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Dokumentarisches Theater

GR 208 ws 2024
Definition

Das Dokumentartheater ist laut Definition eine Dramenform des


modernen Theaters. Diese basiert nicht auf der Darbietung einer
fiktiven Stückgrundlage, sondern hat es sich als Ziel gesetzt,
tatsächliche historische und/oder aktuelle Ereignisse zu inszenieren.
Es kann als Zusammenfassung des "Anti-Theaters", des "Theaters des
Protests" sowie des "politischen Theaters" verstanden werden.
Das Anti-Theater wird auch als absurdes Theater bezeichnet. Hierbei
handelt es sich um eine Theaterrichtung des 20. Jahrhunderts. Themen,
mit denen sich das Anti-Theater beschäftigt, sind der Sinn und Zweck
sowie die Ziele des Lebens.
Das Theater des Protests ist ein weitgefasster Begriff. Dieser bezieht
sich auf jede Theaterform, die eingesetzt wird, um gegen
Ungerechtigkeiten in der Politik, Wirtschaft und soziale Missstände zu
protestieren.
Beim politischen Theater handelt es sich um eine Art des Dramas
und/oder des performativen Aktes. Der performative Akt ist eine
Handlung, die allein durch das Aussprechen derselben erfolgt. Diese
Theaterform stellt politische Themen in den Vordergrund ihrer
Darstellung.
Dokumentartheater – Entstehung

Anfang der 1960er-Jahre fand das dokumentarische Theater Einzug in


das deutsche und europäische Theater. Die Autorinnen und Autoren
sowie Theaterschaffenden hatten damals das Gefühl, dass
wichtige soziale und politische Fragen ihrer Zeit nicht nur anhand von
ausgedachten Handlungen und Figuren aufgearbeitet werden können
Sie suchten sich eine neue Theaterform, um die fiktive mit der realen
Welt in ein Verhältnis bringen zu können. Ziel war es, die Abgrenzung
zwischen Kunst und Realität aufzuheben und dem Theater eine
stärkere gesellschaftliche und politische Stellung zu geben.
Merkmale
Das Dokumentartheater wird aufgrund seiner Methoden auch als
"Recherchetheater" bezeichnet. Das liegt daran, dass vor den Aufführungen
dieser Theaterform oftmals lange Zeiträume für Recherchearbeit anstehen.
Diese ist wichtig, da sie die Grundlage für das Theaterstück herstellt. Dafür
werden Dokumente aller Art als Quellen verwendet:
• Interviews
• Fotos
• Reportagen
• Reisen, Filme
• Flugblätter, Akten, Zeugenaussagen, Reden
Außerdem verwendet das Dokumentartheater Laiendarstellerinnen
und Laiendarsteller anstelle von Schauspielerinnen und Schauspielern.
Diese sollen von Situationen oder Erfahrungen berichten, die ihnen
selbst widerfahren sind. Mithilfe ihrer authentischen Geschichten und
den recherchierten, historisch belegten Fakten soll die
Theateraufführung unverfälscht werden.

Ein Laie/eine Laiin, ist eine Person, die keine Fachkenntnisse zu einem
bestimmten Themenbereich hat. Laiendarstellerinnen und
Laiendarsteller haben keine schauspielerische Ausbildung bzw. üben
die Schauspielerei nicht hauptberuflich aus.
Sachlichkeit im Dokumentartheater
Dennoch handelt es sich bei dem Dokumentartheater nicht um ein bloßes
Nachspielen von wahren Begebenheiten. Die Regisseurinnen und Regisseure
streben Realismus an. Um ihre Theaterstücke auf die wesentlichen
Hauptaussagen zu konzentrieren, nehmen die sie sich die künstlerische
Freiheit, die Materialien zu kürzen. Um die Authentizität der Geschichte zu
bewahren, wird im Dokumentartheater außerdem
eine nüchterne und sachliche Sprache verwendet.

Das Publikum soll nicht durch Emotionen oder aufsehenerregende,


unerwartete Ereignisse vom Inhalt des Dargestellten abgelenkt werden. Im
dokumentarischen Theater ist es besonders wichtig, dass alle
vorgenommenen Kürzungen und Änderungen der Materialien den Sinn der
tatsächlichen Aussagen beibehalten und diese dadurch unverfälscht bleiben.
Peter Weiss, ein wichtiger Theoretiker und Vertreter des dokumentarischen Theaters,
nennt als Beispiele für die formale und sprachliche Überarbeitung des
dokumentarischen Materials unter anderem:
eine Zusammensetzung aus gegensätzlichen Elementen,
gleichartigen Beispielbildern, kontrastierenden Formen
und wechselnden Größenverhältnissen,
die Variation eines Themas,
die Einfügung von Störungen und Dissonanzen,
Karikaturen der Figuren,
die Vereinfachung von drastischen Situationen,
Zusammenfassungen in Form von Liedern,
Instrumentalbegleitung,
Geräuscheffekte,
Berichterstattungen, die unterbrochen werden können (z. B. durch
einen Monolog oder Traum)
Peter Weiss
Der Schriftsteller, Maler und Filmemacher Peter Weiss wird am 8. November 1916 in Nowawes bei Berlin
geboren. Wegen seiner jüdischen Abstammung muss er 1934 Deutschland verlassen. Vor der Auswanderung
stirbt seine Schwester Margit nach einem Verkehrsunfall. Weiss geht zunächst mit seinen Eltern und
Geschwistern nach England, dann in die Tschechoslowakei, nach Warnsdorf. Er schreibt, malt, Hesse wird für
ihn wichtig, nach einem Besuch bei diesem in Montagnola geht er nach Prag auf die Kunstakademie.
1939 folgt er den Eltern, die nach der Besetzung des Sudetenlandes nach Schweden emigriert sind. Nun
"ganz ins Exil" verschlagen, beginnt der schwierige Prozess der Ablösung von den Eltern, der Versuch, sich als
Maler zu behaupten, die Notwendigkeit, sich mit Brotarbeit durchzuschlagen.

Die großen politischen Dramen, die von 1964 bis 1971, von "Marat/Sade" über "Die Ermittlung", den
"Gesang vom lusitanischen Popanz", den "Vietnam-Diskurs", "Trotzki im Exil" bis "Hölderlin" dem
zeitgenössischen Theater eine neue gesellschaftliche Brisanz und künstlerische Ausdruckskraft erobern,
verschaffen Peter Weiss eine weltweite Geltung.
Dokumentartheater heute

Ein erneutes Aufleben des Dokumentartheaters fand im


deutschsprachigen Raum Ende der 1990er-Jahre statt und hält bis
heute an. Erstmals wurden Aussagen und Ansichten angezweifelt und
moralisch eindeutige Aussagen konnten nicht mehr ohne Weiteres
getroffen werden. Das Ziel ist dennoch dasselbe geblieben: Die Bühne
soll zu einem Erlebnisraum werden und dem Publikum ermöglichen,
über sich und die Umwelt nachzudenken.
Die Ermittlung

„Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen“ von 1965 hat als Grundlage den
Auschwitzprozess gegen das Wachpersonal des Konzentrationslagers, der in Frankfurt
zwischen Dezember 1963 und August 1965 stattfand. Weiss nimmt die Fakten und
ordnet sie elf Themengebieten zu, den Oratorien oder Gesängen: Gesang von der
Rampe, Gesang vom Lager, Gesang von der Schaukel, Gesang von der Möglichkeit des
Überlebens, Gesang vom Ende der Lili Tofler, Gesang vom Unterscharführer Stark,
Gesang von der Schwarzen Wand, Gesang vom Phenol, Gesang vom Bunkerblock,
Gesang vom Zyklon B, Gesang von den Feueröfen.
Mit diesen Zuordnungen rekonstruiert Peter Weiss den Weg und das Leiden
bis hin zum Tod der Inhaftierten im Konzentrationslager. Er versucht, anhand
der Aussagen von Angeklagten, Zeugen, Richtern und Verteidigern die
Gründe auszuloten, die zu Auschwitz führten.

Wie konnte es zu einer solch systematischen Verdinglichung der Menschen,


sowohl der Täter als auch der Opfer kommen?

Weiss dokumentiert die Folgen von Unterernährung, Erschöpfung und


Gewalt ebenso drastisch wie die Verrohung und gleichzeitige
Verharmlosung der Geschehnisse in der und durch die Sprache der Täter.
Außerdem kämpft er mit dem Text gegen Verdrängung und Tabuisierung
dieses Themas in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft zwanzig Jahre
nach Kriegsende.

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