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So spannend können Namen sein

Gefürstete Grafschaft Tirol und das Land Vorarlberg 1914

Das folgende Referat trägt den Titel „So spannend können Namen sein“.
Wenngleich ein solcher Titel eher populärwissenschaftlich klingt, zumal er den
Eindruck vermitteln könnte, als sei die Namenforschung eine einfache und
unumstrittene sprachwissenschaftliche Disziplin ‒ so hat das Adjektiv
„spannend“ doch etwas für sich.
Warum kann die Namenforschung spannend sein? Weil wir damit unter
Umständen weit in die Geschichte, ja bis vor unsere Zeitrechnung zurückgehen,

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und weil wir es mit Sprachen zu tun haben können, die schon längst nicht mehr
gesprochen werden, die aber in Namen noch weiterleben.

Zunächst möchte ich etwas ausführlicher über die geografischen Namen


berichten, und später kurz über die Familiennamen.

Der Tiroler Raum zeichnet sich, wie der Ostalpenraum generell, durch eine
besonders hohe Dichte von geografischen Namen aus, die aus unterschiedlichen
Sprachen stammen. Das heißt, die Namen wurden keineswegs alle erst im
Deutschen geprägt, sondern viele von ihnen gab es schon, bevor im Tiroler
Raum Deutsch gesprochen wurde. Ein großer Anteil davon ist romanischer
Herkunft, und eine beachtliche Anzahl stammt aber auch aus vorrömischer Zeit,
d. h. aus einer Zeit, bevor die Römer um das Jahr 15 vor Christus herum den
Alpenraum eroberten.

Jungsteinzeit ca. 5500 bis ca. 4300 v. Chr.

Kupferzeit ca. 4300 bis ca. 2200 v. Chr.

Bronzezeit ca. 2200 bis ca. 800 v. Chr.

Eisenzeit ca. 800 v. Chr. bis nach 0

Was wissen wir über die Zeit vor den Römern? Mit dem Übergang von der
Jäger- und Sammlerkultur zu sesshaften Bauern um etwa 5500 vor Christus
herum gab es im Tiroler Raum wohl spätestens seit dieser Zeit, der
Jungsteinzeit, schon dauerhaft Siedlungsplätze. Nach der Jungsteinzeit kam die
Kupfersteinzeit oder Kupferzeit (ca. 4300 bis ca. 2200 vor Christus), in der um
etwa 3300 herum unser Ötzi lebte. Der Kupferzeit folgte die Bronzezeit (ca.
2200 bis ca. 800), und dieser die Eisenzeit, die noch bis in die Römerzeit
hineinreichte. Historiker und Archäologen hätten vieles über die jeweilige
Periode und deren Charakteristika zu berichten. Leider sind Geschichte und
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Archäologie nicht mein Fachgebiet. Ich kann nur allgemein sagen, dass auf
jeden Fall aufgrund von günstigen klimatischen Bedingungen und von
Fortschritten in der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung und im Hausbau die
Anzahl der Siedlungsplätze im Lauf der Geschichte immer weiter stieg. Die
Menschen, die den Tiroler Raum besiedelten und sich in Sippen oder Stämmen
organisierten, kamen gewiss nicht alle aus ein- und derselben Region, sondern
aus den unterschiedlichsten Richtungen; doch woher genau ‒ das ist die
eigentlich schwierige Frage. Erstmalige schriftliche Erwähnungen von diversen
vorrömischen Stämmen finden wir bei griechischen und römischen
Geschichtsschreibern. Die am häufigsten genannten Stämme sind die Illyrer,
Veneter, Kelten und Räter, doch werden diese oft nur ungefähr auch im
Ostalpenraum oder gar Tiroler Raum lokalisiert, und über deren Sprache wird
auch nur wenig berichtet. Vielfach werden die Stämme auch verwechselt oder
gar unter dem Begriff „Räter“ zusammengefasst ‒ alles Dinge, die durch
Außenstehende leicht passieren konnten.

Tropaeum Alpium

Im Jahr 15 vor Christus eroberten Drusus und Tiberius, die Stiefsöhne des
Kaisers Augustus den Alpenraum und unterwarfen die vorrömischen Stämme.
Auf dem sogenannten Tropaeum Alpium, also dem „Siegesdenkmal der Alpen“,
das nach dem römischen Feldzug im heutigen La Turbie oberhalb von Monaco
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errichtet wurde, sind die Namen von insgesamt 46 von den Römern besiegten
Stämmen oder Völkerschaften aufgelistet, u. a. in der hier berücksichtigten
Reihenfolge sind dies die

VENOSTES, ISARCI, BREVNI, GENAVNES, FOCVNATES und


VINDELICORVM GENTES QVATTVOR. Das heißt also die Venosten,
Isarken, Breonen, Genaunen, Fokunaten und vier Stämme, die zu den
Vindélikern gehören. Wenn man die Reihung dieser Namen ernstnimmt, dann
beziehen sie sich offensichtlich auf Stämme im nachmaligen Tiroler Raum. Dass
die Venosten im Vinschgau und die Isarken im Eisacktal zu lokalisieren sind, ist
sehr naheliegend. Die Breonen werden dagegen als Hauptstamm des Wipptals
und des Inntals sowohl westlich als auch östlich von Innsbruck betrachtet.
Unsicher ist man sich bei der lokalen Zuordnung der Genaunen und Fokunaten.
Auf jeden Fall müssen es Gebiete im heutigen Nordtirol gewesen sein, weil die
Genaunen und Fokunaten zwischen den Breonen und den Vindélikern erwähnt
werden. Und das Siedlungsbeit der Vindéliker erstreckte sich entlang des Lechs
(man denke nur an Augusta Vindelicorum also „Augusta der Vindéliker“ für das
heutige Augsburg etwa im Gegensatz zu Augusta Praetoria für das heutige
Aosta). Über die Sprache all der im Tropaeum Alpium aufgezählten
Völkerschaften und über eventuelle Verwandtschaftsbeziehungen untereinander
ist nichts zu erfahren. Außenstehende, wie in diesem Fall die Römer, taten sich
sicher schwer, die einzelnen Sprachen dieser Stämme genau voneinander zu
unterscheiden oder gar zu verstehen. Einen kleinen Teil zur Beantwortung der
Frage, um welche Sprachen es sich denn handelte, könnte vielleicht die
Namenforschung beitragen. Im Grunde alles, was uns mittelbar und unmittelbar
von vorrömischen Sprachen blieb, sind die geografischen Namen. Diese wurden
von Generation zu Generation, von Sprachschicht zu Sprachschicht
weitergereicht, und dies lange schon bevor es die Tradition des Lesens und
Schreibens gab. Von jeder Sprachschicht die neu dazukam, übernahm jede einen
Teil von dem bereits da gewesenen Namengut, formte die übernommenen
Namen nach ganz bestimmten Sprachgesetzen um und prägte daneben neue
Namen in der eigenen Sprache. Welches sind nun die Sprachen, die wie gesagt
vorwiegend nur mehr in Namen fortleben, im Einzelnen?

Mediterrane Restsprachen

Die älteste greifbare Sprache im Tiroler Raum könnte vielleicht bis in die
Jungsteinzeit zurückreichen. Sie ist sicher nicht indogermanisch, also nicht mit
dem Venetischen, Illyrischen, Keltischen, Lateinischen oder Slawischen
verwandt. Vielmehr zeigt sie Affinitäten mit vorgeschichtlichen Sprachen des
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Mittelmeerraumes, zum einen im Süden und Südosten, zum anderen im Norden
um Ligurien.

Zu dieser ältesten Sprachschicht könnten die Namen Schlanders, Villanders,


Latschander (Talverengung zwischen Latsch und Kastelbell) und Malander
(Gipfel in den Ötztaler Alpen) gehören. Die Nachsilbe -ander erinnert nämlich
an Namen wie Salandra, einen Ort in der Basilicata in Süditalien, und
Maíandros, den Namen für einen krümmungsreichen Fluss in Phrygien (woher
das Lehnwort Mäander stammt). Auch eine Nachsilbe -ik-s, so wie sie nicht nur
im lateinischen Wort larix ‘Lärche’, sondern auch im Namen Etsch (< *Atiks)
zugrunde liegt, stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus einer mediterranen
Restsprache. Schließlich seien die Elemente -ask-, -usk- genannt, so z. B. in den
Namen Leutasch (Gemeinde auf dem Seefelder Plateau) und Malosco
(Gemeinde am Nonsberg). Die Suffixe -ask-, -usk- wurden ins Romanische
entlehnt und konnten dort noch produktiv sein. Ich erinnere an Ableitungen wie
Bergamasco, Comasco. Im Jahr 1394 ist für den Vinschgau beispielsweise eine
Via Tartzasca erwähnt, was somit Tartscher Weg bedeutet. Ein Name wie
Mendel mutet ebenfalls sehr alt und nicht indogermanisch an, erinnert er doch
an das baskische Wort mendi, was soviel wie ʻBerg, Bergweideʼ bedeutet. Das
Baskische ist übrigens die älteste Sprache Europas und mit keiner lebenden
Sprache der Welt verwandt. Die Vorläufer des Baskischen könnten in
vorgeschichtlicher Zeit auch in Mitteleuropa verbreitet gewesen sein.

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Urheimat der Indogermanen

Neben dem Keltischen, zu dem ich später noch berichten werde, existierten im
Tiroler Raum zwei weitere vorrömisch-indogermanische Sprachen. Die
Urheimat der Indogermanen ist nach älterer Auffassung das südliche Russland,
nach jüngerer Auffassung Anatolien, also jener Teil der heutigen Türkei, der zu
Vorderasien gehört. Die Ausbreitung der Indogermanen und damit die
Aufspaltung der Ursprache oder der Grundsprache in indogermanische
Einzelsprachen, zu denen mit Ausnahme des Baskischen, Finnischen und
Ungarischen, alle europäischen Sprachen gehören, begann laut jüngsten
Erkenntnissen schon 6700 vor Christus. In die Regionen Mitteleuropas
gelangten die Indogermanen etwa um ca. 4000 vor Christus. Wann einzelne
indogermanische Stämme den Tiroler Raum erreichten und ob demnach unser
Ötzi bereits Indogermane war oder einem ursprünglich vom Mittelmeeraum
kommenden Volk angehörte, können wir nicht mit Gewissheit sagen. Auf jeden
Fall ist für die Bronzezeit eine Verdichtung der Bevölkerung zu verzeichnen,
und es spricht nichts dagegen, dass spätestens jetzt mindestens zwei
indogermanische Völker und somit Sprachen auch im Tiroler Raum und im
weiteren Sinne im Ostalpenraum wohl von Norden her kommend Fuß fassten.
Teile davon könnten nach Italien weitergewandert sein, und deren Sprache
könnte dann die Grundlage für die italischen Sprachen gebildet haben, aus denen
als wichtigste das Lateinische hervorging. Jener Anteil, der jedoch im
Ostalpenraum und somit auch in Tirol verblieb und sich dort entfaltete, wird
traditionell unter Veneter und Illyrer subsumiert. Durch diese Terminologie
besteht jedoch eine Verwechslungsgefahr, und zwar mit den eigentlichen
Venetern, deren Sprache in vorgeschichtlicher Zeit im östlichen Oberitalien
inschriftlich belegt ist, und den eigentlichen Illyrern, die auf dem Balkan
beheimatet waren.

Ostalpenindogermanisch A (Oaidg.A)
und Ostalpenindogermanisch B (Oaidg.B)

Um eine Verwechslung zu vermeiden, möchte ich die Sprecher, die uns hier
jetzt interessieren, als Ostalpenindogermanen bzw. deren Sprache als
„Ostalpenindogermanisch“ bezeichnen, und bei genaueren einzelsprachlichen
Indizien unterscheide ich zwischen dem Typ „Ostalpenindogermanisch A“
(vormals Venetisch) und dem Typ „Ostalpenindogermanisch B“ (vormals
Illyrisch).

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Welches sind nun die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zwischen dem
Ostalpenindogermanischen A und B? Ich werde nun versuchen, das Ganze eher
veinfachend auszudrücken: In der indogermanischen Grundsprache gab es
stimmhafte Verschlusslaute: *bh, *dh, *=h / *gh. In der A-Sprache des
Ostalpenindogermanischen wurden diese Verschlusslaute zu stimmlosen
Reibelauten, also f, þ (wie engl. th in thing), χ (etwa wie ch in Nacht) und in der
B-Sprache zu b, d, g. Ferner gab es in der indogermanischen Grundsprache die
sogenannten silbischen Liquiden und Nasale {, [, ], }. Diese entwickelten sich
im Ostalpenindogermanischen A zu ir, il, im, in und im
Ostalpenindogermanischen B zu ur, ul, um, un. Schließlich blieb idg. kurzes o,
wenn es betont war, in der A-Sprache als solches erhalten, während es in der B-
Sprache kurzes a ergab.

Nun folgen einige konkrete Beispiele: Für die indogermanische Grundsprache


wird beispielsweise ein Wort *bh{=h-ú- erschlossen, das soviel wie ‘hoch’
bedeutete. Dieses *bh{=h-ú- könnte in den Namen Virgl und Bergisel
weiterleben. Der Name Virgl wäre oaidg.A, weil sich *firg-u-lo ansetzen ließe,
und *firg- direkt idg. *bh{=h-ú- reflektieren könnte. Die ältesten Belege von
Bergisel lauten dagegen Burgusinum (1140), Purguesens, (1267), Purgusels
(1305), haben also in der ersten Silbe -u-, nicht -e- wie in Berg! Das Element
Burg- könnte oaidg.B sein und ebenfalls idg. *bh{=h-ú- fortsetzen. Was ich damit
sagen möchte: Virg- in Virgl und Berg- in Bergisel sind historisch betrachtet
Gleichungen. Sie stammen beide von derselben Vorlage und haben sich
einzelsprachlich unterschiedlich entwickelt. Die Bedeutung beider Namen
könnte ʻErhebungʼ gewesen sein. Mit Virgl und Bergisel ist freilich auch unser
Wort Berg verwandt, nur stammt dieses nicht aus *bh{=h-ú-, sondern aus der e-
haltigen (vollstufigen) Wurzel idg. *bher=h-. Direkt verwandt mit Bergisel und
Virgl wäre dagegen unser Wort Burg, das ursprünglich ʻbefestigte Anhöheʼ
bedeutete. Andererseits könnte unser Wort Burg auch von bergen kommen und
demnach ʻOrt, wo man sich birgt oder verstecktʼ bedeuten. Ähnlich wie der
Name Burgeis. Dieser ist sicher nicht erst deutsch, sondern er stammt aufgrund
des Elements Burg- ebenfalls aus dem Ostalpenindogermanischen B. Die
indogermanische Wurzel wäre in diesem Fall also weniger jene für ʻhochʼ oder
ʻBergʼ, sondern idg. *bhergh- ‘beachten, bewahren, bergen’, die auch im
deutschen Verb bergen und vielleicht auch in Burg vorliegt. Oaidg.B *bargōsjo-
könnte daher vielleicht ‘Bergendesʼ, also ʻOrt, an dem man sich birgtʼ bedeutet
haben. Durchaus dieselbe Wurzel wie Bergisel und damit wie Virgl könnte
dagegen der Name Virgen im heutigen Osttirol beinhalten.
Aufgrund der genannten einzelsprachlichen Kriterien lassen sich weitere Namen
genauer zuordnen.

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Der Name Kortsch ließe wegen des o auf oaidg.A *χord-jo- ‘Hürde,
Einfriedung’ abbilden. Die Wurzel wäre idg. *gherdh- ‘umschließen, umgürten’.
Dieselbe Wurzel könnte dem Namen Garda zugrundeliegen. Nur wäre in
diesem Fall der Name Garda nicht oaidg.A, sondern oaidg.B, was allein schon
am a zu erkennen ist. Beide Namen, sowohl Kortsch als auch Garda, wären mit
lat. hortus ʻGartenʼ und freilich mit unserem Wort Garten urverwandt.

Eine weitere Gleichung wäre Tilfuss (Almgebiet in der Leutasch) vs. Tulfes (bei
Innsbruck). Die Wurzel wäre idg. *tel-, *telə-, *telu- ʻflach, flacher Boden,
Brettʼ. Verwandt mit diesem Namen wären unser Wort Diele und lat. tellus,
tellūris ʻErde, Erdbodenʼ.

Zu vergleichen wären auch Namen wie Stilfs, Stilfes mit Stuls. Die idg. Wurzel
wäre *stel- ʻhinstellen, bereit machenʼ bzw. vokallos (schwundstufig) *st[-.
Dieses *st[- konnte im Oaidg.A *stil- und im Oaidg.B *stul- ergeben und
unterschiedlich erweitert werden. Oaidg.A *stilwo- bzw. oaidg.B *stullo- könnte
vielleicht soviel wie ʻHingestelltesʼ oder ʻAufgestelltesʼ und demnach wohl
ʻStallʼ oder ʻHütteʼ bedeutet haben und wäre freilich mit unserem Wort Stall
urverwandt.

Auch die Namen Tramin und Termón (Fraktion der Gemeinde Campodenno am
Nonsberg) könnten eine Gleichung darstellen. Tramin wäre oaidg.A und Termón
wäre oaidg.B. Ansetzen ließe sich oaidg.A *tramínno- bzw. oaidg.B *tra-
múnno-. Der Name wäre zusammengesetzt aus trā- < idg. *treh2- ‘durch, über’,
und *minno- bzw. *munno-, zu idg. *menH- ‘treten, stampfen’ (?). Als Ganzes
könnten Tramin bzw. Termón wörtlich ʻDurchtretenes, Durchstampftesʼ
bedeutet und sich somit z. B. auf eine häufig von Mensch oder Tier begangenes
Gelände (oder einen Weg?) Weg bezogen haben. Alternativ könnte das erste
Element in Tramin und Termón idg. *tri- ʻdreiʼ sein, wie es in Komposita
vorkommt. Oaidg.A *trimínno bzw. oaidg.B *trimúnno- könnte dann soviel wie
ʻDrei Wegeʼ, also gewissermaßen ʻWegscheideʼ bedeutet haben. Das Element
tri- wäre dann dasselbe wie in lat. tri-, z. B. in trivium ʻWegscheideʼ und freilich
in unserem Zahlwort drei.

Taufers. Dieser Name tritt in Tirol mehrfach auf: zweimal im Obervinschgau,


im Ötztal, im Pustertal. Ansetzen ließe sich oaidg.A *þúb-ro- ‘Talverengung’,
zu idg. *dhe—-b- ‘tief, hohl’. Der den Romanen fremde Laut þ wurde durch t
substituiert.
Timmel. Für diesen Namen käme oaidg.A *þim-lo- ‘nebeliges Gebiet’ < *dh]-
ló-, zu idg. *dhem-, *dhemə- ‘stieben, rauchen (Rauch, Dunst, Nebel)’ in Frage.

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Oaidg.A könnte der Name Rentsch sein. Annehmen ließe sich oaidg.A *wrong-
jo- ‘Wiesengelände’, dies aus ‘Aufbiegung’, zu idg. *wreng- ‘verdrehen,
(ver)biegen’. Der Name Rentsch wäre wahrscheinlich dasselbe wie Auronzo,
dessen alter deutscher Name ebenfalls Rentsch lautet.

Einige Namen, die aus dem Ostalpenindogermanischen B stammen könnten,


wären: Mals < oaidg.B *mallo- < *mol-no-, zu idg. *mel¾- ʻhervorkommenʼ.
Tschars < oaidg.B *skardo- ʻansteigendes Geländeʼ. Laatsch, Ladis < oaidg.B
*lautu- ʻWaschplatzʼ, zu idg. *leu¾- ʻwaschen‘.

Viele Namen sind ebenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit


ostalpenindogermanisch. Doch aufgrund mangelnder einzelsprachlicher Indizien
sind diese Namen weder der A- noch der B-Sprache eindeutig zuordenbar.
Solche Namen sind z. B. Afers, Leifers oder Auer. Afers könnte von oaidg.
*ápero- ʻhinteres (zu ergänzen mit Tal, Gebiet oder dgl.)ʼ herstammen. Der
Name Leifers könnte sich auf oadig. *libro- abbilden lassen, was wortwörtlich
ʻSchleifendes, Gleitendesʼ bedeutete und sich demnach auf vielleicht auf eine
Rinne, eine „Reif“ bezog. Der Name Auer muss vor seiner Romanisierung
*Agōra gelautet haben, dafür spricht das Fassaner Exonym Aóra. Denkbar wäre
ein Zusammenhang mit dem griechischen Wort agorá ʻMarktplatzʼ.

Rätisch

Kommen wir jetzt auf eine andere Sprache zu sprechen: das Rätische. Im
Gegensatz zum Ostalpenindogermanischen ist das Rätische eine nicht-
indogermanische Sprache. Beim Rätischen handelt es sich um eine
Schwestersprache des Etruskischen, also jener Sprache, deren Kerngebiet
Etrurien, das ist in etwa die heutige Toskana, war. Das Rätische ist die Sprache
der bemerkenswerten Fritzens-Sanzeno-Kultur. Es ist die erste Sprache im
Alpenraum, die Inschriften hinterlassen hat. Es handelt sich um ca. 100 so
genannte rätische Inschriften, die in einem Runenalphabet auf Eisen, Knochen,
Ton, Keramik und sonstigen verzierten Kunstgegenständen eingeritzt wurden. In
einem Fall wurden Inschriften auch auf einem Felsen eingeritzt. Es handelt sich
um eine Inschrift am Schneidjoch der Gemeinde Steinberg am Rofan. Es ist die
längste zusammenhängende rätische Inschrift überhaupt, und aufgrund der
naheliegenden Quelle wird ihr kultische Funktion zugesprochen.

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Rätische Felsinischrift am Schneidjoch

Ein typisches lautliches Charakteristikum des Rätischen ist z. B. das Fehlen des
Vokals o. Über das Rätische ist nur sehr wenig bekannt. Dank der ca. 100
überlieferten rätischen Inschriften weiß man aber, dass es im Rätischen üblich
war, mittels der Nachsilbe -na Ableitungen von Personennamen zu bilden. Auf
kunstvoll gefertigten Gegenständen, die vermutlich kultischen Charakter hatten,
wurden oft der Name und die familiäre Herkunft des Weihenden und der Name
der Gottheit eingeritzt, dem der Gegenstand geweiht war. Das Suffix -na
bedeutete wahrscheinlich ‘Sohn, Tochter’ oder ‘Gegenstand eines Soundso’ und
drückte somit Zugehörigkeit aus.

Dasselbe rätische Zugehörigkeitssuffix könnte m. E. auch in zahlreichen


Ortsnamen des Tiroler Raumes vorliegen, und in diesen Fällen würde -na aber
nicht ‘Sohn oder Tochter eines X’, sondern vielmehr ‘Gebiet eines X’ bedeuten.
Einige Beispiele für rätische Ortsnamen sind: Brixen < rät. *Príkse-na ‘Gebiet
eines *Prikse’, Ulten < rät. *Ulþe-na ʻGebiet eines *Ulþeʼ. Von den Etruskern
ist uns der Name Larth Ulthes für einen berühmten etruskischen Krieger
überliefert. Larth war Vorname und Ulthes war Beiname. Der Beiname Ulthes,
der wahrscheinlich eine Ableitung von einem ursprünglichen Personennamen
ist, lässt sich vom rätischen Vornamen *Ulthe sprachlich unschwer trennen. Ein
weiterer rätischer Name könnte Tisens sein. Er ließe sich abbilden auf rät. *Tisi-
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na ʻGebiet eines *Tisiʼ. Ebenfalls rätische Namen wären Vipitenum < rät.
*Wipiþe-na ʻGebiet eines *Wipiþeʼ; Wilten < rät. *Weldide-na ʻGebiet eines
*Weldideʼ.

Eine weitere im Etruskischen und Rätischen bezeugte Nachsilbe ist -ale. Diese
bedeutete ʻim Bereich von Soundso gehörigʼ. Der Name Tirol könnte z. B.
dieses Suffix -ale beinhalten. Rätisch *Tir-ale würde somit ʻim Bereich eines
*Tir- gehörigʼ bedeutenʼ. Vergleichbar mit *Tirale wäre Senale, der italienische
Name für Unsere liebe Frau im Walde, Tonale am Übergang zwischen dem
Sulzberg und der Valcamonica und Romallo am Nonsberg.

Keltisch

Als letzte der vorrömischen Sprachen ist schließlich das Keltische zu nennen.
Während man früher dem Keltischen im Alpenraum eine große Bedeutung
beimaß, scheint man in letzter Zeit von der Meinung, dass das Keltische vor der
Römerzeit im Tiroler Raum relativ dominant war, immer mehr abzukommen.
Nicht nur aufgrund von archäologischen Erkenntnissen, auch angesichts des
namenkundlichen Befundes scheint sich immer mehr abzuzeichnen, dass viele
der vermeintlich keltischen Namen in Wirklichkeit noch älter sind und sich nicht
selten einer der beiden ostalpenindogermanischen Sprachschichten zuordnen
ließen. Keltische Namen finden wir am ehesten im Raum Pustertal, also jenem
Gebiet, das bereits in vorgeschichtlicher und noch in römischer Zeit zu Noricum
gehörte. Keltischen Ursprungs scheinen Namen zu sein, die die Nachsilbe -ācon,
-āca oder -icon, -ica beinhalten. Namen wie Luttach, Toblach, Vierschach,
Tilliach scheinen mit der typisch keltischen Nachsilbe -āko- gebildet zu sein,
und sie könnten ʻGebiet eines Lucotos, Duplos, Virisios, Tiliosʼ bedeuten. Auch
der Name Olang könnte vielleicht keltischer Herkunft sein und *Aulāca ʻGebiet
eines Aulosʼ fortsetzen. Wie Noricum scheint z. B. der Name Innichen, nämlich
aus *Índika, gebildet zu sein.

Namen mit unsicherer oder mehrfacher Zuordnung

Neben mit einiger Gewissheit zuordenbaren Namen gibt es eine Reihe von
Namen, die sehr schwer einer der genannten Sprachen zugeordnet werden
können. Folglich ist es auch schwierig, etwas über die ursprüngliche Bedeutung
herauszufinden. Solche Namen sind z. B. Bruneck oder Branzoll, die zum
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Beispiel ostalpenindogermanisch B, aber auch keltisch sein könnten. Die Namen
Aldein und Radein könnten dagegen ostalpenindogermanisch A oder B, keltisch
oder vielleicht auch rätisch sein. Mit Sicherheit nicht indogermanisch ist der
Name Etsch, wohl auch der Name Eisack. Ein Problemfall ist schließlich auch
der Name Inn. Wenn er indogermanisch ist, würde ich ihn zur Wurzel idg.
*¾e–d- ʻschwellenʼ stellen. Eine Bildung *¾id-no- konnte sowohl in den beiden
ostalpenindogermanischen Sprachen als auch im Keltischen *Inno- ergeben.
Daneben scheint es die Dublette *¾oid-no- gegeben zu haben, und diese konnte
im Ostalpenindogermanischen A und Keltischen zu *Oino- und im
Ostalpenindogermanischen B zu *Aino- führen. Bei antiken
Geschichtsschreibern ist der Name für den Inn in einem Formenreichtum
überliefert, der auf *Oino-, *Aino- und *Inno- hinweist. Die Form, die
letztendlich überlebt hat, ist *Inno-. Nur aus dieser kann nicht nur der deutsche
Name Inn, sondern auch der rätoromanische Name En bzw. das alte italienische
Exonym Enno oder Eno stammen.

Romanisch

Über die Eroberung des Alpenraums durch die Römer Drusus und Tiberius im
Jahr 15 vor Christus habe ich bereits berichtet. Wohl bereits im 2. Jahrhundert
nach Christus gewann die Sprache der Römer die Überhand und assimilierte die
älteren Sprachen mehr und mehr. Die geografischen Namen wurden dabei zu
einem beachtlichen Teil von den Römern bzw. späteren Romanen nicht
verdrängt, sondern ins Lateinische bzw. spätere Romanische mit übernommen.
Im Hochmittelalter bildeten sich ‒ immer auf der Grundlage des Lateinischen
bzw. Romanischen ‒ im romanisch gebliebenen Teil Tirols zwei relevante
Sprachen heraus: Das Ladinische im Nordosten bzw. das Romantsch im
Nordwesten und das Italienische lombardisch-venezianischer Prägung im Süden
(d. h. in Welschtirol).

Die romanischen Namen im Tiroler Raum sind freilich sehr zahlreich.


Stellvertretend möchte ich hier die romanischen Prädialnamen auf -ānum
erwähnen, die besonders im Etschtal weit verbreitet sind. Dieses -ānum drückt
Zugehörigkeit aus (man denke z. B. an Roma ʻRomʼ ‒ Romānum ʻzu Rom
gehörig, römischʼ). Bei den -ānum-Namen handelt es sich genaugenommen um
Prädialnamen, d. h. sie bedeuten ʻGut einer Person namens Soundso gehörig;
Gut eines Soundsoʼ. Einige dieser sehr zahlreichen Prädialnamen sind:
*Baudiānum > Bozen, *Appiānum > Eppan, *Cornēliānum > Girlan,
*Taurilānum > Terlan, *Vulpiānum > Vilpian, *Garganzānum > Gargazon,
*Variānum > Vöran, *Mariānum > Meran usw.
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Die römische Provinz Rätien (bis vor 300)

Slawisch

In Teilen des heutigen Osttirol kam ab etwa 300 nach Christus das Slawische
hinzu, wo es sich bis ins Hochmittelalter herauf neben dem Romanischen und
Deutschen halten konnte. Als der westlichste slawische Name auf Tiroler Boden
wird traditionell Assling mit slaw. *asenь ʻEscheʼ betrachtet. Slawische Namen
sind östlich von Assling weit verbreitet: Lesach, Leisach, Tristach, Dölsach,
sind nur einige davon. Vielleicht auch sind auch Defereggen, Prägraten, Kals,
Debant slawischen Ursprungs.

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Germanisch

Vermutlich spätestens seit dem 6. Jahrhundert ließen sich im Tiroler Raum


erstmals deutsche Siedler dauerhaft nieder. Dabei handelte es sich anfänglich
wohl kaum um Bajuwaren, sondern vielmehr um Franken. Auf jeden Fall
gehörte die Sprache der Siedler, egal ob Franken oder Bajuwaren, genauso wie
das Alemannische, zum sogenannten Althochdeutschen. Aus dem
Althochdeutschen entwickelte sich um ca. 1050 das Mittelhochdeutsche, das in
Tirol durch den Aufstieg der Grafen von Tirol typisch bairische Ausprägungen
erfuhr. Aus dem Mittelhochdeutschen ging um ca. 1350 das Neuhochdeutsche
hervor, das im Tiroler Raum bairisch geprägt war und immer noch ist.

Die meisten Namen für Orte waren bis zur Zeit der Eindeutschung bereits von
den Völkern, die vorher da waren, bereits vergeben. Nur wenige deutsche
Namen wurden geprägt.

Ein uns allen gut bekanntes Beispiel ist Neumarkt, neben dem sich der ältere
Name Egna im Italienischen halten konnte. Aber auch ansonsten wurden neben
den bereits bestehenden vordeutschen Namen deutsche Namen geschaffen,
während sich die vorrömischen Namen im Romanischen halten konnten:
Enneberg für Mareo, Wengen für La Val, Sankt Ulrich für Urtijëi. Weitere erst
im Deutschen entstandene Ortsnamen sind z. B. Freienfeld aus Freudenfeld,
Gries dessen Bedeutung, nämlich ʻSandʼ heute noch von Lajen erkennbar ist.
Weniger erkennbar ist dagegen die Bedeutung von Gsies. Dies stammt aus
älterem *Gesieße und bedeutete soviel wie ʻmorastiges Gebietʼ. Weitaus höher
wird der Anteil der deutschen Namen, wenn sich diese auf kleinere Örtlichkeiten
und auf Flurnamen beziehen. Dies hängt insbesondere mit dem
hochmittelalterlichen Siedlungsausbau und der damit einhergehenden
Umwandlung von Naturlandschaft und Kulturlandschaft zusammen. Deutsche
Namen sind z. B. Reschen und Brenner. Beide waren ursprünglich Hofnamen
und bezeichneten den ehemaligen Hofbewohner: bei dem Reschen, d. h. ʻbei
dem Schnellen, Munteren, Lebhaftenʼ. Brenner bezeichnete dagegen
ursprünglich einen Mann, der Brandrodung betreibt. Aber neben den vielen
deutschen Namen konnten sich auch zahlreiche vordeutsche, ja gar vorrömische
Flurnamen halten, die mitunter zu Familiennamen werden konnten.

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Familiennamen

Und damit sind wir nun bei den Familiennamen. Seit wann gibt es
Familiennamen, und warum sind Familiennamen überhaupt entstanden?
Familiennamen gibt es seit ca. 600 Jahren. Familiennamen sind entstanden, um
eventuelle Verwechslungen zwischen Personen, die denselben Vornamen
trugen, zu vermeiden. Ursprünglich waren Familiennamen nur Beinamen, und
diese Beinamen wurden vor ca. 600 Jahren zu Familiennamen: Eine Person trug
beispielsweise den Beinamen Taler, weil sich ihr Hof oder ihre Wohnstätte in
einem Tal befand. Eine andere Person erhielt den Beinamen Schmied, weil sie
den gleichnamigen Beruf ausübte. Durch die rapide zunehmende schriftliche
Verwaltung um 1400 wurde eine exakte Personenidentifizierung immer mehr
erforderlich. Und um die genealogischen Zusammenhänge besonders zu
Verwaltungszwecken durchschaubar zu machen, wurde der Beiname des
männlichen Vorfahren auf dessen Kinder übertragen. Der Beiname Taler oder
Schmied wurde daher auf die Nachfahren dieser Person übertragen, und dies
selbst dann, wenn die Nachfahren nicht mehr im besagten Tal aufwuchsen oder
nicht mehr die Tätigkeit eines Schmiedes ausübten. Ab diesem Zeitpunkt wurde
aus einem Beinamen ein Familienname. Und an alle übrigen Nachfahren dieses
Nachfahren wurde dieser Familienname ebenfalls weitertradiert ‒ und dies über
Jahrhunderte hindurch bis heute. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang,
dass im mündlichen Sprachgebrauch die Familiennamen kaum Verwendung
finden, zumal ihnen hier – vor allem im bäuerlichen Milieu – nach wie vor keine
wesentliche Bedeutung beigemessen wird. Die Personen werden nämlich nach
dem Hof, auf dem sie wohnen, benannt, oder nach einem ihrer Vorfahren. Auf
jeden Fall geht es darum, jeden Menschen nicht nur durch einen Vornamen,
sondern auch durch einen Familiennamen, und im Tiroler Dialekt durch einen
Beinamen oder Hofnamen, möglichst weitgehend zu individualisieren. Während
Familiennamen wie gesagt durchschnittlich eine 600 Jahre alte Tradition haben,
ist die Tradition der Gebung von Beinamen dagegen noch um einige
Jahrhunderte älter, und in der bodenständigen Sprache lebt sie auf mündlicher
Ebene immer noch fort.
Das war jetzt in aller Kürze, was es über Familiennamen zu berichten gibt. Auf
jeden Fall können auch Familiennamen spannend sein wie geografische Namen.
Und ich bin jetzt gespannt auf Ihre Fragen. Vielen Dank für die
Aufmerksamkeit!

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