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Es gibt keine GAUs mehr

Es gibt nur noch Super-GAUs1


(oder Der Entwurf eines Kernkraftwerkes nach Dürrenmatt)
J. Richter

„Nur im Irrenhaus dürfen wir noch denken.


In der Freiheit sind unsere Gedanken Sprengstoff.“

Die Grundregel einer Entwurfsmethode


Stimmt es wirklich, dass wir die schlimmstmögliche Wende eines Entwurfs nicht vorhersehen
können? Hat der Schweizer Autor Friedrich Dürrenmatt im Anhang seiner Komödie Die Physiker
(1961) wirklich das Versagen in den Kernkraftwerken Tschernobyl und Fukushima prophezeit?
Folgende Zeilen aus den Physikern dokumentieren wohl die wichtigsten Grundregeln der Physik,
die auch für die Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung eine Grundregel bilden
sollten:
• „Ich gehe nicht von einer These, sondern von einer Geschichte aus.
• Geht man von einer Geschichte aus, so muss sie zu Ende gedacht werden.
• Eine Geschichte ist dann zu Ende, wenn sie ihre schlimmstmögliche Wende genommen hat.
• Ein schlimmstmögliche Wende ist nicht vorhersehbar. Sie tritt durch Zufall ein.“2

Falls die schlimmstmögliche Wende nicht vorhersehbar ist, ist der Entwurf unkalkulierbar, im
Normalfall auch nicht versicherbar. Genau genommen ist das Konzept ist nicht beherrschbar und
somit unsicher. Falls der Zufall letztendlich zuschlägt wird das System unbezahlbar und ruinös...
Genau dieses Drehbuch ist in Tschernobyl und Fukushima eingetreten.
Bilden dieses Regelwerk etwa eine Grundregel für den Entwurf eines Systems?

Dürrenmatts Physiker und vielleicht auch einige „Thesen zum Atomzeitalter“ (1959) von Günther
Anders können als Frage nach der Ethik in der Wissenschaft verstanden werden. Mann kann deshalb
nur hoffen dass die Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung die ersten vier „Punkte“
von Dürrenmatts Komödie in ihrer Diskussion berücksichtigen wird.

1Genau genommen definiert das Wort Super-GAU bereits die Unvorhersehbarkeit eines GAUs. Der Super-Gau liegt
jenseits des vorhersehbaren GAU-Bereichs und ist somit als unvorhersehbar definiert.
2 Die erste vier von 21 Punkten der Komödie Die Physiker (1961) von Friedrich Dürrenmatt
Begriffsdefinitionen

Auslegungsstörfäll
Eine schlimmstmögliche Wende ist ein Auslegungsstörfäll, der ursprünglich GAU3 genannt wurde
und normalerweise bei der Planung eines risikobehaftetes Systems festgelegt werden.
Auslegungsstörfälle sind Unfälle, für deren Beherrschung die Sicherheitssysteme eines Systems
noch ausgelegt sein müssen. Ihre Beherrschbarkeit, deren wichtiges Hilfsmittel die Redundanz
bildet, ist bei sehr gefährlichen Anlagen im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens nachzuweisen.
Nicht die Redundanz jedoch ist das wichtigste Mittel zur Beherrschbarkeit, sondern die Phantasie
des Genehmigers.

Beherrschung des Störfalls


Grundlage sind Modelle für die Beherrschung des Störfalls. Noch schwerere Unfälle, deren Risiko
unter der Risiko-Akzeptabilitätsschwelle liegt, heißen auslegungsüberschreitende Störfälle. Für sie
werden Maßnahmen zu ihrem Ausschluss oder zur Begrenzung ihrer Auswirkungen entwickelt, die
ebenfalls im Genehmigungsverfahren nachzuweisen sind.
Im Idealfall bildet der Genehmiger die letzte Instanz, der eine Katastrophe in einem
Modellgedanken vorhersehen, beherrschen und verhindern soll.
Außerhalb einer Nuklearanlage dürfen zum Beispiel beim Eintritt einer Auslegungsstörfälls die
nach der Strahlenschutzverordnung geltenden Störfallgrenzwerte der Strahlenbelastung nicht
überschritten werden.

Risiko
Jeder denkbare Unfall ist grundsätzlich durch zwei verschiedene Größen charakterisiert, die man
zumindest schätzungsweise durch Zahlen zu beschreiben versucht: die Schwere der Unfallfolgen
(Schadenhöhe) und die Eintrittswahrscheinlichkeit. Das Produkt Schadenhöhe mal
Eintrittswahrscheinlichkeit, oft als Risiko bezeichnet, ist z. B. Kalkulationsgrundlage in der
Versicherungswirtschaft.

3 Der Name GAU ist die Abkürzung für größter anzunehmender Unfall, und bezieht sich auf das maximum credible
accident, das in der USA die Auslegung von Anlagen auf nur einen bestimmten großen Unfall beschränkte.
Logische Schlüsse (zur Diskussion)

Haftpflichtversicherungen
Eine schlimmstmögliche Wende ist unkalkulierbar, nach Dürrenmatt unvorhersehbar, deshalb
unkalkulierbar und in der Regel auch unversicherbar.
Vom Staat versicherte Risiken sind entweder unkalkulierbar oder für eine reguläre
Haftpflichtversicherung zu groß. Eine staatliche Haftpflichtversicherung signalisiert eine
unbeherrschbar großes Risiko.
Unversicherbare Haftpflichtrisiken sollten in einem geplanten Projekt zum Abbruch führen.
Genau genommen bildet das Vorhandensein einer Haftpflichtversicherung einen wichtigen
Grobindikator, der uns auf Anhieb signalisiert ob ein System mit vertretbarem Risiko betrieben
werden kann.

Beherrschbarkeit
Eine schlimmstmögliche Wende tritt Zufalls-gesteuert ein und kann daher nur zufällig beherrscht
werden. Falls die schlimmstmögliche Wende nicht vorhersehbar ist, kann ein System NICHT mit
vertretbarem Risiko betrieben werden.

Gau und Supergau


Genau genommen definiert das Wort Super-GAU bereits die Unvorhersehbarkeit eines GAUs. Der
Super-Gau liegt jenseits des vorhersehbaren GAU-Bereichs und ist somit als unvorhersehbar
definiert. Der Super-GAU ist jedoch keine sehr schlimme Katastrophe sondern nur ein
unvorhergesehene schlimmstmögliche Wende.

Beispiele eines Super-GAUs


Beispiele soll verdeutlichen, wie einige dieser schlimmstmöglichen Wenden nach dem Eintreffen als
Super-GAUs identifiziert werden können. In den besagten Beispielen wurden die
Entwurfsgeschichten einfach nicht zu Ende gedacht. Die Risiken sind zwar vor dem Eintreten der
Katastrophen bekannt, aber sie werden zu spät (nach Baubeginn) bekannt, bzw. nicht ernst
genommen.

Tschernobyl
Die Katastrophe von Tschernobyl basiert auf eine komplexe Kette von Entwurfsfehlern,
Schlamperei, mangelhafter Dokumentation, Geheimniskrämerei und Ignoranz. Durch die
nukleare Auslegung des RBMK-Reaktors kann es infolge des positiven Void-Effekts
während einer Störung zu einem Anstieg der Leistung kommen. Die damit verbundenen
Risiken waren bekannt und in Sicherheitsvorschriften und -automaten teilweise
berücksichtigt worden.
Bei einem Test war am 26. April 1986 in Block 4 wurden die Vorschriften von den
Operatoren jedoch ignoriert. Ein Teil der Sicherheitssysteme wurde abgeschaltet. Während
des Tests konnte ein schneller Leistungsanstieg durch das Einfahren der Steuerstäbe nicht
mehr abzufangen werden und führte schließlich zur Explosion des Reaktorkerns.
9/11
Zur Zerstörung von Wolkenkratzern mit Flugzeugen gab es ernstzunehmenden
Vorwarnungen, die ignoriert wurden. Im seinem Buch VEIL, the secret wars of the CIA
1981-1987 dokumentiert Bob Woodward eine Aussage des CIA-Direktors William J. Casey,
der im Zeitraum 1981-1987 das Risiko eines Angriffs von Selbstmordfliegern (und die
Hilfslosigkeit der USA diesen Angriffen abzuwehren) erwähnt4.

Fukushima
In Japan waren Tsunamis und Erdbeben bereits längere Zeit bekannt obwohl die Warnungen
den Betreibern in der Regel erst nach dem Baubeginn der Fukushima-Anlagen zugespielt
wurden. Die Tsunamis und die Stärke der Erdbeben wurden einfach ignoriert. Die
Redundanz der Notstromgeneratoren und Kühlpumpen wurde nicht berücksichtigt. Die
Großanlage Fukushima I wurde als Übungsmodell für das Kraftwerkdesign behandelt. Die
Wartung und die Warnsysteme wurden nachlässig betrieben. So konnte sich mit dem
zufälligen Eintreten der schlimmstmöglichen Wende die Katastrophe voll entwickeln und die
Geschichte von Fukushima zu Ende gedacht werden.

Die Unvorhersehbarkeit
Friedrich Dürrenmatt hat Recht. Bereits die erste vier der 21 Punkte für Physiker reichen aus um die
akzeptable Grenzen der Physikanwendung zu formulieren. Nur versicherbare Systeme sollten als
sicher gelten. Die übrigen Entwürfe sollte man solange in der Überlegungsphase durchkneten, bis
sie wirklich versicherbar sind...
Sollte nach einer intensiven Überlegungsphase trotzdem eine schlimmstmögliche Wende
unvorhersehbar geblieben sein, kann diese nicht mehr als GAU betrachtet werden. Bis zum
Eintreffen existiert sie gewissermaßen gar nicht. Der Super-GAU existiert in einem solchen Entwurf
zunächst nicht bis zur Stunde ihres Erscheinens.

Die Entwurfsmethode als GAU


Da GAUs, obwohl sie bei richtiger Entwurfsmethodik doch vermeidbar wären, immer wieder
stattfinden, werden umgangssprachlich auch bereits eingetroffenen Katastrophen als GAUs
bezeichnet. Das zeigt nur, dass wir das Wort nicht mehr in der exakten Bedeutung des Begriffs
verwenden, sondern auch dass auch die Entwurfsmethode selbst bereits als potentieller GAU
betrachtet werden soll.

4 Quelle: Seite 274 in der niederländischen Übersetzung Dekmantel - De geheime oorlogen van de CIA - van Bob
Woodward (1987) – Englischer Titel: VEIL, the secret wars of the CIA 1981-1987, ISBN 90 269 4360 1
Das Beispiel Fukushima5

Konstruktions- und Managementmängel


Die Liste der Konstruktions- und Managementmängel beim Bau und Betrieb der Fukushima-
Reaktoren ist beeindruckend. Die Fehler scheinen mir vor allem auf Mangel an Phantasie zu
beruhen. Die Entwürfe wurden alle nicht zu Ende gedacht und sind deshalb nicht versicherbar. Die
Versicherungshaftung wurde vom Staat übernommen, der jedoch nicht als seriöser Versicherer
betrachtet werden darf.
• Ein Konstrukteur, der am Bau von fünf der sechs Blöcke beteiligt war, bestätigte dass die für
US-Standorte erstellten Baupläne beim Bau des ersten Reaktors einfach kopiert wurden
ohne das Risiko der Tsunamis zu berücksichtigen.
• Die Kühlsysteme wurden nur für Erdbeben bis zur Stärke 8 auf der Richterskala ausgelegt.
Ein stärkeres Erdbeben habe niemand für möglich gehalten.
• Laut dem am Bau beteiligten Ingenieur Masashi Goto war das Notkühlsystem des
Kraftwerks nicht als Sicherungssystem konzipiert, so dass schon zu Beginn der Unfallserie
vom März 2011 Radioaktivität entwichen sei.
• Der Ingenieur Mitsuhiko Tanaka, der am Bau eines Stahldruckkessels für Reaktorblock 4
beteiligt war, erklärte im März 2011, dass der Kessel sich bei der Herstellung verzogen habe.
Für die Beihilfe einer Vertuschung dieses Schadens habe er einen hohen Jahresbonus und
eine Verdienstmedaille von der Firma erhalten.
• Beim Bau von Fukushima I hatte man die Notstromgeneratoren und Kühlpumpen im
Untergeschoss der Turbinengebäude auf der Meeresseite der Reaktorgebäude angebracht,
wo sie vom Tsunami zerstört wurden und ausfielen.
• Fukushima I sei ein „Übungskurs für Toshiba und Hitachi gewesen, um auf der Basis von
Versuch und Irrtum General Electrics Kraftwerksdesign kennenzulernen“.
• 2002 wurde bekannt, dass Firmenvertreter über 16 Jahre lang Reparaturberichte über Tepcos
Kernkraftwerke gefälscht und den Aufsichtsbehörden in hunderten Fällen
sicherheitsrelevante Vorfälle verschwiegen hatten.
• Die NRC warnte 1990 auch vor den Risiken eines Stromausfalls und Kühlversagen nach
Erdbeben. Tepco habe nicht auf diese Warnungen reagiert. Deshalb könne man die
außergewöhnliche Stärke des Erdbebens vom März 2011 nicht als Entschuldigung gelten
lassen.
• Seit dem Vorstandswechsel 2002 kam es in Fukushima I zu mindestens sechs
Notabschaltungen und einer siebenstündigen kritischen Reaktion in Reaktorblock 3. Auch
diese Vorfälle wurden verschwiegen.
• Vom NISA wurden am 1. März 2011 erhebliche Mängel bei Inspektion und Wartung
nachgewiesen: 33 Geräte und Maschinen in Fukushima I, darunter Kühlpumpen,
Dieselgeneratoren und Temperaturkontrollventile, waren seit 11 Jahren nicht sorgfältig
kontrolliert worden.

5 Details stammen aus Konstruktionsmängel des Kernkraftwerk Fukushima Nr. 1


Abklingbecken als Lagerbassin
In Fukushima ist Block 4 nur deshalb schwer beschädigt worden, weil die Betreiber sich nicht
vorstellen konnten, dass die Kühlung für das Abklingbecken ausfallen könnte. Deshalb kam es bei
einem unbestücktem Reaktor (in dem sich keinen einzigen Brennstab im Reaktorkern befand)
trotzdem zur Wasserstoffexplosion, die das Reaktorgebäude schwer beschädigte.
Das Abklingbecken im Reaktorgebäude war mit 1331 Brennstäben bestückt. In Fukushima wurden
diese Abklingbecken übermäßig für die Lagerung alter Brennelemente genutzt. Es ist nicht die
Technik, die hier versagt hat, sondern die Phantasie des Betreibers und der Aufsichtsbehörde, die
nicht in der Lage waren, sich einen Ausfall aller Kühlsystemen vorherzusehen.

Die Verantwortung des Lizenzgebers


Fukushima Daiichi wurde ab 1971 in Betrieb genommen und ist damit das älteste Kernkraftwerk
der ehemals staatlichen Tōkyō Denryoku (Tokyo Electric Power Company – TEPCO), die auch das
zwölf Kilometer südlich gelegene Kernkraftwerk Fukushima-Daini (Fukushima II) betreibt.
Jeder der sechs Kraftwerksblöcke basiert auf einem Siedewasserreaktor der dritten bis fünften
Generation einer von General Electric entworfenen Baureihe (BWR/3, BWR/4 oder BWR/5). Block
4 wurde von Hitachi gebaut, alle übrigen von General Electric und/oder Toshiba.
In diesem Zusammenhang kann man die Frage stellen, in welchem Umfang der Lizenzgeber eines
so gefährlichen Konzepts für die Überprüfung des Wissensstands seiner Kunden verantwortlich ist.
Am Ende werden die Leute verstehen...
Es war Dürrenmatt, der in seinem Werk die Widersprüchlichkeit unseres Handelns nachgewiesen
hat. Dazu bevorzugte Dürrenmatt das Stilmittel der Verfremdung, in dem der „normale“, das heißt
in diesem Fall der verantwortungslose Physiker als Irrer und die „Abweichler“ sowie „Sonderlinge“
als verantwortungsvolle Wissenschaftler dargestellt werden.
Weil Dürrenmatt nachweisen muss, dass sich die Gesellschaft paradoxerweise aus vielen
Verantwortungslosen und nur wenigen Verantwortungsvollen zusammensetzt, kann man sie nur in
einer Parodie darstellen.
In der heutigen Welt wird die Schuld in der Regel vertuscht und auf anderen Ur-hebern oder Ur-
sachen abgeschoben. Nach Dürrenmatts Ansicht kann man der Unverantwortlichkeit dieser
Gesellschaft deshalb nur als Groteske abbilden.
Der Punktekatalog im Anhang der Physiker, eine Komödie in 2 Akten aus 1962, wurde bereits als
bedeutsamer Leitfaden zur Entwicklung der gefährlichen technischen Anlagen (zum Beispiel
Gentechnologie, Chemiereaktoren, Nuklearanlage) identifiziert6. Dieses reicht mir jedoch nicht als
Nachweis für die prophezeienden Kraft der Physiker. Es müsste auch noch einen Japaner gefunden
werden, der zunächst wie ein Irrer abgestempelt wurde und trotzdem später als ein Held für seinen
Weitblick gefeiert werden konnte. Dieser Held ist der Bürgermeister Kotaku Wamura des
japanischen Küstenorts Fudai, der in seiner Beharrlichkeit die 3000 Fudaier mit einer 16 Meter
übergroßen Schutzmauer vor dem Untergang bewahrte. Im Bericht Riesenmauer rettete japanisches
Dorf vor Tsunami wurden die Details dieses meisterhaften Bürgermeisters dokumentiert.
Demnach wurde dem „unverantwortlichen“ Bürgermeister vor einigen Jahrzehnten
Geldverschwendung vorgeworfen. Den Nachbargemeinden war es gelungen für viel weniger Geld
bedeutend günstigere Schutzwälle zu errichten. In der Stadt Taro wurde ein nur 10 Meter hoher
Wall gebaut, aber am 11. März reichte diese Höhe nicht aus...
Kotaku Wamura wurde kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zum Bürgermeister gewählt und blieb bis
1987 im Amt. Er untersuchte die Wegmarkierungen und Gravuren, welche die Wucht früherer
Tsunamis dokumentierten und leitete daraus gewissenhaft die erforderlichen Abmessungen für die
Schutzvorrichtung ab, die dann 1967 begonnen wurde. Der begnadete Planer hat die Schutzfunktion
seines Bauwerks nicht mehr erlebt, denn er starb 1997 als 88-Jähriger. Jetzt aber ehren ihn die
Bürger an seinem Grab mit Geschenken.
"Auch wenn es Widerstand gibt, habt Vertrauen und beendet, was Ihr begonnen habt", sagte
er bei seiner Verabschiedung zu den Angestellten. "Am Ende werden die Leute verstehen."
Im Sinne Dürrenmatts hatte Kotaku Wamura als verantwortlicher Planer die Geschichte zu Ende
gedacht. In Sinne Dürrenmatts war er zu Lebzeiten ein „Irrer“, der sich entgegen der allgemeinen
Meinung konsequent zum verantwortungsvollen Handeln durchgesetzt hat. Die Bürgermeister der
Nachbargemeinden dagegen wurden damals gefeiert für ihre kostengünstigere Lösungen, die jedoch
der Welle nicht standgehalten haben.
Mit diesen Informationen hätte Dürrenmatt sicherlich das paradoxe Verhalten unserer modernen
Gesellschaft nach dem realen Leben in einer „tragischen“ Komödie verdeutlichen können. Mir
stehen die Fähigkeiten zur Dramatisierung dieser Tragödie nicht zur Verfügung. Es bleibt mir nur
die Bewunderung für die Lebensleistung des Autors Dürrenmatt und für die Besonnenheit und
Weitsicht des Bürgermeisters Kotaku Wamura auszusprechen, den man damals für seine Ideen
durchaus hätte abwählen oder – nach Dürrenmatt – in ein Irrenhaus hätte einweisen können...

6 Es Gibt Keine GAUs Mehr - Es gibt nur noch Super-GAUs


Leider hatte Kotaku Wamura nur die Verantwortung für das 3000-Seelenreiche Fischerdorf Fudai
und nicht für die Region Fukushima, das im Nachhinein noch dringender einen solchen Helden
gebraucht hätte, der eine Geschichte zu Ende denken konnte.
Wohl aber haben die Fischer der japanischen Küstenregion jetzt von Kotaku Wamura gelernt,
welche Bedeutung der Wahl eines weitsichtigen Bürgermeisters beigemessen werden muss.

Paradoxe Regeln
„Ein Drama über die Physiker muss paradox sein.
Im Paradoxen erscheint die Wirklichkeit.“

Die schlimmstmögliche Wende ist unvorhersehbar. Nachdem wir diese Regel akzeptiert haben, gilt
für die nachkommende Entwurfsgeneration:
Ein sicheres System wie ein Kernkraftwerk
kann und sollte daher erst dann geplant werden,
wenn die schlimmstmögliche Wende bereits eingetreten ist.

„Je planmäßiger die Menschen vorgehen,


desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen.“

Je jünger ein Kernkraftwerk ist, desto größer ist auch die Komplexität und somit das Risiko, dass
die schlimmstmögliche Wendung eintritt.

Zusammenfassung
Dürrenmatts Physiker (1961) und vielleicht auch einige „Thesen zum Atomzeitalter“ (1959) von
Günther Anders sollten als Entwurfsbasis jeglicher menschlicher Aktivität verstanden werden.
Als größtes Risiko bei der Einschätzung der schlimmstmöglichen Wenden gilt nicht die Höhe der
Tsunamis oder die Stärke der Erdbeben, sondern die mangelnde Phantasie des Betreibers und der
Aufsichtsbehörden.
Dass es durchaus auch weitsichtige Planer geben, die eine Geschichte zu Ende denken können,
beweist die 16m hohen Schutzmauer, deren Bau der Bürgermeister Kotaku Wamura 1967 für das
Fischerdorf Fudai begonnen hatte und dem Tsunami des 11. März 2011 standgehalten hat.
Nur die mangelnde Phantasie führt zur Unvorhersehbarkeit, und treibt das unbeherrschbare System
in den Ruin. Wer Dürrenmatts Regeln ignoriert bildet wohl auch selbst schon wieder ein Bestandteil
einer noch unvorhergesehenen schlimmstmöglichen Wende...
Es gibt keine GAUs. Es kann nur Super-GAUs geben.

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