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Der Mythos Jörg Haider

Konstruktionen von Geschichte. Das Beispiel Österreich


Mag.a Dr.in Martina Gugglberger

Bakk. phil. Christian Hartl


Matrikelnummer: 0327020
Studienkennzahl: 066 930
Inhaltsverzeichnis
1. Abstract Seite 3
2. Der Begriff Mythos und die Person Jörg Haider Seite 4
2.1. Begriffsdefinition Mythos Seite 5
2.2. Sozialisation und Jörg Haiders Eltern Seite 6

2.3. Konstruktionen Seite 7

3. Jörg Haiders Einstieg in die Politik Seite 8

3.1. Jörg Haiders Übernahme der FPÖ Seite 9

3.2. Konstruktionen Seite 10

4. Jörg Haider und die erste Regierungsbeteiligung Seite 11

5. Die Gründung des BZÖ Seite 13

6. Die Medien und Jörg Haider Seite 14

7. Die Ideologie des Jörg Haider Seite 17

7.1. Definition Populismus Seite 17

7.2. Jörg Haider als Populist Seite 17

7.2.1. Jörg Haider und die österreichische Gesellschaftsstruktur Seite 18

7.2.1.1. Kennzeichen der österreichischen Identität Seite 19

7.2.1.2. Jörg Haider und die österreichische Seele Seite 20

7.2.1.3. Haider und der Nationalstolz Seite 21

7.2.1.4. Opfer- und Täterrolle Seite 23

8. Haiders dritte Republik Seite 24

9. Bibliografie Seite 27

S e i t e 2
1. Abstract
Jörg Haider galt nicht nur auf internationaler Ebene als einer der bekanntesten und
umstrittensten Politikerpersönlichkeiten der zweiten Republik. Bis zu seinem
Unfalltod im Oktober 2008 galt der damals 58-jährige Kärntner mit
oberösterreichischen Wurzeln als polarisierender Tabubrecher, der die
österreichische Politiklandschaft von Grund auf veränderte. Mit seiner Übernahme
der FPÖ im Jahr 1986 verhalf er dieser Partei, die bis dahin in Wahlen bei etwa vier
bis fünf Prozent der Stimmen rechnen konnte, zu einem gewaltigen
Popularitätsschub, der 1999 mit 27 Prozent bei den Nationalratswahlen gipfelte. Die
daraus resultierende Regierungskoalition mit der ÖVP endete mit der Spaltung der
von ihm großgemachten FPÖ.

Ziel dieser Arbeit ist, herauszufinden, wie Jörg Haiders Inszenierung und
Selbstverständnis von Politik den Aufstieg der FPÖ von einer Kleinpartei zur
Mittelpartei schaffte. Wie kaum österreichischer Politiker zuvor verstand es der aus
dem oberösterreichischen Bad Goisern stammende Haider, die Bedürfnisse,
Eigenheiten und Wünsche der Österreicher zu erkennen und diese mit (großteils)
einfach nachvollziehbaren Lösungsvorschlägen zu befriedigen.

Ein weiteres Kapitel beleuchtet das ambivalente Verhältnis zwischen Jörg Haider und
den heimischen Medien, das von gegenseitigen Konflikten lebte. Dabei soll auch sein
Spiel mit der österreichischen Identität. Geklärt werden. Inwiefern war das Bild des
typischen Österreichers mit seiner Art Politik zu machen, vereinbar. Außerdem soll
dabei ein Fokus auf Jörg Haiders persönliche Sozialisation und Herkunft, sowie
seiner vertretenen Ideologie gelegt werden.

Auch der besondere Status der Person Jörg Haider in seiner Wahlheimat Kärnten,
wo er elf Jahre lang (mit Unterbrechung) den Landeshauptmann stellte, soll Thema
dieser Arbeit sein. Dort machte er seine Partei (FPÖ, dann BZÖ, nach Haiders Tod
FPK) zur dominierenden Bewegung des Bundeslandes.

S e i t e 3
2. Der Begriff Mythos und die Person Jörg Haider
Um den Mythos Jörg Haider auch als
solchen erkennen zu können, ist es
erforderlich, sich zuerst mit dem Begriff
Mythos zu beschäftigen. Wie Roland
Barthes feststellt, verbindet der Mythos
das jeweilige Objekt mit einer gewissen
Bedeutung, der dieses Objekt
sozusagen auflädt. (vgl. Barthes 1964,
S. 85ff) Ähnlich wie bei der Theorie des
sozialen und kollektiven
Gedächtnisses, wo sich das individuelle
Gedächtnis im Austausch mit
sogenannten Wir-Gruppen bildet,
entsteht auch der Mythos auf ähnliche
Weise.

Aleida Assmann und Peter Novik


vergleichen das kollektive Gedächtnis –
Bis zu seinem Tod und darüber hinaus wird der Mythos
Haider hochgehalten. Sein Bild sagt mehr als tausend Worte.
das sich in Wir-Gruppen bildet – mit der
Foto: hn/flickr.com Entwicklung des Mythos:

„Das kollektive Gedächtnis vereinfacht; es sieht die Ereignisse aus einer einzigen,
interessierten Perspektive; duldet keine Mehrdeutigkeit; reduziert die Ereignisse auf
mythische Archetypen (…) im kollektiven Gedächtnis werden mentale Bilder zu
Ikonen und Erzählungen zu Mythen, deren wichtigste Eigenschaft ihre
Überzeugungskraft und affektive Wirkmacht ist.“ (Assmann:
http://www.bpb.de/files/0FW1JZ.pdf)

Assman erklärt sogar, dass Mythen von den konkreten Bedingungen ihres
Entstehens und der zeitlichen Einbettung enthoben werden. (ebenda)

S e i t e 4
2.1. Begriffsdefinition Mythos
Barthes sieht im Begriff Mythos die Wissenschaft der Semiologie. (Barthes 1964, S.
88) Diese Wissenschaft beschäftigt sich mit der Entstehung und Veränderung von
Zeichensystemen. Wie die Zeichen ist – wie Barthes bemerkt – auch der Mythos mit
einer Beziehung zwischen zwei Termini ausgeliefert (vgl. Barthes 1964, S. 90) Er
definiert sie als den „bedeutenden“ und den „bedeuteten“, im „Zeichen“ die
„assoziierte Gesamtheit der ersten beiden Termini ist.“ (Barthes 1964, S. 90) Das
Besondere am Mythos sieht Barthes aber darin, dass er „auf einer semiologischen
Kette aufbaut, die bereits vor ihm existiert.“ (ebenda, S. 92)

Sprache 1. Bedeutendes 2. Bedeutetes

Sprache/Mythos 3. Zeichen 2. Bedeutetes

1. Bedeutendes

Mythos Zeichen

Abb.1 „Mythos“ nach Barthes 1964, S. 93

Die Grafik soll zeigen, dass der Mythos auf zwei semiologische Systeme aufbaut: Er
baut zum Einen auf die Sprache auf, derer sich der Mythos bedient. Das zweite
System ist jenes, das von Barthes als Metasprache bezeichnet wird, da es eine
zweite Sprache darstellt, in der man von der ersten spricht. Der Begriff
„Bedeutendes“ ist mit einer Doppeldeutigkeit versehen, das zum Einen sinnerfüllt und
zum anderen leer ist. (vgl. Barthes 1964, S. 95f) „Der Sinn ist bereits vollständig, er
postuliert Wissen, eine Vergangenheit, ein Gedächtnis, eine vergleichende Ordnung
der Fakten, Ideen und Entscheidungen.“ (ebenda, S. 97) Der Sinn kann durch die
Form beliebig gelesen werden. Die Form hebt aber den Sinn nicht auf. Dieser kann
immer wieder hervorgerufen werden. Der Mythos wird sozusagen angepasst. (vgl.
ebenda, S. 97ff) Das Bedeutete kann demnach mehrere Bedeutende haben. Als
Beispiel dafür wird ein dunkelhäutiger Franzose genannt, der vor der Nationalflagge
salutiert. (vgl. ebenda)

S e i t e 5
2.2. Sozialisation und Jörg Haiders Eltern
Um die Person Jörg Haider und dessen Normen- und Wertgeflecht besser
kennenzulernen, soll erstmals ein Blick auf seine unmittelbare Familie geworfen
werden.

Sowohl Haiders Vater Robert als auch seine Mutter Dorothea, die beide in Bad
Goisern lebten, galten schon vor dem Anschluss Österreichs 1938 an das Deutsche
Reich unter Adolf Hitler als überzeugte Nationalsozialisten. Robert Haider (geboren
1914), ein Schuhmachergeselle, war 1934 bei einer illegalen nationalsozialistischen
Schmieraktion und ein Jahr später an einem Nazi-Putschversuch beteiligt. Er und
einige Gesinnungsgenossen überfielen laut Aufzeichnungen des
Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstandes (döw) von Bayern aus
den Grenzübergang der Mühlviertler Gemeinde Kollerschlag (Bezirk Rohrbach). Als
sogenannter „Legionär“ half Haider mit, das – zu diesem Zeitpunkt von der christlich-
sozialen Partei unter Engelbert Dollfuss autoritär regierten – Österreich mit Gewalt
nationalsozialistisch zu machen. (vgl. Bailer-Galanda 1997, S. 24) Dieses Ereignis,
bei dem auch noch mehrere Anschläge von den Nationalsozialisten verübt wurden
und auch Engelbert Dollfuss den Tod fand, ging als sogenannter Juliputsch in die
heimischen Geschichtsbücher ein. Jedenfalls: Robert Haider wurde in der NS-Zeit
Gaujugendwalter in „Oberdonau“ – dem heutigen Oberösterreich und wirkt bis heute
in einschlägigen Veteranenorganisationen mit, unter anderem am alljährlichen
Ulrichsbergtreffen, wo auch Sohn Jörg als damaliger Landeshauptmann in
Erscheinung tritt. (vgl. Bailer-Galanda 1997, S. 24, Goldmann 1992, S. 18ff)

Nach dem Ende des danach folgenden zweiten Weltkrieges wurden Jörg Haiders
Eltern Robert und Dorothea – sie engagierte sich schon vor dem Anschluss in der
damals noch illegalen NS-Mädchenorganisation BDM (Bund deutscher Mädchen) –
als „minderbelastet“ eingestuft und durften ein paar Jahre später ihren Beruf wieder
aufnehmen. Die Mutter als Lehrerin und Vater Robert wurde in den 1950er Jahren
sogar wieder politisch aktiv. (vgl. Bailer-Galanda 1997, S. 24f) Er fungierte sogar als
Bezirksparteisekretär der freiheitlichen Partei im Bezirk Gmunden (vgl.
http://www.wienerzeitung.at/linkmap/personen/haider.htm )

S e i t e 6
Jörg Haider, geboren am 26.1. 1950, und seine Schwester Ursula wuchsen im
oberösterreichischen Bad Goisern auf. Nach dem Besuch der Volksschule in dieser
Gemeinde, absolvierte er das Gymnasium in Bad Ischl. (vgl. Lux 2009, S. 16)

2.3. Konstruktionen
Dass gerade das innere Salzkammergut und Haiders spätere Wahlheimat Kärnten
durchaus ein Nährboden für postnazistische Sozialisationen haben, wissen die
Autoren Brigitte Bailer-Galanda und Wolfgang Neubauer in ihrem Buch „Haider und
die „Freiheitliche“ Österreichs“.

Die weit zurückreichende Tradition eines von der katholischen Obrigkeit


verfolgten Protestantismus hatte im inneren Salzkammergut die
Herausbildung rebellischer, obrigkeitsfeindlicher und antiklerikaler,
deutschnationaler, aber auch linker Strömungen begünstigt.“ (Bailer-Galander
1997, S. 24)

Deshalb bemerken sie, dass der familiäre Hintergrund für eine politische Karriere
freiheitlicher Politiker geradezu typisch war.

Da eine Umerziehung zur Demokratie in den Nachkriegsjahren nicht einmal versucht


wurde, zeitgeschichtliche Aufklärung und politische Bildung in den Schulen damals
nicht stattfanden, wurden die im Milieu der ehemaligen Nationalsozialisten
Heranwachsenden primär von familiären Erziehungseinflüssen geprägt. Nostalgie
nach der NS-Volksgemeinschaft, Trauer um den verlorenen Krieg, Unzufriedenheit
mit dem neuen demokratischen Österreich waren weit verbreitete Einstellungen, die
mit traditionellen Erziehungswerten wie Autorität, Disziplin, Ordnung, Sauberkeit,
Pflichbewußtsein und Härte gegen sich und andere die Grundlage für die
Herausbildung von Deutschnationalismus und Rechtsextremismus, aber auch von
autoritärer Persönlichkeitsstrukturen bildeten. (vgl. ebenda)

S e i t e 7
3. Jörg Haiders Einstieg in die Politik
Der Faktor der Sozialisation und das Engagement des Vaters in der freiheitlichen
Partei machten den Eintritt Jörg Haiders in die FPÖ zu einer eher kleinen Hürde.
Haider trat auch dem Turnerbund, dem schlagenden Schülerverband „Alibia“ sowie
der studentischen Burschenschaft „Silvana“ bei. (vgl. Goldmann 1992, S. 49) „Alibia“
ist 1908 gegründet worden, bekennt sich zur Republik Österreich und darüberhinaus
zur deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft. 1966 nimmt Haider im Rahmen seiner
Mitgliedschaft beim österreichischen Turnerbund in Innsbruck bei einem
Redewettbewerb teil. Der damals 16-jährige Haider gewann. Der Titel seiner Rede:
„Sind wir Österreicher Deutsche.“ (vgl. Lux 2009, S. 18)

Erste politische Gehversuche machte der damals 20jährige Jörg Haider als
Bundesobmann der freiheitlichen Jugend, dem er von 1970 bis 1974 vorstand.
Daneben studierte er von 1969 bis 1973 an der Universität Wien Rechts- und
Staatswissenschaften. (vgl. http://www.wienerzeitung.at/linkmap/personen/haider.htm
) 1976 wurde der damals 26jährige Jörg Haider Landesparteisekretär der FPÖ
Kärnten. Dieses Amt bekleidete der junge Oberösterreicher bis 1983, wo er zum
Landesparteiobmann aufstieg. Drei Jahre später erfolgte der berühmte FPÖ-
Parteitag von Innsbruck, wo der damalige Obmann Norbert Steger abgewählt und
Jörg Haider als jüngster Bundesobmann der Parteigeschichte den Chefsessel
erklamm. Von 1989 bis 1991 war Jörg Haider Landeshauptmann von Kärnten. 1999
wurde er wieder in dieses Amt gewählt, dass er bis zu seinem Tod bekleidete.

Am 10. Oktober 2008 verstarb Jörg Haider bei der Heimfahrt mit seinem
Dienstwagen – er lenkte das Auto selber – an den Folgen eines schweren
Autounfalls. Der damalige Landeshauptmann war laut Medienberichten mit 142 km/h
auf der mit 70 km/h beschränkten Bundesstraße in der Ortschaft Lambichl
unterwegs. Das Auto geriet ins Schleudern und prallte gegen einen Zaunpfahl,
Verkehrsschilder und einen Hydranten. (vgl.
http://diepresse/com/home/politik/innenpolitik/421797/print.do , dl:22.3.2010)
Angeblich war Jörg Haider mit 1,8 Promille Alkohol im Blut unterwegs. (vgl.
www.krone.at/krone/S25/object_id_117709/hxcms_popup/index.html , dl: 22.3.2010)

Neben der zuerst noch nüchternen Meldung über den Unfalltod Jörg Haiders, die
sowohl in allen Printmedien als auch in den Onlinemedien und sowohl in Fernsehen
S e i t e 8
und Radio zur Hauptmeldung wurde, kam mit der Zeit die Betroffenheit von Politik
und Bevölkerung ins Spiel. Besonders in Erinnerung bleibt die Aussage von
Parteifreund und späteren Landeshauptmann Gerhard Dörfler: „In Kärnten ist die
Sonne vom Himmel gefallen.“ Diese Worte wurden in nahezu allen Medien
Österreichs wiedergegeben. „Für uns ist es ein Weltuntergang“, wird Haiders
Pressesprecher Stefan Petzner zitiert. Besonders die dabei eingefangenen
Emotionen wurden in den Medien zu einem weiteren großen Thema rund um den
Tod Jörg Haiders. Die Presse spricht von einer tränenerstickte Stimme Petzners, der
Jörg Haider nicht nur als seinen Vorgesetzten, sondern auch als dessen
„Lebensmensch“ bezeichnet hat. (vgl. http://diepresse.com , 12.10.2010) Neben den
emotionsgeladenen Stimmungsberichten wurde vor allem die Aussage Petzners
„dass es bei der Rekonstruktion des Unfalltodes eine zeitliche Lücke“ (www.krone.at ,
23.10) gegeben haben soll.

3.1. Haiders Übernahme der FPÖ


Steger, der von Peter Zuser und anderen österreichischen Politikwissenschaftlern
eher dem liberalen Lager zuzuordnen ist, musste sich dem deutschnationalen Flügel
der FPÖ beugen. (vgl. Zuser 1997, S. 9) Steger wollte – wie Zuser feststellte - der
FPÖ ein liberales Image ähnlich der deutschen FDP verleihen. Der Deutschnationale
Flügel und deren Kernwählerschichten wollten diesen Schwenk nicht mitgehen. Mit
dem daraus resultierenden Rückzug der Steger-Anhänger konnten die
Funktionärsposten von Anhängern des deutschnationalen Flügels übernommen
werden. Da aber laut Zuser nur etwa 10 Prozent der Österreicher deutschnationalen
Idealen zugänglich sind, mussten neue Strategien her, um den Aufstieg von einer
Kleinpartei zur – in der Hochblüte 1999 – zweitstärksten Kraft zu schaffen. Haider
schaffte den politischen Schwenk der FPÖ zu einer antipolitischen Protestpartei, die
es mit populistischen Diskursen erreichte, alle Schichten der Wähler anzusprechen.
Trotz des politischen Schwenks blieben die Kernwählerschaften der Haider-FPÖ
treu. (vgl. Zuser 1997, S 10f) Auch privat orientierte sich Jörg Haider von Bad
Goisern zwecks Studiums in die Bundeshauptstadt Wien. Diese verließ er 1976. Er
heiratete seine Frau Claudia und zog mit ihr nach Kärnten, wo er bis zu seinem Tod
– im Oktober 2008 – im Bärental wohnte. Der Weg nach Kärnten war aber nicht
immer klar: Der junge Jörg Haider überlegte, für ein Stipendium nach Amerika zu
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gehen. Die Entscheidung für Kärnten war aber aufgrund des Angebotes freiheitlicher
Landesparteisekretär zu werden gefallen. (vgl. Buchauszug „Mein Sohn Jörg“,
Dorothea Haider 2009 In: http://www.heute.at/news/politik/j%F6rg+haider./Mein-
Sohn-Joerg-Mutter-Dorothea-erinnert-sich;art422,132719 , dl. 5.4.2009)

Jedenfalls: Der Stimmenzuwachs für die FPÖ ging mit dem neuen Obmann Jörg
Haider und den damit einhergehen Schwenk der Parteilinie bergauf. Laut
Demokratiezentrum erzielte die FPÖ bei den Nationalratswahlen 1983 mit fünf
Prozent ihr schlechtestes Wahlergebnis seit Gründung der Partei. 1990 stimmten
16,6 Prozent für die FPÖ, die 1994 22,5 Prozent, 1995 21,9 Prozent und 1999 mit
26,9 Prozent ihr bestes Ergebnis einfuhr und gleichzeitig zweitstärkste Kraft wurde.
(vgl. www.demokratiezentrum.org)

3.2. Konstruktionen
Klaus Ottomeyer, Universitätsprofessor für Sozialpsychologie an der Universität
Klagenfurt bezeichnet diesen FPÖ-Parteitag im September 1986 als „Haider-Putsch“.
Um die Stimmung an diesem Abend zu beschreiben, zitiert er Haider-Parteifreund
Reinhard Gaugg, der vom Parteifreund hochgelobt und später wieder verstoßen
wurde. (vgl. Ottomeyer 2009, S. 72f) Dieser beschreibt darin die Fahrt zum Parteitag
mit einem Flugzeug. Auch Haiders Reaktion auf das Umkippen der Stimmung gegen
seine Person wurde von diesem erwähnt. (ebenda)

Auch Bailer-Galanda und Neugebauer sprechen von einem Haider-Putsch. Dieser


sei von Angehörigen des rechtsextrem ideologisierten Lorenzer Kreises rund um den
Bezirksparteiobmann von Linz-Land, Raimund Wimmer, der sich im Medium „Aula“
rühmte, diesen generalstabsmäßig vorbereitet zu haben. (Bailer-Galanda 1997, S.
33) Sie erwähnen außerdem, dass die überwiegende Mehrheit der Parteibasis hinter
dem damaligen Obmann Steger stand, die Parteibasis war zu großen Teilen für Jörg
Haider. Die 263 Delegierten stimmten schließlich mit 59,5 Prozent für Haider und
40,6 Prozent für Steger. (ebenda) Sie beschreiben in ihrem Buch auch die
Stimmung, die am Parteitag herrschte:

„Unter an faschistische Kundgebungen erinnerndem Gejohle wurde ein neuer


Parteiführer erkoren, während der unterlegene Repräsentant des Liberalismus als

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„Jud“ mit Erschießen und Vergasen bedroht wurde. Offen wurde auch nazistische
Gesinnung zur Schau gestellt.“ (Bailer-Galanda 1997, S. 34)

Reinhart Gaugg, der im Buch „Jörg Haider – Mensch, Mythos, Medienstar“ wiederum
zitiert wird, spricht keineswegs von einem „Putsch“. Gaugg selber meint, er und ein
Kollege haben den zweifelnden Haider klargemacht, dass es kein zurück von der
Kandidatur mehr gebe. Die Autoren dieses Textes gaben in weiterer Folge der Rede
des FPÖ-Funktionärs Norbert Gugerbauer die Wirkung, dass die Stimmung wieder
für Haider umschlug. Laut Gaugg war die Stimmung in der Halle „unbeschreiblich“
gewesen. (Lux 2009, S. 55)

Auch Andreas Mölzer, ein ehemaliger Weggefährte und Parteifreund Jörg Haiders
(bis zur Gündung des BZÖ 2005) erinnert sich an den denkwürdigen Parteitag 1986
in Innsbruck. Er spricht dabei nicht von einem fulminanten Start-Ziel-Sieg des neuen
FPÖ-Obmannes. Laut Mölzer war Haider anfangs eher zaghaft und musste für vieles
überredet werden oder sich überzeugen lassen.

4. Jörg Haider und die erste Regierungsbeteiligung 1999


bis 2005
Bei der Nationalratswahl am 3. Oktober 1999 erreichte die FPÖ mit 26,9 Prozent der
Stimmen ihr bestes Ergebnis der Geschichte. Die darauf folgenden
Koalitionsverhandlungen bescherten Haider und der FPÖ den Einzug in die
Regierung. Obwohl der Regierungspartner ÖVP 415 Stimmen weniger bekam und
somit nur drittstärkste Kraft der Republik wurde, verzichtete die FPÖ auf den
Kanzlersessel. Dieser wurde von Wolfgang Schüssel besetzt. Ein bekanntes Bild
dieser zähen Koalitionsverhandlungen, welche die SPÖ als stimmenstärkste Partei in
die Opposition schickte, ist sicherlich das Foto mit Jörg Haider und Wolfgang
Schüssel, die gemeinsam in Haiders Porsche sitzen. Der damalige Parteichef Jörg
Haider überließ Parteikollegin Susanne Riess-Passer den Vizekanzlerposten. „Haider
begründet seine Entscheidung damit, nicht als „Schattenkanzler“ der Koalition gelten
zu wollen. (Lux et.al. 2009, S. 28)

Internationale und auch nationale Proteste begleiteten die Regierungsbeteiligung der


FPÖ. Unter anderem weigerte sich der damalige Bundespräsident Thomas Klestil
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einige Minister anzugeloben und verpflichtete die Mitglieder der Bundesregierung
eine Präambel zu unterzeichnen, die sich zu den Prinzipien der pluralistischen
Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit, wie sie in der österreichischen Verfassung
verankert ist, zu bekennen. Die EU belegte Österreich mit Sanktionen, die vor allem
vom damaligen französischen Präsidenten Jaques Chirac ausgingen. Haider
bezeichnete diesen in einem Interview als „Westentaschen-Napoleon“. Mit 1. Mai
2000 tritt Haider als Parteiobmann zurück und wird einfaches FPÖ-Mitglied.
Landeshauptmann bleibt er weiterhin. (vgl. ebenda)

S e i t e 1 2
5. Die Gründung des BZÖ
Am 17. April gründen Jörg Haider und einige Minister der FPÖ-
Regierungsmannschaft das BZÖ. Obmann dieser neu gegründeten Partei war Jörg
Haider. Laut Lux et.al soll diese Partei eine – wie Haider selbst sagt „Neugründung
der FPÖ als lässige, flotte und junge Partei sein.“ (Lux 2009, S. 35) Hintergrund ist
eine Niederlage der FPÖ bei den niederösterreichischen Gemeinderatswahlen. Sie
erreichte nur 3,3 Prozent der Stimmen. Es erfolgte ein „fliegender Wechsel“ in der
Bundesregierung. Anstatt der FPÖ war das BZÖ in der Regierung zu finden. Den
Hintergrund für die Gründung des BZÖ beschreibt Obmann Jörg Haider in einem
Chat zur Nationalratswahl 2008 folgendermaßen: „Wir haben uns die Gründung des
BZÖ sehr gut überlegt, weil wir uns befreien wollten von jenen Kräften in der FPÖ,
die nicht Mut zur Verantwortung haben und die zweite Periode dazu nützen wollten,
eine Koalitionsregierung in die Luft zu sprengen.“
(http://wahl08.orf.at/stories/303672/ ,
dl: 17.5.2010) Jedenfalls erzielten
Spitzenkandidat Haider und das BZÖ bei den vergangenen Nationalratswahlen 2008
10,7 Prozent und überholten damit die Grünen, die mit 10,4 Prozent Platz Vier
belegten. In Kärnten, wo Haider zu dieser Zeit Landeshauptmann war, erzielte das
BZÖ 38,5 Prozent der Stimmen (Lux et.al. 2009, S. 37) Fast die gesamte Kärntner
FPÖ-Mannschaft folgte 2005 Landeshauptmann Jörg Haider ins BZÖ. Einzig der
Landtagsabgeordnete Franz Schwager verblieb bei FPÖ. (vgl. Lux et.al. 2009, S. 36)
Nach dem Tod von Jörg Haider, am 10. Oktober 2008, erreichte Nachfolger Gerhard
Dörfler bei den Landtagswahlen am 1. März 2009 45,48 Prozent der Stimmen.
(http://www.orf.at/ktnwahl09/ ) Das Kärnter BZÖ rund um Landeshauptmann Gerhard
Dörfler und Parteichef Uwe Scheuch wechselten als FPK zurück in den Schoß der
FPÖ.

S e i t e 1 3
6. Die Medien und Jörg Haider
Durch die Globalisierung und der damit einhergehenden Bedeutung der Medien als
primäres Verbreitungsmittel von Informationen und dem – in weiterer Folge –
resultierenden Wandel der Gesellschaft in eine sogenannte Medien- und
Informationsgesellschaft, ist die Erreichung von Öffentlichkeit fast nur mehr über die
Medien möglich. (vgl. Schulz 1999, S. 32ff) Das bedeutet nicht nur, dass das
Individuum alleine bei der Informationsbeschaffung von den Inhalten der
Massenmedien abhängig ist.

Auch die Leistungen der Politik sind zunehmend vom Medieneinsatz abhängig.
Beispiele dafür sind die Mobilisierung der Bevölkerung, Unterstützung von politischen
Entscheidungen usw., die sich durch politische Nachrichtengebung durch Presse-
und Öffentlichkeitsarbeit, sowie durch Inszenierungen der politischen Realität und
Themen zeigen. Am schnellsten erkannte Jörg Haiders FPÖ diesen Wandel auf dem
österreichischen Feld der Politik. Haider nutzte diese neue Art Politik zu machen für
sich, um potentielle Wählerstimmen für sich zu gewinnen, da sich seine Politik
großteils mit der Logik kommerzieller Massenmedien deckte. Vor allem die
„Kronenzeitung“, die sich in ihrem Selbstverständnis immer als Zeitung aus dem Volk
und für das Volk versteht. Das zumindest behauptet Herausgeber Hans Dichand im
Dokumentationsfilm „Die Konenzeitung – Tag für Tag ein Boulevardstück“. In diesem
Film kommt die Verflechtung zwischen Jörg Haider und dem Medium vielleicht am
Besten zum Ausdruck. Darin meint Jörg Haider: „Die Kronenzeitung weiß, was ihre
Leser wollen und ich weiß, was die Österreicher wollen. Und damit hat die
Kronenzeitung gut gelebt.“ (vgl.
http://images.derstandard.at/20021023/kronetranskript_c0.pdf, dl: 16.4.2010)

S e i t e 1 4
6.1. Konstruktionen
Dass die „Neue Kronen-Zeitung“ bei Jörg Haiders Aufstieg eine wichtige Rolle
spielten, bestätigen Bailer-Galanda und Neugebauer. Schon vor Haiders Erscheinen
auf der Polit-Bühne stützte sie „ressentimentgeladene, fremdenfeindliche, teils
antisemitische, autoritäre und NS-apologetische Positionen“. (Bailer-Galanda et.al.
1997, S. 128) Darüberhinaus stellen sie Ähnlichkeiten zwischen der Ideologie Jörg
Haiders und den Boulevardmedien fest. Dazu zitieren sie den Politologen Fritz
Plasser, der die „Propagandatechniken und –inhalte Haiders“ analysierte:

Für den modernen Populismus stellen die Massenmedien einen Resonanzboden


dar, indem sie das populistische Angebot in Form eines Akteurs, einer Botschaft,
eines Appells an ein disperses, heterogenes, latent unzufriedenes Publikum
herantragen. Die Massenmedien fungieren dabei als Verstärker.“ (Bailer-Galanda
1997, S. 129f)

Sie attestieren ihm und seiner Partei den Nimbus einer „TV- und Medienpartei“, da
sie die Medien geschickt als Transportmittel ihrer Positionen nutzen. Hauptanteil
daran hat nach ihren Erkenntnissen Jörg Haider.

Ähnlich argumentiert der ehemalige Haider-Parteifreund und nunmehrige EU-


Abgeordnete der FPÖ Historiker Andreas Mölzer. In einem Interview meint er, dass
Haider allen anderen Politikern in Sachen Medieneinsatz haushoch überlegen war.
(Lux et.al. 2009, S. 72) Im Vorwort zu ihrem Buch „Jörg Haider – Mensch, Mythos,
Medienstar“ weisen sie darauf hin, dass Haider es schaffte Journalisten für sich
einzunehmen und zu instrumentalisieren.“ (ebenda, S. 13) Ein Beispiel dafür ist das
Cover des Magazins „News“, das in der Ausgabe Nr. 28 von 2009 Jörg Haider als
Jesus mit Dornenkrone abbildete. Der Aufmachertext: „Haider-Wahn Schwindel um
Seligsprechung, Verrückte Verschwörungstheorien, Millionen mit Haider-Souvenirs“
(News 2009, Nr. 29, S.1) © http://eminenz.files.wordpress.com/2009/07/7016.jpg , dl.
15.6.2010.

Hans Henning Scharsach hingegen, weist darauf hin, dass Haider mit kritischen
Berichterstattungen ihm gegenüber keinesfalls neutral umgehen konnte. So
begegnet er dem Einfluss der Medien mit Klagen, Drohungen und Aussperrung.
Nicht Haider-freundlich gesinnte Medien und Journalisten werden entweder nicht zu
Veranstaltungen gelassen oder mit Klagen versucht, mundtot zu machen. Mit
S e i t e 1 5
Vokabeln wie „Menschenhatz“ oder „Medien-Mafia“ versuchte der damalige Jörg
Haider sich und seine Partei in die Opferrolle zu stellen. (vgl. Scharsach 1995, S.
251ff)

Haider selbst spricht in seinem Buch „Die Freiheit die ich mir nehme“ von der „Haider
Rechtssprechung“, wenn es um verlorene Prozesse gegen Medien und Künstler
geht: „Freiheitliche müssen sich eben mehr gefallen lassen.“ (vgl. Haider, Jörg 1992,
S. 141) Auch dem Großteil der Medien unterstellt er, im Einfluss der "Altparteien"
[SPÖ, ÖVP, der Verfasser] zu stehen. (Haider 1992, S. 143) Den Grund dafür sieht
er in der Praxis der Presseförderung, welche in Händen der regierenden Parteien
steht und die Medien deswegen diesen Parteien milde gesonnen sind. "Das System
wirkt und erzeugt einen angepassten Journalismus, wie er in undemokratischen
Systemen nicht anders sein könnte." (ebenda, S. 144)

S e i t e 1 6
7. Die Ideologie des Jörg Haider

Viele attestierten Jörg Haider teilweise rechts-


extremes Gedankengut. Andere sahen in ihm
den Aufbrecher des Proporzsystems und
demjenigeen, der sich traute die Probleme
anzusprechen. Foto: hn/flickr.com

Wie schon im Kapitel „Sozialisation und Jörg Haiders Eltern“ erwähnt, soll die
Sozialisation und die Erziehung eine große Rolle bei der Ideologiebildung von Jörg
Haider gespielt haben. Dort wurde auch erwähnt, dass Haiders Eltern schon in der
Zeit des Austrofaschismus beziehungsweise des österreichischen Ständestaates der
illegalen NSDAP angehörten. Jedenfalls beschreiben Medien und zahlreiche
Politikwissenschaftler von Jörg Haider als Archetypen des Rechtspopulismus, der mit
der Person Jörg Haider nicht nur in Österreich, sondern auch in zahlreichen anderen
Staaten Europas seinen Aufstieg machte.

7.1 Definition Populismus


Das Wort entstammt dem lateinischen Wortstamm „populus“, was übersetzt „Volk“
bedeutet. Im politischem Diskurs wird das Wort oftmals negativ bewertet und
beinhaltet den Vorwurf, dass der politische Gegner keine sachliche Politik betreibe,
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sondern mit Selbstdarstellung, Demagogie und medialer Schaumschlägerei versucht
wird, Wählerstimmen zu maximieren. (vgl. Hartleb 2004, S. 61) Hartleb jedoch
beschreibt den Populismus nicht per se als schlecht. Er zitiert dabei Ralf Dahrendorf.
Dieser sieht im Populismus im positiven als den Versuch, die Probleme des Volkes
zu verstehen, sie zu artikulieren und direkt mit dem Volk zu kommunizieren.
Negativer Populismus ist für ihn, wenn versucht wird, dem Volk nach dem Mund zu
reden und dem Druck auf der Straße nachzugeben.

7.2. Jörg Haider als Populist


Auch Jörg Haider selbst bekennt sich in seinem Buch „Die Freiheit, die ich mir
nehme“ zum Populismus. „Dafür haben wir die FPÖ? uns den Vorwurf des
Populismus eingehandelt und das empfinden wir durchaus als ehrenwert. In einer
Demokratie muss das Volk gehört und ernst genommen werden!“ (Haider 1992, S.
57)

Um die Auslegung des Populismus mit der Politik von Jörg Haider zu vergleichen,
soll Haiders Programm mit den Kennzeichen der österreichischen Identität verglichen
werden.

7.2.1. Jörg Haider und die österreichische Gesellschaftsstruktur

Haiders Erfolg und die Tatsache, dass er die FPÖ von einer Fünf-Prozent-Bewegung
zur, 1999 mit 27 Prozent der Wählerstimmen, zweitstärksten Kraft im Land formen
konnte, beweist das nahezu perfekte Abbild der österreichischen Identität mit dem
Parteiprogramm der damaligen FPÖ unter Jörg Haider. Auch das 2005 von Haider
aus der damaligen FPÖ gegründete BZÖ konnte bei den Landtagswahlen in Kärnten
mit Spitzenkandidat Jörg Haider den Landeshauptmannsessel erobern. Dieser Erfolg
kann zu großen Teilen auf die Person Jörg Haider rückgeschlossen werden. Sogar
nach Haiders Unfalltod konnte das BZÖ mit Spitzenkandidat Gerhard Dörfler 2009
den Landeshauptmannsessel verteidigen und mit einem – auf die bereits verstorbene
Person Jörg Haider zugeschnittenen – Wahlkampf den Stimmenanteil sogar
ausbauen. Mit welchen Inhalten aber konnte die FPÖ und das spätere BZÖ in
Kärnten diesen Stimmenanteil erreichen? Etwaige Erklärungsversuche können –

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wenn es nach Politikwissenschaftlern und Historikern geht - aus den Kennzeichen
der österreichischen Identität konstruiert werden.

7.2.1.2 Kennzeichen der österreichischen Identität

Wie der Historiker Oliver Rathkolb feststellt, basiert das Selbstverständnis der
Österreicher vor allem auf den Komponenten der Opferrolle im zweiten Weltkrieg,
einer gewissen Selbstüberschätzung, die sich durch den Status der Neutralität und
der Rolle des Staates in der Zeit des kalten Krieges ergab. Damals lag Österreich als
neutrales Land zwischen den West- und den Ostmächten. Dazu kommt der
globalisierungsbedingte drohende Verlust der traditionellen, kulturellen Identität, der
durch ein ausgeprägtes Heimatgefühl (wie der Stolz auf die schöne Landschaft,
erfolgreichen Skisportlern usw. vor Augen führt) kompensiert wird. Diese
Komponenten werden durch das – aus der Zeit der Habsburgermonarchie
herausgewachsene – Gefühl der Überlegenheit der deutschsprachigen Österreicher
gegenüber den slawischen Völkern der ehemaligen Monarchie unterstützt. (vgl
Rathkolb 2005, S. 39) Ergänzend zu erwähnen ist auch die – nach dem zweiten
Weltkrieg – von ÖVP und KPÖ politisch motivierte Herausbildung der
österreichischen Identität, die sich maßgeblich mit den von Rathkolb diagnostizierten
Merkmalen beschäftigten. (vgl ebenda, S. 35)

S e i t e 1 9
7.2.1.3 Jörg Haider und die österreichische Seele

Für viele Menschen war der Unfalltod Jörg Haiders im Herbst 2008 ein Anlass zur Trauer. Tausende pilgerten an
die Unfallstelle und hinterließen letzte Grüße und Abschiedsgeschenke. Im Sog des tragischen Todes des
damaligen Kärnter Landeshauptmannes erlebte auch der Handel mit Haider-Devotionalien einen nie mehr
dagewesenen Höhepunkt. Fotos: flickr.com

Die Eigenheiten der österreichischen Seele erkannte auch Jörg Haider, der schon
1986 als frischgebackener Obmann der FPÖ seine Partei von einer
deutschnationalen Bewegung zur rechtspopulistischen Partei verwandelte. Es galt
schichtübergreifende, emotional besetzte Themen zu besetzen. Ihr Programm: Dem
von der FPÖ homogenisierten Volk wird ein Feind gegenübergestellt, der sowohl
außen als auch von innen agiert. Laut Zuser schaffte es Haider so, einen Konflikt
beziehungsweise eine Trennung von Volk und der herrschenden politischen Klasse
herzustellen. (vgl. Zuser 1997, S. 10f) Es ging dabei um einen antipolitischen Diskurs
zwischen den Bürgern, die in einer Koalition mit der Haider FPÖ gegen das politische
Establishment und deren Privilegien ankämpft. „Dabei schwörte sich die FPÖ auf
einen konservativen, heimattreuen Österreich-Patriotismus ein, der mit primär
kulturdeutschen Definitionsmerkmalen ausgestattet war.“ (Rathkolb 1995, S. 30) Es
ging der so agierenden Haider-FPÖ unter anderem darum, den schon oben
erwähnten drohenden Verlust der traditionellen, kulturellen Identität zu
kompensieren. Auch Rathkolb diagnostiziertes Faktum, dass die Österreicher nur
mehr zu geringen Teilen auf ihre politischen Leistungen stolz sind, konnte Haider mit
seiner FPÖ mit der oben erwähnten „Koalition“ von Partei und Volk gegen die
regierenden Großparteien SPÖ und ÖVP hervorragend bedienen. Der Historiker
nennt in diesem Zusammenhang Identifikationsmerkmale wie die schöne Landschaft,
S e i t e 2 0
Volks- und Hochkultur, den Status der Neutralität sowie den Stolz auf heimische
Sportler und ihre Leistungen als Hauptanknüpfungspunkte des sogenannten
Österreich-Patriotismus, der den im Bezug auf die Globalisierung bedrohten
Lebensstil der Österreicher kompensieren soll. (vgl. Rathkolb 1995, S. 24ff)

7.2.1.4 Haider und der Nationalstolz

Das Tragen österreichischer Tracht vermittelt laut Karin Luger ein Nationalgefühl, dass politisch gut eingesetzt werden
kann, um konservativ, heimattreue Werte zu vermitteln. Foto: pixel0809/flickr.com

Obwohl Haider laut den Autoren Neugebauer und Bailer-Galanda deutschnational


sozialisiert wurde, verband er die Haltung mit dem - schon erwähnten – Nationalstolz
der Österreicher, der in Verbindung mit der latenten Angst vor dem Fremden einen
längerfristig erfolgreichen Weg darstellte. Damit dem Schwinden der positiven
Konnotierung der heimischen Politik der Nationalstolz auf ein Rekordmaß anstieg
(vgl. Rathkolb 1995, S. 26f), hatte Haider und die FPÖ ein leichtes Spiel, drauf
aufzubauen.

Auch nach außen hin musste dieser Nationalstolz abgesichert werden. Die, aus
Habsburgerzeiten übernommene, vermeintliche Überlegenheit der
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deutschsprachigen Österreicher gegenüber den slawischen Nachbarländern wurde
von Haider und der FPÖ instrumentalisiert. Dabei spielte die latente Angst vor dem
Fremden eine große Rolle. Das stetige Bedrohungsszenario das Haider über die
Einwanderung und Zuzug aus dem Osten konstruierte, trieb verunsicherte Wähler
zur FPÖ. Haider nutzte ständig vereinfachte Gegenüberstellungen von
Ausländerbeschäftigung und Arbeitslosigkeit in Österreich, die allgemein verständlich
wirkten, schreiben Goldmann et. al. Im Buch „Jörg Haider und sein Publikum“. Das
Bild vom Ausländer als „Sozialschmarotzer“, der auf Kosten des Österreichers lebt
und seine Heimat in Stich lässt erfährt mit Jörg Haider ihre ersten Auftritte in der
politischen Kultur Österreichs. Jörg Haider schaffte diese Identifikationsmerkmale vor
allem durch eine sogenannte Großgruppenidentität aufrechtzuhalten. (vgl. Ottomeyer
2009, S. 55ff) Dazu schaffte er in seiner Funktion als Landeshauptmann von Kärnten
ein sogenanntes „Wir sind Wir“-Gefühl, dass die Kärntner als homogene Gruppe
darstellte und er als „Bewältiger und Heiler historischer Traumata“ darüberstand. (vgl.
ebenda) Um diese Großgruppenidentität real entstehen zu lassen gehörten „gute
Objekte“, wie die vom Bundesland mit 60 Euro geförderte Kärntner Tracht und
geteilte Identifikationsmerkmale wie typische Essgewohnheiten, Lieder, religiöse
Überzeugungen und Sprache, die von den Eltern übernommen wird. Weitere
Identifikationsmerkmale sind: den eigenen Schmutz auf das Zeltdach des Nachbarn
zu transferieren, ein gemeinsames Erfolgs- und Triumphgefühl (Kärntner
Abwehrkampf 1920, Landschaft, Tourismus). Besonders das „Argument“ der
richtigen Kleidung unterstützte Haider in Sachen Nationalgefühl. Um die Werte
„Sicherheit“, „Heimat“ und „Identität“ textiltechnisch zu untermauern, griff Haider bei
seinen Reden – vor allem in ländlichen Gebieten – auf den Trachtenanzug zurück.
Dieser ist mit den Attributen Zugehörigkeit, Konservativ und Heimattreue verbunden.
(vgl. Luger 1998, S. 81) Die heutigen Trachtenanzüge – wie sie auch Jörg Haider
getragen hat – entspringen der bäuerlichen Standeskleidung, mit denen laut Luger
versucht wird, die in der postmodernen Gesellschaft bedrohte patriachalisch
autoritäre Gesellschaftsstruktur bewahrt werden soll. Tracht wird von Haider als
Glaubwürdigkeitsfaktor genutzt, um das Land gegen fremde Einflüsse zu schützen,
Heimat- und Vaterlandstreue zu unterstreichen, sich mit der Wirtschaftswunder-
Generation zu solidarisieren sowie die Argumente gegen Zuwanderer im textilen
Bereich zu untermauern. (vgl. ebenda, S. 86) Haider selbst versteht das

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Selbstverständnis der österreichischen Nation als Ergebnis von „deutscher Volks-
und Kulturgemeinschaft, aber mit der Einschränkung, daß dadurch das Bekenntnis
zu Österreich als unverwechselbar in seiner Identität, unverletzbar in seinen Grenzen
und unbestreitbar in seiner souveränen Existenz nicht eingeschränkt werden darf.“
(Haider, Jörg 1992, S. 118) Hier wird die von Zuser vertretene These, dass die unter
Haider deutschnational dominierte FPÖ, diese Eigenheiten mit österreichtypischen
Merkmalen ergänzt wurde, da deutschnationale Inhalte in der Zeit von Haiders
Machtübernahme keineswegs mehr mehrheitsfähig waren. (vgl. Zuser 1992, 9 - 11)

7.2.1.5 Opfer- und Täterrolle mit der NS-Vergangenheit

Wie schon in der Einleitung erwähnt, war und ist das Verhältnis der Österreicher zum
Nationalsozialismus ambivalent. Politik und Schule bemühten sich nach 1945 den
Status Österreichs als erstes Opfer der Nationalsozialisten zu festigen (vgl. Rathkolb,
S. 20). Erst mit der Kandidatur von Kurt Waldheim 1986 – er war im zweiten
Weltkrieg aktives Mitglied bei der SA (Sturmabteilung) - begann sich das Land mit
seiner Vergangenheit zu beschäftigen. (vgl. ebenda) Die Wahl Waldheims bestätigte
die Befürwortung der Opferrolle in der österreichischen Gesellschaft. (vgl. Rathkolb
1995, S. 48) Diese Befürwortung der Opferrolle übernahm auch Jörg Haider, der
immer wieder seine Solidarität mit Soldaten der Wehrmacht und SS-Mitgliedern
bekundete. Auf einer seiner Reden am Kriegerdenkmal am Kärtner Ulrichsberg,
stellte sich der damalige Landeshauptmann hinter die ehemaligen Soldaten und
fordert als Vertreter der Nicht-Kriegsgeneration den Freispruch dieser von einer
kollektiven Schuld. (vgl. Goldmann et. al. 1992, S. 21) Haider selbst bestätigt diese
Haltung in seinem Buch „Die Freiheit die ich mir nehme“. „Wer mit mir geht, steht für
eine FPÖ ohne braune Flecken, aber auch ohne Angst vor einer ehrlichen
Geschichtsschreibung, die der historischen Wahrheit und nicht der
Wahrscheinlichkeit verpflichtet ist. Wer mit mir geht, steht für eine FPÖ mit
glaubwürdiger Distanz zur Zeit des Nationalsozialismus, aber mit respektvollem
Eintreten für die ältere Generation, die nach bitteren Erfahrungen den Weg in die
Demokratie gefunden hat.“ (Haider 1993, S. 118)

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7.3 Haiders dritte Republik

Wie schon am Beginn dieses Kapitels erwähnt, sah sich Jörg Haider 1993 als
Populist. Um seine dahingehenden Standpunkte zu schriftlich festzuhalten, plädierte
er in seinem Buch „Die Freiheit die ich mir nehme“ für die „Dritte Republik“: Diese
muss eine „zeitgemäße Antwort auf geänderte Bürgerwünsche und auf ein
gewandeltes geopolitisches Umfeld sein“ (Haider 1993, S. 148) Er selbst sah darin
keineswegs den Versuch, eine populistische Politik zu machen, die dem Volk nach
dem Mund redet, um so Wählerstimmen zu maximieren. Im Programm enthalten sind
folgende Punkte:

• Wir sind für das ganze Europa und folglich gegen eine ökonomische,
politische und kulturelle Teilung in Ost- und Westeuropa

• Wir sind für eine bürgernahe Demokratie ohne ständestaatliche Reste und
bevormundende Parteibuchherrschaft

• Wir sind für die Erhaltung der österreichischen Identität in einem Europa des
ethischen Föderalismus

• Wir sind für eine offene Gesellschaft, die frei ist von ideologischen und
religiösen Dogmen und in der eine fortwährende Erneuerung die Kosten des
Irrtums für Bürger und Staat gering hält

• Wir sind für ein Österreich, in dem der Natur als Teil unseres eigenen Seins
Eigenwürde und Grundrechtsschutz zugestanden wird.

Dieses Programm beinhaltet nicht nur diese Forderungen, sondern vor allem auch
Kritik an der damaligen Praxis der Demokratie. Er schreibt, dass nur er und die FPÖ
die Rechte einer „schweigenden Mehrheit“ vertreten und darin den Erfolg von ihm
und seiner Partei beruht. (Bailer-Galanda 1997, S. 58) Jedenfalls, schreibt Haider
weiter, will er mit seiner Politik die derzeitigen Zustände in Österreich ändern. Als
Beispiele für Problemzonen nennt er die von ÖVP und SPÖ im Übereinkommen
betriebene Proporzpolitik, welche die Dienstposten in Verwaltung, öffentlichen Dienst
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und staatsnahen Wirtschaftsunternehmen, Arbeiter- und Wirtschaftskammern nach
Proportionalität bestimmter politischer Gruppierungen verhältnismäßig aufgeteilt
werden. "Bis heute ist Österreich ein Beutestück dieser Parteien. Es gibt keine
westliche Demokratie, in der Parteien so viel Macht, eine so große organisatorische
Dichte und so umfassenden Zugriff auf die privaten Lebensumstände der Bürger
haben wie in Österreich." (Haider 1992, S. 126) Die Praxis der Proporzdemokratie
lässt, wie Haider weiter schreibt, "für ein offenes, demokratisches System wenig
Raum." Er erinnert dabei an "schwarze Landwirtschafts- und Handelskammern, rote
und schwarze Schulen mit roten und schwarzen Direktoren, (...) rote und schwarze
Staatsbetriebe, rote und schwarze Banken, rote und schwarze
Autofahrerorganisationen (...)" (Haider 1992, S. 128)

Haider selbst nennt seine keineswegs populistisch und den Umgang mit der
nationalsozialistischen Vergangenheit der Nation keineswegs rechtslastig. Er selbst
behauptet von sich einen klaren Blick für die Geschichte zu haben. Zur
Vergangenheitsbewältigung meint er: "Man kann die Vergangenheit nicht bewältigen.
Bewältigen muss man die Gegenwart. Das wird aber viel leichter, wenn man aus der
Vergangenheit lernt." (Haider 1992, S. 107) Er sieht den bis dahin geführten Diskurs
um die Vergangenheitsbewältigung rund um den Nationalsozialismus als Bild, das
konstruiert wurde, welches maßgeschneidert war für die Einbettung in eine
Nachkriegsordnung und für die Anpassung an die Mächte in Westen und Osten, die
diese Ordnung diktierten. (vgl. ebenda, S. 108) "Mit der Fiktion, Österreich sei das
"erste Opfer Hitlers" gewesen, schob man die Mitverantwortung ab. Mit der
Forcierung des Begriffs der Österreichischen Nation wollte man weniger die
Heimatliebe fürdern als die kulturellen Bande zu Deutschland durchtrennen." (Haider
1992, 108)

In einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Haiders Buch „Die Freiheit die


ich mir nehme“ und einigen Äußerungen des FPÖ-Obmannes, schreiben Bailer-
Galanda und Neugebauer 1997, dass sich die Positionen von Haider und der FPÖ in
den letzten Jahren „eindeutig in Richtung Rechtsextremismus verändert haben,
wobei formale Praktiken zu Taktik und Strategie der NSDAP immer deutlicher
werden“. (Bailer-Galanda 1997, S. 101) Obwohl sie Haider und die Partei damit
keinesfalls mit der NSDAP gleichsetzen wollen, geht es ihnen hierbei darum, dass

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„bestimmte sozialdemagogische und populistische Mechanismen heute ähnlich wie
in den dreißiger Jahren ihre Funktion erfüllen.“ (ebenda)

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8. Bibliografie
Barthes, Roland (1964): Mythen des Alltags. Frankfurt, Surkamp.

Goldmann Harald, Krall Hannes, Ottomeyer Klaus (1992): Jörg Haider und sein
Publikum - eine sozialpsychologische Untersuchung. Klagenfurt, Drava

Haider, Jörg (1993): Die Freiheit, die ich mir nehme – Das Ende des Proporzstaates
Plädoyer für die Dritte Republik. Frankfurt, Ullstein.

Hartleb, Florian (2004): Rechts- und Linkspopulismus – Eine Fallstudie anhand von
Schill-Partei und PDS. Chemnitz, Leske + Budrich

Pelinka Anton, Wodak Ruth (Hg.) (2002): „Dreck am Stecken“ – Politik der
Ausgrenzung. Wien, Czernin Verlags GmbH.

Scharsach, Hans-Henning (1995): Haiders Clan. Wien, Orac Verlag

Ottomeyer, Klaus (2009): Jörg Haider – Mythenbildung und Erbschaft. Klagenfurt,


Drava

Lux Georg, Wiedergut Arno, Sommersguter Uwe (2008): Jörg Haider – Mensch,
Mythos, Medienstar. Wien-Graz-Klagenfurt, Verlag Carinthia.

Zuser, Peter (1997): Strategische Ambivalenz – Der Umgang Jörg Haiders mit dem
NS-Thema. Wien, Institut für Höhere Studien (IHS)

Rathkolb, Oliver (2005): Die paradoxe Republik. Wien, Zsolnay

Links:

Profil-Cover über Haider-Kult

http://eminenz.files.wordpress.com/2009/07/7016.jpg

Transkript der Sendung „Kronenzeitung – Tag für Tag ein Boulevardstück“

http://images.derstandard.at/20021023/kronetranskript_c0.pdf

Ergebnis der Kärntner Landtagswahlen 2009

http://www.orf.at/ktnwahl09/

Biografie Jörg Haiders in der Wienerzeitung

http://www.wienerzeitung.at/linkmap/personen/haider.htm

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Auszug aus dem Buch "Mein Sohn Jörg" von Dorothea Haider

http://www.heute.at/news/politik/j%F6rg+haider./Mein-Sohn-Joerg-Mutter-Dorothea-
erinnert-sich;art422,132719

Pressemeldungen über den Tod von Jörg Haider

http://diepresse/com/home/politik/innenpolitik/421797/print.do

www.krone.at/krone/S25/object_id_117709/hxcms_popup/index.html

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