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4. Wissenschaftstheorie
965
966
ERKENNTNISTHEORIE VS.
WISSENSCHAFTSTHEORIE
967
Die Wissenschaftstheorie thematisiert die
Wissenschaft als eine Tätigkeit zur Vermehrung des
Wissens und der Wahrheit.
968
Das Problem des Wahrheitsnachweises und der
Begründung von Erkenntnis sind auch zentrale
Themen der Erkenntnistheorie.
969
Ist die Wissenschaftstheorie nur ein spezieller
Zweig der Erkenntnistheorie?
970
Was als Erkenntnis und Wissen gilt, wird heute
hauptsächlich in den Wissenschaften entschieden.
971
Ist die Wissenschaftstheorie eine Erbin der
Erkenntnistheorie?
972
Erkenntnistheorie
Wissenschaftstheorie
974
WISSENSCHAFTLICHE
ERKLÄRUNGEN
975
„Das charakteristische Ziel der Wissenschaft ist die
Angabe systematischer und zuverlässig untermauerter
Erklärungen.“
Ernest Nagel
976
Was ist überhaupt eine wissenschaftliche Erklärung?
977
ERKLÄRUNGEN SIND
ANTWORTEN AUF WARUM-
FRAGEN.
978
Frage
Warum erscheint das Licht entfernter
Antwort
979
Explanandum
Das Licht entfernter Galaxien erscheint in einer
Rotverschiebung.
Explanans
980
AUCH ERKLÄRUNGEN SIND
ARGUMENTE!
981
Beweis Rechtfertigung
Prämissen r Gründe r
s s
-------------beweisen---------------- -------------stützen/rechtfertigen-------------
Konklusion p Überzeugung p
Erklärung Bestätigung
Antworten r Evidenzen r
s s
---------------erklären----------------- ---------------stützen/bestätigen-----------------
Frage p Gesetz/Theorie p
r, s erklären p r, s bestätigen p
982
ZUR LOGIK
WISSENSCHAFTLICHER
ERKLÄRUNGEN
Carl Gustav Hempel
983
Carl Gustav Hempel (1905-1997)
985
Eine
Eiskunstläuferin
rotiert sehr langsam
um ihre eigene
Achse.
987
1. Die Eiskunstläuferin legt die Arme eng an ihren Körper an.
988
erklären zusammen …
989
Die Winkelgeschwindigkeit der Eiskunstläuferin
vergrößert sich.
990
Das Explanandum ist die Konklusion eines
Arguments.
991
Die dritte Prämisse besteht aus der Anführung eines
Naturgesetzes (Impulserhaltungssatz):
992
Die weiteren Prämissen bilden die sogenannten
Randbedingungen.
993
Das Argument ist logisch valide, d.h. das
Explanandum folgt aus den Prämissen.
994
(1) Allgemeines Gesetz
Falls Ereignisse des Typs A, des Typs B, ... und des Typs N eintreten,
dann wird ein Ereignis des Typs X eintreten.
(2) Initial-/Randbedingungen
Es treten die Ereignisse a des Typs A, b des Typs B, ... und n des Typs
N ein.
995
"...the scientific explanation of a fact consists, from a
logical point of view, in showing that it is an instance of
a general law. "
997
Im D-N-Modell einer Erklärung wird das Explanandum
E als logisch valide Konklusion eines Arguments
dargestellt, dessen Prämissen
998
ADÄQUATHEITSBEDINGUNGEN
WISSENSCHAFTLICHER
ERKLÄRUNGEN
999
(1) Das Explanandum muss eine logische
Konsequenz des Explanans sein, d.h. die Erklärung
muss die Form eines logisch gültigen, deduktiven
Arguments besitzen.
1000
(2) Das Explanans muss mindestens ein allgemeines
Gesetz enthalten, das eine wesentliche Rolle in der
Erklärung spielt.
1001
(3) Das Explanans muss empirischen Gehalt besitzen,
d.h. es muss sich im Prinzip empirisch testen lassen.
1002
(4) Die Explanans-Sätze müssen wahr sein.
1003
WAS IST EIN NATURGESETZ?
1004
1. In jedem geschlossenen
2. Jeder Apfel in meinem
System bleibt die Summe
Kühlschrank ist rot.
der Energie erhalten.
1005
Jeder dieser Sätze besitzt entweder die Form „Alle A
sind B“ (1&2) oder „Kein A ist B“ (3&4).
wahre Verallgemeinerungen
1006
Trotzdem unterscheiden sich 1) und 3) wesentlich von 2)
und 4). Die einen betrachten wir als Naturgesetze; die
anderen sind nur (zufällig wahre) Verallgemeinerungen.
1007
Kontrafaktisches Kriterium
1008
1 Wenn dieser Druckbehälter hier ein geschlossenes
System wäre, dann würde die Summe der Energie
innerhalb dieses Druckbehälters konstant bleiben.
gültig
1009
2 Wenn dieser Apfel da drüben in meinem
Kühlschrank läge, dann wäre er rot.
ungültig
1010
Problem
zirkulär
1011
Modales Kriterium
1012
1 Es ist nicht möglich, dass sich die Summe der
Energie in einem geschlossenen System ändert.
gültig
1013
2 Es ist nicht möglich, dass sich in meinem
Kühlschrank Äpfel befinden, die grün (d.h. nicht rot)
sind.
ungültig
1014
Problem
zirkulär
1015
Die Frage, was möglich und notwendig ist, und die
Frage, welche kontrafaktischen Situationen zulässig
sind, hängt davon ab, welche Regelmäßigkeiten als
physikalische Gesetze angesehen werden und
umgekehrt.
1016
FAZIT
1017
PROBLEME DES D-N MODELLS
1018
Der Fahnenmast
1019
Auf einem ebenen Boden ragt senkrecht ein
Fahnenmast empor. Er ist 4,0 m hoch. Die Sonne
scheint aus einem Winkel von 60°. Und der Mast wirft
einen Schatten von 4,4 m Länge.
1020
Wenn wir fragen, warum der Schatten 4,4 m lang ist,
dann lässt sich das ganz einfach mit ein wenig
Trigonometrie (deduktiv) herleiten. Das Ergebnis ist
eine D-N-Erklärung der Schattenlänge.
1021
Wir könnten durch Ausnutzung desselben Schemas
und genau derselben Gesetze erklären:
1022
… warum der Mast 4 m hoch ist
1023
… warum die Sonne in einem Winkel von 60° zur Erde
steht
1024
Erklärungen sind asymmetrisch
1025
Das Barometer und der Sturm
1026
Wenn das Barometer schnell fällt, dann können wir
einen Sturm vorhersagen. Dennoch erklärt das Fallen
des Barometers das Auftreten des Sturmes nicht,
denn das Fallen des atmosphärischen Druckes ist
sowohl verantwortlich für das Fallen des Barometers
wie auch des Aufkommens eines Sturmes.
1027
Wenn zwei Wirkungen eine gemeinsame Ursache
besitzen (Sturm und Fallen des Barometers), können
wir nicht die eine Wirkung durch die andere erklären.
1028
Sonnenfinsternis
1029
Vom jetzigen Stand der Sonne sowie einer Anzahl von
Gesetzen über die Planetenbewegungen können
Astronomen eine zukünftige Sonnenfinsternis
vorhersagen.
1030
Aufgrund eben derselben Daten und Gesetze lassen
sich aber auch vorangehende Sonnenfinsternisse
„voraussagen“.
1031
Wir führen keine gegenwärtigen oder zukünftigen
Bedingungen an, wenn wir vergangene Ereignisse
erklären.
1032
Eine Antibabypille für den Mann?
1033
Schmidt erklärt sich die Tatsache, dass er nicht
schwanger wird damit, dass er regelmäßig die
Antibabypille seiner Frau genommen hat. Und er nutzt
dafür das folgende Naturgesetz:
1034
Das Erklärmuster hat zwar die Form einer D-N-
Erklärung, zitiert aber irrelevante Sachverhalte.
1035
Die Adäquatheitsbedingungen für D-N-Erklärungen
sind zu schwach (sie verlangen zu wenig).
1036
Der Tintenfleck
1037
Auf einem Teppich in der Nähe des Schreibtisches
befindet sich ein schwarzer Fleck. Wie kann das
erklärt werden?
1038
Zum Beispiel so:
1039
Obwohl diese Erklärung keine allgemeinen
Gesetzmäßigkeiten enthält, stellt sie dennoch eine
erfolgreiche Erklärung dar.
1040
Die Adäquatheitsbedingungen sind nicht nur zu
schwach, sondern auch zu stark (sie verlangen zu
viel).
1041
KAUSALE ERKLÄRUNGEN
1042
Es scheint, dass Erklärungen dann erfolgreich sind,
wenn sie die Ursachen für ein Ereignis nennen.
Die Höhe des Fahnenmastes und die Länge seines Schattens sind nicht
Ursachen für den Sonnenstand.
Der Sturm ist nicht Ursache für das Fallen des Barometers.
Das Nehmen der Antibabypille ist nicht Ursache dafür, dass Männer nicht
schwanger werden.
1043
Wir können Vermutungen zu den Ursachen eines
bestimmten Ereignisses haben, ohne ein genaues
Gesetz zu kennen, das beide miteinander verbindet.
Das Herunterfallen des Tintenfasses ist Ursache für den Fleck auf dem Teppich.
1044
DIE KRITIK AM
KAUSALITÄTSBEGRIFF
1045
David Hume (1711-1776)
Hume gilt als einer der wichtigsten Vertreter des
klassischen, britischen Empirismus. Er vertrat eine
Philosophie des gesunden Menschenverstandes und
wendete sich gegen die traditionelle Metaphysik, die er als
Quelle des Irrtums ablehnte. In der Wissenschaftstheorie
haben vor allem seine kritischen Ausführungen zur
Kausalität und Induktion eine durchschlagende Wirkung
gehabt.
1047
Der Stoß der weißen Billardkugel gegen die blaue in
einem bestimmten Winkel war die Ursache der darauf
folgenden Bewegung der blauen Kugel.
1048
Humes Kritik
1049
Was können wir tatsächlich beobachten?
1050
Diese tatsächlichen Evidenzen zeigen nicht, dass
eine kausale Verbindung zwischen den Ereignissen
besteht. Allenfalls, dass es bisher immer so war, dass
das eine Ereignis dem anderen folgt.
1051
„Schwache“ Interpretation von Kausalität
Für alle E1, E2: Falls E1 eintritt, dann tritt auch E2 ein.
1052
L: Für alle E1, E2: Falls E1 eintritt, dann tritt auch E2
ein. (gesetzmäßige Verallgemeinerung)
1053
DAS INDUKTIV-STATISTISCHE
MODELL
(I-S-ERKLÄRUNGEN)
1054
In D-N-Erklärungen besteht zwischen den Prämissen
und der Konklusion der Erklärung eine logische
Folgebeziehung.
1055
In I-S-Erklärungen wird die Konklusion durch die
Prämissen nur als wahrscheinlich dargestellt. Diese
Beziehung des Stützens kann verschieden stark sein.
1056
L Fast jede Streptokokken-Infektion kann durch
Penicillin geheilt werden.
1057
Deduktion ist erosionsbeständig
1058
Deduktion ist erosionsbeständig
1059
Für statistische Gesetze gilt das nicht
1060
Bedingung der maximalen Spezifität
1061
L Fast jede Streptokokken-Infektion kann durch
Penicillin geheilt werden.
1062
PROBLEME
1063
Syphilis und Paresis
Eine Paresis (eine teilweise Lähmung) kann mit einer Wahrscheinlichkeit
von 25% auftreten, falls eine Syphilis unbehandelt bleibt.
1064
L Unbehandelte Syphilis führt manchmal zu Paresis.
----------------erklären---------------------[.25]
1065
L Unbehandelte Syphilis führt manchmal zu Paresis.
----------------erklären---------------------[.75]
1066
Während die Stützung für die Konklusion im zweiten
Beispiel statistisch gesehen viel höher ist als für die
Konklusion im ersten Beispiel, scheint das zweite
Beispiel keine akzeptable Erklärung abzugeben; das
erste schon.
1067
Determinismus
1068
25 % der Opfer unbehandelter Syphilis bekommen
Paresis.
---------------erklären----------------------------[.25]
1069
95 % der Opfer unbehandelter Syphilis, die ein P-
Merkmal besitzen, bekommen Paresis.
---------------erklären----------------------------[.95]
1070
Alle Opfer unbehandelter Syphilis, die ein P-Merkmal
und ein Q-Merkmal besitzen, bekommen Paresis.
1071
Determinismus
1072
Falls der Determinismus wahr wäre, dann wäre jedes
Ereignis deduktiv erklärbar und jede I-S-Erklärung wäre
nichts weiter als eine unvollständige D-N-Erklärung,
zurückzuführen auf unser unvollständiges Wissen.
1073
Psychotherapie für Bruce Brown
1074
Bruce Brown leider unter Depressionen. Er geht zu
einer Psychotherapie. Kurz darauf verschwindet die
Depression.
1075
Nein
1076
Ja
1077
Die Höhe der Wahrscheinlichkeit für einen
statistischen Zusammenhang ist nicht entscheidend
für den Erfolg einer Erklärung. Statt dessen müssen
wir die relevanten von den irrelevanten Einflüssen
unterscheiden. Nur die relevanten Einflüsse machen
eine statistische Erklärung erfolgreich!
1078
Das Hauptproblem des I-S-Modells besteht darin,
dass nicht die Wahrscheinlichkeit sondern die
statistische Relevanz der ausschlaggebende Faktor
zu sein scheint.
1079
STATISTISCHE RELEVANZ
1080
Betrachten wir Bruce Brown. Er leidet unter
Depressionen. Unter allen, die darunter leiden und
nicht zur Therapie gehen, gibt es eine gewisse
Wahrscheinlichkeit Ws, spontan zu genesen.
1081
Ws = S / X
S … Anzahl der spontan Genesenden
X … Gesamtgruppe
1082
Für die Gesamtzahl der Genesenden, welche auch
diejenigen einschließt, welche mit Psychotherapie
behandelt wurden, können wir eine andere
Wahrscheinlichkeit Ws+p annehmen. Diese setzt sich
zusammen aus den spontan Genesenden plus
denjenigen, die nach einer Therapie genesen.
1083
Ws+p = S+ P / X
X … Gesamtgruppe
1084
Die Psychotherapie ist positiv relevant für die
Genesung, falls:
Ws < Ws+p
1085
Die Psychotherapie ist negativ relevant für die
Genesung, falls:
Ws > Wp+s
1086
Die Psychotherapie ist irrelevant für die Genesung,
falls:
Ws = Ws+p
1087
Fazit
1088
ZUSAMMENFASSUNG
1089
D-N-Modell I-S-Modell
Das zu erklärende Ereignis folgt Das zu erklärende Ereignis wird aus
logisch aus Naturgesetzen und einem statistischen Zusammenhang
dazugehörigen Randbedingungen. induktiv abgeleitet.
P P
[r]
Q Q
Determinismus?
Probleme Probleme
Kausale Asymmetrie Maximale Spezifität