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Adalbert Stifter: Vorrede zu „Bunte Steine“ (1853)

Weil wir aber schon einmal von dem Großen


Es ist einmal gegen mich bemerkt worden, daß
und Kleinen reden, so will ich meine Ansichten
ich nur das Kleine bilde, und daß meine
darlegen, die wahrscheinlich von denen vieler
Menschen stets gewoö hnliche Menschen seien.
anderer Menschen abweichen. Das Wehen der
Wenn das wahr ist, bin ich heute in der Lage,
Luft, das Rieseln des Wassers, das Wachsen
den Lesern ein noch Kleineres und
der Getreide, das Wogen des Meeres, das
Unbedeutenderes anzubieten, naö mlich allerlei
Gruö nen der Erde, das Glaö nzen des Himmels,
Spielereien fuö r junge Herzen. Es soll sogar in
das Schimmern der Gestirne halte ich fuö r groß:
denselben nicht einmal Tugend und Sitte
das praö chtig einherziehende Gewitter, den
gepredigt werden, wie es gebraö uchlich ist,
Blitz, welcher Haö user spaltet, den Sturm, der
sondern sie sollen nur durch das wirken, was
die Brandung treibt, den feuerspeienden Berg,
sie sind. Wenn etwas Edles und Gutes in mir
das Erdbeben, welches Laö nder verschuö ttet,
ist, so wird es von selber in meinen Schriften
halte ich nicht fuö r groö ßer als obige
liegen, wenn aber dasselbe nicht in meinem
Erscheinungen, ja ich halte sie fuö r kleiner, weil
Gemuö te ist, so werde ich mich vergeblich
sie nur Wirkungen viel hoö herer Gesetze sind.
bemuö hen, Hohes und Schoö nes darzustellen, es
Sie kommen auf einzelnen Stellen vor und sind
wird doch immer das Niedrige und Unedle
die Ergebnisse einseitiger Ursachen. Die Kraft,
durchscheinen. Großes oder Kleines zu bilden,
welche die Milch im Toö pfchen der armen Frau
hatte ich bei meinen Schriften uö berhaupt nie
emporschwellen und uö bergehen macht, ist es
im Sinne, ich wurde von ganz anderen
auch, die die Lava in dem feuerspeienden
Gesetzen geleitet. Die Kunst ist mir ein so
Berge emportreibt und auf den Flaö chen der
Hohes und Erhabenes, sie ist mir, wie ich
Berge hinabgleiten laö ßt. Nur augenfaö lliger sind
schon einmal an einem anderen Orte gesagt
diese Erscheinungen und reißen den Blick des
habe, nach der Religion das Hoö chste auf Erden,
Unkundigen und Unaufmerksamen mehr an
so daß ich meine Schriften nie fuö r Dichtungen
sich, waö hrend der Geisteszug des Forschers
gehalten habe, noch mich je vermessen werde,
vorzuö glich auf das Ganze und Allgemeine geht
sie fuö r Dichtungen zu halten. Dichter gibt es
und nur in ihm allein Großartigkeit zu
sehr wenige auf der Welt, sie sind die hohen
erkennen vermag, weil es allein das
Priester, sie sind die Wohltaö ter des
Welterhaltende ist. Die Einzelheiten gehen
menschlichen Geschlechtes; falsche Propheten
voruö ber, und ihre Wirkungen sind nach
aber gibt es sehr viele. Allein wenn auch nicht
kurzem kaum noch erkennbar. Wir wollen das
jede gesprochenen Worte Dichtung sein
Gesagte durch ein Beispiel erlaö utern. Wenn ein
koö nnen, so koö nnten sie doch etwas anderes
Mann durch Jahre hindurch die Magnetnadel,
sein, dem nicht alle Berechtigung des Daseins
deren eine Spitze immer nach Norden weist,
abgeht. Gleichgestimmten Freunden eine
tagtaö glich zu festgesetzten Stunden
vergnuö gte Stunde zu machen, ihnen allen
beobachtete und sich die Veraö nderungen, wie
bekannten wie unbekannten einen Gruß zu
die Nadel bald mehr bald weniger klar nach
schicken, und ein Koö rnlein Gutes zu dem Baue
Norden zeigt, in einem Buche aufschriebe, so
des Ewigen beizutragen, das war die Absicht
wuö rde gewiß ein Unkundiger dieses Beginnen
bei meinen Schriften und wird auch die
fuö r ein kleines und fuö r Spielerei ansehen: aber
Absicht bleiben. Ich waö re sehr gluö cklich, wenn
wie ehrfurchterregend wird dieses Kleine und
ich mit Gewißheit wuö ßte, daß ich nur diese
wie begeisterungerweckend diese Spielerei,
Absicht erreicht haö tte
wenn wir nun erfahren, daß diese
Beobachtungen wirklich auf dem ganzen

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Erdboden angestellt werden, und daß aus den die einzelnen Erscheinungen immer tiefer, und
daraus zusammengestellten Tafeln ersichtlich es erhob sich das Gesetz immer hoö her, die
wird, daß manche kleine Veraö nderungen an Wunderbarkeiten hoö rten auf, das Wunder
der Magnetnadel oft auf allen Punkten der nahm zu.
Erde gleichzeitig und in gleichem Maße vor So wie es in der aö ußeren Natur ist, so ist es
sich gehen, daß also ein magnetisches auch in der inneren, in der des menschlichen
Gewitter uö ber die ganze Erde geht, daß die Geschlechtes. Ein ganzes Leben voll
ganze Erdoberflaö che gleichzeitig gleichsam ein Gerechtigkeit, Einfachheit, Bezwingung seiner
magnetisches Schauern empfindet. Wenn wir, selbst, Verstandesmaö ßigkeit, Wirksamkeit in
so wie wir fuö r das Licht die Augen haben, auch seinem Kreis, Bewunderung des Schoö nen,
fuö r die Elektrizitaö t und den aus ihr verbunden mit einem heiteren gelassenen
kommenden Magnetismus ein Sterben, halte ich fuö r groß: maö chtige
Sinneswerkzeug haö tten, welche große Welt, Bewegungen des Gemuö tes, furchtbar
welche Fuö lle von unermeßlichen einherrollenden Zorn, die Begier nach Rache,
Erscheinungen wuö rde uns da aufgetan sein. den entzuö ndeten Geist, der nach Taö tigkeit
Wenn wir aber auch dieses leibliche Auge strebt, umreißt, aö ndert, zerstoö rt und in der
nicht haben, so haben wir dafuö r das geistige Erregung oft das eigene Leben hinwirft, halte
der Wissenschaft, und diese lehrt uns, daß die ich nicht fuö r groö ßer, sondern fuö r kleiner, da
elektrische und magnetische Kraft auf einem diese Dinge so gut nur Hervorbringungen
ungeheuren Schauplatze wirke, daß sie auf der einzelner und einseitiger Kraö fte sind, wie
ganzen Erde und durch den ganzen Himmel Stuö rme, feuerspeiende Berge, Erdbeben. Wir
verbreitet sei, daß sie alles umfließe und sanft wollen das sanfte Gesetz zu erblicken suchen,
und unablaö ssig veraö ndernd, bildend und wodurch das menschliche Geschlecht geleitet
lebenerzeugend sich darstelle. Der Blitz ist nur wird. Es gibt Kraö fte, die nach dem Bestehen
ein ganz kleines Merkmal dieser Kraft, sie des Einzelnen zielen. Sie nehmen alles und
selber aber ist ein Großes in der Natur. Weil verwenden es, was zum Bestehen und zum
aber die Wissenschaft nur Koö rnchen erringt, Entwickeln desselben notwendig ist. Sie
nur Beobachtung nach Beobachtung macht, sichern den Bestand des Einen und dadurch
nur aus Einzelnem das Allgemeine den aller. Wenn aber jemand jedes Ding
zusammentraö gt, und weil endlich die Menge unbedingt an sich reißt, was sein Wesen
der Erscheinungen und das Feld des braucht, wenn er die Bedingungen des Daseins
Gegebenen unendlich groß ist, Gott also die eines anderen zerstoö rt, so ergrimmt etwas
Freude und die Gluö ckseligkeit des Forschens Hoö heres in uns, wir helfen dem Schwachen
unversieglich gemacht hat, wir auch in und Unterdruö ckten, wir stellen den Stand
unseren Werkstaö tten immer nur das Einzelne wieder her, daß er ein Mensch neben dem
darstellen koö nnen, nie das Allgemeine, denn andern bestehe und seine menschliche Bahn
dies waö re die Schoö pfung: so ist auch die gehen koö nne, und wenn wir das getan haben,
Geschichte des in der Natur Großen in einer so fuö hlen wir uns befriedigt, wir fuö hlen uns
immerwaö hrenden Umwandlung der Ansichten noch viel hoö her und inniger, als wir uns als
uö ber dieses Große bestanden. Da die Einzelne fuö hlen, wir fuö hlen uns als ganze
Menschen in der Kindheit waren, ihr geistiges Menschheit. Es gibt daher Kraö fte, die nach dem
Auge von der Wissenschaft noch nicht beruö hrt Bestehen der gesamten Menschheit hinwirken,
war, wurden sie von dem Nahestehenden und die durch die Einzelkraö fte nicht beschraö nkt
Auffaö lligen ergriffen und zu Furcht und werden duö rfen, ja im Gegenteile beschraö nkend
Bewunderung hingerissen: aber als ihr Sinn auf sie selber einwirken. Es ist das Gesetz
geoö ffnet wurde, da der Blick sich auf den dieser Kraö fte, das Gesetz der Gerechtigkeit, das
Zusammenhang zu richten begann, so sanken
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Gesetz der Sitte, das Gesetz, das will, daß jeder im Raume auf ein gestaltvolles
geachtet, geehrt, ungefaö hrdet neben dem vernunftgemaö ßes Ganzes zusammen gewirkt
anderen bestehe, daß er seine hoö here wird. Wenn aber in diesen Bewegungen das
menschliche Laufbahn gehen koö nne, sich Liebe Gesetz des Rechtes und der Sitte nicht
und Bewunderung seiner Mitmenschen ersichtlich ist, wenn sie nach einseitigen und
erwerbe, daß er als Kleinod gehuö tet werde, selbstsuö chtigen Zwecken ringen, dann wendet
wie jeder Mensch ein Kleinod fuö r alle andern sich der Menschenforscher, wie gewaltig und
Menschen ist. Dieses Gesetz liegt uö berall, wo furchtbar sie auch sein moö gen, mit Ekel von
Menschen neben Menschen wohnen, und es ihnen ab und betrachtet sie als ein Kleines, als
zeigt sich, wenn Menschen gegen Menschen ein des Menschen Unwuö rdiges. So groß ist die
wirken. Es liegt in der Liebe der Ehegatten zu Gestalt dieses Rechts- und Sittengesetzes, daß
einander, in der Liebe der Eltern zu den es uö berall, wo es immer bekaö mpft worden ist,
Kindern, der Kinder zu den Eltern, in der Liebe doch endlich allezeit siegreich und herrlich aus
der Geschwister, der Freunde zueinander, in dem Kampfe hervorgegangen ist. Ja wenn
der suö ßen Neigung beider Geschlechter, in der sogar der einzelne oder ganze Geschlechter fuö r
Arbeitsamkeit, wodurch wir erhalten werden, Recht und Sitte untergegangen sind, so fuö hlen
in der Taö tigkeit, wodurch man fuö r seinen Kreis, wir sie nicht als besiegt, wir fuö hlen sie als
fuö r die Ferne, fuö r die Menschheit wirkt, und triumphierend, in unser Mitleid mischt sich ein
endlich in der Ordnung und Gestalt, womit Jauchzen und Entzuö cken, weil das Ganze hoö her
ganze Gesellschaften und Staaten ihr Dasein steht als der Teil, weil das Gute groö ßer ist als
umgeben und zum Abschlusse bringen. Darum der Tod, wir sagen da, wir empfinden das
haben alte und neue Dichter vielfach diese Tragische und werden mit Schauern in den
Gegenstaö nde benuö tzt, um ihre Dichtungen dem reineren AÄ ther des Sittengesetzes
Mitgefuö hle naher und ferner Geschlechter emporgehoben. Wenn wir die Menschheit in
anheim zu geben. Darum sieht der der Geschichte wie einen ruhigen Silberstrom
Menschenforscher, wohin er seinen Fuß setzt, einem großen ewigen Ziele entgegen gehen
uö berall nur dieses Gesetz allein, weil es das sehen, so empfinden wir das Erhabene, das
einzige Allgemeine, das einzige Erhaltende vorzugsweise Epische. Aber wie gewaltig und
und nie Endende ist. Er sieht es eben so gut in in großen Zuö gen auch das Tragische und
der niedersten Huö tte wie in dem hoö chsten Epische wirken, wie ausgezeichnete Hebel sie
Palaste, er sieht es in der Hingabe eines armen auch in der Kunst sind, so sind es
Weibes und in der ruhigen Todesverachtung hauptsaö chlich doch immer die gewoö hnlichen,
des Helden fuö r das Vaterland und die alltaö glichen, in Unzahl wiederkehrenden
Menschheit. Es hat Bewegungen in dem Handlungen der Menschen, in denen dieses
menschlichen Geschlechte gegeben, wodurch Gesetz am sichersten als Schwerpunkt liegt,
den Gemuö tern eine Richtung nach einem Ziele weil diese Handlungen die dauernden, die
hin eingepraö gt worden ist, wodurch ganze gruö ndenden sind, gleichsam die Millionen
Zeitraö ume auf die Dauer eine andere Gestalt Wurzelfasern des Baumes des Lebens. So wie
gewonnen haben. Wenn in diesen Bewegungen in der Natur die allgemeinen Gesetze still und
das Gesetz der Gerechtigkeit und Sitte unaufhoö rlich wirken, und das Auffaö llige nur
erkennbar ist, wenn sie von demselben eine einzelne AÄ ußerung dieser Gesetze ist, so
eingeleitet und fortgefuö hrt worden sind, so wirkt das Sittengesetz still und seelenbelebend
fuö hlen wir uns in der ganzen Menschheit durch den unendlichen Verkehr der Menschen,
erhoben, wir fuö hlen uns menschlich und die Wunder des Augenblickes bei
verallgemeinert, wir empfinden das Erhabene, vorgefallenen Taten sind nur kleine Merkmale
wie es sich uö berall in die Seelen senkt, wo dieser allgemeinen Kraft. So ist dieses Gesetz,
durch unmeßbar große Kraö fte in der Zeit oder
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so wie das der Natur das welterhaltende ist, Abenteuerliche, endlich das Sinnenreizende,
das menschenerhaltende. und zuletzt die Unsitte und das Laster, in der
Wie in der Geschichte der Natur die Religion sinkt das Innere zur bloßen Gestalt
Ansichten uö ber das Große sich stets geaö ndert oder zur uö ppigen Schwaö rmerei herab, der
haben, so ist es auch in der sittlichen Unterschied zwischen Gut und Boö se verliert
Geschichte der Menschen gewesen. Anfangs sich, der einzelne verachtet das Ganze und
wurden sie von dem Naö chstliegenden beruö hrt, geht seiner Lust und seinem Verderben nach,
koö rperliche Staö rke und ihre Siege im und so wird das Volk eine Beute seiner inneren
Ringkampfe wurden gepriesen, dann kamen Zerwirrung oder die eines aö ußeren, wilderen,
Tapferkeit und Kriegesmut, dahin zielend, aber kraö ftigeren Feindes.
heftige Empfindungen und Leidenschaften
gegen feindselige Haufen und Verbindungen Da ich in dieser Vorrede in meinen Ansichten
auszudruö cken und auszufuö hren, dann wurde uö ber Großes und Kleines so weit gegangen bin,
Stammeshoheit und Familienherrschaft so sei es mir auch erlaubt zu sagen, daß ich in
besungen, inzwischen auch Schoö nheit und der Geschichte des
Liebe so wie Freundschaft und Aufopferung
menschlichen Geschlechtes manche
gefeiert, dann aber erschien ein UÄ berblick
Erfahrungen zu sammeln bemuö ht gewesen bin,
uö ber ein Groö ßeres: ganze menschliche
und daß ich einzelnes aus diesen Erfahrungen
Abteilungen und Verhaö ltnisse wurden
zu dichtenden Versuchen zusammengestellt
geordnet, das Recht des Ganzen vereint mit
habe; aber meine eben entwickelten Ansichten
dem des Teiles, und Großmut gegen den Feind
und die Erlebnisse der letztvergangenen Jahre
und Unterdruö ckung seiner Empfindungen und
lehrten mich, meiner Kraft zu mißtrauen,
Leidenschaften zum Besten der Gerechtigkeit
daher jene Versuche liegen bleiben moö gen, bis
hoch und herrlich gehalten, wie ja Maö ßigung
sie besser ausgearbeitet oder als unerheblich
schon den Alten als die erste maö nnliche
vernichtet werden.
Tugend galt, und endlich wurde ein
voö lkerumschlingendes Band als ein Diejenigen aber, die mir durch diese
Wuö nschenswertes gedacht, ein Band, das alle keineswegs fuö r junge Zuhoö rer passende
Gaben des einen Volkes mit denen des andern Vorrede gefolgt sind, moö gen es auch nicht
vertauscht, die Wissenschaft foö rdert, ihre verschmaö hen, die Hervorbringungen
Schaö tze fuö r alle Menschen darlegt und in der bescheidenerer Kraö fte zu genießen, und mit
Kunst und Religion zu dem einfach Hohen und mir zu den harmlosen folgenden Dingen
Himmlischen leitet. uö bergehen.

Wie es mit dem Aufwaö rtssteigen des Im Herbste 1852


menschlichen Geschlechtes ist, so ist es auch Adalbert Stifter
mit seinem Abwaö rtssteigen. Untergehenden
Voö lkern verschwindet zuerst das Maß. Sie
gehen nach Einzelnem aus, sie werfen sich mit
kurzem Blick auf das Beschraö nkte und
Unbedeutende, sie setzen das Bedingte uö ber
das Allgemeine; dann suchen sie den Genuß
und das Sinnliche, sie suchen Befriedigung
ihres Hasses und Neides gegen den Nachbar, in
ihrer Kunst wird das Einseitige geschildert,
das nur von einem Standpunkte Guö ltige, dann
das Zerfahrene, Umstimmende,

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