom Klima-
szenario geht der
Pro Jahr werden Mischanbau mit zu-
ANBAU EINER zwei Kulturen nehmender Ertrags­
auf den Demons- stabilisierung einher.
Winterkultur trationsflächen
angebaut. In dem Zusätzlich kann als positiver
ERHÖHT DIE JÄHRLICHEN
ERTRÄGE sogenannten Nebeneffekt die Biodiversität
Zweikult uren- durch die erhöhte Anzahl angebau-
Nutzungssystem ter Pflanzenarten zunehmen. Die
wird beispiels- Umsetzung vor Ort stellt für die
weise im Herbst eine Winterkultur aus Wintererbse und Landwirte keine Hürde dar, da sie
Roggen gesät und im Frühjahr Mais. Der Erntetermin der mit dem derzeitigen Stand der Technik
Erstkultur liegt vor der maximalen Biomassebildung, erfolgen kann. Allerdings muss der erhöhte Aufwand
damit für die Zweitkultur noch ausreichend Vegetations- aufgrund von Anbau und Ernte von zwei Kulturen im
zeit bleibt. Jahr durch höhere Erträge ausgeglichen werden. Dafür
sind Arten- und Sortenwahl entscheidend. So kann die
Die Herausforderung besteht darin, die Artenkombina- Anpassungsmaßnahme zur wirtschaftlichen Stabilität
tion mit den Sorten zu finden, die unter lokalen Bedin- des Betriebs beitragen.
gungen am besten gedeihen. Bisherige Untersuchungen
zeigten: Mit dem Zweikulturen-Nutzungssystem können Zur Planung und Umsetzung der Demonstra­
stabile und hohe Erträge erzielt werden, die mit positiven tionsflächen
ökologischen Effekten einhergehen. Dies gleicht den Die beiden Demonstrationsvorhaben wurden seitens
erhöhten Aufwand gegenüber herkömmlichen Anbausys- KLIMZUG-Nordhessen von Wissenschaftlern aus dem
temen aus. Allerdings besteht weiterhin großer Bedarf an Bereich der Agrar- und Rechtswissenschaften sowie von
der (Weiter-)Entwicklung geeigneter Pflanzensorten. den Klimaanpassungsbeauftragten der beiden Land-
kreise begleitet. In den Landkreisen sind die Leiter der
Zu den Kriterien für gute Praxis Fachbereiche Landwirtschaft, Wasser und Boden sowie
Das Zweikulturen-Nutzungssystem stellt eine wirksame der Unteren Naturschutzbehörden die maßgeblichen
Anpassungsmaßnahme dar. Ertragseinbußen sowie Akteure. Zudem sind der Landesbetrieb Landwirtschaft

39
LANDWIRTSCHAFT

AUF EINEN BLICK


Beispiel für gute Praxis Angepasster Energiepflanzenanbau

Ort der Umsetzung Landkreise Schwalm-Eder und Waldeck-Frankenberg in Nordhessen


Projektzeitraum 2011 bis heute
Projektziel Integration wissenschaftlich erarbeiteter Maßnahmen zur Klimaanpassung
in die landwirtschaftliche Praxis und deren Verbreitung; Entwicklung und
Konzeption von Steuerungsinstrumenten
Finanzierung Landwirtschaftskommission des Schwalm-Eder-Kreises; Landkreis
Waldeck-Frankenberg; KLIMZUG-Nordhessen; Naturlandstiftung
Hessen e. V.; Biogas Homberg (Efze) GmbH & Co. KG
Ansprechpartner Dr. Rüdiger Graß, Universität Kassel, Fachgebiet Grünlandwissenschaft
und Nachwachsende Rohstoffe // grass@wiz.uni-kassel.de
Internet http://klimzug-nordhessen.de/index.php?id=1576

Hessen als fachliche Beratungsinstitution und die Kreis- kommission des Schwalm-Eder-Kreises, der Naturland-
landwirte als berufsständische Vertretung eingebunden. stiftung Hessen e. V. des Schwalm-Eder-Kreises und von
Im Schwalm-Eder-Kreis wurde im Frühjahr 2012 mit der der Biogas Homberg (Efze) GmbH & Co. KG. Im Landkreis
Anlage der Demonstrationsflächen begonnen. Die Anbau- ­Waldeck-Frankenberg wurde mit der Anlage der Demons-
varianten wurden von den beteiligten Akteuren gemein- trationsflächen im Herbst 2012 begonnen. „Das Beson-
sam ausgewählt. Neben der großflächigen Aussaat von dere hierbei ist, dass ein ortsansässiger Landwirt die
Sommerkulturen (Mais, Hirse, Sonnenblumen, Getreide- Flächen bestellt. Dies schafft eine höhere Identifikation
Leguminosen-Gemenge) wurde auch eine Fläche mit mit den Flächen und dem Thema Klimaanpassung“,
sogenannten Exoten etabliert. Bei einer gemeinsamen betont Tanja Müller, Klimaanpassungsbeauftragte des
Veranstaltung der beteiligten Akteure im Juni 2012 mit Landkreises Waldeck-Frankenberg. Auch diese Demons-
Feldbegehung und Vorträgen nahmen über 60 Personen trationsflächen werden finanziell durch das BMBF und
aus Praxis und Beratung teil. mit Mitteln des Landkreises unterstützt.

Im August 2012 wurde eine weitere Feldbegehung mit Damit die Demonstrationsflächen erfolgreich etabliert
Multiplikatoren aus Naturschutz und Landwirtschaft werden konnten, wurden alle beteiligten Akteure früh-
durchgeführt. Finanziell unterstützt wird der Umset- zeitig eingebunden. „Fachlich und inhaltlich unter-
zungsverbund durch das vom Bundesministerium für schiedliche Ansichten konnten gemeinsam frühzeitig
Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt diskutiert werden. Die Ergebnisse der Diskussionen flos-
­K LIMZUG-Nordhessen sowie von der Landwirtschafts- sen direkt in die Planung ein“, erklärt Tanja Müller. Dabei

40
war die neutrale Position und moderierende Rolle der Beteiligte Institutionen
universitären KLIMZUG-Akteure hilfreich. Fachgebiet Grünlandwissenschaft und Nachwachsende
Rohstoffe, Universität Kassel

Dieser Prozess verdeutlicht exemplarisch, wie regionale Fachgebiet Öffentliches Recht, Universität Kassel
Steuerungsstrukturen – beispielsweise die Einbindung Klimaanpassungsbeauftragte der Landkreise Schwalm-Eder
in das Fortbildungs- und Beratungsprogramm des LLH und Waldeck-Frankenberg

– realisiert und im Hinblick auf Klimaanpassungsaspekte Fachbereiche bzw. Fachdienste Landwirtschaft, Wasser-
und Bodenschutz, Naturschutz der Landkreise Schwalm-
verbessert werden können. Ein besonderer Erfolg des
Eder und Waldeck-Frankenberg
Projektes: Beide Landkreise führen die Demonstra­
Kreislandwirte und Maschinenringe der Landkreise
tionsflächen nach der Laufzeit des Verbundprojektes Schwalm-Eder und Waldeck-Frankenberg
­K LIMZUG-Nordhessen weiter. Sie möchten weiterhin
Ingenieurbüro Schnittstelle Boden, Ober-Mörlen
klima­angepasste, ökonomisch tragfähige und ökologisch
Landkreis Waldeck-Frankenberg Fachdienst Dorf-
schonende Anbauverfahren fördern und etablieren. und Regionalentwicklung, Korbach

Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen (LLH), Kassel

GUTE-PRAXIS-CHECK

Wirksamkeit
Robustheit
Nachhaltigkeit
Flexibilität
Finanziell tragbar
Positiver Nebeneffekt

Bei der Zweikulturnutzung wird noch vor der Reife die ganze
Pflanze der ersten Kultur für die Energiegewinnung genutzt.

41
LANDWIRTSCHAFT

ANBAU VON WIDERSTANDSFÄHIGEM GEMÜSE


UND GETREIDE
Eine geeignete Sortenwahl senkt das Risiko von ist zudem besonders widerstandsfähig gegen Schädlinge,
möglichen Ernteausfällen und Unwetterschä- die angesichts des veränderten Klimas verstärkt auftreten
den. können. Um Gemüsesorten vor Starkregen und Hagel zu
schützen, baut der Biolandhof Freese im Rahmen des
Ernteeinbußen traditioneller Gemüse- und Getreidesor- Projektes Tomaten in einem Gewächshaus an. Dessen
ten werden durch vermehrte Extremwetterlagen wie Folie ist reißfest und lichtdurchlässig und schafft so frei-
Hitze, Dürre oder Sturm immer häufiger. Eine wirkungs- landähnliche Lichtverhältnisse. Da die Gewächshausein-
volle Anpassungsmaßnahme stellt die Umstellung auf deckung und Sortenwahl das Risiko von Unwetter-
klimaresistentere Sorten wie dem Urroggen dar. Der Bio- schäden bei verschiedenen Ausprägungen von Extremer-
landhof Freese rekultiviert diesen erfolgreich seit 2009 eignissen verringern, sind diese Maßnahmen besonders
als Praxispartner im BMBF-geförderten Projekt nord- robust und wirksam gegenüber den Auswirkungen des
west2050. Die alte Roggensorte wurzelt tief in der Erde Klimawandels. Da sie das Risiko von Ernteausfällen redu-
und kann so auch unter schlechten Bedingungen oder zieren, sind die Maßnahmen auch zukünftig finanziell
Wetterextremen wie Stürmen, starken Niederschlägen tragbar. Es ist zudem eine hohe Flexibilität gegeben, da
oder Trockenperioden gedeihen. weniger geeignete Sorten ausgetauscht werden können.

Sie wächst sehr schnell und schafft eine gute Bodenqua- Beteiligte Institutionen
lität. Durch die Aufnahme großer Wassermengen redu- Biolandhof Freese, Rhauderfehn
ziert die Pflanze die Gefahr der Staunässe. Der Urroggen BMBF-Projekt nordwest2050

AUF EINEN BLICK


Beispiel für gute Praxis Anbau von klimaangepassten Gemüse- und Getreidesorten
Ort der Umsetzung Biolandhof Freese, Rhauderfehn, Niedersachsen
Projektzeitraum 2009 bis heute
Projektziel Klimasensitive, landwirtschaftliche Produktion durch
den Anbau klimaresistenterer Gemüse- und Getreidesorten
Finanzierung Eigenmittel und Fördermittel im Rahmen des BMBF-Projektes nordwest2050
Ansprechpartner Heiko Freese
info@biolandhof-freese.de
Internet www.biolandhof-freese.de
www.nordwest2050.de, www.clue.uni-oldenburg.de

42
43
44
HOCHWASSERVORSORGE

Heftige Niederschläge – egal ob großflächiger Dauerregen


oder kurzer Starkregen – können zu Hochwasser führen.
Ist im Winter meist ein Temperaturanstieg mit anschlie- Eine Maßnahme der Hochwasservorsorge
ßender Schneeschmelze der Auslöser, so sind es im sollte:
Sommer Tiefdruckgebiete, die über dem Mittelmeer ent-
stehen und in unseren Breitengraden zu extremen → wirksam sein, d. h., sie reduziert die
Niederschlägen führen. Da der Klimawandel zu einer Wahrscheinlichkeit von Schäden durch
Zunahme von Extremwetterereignissen führen kann, Hochwasser verlässlich und dauerhaft.
erhöht sich auch das Hochwasserrisiko. → robust sein, d. h., die Eintrittswahrschein-
lichkeit von Hochwasserschäden wird in
Wie groß die Gefährdung durch ein Hochwasser ist, verschiedenen Klimaszenarien gemindert.
hängt von den Bedingungen im Einzugsgebiet des Flus- → nachhaltig sein, d. h., die Maßnahme trägt
ses ab: Ausschlaggebend sind hier u. a. die Art der dem Ausgleich ökologischer, ökonomi-
Bodennutzung durch die Landwirtschaft, der Bewuchs scher und sozialer Interessen Rechnung.
und die Flächenversiegelung für Siedlungen, Verkehr → finanziell tragbar sein, d. h., sie lässt sich
und Entwässerungsanlagen. Durch Flussausbaumaß- für die umsetzenden Akteure mit vertret-
nahmen, wie zum Beispiel die Begradigung von Flüssen, barem Aufwand finanzieren und ist
sind darüber hinaus natürliche Überschwemmungs- lang­fristig kosteneffizient.
gebiete verkleinert worden oder ganz weggefallen. Die → positive Nebeneffekte haben, d. h., die
Verkürzung der Flussläufe führt dazu, dass die Fließge- Maßnahme hat neben dem Hochwasser-
schwindigkeit zunimmt, in kürzerer Zeit also mehr schutz weitere positive Effekte auf Umwelt
Wasser transportiert wird. Die Gefährdung durch Hoch- und Gesellschaft. Diese treten auch ohne
wasser nimmt zu. zukünftige Klimaveränderungen ein.
→ flexibel sein, d. h., dass die Maßnahme
In vielen Städten ist die Kanalisation dem Starkregen zum Hochwasserschutz mit relativ
nicht gewachsen, sodass sich sogenannte urbane Sturz- geringen Kosten modifiziert werden kann.
fluten entwickeln können. Zu den Ursachen gehören die
Flächenversiegelung, welche die natürliche Versickerung Angesichts der oft großflächigen und viele
des Regenwassers in den Boden verhindert. Verbesserte Landnutzungen betreffenden Auswirkungen
Abflussmöglichkeiten sowie eine Abkopplung des Regen- von Hochwasserschutzmaßnahmen sowie der
wassers können dem entgegenwirken. Gleichzeitig Schwankungen beim Niederschlag sind
entlastet ein kontrollierter Zufluss von Regenwasser die Nachhaltigkeit und Robustheit in diesem
ohnehin schon überlasteten Gewässer. Diesen Gefahren Handlungsfeld von besonderer Bedeutung.
kann mit verschiedenen Aktivitäten begegnet werden,
die idealerweise die Kriterien guter Anpassungspraxis
erfüllen.

Renaturierter Weidigtbach 45
WASSERWIRTSCHAFT & HOCHWASSERSCHUTZ

HOCHWASSERSCHUTZ IN DRESDEN
Durch neue Rückhaltebereiche und verbesserte der Regenwasserbewirtschaftung und der Abflussver-
Abflussbedingungen beugt die Stadt Dresden hältnisse wurde außerdem das Bachbett aufgeweitet und
Hochwasserereignissen vor. naturnah gestaltet. Dezentrale Rückhaltebecken zur
Regenwasserbewirtschaftung ermöglichen die Abkopp-
Nach dem Jahrhundert-Hochwasser im Sommer 2002 hat lung vom Regenwassernetz der Stadtentwässerung.
Dresden ein umfassendes Hochwasserschutzkonzept Gleichzeitig hat die Stadt Dresden dort das Wohnumfeld
erstellt. Aufgrund des beachtlichen Umfangs wird hier verschönert und einen Naturspielplatz mit Regenwasser
beispielhaft das Betrachtungsgebiet 5: Gorbitz, Gom- geschaffen.
pitz vorgestellt. Der Weidigtbach wurde zu DDR-
Zeiten als Entwässerungsvorflut naturfern D e r p a r a l le l
ausgebaut und begradigt, Sohle und Gewässer- zum Bach ver- DEZENTRALE, NATURNAHE
böschungen mit Rasengitterplatten und Stein- laufende Was-
setzungen befestigt. Dies führte dazu, dass es serlauf des Rückhaltebecken
weniger Überschwemmungsflächen gab und das Naturspielplat- ENTLASTEN DIE
Wasser schlechter abfließen konnte. „Deshalb wur- zes mit einer STADTENTWÄSSERUNG.
den in diesem Gebiet verschiedene Vorsorgemaß- Pumpe und ei-
nahmen durchgeführt, um den Weidigtbach nem k lei nen
und dessen Zufluss, den Gorbitzbach, auf Stauwehr lädt
Hochwasserereignisse vorzubereiten“, Kinder zum Spielen ein. Ein Fußweg, der entlang des
erklärt Harald Kroll vom Umweltamt Bachs führt, und eine standortgerechte Bepflanzung des
Dresden. Ufers mit Sträuchern und Bäumen machen das Gebiet
rund um den Weidigtbach zu einem neuen Naherho-
Für einen verbesserten Wasserrückhalt lungsgebiet. Da der Bach im Sommer nur nach Regener-
und bessere Abflussbedingungen des eignissen Wasser führt, mussten gleichzeitig die
Wassers baute die Stadt Dresden 18 Niedrigwasserflüsse im Sommer erhöht werden. Hierfür
naturnahe Rückhaltemulden und errich- drosseln die Mulden das Wasser und halten es so länger
tete ein Hochwasserrückhaltebecken. im Bach.
Die Mulden sind hintereinander angelegt
und werden bei Hochwasser nacheinan- Zu den Kriterien der guten Praxis
der über zwei drosselnde Rohre sowie „Bei dem Frühjahrshochwasser 2013 konnte sich die
zwei Hochwassernotentlastungen Wirksamkeit der Maßnahmen unter Beweis stellen und
geführt. Das Ergebnis: Die anliegenden den Erfolg des Projektes belegen“, verdeutlicht Kroll. „Die
Wohnbereiche und Straßen sind vor Verbesserung der ökologischen und biologischen Para-
Überflutung geschützt. Zur weiteren meter wird sich erst in den nächsten Jahren feststellen
Verbesserung des Wasserrückhalts, lassen.“

46
„In der Regel versucht man, Maßnahmen auf Starkregen­ Zur Planung und Umsetzung des Dresdner
ereignisse zu bemessen, die statistisch gesehen alle 100 Hochwasserschutzes
Jahre vorkommen. Dies ist auch hier der Fall gewesen. „Erste Studien zum Umbaukonzept des Bachs und des-
Um aber gleichzeitig die variierenden Klimaprojektionen sen Einzugsgebietes lagen bereits 1999 mit Beschluss aus
zu berücksichtigen, haben wir bei unseren Planungen dem Stadtrat vor. Die Dringlichkeit aber zeigte erst das
den Starkregenkatalog des Deutschen Wetterdienstes
herangezogen und liegen nun bei unseren Maßnahmen
mindestens 15 Prozent über den Projektionen der Starkre-
genereignisse für unsere Region“, so Kroll. Da die ver-
wendeten Bemessungswerte deutlich über den statistisch
vorhergesehenen Extremwetterereignissen liegen, lassen
sich die Maßnahmen als robust bezeichnen.

Außerdem erklärt Harald Kroll: „Wenn ein Gewässer im


naturnahen, ökologisch guten Zustand belassen wird, ist
das System robust und kann sowohl mit Trockenheit als
auch mit Hochwasser umgehen.“

„Durch die Erlebbarmachung der Maßnahmen wie die


Erstellung des Naturspielplatzes und eine ausgiebige
Öffentlichkeitsarbeit wurden Anlieger und Betroffene
direkt einbezogen – sodass das Projekt Zustimmung fin-
den konnte“, betont der Sachgebietsleiter. Das nachhaltige
Projekt hat Hochwasserschutz, Städtebau und Natur-
schutz in den Maßnahmen vereinigen können.

Positiver Nebeneffekt der Maßnahmen: Durch die Rena- „In diesem Projekt konnten alle Be-
turierung des Gewässers wirken Bach und Grünbereich lange des Hochwasserschutzes und
rund um das Gewässer als Kaltluftschneise in Richtung darüber hinaus noch die des Natur-
Innenstadt. Im Sommer trägt dieser Bereich zu einem schutzes, Städtebaus und auch
positiven Stadtklima bei. Die finanzielle Tragbarkeit der soziale Interessen vereinigt werden.
Maßnahmen ist durch eine integrierte Herangehensweise Nur so kann ein Projekt erfolgreich
durchgeführt werden. Alle betroffenen
an das Gesamtprojekt ermöglicht worden. So wurde eine
Handlungsfelder müssen vereint
Strategie für das gesamte Einzugsgebiet erarbeitet, die es
werden – zum Nutzen der Gesamtheit.“
ermöglichte, dass verschiedene Förderungen, beispielsweise
Straßen- und Städtebaumittel sowie Mittel zur Verbesserung Harald Kroll, Sachgebietsleiter für Gewäs-
des Wohnungsumfeldes, in Anspruch genommen werden ser- und Bodenpflege, Hochwasserschutz
konnten. Dieses Vorgehen erleichterte die Finanzierung. der Stadt Dresden

47
WASSERWIRTSCHAFT & HOCHWASSERSCHUTZ

AUF EINEN BLICK


Beispiel für gute Praxis Hochwasserschutz in Dresden-Gorbitz
Ort der Umsetzung Dresden, Stadtteil Gorbitz
Projektzeitraum 2010 – 2014

Projektziel Rückhalt von Hochwasser und Drosselung von Hochwasserabflüssen;


Verbesserung des ökologischen Zustands des Gewässers

Kosten Einmalig 3 Mio. Euro, Straßenbau-, Verkehrsbau-, Städtebaumittel;


Landes- und Bundesmittel, Mittel des Wohnfeldverbesserungsprogrammes

Ansprechpartner Harald Kroll, Stadt Dresden, Sachgebietsleiter


für Gewässer- und Bodenpflege

Internet www.dresden.de

extreme Hochwasserereignis im Sommer 2002 mit hohen der Flutmulden wurden früher landwirtschaftlich
ökonomischen, ökologischen und sozialen Schäden in genutzt. Auch hier mussten Gespräche geführt und Kom-
der Region“, sagt Kroll. promisse mit den zuständigen Agrargenossenschaften
geschlossen werden.
Durch das erforderliche Verwaltungsverfahren mit Plan-
feststellung, Umweltverträglichkeitsstudien, Beteiligung Hindernisse bei Entwicklung und Durchführung
der Öffentlichkeit und zusätzlichen Anträgen auf wasser- Die Aushandlungsprozesse mit den Flächeneigentümern
rechtliche Genehmigungen wurde die Grundlage zur stellten in diesem Projekt das größte Hindernis dar. Die
Umsetzung der Maßnahmen geschaffen. Zwangsmaßnahme der Enteignung ist zwar zielführend,
birgt aber weiteres Konfliktpotenzial in sich. „Man muss
Hilfreich war auch die Kooperation mit der Eisenbahner- mit den Betroffenen reden und kompromissbereit sein,“
genossenschaft, durch die die Umstrukturierung der betont Harald Kroll. In diesem Projekt war eine Einigung
Flächennutzung erst ermöglicht wurde. So konnten Flä- selbst da möglich, als es darum ging, landwirtschaftliche
chen getauscht, Parkflächen abgerissen und verschie- Nutzflächen mit guter Bodenqualität zu Flutmulden
dene Ausgleichsmaßnahmen umgesetzt werden. „Davon umzustrukturieren.
haben alle etwas. Dadurch dass das Niederschlagswasser
der an den Bach grenzenden Siedlung direkt in den Ausblick
­Weidigtbach abgeführt wurde, spart die Genossenschaft Derzeit werden in Dresden die Maßnahmen weiterentwi-
Gebühren ein. Und die Nähe zur Natur macht das Wohn- ckelt, um das Hochwasservorsorgekonzept kontinuierlich
gebiet jetzt noch attraktiver“, meint Kroll. Die Flächen zu verbessern und umfassende Vorsorge und Schutz zu

48
gewährleisten. Hierzu gehört auch, der Bevölkerung
Informationen über Hochwassergefährdung und Schutz-
maßnahmen zur Verfügung zu stellen. Dieser Bereich auf
der Homepage der Stadt Dresden soll ausgebaut und ste-
tig aktualisiert werden. Bei der noch ausstehenden Rena-
turierung eines Teils des Weidigtbachs wird die Stadt
Dresden die anfallenden Kosten übernehmen.

Beteiligte Institutionen
Stadtverwaltung Dresden
Dresdner Verkehrsbetriebe
Eisenbahner-Wohnungsbaugenossenschaft Dresden
Freistaat Sachsen (Fördermittel)
BMBF-Projekt REGKLAM

GUTE-PRAXIS-CHECK

Wirksamkeit
Robustheit
Nachhaltigkeit
Flexibilität
Finanziell tragbar
Positiver Nebeneffekt

Die Abführung von Regenwasser aus angrenzenden Wohn-


gebieten in den Weidigtbach spart Abwassergebühren und
erhöht die Attraktivität der Parkflächen.

49
WASSERWIRTSCHAFT & HOCHWASSERSCHUTZ

ÖKOLOGISCHER HOCHWASSERSCHUTZ AN DER WERSE


Ein interkommunales Gemeinschaftsprojekt
zeigt, wie Gewässerentwicklung und Hochwas-
serschutz sich erfolgreich ergänzen.

Im Mai 2001 kam es an der Werse zu einem extremen


Hochwasserereignis, das statistisch nur alle 500 Jahre
eintritt. Dies führte zu großflächigen Überflutungen von
Wohn- und Gewerbegebieten in der Stadt Ahlen. Insge-
samt entstanden Schäden in Höhe von mehr als 20 Milli-
onen Euro. Als Reaktion auf das Hochwasser wurde ein
interkommunales Gemeinschaftsprojekt ins Leben geru-
fen, an dem sich die Städte Ahlen und Beckum sowie der
Kreis Warendorf beteiligen. Auf einer Länge von etwa
10 Kilometern entsteht nun zwischen Beckum und Ahlen
eine naturnahe Gewässerlandschaft mit Auen und inte-
griertem Hochwasserschutz. Hierbei wird die Flussbegra-
digung und -regulierung der 1970er-Jahre korrigiert. Die  ie Werse fließt durch Nordrhein-Westfalen und
D
Reaktivierung der Werseaue und ausgedehnte naturnahe ist ein Zufluss in die Ems.

AUF EINEN BLICK


Beispiel für gute Praxis Ökologischer Hochwasserschutz an der Werse
Ort Ahlen, Beckum
Projektzeitraum 2002 – 2015
Projektziel Hochwasserschutz und Gewässerentwicklung an der Werse
Finanzierung 10 Mio. EUR
Ansprechpartner Gerrit Hegemann, Stadt Ahlen
Heinz-Josef Heuckmann, Stadt Beckum
Monika Fränzer, Stadt Beckum
Christiane Vogel, Kreis Warendorf
Internet www.ahlen.de
www.beckum.de
www.kreis-warendorf.de

50
Überflutungsflächen schaffen nun auch bei Starkregen-
ereignissen ausreichend Raum für Überschwemmungen.
Ein 240.000 Kubikmeter großes Hochwasserrückhalte-
becken kann bei starkem Regen das Wasser zusätzlich
zurückhalten und kontrolliert in den Oberlauf der Werse
weiterleiten. Die Maßnahmen konnten bei einem Hoch-
wasserereignis 2010 ihre Wirksamkeit unter Beweis stel-
len. Der Pegelstand in Ahlen lag deutlich unter früher
gemessenen Werten.

Eine Gegenüberstellung der erwarteten Schadenswerte


zeigte: Die Schutzmaßnahmen reduzieren das Schadens­
potenzial für Hochwasser um 25 Prozent. Dieser vorsor-
gende Hochwasserschutz ist wesentlich kostengünstiger
als die Reparatur von möglichen Schäden und somit
finanziell tragbar.

Bei dem mehrjährigen Projekt wurde im Sinne der Nach-


haltigkeit allen Interessen bestmöglich Rechnung getra-
gen. Die Aufweitung des Flusses schützt nicht nur vor
Hochwasser, sie schafft auch Raum für zahlreiche Bio-
tope. Der neu geschaffene naturnahe Grünzug mit dem
WerseRadWeg macht die Werse zu einem Ort der Naher-
holung und des Naturerlebens. Die Unterhaltungskosten
für den Wasser- und Bodenverband wurden dauerhaft
gesenkt.

Beteiligte Institutionen
Stadt Ahlen
Stadt Beckum
Kreis Warendorf
Landesbehörden NRW
Wasser-Boden-Verband Ahlen-Beckum

Naturnahe Überflutungsflächen am Ufer reduzieren


das Überschwemmungsrisiko am Unterlauf der Werse.

51
52
NATURSCHUTZ UND BIODIVERSITÄT

Der Klimawandel beeinflusst bereits die biologische Viel-


falt in Deutschland. Infolge der ansteigenden
Jahresmitteltemperaturen und verminderter Nieder- Eine Anpassungsmaßnahme zum
schläge im Sommer verschieben sich die Lebensräume Naturschutz und Erhalt der Biodiversität
vieler Tier- und Pflanzenarten nach Norden oder in sollte:
höhere Lagen – teilweise auch über Schutzgebietsgren-
zen hinweg. So können beispielsweise Tiere und Pflanzen → wirksam sein, d. h., sie sollte Beeinträch­
aus südlicheren Ländern einwandern und einheimische tigungen von Schutzgebieten und
Arten verdrängen. Arten, die an kühlere und feuchtere Biodiversität durch den Klimawandel
Gebiete angepasst sind, werden sich nach und nach in verlässlich und dauerhaft mindern.
andere Areale zurückziehen oder gar aussterben. → robust sein, d. h., sie schützt die Biodiver-
sität in verschiedenen Klimaszenarien.
Aufgrund der veränderten Temperaturen verschieben → nachhaltig sein, d. h., die Maßnahme
sich auch die Blühzeiten von Pflanzen. Insekten können trägt dem Ausgleich ökologischer,
darauf reagieren, indem sie zusätzliche Generationen pro ökonomischer und sozialer Interessen
Jahr ausbilden. Die Folge: Ökologische Gemeinschaften bestmöglich Rechnung.
von Tieren und Pflanzen können gestört werden. → finanziell tragbar sein, d. h., die Maß-
nahme ist für die Umsetzenden mit
Deshalb müssen schon heute Rückzugsgebiete und Bio- vertretbarem Aufwand finanzierbar und
topvernetzungen für Tiere und Pflanzen erhalten und neu die Handlungsalternativen weisen bei
geschaffen werden, um Wanderbewegungen der Arten gleichen Kosten keinen höheren Nutzen
zu ermöglichen. Solche Aktivitäten berücksichtigen ide- auf.
alerweise die Kriterien guter Anpassungspraxis. → positive Nebeneffekte haben, d. h., die
Maßnahme bringt auch weitere positive
Effekte für die Gesellschaft oder die
durchführende Organisation mit sich.
Diese stellen sich unabhängig von den
erwar­teten Klimaveränderungen ein.
→ flexibel sein, d. h., die Maßnahme lässt
sich mit verhältnismäßig geringen Kosten
modifizieren.

Da der Verlust von Biodiversität häufig unum-


 rünlandgrabenbereich auf der Luneplate:
G
kehrbar ist und Schutzmaßnahmen oft große
Durch gezielte Steuerung des Wasserstandes
können auch Trockenzeiten bewältigt werden Flächen in Anspruch nehmen, sind Wirksam-
keit und Nachhaltigkeit in diesem Hand-
lungsfeld von besonderer Wichtigkeit.
53
NATURSCHUTZ & BIODIVERSITÄT

ÖKO-AUSGLEICH AUF DER LUNEPLATE


Eine naturschutzrechtliche Kompensationsmaß- Ackerflächen zu den gewünschten artenreichen Feucht-
nahme sichert den Lebensraum von Flora und grünlandbereichen entwickeln und erhalten bleiben.
Fauna bei Meeresanstieg, Extremniederschlägen Windkraftbetriebene Schöpf- und Stauanlagen regeln
und längeren Trockenphasen. den Wasserstand in diesem Gebiet. Auch bei stärkeren
Trocken- oder Hitzeperioden bleibt durch ein gezieltes
Bereits in den 1990er-Jahren wurden an der Weser erste Wassermanagement die Biotopfunktion erhalten. Das
Ausgleichsmaßnahmen für den Hafenbau umgesetzt. Gebiet bietet so auch bei fortschreitendem Klimawandel
Heute zeigt sich: Das naturschutzrechtliche Kompensa- einen Rückzugsraum für Tiere und Pflanzen, die auf
tionsprojekt ist ein vorbildliches Beispiel dafür, wie diese Lebensräume angewiesen sind. Unmittelbar
eine erfolgreiche Anpassung an den Klimawandel aus- daneben, umgeben von einem Wall, wurde ein 220 Hek-
sehen kann. An der Luneplate wurden die Vordeichs- tar großer Tidepolder angelegt. Das Tidegebiet wird
flächen renaturiert. Landseits des Weserdeichs wurde vom Brackwasser der Weser – das ist Wasser mit nied-
ein Grünlandbereich sowie ein Tidepolder – ein einge- rigem Salzgehalt – im Rhythmus von Ebbe und Flut
deichtes Gelände, das von Ebbe und Flut beeinflusst kontrolliert.
wird – mit einem Tideschöpfwerk und einem Sturmflut-
sperrwerk angelegt. Außerdem wurde ein Teilabschnitt Durch die Tore des Sturmflutsperrwerks wird das Gebiet
der alten Weser renaturiert. überschwemmt. Nur bei sehr starkem Hochwasser oder
bei Sturmflut werden die Tore geschlossen. Wattzonen
In dem heute von Gräben durchzogenen Grünlandbe- und Schilfröhricht bieten hier zahlreichen Tieren
reich auf der Luneplate wurde früher intensiv Landwirt- Zuflucht. Diese zusätzlichen tidebeeinflussten Lebens-
schaft betrieben. Heute ist dort ein Rückzugsraum für räume verbessern die Anpassungsmöglichkeiten für
viele seltene und bedrohte Tierarten entstanden. Das Flora und Fauna bei steigendem Meeresspiegel. Ein
290 Hektar große feuchte Grünland-Graben-Gebiet bie- Tideschöpfwerk sichert die Be- und Entwässerung eines
tet als extensiv genutztes Feuchtgrünland ein ideales 30 Quadratkilometer großen Gebiets im Rückraum des
Areal für Brut- und Rastvögel. Die Beweidung mit Was- Tidepolders. Bei Bedarf kann während Starkregen­
serbüffeln trägt dazu bei, dass sich die ehemaligen ereignissen Regenwasser aus dem Binnenland über

„Das Besondere am Projekt Luneplate


ist die Größe, die bisher erfolgreiche
Umsetzung, die guten Zukunftsaussich-
ten und die positive Wirkung auf uns
als Organisation sowie für eine nach-
haltige Regionalentwicklung.“

Uwe von Bargen, Direktor für Umweltangele-


genheiten, bremenports (vor Tidepolder zur
Ebbzeit)

54
Pumpen schnell und schadlos in den Tidepolder abge- tigt und das gesellschaftliche Bedürfnis nach sicherer
führt werden. Dieser kann zusätzliches Wasser aufnehmen Abführung von Starkregenereignissen befriedigt. „Die
und damit dem angrenzenden ländlichen Raum Sicher- Renaturierungsmaßnahmen auf den Außendeichs­
heit vor Überschwemmungen bieten. „Das Luneplate- flächen waren ein voller Erfolg. Entsprechende Moni-
Projekt war Ideengeber und Mitauslöser für ein gerade toringberichte belegen dies. Ein abschließendes
entstehendes, neues Projekt zur Klimaanpassung“, so Ergebnis kann aber erst nach Ablauf der 15-jährigen
Uwe von Bargen, Direktor für Umweltangelegenheiten Entwicklung auf Basis der Untersuchungsergebnisse
bei bremenports. festgestellt werden“, verdeutlicht Uwe von Bargen.
Pflege- und Managementpläne der jeweiligen Flächen
Im neuen, von der Metropolregion Bremen-Oldenburg sind für die Renaturierung sowie für den Erhalt der
geförderten Projekt „Klimaanpassung an der Unterwe- Flächen unabdingbar. In dem nachhaltigen Projekt
ser durch einen Tidepolder im Bereich der Dreptenie- konnte durch die Kompensation eine gesamt- und
derung“ wird analysiert, ob und wie ein Tidepolder hier ­regionalwirtschaftlich bedeutende Hafenentwicklung
zur Bewältigung des Klimawandels beitragen kann. Für realisiert werden. Es diente damit ebenso ökono­
die Dreptenie- mischen wie ökologischen Interessen. Auch hat das
derung im Projekt eine sozial gerechte Entwicklung ermöglicht.
SCHÖPF- UND STAUANLAGEN Landkreis Cux- Lokale Bedürfnisse wurden von
HALTEN
haven soll eine bremenports berücksichtigt und
das Biotop integrierte Kli-
maanpassungs-
integriert. Letztlich bildete
dieses Projekt den
AUCH BEI ANHALTENDER TROCKEN-
strateg ie ent- Anstoß für die Nach-
HEIT AUSREICHEND BEWÄSSERT.
wickelt werden. haltigkeitsstrategie der
G epr ü f t w i rd bre­m ischen Häfen unter der
u. a., ob mit den Marke greenports.
Sedimenten der Weser ein Aufwachsen der Marsch­
böden möglich ist und sie damit bei steigendem Meeres- „Eine alternativ geprüfte Deichrück-
spiegel nutzbar bleiben. Gleichzeitig sollen erlebbare verlegung wäre vor allem mit Blick
und nutzbare Tidelandschaften entwickelt werden. auf eingesparte Unterhaltungskosten –
zum Beispiel für das Sperrwerk – vermut-
Zu den Kriterien für gute Praxis lich kostengünstiger gewesen. Sie war
Das Projekt an der Luneplate wirkt sich in verschiede- jedoch politisch nicht durchsetzbar und
nen Klimaszenarien positiv aus – bei unterschiedlich hätte nicht die oben beschriebenen Vor-
projizierten Werten für den künftigen Meeresspiegelan- teile für das Wassermanagement mit sich
stieg wie auch für zunehmende Extremniederschläge gebracht. Damit wären auch die Möglich-
und längere Trockenphasen. Es ist daher besonders keiten zur Bewältigung von klimawandelbedingter
robust gegenüber den Folgen des Klimawandels. Die größerer Trockenheit sowie von Starkregen­ereignissen
Maßnahmen können durch das gezielte Wassermanage- nicht gegeben. Somit hätten die alternativen Maßnah-
ment wirksam den Lebensraum von Flora und Fauna men keinen höheren Nutzen gebracht“, erklärt der
stabilisieren. Lebensraumansprüche von Vögeln an Direktor für Umweltangelegenheiten. Das Projekt war
Nahrungs-, Brut- und Rastflächen werden berücksich- demnach finanziell tragbar.

55
NATURSCHUTZ & BIODIVERSITÄT

AUF EINEN BLICK


Beispiel für gute Praxis Öko-Ausgleich auf der Luneplate
Ort der Umsetzung Luneplate, Bremerhaven

Projektzeitraum Stufe 1: 1991 – 1998 auf 379 Hektar


Stufe 2: 2000 – 2003 auf 11 Hektar
Stufe 3: 2004 – 2012 auf 593 Hektar

Projektziel Kompensation für hafenbedingte Biotopverluste in Bremerhaven

Finanzierung Im Rahmen der Eingriffsprojekte durch jeweilige Projektträger;


knapp 30 Mio. EUR für Tidepolder, Sturmflutsperrwerk, Tideschöpfwerk
und Grünland-Graben-Gebiet

Ansprechpartner Uwe von Bargen, Direktor für Umweltangelegenheiten


bremenports GmbH & Co. KG, Bremerhaven // office@bremenports.de

Internet www.bremenports.de // www.greenports.de

Zur Planung und Umsetzung des Öko-­ Luneplate und damit die zielgerichtete Entwicklung für
Ausgleichs auf der Luneplate den Naturschutz erwies sich als richtig und hilfreich“,
Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens mit Planfest- erläutert Uwe von Bargen. Nach dem Auftakttreffen im
stellung und länderübergreifender Abstimmung wurde April 2013 wurden auch zum Planungsraum Dreptenie-
die Grundlage für die Umsetzung des Projektes geschaf- derung die Untersuchungen aufgenommen. Im Laufe
fen. Mittlerweile wurden Flächen des Kompensations- eines Jahres werden verschiedene Aktionsfelder und
projektes zu EU-Vogelschutzgebiet und FFH-Gebieten mögliche Effekte einer Klimaanpassung mittels Tide-
ernannt. Derzeit wird das Natura-2000-Gebiet Lune- polder betrachtet, bevor Vorschläge für die Weiterver-
plate zum nationalen Naturschutzgebiet erklärt. Ermög- folgung des Projektes vorgelegt werden.
licht hat dies unter anderem die großflächige, räumlich
und organisatorisch konzentrierte Umsetzung mehrerer Hindernisse bei Entwicklung und Durchführung
Kompensationsbedarfe an einem Standort – der Lune- Im Rahmen der Planfeststellung wurde auch eine
plate. „Ohne überzeugende, rechtlich und fachlich trag- Deichrückverlegung geprüft. Diese war jedoch in der
fähige Lösungen wäre das Projekt nicht in die Bevölkerung nicht akzeptiert und deshalb nicht durch-
Umsetzung gekommen. Die frühe Entscheidung zur setzbar. Aus diesem Grund entwickelte bremenports
Konzentration von Kompensationsbedarfen auf der das Polderkonzept mit Sperrwerk.

56
Beteiligte Institutionen
Hafengesellschaft bremenports
 enatorische Dienststellen für Umwelt, Wirtschaft und Häfen,
S
Bremen

 issenschaftliche Beratung für Naturschutz und Landschafts-


W
planung (WBNL), Bremen

Küstenökologische Forschungsgesellschaft (KÜFOG GmbH),


Loxstedt-Ueterlande

Universität Bremen
BUND Landesverband Bremen
Niedersächsisches Ministerium für Ernährung. Landwirtschaft
und Verbraucherschutz, Hannover

Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie und Klima-


schutz, Hannover

Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten-


und Naturschutz, Norden

Landkreis Cuxhaven
BUND Landesverband Niedersachsen, Hannover
Landwirtschaftskammer Niedersachsen
Verschiedene Gutachter und Planungsbüros

GUTE-PRAXIS-CHECK

Wirksamkeit
Robustheit
Nachhaltigkeit
Flexibilität
Finanziell tragbar
Positiver Nebeneffekt

Flächen des Tidepolders zur Ebbzeit

57
NATURSCHUTZ & BIODIVERSITÄT

INTEGRIERTES LANDSCHAFTSPLANERISCHES
FACHKONZEPT DER HANSESTADT LÜBECK
Weitreichende Maßnahmen zur Anpassung der der Lübecker Bürgerschaft im Frühjahr 2014 verbindlich
Landnutzungen an den Klimawandel zum sein. In dem Konzept spielen Naturschutz und Biodiver-
Schutz der Biodiversität sind im Konzept fest sität eine wichtige Rolle. Die Lübecker Stadtverwaltung
verankert. will beispielsweise Artenwanderungen ermöglichen,
indem sie bestehende Biotopverbundnetze erhält und
Der Klimawandel und seine Folgen veranlassten die Stadt neue schafft. Artenrückzugsgebiete wie beispielsweise
Lübeck zu umfassenden Anpassungsmaßnahmen für die das im Südwesten gelegene Gebiet Grünes Hufeisen,
Flächen rund um Lübeck. Die Innovation: Weitreichende Moore und Feuchtwiesen sollen naturnah weiterentwi-
Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel und ckelt werden.
zum Schutz des Klimas werden bereits im Landschafts-
plan berücksichtigt. Dieser unterstützt als naturschutz- Hiervon profitieren insbesondere Arten, die an feuchte
fachliches Instrument die Planung der Freiflächen- und kühle Gebiete angepasst und bei steigenden Durch-
nutzung. schnittstemperaturen auf Rückzugsmöglichkeiten ange-
wiesen sind. Die geplanten Maßnahmen sind besonders
Die Inhalte des Landschaftsplanerischen Fachkonzeptes robust, denn: Je naturnaher und vielfältiger die Gebiete
fließen in den thematischen Landschaftsplan „Klima- bewirtschaftet werden, desto stabiler ist auch das öko­
wandel in Lübeck“ ein. Dieser wird nach einem Beschluss logische System gegenüber äußeren Einflüssen.

AUF EINEN BLICK


Beispiel für gute Praxis Integriertes Landschaftsplanerisches Fachkonzept der Hansestadt Lübeck
Ort der Umsetzung Lübeck
Projektzeitraum Fertigstellung Fachkonzept 2011;
Fertigstellung Landschaftsplan Ende 2013
Projektziel Entwicklung von Vorsorge- und Anpassungsmaßnahmen für
die Landnutzungen
Finanzierung Interne Finanzierung
Ansprechpartner Dr. Ursula Kühn, Untere Naturschutzbehörde Hansestadt Lübeck
unv@luebeck.de
Internet www.luebeck.de

58
Die Umsetzung der Maßnahmen wird in Form von Bau-
leitplanung, Flächenerwerb und -verpachtung sowie
durch Erholungs- und Naturschutzmaßnahmen erreicht.
Die Maßnahmen haben so weitere positive Nebeneffekte
auf Umwelt und Gesellschaft.

Beteiligte Institutionen
Bereich Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutz
der Hansestadt Lübeck

Entsorgungsbetriebe Lübeck
Ministerium und Landesamt für Landwirtschaft, Umwelt
und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein, Kiel

BUND Lübeck
Feuerwehr-Stabstelle Hansestadt Lübeck
Wasser- und Schifffahrtsamt Lübeck
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Deutscher Wetterdienst (DWD), Hamburg
Umweltbundesamt, Dessau-Roßlau

Durch die Nähe zu zahlreichen Flüssen, Wäldern


und der Ostseeküste ist der Naturschutz in Lübeck
von besonderer Bedeutung.

59
60
VERKEHR

Aufgrund des Klimawandels kann es zwar zu einer


Abnahme von Frost- und Eistagen kommen. Gleichzeitig
wächst aber die Gefahr, dass Extremwetterereignisse den Eine Anpassungsmaßnahme im Bereich
Verkehr auf Schiene, Straße und Wasserstraße behindern des Verkehrs sollte:
und die Verkehrsinfrastruktur beschädigen. Schäden an
Straßen und Schienen sowie nachlassende Leistungsfä- → wirksam sein, d. h., die Maßnahme sollte
higkeit – beides bedingt durch starke Hitze – können die Risiken des Klimawandels für den
außerdem die Unfallgefahr erhöhen. Hiervon sind sowohl Verkehr und die Verkehrsinfrastruktur
der Güter- als auch der Personenverkehr unmittelbar verlässlich und dauerhaft reduzieren.
betroffen. → robust sein, d. h., die Risikoreduktion stellt
sich in verschiedenen Klimaszenarien ein.
Extremwetterereignisse wie Starkregen, Überschwem- → nachhaltig sein, d. h., die Maßnahme trägt
mungen, Sturm oder Hagel können sich negativ auf die dem Ausgleich ökonomischer, ökologi-
Verkehrsinfrastruktur auswirken. Daher sollte diese scher und gesellschaftlicher Interessen
zukünftig robuster gegenüber Wettereinflüssen konzi- Rechnung.
piert werden, was allerdings die Investitionskosten → finanziell tragbar sein, d. h., die Maß-
ebenso erhöht wie den Erhaltungs- und Unterhaltungs- nahme ist für Infrastrukturbetreiber,
auf wand. Bei der Verkehrswegeplanung aller Verkehrsbetriebe und deren Nutzer mit
Baulastträger sollten die sich verändernden Klima- vertretbarem Aufwand finanzierbar und
bedingungen in der Netz- und Investitionsplanung alternative Maßnahmen weisen bei
berücksichtigt werden. Vermehrte Schäden an der Infra- gleichen Kosten keinen höheren Nutzen
struktur führen zu einer Häufung von Baustellen, was auf.
wiederum erhöhte Unfallgefahren und eine stärkere → positive Nebeneffekte haben, d. h., neben
Umweltbelastung zur Folge hat. der Reduzierung von Klimarisiken hat die
Maßnahme weitere positive Effekte auf
Daher ist es wichtig, Möglichkeiten für eine effiziente und Umwelt, Gesellschaft oder die durchfüh-
innovative Bautechnik und Baustellenlogistik zu erfor- rende Organisation und das Erreichen
schen und zu nutzen. Zudem brauchen wir innovative ihrer Ziele.
Verkehrsleitsysteme, für die ebenfalls Investitionskosten → flexibel sein, d. h., die Maßnahme kann
einzurechnen sind. Maßnahmen im Handlungsfeld Ver- mit verhältnismäßig geringen Kosten
kehr, mit denen diesen Herausforderungen begegnet modifiziert werden.
werden soll, sollten sich möglichst an den Kriterien für
eine gute Anpassungspraxis orientieren. Angesichts des hohen Ausstoßes an Treibhaus-
gasen im Verkehr sollten dort auch bei der
Anpassung insbesondere die Nachhaltigkeit
Von der Straße auf die Schiene: kombinierter Trans- und positive Nebeneffekte berücksichtigt wer-
port zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels. den.
61
VERKEHR

KLIMAANPASSUNGSSTRATEGIEN IN DER LOGISTIK


Mit Anpassungsmaßnahmen wie der Optimie- großen Verzögerungen, die sich auch auf nachfolgende
rung von Kühltrailern oder Ausweichstrecken Kunden negativ auswirken und zu Lieferproblemen füh-
begegnet das Logistikunternehmen Paneuropa- ren können“, so Henrik Bramlage von Paneuropa-Rösch.
Rösch den Folgen des Klimawandels. Seit 2002 verlagert Paneuropa einen Großteil des Trans-
portwegs von der Straße auf die Schiene. Dieser kombi-
Seit 2009 hat das Logistikunternehmen Paneuropa-Rösch nierte Straßen-/Schienenverkehr verknüpft die Vorteile
als Praxispartner des Forschungsverbunds KLIMZUG beider Transportwege. Kalkulierbare Transportzeiten
nordwest2050 diverse Klimaanpassungsmaßnahmen und hohe Transportsicherheit sind durch die Schiene
entwickelt. Ziel dieser Maßnahmen war es, Ausfälle und gegeben. Auf der Straße kann hingegen flexibel auf Kun-
Engpässe durch den Klimawandel zu vermeiden und dem denbedürfnisse reagiert werden.
Anspruch einer zukunftsgerechten und nachhaltigen
Logistik gerecht zu werden. Solange Güter an anderen Das Verladen und Zusammenführen großer Gütermengen
Orten genutzt werden als an denen, wo sie hergestellt auf die Schiene spart vor allem auf längeren Strecken
werden, sind Transport- und Logistikunternehmen dafür erhebliche Mengen an CO2 ein. Am Start- und Zielort wer-
verantwortlich, die Güter pünktlich und unbeschadet an den die Auflieger von der Schiene auf den LKW verladen,
den Zielort zu befördern. der Transport bleibt so variabel gestaltbar. Um das Trans-
portgut vor Wasser und Sonne zu schützen, nutzt Paneu-
„Die Lieferkette muss zu jeder Zeit gewährleistet und das ropa-Rösch statt normaler Planenauflieger (LKW-
Lieferdatum sowie das Zeitfenster, das beim Kunden Anhänger mit LKW-Plane) feste Kofferaufbauten. Plan-
gebucht wird, müssen eingehalten werden. Durch genaue auflieger sind zwar variabler im Hinblick auf die Größe
Termine für Be- und Entladung führt eine zeitlich ver­ des Transportguts, die Kofferaufbauten verhindern
spätete Ankunft an jedoch das Eindringen von Wasser bei Starkregen. „Was
der Entlade- den Sonnenschutz betrifft, so sind die Kofferaufbauten
stelle zu ebenfalls überlegen“, erläutert Marek Dolinski von Pan-
europa-Rösch. „Die Kofferaufbauten bilden die Basis für
die von uns entwickelten Kühltrailer.“ Diese wurden spe-
ziell für den kombinierten Verkehr entwickelt. Eine

AUFHELLUNG DER FAHRER-


KABINEN SCHÜTZEN DIE

LKW-Fahrer
VOR HITZE AN BESONDERS
HEISSEN TAGEN.

62
noch den Warenaustausch mit Südeuropa sicherzustel-
len, hat das Unternehmen Ausweichstrecken ausgewählt.
Große Umwege und damit einhergehende Verspätungen
können so vermieden werden.

Zu den Kriterien für gute Praxis


Die Maßnahmen sind besonders robust, da sie die ver-
schiedenen Ausprägungen von Extremwetterereignissen
berücksichtigen und auch bei Spitzentemperaturen eine
optimale Kühlung der Güter sicherstellen. Kofferaufbau-
ten und Ausweichrouten garantieren den sicheren Trans-
port und sind somit äußerst wirksame Maßnahmen.
Paneuropa-Rösch hat im hauseigenen Anpassungskon-
zept ökonomische, ökologische und soziale Interessen
berücksichtigt. So führten die nachhaltigen Maßnahmen
im ökonomischen Bereich zu einer Verbesserung der
Wettbewerbssituation. Die Maßnahmen trafen auf große
Akzeptanz bei den Kunden, sodass der Kundenstamm
kontinuierlich erweitert werden konnte. „Die Kunden
„Wir fahren heute für die Welt von morgen. waren davon begeistert, dass keine Nässeschäden mehr
Reduzierung von CO2 und die Anpassung
auftreten. Allerdings waren die Kunden nur in ganz weni-
an den Klimawandel führen dazu, dass wir
später das nutzen können, was wir heute gen Fällen dazu bereit, hierfür mehr zu bezahlen“, erklärt
ermöglicht haben. Denn der Transport muss Henrik Bramlage. „Auch die Fahrer waren begeistert, da
auch in Zukunft weiter gesichert werden.“ es jetzt im Führerhaus nicht mehr so warm ist. Ebenso
sind die Transporteinheiten jetzt besser ausgelastet.“
Marek Dolinski, Paneuropa-Rösch GmbH
Durch den kombinierten Verkehr verringert Paneuropa-
Rösch schädliche Emissionen. Auch soziale Ziele – eine
Überwachungssoftware garantiert eine lückenlose Kühl- höhere Lebensqualität durch weniger Lärm- und Stress-
kette für temperaturgeführte Güter. „Hierfür war einige belastungen im Straßenverkehr sowie eine familien-
Vorlaufzeit nötig. Hersteller der Auflieger mussten mit ins freundliche Arbeitszeitgestaltung der LKW-Fahrer durch
Boot genommen werden. Auch die Kunden wurden vorab kurze Transportwege – werden gefördert. „Für uns sind
gefragt, wie sie dazu stehen. Die Kühlsysteme mussten die Maßnahmen, neben den ökologischen und sozialen
unterschiedlichste Anforderungen erfüllen – von Tief- Gesichtspunkten, wichtig, um uns von den Mitbewerbern
kühlkost bis zu nur leicht gekühlter Ware“, so Dolinski. abzusetzen“, betont Dolinski. „Auch die weitgehende
Außerdem wurden die Fahrerhäuser farblich aufgehellt, Unabhängigkeit von möglichen Mauterhöhungen und
um die Konzentration der Fahrer auch an heißen Som- Dieselpreiserhöhungen machen die Maßnahmen finan-
mertagen zu erhöhen. Vor allem in der Alpenregion kön- ziell tragbar.“ Die Maßnahmen schonen darüber hinaus
nen Gletscherschmelzen und Extremwetterereig- Umwelt und Ressourcen. Paneuropa-Rösch spart gemein-
nisse zu einer Verschlechterung der Straßenverhältnisse sam mit Partnern und Kunden durch den kombinierten
und verstärktem Fahrzeugverschleiß führen. Um den- Verkehr im Vergleich zum reinen Straßentransport

63
VERKEHR

AUF EINEN BLICK


Beispiel für gute Praxis Klimaanpassungsstrategien einer nachhaltigen und
zukunftsorientierten Logistik
Ort der Umsetzung Niederlassungen von Paneuropa-Rösch: Vechta, Bremen,
Hamburg, Köln, Italien: Verona, Polen: Pozna
Projektzeitraum 2008 bis heute
Projektziel Gezielte Vorbereitung auf klimabedingte Extremwetterereignisse,
um zukünftig Engpässe und Ausfälle zu vermeiden
Finanzierung Interne Finanzierung, 3 Mio. EUR für Kühlaufleger
Ansprechpartner Marek Dolinski, Paneuropa-Rösch // m.dolinski@paneuropa.com
Henrik Bramlage, Paneuropa-Rösch // h.bramlage@paneuropa.com
Internet http://www.paneuropa.com/umwelt/gruene-logistik.html

bedeutende Mengen an CO2 pro Jahr ein. Auch der Image- entwickelt wie Paneuropa-Rösch eine Anpassungsstra-
gewinn für Paneuropa-Rösch gehört zu den vielen posi- tegie entwickeln und Schritt für Schritt umsetzen kann.
tiven Nebeneffekten der Maßnahmen. Jedoch ist es mit Um die erfolgreiche Umsetzung sicherzustellen, unter-
Blick auf eine nachhaltige Lebensweise grundsätzlich suchte und evaluierte Paneuropa-Rösch die Maßnahmen
erstrebenswert, Lieferwege zu verkürzen. auf Kriterien wie CO2-Reduktion und Kühlkettenausfälle
und kontrollierte die Ausweichstrecken. Auch die Kun-
Zur Planung und Umsetzung der Klimaanpas- denakzeptanz wurde überprüft. Mittlerweile sind die
sungsstrategie Maßnahmen in allen Standorten in Deutschland (Vechta,
Aufgrund veränderter Rahmenbedingungen im Trans- Bremen, Hamburg, Köln), Italien (Verona) und Polen
portmarkt sowie ökonomischer und ökologischer Über- (Pozna) realisiert.
legungen verlagerte Paneuropa-Rösch 2002 die Trans-
porte von der Straße auf die Schiene. „Die Entstehung des Hindernisse bei Entwicklung und Durchführung
Klimaanpassungskonzeptes war ein langwieriger Pro- Zunächst mussten IT-Plattformen und eisenbahntaugli-
zess“, betont Henrik Bramlage von Paneuropa- ches Equipment entwickelt werden. „Doch fehlten zu
Rösch. In wiederkehrenden Workshops wurde über ein- Beginn das Wissen bzw. die Erfahrung klimaoptimierter
einhalb Jahre gemeinsam mit nordwest2050 und weiteren Lösungen“, so Bramlage. Neue Arbeitsabläufe und Struk-
Kooperationspartnern ein Konzept entwickelt. Der erste turen mussten geschaffen, die Mitarbeiter geschult wer-
Workshop fand 2009 statt. Zunächst untersuchten die den. Über Marketingmaßnahmen wurden die Kunden
Teilnehmer, inwiefern das Unternehmen durch die Folgen informiert und aufgeklärt. Ebenso wurde die Akzeptanz
des Klimawandels betroffen ist. Daraufhin wurden Ideen am Markt überprüft.

64
Durch den kombinierten Straßen- und Schienenverkehr Beteiligte Institutionen
sind zudem höhere Fixkosten entstanden, da die Bahn- Forschungsverbund KLIMZUG
trassen fest gebucht werden müssen. Um den höheren „nord-west2050“, Bremen

Kosten zu begegnen, wurde das Dienstleistungsangebot Schmitz Cargobull, Altenberge


erweitert: Eine größere Anzahl an Güterarten wurde auf Thermo King in Hamburg
die Schiene verlagert und so eigene Ganzzugverbindun-
gen geschaffen, das Fahrgebiet wurde erweitert und stär-
ker frequentiert.

GUTE-PRAXIS-CHECK

Wirksamkeit
Robustheit
Nachhaltigkeit
Flexibilität
Finanziell tragbar
Positiver Nebeneffekt

Ein LKW-Auflieger wird auf die Schienen gesetzt.

65
VERKEHR

KLIMAANGEPASSTE HALTESTELLEN
Durch klimaangepasste Haltestellen wird der rungen: Sie ist mit Displays ausgestattet, mit denen
Öffentliche Personennahverkehr in Nordhessen Wartende darüber informiert werden können, wenn
gestärkt. Busse oder Straßenbahnen aufgrund von extremen
Wetter­ereignissen ausfallen. Ein rutschsicherer Boden-
Wissenschaftliche Untersuchungen der Universität Kas- belag sorgt außerdem für Trittfestigkeit. Mit nur etwa
sel zeigen: Extremwetterereignisse und eine erhöhte 300 Euro Kosten pro Haltestelle ist die Foliennachrüstung
Anzahl an Hitzetagen können dazu führen, dass Bürge- finanziell tragbar. Zudem ist die Maßnahme bei starker
rinnen und Bürger eher das Auto statt den Öffentlichen Sonneneinstrahlung wirksam und damit besonders effi-
Personennahverkehr (ÖPNV) nutzen. Dies wiederum zient. Auch ohne den zu erwartenden Temperaturanstieg
führt zu höheren Luftschadstoffwerten und einer stärke- spenden die Haltestellen im Sommer wohltuenden Schat-
ren Immissionsbelastung. Daher wurden im Rahmen des ten. Dies trägt zur Attraktivität des ÖPNV bei und fördert
Klimaanpassungsnetzwerks KLIMZUG-Nordhessen mög- damit als positiver Nebeneffekt indirekt auch den Klima-
liche Verbesserungen des ÖPNV ermittelt. schutz.

So wurden 2011 exemplarisch zwei Haltestellenanlagen Beteiligte Institutionen


nachgerüstet. Bereits vorhandene Haltestellen mit trans- Universität Kassel, Fachgebiet Integrierte Verkehrsplanung/
parenten Dächern wurden mit Sonnenschutzfolien ver- Mobilitätsentwicklung
sehen, um so Wartende vor der Sonne zu schützen. Nordhessischer Verkehrsverbund NVV, Kassel
Außerdem schlug das Forschungsprojekt weitere Maß- Nahverkehr Werra-Meißner GmbH
nahmen zur Anpassung an den Klimawandel vor. Diese Klimaanpassungsbeauftragte des Werra-Meißner-Kreises
Maßnahmen wurden in die Förderrichtlinien von Hessen in Nordhessen
Mobil aufgenommen. Eine neue, 2013 errichtete Halte- Stadt Eschwege
stelle erfüllt sämtliche im Projekt erarbeiteten Anforde- ProtectES-Solar, Kaufungen

AUF EINEN BLICK


Beispiel für gute Praxis Klimaangepasste Haltestellen
Ort der Umsetzung Kassel, Eschwege, Bad Wildungen
Projektzeitraum 2011 bis heute
Projektziel Stärkung des ÖPNV in Zeiten des Klimawandels, Erhöhung der Attraktivität
des ÖPNV
Finanzierung Interne Finanzierung
Ansprechpartner Prof. Dr. Helmut Holzapfel, Universität Kassel // holz@hrz.uni-kassel.de
Dipl. Ing. Carolin Röhrig, Universität Kassel // carolinroehrig@uni-kassel.de
Internet www.klimzug-nordhessen.de

66
67
68
TOURISMUS
Beteiligte Institutionen



• Der Tourismus ist in Deutschland ein wichtiger Wirt-


Internet:
schaftszweig. Die mit dem Klimawandel einhergehenden
ansteigenden Durchschnittstemperaturen haben positive Um den Folgen des Klimawandels im
wie auch negative Auswirkungen auf diese Branche. Der Tourismus optimal begegnen zu können,
Sommertourismus in Deutschland wird wahrscheinlich sollte eine Maßnahme:
profitieren, da die Mittelmeerregion mit Tagestemperatu-
ren um 40 Grad Celsius für viele Urlauber zu heiß sein → wirksam sein, d. h., die Maßnahme trägt
wird. verlässlich und dauerhaft zur Sicherung
des Tourismusstandortes bei.
Der Wintertourismus hingegen wird voraussichtlich nur → robust sein, d. h., die Maßnahme wirkt
in höheren Lagen wirtschaftlich bleiben, da nur hier sich in verschiedenen Klimaszenarien
sicher mit Schneefall und entsprechend niedrigen Tem- positiv auf den Tourismusstandort aus.
peraturen zu rechnen ist. Eine künstliche Beschneiung → nachhaltig sein, d. h., die Sicherung des
ist in der Regel nur bis maximal -4 Grad Celsius wirt- Standortes lässt sich mit ökonomischen,
schaftlich sinnvoll. Deshalb ist es wichtig, schon jetzt ökologischen und sozialen Interessen
Maßnahmen zu etablieren, um Regionen auch im Som- vereinbaren.
mer für Touristen attraktiv zu machen. Dabei gibt es → finanziell tragbar sein, d. h., die
vielfältige Möglichkeiten, die Ressourcen des Wintertou- ­Maßnahme ist für die umsetzenden
rismus auch im Sommer zu nutzen. Kommunen oder Tourismusanbieter mit
vertretbarem Aufwand finanzierbar. Glei
chzeitig weisen alternative Maß­nahmen
bei gleichen Kosten keinen höheren
Nutzen auf.
→ positive Nebeneffekte haben, d. h., neben
dem Erhalt des Standortes ergeben sich
weitere positive Effekte auf Umwelt,
Gesellschaft oder die umsetzende
Organisation.
→ flexibel sein, d. h., die Maßnahme kann
mit verhältnismäßig geringen Kosten
modifiziert werden.

Da die Natur ein wichtiger Tourismusfaktor ist,


Die neu errichteten Downhill-Strecken helfen dabei, eine neue
Zielgruppe auch während der Sommermonate zu erschließen – ist bei Anpassungsmaßnahmen in diesem Sek-
Jugendliche und junge Erwachsene. tor die Nachhaltigkeit von besonderer Bedeu-
tung. Touristische Infrastruktur ist zum Teil
langlebig. Flexible und robuste Maßnahmen
sind deshalb ebenso äußerst wichtig. 69
TOURISMUS

NORDIC PARC IN DER WOHLFÜHLREGION FICHTELGEBIRGE


Mit einem breiten Freizeitangebot im Sommer Dieses zieht sich über das gesamte Fichtelgebirge hinweg.
passt sich das Fichtelgebirge an den Klimawan- In das Streckennetz sind bereits vorhandene Ressourcen
del an. wie Seilbahnen einbezogen worden. Zusätzliche Maß-
nahmen zielen auf die Weiterführung des Wintersports
Das Fichtelgebirge ist eine Mittelgebirgsregion, die durch ab. So sorgt der Einsatz einer Beschneiungsanlage am
den Klimawandel in Zukunft stark beeinflusst werden Ochsenkopf Nord für mehr Schneetage. Somit können
wird. Durch höhere Durchschnittstemperaturen muss auch in der Umstellungsphase des Tourismusangebots
künftig in der Region mit weniger Schnee gerechnet wer- bestehende Infrastrukturen des Wintersports intensiver
den. Verlässliche Wintersportverhältnisse im Gebiet wer- genutzt werden. Für die Beschneiungsanlage wurde ge­
den immer seltener. Dies hat die Wohlfühlregion zielt die Nordseite des Ochsenkopfes ausgewählt, denn ver­
Fichtelgebirge e. V. zum Anlass genommen, neben dem glichen mit der Südseite hält sich der Schnee hier länger.
Wintersport Alternativangebote zu entwickeln, um die
Region weiterhin für Touristen und Bewohner attraktiv
zu gestalten.

So sind beispielsweise Downhill-Strecken für Mountain-


biker, ein Nordic-Walking-Zentrum und eine (Ski-)Roller-
bahn entstanden. Hauptstandort der neuen, ganz-
jährigen Angebote ist der Ochsenkopf, mit 1.024 Meter
der zweithöchste Berg im Fichtelgebirge. Seit 2006 wur-
den für Mountainbiker zwei Downhill-Strecken einge-
richtet. Die Fahrt hoch auf den Berg bewältigen die Biker
mithilfe der Seilbahn, die auch im Winter von Skifahrern
und Wanderern genutzt wird. Der Vorteil hierbei: Die
Seilbahn ist auch im Sommer stärker ausgelastet. Die
Abstimmung mit den Naturschutzbehörden erfolgte zu
einem frühen Zeitpunkt der Konzeption.

Gemeinsam mit Vertretern aus Forst, Wasserwirtschafts­


amt und Mountainbikern wurde die Strecke abgelaufen
und so gewählt, dass die angrenzende sensible Land- „Ursprünglich war das Fichtelgebirge im Sommer
schaft sowie Fauna und Flora geschützt bleiben. Durch fast nur für Wanderer ein Ausflugsziel. Dank des
Ausweisung getrennter Routen wird zudem ein verträg- neuen Angebots steigen die Besucherzahlen
liches Nebeneinander von Wanderern, Nordic Walkern und es besuchen jetzt auch vermehrt Jugendliche
und Mountainbikern gewährleistet. Ein weiteres High-
und junge Erwachsene die Region.“
light des Sommertourismus ist das Nordic-Walking-Zen-
trum mit einem 570 Kilometer langen Streckennetz. Birgit Weber, Wohlfühlregion Fichtelgebirge e. V.

70
„Wenn bei Minusgraden zu Saisonstart beschneit wird, Durch das erweiterte Angebot wird eine neue Zielgruppe
hält der Schnee sehr lange“, betont Birgit Weber, die Re- angesprochen, nämlich die der Jugendlichen und jungen
gionalmanagerin. Mit Ausnahme der Wanderwege wird Erwachsenen. Gleichzeitig wird auf die bestehende Win-
der Schneeberg, der höchste Berg im Fichtelgebirge, nicht ter-Infrastruktur zurückgegriffen und diese für
touristisch genutzt. Das Naturschutzgebiet auf dem Sommeraktivitäten genutzt.
Schneeberg, das eines der letzten Auerhuhn-Vorkommen
außerhalb der Alpen beherbergt, wurde bewusst Weil die Skilifte nun auch im Sommer verwendet
­geschont. werden können und die Rundwege für Sommer- wie
Wintersportarten nutzbar sind, lassen sich die Angebote
Eine neu errichtete, 2,6 Kilometer lange (Ski-)Rollerbahn des Nordic Parc bei verschiedenen klimatischen Bedin-
steht im Winter Langläufern, im Sommer Inline-Skatern, gungen verwenden. Das touris-
Joggern und Radfahrern zur Verfügung. Auch die Trend­ tische Angebot ist robust
sportart Nordic Cross – eine Art Skilanglauf mit Roll­ gegenüber zukünfti-
skiern – kann im örtlichen Nordic-Cross-Center erlernt gen Klima­verän­de­
und auf der Rollerbahn getestet werden. Die Besucher des run­g en. Zudem
Nordic Parc können sich unter www.nordic-parc.de lassen sich viele
­tagesaktuell über die Schneesituation und den Zustand Angebote, etwa
der Loipen informieren. Zudem sind das aktuelle Loipen- die Wander-
St r e c ke n ne t z wege, relativ
und Winterwan- kostengünstig
DIE NUTZUNG DER SEILBAHN derkarten abruf- modifizieren,
DURCH MOUNTAINBIKER
bar. Auf dem w a s f ü r d ie
im Sommer zentralen Inter-
netportal finden
Flexibilität des
Projektes spricht.
ERHÖHT DIE AUSLASTUNG DER
TOURISTISCHEN INFRASTRUKTUR. sich auch Infor-
m at i o n e n z u Durch die Kombina-
den Mountain- tion von EU-Fördermit-
bike-Strecken teln, Stiftungsgeldern und
sowie zu weiteren Winter- und Sommersportarten. privaten Mitteln war das Vorha-
„Sobald die ersten Schneeflocken fallen, nimmt die ben für die Region außerdem finanziell tragbar. Ein posi-
Anzahl der Klicks auf die Website rasant zu“, so Birgit tiver Nebeneffekt: Durch die Anforderungen des
Weber. Förderprogramms LEADER zu Vernetzung und Koopera-
tion konnte die Zusammenarbeit über die Gemeindegren-
Zu den Kriterien der guten Praxis zen hinweg stark verbessert werden. Das Projekt zielt
Die vielen Einzelprojekte stellen den Tourismus im Fich- darüber hinaus auf nachhaltigere Strukturen für Natur
telgebirge auf mehrere Standbeine. Sie sind wirksame und Gesellschaft ab. Langfristig müssten dafür jedoch
Maßnahmen, um dem Klimawandel zu begegnen und die energieintensive Beschneiungsanlagen aufgegeben und
Region auch ohne Schnee für Besucher attraktiv zu auch im Winter neue attraktive Tourismusangebote
gestalten. Die Umsetzung des Projektes eröffnet Chancen, geschaffen werden. Durch das breitere Angebot und die
neue Marktsegmente für den Tourismus zu erschließen. zunehmende Attraktivität sind auch private Unternehmen

71
TOURISMUS

AUF EINEN BLICK


Beispiel für gute Praxis Nordic Parc in der Wohlfühlregion Fichtelgebirge
Standort Landkreis Bayreuth, in 11 Gemeinden/Städten des Fichtelgebirges
Projektzeitraum 2006 bis heute
Projektziel Aufrechterhaltung/Erhöhung der Wertschöpfung durch ein erweitertes
Angebot, das auch bei der Klimaerwärmung in den nächsten Jahrzehnten
Bestand hat
Finanzierung 3,5 Mio. EUR Gesamtkosten
50 % Förderung aus:
LEADER+ (Fördermittel für den ländlichen Raum, 2000 – 2006) und Lea-
der in ELER (Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des
ländlichen Raums, 2007 – 2013); INTERREG IV A (Europäische territoriale
Zusammenarbeit); EFRE (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung);
Kofinanzierung durch Projektträger, Oberfrankenstiftung und private Mittel
Ansprechpartner Birgit Weber, Wohlfühlregion Fichtelgebirge e. V.
birgit.weber@wohlfuehlregion-fichtelgebirge.de
Internet www.wohlfuehlregion-fichtelgebirge.de
www.nordic-parc.de

auf die Region Fichtelgebirge aufmerksam geworden. gemeinsam an einem regionalen Entwicklungskonzept
E i n besonders gelungenes Beispiel dafür ist die gearbeitet. Die Konzeptentwicklung wird aus Mitteln der
­Wiederinbetriebnahme einer Unterkunft mit Gastwirt- Europäischen Strukturfonds finanziert, beispielsweise
schaft, die Fahrräder und Zubehör an die Nutzer der der Programme zur Stärkung des ländlichen Raums
Downhill-Strecke verleiht. Auch wurde im Fichtelgebirge ­LEADER+ und Leader in ELER. Das Konzept setzt auf
Deutschlands erster Ziplinepark eröffnet. Per Seilrolle ­regional angepasste Maßnahmen, um die Lebens- und
gleiten die Besucher dort in hohem Tempo den Berg Aufenthaltsqualität für Tagesgäste, Urlauber und Bewoh-
hinab. ner der Mittelgebirgsregion zu verbessern. Hierbei wer-
den vor allem die Herausforderungen des Klimawandels
Zur Planung und Umsetzung der Wohlfühlregion für den Tourismus aufgegriffen. Die Bürgerinnen und
Fichtelgebirge und des Nordic Parc Bürger aus der Region waren nicht nur Ideengeber für die
Elf Gemeinden haben sich im nordöstlichen Teil des Maßnahmen, sie halfen auch in den verschiedenen
Landkreises Bayreuth im Verein Wohlfühlregion Fichtel- Arbeitskreisen, etwa bei der Stärken-Schwächen-Analyse
gebirge zusammengeschlossen. Seit 2006 haben sie der Region.

72
Hindernisse bei Entwicklung und Durchführung
„Während der Planung zeigte sich, dass es nötig war, die
beteiligten Personen, Behörden, Kommunen, Unterneh-
men, spätere Nutzer und uns – die Geschäftsstelle der
Wohlfühlregion Fichtelgebirge als Koordinator und Ver-
mittler – an einen Tisch zu holen“, betont die Regional-
managerin. Erst nach einem gemeinsamen Treffen mit
allen Beteiligten konnten Zweifel am Schutz von Forst-,
Wasser- und Naturschutzgebieten ausgeräumt werden.

Ausblick
„Für den Erfolg des Projektes musste erst ein Umdenk-
prozess stattfinden. Dieser Prozess ist erfolgreich gestar-
tet, aber noch längst nicht abgeschlossen“, meint Weber.
Der Erfolg ließe sich unter anderem daran erkennen, dass
der westlich angrenzende Landkreis nun die Loipen­
kooperation übernehmen möchte.

Beteiligte Institutionen
Verbände, Behörden und Kommunen des Fichtelgebirges
Lokale Unternehmen
Wintersportvereine, weitere lokale Vereine
Mittelgeber

GUTE-PRAXIS-CHECK

Wirksamkeit
Robustheit
Nachhaltigkeit
Flexibilität
Finanziell tragbar
Positiver Nebeneffekt

 as 570 Kilometer lange Nordic-Walking-Streckennetz lädt Wanderer aller


D
Art ein.

73
TOURISMUS

BILDUNG UND TOURISMUS:


KLIMATOUR DURCH DAS TEUFELSMOOR
Eine Thementour durch das Teufelsmoor sensi- beginnt und endet an der Tourist-Information in Worps-
bilisiert für die klimabedingten Veränderungen wede, wo auch GPS-Geräte ausgeliehen werden können.
und erweitert gleichzeitig das touristische „Seit der Entstehung der Tour im Rahmen von klimazwei
Angebot. (Fördermaßnahmen für den Klimaschutz und Schutz vor
Klimawirkungen) 2007 haben zahlreiche Organisationen
„Klimawandel hautnah“ ist das Thema der 42 Kilometer wie der Allgemeine Deutsche Fahrradclub und der Natur-
langen Radroute durch das Teufelsmoor. Um Menschen schutzbund Deutschland unsere Tour für Ausflüge
für das Thema Klimawandel zu sensibilisieren, erläutern genutzt. Das touristische Angebot konnte so wirksam
neun „Klimapunkte“ entlang der Strecke die Einflüsse erweitert werden“, betont Thorsten Milenz von der Tou-
des Klimawandels auf das Teufelsmoor. Die Auswirkun- ristikagentur Teufelsmoor-Worpswede-Unter­weser e. V.
gen auf die Region, auf Menschen, Tiere und Pflanzen
sowie Möglichkeiten zur Anpassung werden in einer Bro-
schüre ausführlich dargestellt. Beteiligte Institutionen
Landkreis Osterholz
Damit die Umwelt nicht zu Schaden kommt, sind keine Biologische Station Osterholz e. V.
Schilder im Moor angebracht. Stattdessen werden die Metropolregion Bremen-Oldenburg
Touristen anhand von GPS-Daten durch das Gebiet gelei- Hansestadt Bremen
tet. Für alle, denen die Strecke von 42 Kilometer zu lang Tourist-Information für Worpswede und das Teufelsmoor
ist, gibt es zwei kürzere Routenalternativen. Die Tour econtur Agentur für nachhaltige Projekte gGmbH, Bremen

AUF EINEN BLICK


Beispiel für gute Praxis Bildung und Tourismus: Klimatour durch das Teufelsmoor
Projektzeitraum 2007 bis heute
Projektziel Sensibilisierung für die Folgen des Klimawandels und
Erweiterung des touristischen Angebots
Finanzierung Interne Finanzierung; Bundesministerium für Bildung
und Forschung (BMBF), Bonn/Berlin
Ansprechpartner Touristikagentur Teufelsmoor-Worpswede-Unterweser e. V.
Thorsten Milenz // info@kulturland-teufelsmoor.de
Internet www.kulturland-teufelsmoor.de

Kleine Haltepunkte entlang der Radroute illustrieren


zukünftige Auswirkungen des Klimawandels, wie hier
74 etwa den ansteigenden Meeresspiegel.
75
76
STADT- UND FREIRAUMPLANUNG

Flächenversiegelung, eine dichte Bebauung und wenig


Grün führen in Städten und Ballungsräumen zu anderen
klimatischen Effekten als in weniger oder nicht bebauten Eine Anpassungsmaßnahme in der
Gebieten. Das Stadtklima kann durch den Klimawandel Stadt- und Freiraumplanung sollte:
zusätzlich negativ beeinflusst werden. Steigende Durch-
schnitts- und Maximaltemperaturen führen in der Stadt → wirksam sein, d. h., sie trägt verlässlich
zu einer höheren Wärmespeicherung und damit zu soge- und dauerhaft zur Sicherung der Lebens-
nannten Wärmeinseln. Für die Bürgerinnen und Bürger qualität bei.
bedeutet dies zunehmenden Hitzestress und eine Belas- → robust sein, d. h., die positiven Effekte der
tung für den Organismus. Maßnahme stellen sich in verschiedenen
Oft kommt die örtliche Bebauungsstruktur noch erschwe- Klimaszenarien ein.
rend hinzu: Bei starker Innenstadtverdichtung können → nachhaltig sein, d. h., die Maßnahme trägt
aufgrund fehlender Frischluftschneisen erwärmte Luft dem Ausgleich ökonomischer, ökologi-
und Schadstoffe kaum noch durch den Wind abtranspor- scher und sozialer Interessen bestmöglich
tiert werden. Rechnung.
→ finanziell tragbar sein, d. h., die Maß-
Zunehmende Trockenheit kann zudem zu einem sinken- nahme ist durch die Umsetzenden mit
den Grundwasserspiegel führen. Mögliche Folgen: eine vertretbarem Aufwand finanzierbar.
regionale Wasserknappheit und absackende Gebäude. Gleichzeitig weisen andere stadtbauliche
Auch Extremwetterereignisse machen die Anpassung an Maßnahmen bei gleichen Kosten keinen
den Klimawandel in der Stadt nötig. Bei Starkregen bei- höheren Nutzen auf.
spielsweise kann es zu Überschwemmungen kommen. → positive Nebeneffekte haben, d. h., die
Grund dafür ist, dass die Entwässerungssysteme über- Maßnahmen sollten neben der Minderung
lastet sind und die versiegelten Flächen selbst kaum von negativen Effekten des Klimawandels
Wasser aufnehmen können. auch weitere positive Effekte auf Umwelt,
Angesichts dieser Herausforderungen ist eine Vielzahl Gesellschaft oder die durchführende Orga­
von Maßnahmen nötig, mit denen die Lebensqualität in nisation haben. Diese Effekte stellen sich
urbanen Räumen auch in Zeiten des Klimawandels erhal- unabhängig von Klimaveränderungen ein.
ten werden kann. → flexibel sein, d. h., sie sollte mit verhältnis-
mäßig geringen Kosten modifiziert werden
können.

Da viele Anpassungsaktivitäten in der Stadt-


Durch Verdunstung des Wassers über dem See kann kühle und Freiraumplanung langlebige Infra-
Luft entstehen und zu einem angenehmen Stadtklima
strukturen betreffen, kommt den Kriterien
beitragen.
Robustheit, Flexibilität und positive Neben-
effekte eine besondere Bedeutung zu.
77
STADT- UND FREIRAUMPLANUNG

KRUPP-PARK IN ESSEN
Ein innerstädtischer Park auf einer ehemaligen Hauptverkehrsstraße im Krupp-Gürtel und der neuen
Industriebrache sorgt für ein günstiges Stadtklima. ThyssenKrupp-Hauptverwaltung angefallen ist.
Fünf Hügel wurden modelliert, die entlang eines
Im rund 230 Hektar großen Krupp-Gürtel in Essen wer- Hochtals aufgereiht sind. Auf diesem Landschaftsbau-
den Industriebrachen der ehemaligen Gussstahlfabrik werk entstanden Wiesen, auf denen vereinzelt
der Firma Krupp zu hochwertigen Büro-, Gewerbe- und Bäume stehen.
Wohnstandorten entwickelt. Der Krupp-Gürtel liegt zwi-
schen dem Stadtkern von Essen und dem dicht bebauten Andere Flächen
Stadtteil Altendorf. Damit diese Innenentwicklung, also DIE LANDSCHAFTLICHE werden sich in
die bauliche Verdichtung im Siedlungsbereich, sich den nächsten
stadtklimatisch nicht zulasten der Bewohner auswirkt, Gestaltung Jahren zu Wald
wird im Krupp-Gürtel der über 20 Hektar große Krupp- entwickeln, der
DES PARKS VERBESSERT DIE
Park angelegt. Er sorgt dafür, dass die dicht bebauten VERSORGUNG MIT KALTLUFT. an heißen Ta-
Bereiche nicht zu Wärmeinseln zusammenwachsen, in gen Schatten
denen kein Luftaustausch mehr stattfindet. Die ersten spendet. Wege
beiden Bauabschnitte des Parks wurden 2009 bzw. 2012 und fünf Spiel-
eingeweiht. Das Gelände dieser beiden flächen laden Kinder, Jugendliche und Erwachsene zur
Abschnitte lag Erholung in kühlerer Luft ein. „Dadurch dass wir das
Grundstück aus der Tiefenlage herausgeholt haben und
ein Gefälle zu angrenzenden Baugebieten entstanden ist,
kann nun kühle Luft in deren Richtung abfließen“,
erklärt Wolfgang Golles von der Stadt Essen. Diese kühle
Luft entsteht durch die Verdunstung von
Wasser in den Baumkronen, auf den Wie-
sen und über einem etwa 9.100 Kubikmeter
großen See.

Der See wird mit Regenwasser aus dem Krupp-Park


und von den Dachflächen der ThyssenKrupp-Hauptver-
waltung gespeist. Von diesem Gebäude gelangt das
früher deut-
Regenwasser über einen Kanal zum Krupp-Park und
lich tiefer als die Um-
tritt dort wieder an die Oberfläche. Im Krupp-Park
gebung. Um das Grund-
selbst führen Gräben das Regenwasser zum See,
stück aus dieser Tiefenlage zu befördern und
von wo aus es über einen Kanal zu einem Neben-
einen landschaftsarchitektonisch attrakti-
lauf der Emscher geleitet wird. Auf diese Weise wird der
ven Park gestalten zu können, wurde Boden
ökologische Umbau der Emscher und ihrer Nebenläufe
aufgeschüttet, der beim Bau einer neuen
von Abwassergräben zu reinwasserführenden Bächen

78
und die biologische Vielfalt gesichert. Der Park schafft
eine unverwechselbare städtebauliche Adresse. Unter
anderem deshalb zog ThyssenKrupp 2010 mit seiner
Hauptverwaltung von Düsseldorf zurück nach Essen in
die Nachbarschaft des Krupp-Parks. Als Naherholungs-
gebiet stärkt der Park den Stadtteil Altendorf, ein Gebiet
mit besonderem Erneuerungsbedarf. Er wertet das Wohn-
umfeld auf und trägt somit zu einer positiven Atmosphäre
in der Gegend bei.

Investitionen in neue Wohnungen und in den Wohnungs-


bestand führen dazu, dass eine von den Bürgerinnen und
Bürgern gewünschte soziale Durchmischung entsteht.
Bei einigen Arbeiten zur Anlage des Krupp-Parks erhiel-
ten Erwerbslose die Chance, sich auf den Arbeitsmarkt
vorzubereiten. Mit seinen Gehölz-, Wiesen- und Wasser-
strukturen schafft er zudem Lebensraum für die städti-
„Der Krupp-Park trägt wesentlich zu sche Tierwelt, zum Beispiel für Stieglitz und Mauersegler.
einem besseren Stadtklima bei. Wenn Das Vorhaben war finanziell tragbar, weil die Stadt Essen
sich die Luft in dem benachbarten auf Fördermittel zurückgreifen konnte. Darüber hinaus
Stadtteil Altendorf oder in der Essener wurden Konzepte entwickelt, mit deren Hilfe es trotz lee-
Innenstadt erwärmt, kann sie auf­ rer öffentlicher Kassen möglich war, den Park anzulegen.
steigen und durch die kühle Luft aus Die Ansiedlung weiterer Unternehmen wird dazu beitra-
dem Krupp-Park ersetzt werden.“

Wolfgang Golles, Stadt Essen, Grün und


Gruga Essen, Grünentwicklung und Land-
schaftsplanung

unterstützt. Durch die Regenwasserabkopplung werden


die Kläranlagen von Regenwasser entlastet, sodass sie
auch bei Starkregenereignissen nicht überlastet werden.

Zu den Kriterien für gute Praxis


Der Krupp-Park mindert als wirksames und nachhaltiges
Projekt die Folgen des Klimawandels in der Stadt. Mit
dem Park wird aber nicht nur das Stadtklima verbessert,
sondern mit ihm wurde im Krupp-Gürtel auch eine nach-
haltige, d. h. wirtschaftlich leistungsfähige, sozial
gerechte sowie ökologische Stadtentwicklung initiiert
Der 9.100 Quadratmeter große See wird mit Regenwasser gespeist.

79
STADT- UND FREIRAUMPLANUNG

AUF EINEN BLICK


Beispiel für gute Praxis Krupp-Park in Essen
Ort der Umsetzung Essen, Westviertel

Projektzeitraum 2006 – 2009: 1. Bauabschnitt


2011 – 2012: 2. Bauabschnitt
ab 2015/16: 3. Bauabschnitt
ab 2018: 4. Bauabschnitt
Projektziel Revitalisierung von Industriebrachen durch einen öffentlichen
Park unter Berücksichtigung des Stadtklimas
Finanzierung Stadt Essen, Stadtwerke Essen, ThyssenKrupp, Förderung durch:
Europäische Union, Bund, Land Nordrhein-Westfalen, Emschergenossen-
schaft, Stiftung Lebendige Stadt
Ansprechpartner Wolfgang Golles, Stadt Essen, Grün und Gruga Essen, Grünentwicklung
und Landschaftsplanung // wolfgang.golles@gge.essen.de
Internet http://www.essen.de/de/Leben/leben_im_gruenen/krupp_park_1.html

gen, dass das Projekt gesamtwirtschaftlich einen hohen tebauliche Planung für den Krupp-Gürtel eingebracht. Es
Nutzen hat. „Grün dient in Essen als ein Motor der Stadt- erfolgte also eine Integration der Maßnahmen zur Ver-
entwicklung und hat sicher auch dazu beigetragen, dass besserung des Stadtklimas in ohnehin stattfindende Pla-
das manager magazin (5/2013) der Stadt Essen beschei- nungsprozesse.
nigt, dass keine andere Stadt in Deutschland seine wirt-
schaftlichen Zukunftsaussichten seit 2008/2009 so stark Auf der Grundlage der städtebaulichen Planung wurden
verbessert hat“, erläutert Wolfgang Golles. Dies sei ein Fördermittel im Rahmen des Programms „Stadtumbau
wichtiger positiver Nebeneffekt. West: Bochold/Altendorf-Nord“ beantragt und Grund-
stückskaufverträge für das Gelände des Krupp-Parks mit
Zur Planung und Umsetzung des Krupp-Parks ThyssenKrupp geschlossen. Ab 2007 wurden der Krupp-
In den 1990er-Jahren wurde der Stadtökologische Beitrag Park, die neue Hauptverkehrsstraße im Krupp-Gürtel und
für den Essener Norden erarbeitet. Dabei wurde festge- die ThyssenKrupp-Hauptverwaltung gebaut. Ein grund-
stellt, dass auch im Essener Westen ein Park von Vorteil legendes Anliegen bei der Planung und Anlage des
wäre: für die Naherholung, zur Sicherung der biologi- Krupp-Parks bestand darin, die Menschen, die sich hier
schen Vielfalt, für den ökologischen Umbau des Emscher- erholen werden, frühzeitig einzubeziehen. Deshalb wur-
systems, zum Schutz des Klimas und für ein günstigeres den ThyssenKrupp und vor allem die Menschen in Alten-
Stadtklima. Dieses Ergebnis wurde ab 2000 in die städ- dorf beteiligt. Im Rahmen des Partizipationsprojektes

80
„Heimatgefühle“ wurden Pflanzaktionen sowie Baustel- Ausblick
lenführungen durchgeführt. Kinder und Jugendliche Ab 2015/16 ist der dritte Bauabschnitt des Krupp-Parks
beteiligten sich an der Planung und dem Bau der Spiel- geplant. Ferner beabsichtigt die Stadt Essen die kühlende
plätze, und alle gemeinsam feierten die Eröffnung. Auch Wirkung von Pflanzen als Beitrag zum Stadtklima näher
Patenschaften für die Grünflächen und Spielplätze wur- zu untersuchen.
den übernommen – von Bürgerinnen und Bürgern sowie
von Schulen. „Sie freuen sich über die positive Entwick-
lung, die der Krupp-Park in ihrem Stadtteil ausgelöst hat, Beteiligte Institutionen
und wollen deshalb Verantwortung für ‚ihren‘ Park über- Stadt Essen
nehmen“, so Wolfgang Golles. ThyssenKrupp, Essen
Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft
Universität Duisburg-Essen
Landschaftsarchitekten
Bauingenieure
Bau- und Gartenbaufirmen
Essener Arbeits- und Beschäftigungsgesellschaft
Bürgerinnen und Bürger sowie Schulen

GUTE-PRAXIS-CHECK

Wirksamkeit
Robustheit
Nachhaltigkeit
Flexibilität
Finanziell tragbar
Positiver Nebeneffekt

 er Park wertet das Wohngebiet auf und


D
sorgt für eine angenehme Atmosphäre.

81
STADT- UND FREIRAUMPLANUNG

GRÜNE STADT FRANKFURT


Die Stadt Frankfurt stellt sich den Klimaverän- Das Besondere hierbei ist, dass die wichtigen Kaltluft-
derungen durch eine zielführende Klimaanpas- schneisen im Grüngürtel in weiten Teilen unter Land-
sungsstrategie. schaftsschutz stehen und diese verbindlich als
unbebaubar festgeschrieben wurden. In der Innenstadt
Um die erforderlichen Maßnahmen zur Anpassung an sollen sie nach Möglichkeit freigehalten werden. Diese
den Klimawandel zu entwickeln, hat die Stadt Frankfurt Maßnahme kann so die Bildung von Wärmeinseln wirk-
die dezernatsübergreifende Koordinierungsgruppe Kli- sam verhindern. Als grüne „Speichen“ sollen Grünzüge
mawandel ins Leben gerufen. Auf der Basis wissen- von der Innenstadt über den Grüngürtel bis hinaus in die
schaftlicher Untersuchungen und des erneuerten Region führen.
Klimaplanatlas hat Frankfurt eine Anpassungsstrategie
entwickelt. Der Klimaplanatlas unterstützt Planer bei Die kühle Luft kann so in die Stadt fließen. Im Sinne einer
Bauvorhaben und zeigt als Planungsinstrument für Stadt- nachhaltigen Maßnahme werden hierbei Biotopverbin-
planer unter anderem an, welche Luftleitbahnen freige- dungen aufrechterhalten und Naherholungsräume weiter
halten werden sollten, damit kühlende Luft in die Stadt ausgebaut. Bei der Planung und Umsetzung des Konzep-
gelangen kann. Konkrete Planungsvorschläge zielen tes und der Ausweitung des Frankfurter Grüngürtels
darauf ab, bestimmte Bereiche in der Stadt nicht weiter werden Bürgerinnen und Bürger einbezogen. Dies fördert
zu belasten. So sollen Überwärmungstendenzen begrenzt den Interessenausgleich und schafft gleichzeitig als posi-
und die Durchlüftung des Stadtkörpers erhalten und tiver Nebeneffekt eine höhere Identifikation mit der eige-
gefördert werden. nen Stadt. So übergibt die Stadt Frankfurt beispielsweise

AUF EINEN BLICK


Beispiel für gute Praxis Grüne Stadt Frankfurt
Ort der Umsetzung Frankfurt am Main
Projektzeitraum fortlaufend
Projektziel Abmilderung der Überwärmungstendenzen und Erhalt
von Frischluftschneisen
Finanzierung Interne Finanzierung
Ansprechpartner Hans-Georg Dannert, Umweltamt der Stadt Frankfurt am Main
hans-georg.dannert.amt79@stadt-frankfurt.de
Internet www.frankfurt.de

82
Bereits 52 Prozent der Stadtfläche in Frankfurt sind
grüne Freiräume und Wasserflächen.

im Rahmen des Programms „Geschenkter Baum“ Privat- Beteiligte Institutionen


personen einen Laubbaum für das eigene Grundstück. Stadt Frankfurt
Die Laubbäume tragen dazu bei, das Stadtklima zu ver- Universität Kassel
bessern und im Sommer Schatten zu spenden. Der Stadt- Bürgerinnen und Bürger
wald vergrößert sich durch Aufforstungsmaßnahmen
stetig und Baumbeete werden mit wasserspeichernden
Substraten angelegt, um großer Trockenheit vorzubeu-
gen. Neben zahlreichen stadtklimatischen Ansätzen
beinhaltet das Konzept der Stadt Frankfurt auch umfang-
reiche Maßnahmen für die Bereiche Mobilität, Wasser
und Gesundheit.

83
SCHLUSSWORT
Mit der Deutschen Anpassungsstrategie an den Klima- Oftmals liegt die Herausforderung bei der Umsetzung der
wandel sind 2008 Ziele und Grundsätze sowie vielfältige Anpassungsprojekte darin, vielfältige Interessen unter
nationale Handlungsoptionen der Klimaanpassung auf- einen Hut zu bringen. Die Beispiele zeigen ebenso, wie
gezeigt worden. Im nationalen „Aktionsplan Anpassung“ mit diesen Herausforderungen umgegangen werden
der Bundesregierung wurden diese 2011 mit Aktivitäten kann. Dialog und Beteiligungsprozesse haben dabei
des Bundes hinterlegt. Gleichzeitig wurde auf die beson- geholfen, die Projekte erfolgreich umzusetzen. Die Bei-
dere Bedeutung der Kommunen als zentrale Akteure ver- spiele belegen, wie die Anpassung an den Klimawandel
wiesen, welche die Anpassung an den Klimawandel in bereits bestehende Arbeitsabläufe oder Projekte inte-
konkret vor Ort umsetzen. Wenn auch die Anpassung an griert werden kann. Um Anpassung an den Klimawandel
den Klimawandel noch ein sehr junges Themenfeld ist erfolgreich zu betreiben, werden viele gute Ideen benö-
und gute Handlungsansätze erst erprobt werden müssen, tigt, müssen viele unterschiedliche Akteure einbezogen
so zeigen die hier illustrierten Beispiele doch, wie eine werden und bedarf es lokal spezifischer Lösungen. Wir
erfolgreiche Anpassung auf regionaler und lokaler Ebene hoffen, Ihnen Ideen und Anregungen vermittelt zu
aussehen kann. haben, um eigene Projekte in die Wege zu leiten.

84
FINANZIERUNGS- UND BERATUNGSMÖGLICHKEITEN
Möglichkeiten zur finanziellen Förderung Ihrer eigenen BMEL
Maßnahmen zur Anpassung an Folgen des Klimawandels (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft)
existieren inzwischen an verschiedenen Stellen. In die- / BMUB (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
sem Abschnitt können Sie sich über öffentliche Bau und Reaktorsicherheit)– Waldklimafonds. Gemein-
Förderprogramme sowie über weiterführende Informa- sam fördern die zwei Bundesministerien Maßnahmen zur
tionsangebote informieren (Stand: November 2013). Vorbereitung von Wäldern in Deutschland auf den Kli-
mawandel. Insbesondere sollen hier Synergien zwischen
KÜSTEN- UND HOCHWASSERSCHUTZ Klimaschutz, Anpassung und Erhalt der biologischen
Interreg IVB Nordseeprogramm Vielfalt unterstützt werden.
Das Förderprogramm zum nachhaltigen Management der → www.waldklimafonds.de
Umwelt bietet einen Fokus auf die Anpassung an und die
Reduzierung von Folgen des Klimawandels im Nordsee- ENTWICKLUNG VON ANPASSUNGSSTRATEGIEN
raum. UND UMSETZUNG VERSCHIEDENER EINZEL-
→ www.interreg-nordsee.de/prioritaet_2.html MASSNAHMEN
LIFE+ Programm 2014 – 2020
BMEL Das Programm wird voraussichtlich einen Schwerpunkt
(Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) zur Anpassung an den Klimawandel enthalten, über den
– Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruk- es u. a. die Entwicklung und Durchführung von Anpas-
tur und des Küstenschutzes“ (GAK). Im Entwurf des sungsstrategien sowie die Demonstration innovativer
Rahmenplans dieses Förderprogramms ist die Unterstüt- Anpassungsinstrumente fördert.
zung von Küsten- und Hochwasserschutzmaßnahmen → ec.europa.eu/environment/life/about/beyond2013.htm
vorgesehen.
→w
 ww.bmelv.de/SharedDocs/Standardartikel/Landwirtschaft/Foerde BMUB
rung/GAK/Rahmenplan2014.html (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit) – Förderprogramm für Maßnahmen
SICHERUNG VON BIODIVERSITÄT UND ÖKOSYS- zur Anpassung an den Klimawandel. Das BMUB fördert
TEMDIENSTLEISTUNGEN die Erstellung von Anpassungskonzepten in Unterneh-
BfN men, die Entwicklung von Bildungsangeboten im Bereich
(Bundesamt für Naturschutz) – Bundesprogramm Biolo- der Anpassung an Klimafolgen, die Durchführung kom-
gische Vielfalt. Mit diesem Bundesprogramm fördert das munaler Leuchtturmvorhaben sowie die Etablierung von
BfN Schutzmaßnahmen für bestimmte Arten und Hot- interkommunalen oder regionalen Verbünden zum Auf-
spots der biologischen Vielfalt in Deutschland sowie die bau von Kooperation in diesem Bereich.
Sicherung von Ökosystemdienstleistungen. Unter Dienst- → www.ptj.de/folgen-klimawandel
leistungen von Ökosystemen werden auch deren Beiträge
zur Anpassungsfähigkeit und zum Schutz vor Natur­ Weitere Fördermöglichkeiten finden Sie hier:
katastrophen wie Hochwasser verstanden. → www.klimascout.de
→ www.biologischevielfalt.de/bundesprogramm.html → www.foerderdatenbank.de

85
WEITERFÜHRENDE INFORMATIONEN
ÜBERGREIFENDE UNTERSTÜTZUNG BEI DER ENTWICKLUNG
INFORMATIONSPORTALE VON MASSNAHMEN UND STRATEGIEN

Kompetenzzentrum Klimafolgen und Tatenbank – Datenbank für Maßnahmen zur


Anpassung (KomPass) im Umweltbundesamt Anpassung an den Klimawandel
→ www.anpassung.net → www.tatenbank.anpassung.net

Bundesumweltministerium – Klimalotse – Leitfaden zur Klimaanpassung


Deutsche Anpassungsstrategie für Unternehmen und Kommunen
→ www.bmu.de/themen/klima-energie/klimaschutz/ → www.klimalotse.anpassung.net
anpassung-an-den-klimawandel

Stadtklimalotse – Entscheidungsunterstützung
CSC – Climate Service Center für die Stadtentwicklung
→ www.climate-service-center.de → www.stadtklimalotse.net

Bildungsserver Wiki Klimawandel KlimaScout – Wiki zur Klimaanpassung


→ www.klimawiki.org → www.klimascout.de

DATEN ZUM KLIMAWANDEL UND


ZU SEINEN FOLGEN

Klimaatlas Deutschland des Deutschen


Wetterdienstes
→ www.deutscher-klimaatlas.de

Regionaler Klimaatlas der Helmholtz-


Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren
→ www.regionaler-klimaatlas.de

86
GLOSSAR
Extremereignis (oder Extremwetterereignis) Starkregen (auch: Starkniederschlag)
Eine präzise Definition gibt es nicht. Ein Extremwetter­ Man spricht von Starkregen bei großen Niederschlags-
ereignis weicht von bestimmten Durchschnittswerten mengen in einer bestimmten Zeiteinheit. Eine einheitli-
ab und weist eine sehr lange, unregelmäßige Wiederkehr- che Definition von Menge und Zeit, ab der man von
periode auf. Dürreperioden sowie sehr hohe Nieder- Starkregen spricht, existiert allerdings nicht. Eine Unwet-
schlagsmengen zählen zu den Extremwetterereignissen terwarnung wird beispielsweise vom Deutschen Wetter-
(nach „Klimawissen-Lexikon“ des Climate Service dienst herausgegeben, sobald Regenmengen von
­Center). 25 Litern pro Quadratmeter innerhalb einer Stunde über-
schritten werden (nach „Wetterlexikon“ des Deutschen
Klimamodell Wetterdienstes).
Mithilfe von Klimamodellen werden Wechselwirkungen
innerhalb des Klimasystems erforscht, das Klima vergan- Treibhausgase
gener Zeitabschnitte simuliert und Projektionen des Unter Treibhausgasen versteht man gasförmige Stoffe in
künftigen Klimas berechnet. Sie beruhen auf anerkann- der Atmosphäre, die zum Treibhauseffekt beitragen. Sie
ten physikalischen Gesetzen wie der Erhaltung von stammen aus natürlichen und anthropogenen Quellen
Masse, Energie und Impuls. (nach „Bildungsserver Wiki Klimawandel“ des Climate
Service Center).
Klimaprojektion
Klimaprojektionen sind mit Klimamodellen berechnete
mögliche, künftige Entwicklungspfade des Klimas. Diese
Entwicklungspfade hängen vom zeitlichen Verlauf der Danksagung
Emissionen von Treibhausgasen und Aerosolen (kleine, Über ein Jahr hat uns das „Handbuch zur guten Praxis
schwebende Teilchen) sowie von der zeitlichen Entwick- der Anpassung an den Klimawandel“ begleitet und wir,
lung weiterer auf das Klima wirkender Faktoren ab. Je die Autoren, möchten uns bedanken. Besonderer Dank
nach zukünftiger gesellschaftlicher oder technologischer gilt den Praxisakteuren, die sich sehr viel Zeit für Inter-
Entwicklung gibt es beispielsweise verschiedene Mög- views und Fotoaufnahmen genommen haben und jeder-
lichkeiten der künftigen Emissionen von Treibhausgasen. zeit für Fragen zur Verfügung standen. Ohne Ihre
Erfahrung und Mitarbeit wäre die Erstellung des Hand-
Emissionsszenarien buchs in dieser Form nicht möglich gewesen. Durch Sie
Emissionsszenarien sind Darstellungen der zukünftigen haben wir neue Erkenntnisse über Maßnahmen zur
Entwicklung des Ausstoßes von Treibhausgasen und wei- Anpassung an den Klimawandel gewonnen. Außerdem
teren Substanzen, die das Klima beeinflussen. Sie basie- möchten wir den Teilnehmenden des Workshops
ren auf Annahmen über die künftige Entwicklung von „Lebenswerte Stadt im Klimawandel“ des Kompetenz-
Wirtschaft, Bevölkerung und Technologie. zentrums Klimafolgen und Anpassung (KomPass) im
Januar 2013 danken. Die Ideen und Anregungen der kom-
Klimaszenario munalen Vertreter, die an dem Workshop teilnahmen,
siehe Klimaprojektion sind direkt in das Handbuch eingeflossen.

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