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Transpersonale Studien Jochen Adam

Herausgeber:
Prof. Dr. Wilfried Be/sehner
Prof. Dr. Dr. Peter Gottwald
Ich und das B'egehren
in den Fluch'ten:d:,er
Signifikanten
Die Reihe Transpersonale Studien versteht sich als ein Forum, in dem
Fragen der seelisch-geistigen Entwicklung behandelt werden. Ange- Eine Vernähung der
sichts der Faszination, die nach wie vor von einem materialistischen
Menschen- und Weltbild ausgeht, soll ein Ort für den Austausch über
Lacan'sehen Psychoanalyse
Grundfragen des Humanum geschaffen werden: Wer bin ich? Woher mit dem Zen-Buddhismus
komme ich? Wohin geht ich? Sie sollen aus unterschiedlichen Per-
spektiven erörtert werden. Die Beiträge werden diese Grundfragen
umkreisen, um verschiedenartige Sichtweisen gewinnen und verglei-
chen zu können. Alle diese Texte respektieren wir als Versuche, das
dem Menschen innewohnende Numinose zur Sprache zu bringen.
Und wir können uns als Forscherinnen und Forscher erleben, die auf
dem Weg sind, das menschliche Bewußtsein zu erkunden und die
eigene Wandlung zu erfahren.

BIS-Verlag der earl von Ossietzky Universität Oldenburg


Inhalt

GELEITWORT 11

1 VORWORT 17
1.1 Sich-satt-Haben und Wille zum Anderssein 17
1.1.1 "Absolute Ruhe, bitte!" 17
1.1.2 Verstrickung 19
1.2 Wissenschaft, Religion, Magie 20
1.3 Wissen und Wahrheit ; 22
1.4 Die Philosophie des Aufschubs 23
1.5 Aktivierung des Rests 24
1.6 Neurose und Depression 27
1.7 Das Fehlen des Hegemonialsignifikanten und die Schonung der
Differenzen 28
1.8 Die Wissenschaft im Dienst an den Gütern 32
1.9 Die Wissenschaft und das sich nicht wissende Wissen 36
1.10 Reisen nach Japan 38
1.11 Nullpunkt der Zeit 39

BIS-Verlag, Oldenburg 2006


2 DIE (DE)KONSTRUKTION DES ICH BEI LACAN 43
2.1 Sei nicht, der du bist! ; 43
Verlag / Druck / BIS-Verlag
Vertneb: der earl von Ossietzky Universität Oldenburg 2.2 Erinnerung an das Spiegelstadium 45
Postfach 25 41, 26015 Oldenburg
2.3 (K)Eine Spur von Selbsterkenntnis 51
TeL 0441/7982261, Telefax: 0441/7984040
E-Mail: verlag@bis.uni-oldenburg.de 2.4 Ganzheit, Mangel und die Kastration des anderen 55
Internet: www.bis.uni-oldenburg.de
2.5 Da~ Begehren , 61
ISBN 3-8142-2018-8 2.6 Lacans Ödipus auf Kolonos 67
ISBN 978-3-8142-2018-5 2.7 Wie (nicht) sprechen 72
2.8 Lacans Konzeption des Unbewussten 77 5.1 Auf- und absteigende Mystik 145
2.9 Mit dem Körper denken 82 5.2 Konjekturen zur Plotinischen Mystik gegenüber Zen und
Analyse , 148

3 VOM SYMPTOM ZUM SINTHOME 87 5.3 Die "Axiomatik der Apophasis" bei Dionysius und der
Hyperessentialismus 152
3.1 Die Destitution 87
5.4 Das Meister/Schüler-Verhältnis in der negativen Theologie 159
3.2 Die Vemähung 90
5.5 Meister Eckhart 161
3.3 Das Phantasma der Realität und das Reale 94
5.6 Der Bruch mit dem Erbe 163
3.4 Die Präsenz des anderen 98
3.4.1 Das Recht des Subjekts 100 5.7 Das Erbe als "seinsgeschichtliches Geschick" und die
analytische Wahrheit versus Welt und Realität.. 164
3.5 Die Rückverwandlung des Symbolischen ins Imaginäre 101
5.8 Das Tragische der Analyse 172
3.6 Wo das Symptom war, soll das Sinthome werden 105
3.6.1 Die Armatur der Gedanken 105 5.9 Wie das Phantasma durchqueren, ohne tragisch zu werden? 179
3.6.2 Die Kunst und das Leiden 108
3.7 Die Schönheit und der FehL 111 6 DAS LEERE SUBJEKT 183
3.7.1 Wie japanische Nonnen begehren 113
6.1 Das eigentliche Ich und die Leerheit des Subjekts 183
3.7.2 Proletarier des Seins 116
6.2 Weder Wahn noch Mythos 187
3.8 Die Philosophie als Symptom und der analytische Diskurs 117
3.8.1 Es gibt kein Wissen, das sich schließt! 117 6.3 Weder Weisheitslehre noch positive Religion 188
3.8.2 Lacans Denkweg zum Buddhismus 120
6.4 Entstehung in Abhängigkeit versus Descartes 190
6.5 Zazen 1 194
4 ZWISCHEN THERAPIE VND (LEHR)ANALYSE 123
6.6 Zazen 2 196
4.1 Konstruktionen und Rekonstruktionen 123
6.7 Das Bodhidharma-Koan 200
4.2 Analyse versus Therapie 125
6.7.1 Die Preisgabe der Logik des Opfers 205
4.2.1 Das Verfehlen des Symbolischen 125
6.7.2 Das Opfer als Form der Leugnung der Kastration des anderen bei
4.2.2 Die Therapie ist Symptom 130
Lacan und im Zen 207
4.2.3 Zwei Kennzeichen zur Unterscheidung von Psychoanalyse und
Therapie 133 6.8 Nicht-Irrende Narren, Irrende Nicht-Narren, Erleuchtete Sich-
Täuschende und Sich nicht Täuschende Nicht-Erleuchtete (Von
4.3 Das adressierte Selbstgespräch 135
Lacan zu Dögen und zurück) 213
4.4 Das Zurückgeben der Frage in umgekehrter Form 137 6.8.1 Das neue Bündnis 217
6.9 Jenseits des Spiegelbildes 221
5 DISKURS ÜBER DIE MYSTIK 145 6.10 Reden von der Erleuchtung 228
7 DIE VERBOTENE MEDITATION 237 9.2 Autorisierung und Übertragung 312

7.1 "Die Arbeit muss weitergehen!" 237 9.3 Lehre, Transmission und die natürliche Autorität.. 316
7.2 Ein anderes Paradigma: Die Topik von Mathem und Nicht- 9.4 Die Person als Maske des Nichts oder der Analytiker als Heiliger .. 320
Mathem im frühen Buddhismus 242 9.4.1 Die Moralität der Meister/Analytiker und die moralische Norm 320
9.4.2 Liebe und Lust ' 325
7.3 Das Mathem als das Design des Nicht-Mathems 245 9.4.3 Die Pause des Heiligen 325
7.3.1 Das mehr als Wissbare 245
7.3.2 Die Matheme als Koan 246 9.5 Eine Reise nach China 327
7.3.3 Zurückweisung eines Missverständnisses 249
7.4 Matheme des Nicht-Mathems und die Grenze zwischen Innen 10 LITERATURLISTE 339
und Außen 250
7.4.1 Die Inszenierung einer transformatorischen Praxis 250
7 A.2 Die Agenten der signifIkanten Konvention 251
7.4.3 Überall Polizei. 255
7.5 Die Matheme und Knoten sind keine Junggesellenmaschinen 260
7.5.1 Ist das Nicht-Mathem mathematisierbar? 260
7.5.2 Der Wissenstrieb der Zen-Schüler 262
7.5.3 Der enggefiihrte Signifikant 264
7.6 Die Versenkung, der Schmerz und die Entpsychologisierung 268
7.7 Verlust und Fehlen 271

8 DISKURS ÜBER DEN SCHMERZ 275


8.1 Der "vollendete Schmerz" und sein Anschein 275
8.2 Die Spiele des Schmerzes 279
8.3 Alles 1st Schmerz 284
8.4 Die Lehrrede ,,Furcht und Schrecken" aus der Suftapitaca 288
8.5 Vom Anfang und Ende der Angst 294
8.6 Der Totalschaden 298

9 LEERHEIT LERNEN UND LEHREN 305


9.1 Das leere Grab 305
9.1.1 Die Passe 310
Geleitwort

Die vorliegende Arbeit kann in eine Traditionslinie eingezeichnet werden,


die mit Erich Fromms Untersuchung der Beziehungen zwischen der Psycho-
analyse und dem Zen-Buddhismus begann. Während Fromm heute der Neo-
Psychoanalyse zugeordnet wird (die von Russell Jacoby als Teilbewegung
emer Revision der Freudschen Psychoanalyse angesehen wurde), muß man
Lacans ausdrückliche Anknüpfung an Freud berücksichtigen, um von daher
die Position der vorliegenden Arbeit einschätzen zu können. Von ihrer Struk-
tur her kann ich sie als "Webstück" bezeichnen, denn es ist nicht nur eine
"Vemähung", die hier geleistet wurde - zwei getrennte Stücke zu vereinen-
sondern im Text überkreuzen sich die Zitate, die überlegungen, die Bezüg-
lichkeiten derart, daß ein Ganzes entsteht, ein Ganzes, das, um im Bild zu
bleiben, als "Kleidungsstück" eine Lebensform symbolisiert, die gleicher-
maßen "im Osten" wie "im Westen" eine Stätte finden kann. Insofern klingt
hier durchaus Jaspers' Anliegen einer "Weltphilosophie" an.
Im ausführlichen Vorwort werden dementsprechend schon alle die Themen
angeschlagen, die dann ausgeführt werden: Die Gestalten und die Farben des
Begehrens in Ost und West, die Rolle von Religion und Wissenschaft bei der
Suche nach der Erfüllung des Begehrens, die Pathologie des Begehrens wie
der Suche nach dessen Stillung, die begrenzten Möglichkeiten der Sprache,
die politisch-ökonomischen Bedingungen, die das Begehren schafft - und
die das Begehren dann ihrerseits formen. Die Begegnung zwischen Ost und
West, insbesondere zwischen Japan und Europa, beginnend als gewaltsame
Erschließung, Industrialisierung und Militarisierung nach westlichem Vor-
bild, aber auch als wechselseitiges Kennenlernen der Philosophie und der
Übungswege, das wird deutlich, dauert an; sie wächst und beginnt erste
Früchte zu tragen, die in dieser Arbeit zwar noch nicht geerntet, aber doch
schon sichtbar gemacht werden können. Dabei von "Lacans Buddhismus" zu
sprechen, ist wohl etwas irreführend; Lacans Beziehungsaufuahme geschieht
ja ganz selbständig, sie ist keineswegs eine "Konversion", sondern eher eine
Anverwandlung des schon als verwandt erschauten Anderen - zu einem neu-
en Ganzen.
Die folgenden Kapitel vertiefen und variieren diese Themen. Im ersten (11.)
geht es t!m die (De)Konstruktion des Ich bei Lacan; dabei wird Nietzsehe als
ein "Vorwegnehmer" gewürdigt, das Spiegelstadium im Verlauf der kindli-
ehen Entwicklung als eine zentrale Metapher entfaltet und das Begehren als In "Das leere Subjekt", Teil VI, beginnt die Reise mit den Stationen des Zen-
die zentrale Begrifflichkeit entwickelt. Dabei werden Ganzheit, Mangel und Buddhismus, mit den drei Kostbarkeiten des Buddha, des Dharma und der
die "symbolische Kastration" diskutiert, welch letztere anzuerkennen nach Sangha, also der Gestalt des Erleuchteten, der Lehrrede und der Gemein-
Lacan eines der wesentlichen Ziele seiner Fortfiihrung der Freudschen Ana- schaft der Übenden. Bedeutsam sind hier die Beschreibungen der Übenden
lyse ist. "Die psychoanalytische Demontage des vorgeblich selbstmächtigen als "Nicht~Irrende Narren", "Irrende Nicht-Narren", "Erleuchtete Sich-
Subjekts nennt Lacan seine Destitution und die Psychoanalyse als ganze ist Täuschende" und "Sich nicht Täuschende Nicht-Erleuchtete", Von Lacan zu
gleichsam das Ritual der Anerkennung der symbolischen Kastration...Aber Dogen - so zeichnet der Verfasser hier den Weg nach. Er schließt diesen
die Destitution ist auch die Bedingung einer symbolischen Neugeburt des Teil mit einer Diskussion der Probleme, die entstehen, wenn über Erleuch-
Menschen. Denn vom Rest her erfolgt ja die Begründung des begehrenden tung gesprochen werden soll.
Subjekts." (71) Diese Bewegung, verbunden mit den Schmerzen des Ster-
Teil VII, überschrieben mit "Die verbotene Meditation", beschreibt die Prob-
bens wie des Geboren-Werdens, korrespondiert letztlich mit der Bewegung
leme und Fallen, die entstehen, wenn der Zenschüler sich um ein Wissen
des Zenschülers auf den "Spuren des Ochsen", die zum Erblicken, zur Zäh-
bemüht, um mit dessen Hilfe seine Praxis zu verbessern und zu ihrem Ziel zu
mung des Ochsen (Symbol des wahren Selbst) - und schließlich zu seinem
Vergessen fuhrt. fuhren. Die Lacanschen Begriff von Mathem und Nicht-Mathem, die von
ihm verwendeten Bilder der Knoten, die keine JunggeseUenmaschinen sind,
Im III.Teil, "Vom Symptom zum Sinthome", fuhrt der Verfasser in die La- wie der Autor betont, beleuchten an dieser Stelle klar das Leiden und Begeh-
cansche Nomenklatur ein und bespricht die drei "testamentarischen" Katego- ren der Adepten auf dem Zenweg.
rien des Realen, des Symbolischen und des Imaginären. Wie sich diese drei
Konsequenterweise eröffnet der Verfasser deshalb im VIII. Teil einen Dis-
im jeweiligen Augenblick zum "Borromäischen Knoten" schürzen, gehört zu
kurs über den Schmerz, der durchlitten werden will. "Das Erlittenhaben der
den unvergeßlichen Einsichten, die Lacan vermittelte. Daraus folgt: Es gibt
Privation, des >Totalschadens< ist im Zen die Bedingung jeden höheren Le-
kein Wissen, das sich schließt, sondern allenfalls einen Denkweg; so er-
bens, jeder höheren Geistigkeit und erst der symbolische Tod fuhrt zu einem
schließt der Autor Lacans "Denkweg zum Buddhismus" in drei Abschnitten:
Leben, das nicht mehr aus der Furcht vor dem Tod heraus bestimmt ist. Aus
"Zuerst suchte er eine freudianische Lesart der Psychiatrie, dann wurde seine
Zazen heraus zu leben, heißt aus dem Grab heraus zu leben. Aus dem Grab
Lesart Freuds eine philosophische. Schließlich durchquerte er mit dem
heraus zu leben heißt: Tod und Leben sind nicht-zwei." (262)
Freud-Signifikanten die Philosophie, als handele es sich um die >Durchque-
rung des Phantasma<. Die Philosophie als solche wird wie ein Symptom be- Von den "Lehren des Leeren" handelt dann abschließend der IX. Teil, dessen
handelt und Lacan, als >irrender Ungenarrter< (anders gesagt: als sich täu- erster Kapitel "Das leere Grab" eine christliche Erinnerung aufruft. Nicht
schender Erleuchteter) wird Meister." (99) mehr nur die "Lehren", sondern auch die Übertragung einer Lehrbefugnis
werden hier dargestellt und das Meister-Schüler-Verhältnis mit der Analyti-
"Zwischen Therapie und (Lehr)Analyse" überschreibt der Autor dann den
ker-Analysanden-Beziehung, selbst mit der Begegnung des Seelsorgers mit
IV.Teil. Darin werden die Begegnungen, die Sprachformen in der Lebens-
form Psychoanalyse aufgeschlüsselt. einer besorgten Seele, verglichen. Das jeweilige Ergebnis oder besser Ereig-
nis, das sich dann einstellen kann, ist immer ein "Akt, der dann geschieht,
Im V.Teil wird ein "Diskurs über die Mystik" vorgestellt. Hier finden die wenn die wählerische Wahl, wie es in einem Zen-Text heißt, suspendiert ist.
Leser den historischen Bezug, etwa zu Plotin, zu Dionysius und Meister Wenn er aber getan ist, so ist er deshalb auch nicht "uns" zuzurechnen. Aber
Eckhatt. "Mit der Mystik das Phantasma durchqueren" heißt, eine von Lacan wir müssen, so oder so, die Verantwortung übernehmen." (291)
errichtete Brücke zu betreten, die er zwischen Freud und der Technik der
Mit diesem Satz beschließt der Autor eine bemerkenswerte Arbeit, die über
Psychoanalyse auf der einen Seite und dem Zen-Lehrer auf der anderen Seite
viele Jahre des Übens, des Denkens und Schreibens entstanden ist und eine
konstruiert hat. In der Modeme wird, worauf der Verfasser hinweist, vielfach
kaum überschaubare Fülle von Bezügen, von Mitbringseln auf den weiten
dasjenige, das nicht verstanden wird, als "mystisch diskreditiert" und im
Wegen zwischen Religion, Philosophie und Psychologie bietet. Den Text mit
Umkehrschluß das Mystische als das Nicht-Verstehbare mißverstanden.
einer Karawane zu vergleichen, deren mitgefuhrte Waren jeweils auf Basa-
ren zur Schau und zum Verkauf gestellt werden, führt allerdings in die Irre. Für meine Tochter
Aber auch eine Sammlung in irgendeinem Museum wäre das falsche Bild.
Vielmehr ist der Text das Zeugnis einer lebendigen Bewegung, eines Le-
bensweges - damit ein Aufruf zum Leben, eine Ermutigung, im Leben eine
Möglichkeit zu sehen, die in eine "unendliche Weite" sich öffnet. Insofern ist
sie Erinnerung und Mahnung zugleich, bewegend und bewegt, wie das Werk
ist. Daß sie darüber hinaus auch als eine akademische Arbeit ihre Qualitäten
und ihre Bedeutung hat, ist meine feste Überzeugung.

Peter Gottwald
1 Vorwort

So habe ich gehört: Einstmals weilte der Erhabene im Lande der Kuru, in ei-
ner Stadt der Kuru namens Kammassadhamma. Da nun begab sich der ehr-
würdige Ananda zum Erhabenen. Dort angelangt begrüßte er den Erhabenen 1.1 Sich-satt-Haben und Wille zum Anderssein
ehrfurchtsvoll und ließ sich seitwärts nieder. Seitwärts sitzend sprach der
ehrwürdige Ananda zum Erhabenen so: 1.1.1 "Absolute Ruhe, bitte!"
"Erstaunlich, 0 Herr, wunderbar, 0 Herr, wie tief, 0 Herr, dieses Abhängig- Mit diesen drei Worten ließen sich alle Kusen I, die er je gehalten habe, zu-
gleichzeitige-Entstehen ist und wie tiefes scheint. Und doch liegt es für mich sammenfassen, so Shunryu Suzuki, ein Meister des Soto-Zen? Diesseits die-
gleichsam durch und durch offen da." ser Ruhe, die nicht die Abwesenheit von Geräusch ist, herrscht der Lärm, das
"Sprich nicht so, Ananda! Sprich nicht so, Ananda! [...]" (Suttapitaka 2, An- Durcheinanderreden und die totale Verstrickung. Auch Meister und Analyti-
fang) ker bleiben von dieser Verstrickung, Verwicklung, Verhedderung nicht ver-
schont.
,,[...] dieser Knoten, zu dem ich gelangt bin - natürlich nicht, ohne
mich genauso wie Sie darin zu verheddern [... ],,3

Die Zen-Logik der Koan, Kusen und Lehrtexte ebenso wie die Logik von
Lacans Mathemen und borromäischen Knoten entwickelt nicht, sie verwi-
ckelt. Sie zurrt die Knoten noch fester zusammen.
Dögen , der Begründer des japanischen Soto-Zen, schrieb:
,,[Das] wechselseitige Studieren und Suchen des Weges zwischen
Meister und Schüler ist Kattö [... ],,4

Der Kommentator der deutschen Ausgabe von Dögens Shöbögenzö schreibt


zu Kattö:

I Frei gehaltene Meistervorträge während der Zen-Übung, dem Zazen.


2 YgL. Suzuki, Sh.. ZEN-Geist - Anfanger-Geist. Unterweisungen m ZEN-Meditation
3 Lacan,1.. S XXII, R.S.I., S. 57. Die drei Buchstaben stehen fur "Reales", "Symbolisches",
"Imaginäres", Lacan schreibt in der "Einfuhrung m diese Publikation", nämlich die von
lA. Miller geleitete Transknption des Seminars von 1974-75: "Die ,Kategorien' des Sym-
bolischen, des Imaginären und des Realen werden hier als Testament erprobt." (ebd., S. I)
1200-1253
4 Dögen: Shöbögenzö, Bd. 2, S. 50. - Die Zitate aus dem Shöbögenzö sind, von einer Aus-
nahme abgesehen, der aus dem Englischen ms Deutsche übersetzten, im Theseus-Yerlag
erschienenen Ausgabe von 1977ff. entnommen. Die Ausnahme entstammt der neueren, di-
rekt aus dem Japamschen übersetzten und kommentierten Ausgabe, die seit 2003 im
Knstkeitz-Yerlag erscheint. Diese zeichnet sich durch größere philologische Genauigkeit
aus, es mangelt ihr aber m.E. stel1enwelse an poetischer Kraft.
18 19

,,Kattö, ,eine verschlungene Wisteria', wird gewöhnlich als abschät- Die Verstrickung ist aber im gleichen Maße verhängnisvoll, wie sie auch ein
9
ziges Wort verwendet, mit der Bedeutung von komplizierten Lehren Glück ist, eine Chance. Je mehr bonno , desto größer das Satori, orakelt das
oder weitschweifigem Zen; es ist ein Synonym für Illusion. Doch in Zen.
diesem Kapitel legt uns Dögen nahe, Kattö zu verwenden, um Kattö
abzuschneiden; Illusion zu verwenden, um Illusion abzuschneIden. Manche Träume, so Lacan, verstörten den Träumer so sehr, dass er aufwa-
che, um weiterzuschlafen. Mit der Traumdeutung gebe es viel missbräuchli-
Kattö symbolisiert auch die Beziehung zwischen Buddha und Budd- chen Umgang. Es werde gedeutet, um den Sinn nicht zu verstehen. Manch-
ha, unentwirrbar durch die Dharma-Übermittlung zusammengebun- mal sei es jedoch unabdingbar, nicht zu verstehen, um dem Sinn sich zu öff-
den."s
nen.
Es ist ähnlich wie mit dem, was in der Zen-Tradition Koan genannt wird.
Um die Wurzel der Verstrickung abzuschneiden, benütztenemige Meister,
Der Gipfel an Sinn inkarniert sich im Rätsel, sagt Lacan, aber man kann auch
so Dögen, die Verstrickungen selbst. Sie benutzen "Verstrickungen, um Ver-
herumrätseln, um dem Sinn sich gerade nicht zu öffnen. Der Sinn "hängt öf-
strickungen abzuschneiden,,6. Das ist offenbar nicht so leicht zu verstehen,
denn, so Dögen weiter: fentlich aus", doch die Schüler ziehen es vor, ihn zu suchen - um nicht zu
finden. 1O "Solange wir suchen", schreibt der Religionswissenschaftier K.
"Es ~.st s9hwer jemanden zu finden, der weiß, daß Verstrickunren von Heinrich in einem "Exkursüber den Buddhismus als Ausweg", ,,[...] flüchten
der Ubermittlung des Dharma.nicht getrennt werden können." wir vor der Erkenntnis, die wir vorgeben zu suchen"ll, Wohl dem, der wie
Picasso sagen kann: "Ich suche nicht, ich finde." Es handelt sich hierbei um
Jedoch seien Meister und Schüler einen der Lieblingssätze Lacans. 12 Aber auch der Suchende hat, ohne es zu
"wechselseitig aneinander gebunden, obwohl sie unabhängig erschei- wissen, eigentlich schon gefunden. Lacan gibt zu bedenken, dass man gar
nen [... ]"8 nicht suchen würde, wenn man nicht schon gefunden hätte. 13 Mit dem ersten
Überschreiten der Schwelle· zum Dojo, der Zen-Übungshalle, sei der ent-
scheidende Schritt, so die Meister, bereits getan.
In lacansche Termini lässt sich das folgendermaßen übersetzen: Was zum
Wissen werden kaIln: erscheint nur auf demjenigen Tableau, einer relationa- 1.1.2 Verstrickung
len Matrix, auf der die Erkenntnis des einen von der des anderen abhängt.
Die Verstrickung des Menschen, mit Lacan fortzufahren, rührt daher, dass er
Die Natur der Verstrickung bringt es mit sich, dass es kein Wissen gibt, das
konstitutiv dissoziiert ist und alieniert im anderen. Er befindet sich gleichsam
sich schließt und damit zusammenhängend: dass es keine Metasprache gibt.
in einem, um den Ausdruck Walter Benjamins zu benutzen, "permanenten
Deshalb kommt die theoretische Bemühung bei Lacan nie zu einem Versuch
Ausnahmezustand", Die konstitutive Dissoziation und Alienation des Men-
des Dozierens rein über den Gegenstand herab. Der Gegenstand wird immer
schen ist, buddhistisch gesprochen, seine Hauslosigkeit. Er ist konstitutiv
gleichzeitig praktizIert. Die Annahme eines absoluten Außen als Ort der ana-
lysierenden Betrachtung ist ebenso illusorisch wie ein betont subjektiver Zu-
gang, der nur die Verkennung des Unbewussten perpetuiert, nämlich dessen, 9 Das Japamsche Wort hat etwa die Bedeutungen von: "Weltliche Sorge, smnliche Begierde,
dass alles, was in den Bereich von Sprache und Sprechen fällt, bastardisiert Leidenschaften, unselige Wünsche, Leiden, Schmerzen" (nach: Diener, M. S.: Das LexI-
kon des Zen, S. 28)
ist, alieniert im anderen.
10 Öffentlicher Aushang" lautet die wörtliChe Übersetzung von Koan. Es ist wie mit dem
::großen Körper" Im "entwendeten Bnef', der auch am Sichtbarsten Ort am sichersten ver-
wahrt ist. VgI. hierzu Lacans Deutung der Erzählung "Der entwendete Bnef' von E.A. Poe
m: Lacan, J.. Schr. I, S. 7ff.
II Heinrich, K.. Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen, S. 124
5 Ebd., S. 47, Fußnote I 12 Zit. z.B. m: Lacan, J., S XI, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, S. 13
6 Ebd., S. 47 13 Ebd., wörtL "Du suchtest mich nicht, hättest du mich nicht schon gefunden." Das "Schon
7 Ebd. gefunden" sei immer bereits hinter dem Suchen, ,Jedoch geschlagen mit etwas aus der
8 Ebd., S. 50 Ordnung des Vergessens"
20 21

hauslos. Die buddhistische Übung visiert nicht, diese Hauslosigkeit aufzuhe- aufgehoben. Es gab nur noch Lehranalysen. Freimütig bekannte er, nichts
ben, vielmehr sie zu realisieren. darüber zu wissen, wie man etwa Neurosen heilt:
Wer aber ein Dojo betritt oder eine Analyse anfangt, wer ein Begehren nach "Ich muß sagen, daß in der Passe nichts dafiir steht, daß das Subjekt
Analyse hat, sucht zunächst meist ein Haus, einen Ort zum Wohnen, viel- eine Neurose zu heilen versteht. Ich warte immer noch darauf, daß
leicht ein besseres Haus. Er ist mobilisiert von einem Motiv, das Nietzsehe mir hierüber jemand ein Licht aufsteckt. [...] Trotz allem, was ich
einmal als den "Willen zum Anders-sein" auf die Formel brachte, dieser darüber gelegentlich gesagt habe, weiß ich davon nichts. Es ist eine
Wille seinerseits gründend auf einem "Sich-satt-Haben". Doch durch die Frage des richtigen Drehs.'''5
Zen-Schulung wie auch die Analyse Lacans wird die Hauslosigkeit nicht
weniger, sondern mehr. Die Zen-Übenden, ebenso wie Lacans Schüler, er- Wenn der richtige "Dreh" gelingt, heilt die Analyse und diese Heilung fUhrt
fahren radikal das Fehlen von etwas, das einem Haus gleichkäme. Und so zu einer Rückfiihrung des Subjekts gleichsam dorthin, wo es schon immer
werden die Probleme größer statt kleiner. Schwerwiegende Dinge werden war. Die Objekte sind keine anderen geworden, nur, wie schon Freud elabo-
noch schwerwiegender. Die Verstrickung wächst, statt weniger zu werden. rierte, das Triebziel. Wegen des Wechsels des Triebziels wird dort, wo das
Der Knoten, um es in Begriffen der berüchtigten Topologie Lacans auszu- Subjekt schon immer war, ,alles neu' sein. So ist die Analyse nach Lacan
drücken, weitet sich zur Flechte aus und die Tiefe, die vermeintlich den Kern Rück-bindung und nähert sich dem ureigensten Gebiet der Religion.
und das geheime Agalma des Subjekts birgt, wird nur zur Oberfläche, sicht- Die Heilung geschieht durch kein Wissen, das der Analytiker (als Subjekt
bar "wie eine Flechte, die an Festtagen im Gesicht erblüht,,14. Statt auf sein der Wissenschaft der Psychoanalyse) besitzt und das dem Analysanten l6 ver-
wahres Ich im Unterschied zu einem unechten, entfremdeten, stößt das Sub- borgen bleibt, sondern dadurch, dass es "sich als solches verbirgt, in der ope-
jekt auf das, was Lacan mit dem terminus technicus der jouissance benennt. ratorischen Überlieferung ebenso wie in (seinem) VOllzug"l7. Dadurch wie-
den schlicht mit Genießen zu übersetzen leicht zu Missverständnissen fUhrt. derum nähert sich die Analyse den magischen Praktiken an. noch ihr magi-
Auf diesen womöglich schwierigsten der Schlüsselbegriffe Lacans wird noch scher Charakter widerspricht nicht ihrem wissenschaftlichen. Die Psycho-
zurückzukommen sein. Jouissance ist in gewisser Weise ein Gegenbegriff analyse ist, wie Borch-Jacobsen zu Recht feststellt, weder nur wissenschaft-
zum Begriff Trauma, so wie ihn an der Tiefenpsychologie geschulte Autoren lich, noch wirkt sie nur durch Magie. Sie unterscheidet sich von beiden, Ma-
verwenden. Die lacansche Analyse setzt nicht auf das Gelangen zum Trauma gie und Wissenschaft, indem sie zugleich wissenschaftlich und magisch ist. 18
als dem Kern des Subjekts, dessen Wissen eine Heilung auf den Weg bringt, Hier ist zu fragen, was eigentlich Wissenschaft heißt bei Lacan? Das Er-
sondern auf die "Durchquerung des Phantasma" und in dieser Durchquerung scheinen von Wahrheit, die sich als solche immer entziehen muss, deren Ei-
gelangt es zur jouissance, gewissermaßen dem Kern oder dem Realen seines genart es gerade ist, sich zu entziehen, ist unter der Herrschaft des Mythos
Genießens. gebunden an ihre Re-Präsentation innerhalb einer narrativen Fiktionsstruk-
Aber Zen-Schulung und Psychoanalyse sind transformatorische Praktiken. tur. Die wissenschaftliche Elaboration des Signifikanten bei Lacan, die zu
Die Wahrheit, zu der sie fUhren, soll heilen. Gemeint ist jedoch keine ,letzte psychoanalytischen Zwecken gewendete saussursche Theorie der unteilbaren
Wahrheit' vielmehr gerade die Wahrheit des Fehlens von ,letzter Wahrheit', phonematischen letter, seine Implementierung von Freuds Psycho-Empiris-
die Wahrheit des Begehrens, die Wahrheit des unbewussten Wunsches und mus und Heideggers Aletheia-Diskursen in eigene Theoriebildungen nun a-
die des Sprechens.

15 Lacan, J.. "ConcluslOns [Schlußfolgerungen]" des Kongresses der Ecole freudienne über
1.2 Wissenschaft, Religion, Magie die Übertragung, m: Lettres de I'Ecole freudienne, 1979, S. 219f. - Bel der Passe handelt
es SIch um das Verfahren zur Prüfung der Eignung zum Analytiker in der von Lacan ge-
Von der Idee, dass es sich bei der Analyse um den Versuch der Heilung von gründeten Schule.
Neurosen handelt, hat man sich bei Lacan zu verabschieden. Den Unter- 16 Der gängige Begriff Analysand (Gerundivum) bezeichnet emen, der analYSIert Wird, der zu
schied zwischen therapeutischer- und Lehranalyse hatte er fUr seine Praxis analysieren ist. Wenn Lacan vom Analysanten spncht (Partizip Präsenz), so verschiebt das
den Akzent vom PassIv zum Aktiv.
17 Lacan. J.. Schr. H, S. 251
14 Laean, 1.. Sehr. 1, S. 191 18 Vgl.. Borch-Jacobsen, M.. Lacan. Der absolute Herr und Meister, S. 176-189
22 23

ber schreiben sich im Prinzip auch nicht anders fort als ehedem die mythi- ein Bestimmtsein von der Suche nach Wahrheit liegen zwar häufig dicht bei-
schen Erzählungen - "um etwas anders zu sagen" - Wissenschaft wie mythi- einander, aber auf der Suche nach Wahrheit zu sein hieße im günstigeren
sche Narration sind beides Fikttonsstrukturen. Science kommt ebenso wenig Fall, zwar das, was als Wissenschaft firmiert, zu goutieren, jedoch sich den-
wie fletion ohne Elemente des Narrtiven aus, wie umgekehrt auch schon im noch in der Dimension der Unwissenheit anzusiedeln, insofern ein Wissen
Mythos Wissen angelegt war. So narriert Lacan die großen Narrationen in (eine Ahnung) davon da ist, dass ein,wissenschafliches Wissen' niemals das
kommentierender, den Erkenntnissen von Philosophie und ,neuesten Wis- Leiden am Mangel an Wahrheit aufheben kann. Genau bei dieser Unwissen-
senschaften' angemessener Weise noch einmal neu, um zu zeigen, was sie heit bei diesem Mangel an Wahrheit, setzen die Psychoanalyse und das Zen
nicht sagen. (Das Drama des Spiegelstadiums ist dagegen der vielleicht ein- an. Die Unwissenheit, in deren Dimension das Subjekt sich ansiedelt, ist die
zige neuzeitliche Versuch der Erfmdung eines autochthonen, moder- Bereitschaft für die Übertragung. Der Wille zum Nicht-Wissen hingegen
nen/postmodernen Mythos von der Menschwerdung: eine ftlaiv/mythische (die mentale Anorexie) ist Nicht-Bereitsc~aft, Verschloss~nheit, Unzugäng-
und wissenschaftliche Narration als Spekulation über den Anfang.) lichkeit für die Übertragung. Im Seminar über die "Technlk der Psychoana-
lyse" sagt Lacan:
1.3 Wissen und Wahrheit ,,[...] Wenn das Subjekt sich auf die Suche nach der Wahrheit als sol-
Eine mentale Bulimie könnte genannt werden, sich Wissen/Informationen cher begibt, so weil es sich in der Dimension der Unwissenheit ansie-
einzuverleiben bis zum Erbrechen. Ihr Gegensatz wäre die mentale Anore- delt- gleichgültig, ob es dies weiß oder nicht. Es ist das eines der E-
xie 19 , die Verweigerung der ,geistigen Nahrung'. Sie ist eine psychische Re- lemente dessen, was die Analytiker readiness for the transference
aktion auf die Diktatur des Expertenwissens (und löst, wie der heute wort- nennen, Öffnung zur Übertragung. ,,20
mächtigste Lacanianer Slavoj Zizek feststellt, die Hysterie als Widerstand
gegen die paternale Autorität ab). Hat die mentale Askese des Zen etwas mit
mentaler Anorexie zu tun? Immerhin scheint es diesem Begehren, ohne zu 1.4 Die Philosophie des Aufschubs
denken, ohne zu wissen, dennoch einen Weg zu haben, entgegenzukommen. Vielwisserei lehrt nicht Verstand haben.
Dennoch muss die Frage mit einem klaren Nein beantwortet werden. Um ei- (Heraklit)
ne ebenso vorläufige, unzureichende wie kurze Begründung zu geben: Die
Zen-Schulung bringt wie die Psychoanalyse die Sublimierung auf den Weg Nicht nur hinter der Wissenschaft, auch hinter der Philosophie kann sich ein
und nobilitiert nicht die mentale Anorexie. Wille zum Nicht-Wissen und eine Verwerfung der Wahrheit verbergen. Die-
Das Zen kam in seinen Anfangen in China inmitten der gebildeten Stände jenige Philosophie, die sich im System schließen will, hat, so legt Lacan na-
auf also unter solchen, deren Metier das Wissen und der Wettstreit um Wor- he, sogar immer floriert als dieser Wille zum Nicht-Wissen. Der Wille zum
te ~ar, aber in den Sanghas wurde aufgefordert zu schweigen. Es herrschte Nicht-Wissen verbirgt sich hier hinter dem Willen zum Wissen. Deshalb hat
ganz offenbar ein Überdruss am Wissen bei einem gleichzeitigen Mangel an das (imaginäre) Wissen bei Lacan hinter der (symbolischen) Wahrheit zu-
Wahrheit. Auch dort hatte man sich satt und wollte anders sein. Die Situati- rückzutreten. Hier wird - und gleiches ließe sich mutatis mutandis für das
on ist mit der heutigen also insofern vergleichbar: Der Überschuss an Wissen Zen formulieren - das Erbe einer Philosophie, die Wille zum Nicht-Wissen
erzeugt Überdruss an ihm. ist, ausgeschlagen, weil sie als Symptom gedeutet wird.
\ Wichtig und grundlegend ist also die Unterscheidung von Wissen und Wahr-
Zen-Meister wissen um den für ihre transformatorische Praxis hohen Wert
heit. Nicht wissen zu wollen heißt keineswegs, nicht auf der Suche nach von Erschöpfung. Erschöpfung erlöst - auch von der Philosophie. Die Er-
Wahrheit zu sein. (Der späte Lacan meinte sogar, dass die Wissenschaft auf schöpfung durchbricht die Zensur, die ein bestimmtes (und bestimmendes)
einer Verwerfung nicht nur des Begriffs der Wahrheit gründet.) ,Nicht wis- Denken lancierte und ermöglicht andere Vorstellungsreihen. Der Körper
sen zu wollen' als Auflehnung gegen den Terror des Expertenwissens und denkt dann gewissermaßen selbst und er denkt anderes. Für Noam Chomsky

19 Lacan verwendet diesen Ausdruck "mentaie Anorexle" m: Lacan,1.. Sehr. I, S. 190


20 Lacan, 1.. S I, Freuds techmsche Schriften, S. 348
24 25

war während eines Vortrags Lacans in Massachusetts nach folgender Aussa- "[H'] immer in ein bestimmtes Kielwasser zurück, in das Kielwasser
ge der Punkt erreicht, an dem er nur noch durch das Verlassen des Hörsaals dessen, was im eigentlichen Sinn unser Affiir ist.,,24
seiner Empörung Ausdruck zu verleihen wusste:
Also geht es darum, dem Rest gleichsam aufzuhelfen. Denn
"Wir glauben, mit unserem Gehirn zu denken, ich aber denke mit
meinen Füßen. Nur dann treffe ich auf etwas Hartes. Manchmal den- ,,(d)er Rest ist, menschlicher Bestimmung nach, immer fruchtbar. Die
ke ich mit den vordersten Hautmuskeln, wenn ich mich stoße. Ich ha- Schlacke ist der erloschene Rest.,,25
be genügend Elektroenzephalogramme gesehen, um zu wissen, daß es
keinen Schatten von einem Denken gibt.,,21 Aber der Begriff des Rests lässt sich in verschiedener Weise konnotieren.
Der Rest von Lacans Analyse des Unbewussten, das können auch seine
Der Buddhismus, als nach Nietzsehe typische Erscheinungsform von ,Spät- Bonmots sein, seine griffigen Kurzformein und Definitionen, biographische
kultur' kommt immer zum Zuge, wenn die Dinge erschöpft sind, wenn, mit Details. Gerade der Rest als Fragment, desgleichen seine Inkohärenz vermö-
Lacan geredet, kein sich schließendes Wissen mehr das Loch des Realen zu gen Momente von Evidenz zu erzeugen. Isolierte Lacan-Sätze, wie etwa:
stopfen in der Lage ist, wenn, auf der Ebene des Imaginären, die Siege er- "Die Frau ist das Symptom des Mannes" oder "Die Angst ist, was nicht
rungen, die Niederlagen erlitten sind und der "große Sabbath von der Skla- täuscht", auch das eben sind gewissermaßen Reste, die solche, die rein zufal-
venarbeit des Wollens" (Schopenhauer) eingeleitet ist. Wie immer sich die- lig auf dergleichen stoßen, plötzlich in einen konkreten Bezug zu einem Sinn
ser Übertritt, den er anbietet, ereignet, er muss verbunden sein mit einem zu stellen vermögen.
Loswerden der Philosophie als einer Methode des Aufschubs. P, Gottwald ist der Auffassung, dass der Rest "das Symbol des Schöpferi-
schen schlechthin" ist. Der Rest ist, was "von der Systembildung ausge-
schlossen" bleibt, aber der "gewahrt werden kann,,26, Warum er geradezu
1.5 Aktivierung des Rests gewahrt werden muss, liest sich mit Lacan so: Es gibt nur eine Sünde im
Die Religionen haben immer die Reste, den Abfall zu ihrer Sache gemacht. Sinne der Psychoanalyse, nämlich von seinem Begehren abgelassen zu ha-
So gesehen, sind sie gerade nicht "Opium fürs Volk", denn die Droge elimi- ben. Vom Rest her aber geschieht die Begründung des begehrenden Sub-
niert zum Schein die Reste vollständig. Die Reste, das sind heute, was nicht jekts. Der Rest
aufgeht im globalen Cyberspace, der universellen Simulation, dem vollende- "[H'] ist das, was der Assimilation zur Funktion des Signifikanten wi-
ten Nihilismus und was der Begriffe mehr sind, mit denen man sich be- dersteht, [. H] das, was in der Sphäre des Signifikanten [...] sich immer
schreibend unserem Zeitalter nähert. Auch die Psychoanalyse erprobt die als verloren darstellt [...]. Nun, es ist justament dieser Abfall, dieses
Aktivierung des Rests, macht den Rest zu ihrer Sache. Vom Rest her näm- Abgefallene und der Signifika[ntisa]tion Widerstand Leistende, was,
lich kommt immer der Zug, der, um ein schönes Bild von M. Schmid anzu- wie sich herausstellt, die eigentliche Begründung des begehrenden
führen, den Angler ins Wasser reißt, um ihn an einem anderen Ort als Sub- Subjekts ausmacht.'.27
jekt wieder auftauchen zu lassen. 22
Der Rest, die Abfalle sind, was in den Denksystemen, die nach Lacan sämt- Der Rest ist auch, was dem Gesamtbild des Körpers nicht integrierbar ist,
lich von "geistiger Debilität,,23 gekennzeichnet sind, nicht vorkommt (oder was "für den Splegel unfassbar,,28 ist. Das Objekt klein a, eine der lacan-
das von ihnen reglementiert zu werden widersteht). Analytiker und Zen- sehen Algebraisierungen dieses Rests, des Abfalls, ist das, worin sich das
Meister machen sich gleichsam zu Anwälten des Rests, des Abfalls. Denn er
insistiert und führt uns 24 Lacan, J.. S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 381
25 Lacan, J.: S XI, Die vier Grundbegriffe..., S. 141
26 Gottwald, P.: Zen Im Westen, neue Lehrrede fur eine alte Übung, S. 45; zum Thema der
21 Zit. n.: Roudinesco, E.: Jaques Lacan, S. 559 ,Wahrung des Restes' vgl. auch: Gottwald, P.: In der Vorschule emer freien Psychologie,
22 VgL Schmid, M.. Vom X des Akts, m: Riss, Zeitschrift fur Psychoanalyse. Freud.Lacan., Forschungsbencht emes Hochschullehrers und Zen-Schülers, Oldenburg, 2. Auflage, 1993
Nr. 41, S. 56 27 Lacan, J.. Semmar X, Die Angst; zit. n.; Borch-Jacobsen, M.: Lacan, S. 254
23 Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 5 28 VgL Lacan, 1.. Sehr. 11, S. 194
26 27

Subjekt selbst nicht sehen kann. Es ist die "Objektursache des Begehrens", gehrens. Diese Wahrheit und die Welt, wie sie als Realität firmiert, stehen
nicht zu verwechseln mit dem Objekt des Begehrens und korrespondiert, wie sich in einem Ausschließungsverhältnis gegenüber.
noch zu erläutern, mit dem, was Lacan das "Ding" nennt und mit seinem To- Vor diesem Hintergrund entfaltet eine Sentenz Franz Kafkas aus seinen "Be-
pos des "Realen". Wenn es in einem Zen-Koan heißt: "Zeige mir dein Ge- trachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg" ihren vollen
sicht vor der Geburt deiner Eltern", so ist das die Aufforderung, dasjenige Sinn:
Gesicht zu zeigen, das ,man selbst' nicht und nie sehen kann. Dieses "Ge-
"Wie kann man sich über die Welt freuen, außer wenn man zu ihr
sicht" einzig gewährt den authentischen Zugang zum Begehren, den authen- flüchtet?,,32
tischen Zug des Begehrens. Das Subjekt kann sich beim Handeln, beim Spre-
chen, beim Begehren selbst nicht sehen und es kann sein Sehen nicht sehen.
(Wie sehr auch auf dem Möbiusband ein Käfer sich bemüht, auf die andere
1.6 Neurose und Depression
Seite zu gelangen, es kann nie gelingen.)
Der radikale Schritt, den Lacan für das Subjekt visiert, weil einzig in ihm Die guten alten Neurotiker sind fast schon ausgestorben. Heutzutage scheint
sich seine Freiheit bezeugen kann, ist "das Zerbrechen des Bildes, (das) den es nur noch Depressive zu geben und solche, die von Party zu Party gehen.
Schnitt der Kastration letztgültig verkörpert und verbildlicht"29. Das begeh- Neurose ist die umfassendste Bezeichnung fUr die Leiden, die aus dem Wir-
rende Subjekt ist von der Ordnung der Dinge her gesehen ein Loch oder eine ken der Dialektik von Gesetz und Begehren resultieren. Aber diese Dialektik
Leerstelle. ,Ich' ist die Lücke neben klein a. Das Subjekt des Begehrens ist nicht nur ursächlich für das Leiden, sie schreibt auch dem Subjekt die
kann sich niemals sehen als dieses Subjekt des Begehrens, ebensowenig wie Wege seines Genusses vor, denn auch der neurotische Mensch genießt, in
es sich nicht sehen kann als das Subjekt des Signifikanten. Dieses Subjekt gewissem Sinne sogar gerade er und weil sie mit dem Genuss zu tun hat, bil-
verfUgt über ein Wissen, aber das Wissen dieses begehrenden Subjekts, das det die Neurose die Stütze seines Daseins. Wird durch die Analyse der durch
Wissen des Unbewussten, ist ein Wissen, das sich selbst nicht weiß. Es gilt die Neurose gebahnte, gewohnte Weg zum Genuss verunmöglicht, so ist
also zu realisieren, was sich nicht sehen kann und was sich nicht wissen damit an den Knoten gerührt, der sein Dasein zusammenhält.
kann. Und zu dieser Realisierung bedarf es bei Lacan des Schnittes der sym- Aber das gegenwärtige, postmodern genannte Zeitalter steht trotz, nein viel-
bolischen Kastration. mehr gerade wegen der schier unüberschaubaren Angebote uneingeschränk-
ten Genusses unter dem schwarzen Stern der Depression, nicht mehr unter
Im Umkehrschluss wird dann vom Standpunkt des das begehrende Subjekt dem der Neurose. Es herrscht ein unerbittlicher Zwang, der herrührt von der
begründenden Rests aus die Zivilisation selbst zum Abfall, indem sie das despotischen Instanz des Über-Ichs, dessen ultimativer Befehl lautet: "Ge-
Produkt der verdrängten, verworfenen oder verleugneten Wahrheit des Be- nieße!".33 Denn nichts verhindert sicherer den Genuss als die gebieterische
gehrens ist. Aufforderung zu ihm. Das Ausbleiben von Genuss und Glück, trotz der Er-
fUlltheit sämtlicher Bedingungen, die vermeintlich für ihre Realisierung von-
"Die Zivilisation ist der Abfall, cloaca maxima.,,3o
nöten sind, ist das Kennzeichen unseres Zeitalters.
Die Geltung des Imperativs "Genieße!" schafft depressive Subjekte. So sind
"Die Welt ist, was der Fall ist", so lautet Wittgensteins berühmter erster Satz
zum Beispiel die um sich greifende Infantilisierung vieler Erwachsener und
aus dem "Tractatus logico - philosophicus".31 Man könnte versuchen, ihn so
der pornographische Terror Symptome oder Effekte des Über-Ich-Befehls
zu lesen: De-cadere war in römischen Zeiten ursprünglich im Gebrauch als:
"Genieße!". Als Makel wird alles empfunden, was dem uneingeschränkten
,abfallen vom Gesetz'; von decadere leitet sich Dekadenz ab. Das, was sich
Genießen Grenzen setzt, zum Beispiel die Armut. Aber es ist nicht zu über-
Welt nennt, ist der Ab-fall, der Abfall vom Gesetz, von der Wahrheit, budd-
histisch gesprochen: vom Dharma, lacanianisch: von der Wahrheit des Be-

32 Kafka, F.; Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg, S. 197
29 Borch"Jacobsen, M.: Lacan, S. 254 33 Inwiefern das Gewissen eine "offene historische Struktur" Ist und nichts AbSOlutes, Un-
30 Zit. n.: Roudinesco, E.: Jaques Lacan, S. 559 veränderbares und in semem Inhalt fixiertes, dazu vergleiche die ausgezeichnete Studie
31 Wittgenstem, 1.: Tractatus Logico - Philosophlcus. Logisch-philosOphische Abhandlung von H.D. Kittsteiner: "Die Entstehung des modemen Gewissens"
28 29

sehen, dass das Postulat des Genießen-Sollens eine Überforderung darstellt. geschahen einige Dinge. (Cees Notteboom,
Wenn die Neurose das Resultat der Dialektik von Gesetz und Begehren, Rituale)
Trieb und Triebversagung war, so stellt die Depression sich ein, wenn gerade
keine im weitesten Sinne moralischen Standards den direkten Weg des Sub- "Die Abwesenheit eines transzendentalen Signifikats", schrieb Derrida, "er-
jekts zum begehrten Objekt verunmöglichen und dadurch auf Umwege weitert das Fera und das Spiel des Bezeichnens ins Unendliche,,36, Der
zwingen, deren Unangemessenheit die Neurose hervorbringen. Skandal, der sich mit dem Namen Lacan verbindet, besteht darin, dass er es
Lacan nennt die Depression einen "moralischen Fehler"~ Sie sei "kein See- nicht beim Sagen dessen belässt, dass der sinnstiftende, hegemoniale Signi-
lenzustand".34 Der Depressive ist/handelt deshalb unmoralisch, weil er nicht fikant fehlt. Die meisten der Texte und transkribierten Seminare Lacans sind
die symbolische Kastration anerkennt, die zuerst immer die des anderen ist. ungemein schwer zu lesen. Es ist ein Fehlen, das diese Texte "durchsteppt",
Der Grund rur das Nicht-Gelingen dieser Anerkennung ist aber nur allzu ver- die das Verstehen und die ,Textverarbeitung' so schwer machen. Wo das
ständlich. Er beruht auf einem fundamentalen, aber vielleicht nicht irrever- Signifikat fehlt, ist der Signifikant gleichsam auf sich gestellt, durch nichts
siblen Irrtum. Der andere, dessen Bild wir nur wahrnehmen, ist nicht ge- verbürgt. Lacan macht Ernst mit dem, was er lehrt, insofern er Zeugnis gibt
schlossen und ganz, wie das Subjekt es ihm unterstellt, sondern erleidet die vom analytischen Diskurs. Tatsächlich nähert sich der Diskurs insbesondere
gleiche Spaltung wie dieses selbst. des späten Lacan dieser Zeugenschaft im antiken Sinne des Ausdrucks: Der
"Die Beziehung des Subjekts zu jedwedem anderen, wer dies auch martys war der ,Zeuge der Wahrheit' ~37 Lacan also gibt Zeugnis vom analy-
sei, hat etwas Lächerliches an sich. Sehen wir doch das Subjekt [...] tischen Diskurs, seine eigenen Bestimmungen zugrunde gelegt, insofern
sich auf den anderen immer als auf einen beziehen, der im Gleichge- nämlich alles Sagen adressiert ist, der Diskurs der des anderen ist, es kein
wicht lebt, in jedem Fall glücklicher ist als es, der sich keine Fragen äußeres Objekt gibt, das den Diskurs bindet, dass es folglich keine Meta-
stellt und wohl zu ruhen weiß.,,35 sprache gibt. Aber genau an der Stelle dieses Fehlens führt Lacan auch den
"Namen des Vaters" ein, der zu bestimmen wäre als der Signifikant des Feh-
In der heutigen vom Bild beherrschten (terrorisierten) Welt gilt das wohl lens eines transzendentalen Signifikats. (Anbei bemerkt stellt m.E. genau die
mehr denn je. Das Bild des anderen ist perfekt, dem anderen gelingt alles Einfiihrung des ,Namen des Vaters' den neuralgischen Punkt in der Lehre
und ,man selbst' ist gespalten, unzufrieden und ruhltsich nicht anerkannt. Lacans dar, an dem Derrida zu folgen nicht mehr bereit war.)
Zen und Jacansche Analyse als moralische Übungen sind Einübung in die Gleichwohl, alle Zitationen Lacans sind strictu sensu aus dem Zusammen-
Anerkennung der symbolischen Kastration, die, was von entscheidender Be- hang gerissen. Bei wohl kaum einem anderen Autor ergibt sich die Bedeu-
deutung ist, zuerst die des anderen ist. tung eines einzelnen Signifikanten so ausschließlich nur aus seinem Zusam-
menspiel mit anderen Signifikanten, seinem Algorithmus, wie Lacan das
nennt. 38 Alle aus dem Werk Lacans herausgelösten Sätze sind insofern Res-
1.7 Das Fehlen des Hegemonialsignifikanten und die Schonung der te - Reste eines nicht existierenden Ganzen, Bruchstücke eines Systems, das
Differenzen nicht existiert. Es gibt nichts ein fiir alle mal Feststehendes, alles ist Werden
Sein Leben hatte aus Ereignissen bestan- und Vollzug in "gleichzeitig-abhängigem Entstehen" und es w~ll scheinen,
den, und diese Ereignisse hatten keinen Zu-
sammenhalt durch diese oder jene Vorstel-
lung von seinem Leben. Es gab keinen zent-
ralen Gedanken, wie etwa eine Karriere, 36 Denida, J., in: PostmOderne und Dekonstruktion, S. 117
37 Über das ,,zeugms gebe(n) von einer Erfahrung, welche Ich bestimmt habe als die analyti-
eine Ambition. Er war einfach da, ein Sohn sche", vgl.. Lacan, J.: R.S.I., S. I - In der neueren Philosophie gab es vor Lacan meines
ohne Vater und ein Vater ohne Sohn, und es Wissens diesen expliziten Rekurs auf den martys nur bel Kierkegaard, der sich im Zuge
semer Ausemandersetzung mit Bischof Mynster als "Wahrheitszeuge" bezeichnete.
38 "Genauso spmnt Sich mein Diskurs fort - Jeder Begriff kann nur durch seine topologische
34 Vgl.: Lacan, J.. R/T, S. 77 BeZIehung zu den anderen bestehen, und auch für das SUbjekt des cogito gilt diese Bedin-
35 Lacan, J.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 285 gung." (Lacan, L Sem. XI, Die vier Grundbegriffe..., S. 96)
30 31

als wollte Lacan die unter diesem Namen firmierende buddhistische Lehre teren ,rechten' Visionen eines dash 0/ civilization geht, sondern auch
auf die Sprache und das Sprechen übertragen. das linke Angebot des Multikulturalismus als Intellektuellenillusion
Das Fehlen des sinnverbürgenden Signifikanten, das Fehlen dessen, was La- durchschaut, in der der Geist des Tourismus die Welt in einen Basar
can als Groß A algebraisiert, ist aber kein Verlust. Es erscheint nur als Ver- des Exotischen verwandeln möchte.,,40
lust, was von Anfang an Fehlen ist, ein nicht gewusstes Fehlen. In Wahrheit
ist jede Metastruktur (Gott, Vernunft, Politik, Demokratie etc.) immer schon Unbewusst verbindet dieser Multikulturalismus die Suche nach der ,neuen
nur das Supplement eines ursprünglichen Fehlens gewesen. Ursprung ist hier Heimat' in dieser unüberschaubaren Welt mit einer Wiederherstellung der
so zu fassen, dass nicht etwa die Vernunft an die Stelle Gottes träte, derge- ,guten, alten' Ordnung. Po Gottwald schreibt in dem Zusammenhang:
stalt, dass Gott ursprünglicher wäre als die Vernunft und die Vernunft weni- ,,[...] Auch die vielen Versuche zur Bewältigung der Probleme, die
ger ursprünglich als Gott. Beides sind gleich ursprüngliche Supplemente ei- ein ,zurück zu... ' propagieren, wie ein ,zurück zur Ethik' oder ,zu-
nes ursprünglichen Fehlens. In der Form eines lacanschen Mathems lässt sich rück zur (wahren) Religion' (vgl. dazu vor allem H. Küngs Projekt
das so ausdrücken: Der Vater war schon immer tot, nur wusste er es nicht. ,Weltethik'), halte ich fiir fragwürdig [...].,,41
Was Formen aus dem nicht-gewussten Tot-Sein des Vaters gewinnt, heißt
Tradition. Deshalb ist "eine Tradition [...] immer bescheuert", wie Lacan, in Der Buchmarkt ist überschwemmt mit Veröffentlichungen, in denen alle Dif-
seinen späten Jahren zunehmend rückhaltlos sprechend, befand. 39 Man muss ferenz zugunsten eines idealen Einen ausgelöscht wird: Buddha und Christus
sich heute eine Vergangenheit wählen, die zu einer zu antizipierenden Zu- lehren ,im Grunde' das gleiche, ebenso die Psychoanalyse und Konfuzius,
kunft passt, denn wir wissen nicht mehr, wer wir sind und "Wie mit dem aber auch Kant hat ,im Grunde' nichts anderes gelehrt. Redlicher wäre es,
Sein agieren?", um Lacans Frage aus den "Schriften I" aufzugreifen, wenn das Palimpsest oder den Flickenteppich der Enden, Anfänge, Übergänge, in
wir fragen, wo wir sind und woher wir kommen, denn Ort und Zeit sind denen wir stehen, gerade unter "Schonung der Differenzen" zu entziffern.
Sinn-Effekte der HegemonialSignifikanten und Metastrukturen. In gewisser Dabei darf man sich nicht darüber täuschen, sondern muss damit rechnen,
Weise muss man seine Vergangenheit erst erfinden. Vorrang gegenüber dem, dass diese Entzifferung erst herstellt, was sie entziffert. Vielleicht enthüllt
was wirklich gewesen ist, hat entsprechend bei Lacan, was wahr ist. So geht sich aber auch Verborgenes in diesem herstellenden Entziffern.
es in der Analyse weniger um eine Rekonstruktion dessen, was wirklich ge- Bei Slavoj Zizek, der dem Autor, was Lacan angeht, diverse Lichter aufge-
wesen ist, vielmehr um eine Annäherung an das, was wahr ist. steckt hat, sagt sich eine Treue zu den abendländischen Gründungsgesten als
Widerstand gegen das Östliche aus, versus ,das Taoistische', den Buddhis-
Bei einem Versuch wie dem hier vorliegenden, ist Vorsicht geboten. Der mus und fast im selben Atemzug gegen den Geist des New-Age. Zizeks Ab-
Medienwissenschafler N. Bolz fordert in seinem Buch "Weltkommunikati- neigung gegen den Buddhismus, die penetrant insistiert in allen seinen Bü-
on" zu Recht eine "Schonung der Differenzen"; chern und er macht leider, gegen die Gebote intellektueller Redlichkeit,kei-
"Statt der Einen Sprache: die vielen Sprachen, die aber ineinander ü- ne großen Unterschiede zwischen dem Genannten, sind für lesende Buddhis-
bersetzbar sind - das ist der Geist des Kulturvergleichs, aus dem ü- ten nahezu eine Zumutung. Denn Zizek schont die Differenzen nicht, er
berhaupt erst Kultur geboren wird. Man könnte diesen Grundgedan- spielt sie gegeneinander aus.
ken auch in die Form eines ,kategorischen Imperativs' der Weltge- Die okzidentale Überlieferung bildet die "Armatur seiner Gedanken,,42 Diese
sellschaft bringen: Schone die Differenzen! Das ist leicht formuliert, Wendung gebraucht Lacan im "Sinthome"-Seminar in Bezug auf Joyce und
aber schwer gelebt. Die Schonung der Differenzen wäre Ausdruck ei- dessen "Hereingeleimtsein" in die griechisch-jüdisch-christliche Überliefe-
ner Kultiviertheit, die nicht nur auf entschiedene Distanz zu den düs- rung. "Hereingeleimt in die Kugel und das Kreuz" wird er im R.S.I.-Seminar
mit Bezug auf Joyce, den Faden noch einmal aufnehmend, sagen. Jedoch

39 "Die Bibel ist nicht aus dem Nichts gekommen, sondern aus einer TraditJon. Eine TraditJ-
on Ist Immer bescheuert. Darum verehrt man sie sogar- es gibt keine andere Welse, Sich 40 Bolz, N.; WeltkommunikatIOn, S. 55
an sie zu binden als die Verehrung. Alles, was man von emer TraditJon erhoffen kann, das 41 Gottwald, P.: Zen 1m Westen, S. 3
ist, daß sie wemger bescheuert ist als eme andere." (Lacan, J.: S XXII, R.S.I., S. 39) 42 Lacan, J .. S XX111, Le Sinthome, S. 2
32 33

wird in unseren Zeiten der sogenannten Globalisierung, in der auch östliche Dissoziation des Menschen ist als konstitutive nicht pathologisch, aber die
Überlieferungen zur eigenen werden oder schon geworden sind, in der Jeder Nicht-Anerkennung des konstitutiven Mangels gebiert Pathologien. Der
sich auch seine Herkunft frei wählen kann, ja muss, dieses explizite Beharren Mensch kann seinen Mangel an Sein (manque d'etre) durch die Technik
suspekt. Ist es nicht das alte imperiale ,Herrenbegehren" das sich ausspricht nicht ausgleichen, nicht wettmachen, er verleugnet ihn nur und staffiert ihn
in der Subalternisierung des Buddhismus? aus mit Hilfe von Prothesen. Gottwald spekuliert auf die in Sichtweite ste-
Der Buddhismus ist die Krise jeden dogmatischen und ideologischen Den- hende "Herstellung von Mensch-Maschine-Systemen" und die "Neukon-
kens und der Kämpfe, die sich daran anschließen. Das Zen aber wird auch struktion des Menschen als eines ,Cyborg"', wenn er schreibt:
durch das Christentum hindurchgehen und "unversehrt bleiben", es wird
auch durch Lacan hindurchgehen, wie es schon durch Heidegger und andere "Der Verdacht liegt nahe, daß ,Dr. Faust' sich heute "der Technik"
als der Erbin der Magie ergibt, weil eben immer noch gesagt wird: ,...
hindurchgegangen und "unversehrt geblieben" ist. 43 Das Zen hat (wie der
es möchte kein Hund so länger leben' statt anderer möglicher Ant-
Buddhismus insgesamt) immer die Farben seiner Umgebung angenommen
worten - und sei es der Anerkennung, daß ,... auch ein Hund die
und so überlebt. Seine Form von Mimikry gewährleistet, sein Eigenstes nicht Buddhanatur hat'. ,,45
zu verlieren. So wird sich seine Urgeschichte in der Gegenwart stets neu
schreiben. "Es möchte kein Hund so länger leben", nämlich als Mangelwesen und so
wird die Leugnung des Mangels durch die Technik, dieser "Erbin der Ma-
Strukturalismus und Diskursanalyse als Methoden sind womöglich am bes- gie", ins Werk gesetzt. Allein den Mangel nicht zu leugnen, entbindet von
ten geeignet, ein"tertium datur" geltend zu machen, eine Vergleichsebene zu dem Zwang, ihn um jeden Preis prothetisch ausstaffieren zu müssen. "Form
schaffen, ohne ein ideales Eines zu präsupponieren. Vielleicht ist das der ist Leerheit und Leerheit ist Form", lautet die zentrale Formel des Zen. Wenn
bleibende Nutzen dieser Methoden, auch dann noch, wenn die "strukturalis- gewahr wird, dass das Wesentliche an der Form nicht ihre Unvollkommen-
tische Invasion" sich "eines Tages (zurückgezogen haben) und ihre Zeichen heit ist, sondern ihre Leerheit, verändern sich die Verhältnisse grundlegend.
und Werke auf den Stränden unserer Zivilisation hinterlassen,,44 haben wird. Form, ob vollkommen oder unvollkommen, ist Leerheit - und das bleibt
wahr, egal ob diejenigen, die über die nötigen Geldmittel verfugen, dem-
1.8 Die Wissenschaft im Dienst an den Gütern nächst 180 Jahre alt werden können, ob wir unsere Emotionen pharmakolo-
gisch oder per inverser Stimulation der Neurotransmitter regulieren lassen,
Letztlich ist es noch und wieder (encore) das Problem von Max Frischs ob wir genoptimiert oder als robosapiens weiterleben.
"Stiller", der sagte: "Ich bin nicht Stiller" und lieber Mr, White sein wollte,
das durch die Bio- und die Gentechnologie, die Informations- und Nanotech- Die zu erwartenden Segnungen der neuen Möglichkeiten, die Technik einzu-
nologie einer Lösung, und diesmal einer absolut sicheren, zugefuhrt werden setzen, schreiben sich nach Lacan ein in ein altes Programm, das da heißt:
soll. Nach wie vor steht hinter dem Optimismus, den die Apologeten dieser "Dienst an den Gütern", Im "Ethikseminar" von 1959/60 sagte Lacan:
neuen Techniken ausstrahlen, der Glaube an das Ideal. Aber die realen Ma- "Die Programme, die sich abzeichnen, die solche der Humanwissen-
schinen sind mangelhaft und werden es immer bleiben. Die machina wird schaften sein sollen, haben in meinen Augen keine andere Funktion,
immer nur Machwerk bleiben. Die Dissoziation des Menschen ist, so Lacan, als ein brauchbarer, eher dekorativer Zweig des Dienstes an den Gü-
konstitutiv und wenn der Mensch sich mit der Maschine assoziiert, wird es tern zu sein, anders gesagt, des Dienstes an Mächten, die mehr oder
sich immer noch um eine konstitutiv dissoziierte Organisationsform handeln weniger in der Klemme sind. Damit geht in allen Fällen eine nicht
und sogar um eine potenziert störanfaUige. Nach Lacan gibt es keinen Weg, weniger systematische Verkennung sämtlicher Gewalterscheinungen
um die Anerkennung der symbolischen Kastration herumzukommen. Die einher, an denen sich zeigt, daß nicht alles wie am Schnürchen läuft,
wenn die Güter in der Welt auftauchen. ,,46

43 "Was SIch liest", schreibt Lacan, "geht durch die Schrift hmdurch und bleibt unversehrt".
(Lacan,1.: S XI, Die vier Grundbegriffe..., S. 298) 45 Gottwald, P.: Zen Im Westen - neue Lehrrede für eme alte Übung, S. 5
44 Derrida, 1.. Die Schrift und die Differenz, S. 9 46 Lacan, 1.. S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 387
34 35

Die prometheischen Akte der Wissenschaft gründen auf dem Verbot, en so! des Genoms oder dergleichen Zuwächse des Wissens inklusive seiner An-
zu meditieren, um auf die Terminologie der Kabbala zu rekurrieren. 47 Die wendung nicht das Geringste ändern. Nur die Verkennung, Verleugnung o-
Untersagung des "Genießen Gottes", das im Abenland, wie Lacan sagt, der das Nicht-Wissen dieses Nicht-Wissens lässt den Mangel als einen nicht
"immer zu kurz gekommen"48 ist, evoziert gerade das ungeheure Sich- hinnehmbaren erscheinen und gebiert den technologischen Fortschritt. "Zer-
Ausbreiten der sogenannten exakten Wissenschaften, die mit Freud/Lacan fall an Weisheit" heißt: unser konstitutives Nicht-Wissen zu leugnen oder
auch prothetische Wissenschaften genannt werden könnten. Die Wissen- nicht zu wissen und schließlich zu vergessen. Und der Name einer solchen
schaft, sagt Lacan, schreitet voran, "indem sie die Löcher stopft. Dass ihr das Vergessenheit ist heute Wissenschaft. Lacan sagte 1960:
immer gelingt, macht sie sicher,,49, Sie will von einem "Loch" nichts wissen "Einer der amüsantesten Züge der Geschichte der Wissenschaften ist
oder existiert als solche nur, weil sie das "Loch" verstopfen will. Erforschte die Propaganda, die Gelehrte und Alchimisten in der Zeit, als sie be-
Welt und erkannte Dinge als Verstopfung des Lochs sind so Resultat eines gannen, ein wenig mit den Flügeln zu schlagen, bei den Mächtigen
zugrunde liegenden Verbots, nicht ein überschreitender Akt, der sich über ein gemacht haben, indem sie diesen sagten - Gebt uns Geld, Ihr könnt
Gebot hinwegsetzt, um zu einem Wissen zu gelangen. euch nicht vorstellen, wenn ihr uns ein wenig Geld gebt, was für Ma-
Der Widerstand, auf den die Zen-Lehre als Praxis im Westen nach wie vor schinen, was für Tricks und Sächelchen man in euren Dienst stellen
stößt, wenngleich er merklich nachlässt, hat mit eben diesem Verbot zu tun. wird. Wie konnten die Mächtigen das mit sich machen lassen? Die
Der in den Koordinaten abendländischen Denkens subjektivierte Mensch Antwort auf dieses Problem ist auf der Seite eines gewissen Zerfalls
spürt, dass die Praxis der Versenkung, das Zazen, an ein Tabu rührt. Es ist der Weisheit zu suchen.,,51
verboten, Gott zu meditieren. Der Mensch darf, schrieb Augustinus, alle
Dinge nur gebrauchen (uti), das Genießen (jrui) ist allein Gott vorbehalten. Das Begehren der Forscher (das eben kein Trieb ist, wie Lacan lehrt, Freud
Gäbe es dieses Verbot nicht, gäbe es auch diese "galoppierende Fortschritte" in dem Punkt widersprechend, sondern auf dem Verbot des "Genießen Got-
machende Wissenschaft nicht,50 Sie ist also nur zum Schein eine atheistische, tes" gründet, das das Interesse des Wissenschaftlers orientier?2) ist der
weil sie dieses Verbot uneingeschränkt akzeptiert. Nicht der Tod Gottes wäre "Dienst an den Gütern" und steht im Dienst der Macht (derer, die das Geld
so die Voraussetzung der Wissenschaft, sondern das Verbot, sich ihm zu nä- geben). So verbünden sich zwei Interessen und das, was als humaner Fort-
hern. schritt Epoche macht, gründet auf dem "Zerfall der Weisheit" und dem Kal-
Die Unters~gung, Gott zu meditieren, korrespondiert mit einer untersagten kül der Geldgeber. So ist der "Dienst an den Gütern" tief eingeschrieben in
Selbstbezüglichkeit des Begehrens. Das Begehren hat sich zu beziehen auf die arche (als Anfang und Ordnung) der abendländischen Wissenschaft und
Objekte, es darf sich nicht selbst zum Gegenstand haben. Begehren hat sich des sie lancierenden Begehrens.
um Güter zu scheren und das genau bedeutet Kapitalismus. Aber die Wis- Byung-Chul Han konstatiert für diese Wissenschaft, aber sogar für die west-
senschaftler unter den Bedingungen des Kapitalismus verkennen sich selbst liche Philosophie insgesamt bis hin zu Heidegger eine Orientierung an der
und ihre Wissenschaft. Ökonomie, am oikos und setzt hiervon die zen-buddhistische Weise, "mit
Die "Leidenschaft des Wissens", so Lacan im Ethik-Seminar, hat notwendig dem Sein zu agieren" ab. Diese sei Aufkündigung der ökonomischen Exis-
mit einem "Zerfall der Weisheit" zu tun. Die Grundbestimmung des Zen, tenz des Menschen.
dass Form Leerheit ist und Leerheit Form, bringt unser konstitutives und ra-
"Oikos ist der Ort dieser ökonomischen Existenz. So stellt das Nir-
dikales Nicht-Wissen-Können zum Ausdruck, an dem die Entschlüsselung
gends-Wohnen die Gegenfigur zum Ökonomischen, zum Haushälteri-
schen dar [00'] Auch Heideggers Daseinsanalyse formuliert im wesent-
47 Vgl. hierzu das Kapitel: "Die verbotene Meditation" In dieser Arbeit.
lichen eine ökonomische Existenz.,,53
48 VgL Lacan, J.. S XXII, R.S.I.
49 Lacan, L Sehr. IlI, S. 9
50 "Was als Tatsache von Wissenschaft gegenwärtig den Platz des Begehrens einmmmt, Ist
ganz einfach das, was man üblicherwelse Wissenschaft nennt, die, die sie derzeit so munter 51 Ebd.
gaioppieren und alle Arten von sogenannten physikalischen Eroberungen machen sehen." 52 Über die Orientiertheit des Handeins, Denkens etc. vgL Lacan, L S XXII, R.S.I., S. 61ff.
Lacan, J.. S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 387 53 Byung-Chul Han.. Philosophie des Zen-BuddhIsmus, S. 86f.
36 37

So zum Beispiel in der Figur der "Sorge um sich" und der Behauptung der stischen Polemiken gegen den sogenannten "ontologischen, indischen Idea-
Sprache als dem "Haus (oikos) des Seins". lismus". Lacanformulierte im Seminar "Freuds technische Schriften";
Wenn das "Begehren des Wissens" (die Wissenschaft) im "Dienst an den
"Wenn das Intellektuelle sich irgendwo ansiedelt, dann auf der Ebene
Gütern" steht, ist ein "Verlust an Weisheit" zwangsläufig (und bereits vor- der Phänomene des Ego, in der imaginären Projektion des Ego, einer
gängig, wegen der Akzeptanz des Meditationsverbots). Lacans Wissen- pseudoneutralisierten - pseudo im Sinne von Lüge - die die Analyse
schaftskritik geht einher mit einer Kritik an der aristotelischen Ethik mit ih- als Abwehr- und Widerstandsphänomen ausgewiesen hat.,,55
rer Ausrichtung am Guten. "Gut, aber fiir wen?", fragt Lacan. Das Maß des
Menschen zum Maß aller Dinge zu machen - Grundprogramm des Huma- Für die Psychoanalyse und für den Buddhismus ist das Leiden der grundle-
nismus - läuft zwangsläufig auf Kapitalismus und also "Dienst an den Gü- gende Daseinsfaktor und sowohl das Zen als auch die lacanianische Analyse
tern" hinaus. Forscherbegehren und Mehrwert-Interesse können sich umso gehen von einer Nicht-Referentialität dieses Leidens und des intel~ektuellen
uneingeschränkter ausbreiten, je mehr ihre Protagonisten sich auf der Seite Wissens aus, denn letzteres bleibt immer gebunden an das Ego, dIe Instanz
des Guten wissen. Heute, wo die mediale Politikinszenierung permanent die- der Verkennung schlechthin.
se Ausrichtung zelebriert, ist dieser Zusammenhang so evident wie nie zu- .Für eine Wissenschaft, fiir die das Leiden grundlegend ist, gibt es keinen i-
vor. Durch die Ausrichtung am Guten lässt sich zum Beispiel, ohne dabei in dealen Fortschritt, vielmehr sogar ein Beharren auf dem Mangel und dem
Gewissenskonflikte zu geraten, die als leidvoll erfahrene unfreiwillige Kin- Fehlgehen. Zwar ist Voranzuschreiten fiir Zen-Praktizierende eine Sache der
derlosigkeit von Paaren zum Anlass und Vorwand nehmen, das genetische täglichen Praxis, aber dieses Moment ist im strengsten Sinne akzidentell. Die
Klonen zu legitimieren, dessen eigentliche Motive nichts als Forscherinteres- Zen-Wissenschaft' schreitet fort im Verbund mit einem Wissen, das sich,
Se und "Dienst an den Gütern" sind. Wer hier Widerspruch anmeldet, läuft ~obald man es zu fassen versucht, immer entzieht, das immer woanders ist
Gefahr, das Lager der "guten Leute" zu verlassen. und das sich niemals schließt. Das Leiden ist nicht zu begreifen, ist "keine
Die "Gewissensbisse des Monsieur Oppenheimer,,54 in den sechziger Jahren Sache des Griffs". "Das Denken ist auf der Seite des Griffs und das Gedach-
des 20. Jahrhunderts vermochten diese progressive Weisheitsparalyse eben- te auf der anderen Seite,,56, wie Lacan in Anspielung auf Aristoteles sagt.
sowenig aufzuhalten wie die Bedenken derjenigen (halbabtrünnigen) Wis- Durch den Begriffdas Leiden in den Griffzu bekommen und unter Kontrolle
senschaftler, die das wohlbekannte Horrorszenarium von UnHillen und Pan- zu halten, ist eine Illusion. Im Zen werden Meister befragt, wo sonst Philo-
nen heraufbeschwören, die im Fall der Umsetzung der ,an sich guten' Pläne sophen und Wissenschaftler zum Einsatz gebeten wurden oder sich auf-
zu erwarten sind. Der analytische Diskurs in lacanschem Verständnis dem- drängten, wahrscheinlich letzteres, denn der Begriff ist, wie Lacan sagt, ur-
gegenüber visiert schlicht den "Austritt aus dem kapitalistischen Diskurs" - sprünglich Waffe, Wurfgeschoß, Mittel zu einer Unterwerfung. 57
effektiv zu vollziehen. Das Unbewusste (das in seiner ersten Bestimmung Nicht-Wissen ist) ist nun
aber nicht der Bereich eines Archaischen, Irrationalen, Instinktiven, dem sich
1.9 Die Wissenschaft und das sich nicht wissende Wissen der (wissende) Intellekt anzunähern versagt, der nicht erschlossen oder vom
Ich besetzt werden kann, vielmehr ist es einerseits zu bestimmen als ein
Wer mich befragt, der weiß mich auch zu Nicht-Wissen, das sich weiß und andererseits als ein Wissen, das sich nicht
lesen. (Lacan) weiß. Zuerst ist es ein sich wissendes Nicht-Wissen:

Trotz seiner Hingeneigtheit zur Philosophie, seinem untrüglichen Gespür fiir


Logik und einem Hang zu einer barocken Ausdrucksweise mit zum Beispiel
Paranthesen innerhalb von Paranthesen hat Lacans Eingenommenheit gegen
den routinierten Akademismus und ,Das Intellektuelle' programmatischen
Stellenwert in seinem Werk und ähnelt in seiner Stoßrichtung den zeni- 55 Lacan, L S I, Freuds technische Schriften, S. 344
56 Lacan, L S XX, Encore, S. I 15
57 Die etymOlogische Verwandtschaft von ,,Begriff" und "Wurfgeschoß" behauptet Lacan im
54 Lacan, J.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 388 R.S.I.-Seminar.
38 39

"Das Unbewußte in seinem eigentlichen Zyklus stellt sich fiir uns, chitektur gilt, rur die Architektur als solche: in ihrem ursprünglichsten We-
obwohl es als solches ausgemacht ist, aktuell als das Feld eines Nicht- sen ist sie einerseits Vergegenständlichung der Leere und andererseits "so
Wissens dar.,,58 etwas wie die Vergegenwärtigung des Schmerzes,,61.
Nichtverrat des Begehrens heißt, ein Begehren zu prolongieren, das auf kein
Andererseits ist es ein sich nicht-wissendes Wissen. und dieses gleichsam zu äußeres Objekt gerichtet ist, eines Begehrens, das nicht von sich selbst abge-
entbinden, darum ist es dem Zen wie der lacanschen Analyse zu tun. Die lassen hat und gerade deshalb nicht über sich hinausweist. Am Beispiel die-
Anerkennung der symbolischen Kastration, die immer zuerst die des anderen ser Statuen findet Lacan eines der Paradigmata rur sein Schlüsseltheorem
ist, ist die Bedingung, dass sich dieses Wissen gleichzeitig als die Wahrheit von der Selbstreferentialität des Begehrens, ohne das die Entwicklung seiner
des Subjekts und als ein Wissen, das sich selbst nicht weiß, sagen kann. Das "Ethik der Psychoanalyse" nicht zu verstehen ist.
Sagen des Subjekts des Unbewussten ist deshalb das Sich-Sagen eines Wis- Die Dimension der "Mühe, die es macht, da zu sein" oder, wie Lacan an an-
sens, das sich selbst nicht weiß, weil es sich selbst nicht zum Inhalt werden derer Stelle sagt, des "Schmerzes des Existierens selbst" ist nun eng ver-
kann. Nur dieses Wissen (das des Unbewussten) ist der (einzige) Garant der knüpft mit diesem Motiv der Selbstreferentialität. Die Selbstreferentialität
Authentizität des Subjekts. Die Wahrheit des Subjekts des Unbewussten sagt des Begehrens, das ist das Leben selbst. Ein Begehren, das nur sich selbst
sich im Aussagen selbst aus, kann aber nie Inhalt von Aussage sein. Diese will, das kein Objekt hat und keinen Inhalt außer sich selbst, ist nach Lacan
Wahrheit ist eine des Unterwegs-Seins, im Werden und im Vollzug sich äu- das letztlich einzig legitime Begehren. Beim Streben nach dem Guten, dem
ßernd und man kanri sie nicht besitzen. Folglich können die Wahrheit des höchsten Gut, den Gütern spielt immer eine gewisse Korrumpiertheit des
Subjekts wie die des Unbewussten mit keinem Schlüssel ,von außen' aufge- Antriebs schon mit. Im Grunde sei, sagt Lacan, die buddhistische Sache und
schlossen werden, noch kann das Subjekt sich selbst als Inhalt eines derarti- die, "die uns interessiert", ein und dieselbe:
gen Wissens begreifen. Was zum Wissen werden kann, wird durch die Sub-
jekte selbst eingebracht und es ist nicht zu trennen von seinem Auftauchen in "ein bestimmtes Verhältnis des menschlichen Subjekts zum Begeh-
ren,,62,
der Signifikantenkette, die durch die Dynamik von Übertragung und Gegen-
übertragung generiert wird.
Und der Buddhismus sei das Wissen,
,,[...] daß das Begehren Illusion ist,,63
1.10 Reisen nach Japan
Die Buddha-Statuen des Klosters von Todaj-ji in Nara, dem Ziel von Lacans
zweiter Japanreise, wo eine große und einhundert gleichaussehende kleine 1.11' Nullpunkt der Zeit
Statuen zu sehen sind, die, in bestimmter Weise gespiegelt, genau dreihun-
Wirkungen der ,buddhistischen Therapie' auf der Ebene des Ego müssen als
dertdreiunddreißigtausend Figuren ergeben, sind, so Lacan, nichts als Bilder
akzidentell betrachtet werden, als\Nebenwirkungen. Das Zen lehrt letztlich
für "die Mühe, die es macht, da zu sein,,59. Der Bau dieser riesigen Tempel-
nichts als Nirwana und Satori. Ein Sesshin64 ruhrt zum "Nullpunkt der Zeit",
anlage habe mehr als hundert Jahre gedauert. Sie bedeuten nicht nur "die
der jenseits des persönlichen Bewusstseins liegt. Es lehrt auch nur nebenbei,
Mühe, die es macht, da zu sein", sie sind diese Mühe, sie bezeugen, wie La-
was gewöhnlich mit Lebensklugheit, der Kunst zu leben bezeichnet wird und
can sich im Seminar über die "Ethik der Psychoanalyse" ausdrückt, "bis in
liegt deshalb nicht auf der Linie der antiken Philosophien a la Stoa oder Epi-
(die) Gestalt hinein die Gegenwart dessen [...], was man einen zu Stein ge-
wordenen Schmerz nennen könnte [...],,60, Bei der Betrachtung eines Bau-
werkes wie dieser Tempelanlage werde nur evident, was letztlich rur alle Ar- 61 Ebd.
62 Lacan, J.. Semmar X, Die Angst, 2. Teil, S. 69
63 Ebd., S. 76
64 "Jap., wörtl.: ,Sammeln (setsu) des Herz-Geistes (shin)'; Tage besonders intenSiver, stren-
58 Lacan, J.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 285 ger Übung des gesammelten Geistes, wie sie in Zen-Klöstern In regelmäßigen Abständen
59 Lacan, J.: S X, Die Angst, II. Teil, S. 73 durchgeführt werden." (Diener, M. S.: Das Lexikon des Zen, S. 181) Sesshins werden auch
60 Lacan, J.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 76 In den westlichen Zen-SanghaS regelmäßig durchgeführt.
40 41

kureismus. K. Heinrich schreibt zur buddhistischen Übung im Unterschied


zu einem griechisch-römischen Verständnis von askests: [...] Das ,Gehenlassen der Gedanken' ist das integrale Bewußtsein,
"Askesis, ursprünglich gerichtet auf Form, wird [in buddhistischer das auf natürliche Weise aus der Haltung und Atmung des Zazen her-
Praxis, J.A.] zu einer Praxis des leibhaftigen Entschwindens die zwar vorquillt. Aus diesem Grunde betonte Dögen Zenji, dass das ,Gehen-
unendlich viele Formen kennt, esoterische und exoterische deren lassen der Gedanken' die Essenz selbst des Zazen ist. [...] Dieses Be-
Sinn aber die Absage des Geformten an die Formen ist; nicht ~uguns­ wußtsein des Zazen ist ohne Gewinnstreben (Mushotoku) und hat
ten des Ungeformten, über das der kultivierte Asket ebenso nase- kein Objekt. Wie ein Samen in den Neuronen abgelegt, wird Praxis,
rümpfend sich erhebt wie nur ein griechischer Weiser oder dessen Erfahrung keimen und wird natürliches Bewußtsein.
modeme Nacheiferer, sondern zugunsten einer nur mühsam zu errei- Dieses Bewußtsein ist vollständiges Nirwana, Zustand der Befreiung
c~enden en4~ültige~ ~orJ?I~~igkeit. Formen, die Form-Iosigkeit
(von) der menschlichen Konditionierung, aber nicht das Zunichte-
Sichtbar machen, well sie em Ubergang sind, selbst schon entschwin- werden des Bewußtseins. Es ist das Erwachen zur wahren Natur der
dend oder die Sammlung verkörpernd vor dem Entschwinden können Erscheinungsform, Weisheit des Buddha. ,,66
die raffiniertesten Gebilde sein. [... ].,,65 ' Oftmals scheint es, als diene Lacans Analyse mutatis mutandis zur Evokati-
on einer derartigen Berührung wie der des "Nullpunkts der Zeit". Ob er über
Entsprechend geht es In Lacans Praxis weniger darum, Pathologisches (Un- de Sade spricht, auf das Zen als Technik eingeht oder auf das Kunstwerk als
geformtes, schlecht Geformtes) durch Gesundes (die vollendete Form) zu ,e- solches reflektiert, immer scheint es um etwas hiermit Vergleichbares zu ge-
xorzieren' oder Sinn an der Stelle von Nicht-Sinn zu schaffen sondern zu hen. Lacans ,Suche nach dem Absoluten' streifte nicht nur die Vorstellung
einem ;,absoluten Nullpunkt" oder einem "glühenden Zentruu:.· zu führen, einer von jeder Geschichtli.~hkeit befreiten Geschichte, die Vorstellung eines
wo jeder Dualismus endigt und die Illusionen des Sinns gerade zerbrechen. effektiv zu vollziehenden Ubertritts ließ ihn nie los. Im Zusammenhang mit
Die Praxis des Zen führt zurück zum Ursprung, wobei Ursprung zu verste- dem Kunstwerk spricht er von einer
hen ist als lebendige Zeit oder absolute Gegenwart. Der "Nullpunkt der Zeit"
ist kein historischer Anfang, sondern absolute Gegenwart, ungeachtet dessen, ,,[...] Annäherung an ein glühendes Zentrum oder einen absoluten
dass seine Berührung einen Einschnitt in die Biographie, eine historische Nullpunkt, der psychisch den Atem verschlägt. [...] Das Kunstwerk
Wendemarke einleiten kann. Ein Sesshin ist der Eintritt in die Wiederholung zeigt sich [...] als ein Experiment, das in seinem Verlauf das Subjekt
aus seinen psychosozialen Vertäuungen reißt. ,,67
der Gegenwart als der ursprünglichen Form von Alltäglichkeit.
Deshimaru Roshi spricht in dem Zusammenhang vom "integralen Bewusst- Die Auflösung (Ana-lyse) der "psychosozialen Vertäuungen" geschieht
sein"; durch' die Annäherung an ein "glühendes Zentrum", einen "absoluten Null-
punkt".
,,~ishiry? ist das Denken, das vom Nullpunkt der Zeit (dem vollstän-
digen- Hier und Jetzt) wiederkehrt, das Denken, das durch die Ver- Hier also berühren sich die Psychoanalyse und die Religion. Zen als Ana-
nunft und die persönlichen Überlegungen nicht erreicht werden kann. lyse (A.!!jlösung der "psychosozialen Vertäuungen") und die Analyse als reli-
Man kan,n es als das universale Bewußtsein betrachten, das der Be- giöse Ubung (Führung zum "glühenden Zentrum", "absolutenNullpunkt")
wegungder Natur und der Ordnung des Universums folgt. Der Geist sind Wege der re-ligio in seiner ursprünglichen Bedeutung: der Rück-
erhält. eine kraftvo~le Ruhe, und die Neuronen er~alten die gleiche bindung. Wenn in dem Zusammenhang noch vom Selbst die Rede ist, der
Schwmgung Wie die des Universums. Sie sind in Ubereinstimmung. Evokation des, wahren Selbst', so liegt ein Begriff vor, der mit den kurren-
ten westlichen Mustern nur schwer zu kompatibilisieren ist. Selbstsein ist
hier Leersein und Mitsein in einem. Lacan rekurriert zur Entwicklung eines
65 Hemnch, K.. Versuch über die Schwlengkeit nein zu sagen, S. 127 Begriffs von Selbst auf die Etymologie des französischen meme:
1914-1982; Dieser Japamsche MeisterwIrkte von Paris aus (seIt 1967 biS zu semem Tod)
und verbreitete das S~to-Zen, eme der beiden Haupt-Zen-Schulen m Japan, in Europa. La-
can und Deshlrnaru hatten Sich also durchaus über den Weg laufen können, was aber rn.W. 66 Deshirnaru Roshi, T. m: Zen-Info, Nr. 62,63/1999, S. 11
mcht geschehen ist. 67 Lacan, J.. S VII, Die Ethik der Psychoanaiyse, S. 243
42

"Die Etymologie des Begriffs meme [...] - ist keine andere als me- 2 Die (De)konstruktion des Ich bei Lacan
tipsismus, das aus dem Selbst in mir selbst eine Art Redundanz
macht. Metipsismus wird phonetisch in meme transformiert ~ das Ich-
selbstigste von Ich selbst, das, was im Innyrsten meiner selbst ist und
über mich hinaus, insofern das Ich auf defEbene dieser Wände auf-
hört, auf welche man ein Schildchen tun kann. Dieses Innere, diese 2.1 Sei nicht, der du bist!
Leere, von der ich nicht weiß, ob sie mir oder niemandem gehört, ist
das, was, im Französischen zumindest, dazu dient, den Begriff des Der größte Teil unseres Wesens ist uns unbekannt. Trotzdem lieben
Selbst zu bezeichnen. ,,68 ~ir uns, reden von uns als von etwas ganz Bekanntem, auf Grund von
ein wenig Gedächtnis. Wir haben ein Phantom vom, Ich' im Kop-
fe das uns vielfach bestimmt. Es soll Konsequenz der Entwicklung
An Stellen wie dieser wird ,Lacans Buddhismus' offenkundig. Der Begriff
von Selbst, wie hier elaboriert, untrennbar verbunden mit den Begriffen
b~kommen. Das ist die Privat-Kultur-Tat - wir wollen Einheit erzeu-
gen (aber meinen, sie sei nur zu entdecken).
Leerheit und Mitsein, ist aus abendländischen Deutungsmustern kaum herzu-
leiten. Das Unbewusste, sagt Lacan, ist ethisch, nicht ontisch verfasst. 69 Es Es existieren nicht:
ist primär als Nicht-Wissen bestimmt und dieses Nicht-Wissen ist das des I) ein Subjekt des Wollens
anderen. Nicht nur Diskurs und Begehren sind die des anderen, auch das 2) ein Subjekt des Erkennens
Unbewusste selbst ist das des anderen. Die Analyse evoziert die revelation 3) ein Ich
des Ullbewussten in seiner Verfasstheit als das des anderen. Metipsismus be- 4) eine Seele
zeichnet deshalb den Vollzug, das Sich-Ereignen des Unbewussten in seiner 5) in irgendeinem Individuum eine bleibende Mitte
ethischen Verfasstheit.
Der Bereich jeden Subjekts verändert sich ständig. Das Subjekt als
Realität oder einfach als fester Bezugspunkt ist also eine Fiktion. Von
dieser Fiktion allerdings leiten sich die metaphysischen Begriffe des
Seins und der Substanz ab. Dagegen existiert nicht einmal das ,Den-
ken,.,,7o

"Wie mit seinem Sein agieren?,,71, fragt Lacan, in dessen Schriften. und
transkribierten Seminaren sich sämtliche dieser von Nietzsehe als nicht-
gegeben und nicht-existent markierten Posten, gleichfalls behauptet als
nicht-existent, nicht-gegeben, wiederfinden. So müsste die Frage also eigent-
lich lauten: "Wie mit dem Mangel an Sein agieren?". Gleichwohl, die Psy-
choanalyse versteht sich als eine transformatorische Praxis und muss trotz
oder gerade wegen der "Fragwürdigkeit des gesamten Daseins" (Nietzsche)
irgendeine Art Antidot parat haben. Womöglich könnten folgende von
Borch-Jacobsen formulierte Sätze das Motto eines an Lacan geschulten Ana-
lytikers abgeben:

68 Ebd., S. 239 70 Nietzsehe, F.: Sämtliche Werke, Bd. 8, S. 3 2


69 VgL hierzu: Laean, J.: S XI, Die vier Grundbegriffe..., S. 39ff. 7I So der Titel eines der Essays aus: Laean, 1.. Sehr. I, S. 203
44
45

~"Identi~ziere dich nicht', ,Sei nicht, der du bist', ,Begehre dich über Es ist aber, hat es einmal einen Eintritt in die Logik Lacans gegeben, nicht
Jedes Objekt hmaus', ,Sei nichts",.72
herumzukommen um dergleichen "Gefasel" und umso mehr findet sich die-
ses: an ihn gebunden. Nichts davon wissen wollen und gleichzeitig sich ge-
Je~e~falls zeigen diese mit dem Pathos des Negativen aufgeladenen Formeln
bunden fUhlen, ein schier unlösbares Dilemma. Aber ...
~oghche Konsequenzen auf, die aus Lacans Lehre zu ziehen wären, formu-
!leren Schlussfolgerungen, die aus seiner berüchtigten Logik hervorgehen, "Das ist eben das, was macht, daß nur wenn das Ihre Ihnen ausrei-
Jener ~her ver- als entwickelnden Logik. Gerade ihretwegen wurde Lacan chend erscheint, Sie sich, wenn Sie zu meinen Analysanten gehören,
auch Immer als Guru, Wahrsager oder Weiser rezipiert, als jemand, der normalerweise von Ihrer Analyse lösen können. Ich schließe daraus,
Antworten hat. Sein Sagen, selbst in transkribierter Form, erscheint som- daß ich, im Gegensatz zu dem, was ausgestreut wird, in meiner Posi-
~ambul und gleichzeitig "mit dem Hammer", dem Wurfgeschoss des Beg- tion als Analytiker keineswegs auf einen Umweg gerate mit dem, was
nffs. .0·
ich hier mache.,,75
I~ "Sinthome"-~eminarist im Zusammenhang mit der Frage, ob Joyce ver-
ruckt war und sl~h als Erlöser geruhlt habe, die Rede von der "Evozierung
des falschen ChriStuS". Die Allüren des "falschen Messias" seien "Manie- 2.2 Erinnerung an das Spiegelstadium
rismus.un~ das Rätsel,m, s~gt Jaques Aubert im Seminar. Lacan spielt mit Es gibt eben kein Mittel, mir zu folgen, oh-
dem Slgmfikanten, dem Wissen und dem Signifikanten des Wissens aber ne durch meine Signifikanten hindurchzu-
spielt er Versteck damit? Verwischt er auf unverantwortliche W ei~e die gehen. (Lacan)
Grenze zwischen einem somnambulen Sagen und dem wissenschaftlichen
Diskurs, der, wie Descartes bestimmte, clare et distincte zu sein hat? Das Modell des Spiegelstadium ist nur dem Anschein nach ein entwick-
Lacans. Sagen ev~ziert ein Begehren zu entziffern und im selben Zug ein lungspsychologisches. Tatsächlich ist es eine durch Erfahrungstatsachen ge-
~,Ich wtll da~on mchts wissen." Der "geringste Zweitgeiger", gebunden fast stützte Spekulation über die durch die Prämaturation des Menschen beding-
m emem rehgiös (zurück-gebunden) zu nennenden Sinne an den Meister ten initialen Akte der Genese des Ich.
durch dieses doppelte Motiv, ist Das Grundschema ist hinlänglich bekannt: Das Menschenjunge erkennt sich
"animiert [...] von dem Wunsch, einen Meisterposten zu haben und in einem Alter zwischen sechs und 18 Monaten, zu einer Zeit, in der ihm das
es hat nicht einen einzigen gegeben, der nicht ich weiß nicht w~s fiir Schimpansenjunge an motorischer Intelligenz überlegen ist, selbst im Spie-
ein Gerangel fabriziert hätte über den Signifikantenmangel den Sig- gel wieder, wozu, wie Lacan 1936 in seinem Vortrag auf dem Kongreß von
nifikanten des Signifikantenmangels und anderes Gefasel zu~ Phallus Marienbad noch sagte, das Affenjunge nicht in der Lage ist.
[...]"74 Doch die höheren Affenarten (und auch Delphine) erkennen sich sehr wohl
im Spiegel wieder. Jedoch ist rur sie diese ,Selbsterkenntnis' bedeutungslos,
während das Menschenjunge die Aufnahme seines Spiegelbildes mit Jubel
goutiert. Als Lacan im späten R.S.I.-Seminar auf das Spiegelstadium zu
sprechen kommt, hält er, konzedierend, dass andere Primaten sich wie der
72 Borch-Jacobsen, M.. Lacan, Der abSOlute Herr und Meister, S. 250. - Borch-Jacobsen
nennt solch I~perativlsche Hypotaxe, die er als den Impliziten, an den Analysanten Sich Mensch im Spiegel erkennen, rur vorrangig erwähnenswert, dass dieser nar-
nChte~.den Diskurs des an Lacan geschulten Analytikers unterstellt, "eine paradoxe (Bate- zisstische Jubel, der nur beim Menschen zu beobachten ist, die spezifische
son wurde s~gen: schizophren machende) Aufforderung" (ebd., S.150) Er liefert gielch ei- Differenz zum Tierjungen darstellt.76
neganze Reihe solcher "Aufforderungen" mit varianter Schwerpunktsetzung: ",Präsentiere
deme ~bsenz (oder: Laß del~ Abwesenanwesen)!" ,Sage dein Begehren aus!" Bnnge
d~m Nichts zum Erschemen! , ,Sage deinen Tod!'" (ebd., S. 150) Oder: ",Identifizlere
dich mit memem Begehren" ,Sei (nicht) wie ICh', ,Ahme das Unnachahmliche nach'"
(ebd., S. 251)
73 Lacan, J.: S XXIII, Le Sinthome, S. 2
74 Lacan, J.: S XX, Encore, S. 80 75 Ebd., S. 7
76 Vgl.. Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 39ff.
46 47

Vor dem Spiegelstadium verfUgt das infans über kein Bewusstsein der Ein- Gegen seine Hilflosigkeit durch die Unmöglichkeit der Kontrp,lle. der Kör-
heit seiner selbst. 77 Zwar gibt es Übereinstimmungen gewisser zerebraler perfunktionen setzt sich das infans durch eine Aufrichtung (stasis),am Bild
Aktivität mit motorischer Abfuhr, jedoch fehlt die Vorstellung der körperli- seines Körpers zur Wehr. Aus der anfänglichen Dissoziiertheit und Unkoor-
chen Einheit. Im Spiegel nun aber erblickt das infans sich erstmals als Ein- diniertheit des Körpers, der Zerstückeltheit des Körpers, geschieht plötzlich
heit. Die Aufnahme seines Bildes ist eine jubilatorische, weil es sich als die Geburt einer strukturierenden Illusion, der eine orthopädische Funktion
ganz, geschlossen und souverän imaginiert. Seine reale Abhängigkeit tauscht zukommt. J.-D. Nasio schreibt in ,,7 Hauptbegriffe der Psychoanalyse" hier-
es von dem Moment an (quasi wunschträumend) gegen eine· imaginierte zu:
Allmacht, die Ich-Illusion.
"Das Ich ist in diesem Moment, und nur in diesem Moment, nichts
Diese Erfahrung - auch der Illusion eignet das Manifeste der Erfahrung - de- anderes als der Abdruck einer Kontur des einZigartigen Bildes des
terminiert den Grundirrtum des nachfolgenden Lebensvollzugs, indem sie~ls Kindes, der Aufriß - einfach eine Linie - der menschlichen Form des
vorgegeben erscheinen lässt, was sich erst, als Resultat der Spezifität der kleinen Menschen. ,,79
menschlichen Wahrnehmung, im Moment des Auftauchens des Spiegelbil-
des bildet. Die initiale Täuschung schafft und definiert den Selbstbezug des Das Imaginäre stellt so zugleich den Rahmen und die Stütze des Subjekts
Menschen. und bildet seine Wirklichkeit. Die Wahrnehmung im Spiegel verursacht, was
Was dieses Moment der Inthronisation des Bildes bedeutet, stellt Gerome nur Bild ist, fUr den Ursprung des Abgebildeten zu halten. Die Einheit seines
Taillandier heraus, indem er, die Grundformel der Alienation ("Ich ist ein Ich, die das Menschenjunge erblickt, ist, im Wortsinn, (nur) eine Vision, da
anderer") dialektisch ihren Polen zuordnend, auf die Freudsche Unterschei- die jubilatorische Reaktion sich stets nur auf eine Identität als antizipierte
dungvon Ich- und Objektlibido abhebt: bezieht.
"Wenn der im Spiegel von mir wahrgenommene andere mir meine
Statur und Erscheinungsform gibt, so heißt dies auch, daß er 1m tran- Es erblickt seine Gestalt in einer vorweggenommenen Einheit und Vollen-
sitiven Sinn mein Ich ist: Ich ist der andere, es gibt eine imaginäre dung. Zwischen faktischer Dissoziiertheit und imaginärer Einheit entsteht ei-
Übereinstimmung zwischen i(a) und i'(a), zwischen Ichlibido (Libido ne Kluft, dergestalt, dass das Subjekt sich von ersterer weg- zu letzterer hin-
zum ei~enen Körper) und Objektlibido (insofern das Objekt der ande- zubewegen trachtet. Identität ist, so Lacan, deshalb illusionär und ein Arte-
re ist)." 8 fakt, weil SIe immer (nur) antizipativ ist. Die Spiegelidentifikation hebt die
Spaltung nicht auf, sondern überspringt sie. Es gibt ein ursprüngliches, sub-
stantielles Ich also nur in der Form der TäuschunglVerkennung. Das Subjekt
77 Wie sehr Lacan in punclo Theoriebildung tatsächlich an Freud anknüpft, lässt sich anhand projiziert in die Zukunft, was vermeintlich zu Grunde liegt. Im selben Zug,
des kurzen Überblicks ersehen, den Laplanche/Pontalis darüber geben, was bel Freud die in dem sich das Menschenjunge in der Einheit gerettet wähnt, etabliert sich
Einruhrung des Narzissmus in Hinblick auf die Theone des Ich mit Sich gebracht hat: "Das sein Einwohnen im Imaginären. An der Pforte zur Menschwerdung steht ei-
Ich erschemt mcht auf Anhieb, noch ist es das Ergebnis emer progressiven Differenzie- ne konstitutionelle Täuschung, in deren Gestell das Subjekt sich einrichtet.
rung. Damit es Sich konstitUiert, ist eine ,neue psychische AktIOn' notwendig. [...] Im Ver-
gleich mit dem anarchistischen und zerstückelten Funkt10meren der Sexualität, d~ den
AutoerotIsmus charaktenslert, Wird es als eine Einheit definiert." (Laplanche/Pontalis: Das Unmittelbar verbunden mit der Herausbildung der Ich-Instanz ist die initiale
Vokabular der Psychoanalyse, S. 193) Eroberung des anderen. Es wird erprobt, ob die Fiktion, der der Jubel gilt,
78 Gerome Tai11andier: Jaques Lacans Semmar über die Angst. Ein Überblick, m: Riss, Zeit- der Realitätsprüfung standhält. Dazu wendet sich das infans im Moment un-
schrift rur Psychoanalyse. Freud.Lacan., Nr. 42, S. 13f. - Die Onentierung Lacans an
Freud lässt sich wiederum anhand von "Das Vokabular der Psychoanalyse" aufzeigen: mittelbar nach der Sichtung seiner selbst als Einheit einer im Raum befindli-
"Ebenso wie em äußeres Objekt bietet es [das Ich, J.A.] Sich der Sexualität als Liebesob- chen 'dritten' Person zu (zum Beispiel dem Vater oder der Mutter), um von
Jekt an. [...] Diese Defimtlon des Ichs als Objekt verbietet es, das Ich der Gesamtheit der
Innenwelt des Subjekts gleichzustellen." (Laplanche/Pontalis: Das VokabulaT der PsyCho-
analyse, S. 193) - Die Imaginäre Identität von Ich-Libido und Objekt-Libido Wird zum die IdealiSierung, Überhöhung und Überschätzung des Sexualobjekts Ergebnis dieser Un-
Beispiel Wirksam m Fällen von ejaculatio präcOJ<. Lacan erklärt Sie aus der narzisstischen unterschiedenhelt von Ich- und Objektlibido zu sein.
IdentifiZierung mit dem Partner. (vgl.. Lacan, J.. Schr. I, S. 87, Fußnote) Generell schemt 79 NaslO, 1.-D.: 7 Hauptbegriffe der Psychoanalyse, S. 96
49

Die Analyse hat es letztlich immer zu tun mit den Problemen, die sich aus
der Unmöglichkeit dieses Unternehmens ergeben. Die Aufkunft der analyti-
schen Wahrheit wird die ohnehin instabile Stasis, die sich am Bild des Ich
orientiert, vollends destituieren 84 und damit letztenendes, wie noch zu zeigen
sein wird, die Realität selbst und als solche ins Phantasma zurückstoßen.
Von außerordentlicher Bedeutung bei Lacan ist stets, dass er die Dissoziation
des Subjekts als konstitutiv, nicht als pathologisch ansieht. Denn die mit der
Einrichtung der Instanz des Imaginären gleichzeitig aufklaffende fundamen-
Die Prüfung zielt darauf zu erforschen, ob der andere geneigt ist, die im tale Spaltung ist unhintergehbar. Die Psychoanalyse schafft lediglich die
Spiegel erfahrene Ich-Imagination als über jeden Zweifel erhabene :Wirk- Einsicht in das konstitutionelle Unvermögen, das antizipierte Bild der eige-
lichkeit zu beglaubigen. Der andere manifestiert die Alienation des Subjekts, nen Ganzheit je zu erreichen. In dem Zusammenhang sollte auf die Unter-
indem er in den Jubel über den im Spiegel erblickten anderen einstimmt. scheidung des lacanschen "Imaginären" und dem, was Illusion genannt wird,
Hier ist vorerst von Wichtigkeit, dass der andere - der Nebenmensch81 , der Wert gelegt werden. Das Imaginäre in der Theorie Lacans, als strukturbil-
ist wie ich - ebenso wie er die Spiegelidentität als Wirklichkeit bestätigen dendes Moment, kann nicht ,abgeschafft' werden, nur die Illusionen, deren
kann, später auch die Macht haben wird, das Ich zu Fall zu bringen, indem Begriff schon etwas von ,überflüssig' anhaftet, können ,heruntergefahren'
er dessen Phantasma die Anerkennung verweigert. 82 Der von der infantilen werden. Evans bringt das sehr klar zum Ausdruck, wenn er schreibt, dass das
Orientierung des Spiegelstadiums geleitete Versuch, den anderen zum Bür- Imaginäre, obwohl es "immer die Konnotationen von Illusion und Täu-
gen und Garanten der Existenz im Erwachsenenleben zu machen, ist für La- schung trägt,,85, doch nicht "synonym mit dem ,Illusorischen' ist, insofern
can die "Mißachtung seiner selbst und des anderen verbunden in einem ein- letzteres Unnötiges und Belangloses impliziert,,86, Das Imaginäre demgegen-
zigen Term,,83. über übe "starke Wirkungen auf das Reale aus und ist nicht etwas, das ent-
behrlich wäre oder das ,überwunden' werden könnte 87", Wie wenig entbehr-
Weitaus wichtiger als die Tatsache, dass durch die Spiegelerfahrung ein rea- lich es ist, plausibilisiert Lacan mittels seiner borromäischen Knoten. Löst
ler physischer Mangel, die Unkoordiniertheit des Körpers, behoben wird und man einen der drei miteinander verbundenen Ringe (die rur Reales, Symboli-
das infans beginnt, Herrschaft über seine Körperfunktionen auszuüben, ist sches, Imaginäres stehen) aus dem Ensemble heraus, sind auch die beiden
für die Theorie der psychoanalytischen Praxis, dass durch sie ein symboli- anderen frei. Das Ensemble f,illt auseinander.
scher Mangel mitbefriedigt wird, der Mangel an Sein.
Weil dem Bild tatsächlich keine Substanz zu Grunde liegt und folglich die Die Subjektkonstitutionstheorie des Spiegelstadium wendet sich, um Lacans
Einheit immer nur eine antizipatorische sein kann, wird Identität im selben Theorie in den philosophischen, bzw. psychoanalytischen Diskurs einzuord-
Zug, in dem sich das infans in der stasis gerettet wähnt, zu einem fundamen- nen, gegen die folgenden Auffassungen:
talen Problem, denn dem menschlichen Wesen geht es von nun an um etwas Zum einen gegen die bürgerlich-humanistische, die sich auf die nur die All-
Unmögliches, nämlich die Synthetisierung der einmal- gleichsam als Ver- tagagsverkennung perpetuierende Vorstellung gründet, das Ich sei das Ge-
sprechen einer zukünftigen Vollkommenheit in der Form absoluter Selbst- wisseste schlechthin und die aus dieser die Annahme eines freien Subjekts
identität - erblickten Einheit. hervorgehen lässt, das Urheber und Verantwortlicher seiner Handlungen ist.
Diese Grundverkennung wurde, so Lacan, durch die philosophische Traditi-
80 Lacan, 1.: Schr. I, S. 63
81 Den schon von Freud gebrauchten Ausdruck Nebenmensch übernimmt Lacan an einigen
Stellen, so in: Lacan, 1.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 51 u. 66 84 Die Im Spiegelstadium eriangte StasIs Wird de-stitulert. Vgl. hierzu: Zizek, S.: Die Tücke
82 Eben das wird auch der lacanlanlsche Analytiker tun, indem er sich dem Anspruch der des Subjekts, S. 365, oder: Evans, 0.: Wörterbuch der lacanschen Psychoanalyse, S. 85
Wiederherstellung des Bildes verweigert und mcht die Rolle der ,dntten Person' aus der 85 Evans, 0.: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse, S. 146
SpIegelszene zu spielen bereit ist. 86 Ebd.
83 Lacan, J.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 383 87 Ebd.
50 51

on, die von der Vorstellung eines einheitlichen Ich ausgeht, gestützt und sys- genannte KI-Forschung.) Allein aufgrund der verschiedensten Erkenntnisse
tematisch ausgebaut. Die Philosophie übernahm damit, so Lacan, indem sie aus den unterschiedlichsten Wissensgebieten hielt es Lacan fiir unverzeih-
von dem seiner selbst bewussten Ich als einem iw;er Grundbegriffe ausging, lich, die Substanzhaftigkeit des Ego nicht als reines Trugbild anzusehen.
der religiösen Vorstellungswelt angehörige Ideen und perpetuierte sie. Die
Annahme eines substanzhaften Ich, von der die Philosophen ausgehen, habe Zum anderen richtet sich Lacans Theorie gegen die sogenannte Ego-Psycho-
also nur logie mit dem ihr eigenen therapeutischen Ansatz, der seine Entsprechung in
"den Substantialismus perpetuiert, der im religiösen Begriff der Seele der Affirmation des von Lacan (wie schon von Freud) perhorreszierten ame-
angelegt ist als einer mit dem positiven Stigma der Unsterblichkeit rican way o/life findet. Die Ego-Psychologie baut auf Ichstärkung. Ein star-
bekleideten Substanz,,88. kes Ich soll nicht nur die Dissoziationen und Unangepasstheiten des Subjekts
unter Kontrolle halten, seine In-Aussicht-Stellung impliziert sogar das Ver-
Aus der freudschen Entdeckung des Unbewussten folgt nach Lacan, dass das sprechen totaler Sicherheit und Unantastbarkeit. 92 Der Gegensatz der Ziel-
Ich 1.) dezentriert, 2.) nicht-autonom und 3.) nicht-ewig ist. Freuds Bedeu- setzungen einerseits der lacanschen Analyse, andererseits der Ego-
tung liege deshalb nicht zuletzt in der Ausschlagung eines gewissen Erbes Psychologie könnte nicht größer sein, denn bei Lacan dreht sich die Analyse
der Denk- und Vorstellungstradition. Lacan spricht in dem Zusammenhang um die Anerkennung der symbolischen Kastration.
auch von "Begriff~verweigerung,,89. Wenn Lacan im Spiegelstadium darstellt, wie die Ich-Illusion entsteht, so
Von der Idee, dass das Ich Substanz sei, habe sich im Freudschen Feld und lautet seine Frage hinsichtlich der psychoanalytischen Praxis: Wie kann der
um dieses herum schließlich der opake Schirm des Narzissmus durchbrochen werden?
"Fortschritt des Denkens als von einem einer strikt wissenschaftlichen
Kritik zu unterwerfenden Mythos"90 2.3 (K)Eine Spur von Selbsterkenntnis

abzuwenden gehabt. Mit diesem Fortschritt verbanden sich neben den Na- Das Subjekt bei Lacan ist Produkt von Signifikantenoperationen:
men der Denker einer gewissen philosophischen Gegenaufklärung, wie dem
Nietzsches, außerdem die Aufkunft der im neunzehnten und zwanzigsten
Jahrhundert neu aufkommenden Wissenschaften, der Psychologie, Psycho-
physik, Psychopathologie und Neurowissenschaft. (Mit heutiger Erfahrung
wären des weiteren zu nennen die Hirnhemisphärenforschung9l und die so-
len läßt. Das Gehirn aber besteht umgekehrt aus einer Vielzahl von verschiedenen, mehr
oder wemger unabhängigen ,Spezialisten', die Sich ohne Plan und ohne gemeinsamen Ar-
chitekten entwickelt haben. - Schon Freud hatte mit seiner Theorie vom Ich, Es und Über-
88 Lacan, J.: S II, Das Ich m der Theone Freuds..., S. 14 Ich mit der Aufspaltung unserer ,Seele' begonnen. Heute versuchen Forscher, seine drei
89 Lacan; J.: S XI, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, S. 24 Einheiten konkreten Hirnteilen zuzuordnen, wobei sich diese Einheiten als Vielhelten er-
90 Lacan, J.: S II,Das Ich in der Theone Freuds..., S. 14. - Vg1. hierzu z.B. die m "Das Vo- weisen. Neuronencluster fiir Farbsehen exislieren neben solchen fiir Grammatik, Hunger,
kabular der Psychoanalyse" gegebene Zusammenfassung, in der von den Quellen Freuds Sex oder Bemmotorik. Es gibt keinen Homunkulus, der das ganze kontrolliert. Außerdem
fiir seine theoretischen Neuerungen die Rede Ist: "Die an den Neurosen gewonnene klim- herrscht eine große evolutlOnäre Ungleichheit im Gehirn: Archaische Teile wie das eher
sche Erfahrung veranlaßt Freud, die traditionelle Bedeutung des Ichs vollständig umzuges- unbewußte limblsche System, haben mcht Immer das evolutlOnär gleiche Ziel wie der evo-
talten. Die Psychologie und bespnders die Psychopathologie der achtZiger Jahre bnngt es lulionär neuere, eher durch Bewußtsem gekennzeichnete Neokortex. Das Hin- und Herge-
durch das Studium der ,AlteratIOnen' und Verdoppelungen der Persönlichkeit, der >zwei- nssensem ZWischen Verstand und Gefiihl findet hier seme anatomische Entsprechung." (in:
ten Zustände< etc. mit Sich, daß der Begriff eines emheltlichen und pennanenten Ichs zer- "Tagesspwgel" 27.8.2000, S. 25)
stückelt wird. Mehr noch, ein Autor wie P. Janet hebt bel der Hystene die EXistenz einer 92 Es wurde schon darauf hingewiesen, wie auch die neueste amerikanische Future-
simultanen Verdoppelung der Persönlichkeit hervor [...]." (Laplanche/Pontalis: Das Voka- Philosophie mit ihren naiv-prophelistischen Zügen (Kurzweil und sein tradilionalistischer
bular der Psychoanalyse, S. 186) Ethik verpflichteter Anlipode Joy etwa) noch diesem WunSChdenken erlegen 1St. Die Visi-
91 Bas Kast gibt emen kursonschen Überblick über den neuesten Forschungsstand der Hirn- on von der Mensch-Maschme-Synthese, die Rede von der Lebensverlängerung bis hin zur
forschung: ,,(Ein) welt verbreiteter Eindruck ist obJekliv mcht gegeben: Die Intuilion vom potenliellen Unsterblichkeit durch die Entschlüsselung des Genoms folgen unbewusst dem
einheitlichen Ich. Wir haben das Gefiihl, wir seien em ,holislisches' Ich, das Sich mcht tel- Wunsch nach totaler Sicherheit und Unantastbarkeit des Ich.
52 53

"Ein Signifikant ist, was ein Subjekt repräsentiert [...] für einen ande- fikanten' folgen zu können hat den Austritt aus dem phantasmatischen Ich-
ren Signifikanten [...]"93, Rahmen, dem Raum der Spiegel(v)erkenntnis zur Voraussetzung, die Preis-
gabe der Imagination der Einheit des Ich. Ein Signifikant ist, was das Sub-
lautet Lacans ingeniöse Definition. Der Signifikant unterhält sämtliche Be- jekt (nicht das Signifikat!) für einen anderen Signifikanten (nicht für ein an-
ziehungen des Subjekts: die der ursprünglichen Identifikation mit dem Spie- deres Subjekt!) repräsentiert. Das Spiel der Signifikanten unterminiert un"
gel-Ich, die der Selbst-Reflexion, vor allem aber auch die Beziehung zum ausgesetzt jedes präsupponierte substanzhafte Hypoketmenon und lässt es als
anderen. reines Trugbild erscheinen. Was ich bin, kann deshalb niemals im selbstre-
Lacan hatte in seiner Darlegung des Spiegelstadium gezeigt, wie es dazu flexiven Akt erfahren werden. Lacans Neufassung des Cogito kehrt den Sinn
kommt, dass das Subjekt ein vorgängig-substanzhaftes Ich supponiert, das der Formel von Descartes exakt um:
durch das Spiegelbild lediglich abgebildet werde. Tatsächlich aber gibt es
nur die ursprüngliche Bildwahrnehmung, von der aus der (Trug)Schluss auf "Ich denke, wo ich nicht bin, also bin ich, wo ich nicht denke.,,95
ein zugrundeliegendes Ich gemacht wird. Dem Bild jedoch liegt nichts Sub-
stantielles zugrunde, das ihm entspräche, wovon es Abbild wäre; das sub- Das Subjekt denkt, aber das Denken kann weder das Sein noch das Subjekt
stanzhafte Hypoketmenon ist etwas Eingebildetes. Das Subjekt imaginiert denken. Denn, wie Lacan sagt:
sich somit als Einheit gerade dort, wo es nicht ist. "Die Denkung (la cogitation) bleibt einem Imaginären auf dem Leim,
Wenn dies zu erkennen, zu gewahren den Prozess der Anaiyse ausmacht, das im Körper verwurzelt ist, das Imaginäres des Körpers ist. Die li-
dimn kann sie beendet werden, wenn das Subjekt durch alle Übertragungs- teratur gibt davon Zeugnis, die philosophische wie die künstlerische,
konstellationen der Analyse hindurch aus der Spiegelverkennung heraustritt, die literarische - die sich übrigens in nichts unterscheiden.,,96
wenn es das Phantasma durchquert hat und der Spiegel zerschlagen ist.
Lacans Analyse läuft also nicht darauf hinaus, steh im Spiegel zu erkennen, Wenn die "Denkung" sich selbst denken will, verdoppelt sie nur den "Palast
sondern sich in ihm gerade nicht oder nicht mehr zu erkennen, oder wie A- der Trugbilder,,97, Das Subjekt kann sich, wenn es sich selbst denken will,
lain Juranville schreibt, aber nicht nur niemals erreichen, es entfernt sich in diesem Versuch sogar
noch immer weiter von sich.
"ihn zu zerbrechen und, blutüberströmt, in die Leere seiner Abwesen-
heit fortzuschreiten,,94, Während in der Theologie und derjenigen Philosophie, die den Begriff der
Seele mutatis mutandis übernimmt, das Subjekt als von Gott her versichert
Wie das Bild das (vermeintlich) Abgebildete erst hervorbringt, so der Signi- oder verbürgt durch eine höhere Wesenheit vorgestellt wird, sagt Lacan, die-
fikant das Subjekt. Selbsterkenntnis, geleitet durch die Spiegelerfahrung, se Konzeptionen gleichsam ,auf Eis legend', dass das Subjekt Effekt des
heißt sich zu ver-kennen. (me connaitre = sich erkennen; meconnaitre = ver- Signifikanten ist und
kennen) Sich zu er-kennen dagegen unter analytischen Gesichtspunkten setzt ,,(d)er Signifikant weist die Kategorie des Ewigen ab und dennoch,
die analytische Situation voraus, die eine spezifische relationale Matrix er- eigentümlicherweise, ist er aus sich selbst.'<98
schaffende Engführung des Signifikanten, in der die Selbsterkenntnis des ei-
nen immer von der des anderen abhängen muss. Freuds Entdeckung des Unbewussten und Lacans Signifikantentheorie geben
(
den scholastischen Diskursen eine neue Dit-mension99 , Die Bestimmung des
Da die für das bewusste Ich stets. inoperablen Signifikantenoperationen das
Signifikat ständig auflösen - das Signifikat gleitet unter dem Signifikanten -
kann sich das Subjekt als Einheit nur imaginieren um den Preis seiner Ver- 95 Lacan, J.. Schr. II, S. 43
96 Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 56
schlossenheit gegenüber dem Wirken der Signifikanten. Dem Zug der Signi- 97 Lacan, L S X, Die Angst, 2. Teil, S. 71
98 Lacan, J.: S XX, Encore, S. 45
99 ,,[...] em ÄqUIvok auf das Wort DimenSion, das Ich Dit"mension schreibe, Mension des Ge-
93 Lacan, J.. S XI, Die vier Grundbegriffe..., S. 208 sagten." (Lacan, L S XXII, R.S.I., S. 18) Der übersetzer merkt zu "MenslOn" an: Ja men-
94 Juranville, A.. Lacan und die Philosophie, S. 93 sion gibt es nicht, aber: lat. mensio, das Messen, (Silben(maß); em ÄqUIvok zu Ja mension
54 55

Signitikanten.als "aus sich selbst heraus und nicht-ewig" hat Lacan en pas- Der folgende Passus aus demselben Buch ist mit Lacan doppelt kompatibili-
sant m Ausemanderset?:ung mit der Trinitätsspekulation des Richard von sierbar: Erstens wegen der Theone des "Aus sich selbst-seins" des Signifi-
Sankt- Vi~tor entwickelt. 100 Dignität des Seins hat bei Richard, was ewig ist kanten bei seinem gleichzeitigen "Nicht-Ewig-Sein", die mutatis mutandis
und llus sich selbst heraus. Was nicht-ewig und nicht aus sich selbst ist, ist Jullien hier am Beispiel chinesischer Denker entfaltet, zum anderen wegen
n~cht Sein,. oder schlicht: ist nicht. Ebensowenig kann etwas zwar eWig, aber des von Allusion zu Allusion Sich fortschreibenden Stils, der Lacan ebenso
mcht aus SICh selbst, noch etwas nicht ewig, aber aus sich selbst sein. Genau eignet wie den daoistischen Denkern. 102 Aber entscheidend ist, wie diese
letzteres aber behauptet Lacan vom Signifikanten und liefert damit einen beiden Momente zusammengehören. Wir verspürten, schreibt Jullien,
~eiteren Theoriebaustein rur eme nicht-substantialistische Lesart seiner Sig-
mfikanten- und Subjektkonstitutiostheorie. Der Signifikant ist aus sich ,,[...] ein gewisses Unbehagen, wie es uns bei der Lektüre chinesi-
scher Texte öfters ergeht, doch scheint es mir hier einen Extrempunkt
selbst, das heißt: er ist nicht das Produzierte eines Subjekts, vielmehr ist das
Subjekt produziert durch ihn. zu erreichen: Man versteht nicht mehr, wovon gesprochen wird, was
der Gegenstand ist- worum ,es sich handelt' (der Beweis: der ,Ge-
Das Aus~Sich-Selbst-Sein des Signifikanten bei seinem gleichzeitigen Nicht- genstand' dieses Textes wurde von den Kommentatoren auf die unter-
Ewig-Sein korrespondiert in verblüffender Weise dem Ansatz daoistischer schiedlichste Weise interpretiert: als der ,Geist' [...] oder der ,Schöp-
Denker. Der Sinologe und Kulturwissenschaftler F. Jullien schreibt: . . fer', das ,Natürliche', das dao ...). Und ich sage: mit guten Gründen:
"Denn Folgendes muss man verstehen: Um zum ,so' Zugang zu er- Nichts ist in der Tat schwieriger, als die Immanenz des ,so' zu erfas-
halten, muss man es in seinem ,von selbst so' wahrnehmen- muss sen. Und zwar eben deshalb, weil man es nicht wie einen Gegenstand
man es in seiner Immanenz erfassen. Auf ihr nämlich beruht die Im- zu ,fassen' bekommt. Wenn sich der Text [gemeint ist hier ein Text
manenz des ,so'. [...] Wie kann man aber die Immanenz selbst erfas- Zhuangzis, J.A.] uns entzieht, dann nicht deshalb, weil er abstrakt o-
sen und sich ihrer Existenz versichern? Man kann zwar beobachten der besonders idealistisch oder sublim und von daher schwer ver-
wie sie Sich unablässig in ihren Effekten entfaltet, in ihrem Prinzip ständlich wäre, auch nicht deswegen, weil er aufgrund seiner Unbe-
aber entZieht sie Sich, und eben deshalb assoziiert man sie mit der stimmtheit vage bliebe, sondern weil sich das, wovon er handelt, nicht
Grund-Iosigkeit des ,Himmels'. Falls es einen solchen wahren Meis- im Modus des worüber behandeln lässt. In Bezug auf Gott wurde dies
ter' g~bt, von dem unablässig die ,Authentizität', bzw. "wahre Natur' immer wieder festgestellt, es gilt jedoch auch im Hinblick auf die
der l)mge hervorgeht, ,so erhält man kein Zeichen von ihm', sagt der ,Immanenz' .,, 103
DaOlst. Man kann zwar durch Erfahrung von seiner Realität über-
zeu~t' ~ein - ,wi: jemand, der ?eht,. sich sei~es Gehens sicher ist - je-
ne ,mharente Fahlgkelt aber ,ISt mcht smnhch wahrnehmbar'. Damit 2.4 Ganzheit, Mangel und die Kastration des anderen
w~r diese immanente Leistung, die wir unentwegt leben (und von der
w~runentwegt leben), deren wir uns aber nicht bewußt sind, auch ,re-
In der analytischen Situation gelangt zur Durchdringung, was ein alltäglich
ahswren', fUhrt uns der daoistische Denker vom äußerlichen Konzert zu beobachtendes Phänomen ist. Die vermeintliche Geschlossenheit des an-
der Natur zu jener Erfahrung zurück, in die wir am direktesten invol- deren erweckt den Neid des Subjekts. Es neidet dem anderen die Ganzheit,
viert und eingebunden sind: die Erfahrung unseres Körpers."101 die es vor sich sieht. Der Neid ist eine Sache des Sehens, wie aus dem Latei-
nischen ersichtlich: Ego cur invldeor = warum sieht man mich scheel an?104
~ekurs auf den Körper zu nehmen meint dann, sich aufjenes Substrat zu be-
Ziehen, von dem aus die "Denkung" sich als ,Jmaginäres des Körpers" er-
weist. 102 Mit dem Allusiven korrespondiert bel Lacan das K01yekturale und das Approximative, wo-
bei die leicht differenten KonnotatIOnen der Begriffe beachtet werden sollten, die Sich aus
größerer bzw. welliger großer Nähe zum Diskurs der Wissenschaft ergeben.
103 Jullien, F.. Der Welse hängt an kemer Idee, S. 137
wäre la mention, ..Erwähnung, Vermerk, (PlÜfungs)nole; mention zeigt zudem emen An- 104 Invidia, der Neid, kommt von videre (sehen) - VgL Der KIeme Stowasser, Lateinisch-
klang an mentlr, lugen, und mensonge, Lüge." (ebd.) Deutsches Schulwörterbuch, S. 280. - Lacan schreibt zur invidia: "So ISt der wahre Neid
100 VgJ.: Lacan, J.: S XX, Encore, S. 45f.
beschaffen. Vor was läßt er das Subjekt erbleichen? Vor dem Bild emer mSlch geschlos-
101 Jullien, F.: Der Welse hängt an kemer Idee, S. 136
senen Erfiillung und davor, daß das kIeme a, das abgetrennte a, an welches es Sich hängt,
56 57

Der andere erscheint dem unter der Kluft zwischen seiner faktischen Disso~ Die Theorie des Spiegelstadium ist nun aber nicht damit befasst, was in einer
ziiertheit und imaginären Vollendetheit leidenden SU1:>jekt als &anz, &e~ primordialen "Erfüllungs-Form" gewesen sein mag und die Unterrichtet- o-
schlossen und vollständig, denn an seinem Bild ist kein Mangel. Sein Bild der Nichtunterrichtetheit des Kindes über "die Gründe seines Enthaltenseins"
stellt die Projektionsfläche für jene antizipierte, imaginäre Einheit und Ge~ in einer solchen Form. Die Spiegelstadiumstheorie beginnt mit der Unkoor-
schlossenheit, die es selbst zu erreichen sucht, aber immer wieder verfehlt. diniertheit des Körpers und einer hieraus resultierenden Hilflosigkeit. Gegen
Es erleidet seine Kontingenz und sein Unglück als nicht hinnehmbare Män- sie setzt sich das infans durch seine Aufrichtung am Spiegelbild zur Wehr.
gel, da der andere, ganz offensichtlich, diese nicht aufweist. Hier sei noch Wegen der in diesem Moment sich bildenden Kluft ist nach Lacan die Ge-
einmal die im Vorwort bereits angeführte Stelle zitiert: spaltenheit des Subjekts konstitutiv und nicht pathologisch. Die Verwirkli-
"Die Beziehung des Subjekts zu jedwedem anderen, wer dies auch chung der Einheit, die im Bild antizipiert zu sein scheint, wird sich von die-
sei, hat etwas Lächerliches an sich. Sehen wir doch das Subjekt [...] sem initialen Moment an in Form des Versuchs einer immer unmöglich blei-
sich auf den anderen immer als auf einen beziehen, der im Gleichge- ben müssenden Identifizierung fortsetzen. Nichts anderes als dies will Lacan
wicht lebt, in jedem Fall glücklicher ist als es, der sich keine Fragen durch die Spiegelstadiumstheorie plausibilisieren. Diese Theorie, die für Slo-
stellt und wohl zu ruhen weiß.,,105 terdijk unberechtigterweise wie ein "überzeitlich gültiges anthropologisches
Dogma" einherkommt, begründet bei Lacan tatsächlich nur die Rolle einer
Der Anblick des (Bildes des) anderen und der des eigenen Spiegelbildes un- Funktion, die er später ,Das Imaginäre' nennen wird. Lacans Theorie ist Kri-
terscheiden sich am Ort des Spiegelstadiums nur dadurch, dass das Subjekt tik des Narzissmus und darüberhinaus, aber damit zusammenhängend, illust-
supponiert, im anderen bereits in Vollendung vor sich zu sehen, was beim riert sie die ,,konfliktreiche Natur der dualen Beziehung"107, Sloterdijk geht
Anblick des eigenen Spiegelbildes nur erst die Einheit verheißt. Das Spie- von einer von diesem klar definierten Schema völlig verschiedenen Voraus-
gelbild. nimmt sie vorweg. Der andere aber ist augenscheinlich bereits in setzung aus: Das Kind befinde sich vor der "spiegeleidetischen Information"
demjenigen Existenzmodus, den eS für sich erstrebt, nämlich dem der Selbst- bereits in einer "Erfüllungs-Form" und habe nicht auf den Spiegel zu warten,
identität, während das von seinem Bild gefesselte Subjekt faktisch unter dem um ganz zu werden. Nun wird durch die Täuschungen des Spiegelstadiums
Mangel an Sein leidet, das heißt permanent der Widerspruch zwischen seiner der Mensch auch gar nicht ganz, sogar im genauen Gegenteil: Das Kind be-
Nicht-Vollendetheit und der im Spiegelbild wahrgenommener Einheit auf- kommt zwar die Unkoordiniertheit des Körpers in den Griff, geht als Subjekt
klafft. jedoch als gespaltenes hervor. Das Problem beginnt hier erst, aber Sloterdijk
scheint zu meinen, Lacan entwickle seine Theorie, um zu zeigen, wie es ge-
An dieser Stelle sei auf ein (allerdings konstruktives) Missverständnis von löst sei im Moment der Aufrichtung vor dem Spiegelbild. 108
Peter Sloterdijk hingewiesen. Im Zusammenhang mit Lacans Spiegelstadi- Aufgrund dieser am Text Lacans völlig vorbeizielenden Rezeption Sloter-
umsthese schreibt er: dijks, der von einer ganz verschiedenen Voraussetzung ausgeht, gerät dann
auch alles Folgende in ein falsches Licht. Lacan überschätze die Rolle des
"Ein Kind, das in einem himeichend guten Kontinuum heranwächst, Spiegels, so Sloterdijk, der bei seinen Ausführungen stets einen gegenständ-
ist über die Gründe seines Enthaltenseins in einer Erfüllungs-Form lichen Spiegel vor Augen hat. So glaubt er, Lacan durch folgende Beobach-
längst aus anderen Quellen ausreichend unterrichtet. Sein Interesse an
tung widerlegen zu können:
Kohärenz ist weit vor der spiegeleidetischen Information mehr oder
weniger befriedigt. ,<106

107 Zit. n.. Evans, D.: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse, S. 278
108 Unter der Voraussetzung von Sioterdijk, die nicht die Lacans ist, lässt sich aber womöglich
für em anderes einen Besitz darstellen kann, an dem dieses Sich befriedigt, die Befriedi- spekulieren, ob Sioterdijk nicht selbst, wenn er diese "Erfiillungs-Form" zugrundeiegt,
Jfun$." (Lacan, J.: Sem XI, Oie vier Grundbegriffe..., S. 123) mcht genau eben jenes ursprünglich vollständige und mit sich selbst identische Ich suppo-
105 Lacan, 1.: S VII, Oie Ethik der Psychoanalyse, S. 285 mert, dessen Hervortreten mit Lacan genau erst das trügerische Ergebnis der "spiegeleide-
lOt; sloterdijk, P.: Sphären, Band I, S. 545 tIschen Information" 1St.
58
59

,,~m übrigen bleibt zu beachten, daß [...] - vor dem 19. Jahrhundert
,,[...] keine zwei gegeneinandergestellten Spiegel nötig sind, damit die
die meIsten Ha~shalte Europas keine Spiegel besaßen, so daß schon
Reflexionen des Palastes der Trugbilder bereits erschaffen sind
unter dem schlIchtesten kuturgeschichtlichen Aspekt das Lacansche [...]"113.
Theorem, ~~s sich wie ein überzeitlich gültiges anthropologisches
Dogma gebardet, gegenstandslos erscheint. ,<109
Das Auge selbst sei nämlich bereits ein Spiegel und dies zu gewahren ist
So wären denn also die den lacanschen Konjekturen über das Wesen des gleichbedeutend mit dem Austritt aus der durch das Spiegelstadium geschaf-
Spiegels so auffallend ähnelnden Betrachtungen der alten Zen-Meister 110 in fenen Verblendungsordnung. Das gleichsam philosophietheoretische Pen-
deren Klöstern und Klausen sich diese kulturgeschichtlich so spät erst in Ge- dant zur ethischen Forderung der Anerkennung der symbolischen Kastration
brauch gekommenen Gegenstände ebenfalls nicht befunden haben dürften ist bei Lacan die Einsicht in die Unmöglichkeit, über die Orientierung am
e~st recht gegenstandslos, aber auchzum Beispiel Van de Weterings auto~ Bild (sowohl dem des anderen wie dem eigenen Spiegelbild) Identität und
bIOgraphIscher Roman "Der leere Spiegel"lll wäre nichts als eine eher idio- Selbstgewissheit zu erzeugen. Jede Welt- und Wirklichkeitserkenntnis, die
synkratIsche Reflexion über ein kulturgeschichtlich sehr begrenztes Phäno- adäquat sein will, muss einer vorausgehenden Täuschung auf dem Leim
men? bleiben, die der Orientierung am Bild geschuldet ist. Lacans Theoreme zum
Es mu~s ja nicht notwendig der gegenständliche Spiegel sein, dessen Auftau- Spiegel visieren letztlich nichts geringeres als die Einsicht in die Ununter-
chen die von Lacan beschriebenen Folgen zeitigt. D. Evans schreibt wie es schiedenheit der Realität als solcher und dem, was in indischer Philosophie
SIch tatsächlich verhält: ' als Schleier der Maya bezeichnet wird. (Und in diesem Sinne wäre die Spie-
:,Au.ch.~enn es keinen Spiegel gibt, sieht der Säugling sein Verhalten gelstadiumstheorie tatsächlich etwas wie ein "überzeitliches anthropologi-
I~ Imltlerend~n Verhalten der Erwachsenen oder in dem anderer sches Dogma".) Aber die Realität ist ,nicht alles'.Wichtig ist, dass durch die
Kinder refle.ktIert. Durch diese Imitation fungiert die andere Person Aufkunft der analytischen Wahrheit die Realität, wie sie konstituiert ist
~ls SpIegelbIld. Der Mensch ist vom Spiegelbild völlig gefangen: dies durch die Verkennungen des Spiegelstadiums, ins Phantasma, dem sie ur-
IS~. dIe Grundlage der Macht des Imaginären im Subjekt und es er- sprünglich angehört, zurückgestoßen wird.
kla:t, wa~m der Mensch das Bild seines Körpers auf alle anderen Lacan und Sloterdijk unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt fun-
Objekte semer Umwelt projiziert." 11 2 damental: Nicht Herstellung bzw. Wiederherstellung der Ganzheit als Rück-
kehr in eine "Blase", worum es Sloterdijk eingestandener- oder uneingestan-
Abe~ selbst der andere Mensch als solcher fungiert auf der Folie des Spiegel- denermaßen stets geht, sondern die Anerkennung der symbolischen Kastrati-
stadI~ms.als Sple.gel. Er bra~cht ~icht das Verhalten des Kindes zu imitieren, on ist das Ziel der lacanschen Analyse. Während es der Ego-Psychologie um
um rur dIeses SpIegel zu sem. DIe Matrix des Spiegelstadiums dient bei La- Ich-Stärkung geht, Sloterdijk um Ganzheit oder eine "Errullungs-Form", so
can ~e~ Versuch der Plausibilisierung eines ,Verblendungszusammen- geht es Lacan um jene. Dementsprechend darf wegen der Unhintergehbarkeit
ha~gs , m ~em d;r Men~~h ,gefangen ist, solange er nicht den Spiegel des dieses Postulats psychoanalytischer Ethik das fiir die Person des Analysanten
Spiegel~tadlUms zerschlagt. Im Zusammenhang seiner Buddhismus-Re"" wirksame Paradigma der Person des Analytikers auch nicht in einer Verkör-
fleXIOn 1m Seminar über die Angst unmittelbar im Anschluss an die eine sei- perung von Ganzheit (womöglich Omnipotenz) bestehen, deren Vorspiege-
ner belden Japan-Reisen, sagt er, dass lung die Verkennung des Spiegelstadiums nur perpetuierte.

Von höchster Bedeutsamkeit ist, dass die Kastration immer zuerst als die des
anderen begriffen werden muss. Die Frage des Subjekts, bzw. die Frage, die
das Subjekt ist, denn es inkarniert sich in seiner Frage, wird vom anderen in
109 Sioterdijk, P.: Sphären, Band I, S. 546
umgekehrter Form zurückgegeben. Antworten in der analytischen Situation
110 Vgl. das Kapitel: "Jenseits des Spiegelbildes" ist das Zurückgeben der Frage in umgekehrter Form. Aber was bedeutet das?
1I1 Wetering, van de,1.. Der leere SpIegel, Hamburg 1981
112 Evans, D.: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse, S. 276
113 Lacan, J.: Semmar X, Die Angst, 2. Teil, S. 71
60 61

Nichts anderes, als dass der Mangel (an Sein) in diesem Zurückgeben aus- Ganzheit ist es Frustration. Lacan sagt, dass das Ich Frustration ist. Sein An-
gewiesen wird als ein Fehlen im anderen, zu Verstehen gegeben zum Bei- spruch ist stets überdeterminiert, da es sich ständig in der Kluft zwischen re-
spiel auch durch das Schweigen des Analytikers. Groß A, die ~om Analysa~­ alem Seinsverfehlen, realem Mangel und imaginärer Geschlossenheit und
ten präsupponierte Instanz des Wissens, antwortet nicht, bleIbt stumm. DIe Ganzheit befindet, die es zu erreichen trachtet, indym es sich mit seinem An-
Anerkennung der symbolischen Kastration ist also zuerst die Anerkennung spruch auf Anerkennung der Verkennung an den anderen wendet.
der Kastration des anderen.
Für den Prozess der Analyse bedeutet das: Wie der Analytiker sich nicht als
2.5 Das Begehren
Repräsentant eines All-Wissens über etwaige "Erfüllungs-Formen" gerieren
darf, so darf er sich auch nicht als vollständig und geschlossen darbieten, um "Was tun? "fragt nur, dessen Begehren er-
dem Analysanten seine Ganz- und Geschlossenheit als Paradigma für seine lischt (Lacan)
Person anzubieten, als einen Spiegel also, in dem das Subjekt sich nur ver-
kennen kann. Aber wenn der Analytiker etwas wie ,Mir geht es auch nicht Lacan lehrt,
besser' zu verstehen gibt, um den Analysanten zu versöhnen mit seinem
,,[...] daß, wenn das Begehren die Meton)'lllie des Seinsverfehlens ist,
Schicksal, letztlich also seine Ratlosigkeit einbekennt, ist das nach Lacan e- das Ich die Metonymie des Begehrens ist"] 14,
benfalls ein fataler Irrweg. Der Analytiker muss vielmehr den Plat~ des To-
ten einnehmen, des Groß A, das nich~ existiert. Es ist wichtig, das Begehren vom Bedürfnis zu unterscheiden und damit zu-
Das durch die Anerkennung der symbolischen Kastration formierte Begeh- sammenhängend: die Objekt-Ursache des Begehrens, die Lacan das Objekt
ren setzt das Bewusstsein der Kontingenz, der Ohnmacht, des Mangels vor- klein a nennt, von den Objekten, die unsere Bedürfnisse befriedigen. Das
aus - jenes Mangels, mit dem sich das Analyse-Subjekt nicht ins Verhältnis Begehren, als "Metonymie des Seinsverfehlens", ist nicht Beziehung zu ei-
zu setzen wagt. Es kann den Mangel nicht hinnehmen, da es die als konstitu- nem Objekt, sondern Beziehung zu einem Mangel. Das für das lacansche
tiv anzusehende Kastration des anderen anzuerkennen (zu sehen) nicht in der Begehren relevante Objekt ist überhaupt nur da wegen des fundamentalen
Lage ist. Es sieht nicht, dass Groß A nicht existiert und identifiziert den Ana- Mangels an Sein, der für das Subjekt konstitutiv ist. Das mit dem Seinsver-
lytiker mit der Instanz emes Wissens, das es als verbürgt durch eben Jenes fehlen korrespondierende Objekt ist nicht das Objekt eines biologischen Be-
Groß A unterstellt. Es präsupponiert dem Analytiker also Wissen. Dabei dürfnisses.
kann in der Analyse dem Subjekt zu Wissen erst werden, was es selbst in sie Grundlegend ist der Mangel an Sein, der ein Mangel im Symbolischen ist. Es
einbringt. Indem es aber dem Analytiker-Anderen schon im Voraus Wissen fehlt an einem Signifikanten, der das Subjekt hinreichend bezeichnet. Das
unterstellt, rechnet es auch mit dessen Ganz- und Geschlossenheit, die für Begehren bildet die Metonymie dieses Mangels, insofern es am Ort des feh-
ihn das Paradigma für das eigene Erreichen-Können abgeben. Diese Mög- lenden Zeichens, das das Subjekt als Ganzes und als ein Sein symbolisch be-
lichkeit ist umso verführerischer, da am Bild des anderen eben kein Mangel stimmt, einrückt und damit diesen Mangel aufhebt. Erst die scheiternde
ist. Es supponiert dem Analytiker-Anderen die imaginierte Allmacht und Verwirklichung des Begehrens, wobei Verwirklichung nicht EifUllung be-
Vollständigkeit, die es selbst, wie auch immer prothetisch, zu erlangen er- deutet, sondern das Hervorbringen von Begehren selbst, ruft das Ich auf den
strebt. Deshalb eben ist die Anerkennung der symbolischen Kastration stets Plan. Insofern ist das Ich die Metonymie des Begehrens.
zuerst die Anerkennung der Kastration des anderen.
Die Frustration (Ver-sagung) gehört zur Ordnung des Imaginären, die Pnva- Lacan insistiert, dass das Begehren ursprünglich leer ist und sich auf nichts
tion (Ent-sagung) zu der des Symbolischen. Die Ent-sagung ist die Rückkehr richtet, weder auf ein Objekt, noch auf das Ich als sein Objekt. Es hat kein
(oder Umkehr) zum umgangenen Mangel im anderen. Diese Rückkehr ist Objekt und schon gar kein natürliches. Lacan ,glaubt' auch weder an den Af-
gleichbedeutend mit der Anerkennung der symbolischen Kastration. Das Ich
dagegen ist auf Verleugnung des Mangels im anderen gegründet, nämlich
auf dem Bild des anderen, an dem kein Mangel ist. Wegen der SIch hieraus
ergebenden Differenz zwischen faktischer Dissoziiertheit und nur imaginärer 114 Laean, J.. Sehr. 1, S. 233
62 63

fekt als biologische .Tatsache, dem analytischerweise Rechnung zu tragen Die "absurde Hymne an die Harmonie des Genitals" ist mitverantwortlich
wäre, noch an jenen Mythos, den Freud beschwor... für die "banalsten Beschränkungen und Erniedrigungen des Liebeslebens" I 19.
,,[...] fortschreitend in einem Gewebe von Zweideutigkeiten, Meta- Es sei nicht das Ziel der Psychoanalyse, den "sexuellen Appetit bei Drüsen-
phern, Metonymie~, ei~e. Substanz j--.], einen fluidischen Mythos, gestörten anzuregen"120, um dergestalt Betroffenen die Bedingung der Mög-
den er unter dem TItel Libido faßt"1I lichkeit jener Vereinigung zu liefern, die schließlich das Ein herstellte als
den Zustand des Endes aller Plagen. Wie die Warnungen Lacans vor einem
Das ursprünglich leere, objektlose Begehren erstrebt, indem es Metonymie Fehlgehen der Analyse bis heute ungehört verhallen, lässt sich zum Beispiel
des Seinsverfehlens wird, die Vereinigung mit dem Objekt, um so dem Man- daran erkennen, dass, sobald eine ,neueste Forschung' erweist, dass rur 90%
gel zu entkommen. Doch auch Eros in der Vereinigung mit dem Objekt, der Fälle von phallischer Insuffizienz nicht psychische, sondern physische
schafft kein Ein. Ursachen maßgeblich sind, die Psychoanalytiker selbst zu zweifeln begin-
nen, ob sie nicht in 90% aller Fälle etwa falsch angesetzt hätten.
"Bleibt, daß Freud hier auch scheitert: denn er schreibt Eros, insofern
Aber die fehlgeleitete Psychoanalyse greift nicht nur auf, was in den am Ide-
er ihn als ,Prinzip des Lebens' Thanatos entgegensetzt, zu, daß er
vereine, als hätte man je gesehen, daß, abgesehen von einer kurzen al der "Harmonie des Genitals" orientierten Therapien als das non plus ultra
Koiteration, zwei Körper sich zu einem vereinigen.,,116 einer glücklichen (Objekt)Beziehung gehandelt wird, sie schreitet auch noch
eigenständig in die falsche Richtung fort, so dass es schließlich zu grotesken
Hier wird Lacans von Freud abweichender Ansatz kenntlich uncFwelcher Fehlgriffen wie dem folgenden kommt:
Art das neue Bündnis ist, das er mit der freudschen Lehre eingegangen ist. "Das Schlimmste ist, daß in natürlichster Zärtlichkeit sich ergehende
Lacan verweigert jedem Biologismus - Fryud verhielt sich hier eher ambiva- Seelen schließlich so weit kommen, daß sie sich fragen, ob sie wohl
lent - in allen seinen Spielarten die Gefolgschaft. der aberwitzigen Norm der Genitalbeziehung zu genügen vermögen -
Die Psychoanalyse verhilft dem Subjekt niemals zu einer Vereinigung mit abermals eine Bürde, die wir wie jene vom Evangelium Verfluchten
dem Objekt, vielmehr bringt sie die Sublimierung auf den Weg: den Unschuldigen auf den Rücken laden.,,121
"Eine einzige Sache spielt auf eine glückliche Möglichkeit von Trieb-
befriedigung an und das ist der Begriff der Sublimierung."117 Ein weiterer Fokus des Missverständnisses liegt dann dort vor, wo die sexu-
elle Zweierbeziehung zum Paradigma der analytischen Situation gemacht
Die Sublimierung ist die einzige Form von Triebbefriedigung ohne Verdrän- wird, wie im Fall Balint, den Lacan im Seminar zu Freuds technischen
Schriften behandelt. 122
gung. Dem Begehren fällt dabei die Rolle zu, die durch das Lustprinzip ge-
setzte Grenze zu überschreiten, es ist gerade kein Instrument zur Verwirkli- Die zuletzt zitierten Stellen stammen aus den 60er Jahren, aber Lacan kommt
chung des Ein. Lacan wird nicht müde, die Objektbeziehung missverstehen- auch in späterer Zeit immer wieder auf dergleichen Fehleinschätzungen zu
de Tendenzen der analytischen Praxis und zusammen mit diesen die Ziele
dermediokeren Therapieformen mit ihrer Orientierung am Ideal des "perfek- vom "perfekten Orgasmus" Ist auf dem Hintergrund des Einflusses, den die 68er, die Hip-
ten Orgasmus" zu verhöhnen: pie-Kultur und die PropagIerung der "sexuellen RevolutIOn" auf seine Schüler hatte, zu le-
sen. Er sagte: "Im tibetanischen Buddhismus, im tantrischen Buddhismus sowie Im traditi-
"Ist es an uns, Eros, den Schwarzen Gott, umzufrisieren zum Locken- onellen HindUismus nennt man das Symbol der fundamentalen kosmischen Kraft Shaktl.
schafdes Guten Hirten?" 118 Shakti, manchmal die Göttm Maya genannt, kann Viele Bedeutungen haben. Im tantnschen
Buddhismus bedeutet es zum Beispiel das weibliche Sexualorgan. Wenn also das männli-
che Sexualorgan m das weibliche emdnngt, geht das starke männliche Ego in den Kosmos
em, harmomslert Sich mit dem Kosmos. Und wenn der gemeinsame Orgasmus kommt, ha-
115 Lacan, J.. Rff, S. 66
ben wir Saton...Das kann Ich nicht glauben." (Deshimaru, T.. Die Stimme des Tales, S. 58)
116 Ebd., S. 78
119 Lacan, J.. Schr. I, S. 196
117 Lacan, 1.: S VII, Die Ethik der Psychoanaiyse, S. 349 120 Ebd.
118 Lacan, J.. Schr. I, S. 196 - Zum Vergleich: Folgende Einlassung von Zen-Meister TaIsen 121 Ebd.
Deshimaru zum tantnschen Buddhismus mit seiner östlichen Vanante dieser IdeOlogie 122 Lacan, J.. S I, Freuds techmsche Schriften, S. 257ff.
64 65

sprechen. In folgendem Zitat aus dem R.S.I.-Seminar liegt der Akzent auf hängt und das nicht zu verraten Lacan in der Form eines kategorischen Impe-
der Genasflihrtheit der Subjekte, die das "Drängen des Buchstaben im Un- rativs der Psychoanalyse postuliert, verlangt nicht nach seiner Erfüllung,
bewussten" als Aufforderung verstehen, einem Drang auf der Ebene des sondern nach seiner Reproduktion, der Hervorbringung von neuem Begeh-
Körpers nachgeben zu sollen mit dem Ziel der (Wieder)Ver-ein-igung zweier ren. 128 Das Genießen (die Befriedigung) ist zu zügeln, um dem Begehren
Menschen: Bahnen zu schaffen. Das Gesetz der Kastration besagt, dass das Genießen
,,Allein die Signiftkanten kopulieren miteinander im Unbewußten, zugunsten der Prolongierung des Begehrens verweigert werden muss. Denn
aber die pathematischen Subjekte, die daraus in Gestalt von Körpern nur das Begehren vermag die durch das Lustprinzip gesetzten Grenzen zu
resultieren, sind gehalten, es ebenso zu machen. - bumsen (baiser; überschreiten.
auch: küssen) nennen sie das.,,123 Wenn in der zeitgenössischen Apologie "dieses Leiber-Gereibe(s) ifrotti-
jrotta)"129 dem Ideal des "perfekten Orgasmus" als Gewährleister des Ein
Der Glaube an den Geschlechtsverkehr als Tor zum Sein, dem sich schließ- das Wort geredet wird, so sei in Wahrheit die Befriedigung des Geschlechts-
lich auch die Analytiker anschlossen, fand mit der sogenannten sexuellen triebs weit eher das "Zeichen fiir die extremste Not,,130 und beende ja in
Revolution, in deren Zeit ja auch Lacans Seminare aus den sechziger und Wirklichkeit den Genuss. Tatsächlich sorge der Mensch rur seine Fortpflan-
siebziger Jahren ftelen, die Verbreitung, die er bei einigen avantgardistischen zung, insofern er "seinen Genuß vermasselt"131 .
Schriftstellern schon früher genoss, zum Beispiel bei Henry Miller, der den
sexuellen Akt anpreist als Um das Begehren in der Struktur zu bestimmen, kontextualisiert Lacan es im
,,[...] animalischen Vorgang, der mit instinkthafter Zielsicherheit ab- Aufsatz "Die Bedeutung des Phallus,,132 mit den Posten "Appetit auf Befrie-
läuft. Man ftndet zueinander, ohne ein Wort gesprochen zu haben.,,124 digung" und "Anspruch auf Liebe". Da das (biologische) Bedüifnis sich in
der Sprache äußern muss, wird es kontamimert vom Anspruch. Der An-
H.D. Lawrence aber bereits pries das Landleben und mit ihm die natürliche spruch zielt aber immer auf Liebe und Anerkennung. So sieht Lacan, Feind
Sexualität, deren Ausübung sämtliche Zivilisationsschäden wettmachen wür- alles Romantischen, einen "Gipfel der Komik" erreicht, wenn der "Appetit
de. auf Befriedigung" im Liebesanspruch gewissermaßen ertrunken ist. Denn
Lacan widersprach von diesen Vorbereitern und Vorläufern explizit Georges "Der Anspruch an sich zielt auf etwas anderes als auf die Befriedi-
Battaille. Die "Auflösung der Ordnung" ruhre keineswegs zu einer "Auffahrt gungen, nach denen er ruft. Er ist Anspruch auf eine Gegenwart oder
des Seins,,125. Der Exzess, ob der sexuelle oder der Drogenrausch, bestätige auf eine Abwesenheit." 133
vielmehr die den Menschen entfremdenden Ordnungsrnächte. Der Exzess ist
ein Produkt der Ordnung, wie das Ich die Metonymie eines fehlgehenden Tatsächlich rebelliere im Liebesbeweis sogar etwas gegen die Bedürfnisbe-
Begehrens. Die Entfremdung aufzuheben vermag viel eher schon das friedigung. Wenn dem Anspruch auf Anerkennung stattgegeben ist, erlischt
Kunstwerk; das in seiner Wirkung, wenigstens vorübergehend, tatsächlich der Appetit auf Befriedigung. Eine phallische Insufftzienz in diesem Mo-
die "Vertäuungen des Seins,,126 löse.

Gegenüber dem neuzeitlichen Mythos eines erfUllten Sexuallebens setzt La- 128 Lacans psychoanalytIscher, gleichsam kategonscher hnperatIv Ist eben so zu lesen, dass es
can die Weisheit des Tao: "Man muß seinen Saft zurückhalten, um wohl zu mcht um die Erfullung, sondern die Hervorbnngung und Reproduktion des Begehrens
sein.,,127 Das Begehren, an dessen Verwirklichung das Wohlsein des Subjekts geht. Dieser ImperatIv, der den "Wert emes Jüngsten Genchtes" habe, lautet: "Habt ihr
konfonn mit eurem Begehren gehandelt, das euch innewohnt?!" (Lacan, 1.. S Vl1, Die E-
thik der Psychoanalyse, S. 374)
129 Lacan, Jaques: S XXl1, R.S.\., S. 51
123 Lacan, Jaques: S XXl1, R.S.\., S. 48 130 "Einen anderen Körper, den können wir noch so sehr umschlingen, das ist nur das Zeichen
124 Zit. n.; Wellershoff, D.: Der verstörte Eros, S. 238 für die extremste Not." (Lacan,1.; S XXl1, R.S.\., S. 14)
125 Vgi.. Lacan, J.. S Vl1, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 243 131 Lacan, J.. S XX, Encore, S. 130
126 Lacan, J.: Schr. 11, S. 53 132 Lacan, 1.; Schr. 11, S. 119ff.
127 Lacan,1.; S XX, Encore, S. 124 133 Ebd., S. 127
66 67

ment ist dann jener "Gipfel an Komik", Das Begehren wird in "Die Bedeu- 2.6 Lacans Ödipus auf Kolonos
tung des Phallus" schließlich folgendermaßen bestimmt:
"Das Ausweglose (impasse) der Sexualität sondert die Fiktionen ab,
"Daher ist das Begehren weder Appetit auf Befriedigung, noch An- die das Unmögliche, das seine Ursache ist, rationalisieren. ,.137
spruch auf Liebe, sondern vielmehr die Differenz, die entsteht aus der
Subtraktion des ersten vom zweiten, ja das Phänomen ihrer Spaltung Auch die Theorie des Ödipuskomplexes selbst ist nichts als ein solcher Rati-
selbst." 134
onalisierungsversuch, der Versuch der Rationalisierung des Ausweglosen
des Sexuellen. Rationalisierung heißt hier: Übersetzung der Unmöglichkeit
Evans s~hrei~t zur Erklärung dieser mit einigen der Grundworte der Psycho- von Geschlechtsverhältnis - "es gibt kein Geschlechtsverhältnis", sagt La-
analyse Jongherenden lacanschen Konjekturen: can - in eine narrative Struktur. Lacan spricht von der Fiktionsstruktur, die
"W. enn also die im Anspruch geäußerten Bedürfnisse befriedigt sind, der Wahrheit stets eignet. Anders gesagt: die Wahrheit ist auf den Schein an-
bleIbt der andere Aspekt des Anspruchs, die Sehnsucht nach Liebe gewiesen, damit sie erscheinen kann.
unbefriedigt, und dieser Rest ist das Begehren.,,135 ' Aber sehen wir, wie Lacans Konzeptualisierung des Ödipuskomplexes funk-
tioniert. Seine Deutung weicht in wesentlichen Punkten von der ab, die
Von folgendem Evans-Zitat ausgehend lässt sich hervorragend auf Lacans Freud gibt und dies nicht nur deshalb, weil er einen Zeitindex, der den Sa-
TheoremlMathem VOn der Verewigung, bzw. Ewigkeit des Begehrens schlie- chen des Begehrens eingeschrieben ist, nicht unbeachtet lässt.
ßen, das auch in unserem Plausibilisierungsversuch bereits anklang: Die "Eroberung der symbolischen Beziehung als solcher,,138 hängt an der
Nicht-Identifizierung. Die symbolische Identifizierung bei Lacan ist nichts
"Anders als das Bedürfnis, das befriedigt werden kann und das dann
aufhört, fiir das Subjekt Motiv zu sein (bis ein neues' Bedürfnis er- anderes als die Nicht-Identifizierung. Wenn heutzutage der fortschreitende
wacht), kann das Begehren nie befriedigt werden. Es übt einen kon- Verlust des Symbolischen und umgekehrt proportional dazu der Prozess ei-
stanten u;nd i~erwährenden Druck aus. Die Verwirklichung des Be- ner Infantilisierung bei gleichzeitig zunehmender Gewaltbereitschaft der Ge-
gehrens 1st nIcht dessen ,Erfüllung', sondern das Hervorbringen von sellschaft beklagt wird, weil nicht zu verkennen ist, dass inmitten unserer auf
Begehren selbst. [...] Das Begehren ist immer ,das Begehren nach et- Technik setzenden Welt ein universaler Narzissmus waltet und das Imaginä-
was anderem', da man unmöglich etwas begehren kann, was man re herrscht, so lässt sich dies anhand der Theorien Lacans sehr gut erklären.
schon ha~. D~s Obje~t des Begehrens wird immer weiter hinausge- Die Love-Parade beispielsweise besteht genaugenommen aus einander im
schoben, m dIesem Smne ist das Begehren eine Metonymie. ,,136 Grunde feindlich gesonnenen Narzissen. Es ist leicht vorauszusehen, wie der
Liebesexzess in einen der Gewalt umschlagen würde, sobald bei einer sol-
Da~ Triebziel muss die "Prolongierung des Begehrens" sem (nicht die Ver- chen Veranstaltung Panik ausbräche. Schon Freud hatte auf diese Möglich-
eimgung mit dem Objekt), die, da der Genuss doch immer wieder vermas- keit eines Umschlags der narZisstischen Libido in aggressive in "Massenpsy-
selt" wird,' immer wieder neu erfolgen müssende Evokation eines ':,langan- chologie und Ich-Analyse" hingedeutet. Er dachte aber hierbei an Massen,
dauernden Begehrens", Der Verzicht auf Genießen, auf Befriedigung, erfolgt wie sie durch einen Führer heraufbeschworen werden. Love-Parade dagegen
zugunste~,des "langandauernden Begehrens". Von diesem "langandauernden heißt der Exzess führerloser Narzisse unter der Ägide eines "Genieße!"
Begehren wIrd weIter unten m dem Kapitel "Wie japanische Nonnen be- kommandierenden (imaginären) Groß A.
getu:en", noch di~ Rede sein., Lacan gebraucht diesen Ausdruck im ,Angst-
semmar . nach semer Japanrelse 1m Zusammenhang mit dem Besuch eines Lacan also nähert Narzissmustheorie und Theorie des Ödipuskomplex ein-
buddhistischen Klosters. ander an. Die Verwerfung des Namens des Vaters, das Verschwinden von
paternaler Autorität und die Infragestellung jedweden Gesetzes und Vertra-

134 Ebd.
135 Evans, D.: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse, S. 55 137 Lacan, J.: RfT, S. 83
136 Ebd., S. 55, 58 138 Zit. n.. Evans, D.: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse, S. 207
68 69

ges, damit einhergehend die "Anarchie der Formen,,139, sind der Identifikati- Das Begehren des mütterlichen Körpers (hier zu lesen als Genitivus objekti-
on des Subjekts mit dem imaginären Phallus der Mutter geschuldet. vus) ist bei Lacan stets zweitrangig gegenüber dem, qua IdentifIkation mit
Für die Genese desjenigen Begehrens auf Seiten des Kindes, das Lacan ein dem imaginären mütterlichen Phallus zum Sein (als zum Ein) zu kommen.
unmögliches nennt, ergibt sich durch eine Verschiebung des Akzentes von Der Streit um den Körper der Mutter als eines Objekts des Begehrens er-
der begehrten auf die begehrende Mutter, was Lacan im Seminar V folgen- scheint unter diesen Gesichtspunkten als einer, der das Begehren, der Phallus
dermaßen beschreibt: der Mutter zu sein, nur verschleiert. Das ursprüngliche Objekt ist nicht der
"Was das Kind sucht, ist [...] ,to be or not to be' das Objekt des Be- mütterliche Körper, sondern das Begehren des Begehrens der Mutter. Lacans
gehrens der Mutter, [...] Gewissermaßen im Spiegel identifiziert sich Ödipus geht es in erster Linie darum zu sein und nicht zu haben.
das Subjekt mit dem, was das Objekt des Begehrens der Mutter Die Beendigung dieses Kampfes als der Untergang des Ödipuskomplexes
ist.,o1 40 kann dann erfolgen, wenn anstelle des Signifikanten des Begehrens der Mut-
ter der SignifIkant des Namens des Vaters auftaucht. Aber der nom du pere
Seine stasis erreicht das Kind durch die Identifikation mit dem unmöglichen (der Name des Vaters) ist le non du pere (das "Nein" des Vaters). Der Name
obj ekt, .dem Phallus der Mutter. Durch die Intervention, der Analyse tritt an des Vaters, der phallische SignifIkant, ist der Signifikant des Mangels des
die Stelle der Identifikation mit diesem imaginären Objekt eine reale Privati- anderen. Er gründet auf der Nicht-IdentifIkation mit dem Objekt des Begeh-
on: die mit einer radikalen Hilflosigkeit einhergehende Einsicht in die Un- rens der Mutter. Die symbolische IdentifIkation ist demnach und insofern die
möglichkeit, dieser Phallus sein zu können. Gerhard Schmitz schreibt hierzu: Nicht-IdentifIkation.
Das Nicht-Gelingen der Bildung der Vatermetapher ist vorbereitet durch ein
"Dem imaginären Phallus der Mutter, Sitz des Genießens, [...] korres-
pondiert im Realen die Privation. Für das Kind, das bis dahin Subjekt Verfehlen der symbolischen Ebene auf Seiten der Eltern: einer Leugnung der
war als Subjekt-des-Genießens-der-Mutter [...] bedeutet die Wahr- Kastration und damit verbunden eines (hysterischen) Willens zum Nicht-
nehmung der Abwesenheit, des Fehlens des imaginären Phallus [...], Wissen bei der Mutter und einer narzisstischen Entartung der Vaterfunktion
den Entzug seiner subjektiven Basis."I4I beim Vater, der selbst seine Position qua Identifikation mit dem Begehren
des Begehrens der Mutter (der Frau) behauptet. Das Verfehlen der symboli-
Bei Lacan ist stets der Unterschied zwischen ,den Phallus haben' und ,der schen IdentifIkation korrespondiert mit einem Verfehlen der Wahrheit des
Phallus sein' zu beachten. Es ist möglich, sagt er, den Phallus zu haben oder Sprechens, was nichts zu tun hat mit ,die Wahrheit sagen' oder ,lügen'. Im
ihn nicht zu haben, es ist aber unmöglich, er zu sein. Das Begehren des Kin- Verfehlen der Wahrheit des Sprechens ist immer auch ein Verrat an der
des, der Phallus der Mutter zu sein, ist ein unmögliches, ebenso wie das der Wahrheit des Begehrens mit im Spiel, versichert uns Lacan und dieser Verrat
Mutter, im Kind den Phallus zu haben. Die Kastration, die es symbolisch an- ist die "Mißachtung seiner selbst und des anderen in einem einzigen
zuerkennen gilt, um diese Unmöglichkeiten aufzulösen, erweist sich hier Term"143 , In der Folge des Misslingens der symbolischen Identifikationen in
einmal mehr als zuerst immer die des/der anderen. Lacan zufolge defmiert den häuslichen Verhältnissen kann das Kind gewisse Symbolisierungen nicht
sie sich fundamental über die Trennung zwischen Mutter und Kind. Sie ist leisten. Es ist für es sehr schwer, einen Platz im symbolischen Netzwerk ein-
der Schnitt, der die imaginäre und narzisstische Bindung zwischen Mutter zunehmen. Es kann sich also nicht subjektivieren, nicht Subjekt werden.
und Kind durchtrennt und auflöst. Die psychoanalytische Praxis betreibe
"Entmutterung", sagt Lacan. I42 Hierzu dienlich sein kann einzig, sich zu trennen. Lacan gibt an dieser Stelle,
wo es um das geht, was in der Geschichte der Kultur immer die zweite Ge-
burt oder die Geburt im Geiste geheißen hat, bei Lacan also das Sich-selbst-
139 Lacan, 1.. S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 279 Hervorbringen durch die symbolische Identifizierung, etymologische Hin-
140 Lacan, J.. Semmar V, Les Formations de l'inconsclent (Sitzung vom 22. 1. 1958), Zlt. n. weise. Sich trennen ist im Lateinischen separere. Sich zu trennen ist nötig,
Borch-Jacobsen, M.. Lacan, Der absolute Herr und Meister, S. 246 um sich hervorzubringen: se parere. Sich zu trennen, um sich hervorzubrin-
141 SchmItz, G.. Zwischen Gemessen (SIC!) und Begehren, Anmerkungen zur Angst, m: Riss,
Zeitschrift fUr Psychoanalyse. Freud.Lacan., Nr. 42, S. 76
142 Vgi.. Lacan, J.: S XI, Die vier Grundbegriffe..., S. 300 143 Ebd.; S. 383
70 71

gen, ist unumgänglich, um pars zu werden. Diese Pars-Werdung leistet "Das letzte Wort des Ödipus, Sie wissen es, ist dieses ll~ <puvat [...].
nichts Geringeres, als dem Menschen eine aktive Teilnahme am Leben in der Das ll~ <pUVal meint - lieber nicht (zu) sein. Mit dieser Präferenz
Gemeinschaft zu ermöglichen. Um pars zu werden, schreibt Lacan, muss das muß eine menschliche Existenz enden, [...] I Triumph des Seins zum
Sprech-Wesen sich trennen, Verzicht leisten auf das imaginäre Genießen, Tode, wie es in dem ll~ <puvat des Ödipus formuliert ist, wo gestützt
darauf verzichten, sich mit dem Begehren der Mutter zu identifizieren. 144 durch den Signifikanten, dieses ll~ auftritt, die Negation, die mit dem
Durch besagte Verfehlung der Wahrheit des Sprechens seitens der Eltern a- Eintritt des Subjekts identisch ist." 147
ber kann es genau zu dieser Pars-Werdung nur sehr schwer kommen. Der
Mensch gelangt nicht zu der Unabhängigkeit, zu der er als Mensch gelangen Lacans Ödipus ist, wie Borch-Jacobsen schreibt, der
könnte. Er erfährt letztlich nicht, wer und was er ist und ebensowenig, "anti-mimetische Ödipus, das identifIkatorische Gegenvorbild, dem
wer/was die anderen sind. Nur durch die zur Pars-Werdung führende Tren- zu entsprechen der Analytiker dem Analysanten durch sein Schwei-
nung, durch die der Mensch hindurchgehen muss, kann es - inmitten einer gen gebietet: ,Identifiziere dich mit meinem Begehren', ,Sei (nicht)
Welt, in der Diskurs wie Begehren stets die des anderen sind - sich selbst er- wie ich', ,Ahme das Unnachahmliche nach' :.148
fahren als getrenntes, unabhängiges Sein, das aber dennoch und zwar radikal
mit den anderen verbunden ist. Für besagte Integration (pars zu werden) ist Dem Drama der Identifizierung folgt das der Entidentifizierung. In der Tra-
eine radikale Desidentifikation (mit dem Begehren der Mutter) vonnöten. gödie, so Lacan, bezeichnet der Bereich der ä't'll die Zeit der Blindheit des
Die Anerkennung der symbolischen Kastration meint, die Möglichkeit, der Ödipus bis ZU seinem physischen Tod. Das Streben nach dem Ein, dem
Phallus sein zu wollen, auszuschlagen, ein stetes Negieren dieser Position. Glück und das nach einem höchsten Gut (dem Sein) sind endgültig preisge-
GleichZeitig ermöglicht diese Anerkennung das Habenkännen des Phallus. geben in dem von ihm vorweg erlittenen symbolischen Tod. Die Anerken-
Die symbolische Identifizierung mit dem Phallus ist nicht die imaginäre. Sie nung der symbolischen Kastration bildet also die Schwelle zwischen Identi-
ist eine qua Nicht-Identifizierung. fizierung und Nicht-Identifizierung. In der Analyse markiert sie den Über-
gang von der endlichen zur unendlichen Analyse, denn die endliche endet
"Das ,Gesetz"', schreibt Borch-Jacobsen "ist [...] ein ontologisches
(bzw. ,me-ontologisches', denn es geht hier um eine negative Ontolo- mit dem Austritt aus dem Stellrahmen des Spiegelstadiums und der Auflö-
gie): es verbietet nicht, ein Lust- oder Genußobjekt zu haben, es ver- sung der innerhalb seiner generierten Identifizierungen. Nur durch diese An-
bietet, es zu sein. Kurz, es verbietet die Identifizierung in all ihren erkennung kann das Subjekt, das Unter-worfene - gleichsam als Nicht-Ich-
Formen, indem es dem Subjekt vorschreibt, mit nichts konform zu schließlich wirklich Subjekt werden. Es kann pars werden und eintreten in
sein."145 die die Gemeinschaft strukturierende symbolische Ordnung:

146 "Was das Subjekt in der Analyse erobert, ist nicht nur dieser Zugang,
Das Wort ll~ <puvat des Ödipus markiert für Lacan die Geburtsstunde des der, wenn einmal wiederholt, immer offen ist, es ist, in der Übertra-
Subjekts im Symbolischen. Lacans Ödipus ist nicht so sehr der Oedipus Rex, gung, ein anderes, das allem Lebendigen seine Gestalt gibt - es ist
der Rivale des Vaters im Streit um das mütterliche Objekt, sondern der Ödi- sein eigenes Gesetz, dessen Stimmzettel das Subjekt, wenn ich so sa-
pus des letzten Dramas von Sophokles. Ödipus beraubt sich darin des Au- gen kann, auszählt. Dieses Gesetz bedeutet zuerst stets die Annahme
genlichts, das heißt: verunmöglicht die Spiegelerkenntnis, gibt es auf, durch von etwas, das sich vor diesem in den vorausgehenden Generationen
die Identifikation mit dem imaginären Phallus der Mutter zum Sein kommen zu artikulieren begonnen hat und das, eigentlich gesprochen, die ä't'll
zu wollen. Das macht aus dem Oedipus Rex den Ödipus, wie er sein soll: ist. Diese ä't'll, die nicht immer an das Tragische der ä't'll der Antigo-
ne heranreicht, ist darum nicht weniger mit dem Unglück ver-
wandt.,d49

144 Vgl. zur Pars-Werdung, zum separere und se parere: Lacan, 1.. Schr. II, S. 222
145 Borch-Jacobsen, M.: Lacan, Der absolute Herr und Meister, S. 250 147 Lacan,1.. S VII, Die Ethik der PsyChOanalyse, S. 364/374
146 "Nicht geboren zu sem, das geht über alles", Oidipos auf Kolonos, Vers 1224, übersetzung 148 Borch-Jacobsen, M.: Lacan, Der absolute Herr und Meister, S. 251
von W. Willige/K. Bayer, Tusculum-Ausgabe, S. 719 149 Lacan,1.. S VII, Die Ethik der PsychOanaiyse. S. 358
72 73

Die Psychoanalyse ist so die Einübung in ein Begehren, das nicht unmöglich der Analysanten, weder Beichtvater, noch Ratgeber -, weshalb auch die In-
ist, aber nur sein kann durch eine Entidentifizierung, eine Losreißung von stitutionalisierung seiner Praxis eine so heikle Angelegenheit ist.
sich. Sich über jedes Objekt hinaus zu begehren, heißt sich nicht zu identifi- "Der Sinn des Sinns in meiner Praxis begreift sich daraus, daß er
zieren. Die Bedingung, die ermöglicht, vom Genießen zum Begehren fortzu- flieht, rinnt: gleichsam aus einem Faß undnicht,indem er Reißaus
schreiten, ist dieses Betreten der Ötll, jenes Ortes, nimmt. Dadurch, daß er rinnt (im Sinne: Faß), gewinnt ein Diskurs
,,[...] von wo der Schrei aufsteigt, daß ,das Universum einen Fehler seinen Sinn will sagen dadurch, daß seine Wirkungen unmöglich zu
, 153
(/einzigen Makel) in der Reinheit des Nicht-Seins darstellt",150 berechnen sind."

Die Gespaltenheit des parletres 154 in das am Bewusstsein orientierte, vom


Das Ich, eine Störung der Ruhe des Universums, das Universum eine Stö- Autonomiedünkel beherrschte Ich und ein abgespaltenes Subjekt des Unbe-
rung der Ruhe des Nicht-Seins...Die Privation ist fUr den Analysanten und wussten, das Subjekt des Signifikanten, plausibilisiert Lacan anhand eines
"präsupponierten Analytiker", wie Lacan dies am Beispiel des tragischen grammatikalischen Phänomens, indem er die zwei Begriffe, mit denen sich
Heros exemplifiziert, die Bedingung schlechthin zur Rückerstattung der Be- im Französischen ,Ich' sagen lässt, isoliert und gegenüberstellt. Je ist dann in
gehrensfunktion nach dem Durchlauf des analytischen Signifikanten. Priva- Lacans neuer Topik das Subjekt des Unbewussten, Moi das Subjekt des Dis-
tion bedeutet, dass das Subjekt sich nicht im Spiegel erkennt und in reiner kurses. Lacan will in seiner Praxis dem Subjekt des Unbewussten zur Spra-
Form willig, um eine Formulierung Freuds aufzugreifen, den "Trabanten des che verhelfen, bzw. dem Unbewussten erlauben zu sprechen, während die
Todestriebes,,151 folgt. Erst dem blinden Ödipus, der den Willen zum Sein sogenannte Ego-Psychologie sogar noch auf die Stärkung der gleichermaßen
radikal preisgegeben hat, gehen gleichsam die Augen auf und das, was er als bewussten wie fiktiven Mot-Instanz zielt und somit darauf, das ,Unterwegs-
Realität vorstellte, wird ihm als Phantasma als Ganzes sichtbar. Die Zer- sein-zur-Sprache' des Unbewussten, das "Drängen des Buchstaben im Un-
schlagung des Spiegels, die Suspendierung der Spiegelerkenntnis, ist die Be- bewussten" bereits im Keim zu ersticken.
dingung des Menschseins. Ödipus aufKolonos, der eigentlich kein tragischer Das Subjekt des Unbewussten zum Sprechen zu bringen heißt, einer sonst
Held mehr ist, denn seine Irrtümer, die sein Handeln hervorbrachten, sind untersagten Selbstliebe Raum zu geben, die nicht mit Narzissmus zu ver-
von ihm genommen und er übt sich, buddhistisch gesprochen, im "Nicht- wechseln ist. Die Qualität dieser Selbstliebe macht Lacan kenntlich, wenn er
Handeln", ruft aus: sagt, dass das Sprechwesen nur zwtschen den Zeilen genießen kann. Es kann
"Verhält es sich so, daß ich in dem Moment, da ich nichts bin, zu ei- sprechend genießen, nicht aber sein Sprechen genießen. Im Modus dieses
nem Menschen werde?,,152 Sagens bedeutet Ich-Sagen (je) auch nicht Ein-Ich-Haben (moi). Die "durch
das Imaginäre bewirkte Vereinzelung,,155, die die Instanz des Ich (moi) und
den Narzissmus hervorbringt, fiihrt seitens des Subjekts dazu, gewisserma-
2.7 Wie (nicht) sprechen ßen einen Käfig mit einem Palast zu verwechseln. Das Verlassen des Käfigs
der Moi-Instanz wiederum ist gleichbedeutend mit der Aktivierung des Je.
Das Spiegelstadium liefert das Schema zur Markierung des initialen Mo- Die Inswerksetzung des Begehrens, das ursprünglich leer ist und sich auf
ments der konstitutiven, nicht genetisch-nosologisch herleitbaren Spaltung kein Objekt bezieht außer sich selbst, kann nur dort gelingen, wo das Ich als
des Subjekts. Indem der analytische Diskurs dieser Spaltung Rechnung trägt, Kontrollinstanz das Subjekt nicht hindert, dem Lauf der Signifikanten zu
muss er zweideutig und gleichsam offen sein. Sein Sinneffekt kann nicht folgen und das heißt: wo es der Bürde ledig ist, sich mit sich identifizieren zu
bewusst herbeigefiihrt werden - der Analytiker ist, vielfach zum Leidwesen müssen. Weiter oben war bereits die Rede von jenen mit dem Pathos des

150 Lacan, J.: Sehr. H, S. 196 153 Lacan, J.: Sehr. H, S. 7


151 Freud, S.: Studienausgabe, Bd. III, S. 249. Die erotischen Triebe smd bekanntlich beim 154 Parletres (Sprechwesen oder Sprechsetn) ist eme Sprachschöpfung Lacans. Vgi. hierzu:
späten Freud gleIChsam nur die Agenten oder eben Trabanten des Todestriebes. Zizek, S.. Die Tücke des Subjekts, S. 212
152 Zit. n.: Lacan, J.: S H, Das Ich in der Theorie Freuds..., S. 292 155 Lacan.1.. Sehr. I, S. 87, Fußnote 10
74 75

Negativen aufgeladenen Postulaten, die aus Lacans Logik des desetre 156 (ei- der Möglichkeiten des Sprechens sein, da es dem Zug der Signifikanten zu
ne deontische, nicht modale Logik) hervorgehen und zum Nutzen dieses folgen widersteht. Volles Sprechen mag sich als Stottern realisieren, leeres
nicht-narzisstischen Selbstgenusses vorschreiben, sich mit nichts zu identifi- Sprechen kann in höchstem Maße eloquent sein. Das Ich als vermeintlich au-
zieren, nicht man selbst zu sein, nichts zu sein. tonome Instanz verfUgt über einen Vorrat von Aussagen, den es, wenn es der
Je sagt sich als ein Ich aus, das kein Ich ist. Es unterliegt nicht der imaginä- ,Druck der Lage' erfordert, im Dienste der Selbst-Identifikation aufbraucht,
ren Identifizierung. Sich zu identifizieren ist immer eine Verrücktheit. Lacan der folglich begrenzt und erschöpflich ist und notwendigerweise irgendwann
hielt dafür, dass nicht nur der Narr, der sich für einen König hält, verrückt ebenso den Sprecher im Bemühen, sich mit seinen Aussagen zu identifizie-
ist, sondern auch der König ein Narr ist, der sich rur einen König hält. 157 An ren, erschöpft. Die Funktion des leeren Sprechens ist letztenendes, den fun-
die Stelle .der imaginären Identifikation hat die symbolische zu treten. Die damentalen Mangel an Sein zu überdecken oder zu verschleiern. Demgegen-
symbolische Identifikation aber ist die Nicht-Identifikation. über ist das Sprechen, das dem Zug des Signifikanten folgt, unerschöpflich,
Für Lacans Sprechwesen gilt nicht, dass es die Sprache bewohnt, wie für eine Quelle, die nicht versiegen kann. Das Sagen des vom Unbewussten und
Heideggers Mensch die Sprache das "Haus des Seins" ist, aber ebensowenig vom Signifikanten geführten Subjekts ist so nicht willkürlich, sondern folgt
wie bei Heidegger gebietet es über die Worte. In gewisser Weise gebieten einer Notwendigkeit.
die Worte über es, nämlich besagtes Sprechwesen. Aber genauer gesagt ist es Je, das mit dem vollen Sprechen korrespondiert und dessen Merkmale gerade
der SignifIkant, der über es gebieten soll. Lacan sagt, es gehe darum zu wis- deswegen "Flüchtigkeit und Andersheit,,16°sind, ist im Unterschied zur Moi-
sen, dem Zug des Signifikanten folgen zu müssen, um die Seele zu retten. 158 Instanz nicht objektivierbar und durch keine äußere Realität zu defmieren.
Damit wird das Sub-jekt, das Unter-worfene, vom Unbewussten selbst ge- Diese wird, worauf im folgenden noch ausflihrlicher einzugehen sein wird,
stützt,seinerseits zur Stütze der Sprache, zur Stütze der symbolischen Ord- sogar überhaupt erst konstituiert durch den Ausschluss des Unbewussten,
nung. seine Verdrängung oder Verwerfung. Diese äußere Realität, als Effekt von
Das Sagen im Modus des leeren Sprechens im Unterschied zu dem des bien Verdrängung, Verwerfung, Ausschluss bildet die Basis des Sagens im Mo-
dire / bene dicere l59 des vollen Sprechens kann nie eine volle Realisierung dus des Mai. Je dagegen markiert die Leerstelle, von der das Sagen des Sub-
jekts des Unbewussten ausgeht. Zen-buddhistisch gesprochen wäre es die
personale Form der impersonalen Leerheit oder der Hintergrund der Leer-
156 Lacans Wortschöpfung desetre wäre mit Ent-Werdung wiederzugeben, was an die Sprach-
gebung der sogenannten "deutschen Mystik" ennnert.
157 K. Laermann, der Übersetzer des In Schriften 1 erschienenen Textes "Symbol und Sprache
als Struktur und Grenzbestlmmnng des psychoanalytischen Feldes" zitiert m emer Fußnote
zu semer Übersetzung Ltchtenberg wie folgt: "Ein Narr, der sich embildet, em Fürst zu gewiesen. Hier ist die discretio die Wahrnehmung und das Maß in Ununterschiedenhelt.
sem, Ist von dem Fürsten der es m der Tat ist, durch nichts unterschieden, als daß Jener em Die Wahrnehmung hat Sich bei Lacan auf den Lauf der Signifikanten zu beziehen und das
negativer Fürst, und dieser em negativer Narr Ist, ohne Zeichen betrachtet smd sie gleich." Maß ISt an diesem Lauf auszurichten. Das ISt die Dit-mension, die "Messung des Gesag-
(in: Lacan, J.: Schr. I, S. 121, Fußnote 52) ten", Mit der ,,Ethik des Gut-Sagens" schemt Lacan nur das bene-dicere des hl. Benedikt
158 Wenn Lacan als obsolet geltende Begriffe benutzt (z.B. Seele), so dient ihm solches den emzuholen. Auch hier gilt es, die Differenzen zu schonen, aber zweifellos lassen sich eine
tennmologischen Rahmen der Theone sprengendes Hinter-Freud-ZurücJifallen dazu, em Vielzahl von Lacans analytischen Begriffen m theOlogische oder onto-theologische zu-
Verstehen Im Intuitiven zu evozieren. Sprechen soll eVOZieren, nicht informieren. Inkohä- rückübersetzen. Das Beispiel schlechthin hierfür ISt natürlich der ,,Name des Vaters",-
renz im Begrifflichen, das Scheuen der ,Arbeit am Begriff, verhmderte dieses Ankommen Höchst mteressant m diesem Zusammenhang ist auch, was Elisabeth Roudinesco, Lacans
Im IntUitiven, anstatt es zu befördern. - Im Rahmen semer eigenen Theonebildung sagt er Biographm, über Lacans Jüngeren Bruder. Marc-Marie, später Marc-FrancOls, schreibt:
über Seele: "Wer sieht mCht, daß die Seele, daß dies mchts anderes ist als seine, diesem "Im Jahre 1926 faßte Marc-Marle, während Jaques Innerhalb seiner Familie aufgrund sei-
Körper, unterstellte Identität, mit allem, was man denkt, um diese zu erklären. Kurz, die nes Gefallens an der Libertmage und semer Zustimmung zu den Thesen des Antlchnst filr
Seele, das ISt, was man über den Körper denkt - auf der Seite des Griffs." (Lacan, 1.. S emen Skandal sorgte, die endgUltige Entscheidung, Mönch zu werden. Am 13. MlIl war
XX, Encore, S. 119) Da Denken eme "Sache des Griffs" Ist, ISt die Seele also das Gedachte beim Lesen der Regel des Heiligen Benedikt [die eben "ordo et discretio" überschneben
über den Körper. ,,(D)as Denken Ist auf der Seite des Griffs und das Gedachte auf der an- ist, JA] die Berufung über ihn gekommen. In demselben Moment, in dem er das Wort
deren Seite [...]" (Ebd., S. 115) "benedictin" auf das Blatt Papier schrieb, wirkte das Sehen dieser zehn Buchstaben wie ei-
159 "Was Ich tue, Ist aus memer Praxis die Ethik des Gut-Sagens ziehen [...]" (Lacan, 1.. R/T, ne Offenbarung auf ihn." (Roudinesco, E.. Jaques Lacan, S. 39) Marc-Francois Lacan
S. 91) Das bien dire ISt nach Lacan die ultimative Forderung der Ethik der PSYChoanalyse. wurde schließlich Abt des Klosters Hautecombe.
An dieser Stelle sei auf eine mteressante Parallele zur benediktmischen Ordensregel hm- 160 Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 2
76 77

heit, der im Sagen Vordergrund wird. Das Subjekt des Unbewussten ist ein dem Analytiker nichts übrig, als den Anspruch des Analysanten auf Wieder-
Subjekt der Leerheit. herstellung zu frustrieren, also seine ohnehin schon bestehende Frustration
Menschen dazu zu bringen, "daß es ihnen Lust macht, das Wahre zu sa- noch zu verstärken.
gen,,161 - weder in der Form von Geständnis, noch als perverser Kitzel-, Das Zur-Sprache-Kommen des Subjekts des Unbewussten geschieht im Akt.
heißt, sie von der Beherrschung verheißenden Instanz des Moi zu lösen und Der Akt beim späten Lacan bezeichnet eine grundlose Lösung aus der Einge-
an die Nicht-Instanz des Je (zurück) zu binden, um sie in die Menschenge- bundenheit des Subjekts in die es auf das Ego ,verpflichtende' und seine An-
meinschaft zu reintegrieren und aktiv am Leben mit den anderen teilnehmen erkennung verlangende Verwicklung in die dualistische IchlDu-Dialektik.
zu lassen. Das ist Lacans Weise, das Religiöse (im Sinne: Rückbindung) Jedoch hat der Austritt aus dieser Dialektik und der Übertritt, der im Akt er-
durch den freudschen Diskurs hindurchgehen zu lassen. Dem ultimativen folgt, seinen Preis. Im gleichen Zug, in dem das Subjekt des Unbewussten
Postulat des "Gut-Sagens" der psychoanalytischen Ethik kann nur genügt zur Sprache kommt, ist seine Versichertheit durch etwas wie einen "zurei-
werden, wenn, mit allen Brüchen und Unterbrechungen, die der Versuch der chenden Grund", der es als vermeintlich autonomes Ego innerhalb des durch
Realisierung eines solchen Postulats mit sich bringen muss, dem Lauf des die Anerkennungsdialektik hergestellten Raums ausweist, nicht mehr gege-
Signifikanten versucht wird zu folgen und wenn im Aufgriff des Signiflkan- ben. Doch allein die Eröffnung dieses Zugangs zu einem nicht versicherten
ten durch den Sprecher die grundlegende Alienation im anderen, durch die Sprechen kann als der entscheidende Wendepunkt der Analyse angesehen
das Sprechwesen hindurchzugehen hat, anerkennt wird. werden. Beendet werden kann sie, so Lacan, wenn das Subjekt in der Lage
Gerade weil Nicht-Identität und Nicht-Allmacht beim Subjekt des Moi keine ist, "von sich zu Ihnen" zu sprechen.
Anerkennung finden, ist nach Lacan c(ilie Natur des Ego ihrem Wesen nach Damit dies gelingen kann, gibt Lacan zur Orientierung fiir die Praxis der A-
Frustration und die Begegnung mit seinesgleichen fmdet als zwanghaftes nalyse dem Analytiker folgende Richtschnur an die Hand:
Delir statt, in dem sich Zuneigung und Abneigung abwechseln. Denn hier er-
fahrt das Subjekt permanent, was es flieht. Das Geflohene kehrt aber wieder "Nichts darf [...] die Instanz des Ich (moi) im Subjekt betreffend hi-
w~e schon Freud schrieb, wohingegen das, was gehengelassen wird, nicht neingelesen werden, das nicht in diesem in der ersten Person, also in
der grammatikalischen Form des Ich Ge), übernommen werden
wiederkehrt. Dem Lauf der Signiflkanten folgen heißt aufzugreifen, was sich kann. ,,163
signifiziert und dieses wieder gehenzulassen. Dies aber setzt die Anerken-
nung_ der Alienation im anderen voraus. Denn diese besagt, die Subjekt-
Positionen willig einzunehmen und wieder zu verlassen, die das präsubjekti-
ve Spiel der Signifikanten vorschreibt. 2.8 Lacans Konzeption des Unbewussten
Insofern das Moi-Subjekt nur das Bild des anderen wahrnimmt, an dem kein Der reine Geist ist die reine Lüge. (Nietz-
Mangel ist, supponiert es den die Kastration nicht erfahren habenden ande- sehe)
ren, den der konstitutiven Subjektspaltung nicht unterworfenen anderen, also
den die Alienation im anderen nicht erleidenden anderen. Nur so kann dieser Je als das Subjekt des Unbewussten kennzeichnet, wie das Unbewusste
ihm Stütze und Garant seiner Existenz sein. Es nimmt somit den anderen Freuds, Beweglichkeit der Besetzungen und die Charakteristik der freien E-
dort wahr, wo er gerade nicht ist und sein Begehren zielt dementsprechend nergie. Bekanntlich gibt es nach Freud im Unbewussten keine Zweifel, keine
darauf, ebenfalls gerade dort wahrgenommen zu werden, wo es nicht ist. Die Negation, kein (be)rechnendes Abwägen und eine Gleichgültigkeit gegen-
Analyse nun bewegt sich aber auf einer anderen als der durch die duale Be- über der äußeren Realität.
ziehung festgelegten Bahn. Das narzisstische Ego ist fiir den anderen (hier Lacan betont jedoch, um falschen Vorstellungen über die Entdeckung, die er
den Analytiker) errichtet und damit dazu vorausbestimmt, "ihm durch einen Freud zuschreibt, vorzubeugen, immer wieder auch die Nicht-Substanz-
anderen entrissen zu werden,,162. Deshalb bleibt in der analytischen Situation haftigkeit des Unbewussten. In diesem Zusammenhang kann noch emmal
auf den verbreiteten und mittlerweile schon klassisch zu nennenden Lesefeh-
161 Laean,1.: S XXIII, Le Sinthome, S_ 2
162 Laean, J.: Sehr. I, S. 87 163 Ebd., S. 89
78 79

ler hingewiesen werden, wonach ,das Es Ich werden soll', Es soll natürlich dass sein Beispiel Schule machen würde. Seine Lehre, die den Diskurs des
,wo es war, Ich werden', Erstere Lesart hypostasiert ein Es als Substanz, ein Unbewussten monstriert und in dieser Monstration Zeugnis von ihm ab-
Unbewusstes als Substanz. Lacan kommentiert den im "Klang der Formeln legtl68, würde eines nicht femen Tages bereits fossiliertl 69 sein und dann e-
der Vorsokratiker,,164 formulierten Freud-Satz wie folgt: ben doch eXistieren. Dies würde dann der Fall sein, wenn seine· Schüler, so
"Da, wo Es im Augenblick noch war, wo Es gerade noch war, zwi- Lacan in R.S.I., "einen Schluck aus der Pulle genommen haben, ein bißehen
schen diesem Erlöschen, das noch nachleuchtet, und jenem Aufgehen, Autorität gewonnen haben"170, wenn sie genug vom lacanschen Manna ge-
das noch zögert, kann Ich zum Sein kommen, indem ich aus meiner nossen und mit seinen konjekturalen Theoremen wie mit einem verfügbaren,
Aussage verschwinde." 165 operablen Ganzen umzugehen in der Lage sein, sprich: ein lacansches Un-
bewusstes substantialisiert haben würden.
Ein ebenfalls in die substantialistische Richtung deutendes Missverständnis Genau die analytische Wahrheit bleibt aber in diesem Fall verschanzt hinter
liegt vor, wenn nicht die Traumdeutung als der Königsweg zum Unbewuss- dem "Widerstand des Analytikers". Lacan lehrt kein an "formale Kohärenz
ten gelesen wird, sondern der Traum selbst. Als verweise der Traum auf das gebundene(s) Wissen" als Referenzwissen zu einem substanzhaften Unbe-
Unbewusste, als sei der Traum das dem Unbewussten zu nächste, als gäbe es wussten, sondern den "Gebrauch des Diskurses"l7l. Lacans "neues Bündnis
eine Substanz des Unbewussten gleichsam noch unterhalb des Traums, zu mit der freudschen Lehre" visiert, in richtiger Weise vom Sprechen
der dieser der Königsweg sei. 166 Die Substantialisierung des Unbewussten Gebrauch zu machen, was voraussetzt, "den analytischen Diskurs mit sich
entwertet in der Sicht Lacans die Analysen von zum Beispiel Jung. Sie fallen selbst zu unterhalten, weder zu früh noch zu spät zu sprechen,,172, nicht die
hinter Freud zurück, sind archaisierend, remythisieren und mystifizieren. Kenntnis eines substantiellen Unbewussten als Bedingung für gemäßes
Jung habe "Begriffe des romantischen Unbewußten [...] die bei ihm Unter- Sprech-Handeln. Das Unbewusste ist nichts der ratio Entgegengesetztes, das
schlupf fanden,,167 elaboriert. Wie das UnbeWusste aber weder Substanz andere der ratio, vielmehr ist es ihr inhärent. Deshalb ist ein Diskurs wie der
noch das Subjekt des Unbewussten ein substantielles Hypokeimenon ist, s~ vom "Anderen der Vernunft,,173, mit Lacan gegengelesen, nicht so sinnvoll:
spricht ihm Lacan selbst die Qualität der Existenz ab. Das Unbewusste ist als Was den Denkgewohnheiten auch derer, die sich aus dem aristote-
nicht wirklich existierend aufzufassen. Es gehört weder der ,objektiv- lischlcartesischen Diskursparadigma zu verabschieden unternehmen, so sehr
äußeren' noch der ,subjektiv-seelischen Existenz' an. entgegensteht, ist die Annahme, dass Descartes Cogito-Subjekt und das la-
Lacans Konzeptualisierungen des Unbewussten versuchen genau derartige cansche Subjekt des Unbewussten nicht unterschieden sind. Das "Andere der
Supponierungen zu vermeiden, wenn auch er wenig Hoffnung bekundete, Vernunft" ist nichts dem Bewusstsein und der Ego-Instanz entgegengesetz-
tes, der Schnitt ist vielmehr im Signifikanten selbst anzusiedeln. Es ist ein

164 Lacan, J.. Die vier Grundbegriffe der PSYChOanalyse, S. 50 168 Die Monstration, ein durch Weglassung des Präfix de gebildeter NeologIsmus Lacans
165 Lacan, J.: Schriften II, S. 175f. (R.S.I.) macht wie das Performativ der Sprechakttheorie aus der De-Monstration ein expli-
166 Diese Falschlesung des Freud-Satzes findet Sich zum BeispIel m "Das Vokabular der Psy- zIt sprachliches Handeln. Die Monstration trägt Lacans These ReChnung, dass es keme
chOanalyse'" "Wir wissen, daß der Traum fur Freud ,der Königsweg' zur Entdeckung des Metasprache gibt. Lacan monstriert den analytischen Diskurs. - Wie m den e1eusimschen
Unbewußten war." Lap1anche/Pontalis: Das Vokabular der Psychoanalyse, S. 564. Dieser Mystenen dem Imtianten die abgeschnittene Ähre gezeigt wird im Zentrum des Heiligtums
Königsweg war selbstverständlich die Traumdeutung. In diesem Zusarmnenhang kann und wie die Monstranz bei katholischen ProzessIOnen das Allerheiligste zeigt, mdem sie
auch auf die Differenz emes hermeneutisch ausgelegten Ansatzes der Psychoanalyse, den es verbtrgt, so demonstnert Lacan Im RS.I.-Semmar auch niCht den analytischen DiSkurs,
Lacan fur falsch hält und emem, der auf die Interpretation im Sinne der lacanschen Lesart Vielmehr bewegt er Sich, wie er sagt, auf der Ebene der "Monstration", der "Zeigung".
des Begriffs setzt, hingeWiesen werden. Der Interpretation, der Deutung, eignet ein Mo- (Außerdem klingt m der Monstration auch "Monstre", "monströs" etc. an)
ment von Gewaltsamkeit msofern, als dass, sobald eme InterpretatIOn mcht mehr trägt, sie 169 "Bald werden es alle WIederholen, und es muß nur noch darauf regnen, damit es dann em
verworfen wird zugunsten emer anderen, weitgehend ungeachtet dessen, wie es vermeind- sehr hübsches Fossil gibt." Lacan, Jaques: S XXII, RS.I., S. 66
lich wirklich gewesen 1St. (Lacan unterscheidet zu analytischen Zwecken zwischen dem, 170 Lacan, Jaques: S XXII, RS.I., S. 69
was wahr ist und dem, was Wirklich gewesen ist.) Im hermeneutischen Ansatz hmgegen 171 Lacan, 1.. S II, Das Ich m der Theone Freuds..., S. 25f.
wtrd vorrangig versucht zu ermitteln, wie es WIrklich gewesen ISt, was zum Beispiel em 172 Lacan, 1.. S I, Freuds techniSChe Schriften, S. 10
Traum Wirklich bedeutet. 173 Vgl.. Böhrne,H.fBöhme,G.. Das Andere der Vernunft, Zur Entwicklung von Rationalitäts-
167 Lacan,1.. S XI, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, S. 30 strukturen am Beispiel Kants
80 81

innerer Schnitt, eine immanente Diskontinuität und es kann, wenn man mit Lacan grenzt sich auch gegen das Unbewusste eines Eduard von Hartmann
Lacan auf die Geistigkeit des Ostens schaut, nicht darum gehen, wie das ab, gegen dessen "heteroklites Gerümpel", das bei selbigem unter dem Na-
Verhältnis Unbewusstes und Vernunft ,irgendwie anders' organisiert oder men des Unbewussten firmiere und dessen Unbrauchbarkeit für die Theorie
gewichtet sei im Osten, sondern ebenso allein um die eine Organisiertheit der Psychoanalyse auch schon Freud in der "Traumdeutung" herausgestellt
und Intelligibilität des Subjekts und die Verkennungen, die hierüber beste- habe. Das Unbewusste nach Lacan ist auch kein "obskurer, für ursprünglich
hen. Der radikale Agnostizismus des Ostens lehrt, unseren Sinnen, ebenso gehaltener Wille,,177, womit Lacan wohl auf Schopenhauer anspielt. Das Un-
wie unseren Urteilen, unserer Vernunft radikal zu misstrauen, aber nicht, auf bewusste ist nichts unter oder vor dem Bewusstsein liegendes, nichts archai-
etwas anderes als auf Sinne und das Bewusstsein zu setzen. Auf dem Gipfel sches, magisches, mythisches, sondern spielt, hat seinen Ort genau dort, wo
der lacanschen Spekulation ist das descartsche Cogito-Subjekt also nicht das auch das Subjekt ist.
andere zu Lacans Subjekt des Unbewussten, sondern mit ihm vollständig i- Das Unbewusste ist so diskontinuierlich wie das Bewusstsein. Aber müssen
dentisch. Lacan drückte das in den "Vier Grundbegriffen" folgendermaßen wir, fragt Lacan, die Diskontinuität des Unbewussten vor dem Hintergrund
aus: einer Totalität sehen? Dass Lacan diese Frage verneint, ist von entscheiden-
der Bedeutung. An dieser Stelle lässt sich seine Theorie ausgesprochen leicht
"[00'] dass es auf der Ebene des Unbewußten etwas gibt, das in allen
Punkten den Geschehnissen auf der Subjektebene homolog ist - es mit den Lehren des Zen kompatibilisieren: Leerheit ist nicht hinter der Form,
spricht, es funktioniert in derselben Ausgeprägtheit wie auf der Be- sondern Leerheit ist selbst Form, so wie Form Leerheit ist. Leerheit ist nicht
wußtseinsebene, die damit ihren vermeindlichen Vorrang ein- die Totalität hinter den mannigfaltigen Formen, kein Geistkontinuum hinter
büßt ...,,174 den Erscheinungsformen. Ebenso verhält es sich nach Lacan mit der Totali-
tät, mit dem Einen....
Deutlich wird hier noch einmal die Unvergleichbark~it des lacanschen An- "Ist das Eine/ le un vor der Diskontinuität? Ich denke nicht, und alles,
satzes mit dem von Jung und dessen Elaboration eines "romantischen Unbe- was ich die letzten Jahre gelehrt habe, geschah in der Absicht, die
wussten". Der Schnitt ist dem Signifikanten immanent ist und dadurch geht Forderung nach einem geschlossenen Einen zu Fall zu bringen - es ist
das Subjekt als gespaltenes hervor. Gemeint ist immer dieses Subjekt, in je- dies eine Täuschung. An die sich der Begriff eines umhüllenden Psy-
dem Appell, der sich an es richtet. Lacan sagte im Seminar "Die vier Grund- chismus hängt, eine Art Verdoppelung des Organismus, in der jene
begriffe": falsche Einheit wohnen soll. Sie werden mir zustimmen, wenn ich sa-
ge, dass das in der Erfahrung des Unbewußten eingefUhrte un jenes
"Es ist aber wichtig zu wissen, an wen man hier appelliert. Es geht
nicht um die altbekannte ,Seele', sterblicher oder unsterblicher Art, es
un des Spalts, des Zugs, des Bruchs ist. Es zeigt sich hier plötzlich ei-
geht nicht um den Schatten, den Doppelgänger, das Gespenst, es geht ne verkannte Form des un: das Un des Unbewußten. Die Grenze des
Unbewußten ist vielmehr der Unbegriff- der nicht ein Nicht-Begriff
nicht einmal um die als Panzer funktionierende Psychosphäre, den
ist, sondern der Begriff eines Fehlens. Wo ist der Grund? Ist's die
Ort der Abwehr und _andere Schematismen. _Apgeliert wird ans Sub-
jekt, und nur das Subjekt kann auserwählt sein." 5 Abwesenheit? Wohl nicht. Bruch, Spalt, Zug der Öffnung lassen die
Abwesenheit erst entstehen - so wie der Schrei nicht vom Grund der
Stille sich abhebt, sondern die Stille erst entstehen läßt.,,178
Der Adressat des lacanschen Diskurses ist kein anderer als dieses Subjekt,
das aus Descartes Zweifel erwächst und an Descartes Gewissheit seinen Halt
Keine Totalität steht hinter der Diskontinuität, alles ist vielmehr des anderen,
nimmt. Die Psychoanalyse will, so Lacan, dieses "Subjekt heimkehren [00']
als Ereignis und Vollzug des Unbewussten. Das Unbewusste bei Lacan ist in
lassen ins Unbewusste". 176
seiner ersten Bedeutung als Nicht-Wissen bestimmt und auch dieses Nicht-
Wissen ist das des anderen. Dass sich dieses schwindelerregende Theorem

174 Lacan, 1.. S XI, Die vier Grundbegriff der Psychoanalyse, S. 30


175 Ebd. 177 Ebd., S. 30
176 Ebd., S. 53 178 Ebd., S. 32
82 83

nahtlos in Lacans Theoriegebäude einfilgt, ist sein einzigartiges Verdienst. Menschen, die etwas waren, und die meis-
Das Nicht-Wissen ist wegen der konstitutionellen Alienation des Menschen- ten fühlten sich offensichtlich nicht glück-
wesen im anderen das des anderen, wegen des Vollzugs, des Sich-Ereignens lich dabei. (Cees Nooteboom, Rituale)
des Unbewussten, das wie eine Sprache strukturiert ist. Zum Subjekt auf dem
Feld des anderen schreibt Lacan: Zur Realisierung des Sprechwesens gilt es, Rekurs auf den Körper zu neh-
men. Lacan sprtcht von einer ,Materialität des Signifikanten' und auch das
"Daß das Subjekt als solches, weil durch Sprachwirkung [...] gespal-
Unbewusste ist materieillkörperlich vorzustellen. Die Versicherung des Sub-
ten, im Ungewissen ist [...] genau das lehre ich Sie [...]. Über die
Sprechwirkung [...] realisiert sich das Subjekt stets mehr im Andern jekts aus einem Jenseits des Körpers ist keine Option. Das Unbewusste ist
[...] daß das Subjekt nur Subjekt ist als Hörigkeit, Unterwerfung auf nichts ,jenseitiges' (transzendentes) und nichts ,unter allem liegendes'
dem Feld des Andem. Das Subjekt geht aus aus seiner synchroni- (transzendentales). Die Aufgabe der Suche nach dem Sinn im Jenseits des
schen Hörigkeit, Unterwerfung im Feld des Andern.,,179 Körpers fiihrt auf das Diesseits des Körpers zurück und damit zum Begehren
und auf die symbolische Ordnung. Lacan fragt nicht nach dem Sinn, sondern
Die Alienation im anderen ist der Grund und die Bedingung fiir die funda- nach dem "Sinn des Sinns", was, möchte man meinen, fiir einen ,erwachse-
menatale Spaltung des Subjekts und das Nicht-Wissen und die Subjektspal- nen Menschen' auch die angemessenere Frage ist. Das Subjekt des Signifi-
tung gehören unmittelbar zusammen. Es handelt sich hier keineswegs um das kanten, das "ich" (je) aussagt, ist jedenfalls in seinem Aussagen ein Körper,
Nicht-Wissen sokratischer Art, da eben radikal es das des anderen ist. Viel. der in Aktion tritt.
fach ist zu lesen, dass und wie Begehren und Diskurs bei Lacan die des ande- "Das Subjekt des Unbewußten, es schließt an den Körper an.,,181
ren sind. Auch das Nicht-Wissen ist schon als das des anderen bestimmt
worden. Dass sich hier jedoch das Unbewusste selbst als das des anderen er- Dem Subjekt des Unbewussten zum Sprechen verhelfen heißt, eine Aktivität
zeigt, filhrt am weitesten. des Körpers zu evozieren. Der Buchstabe, das Wort, die letter ist ein Körper,
,,[...] wenn es ums Unbewusste geht, was in meiner Darstellung als ein subtiles körperliches Etwas. Deshalb wirkt die analytische Intervention
etwas erscheint, das gleichzeitig innen ist im Subjekt, das sich aber al- unmittelbar auf der Ebene des Körpers; sie ist ein Eingriffin die Disjunktion
lein außen verwirklicht, das heißt im Ort des Anderen, wo allein es von symbolischer Ordnung und Imaginärem, indem sie auf das Reale
seinen Status annimmt."180 wirkt.182
Dass Lacan das descartessche Cogito-Subjekt mit dem Subjekt des Unbe-
Deshalb ist das Subjekt seine Frage, inkarniert sich als Frage. Und die Rät- wussten identifiziert, heißt nun beileibe nicht, dass Lacan Cartesianer wäre.
selfrage des Begehrens, das stets das des anderen ist, lautet dementspre- Man tut generell gut daran, Lacan als Arzt, Meister, als Analytiker zU sehen,
chend: ,Was will er [der andere Mensch] mir?' ... ,Was will er von nicht als Philosophen. Im cartesianisch verstandenen cogito ist das Sein eine
mir?' .. ,.Was will er, dass ich will?' ... ,Was will er, dass ich will von ihm?'. Sache des Denkens. Das Subjekt muss denken, um sich seines Seins sicher
zu sein. Sein wird dabei zu einem ,Machwerk', einem Produkt des Denkens,
darauf reduziert, bloß Objekt zu sein, Objekt des Denkens, also Gedachtes.
2.9 Mit dem Körper denken Das Subjekt des Unbewussten demgegenüber nimmt am Körper selbst seine
Eigentlich wußte er mit Sicherheit, daß er Gewissheit und dieser verfilgt über ein Wissen, das sich selbst nicht weiß
nicht nur niemals etwas werden wollte, und das sich nicht denken lässt:
sondern auch niemals etwas werden würde.
Die Welt war doch schon übervoll von

181 Lacan, 1.. Rtf, S. 87


179 Ebd., S. 197 182 "Der vom analytIschen Diskurs zu fordernde Sinneffekt ist nicht imaginär. Er ist auch
180 Ebd., S. 154 niCht symboliSCh. Er muß real sem." (Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 29)
84 85

"Wo ich denke zu sein, bin ich nicht und wo ich bin, denke ich Das Sein denkt nicht und das Denken denkt nicht das Sein. Die Analyse ist
nicht.,,183 die Inswerksetzung des Schnitts, der Denken und Sein voneinander trennt.
Was durch Denken erst erzeugt werden soll, bzw. wessen sich durch Denken Das Sein als Gedachtes ist Phantasma. Aber gleichzeitig ist der Konnex von
vergewissert werden soll, ist tatsächlich immer schon vorgängig vorhanden. Denken und (gedachtem) Sein die gewissermaßen magische Verbindung, die
Nicht das Denken an das, ,was ich bin', viel eher das Nicht-Denken an die- dem Subjekt den "Zusammenhang der Dinge" garantiert. Die Inswerkset-
ses gewährleistet Authentizität und schafft ein Minimum an Gewissheit. zung dieser Ablösung des Seins vom Denken und des Denkens vom Sein ist
Nichts bringt diesen Zusammenhang besser zum Ausdruck als Lacans ,Kof- damit gleichbedeutend mit einem "Rühren am Knoten, der das Subjekt an
ferwort' Ontotototautologie l84 , ein Begriff, der nichts weniger leistet, als die das Sprachzeichen. bindet.,d8 8 Die Gebundenheit an das Sftrachzeichen bil-
Meta-Physik abzuschließen oder in einem hegeischen Sinne auftuheben. Ein det nach Lacan dIe Armatur des Denkens des Subjekts. 89 Von hier aus
Sein, das sich denken will, kann im Sagen nur Tautologien produzieren und ,macht es sich die Welt untertan' indem es sie verobjektiviert. Die Destituti-
außerdem ist ein Sein, das erst zu denken ist, nicht seiend, sondern erdacht. on dieses Verhältnisses bedeutet folgerichtig den Entzug der subjektiven Ba-
Das zwischen Onto- und Tautologie stehende toto- in Ontotototautologie sis. Das Phantasma strukturiert durch diese magisch-ursprüngliche Gebun-
verweist auf den kontingenten, zeit- und umständeabhängigen Charakter denheit die Vorstellung des Subjekts von Ich und Welt und lässt ihm als
jedweden in Richtung "Denkung" (cogitation) des Seins gehenden Versuchs. wirklich, als Die Realität erscheinen, was tatsächlich nur Phantasma ist. Um
Lacans Ansatz ist ein me-ontologischer. Es geht weder darum, durch Denken die Kappung just dieses Bezuges geht es aber in der Analyse.
zum Sein zu gelangen, noch das Sein zu denken, sondern über die Anerken- Es bleibt dem Subjekt unmöglich, zu sein, was es denkt zu sein, ebenso wie
nung der symbolischen Kastration die Inswerksetzung des Begehrens auf den zu denken, was es ist, vielmehr muss es nach der Durchquerung des Phan-
Weg zu bringen. um zu verwirklichen, "was uns in einem besonderen tasmas, das ihm all diese Stützen wegnimmt, die subjektive Basis, die sich
Schicksal wurzeln läßt",185 auf Denken und Sein gründet, entzieht, in seinen durch die Objekte gestütz-
Nicht aber schlechterdings die Einstellung jeglichen Denkens, sondern nur ten phantasmatischen Vorstellungsraum, der fur es die Realität darstellt,
die Einstellung desjenigen Denkens, das durch seine Aktivität ein Sein, das zurückzukehren. Das Symbolische muss sich gewissermaßen ins Imaginäre
wirklich wäre, hervorbringen will oder aber das Sein wie etwas positiv Ge- zurückübersetzen. Denn nur durch die Täuschung vermag ein Subjekt sich in
gebenes denken will, visiert diese Analyse. 186 Lacan entwickelt seinen An- der Welt zu halten. Nach diesem Durchlauf aber, wenn das Subjekt "ein we-
satz in bewusster Abgrenzung gegen die Philosophie, zuweilen gegen die nig mehr weiß als vorher um das tiefste seiner selbst,d90, ist das Objekt, das
selbige als solche: banalste und das erhabenste, dann nur noch gleichsam eines für sein Begeh-
ren, nicht mehr ein Objekt des Begehrens. Lacans Sublimierungsbegriff ist
,,[...] Was ich vorbringe, se supporte, se s'oupire, indem es niemals doppelt geladen. Die Pointe besteht in dieser Rückverwandlung nach dem
rekurriert auf irgendeine Substanz, indem es niemals sich rückbezieht Prozess der Destituierung. Sie macht die Sublimierung erst vollständig. Die
auf irgendein Sein, und indem es ist in Bruch mit was es auch sei, das Rückverwandlung ist aber in Wahrheit eine Um- und Weiterverwandlung.
sich aussagt als Philosophie [...]",187 Denn nach jedem Signifikantendurchlauf erfahrt das Subjekt eine höhere De-

183 Lacan, 1.: Schr. II, S. 43


184 Lacan, J.: S XI, Die vier Grundbegriffe..., S. 304f. (Nachwort)
185 Lacan,1.. S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 381. Hier wäre em Begriff, den Lacan 188 "Wer am Knoten rührt", gibt F. Kittier Lacan anlässlich dessen hundertstem Geburtstag
selten benutzt hat, am Platz: nämliCh der der SelbstverwIrklichung. Wieder. "der den Menschen an das Sprachzeichen bindet, ändert damit seme GeSChichte
186 Die PerhorreSZIerung des Denkens selbst, wie es in der modischen Esoterik Im Schwange und ~as GeSChick semes Seins." ~ittler, F.: "Es ISt eine Tatsache, daß Frauen begabter
Ist, antwortet auf em tatSächliches Dilemma, auf das "Unbehagen in der Kultur", hervorge- smd. Das Treffen m Straßburg: Eme rätselvolle Begegnung mit dem Irrenarzt Jaques La-
bracht durch die Technifizierung, die Herrschaft des "Gestell", die "Zerdenkung" der can, FAZ, 12.04.2001, Nr. 87/ Seite 43)
Wirklichkeit. Das sind selbstredend Kurzschlüsse und Lacan kommt ais Zeuge hier nicht m 189 Lacan, 1.: S XXIII, Le Sinthome, S. 2. Dort spricht Lacan davon, daß Das Katholische Im
Frage. weitesten Sinne bei Joyce die ,,Armatur semer Gedanken" bilde.
187 Lacan, J.: S XX, Encore, S. 15. 190 Lacan, J.: S VII, Die Ethik der PSYChoanalyse, S. 385
86

termination. 191 Der Topos der "Durchquerung des Phantasma" korreliert dem 3 Vom Symptom zum Sinthome
des "Signifikantendurchlaufs". Der (analytische) Signifikant muss ganz und
vollständig das Phantasma durchlaufen/durchqueren, damit das Subjekt eine
"höhere Determination" erfahren kann. Wird sein Durchlauf gestoppt, sein
Lauf aufgehalten oder abgebrochen, kann es dazu nicht kommen.
3.1 Die Destitution
Lacan stellt Luthers Werk mit seinen Invektiven gegen die Selbstherrlichkei-
ten des Renaissance-Subjekts in einen Gegensatz zu den Hervorbringungen
des anthropozentrischen, bewusstseinsorientierten, sogenannten humanisti-
schen Zeitalters. Mehrmals zitierte er den Passus aus den "Reden", worin
Luther vom Menschen als dem "Abfall, der aus dem Hintern Gottes auf die
Welt fällt", spricht. Lacan hat zwischen der Psychoanalyse und dem Ansatz
Luthers gewisse Übereinstimmungen gefunden. Hier ist an die Bewertung
der Ego-Psychologie zu denken und die Vielzahl der spöttischen Bemerkun-
gen über die sicherheitsfixierte und zugleich nur über Simulacren sich her-
stellende Scheinwelt des american way oflife.
Die psychoanalytische Demontage des vorgeblich selbstmächtigen Subjekts
nennt Lacan seine Destitution und die Psychoanalyse als ganze ist gleichsam
das Ritual der Anerkennung der symbolischen Kastration. Wenn die Destitu-
tion vollständig ist, dann ist sie die totale "Selbstzurücknahme, die absolute
Kontraktion der Subjektivität"I92. Lacan schreibt über Ödipus aufKolonos:
"Ödipus, das zeigt alles von Anbeginn der Tragödie an, ist nurmehr
der Abfall der Erde, der Auswurf, der Rest, ein jedes trügerischen
Scheins entleertes Ding."193

Aber die Destitution ist auch die Bedingung einer symbolischen Neugeburt
des Menschen. Denn vom Rest her erfolgt ja die Begründung des begehren-
den Subjekts. Der "Auswurf, der Rest", der seines Sehens beraubte Ödipus,
ruft aus:
"Wenn ich ein Nichts bin, bin ich eine Macht?,,194

Die Destitution ist ein das Subjekt dezentrierendes Durchqueren des Phan-
tasmas bis zu seinem Rand und über diesen hinaus bis zu einem Ort (besser
Nicht-Ort) außerhalb seiner. Wenn das Phantasma aber ermöglicht, eine Rea-

192 Zizek, S.: Die Tücke des SubjektS, S. 209


193 Lacan,1.. S II, Das Ich m der TheOrIe Freuds..., S. 294
191 In seiner Deutung der Erzählung der "Der entschwundene Brief' von Poe versucht Lacan 194 übersetzung von: Wemstock, H., Sophokles, Oidipus auf Koionos, in: Die Tragödien,
zu plausibilisleren, "wie das Subjekt aus dem Durchlauf emes Signifikanten eme höhere Stuttgard 1962, S. 407. SchottilInder übersetzt: "Wie? Ich, zum Nichts geworden, wäre
Determmation erfährt" (Lacan, 1.: Sehr. I, S. 10) Jetzt em MamI?" (Sophokles, Werke, Berlin und Weimar, 1982, S. 183)
88 89

lität zu haben und in einer Welt mit einem ,zentralen Bewohner', dem Ich, miniertheit,,198 und in der 0't11 des cold turkey ist diese Maßlosigkeit und Hy-
zu sein, so heißt, seinen Rahmen zu verlassen, dorthin zu gelangen, wo keine pertrophie absolut auf die Spitze getrieben. DerIDie Süchtige erlebt sich dar-
Welt mehr ist. Hier erlebt das Subjekt seinfading, seine aphanisis. in als pures Objekt, als Ding, des Menschlichen vollständig beraubt, al~ ein
Die Destitution führt dorthin, wo der Mensch der Stütze der sein Weltbild Exkrement, ausgeschieden von der symbolischen Ordnung. Hier ist jeglIcher
strukturierenden Signiftkanten vollständig beraubt ist, wo er reduziert ist auf Anhalt an der Realität verlorengegangen, das heißt: das Phantasma ist auch
einen kreatürlichen Rest. Dieser Ort, sagt Lacan, ist vergleichbar der un- hier vollständig durchquert, weil das Subjekt der fundamentalen Stütze, die
heimlichen 0"11, um den die griechische Tragödie kreist, ein Ort, von dem es in der Realität hält, beraubt ist. Eine solche subjektive Destitution kann als
niemand weiß, "was in ihm wirklich geschieht", Niemand weiß, "was im eine mit dem völligen Zusammenbruch endende erste Durchquerung des
Grab Antigones geschieht,,195, Phantasmas angesehen werden. Die zweite Durchquerung erfolgt dann durch
Die Wahrheit einer Krankheit, so Lacan, ist durch kein referentielles Wissen die Analyse. _
von außen aufschließbar. Man kann nicht in das Grab Antigones hineinse- Die Erfahrung des cold turkey kann zweierlei evozieren: Zum einen kann sie,
hen. Die Wahrheit der Krankheit ist nicht in der Pathogenese oder Ätiologie wie im Fall des Verdurstenden, der nach Wasser lechzt, die Rückkehr zur
zu suchen, sondern, wie Christian Kläui herausstellt, in ihrem Verlauf, "prä- Droge als das einzig Gebotene erscheinen lassen. Der andere Weg beste~t in
zise im privilegierten Zeitpunkt der Krise, in dem es entweder zur Lyse oder einer Art BÜlldnisschluss mit jenem aufgetauchten Ding, das das Subjekt
zum fatalen Ausgang'd96 kommt. selbst ist. Es kann dieses Geschehnis als Wahrheitsereignis gelten lassen und
Hier sei zur Erläuterung dessen, worum es in der Destitution geht, ein Bei- diesem Ereignis, dieser Wahrheit die Treue halten und von hier aus einen
spiel genannt: In der Drogensucht geht das Subjekt der Konfrontation mit der Neuanfang wagen, eine neue Identiftzierung mit irgendeinem Signiftk.anten.
Unmöglichkeit eines Zusammenklangs von symbolischer Ordnung, subjekti- Es kann zum Beispiel eine Analyse machen und wird auf der symbohschen
vem Genießen und Triebbefriedigung durch einen Rückzug in das geschützte Ebene noch einmal zu dem gleichen Punkt geführt. Wenn sie gut verläuft,
Terrain eines durch die Droge bewirkten künstlichen Friedens aus dem Weg. wäre es da angekommen, wo erst, wie Lacan sagt, "die wahre Reise be-
Fehlt aber die Droge, der Stoff, der die (umnöglichen) Verbindungen her- ginnt" ,199 . . .
stellt, wird das Subjekt in einen Bereich geführt, der 0"11 vergleichbar, wo es Die lacansche Analyse - mehr Katharsis als Therapie - führt also em m et-
die erschreckende Bekanntschaft mit dem berüchtigten lacanschen Ding was wie die 0"11. Die Destitution ist der Prozess des Entzuges aller spezift-
macht, der jeden trügerischen Scheins entleerten Lebenssubstanz selbst, mit schen Komponenten, die Weltbild und Wirklichkeitssinn des Subjekts struk-
dem rohen und wunden Stück Fleisch, das es selbst ist. Der cold turkey, wie turierten. Es wird reduziert auf sein nacktes Etwas, das eins ist mit seinem
die Süchtigen diesen Zustand nennen, ist gekennzeichnet durch seinen "maß- Nichts: ein Nichts, das etwas ist, bzw. ein Etwas, das nichts ist. Dieses Zu-
losen, übertriebenen Charakter"I97, gewissermaßen durch seine "Überdeter-

verilihrte mICh dank des Gebots und hat mir durch es Todesbegehren gemacht." Bis hier-
195 Lacan, 1.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 356 hm der Paulus-Text Römerbrief 7, Absatz 7, variiert durch bewusste Ersetzung. Lacan
196 Kläui, Chr.: Was machen Wir, wenn wir eme Analyse machen?, m: Riss, Zeitschrift fUr fährt dann fort:
Psychoanalyse. Freud.Lacan. Nr. 41, S. 47 Ich denke, daß seit einem sehr kurzen Augenblick emlge von Ihnen zumindest die V~rmu­
197 Lacan,1.. S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 104 - Lacan zItiert wörtlich Pauius. um tung haben. es sei nicht mehr ich, der spncht. Tatsächlich ist das, bis auf eine kieme Ände-
die durch das Verbot, bzw. Gesetz herbelgefilhrte Hypertrophie der Sünde mit semen The- rung - Ding anstelle von Sünde -, die Rede des heiligen Pauius über die BeZiehung von
sen zum Ding kurzzuschließen. Dabei ersetzt er schlicht den Begriff "Sünde" bel Paulus Gesetz und Sünde, [.. .]. Das VerhältniS von Ding und Gesetz könnte nicht besser alS m die-
durch "Ding". Paulus liest Sich dann wie folgt: sen AUSdrücken defimert werden [.. .]. Das dialektische Verhältnis von Begehren und Ge-
"Ist das Gesetz das Ding? Sicher mcht. Immerhin, ICh hatte KenntniS vom Ding nur über setz läßt unser Begehren allein auflodern m emem VerhältniS zum Gesetz, durch das es
das Gesetz. In der Tat, hätte ich mcht den Gedanken gehabt, begleng auf es zu sem, hätte TOdesbegehren wird. Allein aus der TatsaChe des Gesetzes nimmt die Sünde [...] einen
das Gesetz nicht gesagt - Du sollst es mcht begehren. Doch weckt das Ding, wenn es nur maßlosen übertriebenen Charakter an. Bleiben wir durch diese fteudianische EntdeCkung,
Gelegenheit findet, m mu allerhand Begehrlichkeiten dank des Gebotes, denn ohne das die psychoanalytische Dialektik dieser TatsaChe verhaftet?" (Lacan, 1.. S VII, Die Ethik
Gesetz ISt das Ding tot. Nur, Ich war lebendig ehedem, ohne das Gesetz. Doch als das Ge- der Psychoanalyse, S. 104)
bot kam, loderte das Ding auf, kam von neuem, während ICh den Tod fand. Für mich filhrte 198 Das Symptom ist bei Freud bekanntlich "überdetermlmert"
das Gebot, das ms Leben fuhren sollte, zum Tod. denn das Ding, das Gelegenheit fand, 199 Lacan.1.. Schr. I, S. 70
90 91

Nichts-geworden-Sein ist die Voraussetzung für eine neue positive Identifi- sam dem Index ,symbolisch', wird das sein, was "aufgehört haben wird, sich
zierung. Ein dezisionistischer Akt ermöglicht dann die Identifizierung mit nicht einzuschreiben", mit welcher Formel Lacan bekanntlich das Symboli-
dem neuen Signifikanten. 2oo sche bezeichnet. Das Symbolische ist, was "aufhört, sich nicht einzuschrei-
ben".201
Das Eingeführtsein in die ä't'll, vom Subjekt alsWahrheitsereignis akzeptiert,
3.2 Die Vernähung
wird qua eines symbolischen Aktes, einer symbolischen Operation erneut
Was aber ist mit dieser neuen Identifizierung? Nach Durchlauf des analyti- vernäht mit einer fiktiven Struktur. Dieser Vorgang ist die Neu-
schen Signifikanten erfahrt das Subjekt eine neue (und höhere) Determinati- Determinierung des alten Imaginären. Lacan spricht ja von der fiktiven
on und hierbei handelt es sich um die Neu-Determinierung des alten Imagi- Struktur, die der Wahrheit stets eignet. Wie aus dem Kapitel über "Lacans
nären. (Dies ungeachtet dessen, dass das Subjekt inzwischen gelernt haben Ödipus auf Kolonos" hervorging, ist die Theorie des Ödipuskomplexes
mag, worauf es möglicherweise nicht lohnt, sein Begehren zu richten.) Eine selbst eine solche Fiktion, geleitet von dem Versuch der Rationalisierung des
direkte Umsetzung der realen Erfahrung der äTIl ins Symbolische hieße, in Ausweglosen der Sexualität. Die Theorie des Ödipuskomplexes ist also eine
ein leeres und abstraktes Nichts einzutauchen. Es bedarf der Wiederherstel- Wahrheitsfiktion, die einem Wahrheitsereignis, nämlich dem Auftauchen des
lung und Wiederaneignung des Imaginären, um das Symbolische in sein Ausweglosen, des Unmöglichen der Sexualität, entspricht. Sie ist die Über-
Recht zu versetzen. Das alte Imaginäre mit einem neuen Vorzeichen, gleich- setzung eines Wahrheitsereignisses in eine Narration.

Der Topos der "Vernähung" stammt nicht von Lacan, sondern von J. A.
200 Lacan war durch die Vermittlung KOjeves bestens mit Hegei vertraut. Auch wenn Lacans Miller, der mit der Entfaltung dieses Begriffs einen Beitrag zur Mathemisie-
Theone der Analyse als hegelianlsch zu bezeichnen danebengreift, weil sie eme radikale rung des lacanschen Nicht-Mathems leistete. 202 Was die transkribierten Se-
Absage an alle Spielarten des Idealismus Impliziert, ja m ihren Gründungsakt diese Absage
geradezu emgeschrieben ISt, so gibt es dennoch Parallelen, jedenfalls smd gewisse Voraus- minare Lacans angeht, so ist Miller der Auffassung, dass ein Original nicht
setzungen gleich. Zumindest macht Lacan Immer Wieder gern emen ,techmschen existiert. Es gibt nur Transkriptionen eines nicht existenten Originals. Das
Gebrauch' von hegeischen Begriffen und Mustern. - Bei Hegel gibt es die berühmte Stelle Nicht-Mathem ist hier das nicht existente Original und das Mathem die
über die "Nacht der Welt", die em leeres SUbJekt, em Subjekt als reme Negativltät vor- Transkription. Von Millers Gegnern werden solche Normalisierungen der la-
stellt. Sie lautet: "Der Mensch ist diese Nacht, dies leere Nichts, das alles m ihrer Einfach-
heit enthält - em Relchthum unendlich vleier Vorstellungen, Bilder, deren kemes ihm ge- canschen Lehre, die Begriffe einführen und stark machen, die so bei Lacan
rade einfällt -, oder die nicht als gegenwärtige smd. Dies die Nacht, das Innere der Natur, nicht zu finden sind, stets mit Missfallen goutiert, jedoch ist ihre Nützlichkeit
das hier eXistiert - reines Selbst, m phantasmagonschen Vorstellungen ist es nngsum kaum zu bestreiten.
Nacht, hier schießt dann em blutiger Kopf - dort eme andere weiße Gestalt plötzlich her- Miller rekurrierte in Bezug auf die Vernähung auf Gottlieb Freges Theorie
der Null203 und nähert sie Lacans Signifikantentheorie an. Den Bezug des
vor und verschwmdet ebenso - Diese Nacht erblickt man, wenn man dem Menschen ms
Auge blickt - m eme Nacht hmem, die furchtbar wird - es hängt die Nacht der Welt hier
einem entgegen." (Hegel, G.W.F.. Jenaer Systementwürfe III. Naturphilosophie und Philo- Subjekts (des Statthalters eines Mangels) zur Signifikantenkette nannte er
sophie des Geistes, Voriesungsmanusknpt zur Realphilosophie, Hamburg, 1976, S. 187) Vernähung. Die Pointe besteht eben darin, dass, wie die Null von vornherein
Diese "Nacht der Welt" hat zweifellos Ähnlichkeit mit Lacans äTT], dem "Ort ZWischen immer schon mit der Reihe der Zahlen, genauso das (leere) Subjekt mit der
zwei Toden", wo das Subjekt Im sozlO-symbolischen Netzwerk kemen Platz mehr hat, wo
es bar jeder psycho-sozIalen Vertäuung ISt, aber physisch noch am Leben. Auch bei Hegel
Kette der Signifikanten vernäht ist. Die Null, bzw. die Leerheit "durch-
ISt eine radikai negatzve Geste vonnöten, em Eintauchen m absoiute Negativltät, um Wirk-
lich Subjekt zu werden. Es genügt, das Hegel-Begriffsreglster unter "Negation, Negatives,
Negativltät" aufzuschlagen, um Sich dessen zu vergewissern. Hier zur Probe elmge Zitate 20 I Lacan defmiert, strukturalistisch VirtuOS, das Reale als das, was "nicht aufhört, Sich mcht
daraus: "Selbstbewußtsem erhebt semen Geist durch die Negation zu semer Waltrheit." emzuschreiben", das Imaginäre als das, was "mcht aufhört, Sich einzuschreiben" uno eben
(443) "Negation als das Negative des Negativen ist das Unendliche die (SIC) Affirmation." oas Symbolische als das, was "aufhört, Sich mcht einzuschreiben" Weiter unten Wird zu
(443) "das Negative des Negativen ISt das mnerste Moment des Lebens und Geistes, wo- sehen sein, inWiefern es möglich ISt, diese Definitionen als Koan oer lacanschen Lehre zu
durch em Subjekt, Person, Freies ISt" (445); "als die absolute Negativität ISt das negative lesen.
Moment der absoluten Vermittlung die Einheit, weiche die SubjektiVität und Seele 1St." 202 Miller, J.A.. La suture. Elements d'une logique ou signifiant ("Die Vernähung. Elemente
(445) (Die Seitenzahlen m Klanunern beZiehen sich auf: Hegel, G.W.F.. Werke m zwanzig emer Logik oes Signifikanten")
Bänden, Registerband) 203 Frege, G.. Die Grundlagen der Arithmetik. (1884), Hamburg, 1986
92 93

steppt" die Reihe der Zahlen, bzw. die Signiftkantenkette. Auf der Struktur- jeweiligen Rollen und Positionen identiftziert, was bei letzterem nicht der
ebene lässt sich die ä'tll der Null und dem leeren Subjekt gleichordnen und Fall ist. Das Sich-Verlieren in Rollen und Positionen entspricht der Signift-
das alte Imaginäre, in das sich ihre Erfahrung zurückübersetzen muss, ent- kantenkette, die mit der Leere, dem ,ohne Rang', je schon vernäht ist, bzw.
spricht zum einen der Reihe der Zahlen, zum anderen der SignifIkantenkette. der Null, die mit der Reihe der Zahlen je schon vernäht ist.
Ein Beispiel für das, was Vernähung auch heißen kann, lässt sich anhand der Es muss immer irgendeine Art Rückübersetzung des Symbolischen ins Ima-
Rezeption des ,Zen im Westen' verdeutlichen. Es ist kein unbekanntes Phä- ginäre geben. Der Ödipus auf Kolonos lehnte die Angebote seiner Unterred-
nomen, dass westliche Menschen, die über Jahre hinweg das Zen üben, sich ner, wichtige Funktionen in der Polis zu übernehmen, ab. Das wäre ein Bei-
zum Christentum, das sie schon fast abgelegt glaubten, zurückwenden, in spiel für das, "was man schamhaft negative therapeutische Reaktion
den meisten Fällen im übrigen, ohne sich vom Zen abzuwenden. Gewisser- nennt,,204. Ödipus Ablehnung war gewissermaßen die Ausschlagung des An-
maßen kommt nach der Durchquerung des Phantasma (denn auch die Zen- gebots von Rückübersetzung. Ein Ziel des analytischen Handelns ist aber ge-
Übung durchquert das Phantasma) die Urnaht mit der alten, narrativen Fik- rade diese Rückübersetzung. Sie wird in der Tragödie nicht erreicht. Lacan
tion, mit der die Leere von Anfang an schon vernäht ist, zum Vorschein. Das benutzt sie nur, um letzte Konsequenzen aufzuzeigen.
Zen hat keine eigene Farbe, heißt es entsprechend, vielmehr nimmt es die
Farbe der Landschaft an, in der es seine Formen entfaltet. Das Zen schafft Unabhängig von der Frage einer Psychoanalysierbarkeit der Gesellschaft, die
nur die tabula rasa für einen Neubeginn. Natürlich bewirkt es zumindest ei- ein eigenes Problem darstellt, das hier nicht behandelt werden soll, kann
ne Affmität zum Buddhismus, jedoch wäre es völlig falsch, es als das Fahr- doch grundsätzlich gesagt werden, dass die Problematik der Anerkennung
zeug für eine Konversion zu begreifen. Es besteht sogar, nicht ohne Berech- der symbolischen Kastration etwas Universal-Menschliches berührt, das in
tigung, -die Auffassung, das Zen habe im Grunde gar nichts mit Buddhismus ihrem geschichtsmächtigen Formuliertwerden jedesmal zu den großen
zu tun. Ein Missverständnis läge allerdings auch vor, fasste man die Ankunft Wahrheitsereignissen in der Geschichte zählt. Der Mensch wird dabei daran
des Zen im Westen als den Versuch einer Rückbindung des westlichen Men- erinnert, dass er nicht ganz, heil und vollständig ist, sondern Mangelwesen
schen an das spezifische religiöse E~be auf. und vom Rest her lebt und es wesentlich mit etwas zu tun hat, das sich
Mit dem Topos der Vernähung lassen sich Felder von hohem Komplexitäts- grundsätzlich seiner Verfügungsgewalt entzieht. 205 Das Subjekt ist dieser
grad variabel kompatibilisieren und dabei lässt sich die Gefahr einer die Dif- Rest, ebenso wie der neue Signifikant nach der Durchquerung des Phantasma
ferenzennicht schonenden Vereinheitlichung minimieren. Zum Zweck der auch das Subjekt ist. Es ist mit diesem Rest vernäht. Die Psychoanalyse er-
Kompatibilisierung des lacanschen Feldes mit dem des Zen, mit dem wir innert daran, dass die eigentliche Menschwerdung immer nur über die Kon-
hier langsam begonnen haben, sei noch ein weiteres Beispiel für die Vernä- frontation mit dem fundamentalen Mangel an Sein und seiner Anerkennung
hung aus dem Bereich des Zen selbst genannt. Von dem chinesischen Meis-
ter Rinzai dem Begründer der nach ihm benannten Zen"Schule, stammt der
Topos "Mensch ohne Rang". Der "Mensch ohne Rang" ist der Mensch ohne 204 Lacan, 1.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 373
Rollen und Positionen, der entblößte Mensch, bar jeder psycho-sozialen Ver- 205 Es lassen SIch vor dem Reflexionshonzont der Problematik der Anerkennung der symboli-
täuung. Dögen, der Gründer der japanischen Soto-Schule, übernahm diesen schen Kastration jedoch mteressante BeObachtungen aus den Bereichen von Gesellschaft
und Politik anstellen: Z.B. ISt, woraufZizek emmal hinwies, rechte Politik tmmer geketm-
Topos und behauptete aber, dass gerade der "Mensch ohne Rang" sich je- zeichnet von emem Ausgehen davon, dass der Mensch Im Grunde heil ISt, vollkommen
weils in Rollen und Positionen verlieren würde, ja müsste, ohne dass er da- und ganz. Auch die Nation ISt em organischer Körper. Linke Politik demgegenüber SIeht
durch aufhörte, eben dieser "Mensch ohne Rang" zu sein. Er ist je schon in einen Antagomsmus mitten durCh die GesellSChaft gehen, wie auch durch Jedes Einzelwe-
Rollen und Positionen verloren. Alles und jedes hält sichje schon in seiner sen. Ein gebrochenes Verhaitnis zur Macht ISt daher zwangsläufig und die SchwierigkeIten
linker Politik smd klar ersichtlich. Die Inszemerungen des FaschIsmus können vor diesem
eigenen Dharmaposition. Der Unterschied zwischen dem "Mensch nicht oh- Hintergrund als die tiefste und fundamentalste Leugnung der KastratIOn begriffen werden.
ne Rang" und dem "Mensch ohne Rang" ist der, dass ersterer sich mit seinen Der FaschIsmus Ist die Inszenierung der Leugnung der KastratIOn. Der Versuch der Ver-
nichtung der Juden schreibt sich hier ein als Versuch, das Erinnertwerden an die Kastration
zu tilgen, denn das ,JüdiSChe Begehren" ISt unter mcht-femöstlichen Himmeln, worauf La-
can an vielen Stellen hmweist, das erste mcht-heidnische Begehren, em durch die Aner-
gest. 866/67, chin.. Lin-chl kennung der symbolischen KastratIOn formiertes Begehren.
94 95

geschehen kann. Aber sie ermöglicht auch weiterzuleben, die Einsicht in den ,,[...] alles, was uns erlaubt ist anzugehen als Realität, (bleibt) einge-
Abgrund des Lebens nicht als Abbruchssignal zu interpretieren. wurzelt im Phantasma,,207,

Damit wäre die jeder Praxis der Psychoanalyse vorausgehen müssende Fra-
3.3 Das Phantasma der Realität und das Reale ge, ob die Komplexität des Phantasma ein undurchdringliches Gespinst bil-
Einer populärwissenschaftlichen Auffassung zufolge ist das Symptom der det, also nur die Kehrseite einer anderen Frage, nämlich der, ob es ein "Jen-
Knoten, der das Subjekt am Genießen hindert. Lacan behauptet das Gegen- seits des Realitätsprinzips,,208 gibt. Dies gilt es bei Lacan stets mitzudenken,
teil: Das Symptom ist gerade der Zugang des "Sprechwesens" zum Genie- wenn es um die Frage geht, ob die "Verklebung,,209 des Subjekts mit dem
ßen. Im Symptom ist diejouissance formiert. Es garantiert einerseits, dass es Phantasma unlösbar ist oder nicht.
Genuss gibt, andererseits gewährleistet es, dass er nicht unerträglich wird, Phantasma und Realität gehören bei Lacan auf dieselbe Seite, sie sind
denn das Symptom ist der Knoten, der für den Zusammenhalt des Univer- "Schleier der Maya", auf der anderen stehen das Reale und die Wahrheit.
sums des Symbolischen mit dem subjektiven Genießen, derjouissance, steht. Das Verhältnis von Realem und Phantasma liest sich bei Lacan so:
Das Symptom ist eine .verirrung', die Störung des universalen Gleichge- "Das Reale stützt das Phantasma, das Phantasma beschützt das Rea-
wichts und gleichzeitig dasjenige, wodurch sich für das Subjekt die Realität le.,,210
in ihrer subjektspezifischen Dichtigkeit formiert. Es verhindert so zwar ge-
wissermaßen die Menschwerdung, aber gleichzeitig kommt ihm eine stabili- Das Reale ist nicht die Realität, diese ist vielmehr ein Effekt der Abwehr des
sierende Funktion zu, es verbürgt eine gewisse "Selbst- und Bewegungs- Realen, dessen Erfahrung das Register des Wahren gebiert. Deshalb lautet
mächtigkeit" (K. Heinrich). Dass dem Subjekt etwas erscheint (und nicht die der analytischen Praxis vorausgehen müssende Frage: Gibt es einen Zu-
vielmehr nichts 206), dass Objekte da sind, auf die sich seine Fantasien bezie- gang zum Realen ,hinter' den Maskierungen des Phantasmas, lässt sich also
hen können, verdankt es dieser Stütze. Das Symptom gewährleistet so nichts der Schirm des Phantasma, das ununterschieden von der Realität selbst ist,
weniger als die Existenz von Welt und den Zusammenhang der Dinge. lässt sich dieser "Schleier der Maya" durchdringen, um in die Dimension des
Insofern ist es immer bereits eine Antwort, nicht nur eine Frage. Es ist Bear- ,wahr' vorzustoßen? Lacans Aufforderung an den Analytiker, sich nicht auf
beitung, also Depotenzierung des ,Schreckens der Urszene'. Deshalb ist es die "krude Frage nach dem Trauma" zu kapriZieren, supponiert das Gehören
letztlich leichter zu ertragen als sein Fehlen. Der Wille zur Heilung und der des Trauma zum Phantasma. Nur das, was Lacan das Reale nennt, gehört
Wunsch, im Phantasma zu verharren, befmden sich deshalb bei einem Sub- nicht dieser Ordnung an. Es ist wie mit den Ketten der Signifikanten, die
jekt, das nach einer Analyse verlangt, in einem instabilen und heiklen durch das Reale, bzw. seine Abwehr, generiert werden, aber es, das Reale,
Gleichgewicht. gehört selbst nicht zu ilmen. Das Objekt der Angst - Die Angst ist "nicht oh-
ne Objekt"211- ist nicht die Berührung des Traumas, sondern das Reale. Die
Es gibt keinen Wissenstrieb, lehrt Lacan (Freud widersprechend), wohl aber
einen Willen zum Nicht-Wissen. Das Wissen selbst kann eine Erscheinungs-
form des Willens zum Nicht-Wissen sein. So ist das Phantasma mit seinem 207 Lacan, J.: S XX, Encore, S. 102
inhärenten Wissen nach den Erfordernissen eines orientierten Willens ausge- 208 "Jenseits des Realitätsprinzips", so auch der Titel emes Textes von Lacan m: Lacan, J.:
Schr. III. S. 15ff.
richtet, nämlich dem, nicht wissen zu wollen. Das Symptom nun bürgt für 209 Freud benutzte den AusdruCk "Klebngkeit der Libido".
das Phantasma mit seinem inhärenten Wissen und die Realität gleicherma- 210 Lacan, 1.. Sem. XI, Die vier Grundbegriffe , S. 47
ßen,denn 211 "Die besten Autoren lassen durchblicken [ ]: dass sie nicht objektlos, daß sie mcht ohne
Objekt ist. In dem Satz [...] der dem Verweis vorausgeht, den Freud, darin der TraditIOn
folgend. auf die Unbestimmtheit. auf die Objektlosigkeit der Angst anbrmgt - und ich
müßte Sie, kUrz gesagt, nur an den Hauptteil des Aufsatzes selbst ennnem, um zu sagen,
206 Um auf Heideggers berühmten Satz anzuspielen: "Warum Ist überhaupt etwas und mcht daß dieses Kennzeichen, ohne Objekt zu sein, niCht aufrechterhalten werden kann -, in e-
Vielmehr mchts?" Eine buddhistische Variante dieses Satzes könnte lauten: "Warum ISt ben diesem Satz zuvor sagt Freud, die Angst sei Angst vor etwas." (Lacan. J.: Semmar X,
überhaupt Leiden und mcht Vielmehr nichts?" und eine lacanlanlsche: "Warum Ist über- Die Angst, Teil II, S. 5) Der Satz von Freud, auf den Lacan anspielt, lautet: "Die Angst hat
hauptjouissance und nicht Vielmehr nichts?" eme unverKennbare BeZiehung zur Erwartung; sie ISt Angst vor etwas. Es haftet ilJr ein
96 97

Analyse, die sich auf die Erforschung des Traumas spezialisiert, arbeitet Von grundlegender Bedeutung ist, dass die Analyse Lacans, indem sie den
selbst noch an der Verbergung des Objekts der Angst, des Realen und so Entzug der Stütze des Phantasmas ins Werk setzt, zugleich den Bestand der
letztlich also an der Aufrechterhaltung der Angst. Realität selbst und als solcher destituiert, denn die Existenz von Objekten in
Die Ablösung der Verklebung des Subjekts mit dem Phantasma setzt seine der Realität, auf die sich das Begehren als Metonymie jener ursprünglichen
vollständige Durchquerung voraus, was eben nicht heißt, zu einem traumati- Hilflosigkeit, jenes fundamentalen Mangels bezieht, ist nur verbürgt im
schen Kern zu gelangen, sondern zum Realen der jouissance außerhalb des Phantasma. Der Analysant erfährt in einer solchen Analyse, dass, was er für
phantasmatischen Realitätsrahmens; zu einer Konfrontation mit dem Objekt die Realität hält, um es paradoxal zu formulieren, in Wirklichkeit gar nicht
klein a, der Objektursache des Begehrens. Traumatische Bilder wie das der existiert. Die Analyse ist aber nicht als Initiation in ein solches (Ge-
Maske der Gorgo sind selbst letzte Verschleierungen, Verhüllungen des Ob- heim)Wissen anzusehen, sondern nur als der Initiator zur Anerkennung der
jekts der Angst, des Realen, also selbst bereits Depotenzierungen. Jede De- symbolischen Kastration.
maskierung enthüllt auf der Ebene des Traumas immer nur eine neue Maske Lacans Topos "Schirm des Phantasma" ist also tatsächlich sehr gut mit dem
und das Reale selbst bleibt auch hinter den schrecklichsten Bildern verbor- vedischen des "Schleier der Maya" zu vergleichen, denn dieser Topos aus
gen. Die Gorgomaske ist eben immer noch eine Maske und das Objekt der der alten indischen Philosophie besagt, dass die Realität und das Phantasma
Angst bleibt, solange noch eine Maske da ist, verschleiert, eben maskiert. in Ununterschiedenheit das schwer zu durchdringende Gespinst bilden, das
Das Reale aber ist vom Bereich des Bildes und der Maske noch durch einen die Erkenntnis der ,wahren Natur der Dinge' so schwer macht. Aber so we-
Abgrund getrennt. nig wie das Phantasma existiert die Realität wirklich. Auch Zen-Meister Tai-
Es tritt aber hervor nach der vollständigen Durchquerung des Phantasmas. sen Deshimaru hielt es für seine vordringlichste Aufgabe, seinen Schü-
Hier gibt es dann keine Bilder mehr, hinter denen es verborgen bleiben kann. ler/Innen eben dies nahe zu bringen:
Jene "fundamentale Hilflosigkeit", die nach Lacan das Objekt der Angst ist,
tritt erst hervor, wo alle Masken, die zu ihrer Verbergung dienen, abgefallen "Ihr müßt begreifen, dass es keine wirkliche Realität gibt."z13
sind. Hier ist das Subjekt in status nascendi. Deshalb gibt es nach Lacan
auch nur ein Trauma und das ist das der Geborenheit. "Da ist ursprünglich kein (einziges) Ding", heißt es in einem alten Zen-
Text,Z14 Der Entzug der Objekte in der Realität, im Phantasma führt auch im
" - es gibt kein anderes -, das Trauma der Geburt, das nicht Trennung Zen zu einer Konfrontation mit einem ursprünglichen Mangel, einer Leere,
von der Mutter ist, sondern In-sieh-einatmen dieses grundlegend an- einhergehend mit der Destitution der subjektiven Basis. Wie es bei Lacan die
deren Milieus."ZlZ
Konfrontation mit dem Realen ist, die in die Dimension des ,wahr' einführt,
Seiner Hilflosigkeit in der Welt erwehrte sich das in/ans mittels der Verken- so ist es im Zen der "große Tod", der die Tür zum Dharma öffnet. Bei die-
nungen des Spiegelstadiums. Durch sie erlangte es eine stasis und inthroni- sem Hinweis wollen wir es vorerst belassen und an dieser Stelle nur noch ei-
sierte das Phantasma und die Realität als die Maske des Realen zugleich und ne weitere Konjektur hinzufügen, um die Differenz von Realem und Reali-
als das gleiche. Deshalb ist das Durchquerthaben des Phantasma gleichbe- tät/Phantasma bei Lacan besser bestimmen zu können. Der Schirm des Phan-
deutend mit dem Entzug der subjektiven Basis in der Realität. Das Objekt tasma dient zur Abwehr des Realen und die Realität, ununterschieden vom
der Angst ist einzig ,zugänglich' in dieser fundamentalen Hilflosigkeit, in Phantasma, verdankt ihre Existenz dieser Abwehrhandlung. Zizek bringt in
dem der phantasmatische Realitätsrahmen des Subjekts vollständig zusam- dem Zusammenhang den Begriff der "Idealisierung" ins Spiel. Er schreibt,
mengebrochen, destituiert ist. Das Objekt der Angst ist so nichts positiv ge- dass die Realität
gebenes, vielmehr im Entzug jeden Objekts zu sehen, in dessen Maskierung ,,[...] durch das Minimum an Idealisierung erzeugt (wird), deren das
es verborgen bleibt. Subjekt bedarf, um das Grauen des Realen zu ertragen. [...] Wenn
sich der phantasmatische Rahmen auflöst, erlebt das Subjekt einen

Charakter von Unbestimmtheit und Objektloslgkeif an." (Freud, S.. GW, Band XIV, S.
197)
213 Deshlmaru, T.:Dökan, S. 59
212 Lacan, J.: S X, Die Angst, Ir. Teil, S. 175 214 Hui-Neng, Das Sutra des sechsten PatriarChen, S. 38
98 99

,Realitätsverlust' und beginnt die Realität als ein ,irreales'albtraum- Literatur für solche Ausflille des Universums der Repräsentationen ließen
haftes Universum zu empfmden, das kein stabiles ontologisches Fun- sich viele anführen. Walter Benjamin bringt im Protokoll der "Zweiten Ha-
dament besitzt. Dieses albtraumhafte Universum ist keine ,reine schisch-Impression" dergleichen Erfahrung in einen Zusammenhang mit
Phantasie', sondern, im Gegenteil, das, was von der Realität dem Schwinden der Aura als "Quelle der Sympathien und Antipathien, derer
übrigbleibt, wenn sie ihrer Stütze in der Phantasie beraubt wird.'<215 wir uns bewusst sind,,217.
Die Fantasie feHlt deswegen bei Lacan auf die Seite der Realität. Sie hält den Bloch wollte leise mein Knie berühren. Die Berührung wird mir
,Realitätssinn' des Subjekts aufrecht. Das Lob der ,Macht der Fantasie' steht ~chon, ehe sie mich erreicht hat,
spürbar, ich empfmde sie als höchst
so in vielen Fällen gleichzeitig mit der Realität und dem Imaginären im unangenehme Verletzung meiner Aura. Um das zu verstehen, muß
Bunde, sie ist keineswegs irgendeine Art Antidot zu den ,herrschenden Ver- man mitberucksichtigen, daß [unter dem Einfluß von Haschisch, lA]
hältnissen', als das ihre Apologeten sie gern ausgeben. alle Bewegungen an Intensität und Planmäßigkeit zu gewinnen schei-
nen und daß sie schon als solche unangenehm wahrgenommen wer-
den.'<218
3.4 Die Präsenz des anderen
Das lacansche Reale könnte auch bestimmt werden als der Sinn im Moment
Die Analyse fUhrt das Subjekt dorthin, wo es sich der reinen Präsenz des an-
deren ohne den Rahmen, den Realität und Phantasma gleicherweise stellen seines Schwindens oder als Hervortreten des Nicht-Sinns als Ereignis. Was
und innerhalb dessen ihm ein mehr oder weniger defmierter Platz im psycho- bleibt isteine reine Präsenz als unbestimmtes, durch seine Nähe zutiefst be-
fremdendes Körperhaftes. Insofern das Reale ist, "was nicht aufhört, sich
sozialen Netzwerk zugewiesen ist, ausgesetzt sieht. Das entsublimierte Auf-
tauchen des anderen stellt einen, ja vielleicht den Wendepunkt der Kur dar nicht einzuschreiben", hat es keinen positiv zu bestimmenden Ort und wenn
Lacan sagt, dass es stets an derselben Stelle wiederkehrt, so memt Stelle e-
und korrespondiert in Lacans Theorie bis zur Deckungsgleichheit mit dem
analyseinduzierteh Auftauchen des Ding. Zu einem plötzlichen Wegfall die- ben jenen Nicht-Ort, das Loch in der Struktur, eme reme Negativität, von. der
aus das Universum der Repräsentationen konstituiert ist, ohne selbst zu Ihm
ses Rahmens und zum Hervortreten des anderen als reiner Präsenz, kommt
es jedoch auch außerhalb der analytischen Situation. Zizek gibt hierfür ein zu gehören. Denn dieses Universum ist ursprünglich die Abwehr des Realen,
treffendes Beispiel: eines hilflos machenden namenlosen Schreckens. Im Zusammenhang der
Dinge selbst, der ja erst ein Effekt dieser Abwehr ist, kommt es nicht vor.
"Während des intensivsten Geschlechtsverkehrs kann es uns passie- Die massive Präsenz des anderen, sein Hervortreten außerhalb des psychoso-
ren, daß plötzlich ,der Film reißt'. Völlig unvermittelt stellt sich die zialen ,Kontexts', ist die Verkörperung einer reinen Negativität. Vom leben-
Frage: ,Was mache ich hier eigentlich, warum vollführe ich hier im digen anderen als in bedrohlicher Nähe befindlichen wie fremden Stück Flei-
Schweiße meines Angesichts all diese blödsinnigen Bewegungen?' sches geht dann eine uneinschätzbare Bedrohung aus, die die Position des
Die Lust schlägt in einem solchen Moment um in Ekel oder zumin- Subjekts von ihrem Grund her gefahrdet. .
dest in ein befremdliches Gefühl der Distanz. Entscheidend dabei ist, Bar seiner Position innerhalb des psychosozialen Repräsentationszusam-
daß sich in Wirklichkeit nichts verändert hat, außer daß sich die Posi- menhangs begegnet der andere als solcher. Die Forderung der Übertragung
tion des anderen innerhalb unseres phantasmatischen Rahmens nicht
mehr dieselbe ist. ,,216 durch die analytische Technik treibt auf jenen Umschlagpunkt zu, wo sich
der andere als mehr oder weniger umgrenzte Form (dieser Mensch mit die-
Die Präsenz des Nebenmenschen wird in einer solchen Situation unvermittelt sem Namen und diesen Eigenschaften etc.) auflöst und das Subjekt sich mit
als unerträglich und bedrohlich empfunden. Hier koinzidieren die Wahrneh- dem anderen als solchen konfrontiert sieht. Das Schweigen des Analytikers,
mung absoluter Fremdheit (Alterität) und absoluter Nähe. Beispiele aus der

217 Purucker v.. G.. Esoterische Philosophie. Wörterbuch, S. 45


215 Ziuk, S.. Liebe deinen Nächsten?..., S. 113 218 BenJamm, W.. Gesammelte Schriften, Band VI, S. 563 (protOkolle zu Drogenversuchen,
216 Ebd., S. 112 Hauptzüge der zweIten Haschischimpression)
100 101

die Nicht-Antwort und der nicht mehr stattfmdende, die gegenseitige Aner- 3.5 Die Rückverwandlung des Symbolischen ins Imaginäre
kennung visierende Worthandel evozieren diese Erfahrung:
Wie kann man stch über die Welt freuen,
"Bestimmte Momente des Schweigens in der Übertra~ung stellen die außer wenn man zu ihr flüchtet?
schärfste Wahrnehmung des anderen als solchen dar." 19 (Franz Kafka)
In dieser Art Kollaps der Übertragung erlebt das Analyse-Subjekt, was La- In Lacans Analyse geht es nicht um einen Kampf gegen das, was beim Sub-
can seinfading nennt, sein Verschwinden in den Fluchten der Signifikanten, jekt den ,normalen' Lebensvollzug hindert, um es als Störendes zu eliminie-
die keinen Anhalt mehr an irgendeiner Reziprozität mit einem Gegenüber ren. Der Sinn der Konfrontation mit dem Realen ist nicht der, die Patholo-
bieten. gien auszuschalten, damit das ,gesunde Ich' hinfort in der Lage ist, unbeläs-
tigt von solch störenden Einflüssen sein ,normales' Leben weiterleben zu
3.4.1 Das Recht des Subjekts
können. Es geht, mit den Worten Zizeks, nicht darum,
M. Sylvestre hat in einem Aufsatz zum Thema der Übertragung daran erin-
,,[...] das schmutzige Wasser (der Symptome, der pathologischen
nert, dass der Analysant, wenn er Gefahr läuft, den Boden unter den Füßen
Ticks) loszuwerden, um das Kind (den Kern des gesunden Ichs) zu
zu verlieren, das Recht auf Anmesie hat. 220 Der Abbruch der Analyse in ei- retten, sondern vielmehr das Kind auszuschütten (das Ich des Patien-
ner solchen Phase fmdet so seine Entsprechung in jenem schon angeführten ten auszuschalten), um den Patienten mit seinem ,schmutzigen Was-
Beispiel von dem verstörenden Traum, aus dem der Schläfer erwacht, um ser' zu konfrontieren, mit den Symptomen und Phantasien, die seine
weiterschlafen zu können. Der Träumer schützt sich durch das Erwachen vor jouissance strukturieren. ,,222
einem sich ankündigenden Hervortreten des Realen, indem er die stützenden
Illusionen des Wachseins wiedererichtet. Die Analyse visiert auch nicht Normalität, Glück, Wohlbefinden, ihr An-
Abbruch ist also der eine Weg, der das Subjekt wieder herausführt aus dem spruch zielt auf Wahrheit. Aber Wahrheit ist kein Wissen, über das beliebig
durch seine Psychoanalyse evozierten Dilemma der drohenden Lösung sei- zu verfugen wäre. Sie ist kein Haus, in das man einziehen könnte, um eine
ner Verklebung mit dem Phantasma, anders gesagt: des Durchlässiggewor- sichere Unterkunft zu haben und sie kann wehtun.
denseins der Realität auf das Reale hin. Die einen brechen ab, da sie zu Die Konfrontation mit dem "schmutzigen Wasser" des Symptoms, der Pa-
Recht zuerst die Verdichtung und dann die Auflösung ihrer im Schutz des thologien und Verfehlungen, hinter denen, wie zu begreifen ist, kein echter
Phantasmas wie der Realität gleichermaßen stehenden Weise, "mit dem Sein Ich-Kern schlummert, der zu erwecken wäre, ist unabdingbar, um die tabula
zu agieren", fürchten, für andere jedoch ist das Aufklaffen des Lochs kein rasa zu schaffen, von der aus dennoch ein radikaler Neuanfang möglich
Abbruchsignal. Von der von den Analytikern und Meistem, gewissermaßen werden kann, ein neuer Zugang zum Begehren. Die Betonung liegt hierbei
"Engeln des Exorzismus,,221, auf den Weg gebrachten Erfahrung geht eine auf neu. Zwar hat das Subjekt sich ,vorher' und ,nachher' mit den gleichen
Verfuhrungskraft aus, eine Verheißung, theologisch gesprochen, die den ein- Objekten herumzuschlagen, entscheidend verändert haben wird sich aber de-
geschlagenen Weg weiterzugehen, gegen alle Gebote des Wohlbefindens, als ren Status und Bedeutung.
das einzig gebotene erscheinen lässt.
Nach der vollständigen Durchquerung des Phantasmas und der Reduktion
des Subjekts auf das Nichts seines kreatürlichen Restes, ist der Erfolg der
Analyse davon abhängig, ob es gelingt, dem erneut zu integrierenden alten
Imaginären einen anderen Status zu verleihen. Das Subjekt muss sich, nach-
219 Lacan, J.: SI, Freuds technIsche Schriften, S. 356 dem es im Prozess der Desidentifikation gleichsam zu nichts geworden ist,
220 Silvestre, M.. Die übertragung in der Ausnchtung der Kur, in: Riss, Zeitschrift für Psy-
choanalyse. Freud.Lacan., Nr. 41, S. 103-133 erneut identifizieren. Die Identifikation mit dem neuen Signifikanten nach
221 Die Wendung stammt von Philippe Sollers und 1st eigentlich auf Sarnue1 Beckett gemünzt.
(Soller, Ph.., Der Leib und die Ethik, in: Lettre InternatIOnal, Heft 19, Berlin, März 1993,
S.71) 222 Zi~ek, S.. Liebe deinen Nächsten?..., S. 107:
102 103

der Durchquerung des Phantasmas kommt einer Entscheidung für das Leben unmittelbar mit seinem Symptom konfrontiert und kann sich nicht
gleich, bzw. der Entscheidung zu leben. In einem Akt der freien Wahl sich länger hinter dem Schutzschild seines Selbst zurückziehen.,,226
entscheiden zu leben, das heißt qua freiem Willen zu übernehmen, was ei-
nem ,von fernher' schon je bestimmt ist. Die Wiederholung hat hier die Be- Deshalb darf es, wie Freud schrieb, in der Analyse nicht um die Substitution
deutung, den Akt der Geburt zu wiederholen, noch einmal geboren zu wer- des Triebobjekts, sondemnur um die des Triebziels gehen. (Freud k~rrigier­
den und zwar aus freien Stücken, durch die eigene Entscheidung. Sich neu te hier seine eigene frühere Auffassung.) Bei Lacan wird das Subjekt nach
zu identifizieren heißt, sich selbst zum Leben zu bestimmen und zwar zu dem Durchlauf des analytischen Signifikanten eine neue Determination, eine
dem Leben, dass vonjeher schon das eigene ist. grundlegende Modifizierung erfahren haben und diese Modifizierung hat mit
Letztlich muss man, um den berühmt gewordenen Titel des Buches von dem Wechsel des Triebziels, nicht dem des Objekts zu tun. Denn es muss in
Zizek anzuführen, sein Symptom lieben wie sich selbsr23 • Entscheidend ist, die selbe Welt zurückkehren, eine andere bleibt für immer das "unerreichba-
dass es nur in der Liebe des Symptoms Gelingen geben kann (welches Ge- re Objekt eines vergeblichen Nachstellens".
lingen nichts mit Erfolg zu tun hat), genauso wie im Zen, um mit der begon- Im "Kompendium der fünf Leuchten", einem frühen, vielzitierten Zen-Text,
nenen allmählichen Vernähung der lacanschen Analyse mit dem Zen fortzu- wird der Gedanke, auf dem Freuds,Formel vom Wechsel des Triebziels und
fahren, nur die bonno zu Satori werden können. Hier gibt es keinen Platz für nicht dem des Triebobjekts und ihre Weiterentwicklung durch Lacan basiert,
"trotz" und "aber", einzig dieses nur zählt. Die Auswege liegen nicht in ei- folgendermaßen zum Ausdruck gebracht:
nem Jenseits des Körpers und seines Imaginären, der insistierenden bonno, "Vor dreißig Jahren, bevor ich Zen praktizierte, sah ich Berge als
der Insistenz der Leidenschaften, der Ticks und Pathologien. So ergibt sich, Berge und Flüsse als Flüsse. Dann aber erlangte ich eingehende
in zenistischem Klartext: Kenntnis und eine Ahnung davon, worum es geht; so sah ich die Ber-
"Falsch verstanden sind die bonno der Grund allen Leidens, richtig ge nicht als Berge und die Flüsse nicht als Flüsse. Jetzt aber, wo ich
verstanden sind sie der Weg selbst.,,224 einen Rastplatz gefunden habe, sehe ich wieder wie vorher Berge als
Berge und Flüsse als Flüsse.,,227
So ist die in der Analyse sich ins Werk setzende Auflösung (analuein) der
Täuschung also genaugenommen die Auflösung einer Täuschung über die Den Unterschied zwischen ,vorher' und 'nachher' macht, dass das Subjekt
Täuschung. Korrigiert wird die für den Beginn der Analyse typische Auffas- Jetzt "ein wenig mehr weiß um das Tiefste seiner selbst,,228 und außerdem:
sung, dass auf der einen Seite die Falschheit und die Pathologien im Bund was es hat an dieser, seiner Welt. Vorstellungen wie die eines illuminierten
mit der Täuschung stehen, auf der anderen eine Authentizität und Klarheit ,Alltags des wahren Selbst', ausgelöst durch eine plötzliche Erleuchtung im
verheißen seien, die sich aber letztendlich, so Lacan, als "unerreichbare(s) Zen, die eines analytischen Raptus oder eines permanent dahinschreitenden
Objekt eines vergeblichen Nachstellens,,225 erweisen. Fortschritts als linear-verzeitlichter Idee einer absoluten Wende gehören in

"Am Anfang", so schreibt Zizek, "möchte der Patient die Konsistenz


226 Zi~ek, S.: Liebe demen NäChsten?..., S. 107f. - In der Neuerzählung des Odysseus-
seines Selbst bewahren und einfach nur die peinlichen Symptome Abenteuers "Gesang der Sirenen" durch Franz Kafka hält Odysseus genau umgekehrt den
loswerden, die dieser Konsistenz im Wege stehen; doch im Verlaufe Göttern seme vermemtliche VerbiendetheIt und nicht sein "wahres Selbst" ais Schutzschild
der Analyse löst sich stattdessen das Selbst des Patienten auf. Er wird entgegen, obwohl er m diesem Moment Wirklich mehr Ist als die noch Im Imaginären ver-
hafteten Götter. Man Sieht hier, wie unterSChiedlich sich die Begriffe "Selbst", "wahres
Selbst", "Verblendung", "Imaginäres" etc. strategisch besetzen iassen, weil sie m ihren
Bedeutungen mstabil smd. Es kommt auf den Gebrauch an, den man von den Begriffen
macht, um, mit Lacan, "etwas anderes zu sagen" (zu Kafka vgl.. "Das SChweigen der Si-
renen", m: Kafka, F.. Sämtliche Erzählungen, S. 304-306)
227 Kompendium der filnf Leuchten (Wudeng hmyuan, jap. Goto egen; ZOkUzokyo Bd. 138,
223 ZiZek, S.: Liebe dein Symptom wie dich selbst!, Berlin, 1991 335a9ff.), zIt. n.: Zen-Worte vom Wolkenberg; Meister Yunmen (hg. und übersetzt von
224 Tenbreul, L.T.: I Shm Den Shm, S. 30 Urs App), S. 117, Fußnote 1
225 Lacan, J.: S XX, Encore, S. 104 228 Lacan, J.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse. S. 385
104 105

den Bereich der Illusion. Lacan hält die Begegnung mit dem Realen des Ge- 3.6 Wo das Symptom war, soll das Sinthome werden
nießens (jouissance) für unerlässlich, um eine gewisse Weniger-Dummheit
"Der Meister fragte einen Mönch: ,Bist du
immer mehr zu erzeugen.
der Klosterhandwerker? ' Der Mönch: ,Ja. '
In Wahrheit nämlich, wie Lacan - als Analytiker - zu den euphorisierten
Der Meister fragte: ,Das ganze Universum
Revolutionären der 68er sprach, dreht man sich zwar im Kreise, aber immer-
ist das Haus; wie steht's mit dem Haus-
hin ...
herrn?' Der Mönch wußte keine Antwort.
"Ich bin verdammt kein Fortschrittsgläubiger, denn das, was ich euch Da sagte der Meister: ,Frag du mich, dann
erkläre, ist, daß man sich im Kreise dreht. Man dreht sich im Kreise, sag ich's dir!' Da stellte der Mönch diesel-
aber man wechselt die Piste. Nur dann, wenn der Schritt effektiv voll- be Frage und der Meister antwortete: ,Sei-
zogen sein wird infolge der Intervention des analytischen Diskurses, ne Eminenz ist gestorben:' An Stelle des
kann eine neue Runde beginnen, die sicher nicht so weit geht, den Gefragten beantwortete Meister Junmen
ganzen Apparat, worauf wir unsere Demonstration stütz(\n, zum Ver- auch die erste Frage (Bist du der Kloster-
schwinden zu bringen, aber die, nach einer vollen Kreisdrehung, viel- handwerker?): ; Wievlel Leute hat wohl der
leicht eine Verschiebung bewirkt. Der Herrensigniftkant wird viel- schon hereingelegt? '''(Zen-Worte vom
leicht weniger dumm sein. Seid versichert, daß, wenn er weniger Wolkenberg: Meister Junmen)
dumm ist, auch ein wenig machtloser sein wird. Das wird kein Fort-
schritt sein. Das wird aber bedeuten, daß das, was ihr gemacht haben
werdet, einen Sinn haben wird. ,,229 3.6.1 Die Armatur der Gedanken
Elisabeth Roudinesco entschlüsselt das nach dem Vorbild von Joyce zustan-
Athanasius Lipowatz bringt zur Klärung des Begriffs von Revolution in der degebrachte ,Kofferwort' Sinthome wie folgt:
Verwendung von Lacan den Titel des Hauptwerks von Copemikus ins Spiel:
"De Revolutionibus orbium coelestium". Revolution wird hier als sich in der Der Ausdruck schloß mehrere Worte mit ein, die nach Lacan gewis-
" . -
Wiederkehr modiftzierende Kreisbewegung verstanden. Er schreibt: sermaßen die ,Signiftkanten' des Joyceschen Universums waren: sin
(die Sünde), homme oder home (home rule, das Gesetz der A~to~o­
"In gewisser Hinsicht funktionieren die vier Diskurse wie eine Spira- mie in den Kämpfen für die irische Unabhängigkeit) und schlIeßlIch
le: angefangen· beim Diskurs der Hysterie, werden nacheinander die saint Thomas (der heilige Thomas). So konnte der/das sinthome
Diskurse des Herrn, des Wissens, der Analyse ,erzeugt'. Der Prozeß (Symptom, Sündenmensch/heiliger Mensch, heilige Heimat) sint~ome
geht dann in der Form einer Spirale weiter. Es werden auf einem an- rule oder sinthomadaquin (heiliger Thomas von Aquin) geschrieben
deren Niveau dieselben Diskurse wiederholt. Es gibt keinen ,Fort- werden.,,23I
schritt' in dem Sinne, daß ein Diskurs, Z.B. des Herrn abgeschafft,
,aufgehoben' würde. Der Kreis der vier Diskurse mit der Rückkehr Ein Jahr nach dem Seminar über die "Kategorien" des Realen, des Symboli-
zum scheinbar selben Punkt gibt dem Begriff ,Revolution' eine ge- schen und des Imaginären, deren vielf!i.ltige Beziehungen Lacan, um sie als
naue Bedeutung [... ].,,130 Testament" zu erproben232 , mit Hilfe seiner borromäischen Knoten in einer
~athematischen Topologie zu verorten versuchte, erörtert er (im Sinne von:
Lacan hält stets dazu an, nicht in jenen das Unbewusste missverstehenden
Bahnen eines gedachten idealen Fortschritts steckenzubleiben, in den dialek-
tischen Sackgassen, die er als das "Wespennest des Idealismus" markiert und
231 Roudinesco, E.. Jaques Lacan, S. 584 - Auch auf <len Rebus von Adam als ~inem <ler con-
den Diskurs der "schönen Seele". lenis von sinlhomadaqutn sei hier zusatzlich noch aufmerksam gemacht. Wie unschwer zu
erkennen. fugt auch er sich sinntrachtig In <len Zusammenhang. .
232 Mit den Kategonen' des Symbolischen, des Imaginaren und des Realen, die Lacan in
229 Lacan, Jaques, Seminaue XVII: L'envers de la psychanaiyse, S. 9 R.S.I. ais' Testament erprOben will. ließen Sich schiechterdings alle psychoanalytischen
230 Lipowatz, A.. Diskurs und Macht, S. 218. Phanomene beschreiben. (vgL: Lacan, J.. S XXII, R.S.I., S. I)
106 107

in den Ort weisen), um den analytischen Diskurs zu monstrieren, im darauf schem Weltbild (Kosmos, "Kugel"). Allein der Ausfall der stützenden Signi-
folgenden Seminar anhand des Werkes von James Joyce in einem ersten fikanten dieses Paradigmas würde nicht zwangsläufig zum fading des Sub-
Schritt das Reale, bzw. das, wodurch von ihm analytischerweise Kenntnis zu jekts fiihren. Es bieten sich heute bereits andere Anhalte,. fi~tionale H~gemo­
erlangen ist, das Symptom nämlich, und in einem zweiten seine Verwand- nialstrukturen durch die der verrückte Aufmarsch der Slgmfikanten m Bah-
lung in das vom "Glanz des Seins" fluoreszierende Sinthome. nen zu lenke~ ist. Bei Joyce aber noch bildet, wie Lacan konstatiert, diese
Ausgehend davon, dass die Literatur - ursprüngliche Verleimung mit "Kugel und Kreuz" die Armatur des Denkens,
"die philosophische wie die künstlerische, die literarische - die sich die hegemoniale Fiktionsstruktur der Wahrheit, die mit dem Körper selbst
übrigens in nichts unterscheiden,,233 verleimt, bzw. vernäht ist. . .
Es ist bei Joyce noch der Entzug dieser Armatur, der in der Form einer Pn-
- davon Zeugnis gibt, dass vation die Stütze des Daseins mitentzieht, weshalb auch, wie Lacan heraus-
stellt, Joyce, der "Künstler", der ,Junge Mann", der Aufforderung eines ge-
"die Denkung (la cogitation) [...] einem Imaginären auf dem Leim wissen Cranley, eiher Figur aus dem Roman "Porträt des Künstlers als jun-
[bleibt], das im Körper verwurzelt ist, das Imaginäres des Körpers
ist,,234, ger Mann", aus seiner Abkehr von den Lehren der Kirche radikal die K~nse­
quenzen zu ziehen, nicht nachkommen wollte. Genau dieses phantasmattsche
Ursprungssupplement mit der ihm eigenen Fiktionsstruktur stützt hier noch
spricht Lacan in Bezug auf die je spezifische (libidinöse) Verklebung der
die Realität selbst. Joyce hätte das in diesem Roman "nur gespürt". Er habe
Sprechwesen Joyce und Thomas von Aquin von einem "Hereingeleimtsein"
"leider", wie Lacan sagt, nicht zu seinen Analysanten gehört, im übrigen
in die "Kugel und das Kreuz,,235. Ob er über Joyce, Thomas oder auch Marx
auch weder von Freud, noch von Jung irgendetwas gehalten. Auch der Autor
spricht, Lacan untersucht in der 'Monstration des analytischen Diskurses jede
der radikalsten Reduktion der Sprache bis fast auf das Skelett ihrer Bot-
cogitation, um zu zeigen, dass sie einem Imaginären verwurzelt bleibt, das
schaftslosigkeit bleibt so letztlich aufjene Armatur verpflichtet.
Imaginäres des Körpers ist und seiner ursprünglichen Verklebung mit einer
spezifischen phantasmatischen Struktur. Denn das Imaginäre ist per definiti-
onem, "was nicht aufhört, sich einzuschreiben". Ist nun das westliche Sub- Anders Lacan selbst der besonders in seinen späten Seminaren (zu denen ja
jekt generell hereingeleimt in die "Kugel und das Kreuz"? Sind "Kugel und das R.S.I.-Seminar, ~ie das über "Joyce, Le sinthome" gehören) verzweifelt
Kreuz" das Schicksal des westlichen Menschen? Sind es generell beim west- versuchte der Leerheit selbst eine Stimme zu geben, sich zum Sprachrohr
lichen Subjekt diese "Kugel und Kreuz", die "nicht aufhören, sich einzu- eines gleichsam acephalitischen, von keiner Fiktionsstruktur abhängigen
schreiben", die also die hegemoniale Fiktionsstruktur, die "Armatur seiner Wissens zu machen. Der Rekurs auf die Quasi-Mathematik der borromäi-
Gedanken,,236 bilden? sehen Knoten ist motiviert von dem Willen, gerade keiner solchen vorgängi-
Lacans Theorien tragen dazu bei, hier mit einem ,nein' antworten zu können, gen Struktur auf dem Leim zu bleiben. Lacans Meisterschaft erwe~st sic~
denn in unseren posthistorischen Zeiten, einerseits als Folge eines Schwin- möglicherweise genau hier, wo er diesen einen, entscheidenden SChrItt weI-
dens der symbolischen Formen, der Anarchie der Formen und der forclusion tergeht als sogar Joyce. Vielleicht macht das den Unterschied zwischen dem
der patemalen Autorität, andererseits durch die sogenannte Globalisierung Dichter und dem Analytiker aus. Der eine ver-dichtet, der andere löst auf (a-
gibt es bereits neue und andere Vemähungen mit neuen Wahrheitsfiktionen, naluetn). Ersterer bleibt verleimt auf die vorgegebene hegemoniale Fiktions-
die zwangsläufig andere Verleimungen produzieren. Das westliche Subjekt struktur.
ist heute nicht mehr ausschließlich orientiert am Diskursparadigma aus jü- Das Maß an Treue zum Geschehnis des Aufklaffens des Realen und dem
disch-christlich monotheistischer Religion (Gesetz, "Kreuz") und griechi- damit verbundenen Entzug der subjektiven Basis wird erkennbar durch die
Form in die dieses Wahrheitsereignis übersetzt, bzw. zurückübersetzt wird.
In di~sem Sinne ist die Theorie des Ödipuskomplexes eine nah am Ereignis
233 Lacan, 1.. S XXII, R.S.I., S. 56 bleibende, nichtsdestotrotz depotenzierende Übersetzung des Ausweglosen
234 Ebd.
235 Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 56
und Unmöglichen der Sexualität in eine narrative, fiktionale Struktur. Wenn
236 Lacan,1.. S XXIII, Le Sinthome, S. 2 aber nun das Entzogensein der Armatur der Gedanken, also der subj ektiven
108 109

Basis, immer bereits vernäht ist mit einer spezifischen Fiktionsstruktur (wie Dieser Glanz eignet bei Lacan dem authentischen Kunstwerk. Das Objekt er-
die Null immer schon mit der Reihe der Zahlen), diese aber nicht "Kugel und langt durch die Kunst die "Würde des Ding"239. Dieser "Wechsel des Objekts
Kreuz" und auch nicht "Theorie des Ödipuskomplex" heißen, sondern be- in sich selbst,,240 korrespondiert mit dem zwischen dem imaginären, mythi-
reits die ,,(Theorie der) Leerheit" selbst ist, zeigt sich da nicht plötzlich und schen Genießen und einem .lacanianisch verstandenen rektifizierten Begeh-
überraschend die entscheidende Nähe Lacans zum Zen? ren. Der neue Zugang zum alten Objekt wird dann von demjenigen subli-
Es ist Zizek, der Lacan bekanntlich in ein christliches und auch noch cartesi- mierten/sublimen Begehren geschaffen, das Lacans Analyse zu entbinden vi-
anisches Koordinatenkreuz zurückverleimen, zurückvernähen will. Meines siert und kann die Form oder partikulare Gestalt haben eines Zugangs zum
Erachtens eröffnet sich noch ein anderer Weg: Die aus der Rezeption entste- Namen (Sprache, Schrift, Literatur), zur Kunst oder zur Religion.
henden Formen werden immer mit der "Denkarmatur" (nicht zu verwechseln Das Symptom hat keinen Sinn außer für das Leiden und das Genießen des
mit Ide~logie) des Autors vernäht sein, der sich mit Lacan eingelassen hat Subjekts. (Deshalb ist es leer.) Das Leiden selbst hat auch keinen Sinn, es ist
(so bei Zizek eben "Kugel und Kreuz" plus Descartes, plus Marx etc.), doch einfach der Schmerz des Existierens selbst. Im mythisch, imaginären symp-
hat diese Armatur "Leerheit" und "Nicht-Ich" zu ihren Titeln, unter denen tomalen Genießen wird dies verkannt oder verleugnet. Das Genießen des
sich die lettern sammeln, bilden diese buddhistischen Titel die hegemoniale Symptom ist geradezu die Verkennung oder Verleugnung dieses Schmerzes.
Fiktionsstruktur, so wird die Lacan-Rezeption notwendig anders ausfallen. 237 Anerkennung aber erfahren Schmerz des Existierens und Leiden dort erst,
Das soll nun nicht heißen, dass sich aus dem Steinbruch des lacanschen
Werkes jeder nehmen sollte, was ihm gerade beliebt, vielmehr dass der
Buddhismus bei Lacan bereits selbst angelegt ist. Festzustellen, dass Leere der Glanz, die clarttas, die dritte Qualität des Schönen. Daraufrekurriert Lacans Topos ,im
und 'andere aus buddhistischen Kontexten bekannte Begriffe bei· Lacan zu Sein erglänZen' .
den meistgenanntesten gehören, hat hier selbstverständlich nicht mehr als ei- 239 "Die allgemeine Formel, die ich Ihnen von der Sublimierung gebe, Ist diese - sie erhebt ein
nen sehr oberflächlichen Annäherungswert. Objekt- [...] zur Dignität des Dings." (Lacan, J.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S.
138) Im selben Seminar spricht Lacan Mvon, dass Matisse "das Objekt In einer Weise auf-
Die folgenden Konjekturen werden hier noch kryptisch, Derrida würde sa-
tauchen (lässt), die lustrativ ist, eine Erneuerung seiner Würde darstellt", (Ebd., S. 174)-
gen: in ihrem Status "instabil und changierend" erscheinen. Im weiteren Ver- Lasst Sich nicht am besten anhand der warholschen Objekte und Avatare das Objekt als zur
lauf dieser Arbeit werden sie aber hoffentlich an Kontur gewinnen: Das Ab- Würde des Dings erhobenes demonstrieren? Warhols Kunst erneuert die Würde des ernied-
solute (das Ab-gelöste) eines präontologischen Wahrheitsereignisses über- ngten Objekts als Ding. Nicht darum geht es, was die Dinge "in Wirklichkeit" sino, nicht
worauf sie verweisen, Vielmehr dass sie Sind, um ihr sonst stets verborgenes Wesen als
setzt sich zurück ins Partikular-Imaginäre einer Fiktionsstruktur aber diese
bloßes Dasein. Im ,Dass-Sein' der Dinge liegt letztlich ihre Würde, mcht in ihrem ,Was-
Fiktionsstruktur bei Lacan, der lange Jahre chinesisch lernte und zeitlebens Sein'. Alle Dinge werden zu Elementen einer undeutbaren Wirklichkeit, die ihren trauma-
dem Zen zugetan war, hat zu ihren Titeln, unter denen sich die Buchstaben tischen Kern, der mit ihrer Erscheinungsform zusammenfällt, entblößt, aber gerade da-
s~iner Reden und Schriften sammeln, zumindest auch, dass alle Dinge leer durch ihre Würoe erlangt.
Bei Beckett noch werden uns Menschen und Gegenstände unter dem Zeichen des abwe-
smd. Auch das "Kreuz", auch die "Kugel" sind leer. Die Verwandlung der senoen Gottes gezeigt. Der Gott, die Essenz, das Absolute ISt verborgen, unSichtbar uno
Leerheit in Form bei Lacan aber ist ein Erscheinen der Leerheit als Form. die Dinge "tanzen" um diesen abwesenden Kern herum. Sie Sind Verweis auf ihn und be-
stehen nur dadurch, Verweis zu sein. Bei Warhol dagegen ISt die Form selbst Leerheit. Das
3.6.2 Die Kunst und das Leiden erscheinende Ding steht ft1r mchtsanderes als Sich selbst, verbirgt nichts, offenbart nichts,
es Wird nur gezeigt. Warhollehrt ein neues Sehen: wie die Dinge nicht von einem Gruno
Das Symptom ist Form. Durch das Gewahrwerden der Leerheit seiner Form her seiend sind, vielmehr durch Leerheit verbunden. Aber diese Leerheit eXistiert nicht als
verwandelt es sich in das Sinthome. Wo das Symptom, welches es auch sei, solche. Sie ISt Form. "Form ISt Leerheit, Leerheit ist Form." (vgi. hierzu das Kapitel: "Das
zum Sinthome wird, erglänzt es im Sein, erlangt den "Glanz des Seins,,238, Opfer als Form der Leugnung der Kastration des anderen bei Lacan und Im Zen" In dieser
Arbeit.)
240 "Tatsächlich ISt das Kaninchen, das aus dem Zylinder geholt werden soll, bereits Im Trieb.
Dieses Kaninchen ist kem neues Objekt, es ist der Wechsel des Objekts in sich selbst. [...]
237Vgi. zu den Buchstaben, die sich unter Titeln sammeln: Nancy, J.-L.lLacoue-Labarthe, Es Ist der WeChsel als solcher. Ich bestehe darauf - dieses Im eigentlichen Sinne metony-
Ph.. Le Tltre de la lettre, Paris, 1973 mische VerhältniS emes SignifIkanten zu anderen, das Wlf Begehren nennen, ist nicht das
238 Z.it. n.. Roudinesco, E.. Jaques Lacan, S. 549 - In der Schöpfungstheorie des Aqumaten, neue Objekt, auch nicht das Objekt von früher, es ist der Wechsel des Objekts in sich
die Lacan respektvoll/respektlos gewissermaßen als onto-ästhetizistische Theone liest. Ist selbst." (Lacan, J.. S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 350)
110 111

wo sich das Symptom ins Sinthome verwandelt haben wird. Anlässlieh seiner Sinthome lagen zum Zeitpunkt dieser Reise noch in weiter Feme. Dennoch
Japanreise sagt Lacan überdie tausend und eine Buddha- bzw. Bodhisattwa- scheiIit er schon gesehen zu haben, was er Jahre später im R.S.I.-Seminar
Statuen im Tempel von Kamakura: und in dem über "Le Sinthome" monstrieren wird. Im Barock jedenfalls
"Da er [der große Hauptbuddha des Avatars, JA.] aber da ist - und in sieht er, was er auch bei Betrachtung der Buddhastatuen von Kamakura ge-
dieser vervielfaltigten Form, die [...] viel Mühe gemacht hat -, ist dies sehen hat:
nur das Bild der Mühe, die es ihm macht, da zu sein.,,241 Dieses Rieseln von Märtyrerdarstellungen. [...] Diese Darstellungen
~ind selbst Märtyrer - Sie wissen, daß Märtyrer Zeuge heißt - eines
Wichtig ist an dieser Stelle, dass es hier nicht um die Darstellung eines mehr oder weniger reinen Leidens.,,245
"mehr oder minder reinen Leidens,,242 geht, vielmehr die Bildhauerwerke,
über die er spricht, selbst Zeugnis eben dieses Leidens sind, der "Mühe, die Das "Rieseln", die Reihe der Statuen - Sin-thomanie, worin neben dem eng-
es macht, da zu sein". Desto weniger Darstellung ein Gegenstand der Kunst lischen Wort sin und Thomas (von Aquin) auch Manie enthalten ist - ist das
ist, desto mehr ist er Zeugnis. Zeugnis der Prolongierung eines Begehrens als der fortgesetzten Wiederauf-
Ähnlich wie die skulpturalen Werke buddhistischer Kunst bewertet Lacan nahme eines (Ver)Fehlens, das "nicht aufhört, sich nicht einzuschreiben" (in
die Bildwerke des Barock. Das Barock sei, weil diese Bildwerke das Leiden Groß A), des Realen also - und damit dieses "Zeugnis (gibt) eines mehr o-
nicht abbildeten, sondern es sind oder direktes Zeugnis von ihm sind, gerade der minder reinen Leidens".
die "Rückkehr zu den Quellen"243, nicht die denkbar weiteste Entfernung Die Kunst des Barock fuße ihrem Wesen nach in einem langandauernden
von ihnen, wie eine landläufige Auffassung über das repräsentative Barock Begehren unter der Prämisse, dass es kein Geschlechterverhältnis gibt, das
vermeint. Anamorph betrachtet, erzeigt sich dem Auge des Betrachters auf endlich das Ein herstellte. Lacans Mathem "Es gibt kein Geschlechtsverhält-
dem Holbein-Bild "Die Gesandten", das Lacan zum Gegenstand seiner Be- nis" erweist sich einmal mehr als die Formel fiir die "Verewigung des Be-
trachtung macht, ein Totenschädel in der Mitte des Gemäldes, dessen Aus- gehrens".
strahlen alle auf dem Bild dargestellten Gegenstände, die Insignien von
Macht sind, kontaminiert. 244
Es stellt ein erstaunliches Moment von Kontinuität dar, dass Lacan in seiner 3.7 Die Schönheit und der Fehl
Deutung des Barock in "Encore" (zu lesen auch als en corps, "im Körper") Sinn macht es insofern zu sagen, die Analyse nütze zu nichts, als dass nicht
in die gleiche Richtung zielt wie fast 20 Jahre zuvor bei seinem Bericht von darauf spekuliert werden soll, ihr Resultat sei Glück und Errullung, womög-
der Japanreise. Die Konzeptualisierung seiner Ideen über das Symptom! lich Erfolg, das Ende des Leidens mit dem Erscheinen eines idealen, wahren
und authentischen Ich. Weil sie die Wahrheit des Subjekts visiert, die Wahr-
heit seines Begehrens und der unbewussten Wünsche, hat sie im strengen
241 Lacan, J.: S X, Die Angst, II. Teil, S. 73 Sinne weder mit dem Glück noch dem Unglück zu tun. Statt zum Glück füh-
242 Lacan, J.: S XX, Encore, S. 125 ren zu sollen, hat sie das Ziel der Anerkennung der symbolischen Kastration
243 Ebd.
244 Vgi.. Lacan, 1.. S VII, Die Ethik der PSYChoanalyse, S. 173 und: Lacan, 1.. Sem Xl, Die
und diese korrespondiert sogar weit eher, wenn hier auch keine Gleichset-
vier Grundbegriffe..., S. 94: "Die beiden Figuren stehen steif da, erstarrt m ihrem prunk- zung erlaubt ist, mit der des Unglücks, der Unmöglichkeit, der Kontingenz,
vollen Ornat. ZWischen ihnen eme Reihe von Gegenständen, die m der Maierel Jener Zelt des "Fehls,,246. Diese Faktoren sind es, womit das Subjekt es wirklich und
als Symboie der vanttas auftreten. Agnppa von Netleshelm schreibt gerade sem De vamta-
te scientiarum, womit die Wissenschaften ll1ld die Künste gememt smd. Alle diese Gegens-
tände sind auch Symbole der Wissenschaften und der Künste, die man damais, wie sie WIS-
sen, in Tnvmm und Quadnvmm emteilte. Was aber ISt, 1111 Vordergrund dieser Monstratl- 245 Lacan,1.. S XX, Encore, S. 125.
on emer Weit des Schems m ihren faszmlerendsten Fonnen, dieses teils schwebende, teils 246 Mit "Fehl" übersetzt H. J. Metzger Lacans an einigen Stellen manque, zu iesen als manque
abwärtsgeneigte Objekt? Sie können es nicht wissen - denn sie wenden Sich ab, um der d'etre, so wie dieser Tennmus Verwendnng fmdet m Derridas ianger Behandlll1lg Lacans
Faszination des Bildes zu entgehen. Gehen Sie langsam aus dem Raum, m dem das Bild in: Derrida. 1.. Die Postkarte, von Sokrates biS an Freud und jenseits. 2. Lieferung. - In
sie gewiß lange festhielt. Dann, wenn sie Im Weggehen Sich wenden [...] erblicken Sie- "Fehl" klin~ durch den Wechsei des Artikels Im UnterSChied zum "Fehien" die personale
einen TotenschädeL" Dimension mit an. Der "Fehl" ist gewissennaßen die KonkretIOn des MangelS. Er korres-
112 113

letztlich zu tun hat, wobei dem Symptom die Rolle zufällt, die subjektspezi- läßt und trotzdem, ähnlich dem Brandmal der Erbsünde, den Tropfen
fische Dichtigkeit zu erzeugen, die sein Dasein zu einem konsistenten Gefll- Gift enthält, jenes betrügerische Element der Inkohärenz, jenes Sand-
ge macht. Der Analytiker hat dem Rechnung zu tragen, denn eben: korn, welche das ganze System zuschanden macht. [...] Zur Rechten
eine Schönheit, die unvergänglich, schön und skulptural ist; ihr ge-
~,Das S~ptom [istJ völlig implizierbar in diesem Prozeß der Sub-
jektkonstltuierung." 47 genüber das Element, düster und unheimlich im wahrsten Sinne des
Wortes, da das Linke stellvertretend steht fl1r Unglück, Zufall und
Sünde. ,mo
Liebe deshalb, um noch einmal den Titel des Zizek-Buches anzufllhren, dein
Symptom wie dich selbst. Durch diese~Liebe verwandelt es sich in das
Der Vollkommenheit ist eine irreduzible, weil nie gänzlich zu eleminierende
Sinthome, wie das Objekt durch die Kunst zur "Würde des Ding" erhoben
Unvollkommenheit, etwas von Dunkelheit und Tod, als sowohl "das ganze
wird.
System zuschanden" machendes, als auch die Vollkommenheit erst ermögli-
chendes Moment inhärent, ein ihr zugrundeliegender Fehl, ohne den sie leer
Vermutlich kannte Lacan Michel Leiris Text über Baudelaire und die ideale
und nichtssagend, eben nur "überirdisch, harmonisch, logisch" wäre. Was
Schönheit. Leiris zufolge verweigerte sich Baudelaire der
Leiris unvollkommen und hässlich nennt, was ist es anderes als das nicht zur
"Leere einer Schönheit, die absolut ist und nicht defmiert werden "Würde des Ding" sublimierte Objekt, das dieser Verwandlung harrt, ande-
kann,,248 res als das nicht ins Sinthome verwandelte Symptom? Das Hässliche ist der
Triumph des Exzesses der Existenz selbst über ihre Sublimation und das
Für Baudelaire, schreibt Leiris, Vollkommene und Schöne ist der Triumph von Repräsentation und Sublima-
"kann Schönheit nur dann zustandekommen, wenn etwas Zufälliges tion über den Exzess des Realen. Zu ihrer Realisierung bedarf es gerade der
interveniert, von dem das Schöne aus seiner eiszeitlichen Stagnation Anerkennung des Fehls, des Hässlichen und Unvollkommenen, oder einer,
gerissen wird; fl1r den Preis der Erniedrigung verwandelt sich das wie Leiris schreibt,
mumifizierte in das lebendige Viele. [00'] Der Schönheit muß ein Ele- "obligatorische(n) Unvollständigkeit, ein(es) Abgrund(s), den wir
ment innewohnen, das die Rolle des Motors der ersten Sünde über- unmöglich überbrücken können, ein(es) Zwiespalt(s), in dem sich un-
nimmt. Was die Schönheit ausmacht, ist nicht die Konfrontation von ser Verderben erschließt. ,,251
Gegensätzen, sondern der wechselseitige Antagonismus dieser Ge-
gensätze, sowie die Aktivität, mit der sie aufeinander eindringen und Weil der Triumph des Schönen über das Hässliche das Zeichen des Realen
in der sie aus dem Konflikt hervorgehen, als wären sie gekennzeich- wie ein Mal in sich trägt, ist das wahrhaft Schöne und Vollkommene immer
net von einer Wunde oder einer Verheerung.,,249
schmerzhaft schön und schmerzhaft vollkommen.
Zu beachten ist also das antagonistische, nicht substituierende Verhältnis von 3.7.1 Wie japanische Nonnen begehren
Wunde und Verheerung auf der einen Seite und Schönheit auf der anderen.
Leiris, dessen Betrachtungen dieser Beziehung Lacan fasziniert haben dürf- Zwischen dem (untersagten) imaginären Genießen mit seiner Orientierung
ten, schreibt weiter: an der Illusion des Ein und der (dem Postulat psychoanalytischer Ethik ge-
mäßen) Inswerksetzung des Begehrens als seiner Konformisierung mit dem
"Wir können ,schön' nur das nennen, was auf die Existenz t:iner idea- Handeln liegt der Schnitt der symbolischen Kastration. Innerhalb des imagi-
len - überirdischen, harmonischen, logischen - Ordnung schließen nären Genießens bürgt das Symptom fl1r das (unmögliche) Zusammenspiel
von symbolischer Ordnung undjOUiSsance. Es ist der Knoten, der beides zu-
pondiert mit de/ll Begriff der Sünde als remer Defizienzform, die aber dennoch nicht aper- sammenhält. Wird er gelöst, geht dem Subjekt der Zusammenhang der Dinge
sonal zu denken ist.
247 Lacan, J.: S X, Die Angst, 2. Teil, S. 132
248 Leins, M., zit. n.. Russel, J.: Francls Bacon, S.88 250 Ebd., S. 89
249 Ebd. 251 Ebd.
114 115

verloren. Das Symptom garantiert den Rahmen, innerhalb dessen das Dasein Wie der nicht anerkannte Mangel an Sein das Objekt des Begehrens hervor-
zu einem konsistenten, sinnhaften Gefüge wird. bringt, so bringt das Wissen um das tatsächliche Fehlen eines Objekts des
Die monastische Entsagung, der Verzicht auf (das Objekt) Geschlechtspart- Begehrens - dieses Fehlen ist radikal und endgültig - jenes Objekt für das
ner wie der auf das (Objekt) Kind, ist eine radikale Konsequenz aus dem Begehren hervor und sein Erscheinen ist das Zeichen für die "Verewigung
überdruss an der Idiotie eines imaginären Genießens, getragen von der Illu- des Begehrens" oder das Vorhandensein eines "langandauernden Begeh-
sion des Ein. Die japanischen Nonnen, deren sakrale Handlungen Lacan auf rens,,257. Sein Erscheinen ist verbunden mit etwas, das Lacan ein ,,nach innen
seiner Japanreise Gelegenheit hatte zu studieren, leisten, wie er deutet, Ver- gekehrtes Strahlen" nennt, nicht unähnlich jenem "Glanz des Seins", der das
zicht auf den Versuch der Erlangung des unmöglichen Ein zugunsten der Objekt fluoreszieren macht und zur "Würde des Ding" erhebt in der Ver-
Prolongierung des Begehrens. Die Evokation eines "langandauernden Be- wandlung des Symptoms in das Sinthome. In den Bereich der "Nicht-
gehrens" nimmt hier Gestalt an als zärtliche Hinwendung zu einem besonde- Etwasheit" (eine der Stufen der meditativen Durchdringung in den Pali-
ren Objekt als einem Objekt des Nicht-Objekts. Sutren) vorzudrmgen heißt, dorthin zu gelangen, wo es nur Objekte gleich-
Der Schnitt, der mythisches Genießen und Begehren voneinander trennt, ist samfür das Begehren gibt, aber keine Objekte des Begehrens. Das Vordrin-
die Anerkennung der symbolischen Kastration oder anders gesagt: die Ent- gen in jenen Bereich eines "absolut gestaltlose(n), abgeschiedene(n) Leuch-
sagung. Sie ist nicht mit der Ver-sagung zu verwechseln (diese korrespon- tens,,258 hat zur Bedingung die Preisgabe jeden Objekts des Begehrens, die
diert, wie oben geschrieben, mit der Frustration, die Entsagung mit der Pri- Trauer des Objekts:
vation), noch ist sie; was man Askese nennt. Die Form ihrer Realisierung, ih-
,,[~ ..]
(D)ie Antwort ist, daß die Augenspalte an dieser Statue im Laufe
rer Inswerksetzung,die jene Nonnen pflegen, besteht darin, Kannon252 , bzw. der Jahrhunderte verschwunden ist aufgrund der Massage, die ihr,
seiner hölzernen Statue, "die Tränen abwischen [zu] wollen,',253. Die "Klaus- mehr oder weniger täglich, von den Nonnen des Klosters, dessen
nerinnen" dieses Klosters täten dies "mehr oder weniger täglich"254, indem kostbarster Schatz sie ist, verpaßt wird, wenn sie dieser Gestalt der
sie der hölzernen Statue über das Antlitz streichten, besonders über die Au- göttlichen Zuflucht par excellence die Tränen abwischen wollen. üb-
genhöhlen. Kannon, das ist in lacanscher Sicht das Objekt als Nicht-Objekt rigens wird die ganze Statue von den Händen der gläubigen Frauen
und ein solches Nicht-Objekt ist das einzige Objekt, auf das sich das Begeh- auf dieselbe Weise behandelt wie dieser Augenrand und repräsentiert
ren legitimerweise beziehen darf, ohne in die orientierte Dialektik des Ein in ihrer Glattheit dieses unglaubliche Etwas, von dem das Foto [Lacan
verwickelt zu werden. Denn der Buddhismus, sagt Lacan, das ist das Wissen, hatte ein Foto im Seminar herumgehen lassen, J.A.] hier nur einen
,,[...] daß das Begehren Illusion ist,,255 schwachen Abglanz liefern kann, den Abglanz dessen, was auf ihr das
nach innen gekehrte Strahlen dessen ist, das man nicht verfehlen kann
als ein langandauerndes Begehren zu erkennen, das im Laufe der
und führt dazu aus, dass es grundsätzlich kein Objekt des Begehrens gibt und
Jahrhunderte durch diese Klausnerinnen an diese Gottheit herangetra-
dass dieses (buddhistische) Wissen das Wissen genau hiervon ist. Die Statue
gen worden ist, deren Geschlecht, psychologisch gesehen, unbe-
aber, die die Nonnen befühlen, ist ein Objekt für ihr Begehren, nicht: ihres stimmt ist. ,,259
Begehrens.
,,[...] Ich habe Ihnen [...] hinreichend gezeigt, in welchem Ausmaß das Damit das Begehren sich auf irgendetwas beziehen kann, gibt es dieses Ob-
ein Objektfür das Begehren ist.,,256 jekt für das Begehren und sein Vorhandensein als gleichsam Objekt des
Nicht-Objekts ist das reine Zeichen für die "Verewigung des Begehrens".
Die Verwandlung gleichwelchen Objekts des Begehrens in eines für das Be-
gehren, dieser "Wechsel des Objekts in sich selbst" ist für Lacan die Gewähr
252 D.i. die japanische VersIOn des Bodhisattwa Avalokitesvara, bzw, der chmeslschen Guany-
/n
253 Lacan, J: S X, Die Angst, 2, Teil, S, 76 257 EM, S. 76
254 Ebd" S, 70 258 Rinzal (chm,: Lin-chi), Talsho-Kanon, Bd, 47, 497b28-cI; zitn,: Zen-Worte vom Wolken-
255 Ebd, berg; Meister Yunmen (hg. und übersetzt von Urs App), S. 108, Fußnote
256 Ebd" S, 75 (kursiv, JA) 259 Lacan, 1., S X, Die Angst, 2. Teil, S, 76. Kursivhervorhebung durch den Autor.
117
116

dieser das Wesen des Menschen realisiert, vollständigber~ubt zu sein


eines ultimativen "Zugangs zur Schönheit", So ist auch der Preis für die Ein- und der Messias der Zukunft zu sein. Dies i.st die W ~ise, m der Marx
ftihrung in ein Handeln, das nichts über sich selbst hinaus will/begehrt und den Begriff des Symptoms analysi~rt. Es gIbt natürhch andere Sym-
deshalb konform mit sich selbst ist, die Trauer des Objekts des Begehrens ptome, aber die Beziehung von dIesem mIt emem Glauben an den
und seine Verwandlung in ein Objektjür das Begehren. Indem das (buddhis-
Menschen ist unbestreitbar.
tische) Begehren Wenn wir aus dem Menschen nicht etwas mach~n, das, was es auch
,,[...] auf ein Zentrum hin konvergiert, das seinem Wesen nach das sei, ein zukünftiges Ideal transportiert, wenn wir ihn bestImmen durch
Zentrum eines Nirgendwo ist, sehen Sie, wie hier - ich würde fast sa- die Besonderheit, in einem jeden Fall, seines Unbewußten und durch
gen: auf die am höchsten verkörperte Weise - das Lebendigste, Reals- die Art, wie er dieses genießt, bleibt das Sympto~ am selben PI~tz,
te, Beseelteste, Pathetischste wiedererscheint, wiederauftaucht, das es wo Marx es hingestellt hat, aber es bekommst emen ~~eren SInn.
in einer ersten Beziehung zur göttlichen Welt geben mochte, einer Nicht soziales Symptom, sondern besonderes ymptom.
Beziehung, die wesentlich genährt und ~leichsam interpunktiert ist
durch alle Spielarten des Begehrens [...]" 0 Auch die marxsche Vision vom "das Wesen des M.enschen realisi~ren~en"
Proletarier als Erlöser der Menschheit, prädestiniert desha~b für dIeses
Die buddhistische Zen-Übung fUhrt schließlich dorthin, egal welchen Ge- ,Amt', weil er, mit Meister Eckhart zu reden, "nichts ist, mc~ts hat un~
genstand - ob sakral oder profaner Alltagsgegenstand - als Nicht-Objekt zu nichts weiß" ebenso wie Joyce Reduktion des ,Herrschaftsmstruments
gewahren, wiedererscheinend, wiederaufiauchend als Nicht-Objekt, als Tor Sprache auf ~ine Lalangue262 , benutzt Lacan einzig. zu de,m Zweck, das, was
zur Leerheit und gleichzeitig als diese Leerheit schon selbst. Denn das Be- die Analyse visiert, zu (de )monstrieren. Der Analytiker trItt auf als der Agent
gehren ist an und./Ur sich leer und bezieht sich auf nichts. Die buddhistische der Privation, als der, der das Subjekt befreit, indem er es beraubt ';'ll~ daI~:l.1t
Ethik visiert die Unabhängigkeit vom Objekt und im selben Zuge, den Din- erlöst von sich. Er reduziert es auf das, was es jenseits semes I~agmären 1st,
gen ihre Unabhängigkeit zurückzugeben. Aber verbunden sind alle Dinge auf das "schmutzige Wasser" seines Symptoms, in dem ,Sich seme Jou~ssance
durch Leerheit. formiert. Er depraviert die zu erwartenden (präsup~omerten) A?aly~iker zu
auf ihr Nichts reduzierten Proletariern des Seins (dIe es, das Sem, mcht ha-
3.7.2 Proletarier des Seins ben stattdessen nur die erratischejouissance) und fUhrt sie so zur Anerk~n­
Auch in einem Rekurs auf Marx reflektiert Lacan den Symptom-Begriff, nun'g dieser ihrer conditio humaine als sterbliche Mängelv.:esen. Nur von ~ler
wobei es - auf dem Schauplatz des Sozialen - erneut um das geht, was aus kann eine wesentliche Modiflkation des Charakters, eme TransformatIOn
bleibt, wenn der Mensch all seiner Attribute - seiner Eigenschaften und allen des ganzen Menschenwesens erfolgen.
Eigentums - beraubt ist, auf sein Nichts reduziert. Das Symptom der grandi-
osen, selbstsicheren Aufftihrungen des Kapitalismus ist die Armut, sind E- 3.8 Die Philosophie als Symptom und der analytische Diskurs
lend und Not. Der Proletarier ist das Symptom des Kapitalismus und vom
Symptom her wird bei Marx die Verwandlung erfolgen, denn in ihm inkar- 3.8.1 Es gibt kein Wissen, das sich schließt!
niert sich der Mangel:
,,[Die] S~steme ~~r ~atur, die bisher ~~6\getaucht sind, [waren] durch
"Der Ursprung des Begriffs des Symptoms ist nicht bei Hippokrates [...] geIstige DebIlItät gekennzeIchnet.
zu suchen, sondern bei Marx, in der Verbindung, die er als erster zieht
zwischen dem Kapitalismus und was? - der guten alten Zeit, was man
das feudale Zeitalter nennt. Der Kapitalismus wird als etwas betrach-
tet, das alles in allem günstige Auswirkungen hat, da er den Vorteil
hat, den proletarischen Menschen auf nichts zu reduzieren, wodurch
261 Lacan Jaques: S XXlI, R.S.1., S. 37
262 Vgl.. Roudinesco, E.. Jaques Lacan, Bericht über ein Leben S. 532 u. 536
260 Ebd., S. 74 263 Lacan, Jaques: S XXlI, R.S.1., S. 5
119
118

Indem er orientiert ist am System, dient aus der Sicht Lacans der universitäre te geben. Ein solches Wissen bleibt ftir immer unmöglich und zwar durch die
Diskurs nur dazu, einen strukturellen Mangel zu beheben. Er überdeckt den Alienation im anderen.
Mangel an Sein. Der analytische Diskurs, so Lacan, erweist das. So haben Das Wissen des Unbewussten ist ein Wissen, das sich selbst nicht weiß. Es
kann gerade nicht jemandes Besitz sein, man kann es nur aktivieren oder
,,[...] Universitätsmenschen aus Struktur [...] die Psychoanalyse als verschlossen halten. Wer es aber aktiviert, zum "Rinnen bringt", verfügt über
Horror.,,264
ein unerschöpfliches, weil nie sich schließen könnendes Wissen.
So gewiss wir "unser Gesicht bis zum Tod nicht sehen können,,265 so gewiss Lacans Misstrauen gegen das sich schließende Wissen macht eine weitere,
gibt es kein Wissen, das sich schließt. Die Philosophie aber te~diert zum vorsichtige Vernähung mit dem Zen möglich. Der Zen-Patriarch Dögen rät
"Ge_stell,,266, wohingegen das Wissen und die Theoreme Lacans sich nir- nämlich gar generell zu Mißtrauen gegenüber allem Geschlossenen und Ab-
gends schließen.
Den analytischen im Unterschied zum wissenschaftlichen Diskurs im allge- geschlossenen. Wir sollen
meinen und zum philosophischen im besonderen trägt die Voraussetzung, "niemals annehmen [...] irgendetwas sei vollständig oder abgeschlos-
dass es keine Metasprache gibt. Die Metasprache ist der Versuch der Negati- sen",z68
on dessen, was "nichtauthört, sich nicht einzuschreiben", Die Wissenschaft
s~hreitet gerade voran, "indem sie die Löcher stopft. Das ihr das immer ge-
Aber wie der lacanianische Analytiker hat er es mit Subjekten zu tun, die
lmgt, macht sie sicher".267 hiervon nichts wissen (wollen). Die in den Texten aus alter Zeit überlieferten
Besonders im Fall des beträchtlichen Anteils des von Lacan einzig in der Fragen der Zen-Schüler zeugen in den meisten Fällen genau von jener "geis-
Form mündlicher Rede vorgetragenen Zeugnisgebens vom analytischen Dis- tigen Debilität", die Lacan als maßgeblich ftir den universitären Disku!s be-
kurs ist deswegen eine besondere Sorgfalt in der Transkriptionsarbeit und hauptet, indem sie zu erkennen geben, dass darin nach einem sich schließen-
Textherstellung vonnöten, weil nämlich diese Form der Rede nicht Löcher den Wissen verlangt wird, mit dem die "Löcher zu stopfen" sind. Wozu aber
stopft, sondern gleichsam verstopfte Löcher öffnet. Transkription müsste die Meister ihre Schüler anleiten, ist gerade die Abwesenheit eines solchen
heißen: Zeugnisgeben von diesem Zeugnisgeben, also Textherstellung ohne sicheren Wissens zu gewahren und Kurs zu nehmen auf ein Wissen, das sich
Komplexitätsreduktion und Wahrung der Treue zum Sprechereignis unter selbst nicht weiß.
Bewahrung der strukturierenden SignifIkanten. Lacan warnte davor, mit sei- Der Rekurs auf das unbewusste Wissen, das sich selbst nicht weiß, ist Kenn-
nen Theoremen eine Wissenschaft im kurrenten Sinne begründen zu wollen. zeichen des Sagens der "irrenden Ungenarrten" (les non-dupes errent), im
Die, Wissenschaft vom Unbewussten' ist eine contradictio in adjecto. Französischen homophon mit non dupere (das Nein des Vaters) und nomdu
Der analytische Diskurs, so die frohe Botschaft Lacans, bietet die Möglich- pere (der Name des Vaters),z69 Wer diesem Diskurs geöffnet ist, schreitet
keit eines Austritts aus den von "geistiger Debilität" gekennzeichneten Dis- willig und gleichsam demutsvoll fort von "Täuschung zu Täuschung", Meis-
kursen eines Wissens, das sich schließt, das negiert, "was nicht authört, sich ter sein bedeutet nach Zen-Weisheit genau dies: fortzuschreiten von "Täu-
nicht einzuschreiben". Die Bemühung des an Lacan geschulten Analytikers schung zu Täuschung". Der Zen-Meister Shunryu Suzuki unterwies genau
besteht darin, ftir das volle Sprechen und also den Diskurs des anderen ge- darin seine Schüler:
öffnet zu sein und zu bleiben und kein geschlossenes Wissen zu repräsentie- "Dögen Zenji sagte: ,Shoshaku jushaku.' Shaku bedeutet gewöhnlich
ren und darzubieten. Denn es kann kein sicheres Wissen über das Unbewuss- Fehler oder falsch. Shoshaku jushaku bedeutet, auf Falsches Falsches
folgen lassen oder ein unauthörlicher Fehler. Nach Dögen kann s~gar
264 Lacan, J.: RIT, S. 16
ein beständiger, unaufhörlicher Fehler Zen sein. Das Leben emes
265 Deshlmaru, T.. Dökan, S. 43 - Und genau dieses GeSIcht gilt es zu "zeIgen". Ein Koan lau-
tet: ,,zeIge mir dein ursprüngliches Gesicht vor der Geburt deiner Eltern." Es fordert auf,
genau das Gesicht zu zetgen, dass wir "bis zum Tod lllcht sehen können", 268 Dögen, E.: Shöbögenzö, Bd. 1, S. 87 " ",' "
269 Vgi. das Kapitel: "Nicht-Irrende Narren, Irrende Nicht-Narren. Erleuchtete Slch-
266 Das smd die "Systeme der Natur"; "Gestell" ist bekanntlich Heideggers Verdeutschung
von System. System leitet sich von gr. h,sfemat ab (Jat.: ponere). TäUSChende und Sich lllcht Täuschende NiCht-Erleuchtete. (Von Lacan zu Dögen und zu-
267 Lacan, 1.. Schr. III, S. 9 rück)"
120 121

Zen-Meisters könnte bezeichnet werden als viele Jahre von Sho shaku rückstoßen und damit aber auch das Denken selbst, jedenfalls dasjenige, das
ju shaku. Das bedeutet [...] eine einzige, jahrelange, ungeteilte Auf- sich äquivalent zur Realität zu verhalten vermeint oder diese Äquivalenz er-
merksamkeit seiner B~mühungen.,,270 strebt.

3.8.2 Lacans Denkweg zum Buddhismus Im "Angst-Seminar" spricht Lacan mit Bezug auf die fernöstlichen Zugänge
zum Wissen von einer
Lacans Denkweg, grob in drei Abschnitte geteilt, war folgender: Zuerst
suchte er eine freudianische Lesart der Psychiatrie, dann wurde seine Lesart "radikaleren Infragestellung [...] als sie in unserer abendländischen
Freuds eine philosophische. Schließlich durchquerte er mit dem Freud- Philosophie je artikuliert worden ist: die Infragestellung schlechthin
Signifikanten die Philosophie, als handele es sich um die "Durchquerung des der Funktion der Erkenntnis"z73.
Phantasma". Die Philosophie als solche wird wie ein Symptom behandelt
und Lacan, als "irrender Ungenarrter" (anders gesagt: als sich täuschender Diese Infragestellung, sagt er, sei "anderswo bereits geleistet worden", näm-
Erleuchteter), wird Meister. lich im Buddhismus, um fortzufahren:
Wie die "Systeme der Natur", die die Philosophen ersinnen, den Fehl ver- Bei uns aber kann sie nur dann beginnen, in der radikalsten Weise
schleiern, so fällt auch die Metaphysik unter "Ausstaffierung des Lochs". geleistet zu werden, wenn wir dessen gewahr werden, was die. fo~~~~­
Schon Freuds Zurückweisung des philosophischen und metaphysischen Zu- de Formel bedeutet: daß es Erkenntnis bereits im Phantasma gIbt.
gangs zum Wissen wies Ähnlichkeiten mit dem Bruch des Zen mit dem, was
ihm vorausging, auf, so mit dem sogenannten "indischen Idealismus". Lacan Was im Abendland Erkenntnis genannt wird, ist eben gerade nicht, wie es
nennt in der drastischen Sprache seiner späten Seminare, in einer eines Zen- auch eine naive Wissenschaftsgläubigkeit vermeint, was dem Phantasma
Meisters würdigen Meisterdiktion, die Philosophie unter Ignoranz des Un- entgegensteht, vielmehr ist sie ihm inhärent. Das Faktum der ursprünglichen
bewussten ein "orientiertes Scheißgequatsche,,271. Metaphysik, Wissenschaft Gebundenheit des Sprachzeichens an den Körper subvertiert alle Erkenntnis
und philosophische Erkenntnis sind nicht geeignet, den Schirm des Phantas- im Modus des kurrenten abendländischen Philosophierens, denn fiir den
ma zu durchdringen, sie gehören selbst zu ihm: Wissenschaftler wie fiir den Philosophen gilt, was fiir jeden gilt, nämlich
dass es keine Metasprache gibt.
"Für jedes sprechende Sein ist die Ursache seines Begehrens, bezüg-
lich der Struktur, streng äquivalent, wenn ich so sagen darf, seiner Und was ist die Natur dieser Erkenntnis, die es bereits im Phantasma
Umlegung, das heißt dem, was ich genannt habe seine Subjektteilung. gibt? Nichts anderes als das, was ich in diesem Augenblick feststel~e:
Das ist es, was uns erklärt, daß, so lange Zeit, das Subjekt hat glauben Der Mensch, der spricht, das Subjekt, sobald es spricht, ist, durch dIe-
S
können, daß die Welt ebensoviel wisse wie es. Die Welt ist symmet- ses Sprechen, bereits in seinen Körper verwickelt.,<27
risch zum Subjekt, die Welt dessen, was ich das letzte Mal das Den-
ken genannt habe, ist das Äquivalent, das Spiegelbild, des Denkens. Die ursprüngliche Verbundenheit von Sprache und Körper verleimt in eine
Deshalb hat es nichts gegeben als Phantasma bezüglich der Erkennt- Armatur des Denkens. Generell gilt:
nis bis zur Heraufkunft der modernsten Wissenschaft. ,<27Z
"Die Wurzel seiner (des Subjekts, lA.) Erkenntnis, das ist die Ver-
strickung seines Körpers."z76
Die Anerkennung des Unbewussten muss Wissenschaft, Metaphysik und
Philosophie und mit ihr die Realität selbst als deren Konstrukt, als Konstrukt
von Gedachtem, sich äquivalent zum Denken verhaltend, ins Phantasma zu-

273 Lacan, 1.: S X, Die Angst, Teil 11, S. 66


270 Suzuk!, Sh.. ZEN-Gelst - Anfänger-Geist, S. 41 274 Ebd.
271 Lacan, Jaques: S XXII, RS.I., S. 57. Deconnage ist die Origma1diktion. 275 Ebd.
272 Lacan, J.: S XX, Encore, S. 136 276 Ebd.
122

Lacan legt Wert aufdie. Abgrenzung dieser Art Verstrickung von derjenigen, 4 Zwischen Therapie und (Lehr)Analyse
von der die "zeitgenössische Phänomen010gie" spricht:
"Nicht jene Art von Verstrickung aber, die, sicherlich auf eine frucht-
bare, ~ine subjektive Weise die zeitgenössische Phänomenologie zu
verpflIchten versucht hat, indem sie uns daran erinnert, daß in jedwe-
de Wahrnehmung die Gesamtheit der Körperfunktion - Struktur des 4.1 Konstruktionen und Rekonstruktionen
Organismus bei Goldstein, Struktur des Verhaltens bei Merleau- Dem Subjekt, das in die Analyse kommt, schreibt Lacan, ermangelt es in der
Ponty -, die Gesamtheit der Gegenwart des Körpers verstrickt ist. ,,277 Regel nicht an positivem Wissen über sich selbst, dem gewissermaßen ande-
ren des Wissens, das sich selbst nicht weiß, dem Wissen des Unbewussten.
Es geht um etwas anderes: Die Analyse soll deshalb nicht auf die "krude Frage nach dem Trauma" re-
"Beachten Sie, daß das, was auf diesem Wege geschieht, etwas ist, duziert werden, weil es vermeintlich das Sich-Auskennen mit dem Trauma
das uns sicherlich seit jeher durchaus begehrenswert erschienen ist: ist, das dem bis dahin erst bruchstückhaften und vorläufigen Wissen über
die Auflösung des Geist/Körper-Dualismus.'<278 sich noch die entscheidende Tiefenschärfe gibt oder das disparat auseinan-
derfallende Wissen über sich von dieser Stelle aus zusammenbindet. Fast gilt
Diejenige Erkennttlis aber, die sich im System schließen will. ist grundsätz- das Umgekehrte: Das positive Wissen über die eigene Person, das durch ein
lich als Fluchtbewegung aufzufassen: Flucht vor der Möglichkeit eines Ver- in der Analyse zu erlangendes Tiefenwissen vervollständigt werden soll,
schlungenwerdens des Ich durch archaische oder magische Anteile in der muss dem Subjekt als solches zweifelhaft werden und es muss seinen trüge-
Persönlichkeit, Flucht vor dem Verschlungenwerden durch ,Unberechenba- rischen Charakter erkennen.
res', Der paranoische Wahn wie der Versuch, Wissen zu systematisieren, Solange ihm dies aber nicht möglich ist, situiert es die Gesamtheit des Wis-
sind dem Versuch geschuldet, einer Verschlingung durch die genannten sens, das mit seinem Fall zu tun hat, auf der Seite des Analytikers. Der Ana-
Kräfte auszuweichen, jeden Rest stets gründlich zu eleminieren. Die Überde- lysant präsupponiert dem Analytiker dieses Wissen, unterstellt es ihm, gibt
terminierung des Mentalen und die Inthronisation des Ich können so als reine es ihm, um es dann zurückzufordern und macht es dadurch erst recht zu ei-
Abwehrphänomene gedeutet werden. Je stärker das Ich und je größer das nem Objekt. Zeigt der Analytiker sich diesem Anspruch des Subjekts gefü-
Vertrauen auf den Intellekt, desto größer die Abwehr. Evans bringt Lacans gig, macht er sich zur "Stütze seines alter ego,,280, perpetuiert also und mani-
Konjekturen auf den Punkt: "Das Ich weist eine paranoische Struktur auf, da festiert die Verkennungen des Spiegelstadiums.
es der Ort der paranoiden Entfremdung ist. Das Wissen (connaissance) selbst Bereits Freud hatte in seinen späten Jahren einen phantasmatischen Ursprung
ist paranoid."279 des Traumas angenommen, was sich von denen, die gerade auf die Anamne-
se und ein zu erlangendes Tiefenwissen alle Hoffnung setzten, leicht als Ver-
rat an der eigenen Sache auslegen ließ. Aber die Forschungen über zum Bei-
spiel das sogenanntefalse memory syndrom scheinen ihm Recht zu geben. 28t

280 Lacan, 1.. Schr. III, S. 184


281 Lacan folgte nicht der Auffassung, die Sich post Freud immer weiter herausgebildet hatte
und derzufolge mit der Wiedererinnerung des Verdrllngten die entscheidende Wendung im
Leben des Patienten emgetreten seI. Die wiederennnerte Vergangenheit ISt noch nicht die
verwundene und nirgends ist bei Lacan davon die Rede, dass ein durch traumatische Bege-
benheiten bedingtes Leiden durch Wiedererinnenmg der entsprechenden Ereignisse ver-
schwinden würde. Ein so lautender psychoanalytischer Mythos habe sich. so Lacan, post
277 Ebd. Freud und mcht ohne dessen Schuld zum Schaden der Psychoanalyse Immer mehr heraus-
278 Ebd. gebildet. Mit einiger Bosheit wäre das fa/se memory syndrom zu mterpretleren als Befrie-
279 Evans, D.: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse, S. 215 digung des Begehrens des (falschen) Analytikers. - WelChe Rolle Lacan der Anamnese in
124 125

Durchquerung des Phantasmas heißt auch, an jenen Ort zu fUhren, an dem Lacans Analyse geht den Weg der Destitution, den Weg der Durchquerung
s~ch die Nutzlosigkeit einer Rekonstruktion der Vergangenheit mit dem Ziel, des Phantasmas, nicht den der Rekonstruktion des Traumas. Die psychoana-
eine Heilung durch Wiedererinnerung zu erreichen, zeigt. Eine solche Auf- lytische Kaprice auf den traumatischen Kern, den es zu wissen gilt, ist für
fassung kann nicht ohne Konsequenzen bleiben fiir eine Bewertung der Deu- Lacan selbst eine der Resultate der dialektischen Verwandlungen des Wil-
tung. Nicht nur das Trauma, auch der interpretatorische Zugriff, der seiner Jens zum Nicht-Wissen. Lacans Analyse setzt statt auf Wiedererinnerung
habhaft zu werden begehrt, gehören zum Phantasma. Auch hier gilt: Die und Bearbeitung auf Entzug, auf die Privation mit dem anvisierten Ergebnis
Unmöglichkeit (von Geschlechtsverhältnis, von vollem Genießen) erzeugt der Desidentiftkation mit dem narzisstischen Bild. Die rekonstruierte, aber
all jene Fiktionen, die diese Unmöglichkeit zu rationalisieren versuchen. Der eben doch immer imaginär bleibende Biographie wird hintangestellt zuguns-
an Lacan geschulte Analytiker trägt dem Rechnung, nicht indem er den Sinn ten der symbolischen Identiftkation, die nichts anderes ist als die Nicht-
wiederherzustellen unternimmt durch eine durch Interpretation zu erzeugen- IdentifIkation.
de Verbindung, eine sinnvolle Beziehung zwis9hen in der Vergangenheit des "Genau darum geht es, am Ende der Analyse, eine Dämmerung, einen
Patienten sich zugetragen habenden Vorfallen mit seinen Leiden in der Ge- imaginären Weltuntergang, und sogar um eine Erfahrung an der
genwart, sondern indem er dem Verlangen des Subjekts nach Kontinuität Grenze der Depersonalisierung. So fallt der Zweifel weS - das Akzi-
und Ich-Identität gerade widersteht und die Signiftkanten auf ihren Un-Sinn dentelle, das Trauma, die Löcher der Geschichte _ [...],,2
reduziert.
Die Nicht-mehr-IdentifIkation mit dem narzisstischen Bild, zu der auch die
,,[...] Die Deutung richtet sich nicht so sehr nach dem Sinn, sondern
will die Signiftkanten auf ihren ,Un-Sinn' reduzieren, um so die De- Preisgabe der Vorstellung gehört, das Wissen um das Trauma verschaffe den
terminanten allen Verhaltens des Subjekts zu fmden.,,282 Zugang zum Kern der Person, ist dann die Bedingung der Restitution der
Begehrensfunktion. Denn die Rektiftzierung des Begehrens ist gekoppelt an
die Nicht-IdentifIzierung mit dem Spiegelbild und an die symbolische Identi-
der Psychoanalyse zugesteht, geht aus semem Text "Leeres Sprechen und volles Sprechen fIkation. Statt weiter seine Heilung und ein Verstehen zu verlangen, das sich
m der psychoanalytischen Darstellung des Subjekts" hervor: ,,[...] Es handelt sich m der schließt, steht das Subjekt schließlich vor der Entscheidung, sich als sterbli-
psychoanalytischen Ananmese nicht um Realität, sondern um Wahrheit [...] (Die) Wirkung ches Mängel- und Begehrenswesen realisieren zu müssen. Bis zu diesem
des vollen Sprechens (ist), die Kontingenz des Vergangenen neu zu ordnen, mdem es ihr Punkt genau fUhrt die endliche Analyse. Hier ist diejenige Wendemarke er-
den Sinn einer zukünftigen Notwendigkeit gibt [...]" (Lacan, 1.. Schr. I, S. 95) Die Anam-
nese zielt also nicht unbedingt auf das Moment der übereinstimmung einer Erinnerung mit reicht, an der, wie Lacan sagt, "die wahre Reise beginnt"284. Das Leiden, um
Ereignissen, die tatsächlich stattgefunden haben. Das, was wahr ist, hat Vorrang vor dem, dessentwillen das Subjekt die Analyse antrat, hat hier aufgehört, bloß eine
was Wirklich (gewesen) ist. - Im übrigen ist das Verdrängte bei Lacan ohne seme Wieder- Frage zu sein, es stellt radikal in die Verantwortung.
kehr Überhaupt nicht zu denken. Diejenige Möglichkeit besteht nicht, dass etwas verdrängt
würde und ntcht wiederkehrte. Das Verdrängte existiert nur m semer Wiederkehr. Wäre es
anders, käme man nicht umhin, em substanzhaftes Unbewusstes zu hypostasieren, das un- 4.2 Analyse versus Therapie
terschieden wäre vom Bewusstsem. Genau deshalb auch erreicht Jede letter ihren Empfiln-
ger, wie Lacan SChreibt (Im Text "Der entschwundene Brief' m den Schr. I) und Derridas
Widerspruch In diesem Punkt ist haltlos (in "Die Postkarte, 2. Lieferung"). Es ISt nicht so, 4.2.1 Das Verfehlen des Symbolischen
dass das Verdrängte im Unbewussten "weiterlebte" und drängte und (be)drückte, alle Akte Die Analyse vereinfacht die Probleme nicht, sondern macht sie schwerer. Sie
des bewussten Menschen subvertierte, allem emen Strlch durch die Rechnung machte, da
es permanent als abwesendes anwesend wäre. Eine solche substantialislerende Vorstellung schärft das Bewusstsein fiir die Vergänglichkeit, die Kontingenz und das
vom Unbewusten hegt Lacan eben gerade nicht. Das Unbewusste ist kemfond, der belie-
big alles aufuehmen karm, was aus dem Bewussten verdrängt wird. Vielmehr bedeutet
dass das Verdrängte und seine Wiederkehr nicht vonemander zu trennen sind, dass de;
Pnmärprozess schon l1umer vom Sekundärprozess (Interpretation. Strategien der Abwehr 283 Lacan. 1.. S I, Freuds technische Schriften, S. 294. Lacan spielt an dieser Stelle auf das
etc.) kontammlert ist und das Verdrängte nie "rem", in semer Bloßhelt zu denken und berühmte Distichon von Angelus Silesius an, in dem es um die Abtrennung des Akziden-
schon gar nicht zu ergreifen möglich ist (genausowenIg wie em Unbewusstes als solches). tellen vom Wesen geht: "Mensch werde wesentliCh: denn wenn die Welt vergeht / So fllIlt
282 Lacan, J.: S XI, Die vier Grundbegriffe, zit.n.. Evans, D.: Wörterbuch der Lacanschen Psy- der Zufall weg, das Wesen, das besteht."
choanalyse, S. 73 284 Lacan. 1.. Schriften I, S. 70
126 127

Unmögliche. Anders als die Therapie, die die Beendigung der Leiden, Ge- Befand sich der ,klassische Neurotiker' zur Zeit Freuds in der Klemme zwi-
lingen und Glück verspricht, ist die Psychoanalyse, jedenfalls lacanianisch schen Gesetz und Begehren, war sein Begehren durch das Verbot behindert
verstanden, eher eine Katharsis. Sie visiert eine Läuterung des Subjekts, ein oder verunmöglicht, so steht der Zeitgenosse vor einer anderslautenden Un-
wenigstens einmaliges Loskommen (doch dann bleibt der Zugang offen) von möglichkeit, nämlich der, nicht genießen zu können, wo er genießen soll.
den "Schlacken jeder Leidenschaft", um Theodor Fontlme zu zitieren der "Genieße!" lautet der in der permissiven Gesellschaft ultimative Befehl der
diesen Ausdruck auf das Spätwerk Goethes münzte. Die
psychoanalytische Instanz des Über-Ichs. Rektifizierung des Begehrens heißt bei Lacan, dem
~atharsis soll zur Rektifizierung des Begehrens führen und es geht nicht, wie Über-Ich-Gebot des Genießen-Sollens die Gefolgschaft zu verweigern. Je
in der Therapie, um die Wiederherstellung von Genussfahigkeit. Rektifizie- mehr mit dem Imaginären verbündetes Genießen, desto weniger Gesetz und
rung aber heißt nicht Angleichung des Begehrens an ein ihm äußerliches desto unmöglicher der Zugang zum Begehren. Denn dieser Zugang stellt sich
Maß, an eine Norm, an die signifikante Konvention, sondern seine Konfor- her über das Gesetz der symbolischen Kastration.
misierung mit sich selbst, die Adäquation mit dem Akt. Wie die Über-Ich-Instanz heutzutage anderes fordert als noch zur Zeit
Bereits Adorno hatte in jenem für seinen Stil typischen, an Schopenhauers Freuds lässt sich zum Beispiel an der Tatsache ablesen, dass heutzutage die
Invektiven gegen den Ungeist der Zeit und die Geistlosigkeit der Zeitgenos- Perversionen zunehmen bei gleichzeitiger Abnahme der Neurosen. Es wird
sen erinnernden ,leichenbitteren' Raisonnement die Armseligkeit einer an folgerichtig von einer "Normalisierung der Perversionen" gesprochen. Freud
der Rückerstattung der Genussfahigkeit des (neurotischen) Subjekts orien- hatte zumindest den einen Teil dieser Entwicklung für den Fall einer Libera-
tierten Psychoanalyse in äußerst prägnanten Formeln herausgestellt. Er be- lisierung der Sexualnormen vorausgesagt, nämlich den einer Abnahme der
streitet ihr als der Agentin des "falschen Bewusstseins" die Deutungskompe- Neurosen. Wie es aber gleichzeitig zu einer Zunahme der Perversionen
tenz' im Erfassen der Misere des entfremdeten Menschen, der condition hu- kommt, erklärt Lacan. Denn nach Lacan ist die Neurose nur eine missglückte
maine des 20. Jahrhunderts. Ulrich Raulff schreibt mit Blick auf Adorno: Perversion, woraus zu schließen ist, dass die Perversion gewissermaßen ur-
"Die Vokabel der ,Genussfahigkeit', welche die Psychoanalyse ihren sprünglicher ist als die Neurose. Der Grund für diese Vorgängigkeit der Per-
Patienten rückzuerstatten sucht, genügt dem Unerbittlichen, um den version liegt in der Tatsache der konstitutiven Dissoziierthett des Menschen
Stab über di~ ganze Therapie, sofern sie Befahigung zum richtigen und seiner Alienation im anderen, durch die ihm die natürliche Sexualität
Leben sein wIll, zu brechen. ,,285 von vornherein unmöglich ist. Es kann unter der Bedingung der Existenz von
Bewusstsein und Sprache in einer Welt, in der Begehren wie Diskurs stets
Es liegt Adorno nichts an der Unterscheidung einer echten, authentischen die des anderen sind, keine ,natürliche Sexualität' geben, kein ,natürliches
Analyse und einer verflilschten, missbräuchlich gehandhabten. Bei Lacan Sexualobjekt'. Der Zugang zum Geschlechtspartner kann beim Menschen
nun freilich geht es gerade nicht um die Wiederherstellung der Genussfahig- immer nur über Simulacren erfolgen, wie zum Beispiel einem Fetisch, wes-
keit, sondern eben die Rektifizierung des Begehrens. Das Ziel einer Rücker- wegen ein ,volles Genießen' unter der Bedingung des Menschseins für im-
sta~g der Genussfahigkeit ist bei Lacan das Kennzeichen eines psychoana- mer eine Fiktion bleiben muss oder nur um den Preis eines vollständigen
lytischen Irrwegs. Dagegen hat, wie Lacan meint, Verlassens der sozio-symbolischen Ordnung möglich ist, also um den Preis
,,[...] die [echte, JA] Analyse [...] nur ein Ziel: das Genießen zu zü- des ,sozialen Todes'. Genau dies ist es, das die Avantgardisten der "sexuel-
geln".286 len Revolution" (und ihre Vorläufer, z.B. Reich) immer verkannt haben. Sie
,glaubten' folgerichtig an ein ,vollen Genießens', dessen Möglichkeit einzig
durch die restriktive Sexualrnoral verhindert würde. Aber genau dieses
Gnießen bleibt heutzutage aus, obwohl kaum noch moralische Standarts der
Freiheit des Subjekts im Wege stehen. Die für den Menschen konstitutive
285 Raulff, U.. ,,50 Jahre Mimma Moralia. Aufforderung zum Tanz", in: SüddeutsChe Zeitung und strukturelle Unmöglichkeit eines ,vollen Genießens' und folglich das
28.08.2001 ' Naheliegen der Perversion erklärt Zizek folgendermaßen:
286 Lacan, J.. Discours de clouture des Joumees sur les psychoses chez I'enfant, In Recherches.
Sonderheft "Enfance alienee", 11.Dez. 1968, S. 145/46; dt. Übersetzung der zitierten Stelle "Die Lacansche Aussage ,Es gibt kein sexuelles Verhältnis' bedeutet
in: Derrida, Jaques, Die Postkarte, 2. Lieferung, Berlin, 1987, S. 264, Fußnote 25 letztlich, daß wir, wenn wir ,es tun', wenn wir den Geschlechtsakt
128
129

vollziehen, irgendein phantasmatisches Supplement benötigen, an et- Ersetzt man im Text von Adorno den Begriff Psychoanalyse durch den der
was anderes denken (phantasieren) müssen. Wir können uns nicht Therapie, wird es leicht, die adornosche Sichtweise mit der Lacans kurzzu-
einfach der unmittelbaren Lust dessen hingeben, was wir gerade tun, schließen. Beide erfassen die Zusammengehörigkeit der scheinbar despera-
wenn wir dies tun, geht die lustvolle Spannung verloren. Dieses ,an- testen Felder. Reales und Imaginäres stehen sich unvermittelt gegenüber und
dere', welches den Akt selbst aufrechterhält, ist der Gegenstand des
wo das die Beziehung zwischen diesen beiden vermittelnde Symbolische
Phantasmas; normalerweise handelt es sich um irgendein ,perverses'
Detail (irgendein idiosynkratisch~s Merkmal des Körpers des Partners stehen müsste, klafft ein Abgrund. In Adornos Analyse gibt es auf der einen
oder irgendeine Besonderheit des Ortes, im dem wir es tun, bis hin zu Seite
dem imaginierten Blick, der uns beobachtet).,,287 ,,[...] die dezidierte Proklamation von Verschwendungssucht und
Champagnerfröhlichkeit, wie sie früher den Attaches in ungarischen
Es nimmt übrigens unter der Bedingung einer weitgehenden Unbeeinflusst- Operetten vorbehalten warf mit tierischem Ernst zur Maxime richti-
heit von christlich/abendländischer Sexualmoral auf dem Boden einer hoch- gen Lebens erhoben [...],,29
entwickelten, verfeinerten Kultur nicht Wunder, dass das heutige Japan das
Eldorado der Perversionen schlechthin ist. - Gleichwohl, die Perversion ge- und auf der anderen die
hört der Ordnung eines Willens zum Genießen an und bei Lacan ist das Ge- ,,[...] Errichtung von Menschenschlachthäusern so weit hinter Polen,
nießen, nicht das Begehren, das Untersagte. Glück kann deshalb die Analyse daß jeder der eigenen Volksgenossen sich einreden kann, er höre die
288
gerade nicht versprechen. Indem aber Adorno die Psychoanalyse mit ihrer Schmerzensschreie nicht. Das ist das Schema der ungestörten Genuß-
Verfallsform, der von Lacan perhorreszierten Ego-Psychologie, der amerika- fähigkeit. ,,292
nischen Analyse und den mediokeren Therapieformen verwechselt, bzw.
verwechseln will, wie Raulff, sicher nicht zu Unrecht; mutmaßt289, sieht er Diese Stellen aus der "Minima Moralia" müssen natürlich vor dem Hinter-
sie auf das zukünftige Glück und die Rückerstattung der Genussfahigkeit grund der Erfahrung des NS gelesen werden. Sie lassen sich jedoch mühelos
kapriziert und verwirft sie deshalb in toto. Er schreibt: in Lacans Schema einfUgen. Charakteristisch ist das Verfehlen der symboli-
"Die Psychoanalyse tut sich etwas zugute darauf, den Menschen ihre schen Ebene. Es fehlt die Ebene des Gesetzes (der symbolischen Kastration).
Genussfähigkeit wiederzugeben, wie sie durch die neurotische Er- Bei Adorno fUhrt ein "gerader Weg" vom "Evangelium der Lebensfreude"
krankung gestört sei. Als ob nicht das bloße Wort Genußfahigkeit ge- (gespeist aus dem Imaginären, dem Mythos eines vollen Genießens) zu jenen
nügte, diese, wenn es so· etwas gibt, aufs empfmdlichste herabzuset- "Menschenschlachthäusern". Dem "Evangelium der Lebensfreude" ent-
zen. Als ob nicht ein Glück, das sich der Spekulation auf Glück ver- spricht heute die Ideologie der sogenannten Spaßgesellschaft mit ihrem Hang
dankt, das Gegenteil von Glück wäre, ein weiterer Einbruch instituti- zum perversen Genießen. Im Verfehlen der symbolischen Ebene durch die
onell geplanter Verhaltensweisen ins immer mehr schrumpfende Be- Nicht-Anerkennung, Leugnung oder Verwerfung des Gesetzes der symboli-
reich der Erfahrung.,,290 schen Kastration wird die Realität, wie Lacan sagt, zur "Grimasse des Rea-
len,,293. Auf der einen Seite, als diese Grimasse, die ewige TV-Präsenz der
vom Willen zum Genuss bereits deformierten Gesichter, die imaginäre Hol-
lywood-Welt mit ihren narzisstisch-exhibitionistischen Selbstdarstellern und
287 ZiZek, S.: Die Furcht vor echten Tränen, S. 227 auf der anderen das Reale selbst, so weit weg von der westlichen Welt wie
288 Glück ereignet Sich, fasst man die Sache iacanlanlsch auf, Im Spleien mit dem Signifikan- Guantanamo Bay, wo die Gefangenen in einer Art ,rechtsfreiem Raum', mit
ten und III seinem Entziffern. Das mögliche Glück (bonheur) im Unterschied zum unmög-
lichen liest Lacan als bon heurt, d.h. "gute Begegnung", (demgegenüber: malheur = mal
heurt). Es ISt elll Zusanunentreffen mit elllem Objekt, das ,sonst' verfehlt wird. Lacan gab
seinen "präsuppomerten Analytikern" den Rat, um sie die Lust im Entziffern des Signifi-
kanten zu lehren, sich im Lösen von Kreuzworträtseln zu üben.
291 Ebd., S. 73f.
289 Raulff bringt hier Vatermordmotive versus Freud ins Spiel.
292 Ebd.. S. 75
290 Adorno, Th. W.. Mimma Moralia, S. 74
293 Zit. n.. Evans, D.: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanaiyse, S. 253
130 131

dem Etikett ,böse' versehen, schlimmer gehalten werden als dies heutzut der ]ouissance auf und anstelle der Probleme mit dem w~hren. Ich; dem
age vol-
bei Zootieren der Fall ist. 294 len Genießen und der adäquaten Selbsterkenntnis stellt Sich plötzhch
em an-
deres. In der drastischen Sprache der alten Zen-Texte wird dieses Problem
4.2.2 Die Therapie ist Symptom einmal so zur Sprache gebracht:
Der gemeinsame Nenner der auf die Rückerstattung von Genussflihigke Ein Mönch fragte: Was ist das Problem?' Meister Junmen sagte:
it
spezialisierten Therapien ist der Wille zur Nicht-Akzeptanz der symbol "Daß du den Gestank'deiner eigenen Scheiße nicht bemerkst. ",296
schen Kastration. Wenn Lacan sagt, es gehe darum, das (mythische,
i- ,
imagi-
näre) Genießen zu zügeln und die symbolische Kastration anzuerkennen Am Ort der Wahrheit" sieht sich das Subjekt irgendwann unweigerlich
so mit
Adomo, dass . ' sein~~ joutssance konfrontiert. Das Wissen, das es hier erlangen kann, be-
"[00'] die Leute durchweg zu wenig Hemmungen haben und nicht zu stimmt Lipowatz wie folgt:
viele, ohne doch darum um ein Gran gesünd er zu sein" und es in einer Am Ort der Wahrheit ist das Wissen ein Wissen über die Verbin-
"kathartische(n) Methode, die nicht an der gelungenen Anpassung dung von Differenz, Gesetz, Sprache, Geschlecht, Begehren, Genuß
un~ dem ökonomischen Erfolg. ihr Maß fmdet" darum und Tod [...]"297
gehen müsse,
"die Menschen zum Bewusstsein des Unglücks, des allgemeinen und
des davon unablösbaren eigenen [...] zu bringen" Dagegen bedarf die Illusion eines substantiellen un~ ei?entlichen Ich
wie ~ie
der uranflinglichen Ganzheit des Subjekts der standlgen Neuko,nstruktlO
Aus der Sicht Lacans sind die Therapie und die falsch verstandene Analyse n
durch die Therapeuten. Das Subjekt, dem solche Wohltaten erwiese
selbst als Symptom zu werten. Sie stellen ein versöhntes Selbst in Aussich n ,,:e~­
t den, wird noch Probleme erfinden, wo keine sind --: das Schlagwort "Sens,lb
l-
geben einem imaginären Wunschbild die Fassung eines erreichbaren
objek~ lisierung" meint nach N. Bolz, dass man "mehr leidet, obwohl man wemge
r
tiv Wirklichen und intendieren dabei, das Subjekt zum Statthalter dieses Grund dazu hat,,298, Der "Sieg des Therapeutischen"299, von dem heute
an die
der Norm orientierten, leer-abstrakten alter ego zu machen, das es dann Rede ist meint dass die Therapie selbst der Genuss ist, zu dem sie
für führen
sein authentisches, wahres Ich halten kann. Die Therapiegläubigen sollen soll. Da~ konthtgente Herumirren der Signifikanten ist nicht so schlim~
eigentliches Dasein in einem Bild von sich manifestiert finden. Beim
ihr ,
An- wenn nur die Therapie mit dem direkten Draht zu Groß A, den zu ?ab,en
blick ihrer urbildlichen Gemeintheit sollen sie Trost fmden für ihr verleug sie
ne- den Anschein wahrt transzendental verbürgt, was der tiefsten narzisst
tes, sich aber perpetuierendes Verfehlen oder dieses sogar umdeuten ischen
in ein Sehnsucht des Subj~ktS entspricht. Zizek bringt es auf den Punkt:
Gelingen. Die Kontingenz der Existenz wird zugunsten einer imaginä
ren "Das grundsätzliche Kennzeichen der Kultur der Klage ist die Anru-
Wohlgeratenheit verdrängt und das durch die Alienation im anderen
konsti- fung des großen Anderen, verbunden mit der Aufforderung zu mter-
tutiv dissoziierte Subjekt fmdet sein Heil, seine Ganzheit in diesem therape
u- venieren und die Sache in Ordnung zu bringen" ,300
tisch gestützten Imaginären. Der Wunsch lautete, wiederhergestellt
zu be-
kommen, was geflihrdet scmen und die Reintegration der Illusion leistet
die Bezeichnenderweise ist heutzutage von Therapiesüchtigen die Rede.
Therapie. Diese
Spezies taucht auf, weil die Therapie selbst die Befriedigung li~fert,
In der Therapie "geht man nicht zu Boden", wie Lacan im Fernsehintervie die ,sie
w verspricht. Wenn sie selbst die Befriedigung schon ~st, zu de~ sie vermem
sagt.295 Im Zu-Boden-Gehen der Analyse tut sich ein Blick in den Abgrun t-
d lich erst führt, ist es notwendig, dass sie endlos ist. Sle muss Sich also
endlos

294 Hier ließe sICh Jedoch, ohne die theoretische Ebene zu wechseln, auch 296 Zen-Worte vom Wolkenberg: Meister Yunmen. S. 45
ein Diskurs über die
jeder Beschreibung spottende Haltung von Nutzvieh (auch ein ammal, em 297 L1powatz, A.: Diskurs und Macht, S. 226
schmerzempfin-
dendes Wesen) in unserer humanen Gesellschaft anschließen - die Transport 298 BOlZ, N.. Die Konformisten des An(jerssems, S. 112 .
e zu den
Schlachthöfen finden bekanntlich vornehmlich nachts statt, um der Bevölker 299 VgI. hierzu: Arokiasamy, A.M.: Warum Bodhidharma in (jen Westen ..., S.
ung den An- 118
blick und das Brüllen dieser geschundenen Kreaturen zu ersparen. 300 Zizek, S.. Liebe (jeinen Nächsten ...?, S. 158
295 Lacan, 1.. RIT, S. 64
132 133

fortsetzen in Form einer, wie Hegel sagen würde, schlechten Wiederholung. Schmerz des Existierens selbst ist und die Bearbeitung des Traumas sind
Ihrer Unbeendbarkeit entspricht die ausbleibende Ganzheit des Subjekts. verschiedene Dinge.
Ganzheit ist ja neben Genussfähigkeit das sakrosankte Ziel des zeitgemäßen Die Differenz, die die Therapeuten bearbeiten, ist die zwischen dem (imagi-
Willens zum Nicht-Wissen. I
nären) Ego und einem (imaginären) alter ego. Die Analyse demgegenüber ist
N. Bolz beschreibt das Kulturphänomen der Therapiesucht in seinem Buch befasst mit der Wende vom "imaginären Unvermögen zum Unmögli-
"Die Konformisten des Andersseins" folgendermaßen: chen,,304, Dass die Therapie das imaginäre Genießen in das Genießen der
Therapie selbst prolongiert, darüber muss sie Schweigen bewahren, anderen-
"Das Individuum entsteht in der Selbstbeobachtung seiner Leiden- falls wäre mit ihrem Abbruch zumindest zu rechnen. Psycho-Therapie ist
doch das will gelernt sein. Zum Individuum gehört deshalb der The- nicht zuletzt ein florierender Erwerbszweig.
rapeut, der Berater der Leiderfahrung, der Trainer der Selbsterlösung.
Er sorgt dafiir, dass sich die Individualität als Dauertherapiebedarf, 4.2.3 Zwei Kennzeichen zur Unterscheidung von Psychoanalyse und
als permanente Heilsbedürftigkeit deutet. In der therapeutischen Ge- Therapie
meinschaft wird jeder stimuliert, über sich selbst und seine Probleme
zu sprechen - unter der Voraussetzung, daß man nicht nicht verstan- Hier seien abschließend noch zwei zueinander in Beziehung stehende Kenn-
den werden kann. So werden wir alle immer sensibler. Sensibilisie- zeichen genannt, anhand derer sich die Psychoanalyse von den heute gängi-
rung heißt ja, .daß man mehr leidet, obwohl man weniger Grund dazu gen Therapieformen unterscheiden lässt: Die Therapien behandeln in den
hat.,,301 . meisten Fällen die frühkindliche Mutter-Kindbeziehung und die Frustration,
nicht die Privation. Borens schreibt dazu:
Nach 'solchem Deutungsschema ist die Zen-Übung keine Therapie, wenn
"Mit Frustration (frustrer - jemanden um etwas bringen) bezeichnet
doch, dann "eine wunderbare östliche Therapie"302, wie der Zen-Meister A- man den Akt, in dem die Mutter dem Kind ein Objekt eines biologi-
rokiasamy schreibt. Der Zen-Meister L. T. Tenbreul fordert zu einem ande- schen Bedürfnisses vorenthält, es ihm versagt.,,305
ren als im Phänomen der Therapiesucht zum Ausdruck kommenden Umgang
mit dem Leiden auf, indem er zwischen zwei Arten von Leiden unterschei- Die Therapie dreht sich um das Zentrum der Abwesenheit dieses Objektes
det: und die Möglichkeiten seiner (Rück)Erstattung. Die Wendung weg von der
"Der Unterschied zwischen echtem, durchdringenden Leiden und ei- Privation hin zur Frustration und mit ihr einhergehend die von der Analyse
nem albernen Leiden an sich selbst besteht darin, daß echtes Leiden der ödipalen Triangulation hin zu der der frühen Mutter-Kindbeziehung ist
die Konturen schärft, etwas klarstellt, die Schärfe und Kürze der Zeit nach Borens datierbar:
erkennen läßt und letztlich bedeutet, nicht daran zu leiden; Leiden an "Diese Wendung zur Frustration hin fand in den fünfziger Jahren
sich selbst verwischt die Sicht, man leidet an sich selbst ein Leben statt, als sich das Interesse der meisten Psychoanalytiker vom Ödi-
lang, ohne zu begreifen, was Leiden wirklich meint.,,303 puskomplex weg zu den frühen Mutter-Kindbeziehungen verlager-
te.,,306
Der strenge Formalismus der Analyse wie auch des Zen gegenüber dem
Formenwucher der Therapieformen (die sich entsprechend häufig auf die Lacans (unzeitgemäße) Programmatik der Rektifizierung des Begehrens in
,Macht der Fantasie' berufen) bringen die Distanznahme des Subjekts zum seiner Konformisierung mit dem Akt ist immer mit der Abwendung vom i-
imaginären Ich, einem imaginären, mythischen Genießen und dem diesem maginären Schaden und der Hinwendung zur symbolischen Kastration ver-
entsprechenden Leiden auf den Weg. Das Zeigen auf die Wunde, die der

304 Lacan, 1.. R/f, S. 42


301 Bolz, N.. Die KonformIsten des Andersseins, S. 112 305 Borens, R.. WiderstlInde der Psychoanalyse, m: Riss, Zeitschrift filr Psychoanalyse,
302 Arokiasarny, A.M.. Warum Bodhidharma m den Westen ..., S. 118 Freud.Lacan, Nr. 43, S. 20
303 Tenbreul, L.T., m: Zen-Info, Nr. 62,63/1999, S. 23 306 Ebd., S. 19
135
134

bunden. Dazu ein längeres Zitat aus dem Text von Borens, der seinerseits Weg zur Privation freigelegt [ist], der dann seinerseits die Ausgangs-
Lacan zitiert: basis für die symbolische Kastration sein kann. ,,308

"Nichtanalytische Therapiemethoden und psychoanalytische Strö-


mungen, die sich besonders in der imaginären Deutungsebene der
Frustration bewegen, züchten frustrierte Patienten heran, die auf die- 4.3 Das adressierte Selbstgespräch
ser Ebene der Ansptiichlichkeit, auf der sie etwas fordern, was ihnen Alles, was uns widerfährt, alles, was wir
vermeintlich zusteht, ~ionieren. Das Objekt der Frustration ist ein sagen oder was uns erzählt wird, alles, was
Objekt, das vom anderen besessen wird, das der andere entwendet wir mit unseren eigenen Augen sehen oder
hat. Das Musterbeispiel hierfür ist die Mutterbrust, die der Rivale, das was uns von den Lippen kommt oder in un-
jüngere Geschwister, bekommt. sere Ohren dringt, alles, was wir unmittel-
Frustration', schreibt Lacan, ist in ihrem Wesen der Bereich der bar erleben (und wofür wir daher ein Stück
Ansptiichlichkeit. Sie betrifft nicht eine Sache, die gewünscht und Verantwortung tragen), muß einen Adres-
nicht gehalten wird, sondern die gewünscht wird ohne irgendeinen saten außerhalb unserer selbst finden, und
Bezug zu einer Möglichkeit der Befriedigung oder des Erwerbes. Die diesen Adressaten wählen wir uns je nach
Frustration ist in sich selbst der Bereich der ungezügelten und gesetz- dem, was geschieht oder was uns gesagt
losen Forderungen. Der Kern des Konzeptes der Frustration, insofern wird oder was wir selber sagen. (Javler
sie eine der Kategorien des Mangels ist, ist ein imaginärer Schaden.' Marias, "Alle Seelen ")
Abgesehen von klinischen Anwendungen dieser Differenzierung der
Josef Beuys sitzt vor vorbeiziehenden Besuchern bewegungslos in einem
verschiedenen Formen des Mangels - es sei nur darauf hingewiesen,
leeren Raum vor einem flimmernden und rauschenden TV-Gerät auf einem
dass die Differenzierung von Privation und Frustration Unterschei-
dungen zwischen Alkoholismus und Drogensucht ermöglicht, indem Stuhl, mit einem ausgestopften Hasen auf dem Arm. Das Environment trägt
erstere der Frustration, letztere der Privation zugeordnet werden den Titel Wie erkläre ich dem toten Hasen die Bilder?" Es haftet dem etwas
kann - erlaubt sie auch der aktuellen Tendenz entgegenzuwirken, den schmerzh~ft Sinnloses an, einem "toten Hasen Bilder zu erklären". Aber al-
Analysanten immer schlimmere und frühere Störungen anzuhängen. legorisiert das Szenarium nicht genau den Normalzustand des gewö~lichen
Die Leere, das Loch, das so oft unter einer mehr oder weniger lauten heutigen Medien- und insbesondere Fernsehkonsumenten? Sem 1nneres
Symptomatologie befürchtet wird, ist tatsächlich vorhanden, ist aller- Selbstgespräch richtet sich an einen anderen, dem er "die Bilder erklärt", un-
dings für das Subjekt, für jedes Subjekt konstituierend und nicht etwa bewusst präsupponierend, dieser führe gleichsam Buch über alle' seine Ge-
Zeichen einer schweren Störung oder einer Psychose. [... ]"307 danken, Erwägungen und Schlüsse. . .. . . .
Auch das sogenannte Selbstgespräch ist also adres~lert. Urs~chhch für se~
Häufig jedoch bestehen Analysanten mit ganzem Einsatz ihrer Person gerade Stattfmden ist die für den Menschen konstitutive Ahenatlon 1m anderen. D1e
darauf, als Kranke genommen und behandelt zu werden. Der Analytiker hat Dissoziation des Menschen durch das adressierte Selbstgespräch fällt des-
hier stets sein Enthüllungsbegehren zu mäßigen, um nicht bereits halb geöff- halb in psychoanalytischer Sichtweise auch nicht in den Bereic~ der Psycho-
nete Türen wieder zuschlagen zu lassen, aber es bleibt dabei, dass erst se und ist nicht mit den Phänomenen der sogenannten DereallSlerung oder
Depersonalisation zu verwechseln. Auch muss bei einem Individuum die
,,[...] wenn die Verkennungen der Frustration, diese Verkleidungen
des ursprünglichen Mangels, aufgehoben sind, [...] der schmerzliche Trias von Imaginärem, Realem und Symbolischem nicht in bizarrer Welse
verbunden sein damit es stattfinden kann. Das adressierte Selbstgespräch ist
eine elementar~ Äußerungsweise der für das Sprechwesen konstitutiven A-

307 Ebd., S. 21 308 Ebd., S. 22


136 137

lienation im anderen. Diese kann nicht überwunden werden. "Der Andere ist geschlossenheit des "Weltinnenraums". In ~er "heuti~enCybe~~flacegemein-
für mich konstitutiv", wie Arokiasamy schreibe o9, ganz auf der Linie La- de" koexistieren demnach "globale Harmome und SolIpSIsmus .
cans. Das Fehlen eines äußeren Gegenstandes, der die Aufmerksamkeit in Die Analyse aber bewirkt den Austritt aus einem solchen Käfig, der wie ein
Anspruch nimmt, intensiviert noch die Aktivität des adressierten Selbstge- Palast scheint, indem sie zur Wahrnehmung des wirklichen anderen außer-
spräches. Während der übung des Zazen schaut man, ohne sich zu bewegen, halb des Netzwerks der totalen Kommunikation und außerhalb des "Weltin-
etwa einen Meter vor sich hin und ist in seiner Bewegungslosigkeit "geschäf- nenraums" zwingt (die eben zur Ununterscheidbarkeit tendieren). Während
tig wie ein Affe". der Begegnung mit diesem wirklichen anderen kommt es dann zu einer ande-
Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Die meisten Menschen haben es erlebt, ren Koinzidenz, einer zutiefst verstörenden, der von absoluter Fremdheit und
sich allein auf Reisen zu befinden und allj:: Eindrücke, die sie empfangen, absoluter Nähe. Niemand ist uns fremder als der Nächste.
augenblicklich einer nicht mitreisenden anderen Person mitzuteilen, einer Das Bild des im "Weltinnenraum" totaler Kommunikation verlorenen Sub-
Freundin oder einem Freund, den Eltern, dem Lehrer oder Schüler. Ja, das jekts aber verschmilzt mit dem des Narziss. Im adressierten Selbstgespräch
Erlebte ist unmittelbar mit diesem gleichzeitigen Erzähltwerden verbunden. ist der andere als anderer, in seiner irreduziblen Alterität, geschweige denn
Das Selbstgespräch wendet sich an den anderen als einer Figur innerhalb ei- anerkannt, er ist gleichsam bereits urgetötet, so tot wie der tote Hase aus o-
ner phantasmatischen Realität. Wer der andere für das Subjekt ist, welchen bigem Beispiel. Für den Narziss ist eben nur der tote andere der gute andere.
Platz er in dessen fantasierter Realität einnimmt, kommt im Selbstgespräch Und nur als dieser urgetötete andere besetzt er einen Ort im phantasmati-
am reinsten zum Erscheinen. 310 Im alltäglichen sozialen Leben wird dieser schen "Weltinnenraum" des Subjekts, den es für die Realität nimmt. Deshalb
phantasmatische andere von Fall zu Fall durch die Realpräsenz des wirkli- wird in der Analyse das Bild des anderen vom wirklichen anderen abgelöst.
chen anderen daran gehindert, den Platz einzunehmen, den er im imaginären Hier ist noch eine wichtige Unterscheidung am Platz: Was Lacan den großen
Universum des Subjekts innehat, dem Raum des Phantasmas, in dem alles Anderen nennt, das ist der nicht der Kastration unterworfene andere. Der
vom wirklichen anderen unberührt bleibt. Das Phantasma ist nicht nur die wirkliche andere ist im Unterschied zum anderen des Phantasmas nämlich
"Armatur der Gedanken", es strukturiert auch die Subjekt-Objekt-Beziehung. der Kastration unterworfen. Der phantasmatische und also große Andere, an
Das Hervortreten des wirklichen anderen ohne das phantasmatische Schutz- den sich das Selbstgespräch richtet, ist dies nicht. Er darf es auch nicht sein,
schild, das vor seiner massiven Präsenz abschirmt, geflihrdet dann die Reali- denn nur als nicht-kastrierter anderer (und als solcher ist er tot) kann er für
tät als solche in ihrem Bestand, denn diese ist analytischerweise ja nur anzu- das Subjekt Garant und Stütze seiner Realität, seines Daseins sein. Nur als
gehen als zum Phantasma gehörig. In der Abgeschlossenheit und Verloren- anderer des Phantasmas verbürgt er ihm das In-der-Welt-sein als zwar unter
heit seines von der Alterität des anderen unberührten "Weltinnenraums" (das dem Leitstern des Imaginären stehendes, aber gerade dadurch auch sinnhaf-
Kompositum ist eine Sprachschöpfung Rilkes) aber geschieht dieses Selbst- tes Geruge, in dem tendenziell alles in eine Narration übersetzbar ist.
gespräch ohne Unterlass. In hierzu passendem Zusarnrnenhang gibt Zizek ei-
ne interessante Deutung von Leibniz Monadenlehre. Wo wir Wirklichkeit
4.4 Das Zurückgeben der Frage in umgekehrter Form
nur noch als Screen-Phänomen ,konsumieren' und es letztlich unsicher
bleibt, ob wir mit dem wirklichen anderen hinter dem Bildschirm kommuni- Jemand fragte: "Was ist Schweigen wäh-
zieren oder einfach nur mit "gespenstischen Simulacren", koexistieren die rend des Sprechens?" Der Meister antwor-
totale Kommunikation, die uns erlaubt, mit jeder beliebigen "Monade" des tete: "Da ist dir eine klare Chance durch
globalen Raums jederzeit in Kontakt treten zu können und die absolute Ab- die Finger geschlüpft!" Der Frager fuhr
fort: "Und wie steht es mit dem Sprechen
während des Schweigens?" Der Meister
schrie: "Schiaaaa! "(Aus: Meister Yunmen,
Zen-Worte vom Wolkentorberg)
309 Aroklasamy, A.M.. Warum Bodhidharma in den Westen kam, S. 156
310 Daher auch der Wert, den die Psychoanaiytiker der sogenannten "freien ASSOZiatIOn" bei-
messen, da in ihr das Selbstgespräch gieichsam öffentlich gemacht Wird. 311 Vgl.. Zizek, S.. Die gnadeniose Liebe, S. 99
138 139

Der alte chinesische Zen-Meister Yunmen bezeichnete ein Sprechen, das, la- der. Realisation der Frage als Eintritt in die Verantwortung. Antworten kann
canmäßig ausgedrückt, unter dem (imaginären) Geleit eines (imaginären) sich so gerade nicht auf letztes Wissen gründen, sondern gerade auf das Wis-
Groß A steht und von diesem versichert sich wähnt, als "Kauderwelsch" und sen des Fehlens dieses Wissens. Die besondere Art des ,abschlägigen Be-
"Traumgefasel,,3!2. Das "leere Sprechen", sagt Lacan, ist wie "Starengezwit- scheids', den in so vielen Zen-Beispielen die Meister ihren Schülern geben,
scher" oder das "Wau Wau der Hunde,,313, wie das Lallen von Kleinkindern ist die Zurückweisung der Frage, die gestellt wird, die die Schüler haben,
(lalalangue). Unter "leeres Sprechen" fallt die Rede des "man", jede konsta- zugunsten der Evokation der Frage, die sie sind. Die Verantwortung des
tive Prädikation, jede Tatsachenfeststellung, ebenso das Vorbringen von Sprechens in der analytischen Situation gründet auf dem Wissen, dass es
Vorstellungen und Meinungen, solange hinter solchen Äußerungsformen ein immer nur diese Frage ist, die die Antwort bereits enthält.
Sich-Verschanzen, In-Deckung-Gehen hinter der Wucht des Realen - des Abbruch des adressierten Selbstgesprächs bedeutet dann im Zusammenhang
Geschlechts, der Kontingenz, der Vergänglichkeit - steht. Demgegenüber mit der Frage, die das Subjekt ist: Abwendung vom imaginären, als nicht-
kann das "volle Sprechen", der performative Sprechakt, das Sprechen als ak- kastriert supponierten anderen, dem "unterstellt wird zu wissen" zugunsten
tives Handeln, als eine Art regulatives Ideal der lacanschen Analyse gelten. einer effektiven Realisierung dessen, dass der Diskurs je schon der des ande-
Nur auf der symbolischen Ebene ist es möglich, dem Realen gerecht zu wer- ren ist und es keine Metasprache gibt. So ereignet sich die Realisierung des
den. Der Psychoanalytiker muss von der Macht der Worte wissen, muss wis- Daseins als Mitsein. Den Widerstand des Analytikers macht aus, wenn er die
sen, dass Worte heilen können oder ins Unglück stürzen; sie können "Hyste- "kontinuierliche Übung" nicht aufrechterhält und das ist jedesmal dann der
rikerinnen schwanger werden lassen,,3!4, also gewissermaßen Wunder voll- Fall, wenn er der Versuchung erliegt, auf Fragen im gewöhnlichen Sinne zu
bringen (wie in den Evangelien), sie können auch einem Subjekt die "Zei- antworten; also nicht die Frage selbst in umgekehrter Form (in ihrer wahren
chen seines Schicksals übergeben; [...] die Wörter (mots) [...] die (es) treu Form) zurückzugeben, sondern ein Wissen anzubieten, das sich schließt, ein
oder abtrünnig werden lassen,,315. Ein einziges Wort oder ein Satz, aber auch Mehr-Wissen, das vermeintlich dazu taugt, die "Löcher zu stopfen". Die Un-
eine Geste, davon berichten die alten Zen-Chroniken, kann Schicksale pola- terbrechung der Übung zieht so notwendig die Verfehlung des vollen Spre-
risieren. chens nach sich.
Lacan hat in seiner Deutung der Erzählung "Der entschwundene Brief" von Lacan hat sich statt mit dem Widerstand des Analysanten nur mit dem des
Edgar Allen Poe gezeigt, wie keine letter jemals nicht ihren Empfanger er- Analytikers befasst. Seine Ablehnung der sogenannten Widerstandsanalyse
reicht. 316 Der Grund hierfür ist, dass eben der Diskurs stets der des anderen erhält von hier aus ihren Sinn.
ist. Weil der Diskurs der des anderen ist, inkarniert sich das Subjekt als Fra-
"Deshalb bin ich versucht zu sagen, daß es in der Analyse einen ande-
ge. Es ist seine Frage und dies zu wissen, stellt radikal in die Verantwortung. ren Widerstand als den des Analytikers nicht gebe. Denn dieses Vor-
Antworten im Ethos des lacanianischen Analytikers, die Verantwortung auf urteil [dass der Widerstand auf Seiten des Analysanten liegt, J.A.]
sich nehmen, kann deshalb nicht anders geschehen als durch das Zurückge- kann nur durch eine wahrhaft dialektische Umkehrung aufgelöst wer-
ben der Frage und zwar, wie Lacan sagt, in umgekehrter, in ihrer wahren den, überdies ist es nötig, daß diese sich beim Subjekt durch kontinu-
Form. Das Zurückgeben der Frage in umgekehrter Form bewahrt die Frage, ierliche Übung aufrechterhält. Das ist es, worauf in Wahrheit sämtli-
und dies ist wichtig, insofern sie selbst ja schon Antwort ist. Die Frage, die che Bedingungen der Ausbildung des Psychoanalytikers zurückge-
das Subjekt ist, ist zugleich schon Antwort. Dieses Wissen ist die Bedingung hen.,,3!?
Die Verortung des Widerstands auf der Seite des Analysanten macht die A-
312 Wenn Jemand sem Vertrauen auf die buddhistische Lehre artikulierte, habe Junmen geant- nalysepraxis zu einer Ausübung von Macht. In einer solchen Praxis hat der
wortet: "Nichts ais Traumgefasel". Über den Buddha soll er gesagt haben: "Dieser aUe m- eine die Fragen und der andere die Antworten. Die "Dialektik des Ich und
dische Knacker Ist doch schon lange tot!" (Zen-Worte vom Wolkenberg; Meister Yunmen, des anderen [ist aber gerade] die [...] Sackgasse des Neurotikers" und so
S.57)
313 Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 68/69
verstärkt eine solche Analyse noch zusätzlich das Gefangensein des Subjekts
314 Lacan, J.: Sehr. I, S. 144
315 Ebd., S. 120
316 In: Lacan, J.: Sehr. 1, "Das Semmar über E. A. Poes ,Der entwendete Bnef, S. 7-44 317 Lacan, 1.. Sehr. III, S. 187
140 141

in der Intersubjektivität als dualer Beziehung. Macht ist immer der Verhinde- stehe immer noch nicht. Gibt es irgendwelche Worte, die das Brüllen
rungsgrund ftir eine Praxis, die Lacan eine "authentische" nennt. eines Drachen hinreichend beschreiben können?' Der Meister erwi-
derte: ,Ich verstehe die Worte auch nicht.' [...],,321
"Wir wollen zeigen, wodurch die Untahigkeit zu authentischer Praxis
wie es in der Geschichte der Menschen so geht, sich auf die Aus:
übung einer Macht reduziert.'o31s Mit der Antwort auf die erste Frage des Mönchs im zweiten Gespräch, führt
Dogen dann aus, habe Sekiso versucht,
"dem Mönch noch eine vollständigere Gestalt des brüllenden Drachen
Die folgenden Zitate aus Dogens Shöbögenzö sind Beispiele ftir Zurückwei- zu zeigen"322,
s~ng~n der Frage: die die Schüler haben zugunsten der Evokation der Frage,
dIe SIe sind und dIe sich realisieren soll. Der Meister gibt die Frage des Schü- Dogens Kommentar zur Antwort auf die zweite Frage lautet:
lers in umgekehrter Form zurück: ,
"Die zweite Antwort ,Du bewahrst noch immer das Bewußtsein', ver-
"Einst fragte ein Mönch den großen Meister Ryuto von Kyogenji: suchte, ihm den Geschmack von Freiheit zu geben.',323
,Was ist der Buddha-Weg?' Der Meister antwortete: Das Brüllen des
Drachen in einem ausgetrockneten Baum.' Der MÖnch sagte: ,Ich
verstehe nicht.' Der Meister sagte ihm: ,Es sind die glühenden Augen Antworten in der Zen-Praxis heißt auch, damit rechnen zu müssen, perma-
eines Totenschädels,,,319, nent mit Fragen konfrontiert zu werden, die sich auf Gelesenes zum Budd-
hismus, zum Zen beziehen oder die gestellt werden, um einen vermeintlich
~ieses Koan-Gespräch dient Dogen als Ausgangspunkt ftir die Wiedergabe typischen Zen-Diskurs zu provozieren. So ist es denkbar, dass ein Schüler
emes weiteren, das auf das vorige Bezug nimmt: den Meister fragt: ,Wie geht's?' und dieser antwortet schlicht: ,Danke, gut!'
anstelle der erwarteten Antwort, etwa: ,Die Hecke hinter dem Abort', Es
:,Ein anderes Mal fragte ein Mönch den großen Meister Sekiso: ,Was
1St das Brüllen des Drachen in einem ausgetrockneten Baum?' ,Du geht keineswegs darum, immer etwas besonders Merkwürdiges zu sagen.
bewahrst den Geist, der die Freude sucht', sagte der Meister zu ihm. Die zitierten Dogen-Dialoge sind auch keineswegs blanker Unsinn, als der
,Was sind die glühenden Augen eines Totenschädel?', fragte der sie auf den ersten Blick vielleicht erscheinen. Eine genaue und gründliche
Mönch nochmals. Der Meister antwortete: ,Du bewahrst noch immer Lektüre lohnt sich unbedingt. Der Meister darf mit seinen Antworten auch
das Bewußtsein. ",320 nicht um jeden Preis überraschen wollen. Er muss die Frage in umgekehrter
Form zurückgeben, um seiner Verantwortung gerecht zu werden, ansonsten
Diesem folgt in Dogens Wiederaufnahme der seinerzeit schon dem Kanon hat er am Lauf der SignifIkanten seine Orientierung.
zugehörigen Texte noch ein dritter Dialog auf der Basis der vorausgehenden: Lacan und vor ihm andere Analytiker standen vor dem Problem, wie mit
dem ständig wachsenden Wissen der Analysanten über die Theorie der Psy-
"Einst fragte ein Mönch den großen Meister Sozan Honjaku: ,Was ist choanalyse umzugehen sei, also dem Vorwissen, mit dem die Analysanten
das Brüllen eines Drachen in einem ausgetrockneten Baum?' Sozan
die Analyse bereits antraten und das sich während der Dauer der Analyse
sagte: ,Das Blut des Lebens der Buddhas und Patriarchen hat nie auf-
auch noch ständig vermehrte. Ferenczi und Rank vertraten die Auffassung,
gehört zu fließen.' ,Was sind die glühenden Augen eines Totenschä-
dels?' fragte der Mönch. ,Ein ausgetrockneter Baum trocknet nicht dass dem "Wissensüberschuß von Seiten des Patienten [...] mit größerem
a~s', war Sozans Antwort. Aber der Mönch sagte: ,Ich verstehe nicht.
Wissen von Seiten des Analytikers begegnet werden muß,,324, Wie klar ge-
GIbt es jemanden, der es versteht?' ,Jedermann auf der ganzen Welt worden sein dürfte, ist das genau die Methode, die Lacan als die falscheste
kann es verstehen', sagte Sozan zu ihm. Der Mönch sagte: ,Ich ver-

321 Ebd.
318 Zit. n. Lipowatz, A.. Diskurs und Macht, S. 219 322 Ebd. S. 135
319 Dögen, E.., Shöbögenzö, Band I, S. 134 323 Ebd.
.320 Ebd. 324 Evans, D.: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse, S. 73
142 143

markiert. Wenngleich die Mahnungen an seine Schüler, sich auch gründlich Der Analytiker hat die Deutung als Akt zu vollziehen und zwar als einen der
mit den an die Psychoanalyse angrenzenden "Konjekturalwissenschaften", Trennung. Er erweitert die "Theorien des Subjekts" nicht, er falsifiziert sie
wie er diejenigen Wissenschaften nannte, deren Name gemeinhin "Geistes- auch nicht, er stört sie vielmehr. Die Trennung ist ein Akt der Privation, er
wissenschaften" lautee 25 , zu beschäftigen, Legion sind, ist doch der Weg der schält gleichsam das Subj ekt aus seinem Phantasma heraus, dem ja Erkennt-
Aneignung immer komplexerer Deutungsmodelle durch den Analytiker, um nis' die zu ihren Referenten Wissen und Verstehen hat, inhärent ist. Die Ana~
den Analysanten in puncto psychoanalytischem Wissen zu übertreffen, für lyse könne so zu jenen Gipfeln der Selbstgewahrnis führen, sagt Lacan, die
Lacan ein fataler Irrweg. Auf genau diesen Irrweg begäbe sich auch ein Zen- in dem vedischen Tatswamast ausgedrückt ist: ,Das bist du' oder ,Du bist es'
Meister, der das Wissen des Schülers (über den Buddhismus, das Zen, die
Buddhanatur, etc.) zu übertreffen suchte. Aber Lacan opponierte auch gegen
die Tendenz (besonders der ersten Generation nach Freud), ihre Deutung
verstärkt auf Symbole zu gründen (wie vor allem Jung das tat). Der Rekurs
auf die symbolische Ordnung, die Ordnuhg des Sprechens, meint etwas hier-
von völlig verschiedenes. Die mit Symbolen arbeitende Analyse setzt den
Patienten in den Stand, bald genau vorauszuahnen, welche Deutung ein be-
stimmtes Symptom mit großer Wahrscheinlichkeit nach sich ziehen würde.
Und das wäre wohl, wie Lacan spottet, "sicherlich der ärgerlichste Streich
[...], den man einem Wahrsager spielen kann,,326, Außerdem fördert die
Symbol-Analyse die Selbstentfremdung des Patienten, insofern er sein
Trachten und Handeln stets mit Symbolen in Beziehung zu bringen nicht
umhin kann. Die Symbole fungieren als Metasprache, eine Art Groß A. E-
vans zeigt Lacans Umgang mit der Deutung gegenüber derartigen Konzeptu-
alisierungen des analytischen Handelns auf. Die womöglich größere Nähe
Lacans zum Zen als zu anderen psychoanalytischen Konzepten, selbst dem
Freuds, gewinnt hier an Plausibilität. Evans schreibt:
"So zeigt sich für Lacan die Deutung nicht als eine Frage der Einfü-
gung des Diskurses des Analysanten in eine vorgefaßte Deutungsmat-
rix oder Theorie (wie in der Dechiffriermethode), sondern im Stören
all solcher Theorien. Weit davon entfernt, dem Analysanten eine neue
Botschaft zu vermitteln, sollte die Deutung einfach den Analysanten
befähigen, die Botschaft zu vernehmen, die er unbewußt an sich
selbst richtet. [...] Der Analytiker spielt mit der Mehrdeutigkeit des
Sprechens des Analysanten und zeigt dessen vielfältige Bedeutungen
auf. Die wirksamste Methode der Deutung ist oft, selbst mehrdeutig
zu sein, indem der Analytiker die Mitteilun9: des Analysanten in ihrer
wahren, umgekehrten Form zurückschickt." 27

325 Lacan, J.. S XI, Die vier Grundbegriffe..., S. 49. Dort spncht Lacan von der Psychoanalyse
als emer "Kolljekturalwlssenschaft vom Subjekt"
326 zU. n. Evans, D.: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse, S. 73
327 Ebd., S. 74
5 Diskurs über die Mystik

5.1 Auf- und absteigende Mystik


Bis heute fIrmiert die Mystik unter ihren Verächtern als Sammelbegrifffür
eine Art Gegenaufklärung zur kurrenten Aufklärung der Philosophie. Ob
eingestuft als subaltern, unfähig, sich in rationales Handeln und vernünftige
Politik zu übersetzen oder sogar gefährlich, ihr Name steht meistfür einen
Gegensatz zur auf Klarheit und Distinktheit setzenden Bewusstseinsphiloso-
phie.
Aber schaut man genauer hin und nimmt sie nicht lediglich als all das, "was
nicht Politik ist,<328, lässt sich folgende Unterscheidung treffen: Es gibt eine
aufsteigende und eine absteigende Mystik. Eine fliehende ist die aufsteigen-
de genannt worden und eine, die nicht flieht oder die das Fliehen flieht, die
absteigende. Platonische, neuplatonische und christliche Mystik meinen, die-
se Unterscheidung zugrundegelegt, im wesentlichen Flucht, Fliehen, vom
Einzelnen (Besonderen) zum Allgemeinen, vom Körper zum Geist, vom
Vielen zum Einen. In Platons Höhlengleichnis, worin der Aufstieg des
Troglodyten aus der Höhle ans Sonnenlicht und in den Ideenhimmel be-
schrieben wird, fmdet diese Art Mystik ihr grandioses und unübertreffliches
Paradigma.
Das Zen aber lehrt den Abstieg, den Verzicht auf die Philosophie selbst: ein
Fliehen des Fliehens, den Rekurs auf den Körper, den Bezug zum Alltag. Es
lehrt, im Gewöhnlichen das Erhabene zu erkennen und das Erhabene als
,nichts besonderes' zu achten. "Deshalb gibt es Zen im Bogenschießen, Zen
im Ikebllna, Zen in der Teezeremonie. ,,329
Für G. Böhme verläuft die Grenze zwischen auf- und absteigender Mystik
zwischen West und Ost, zwischen Europa und Asien:
"Die Behauptung der Nähe von Mystik und Alltagsleben ist uns Eu-
ropäern fremd, weil wir in einer Tradition stehen, die Mystik in der
Regel mit Weitabkehr in Verbindung bringt. Es ist die Tradition der
platonischen Mystik [... ]"330

328 Lacan, 1.. S XX, Encore, S. 82


329 Arokiasamy, AM.. Warum Bodhidharma in den Westen..., S. 215
330 Böhme, G.. Anthropologie In pragmatischer Hinsicht, S. 214
146 147

An dieser hebt er die Orientierung an der Idee des Guten hervor, ohne je- nen. Obgleich die Erfahrungen dieses Weges nicht geleugnet werden
doch, wie Lacan, diese Orientierung am Guten zum "Dienst an den Gütern" sollen, muß er als ein illusionistischer Weg bezeichnet werden, weil
in Beziehung zu setzen. DafUr treten bei· Böhme zur Charakterisierung der der Mensch, der diese Erfahrungen hat, schließlich doch stirbt. Der
platonisch/aristotelischen Ausrichtung noch zwei weitere Motive hinzu, de- andere, der absteigende Weg, scheint dem menschlichen Dasein an-
ren Inkompatibilität mit sowohl der psychoanalytischen- wie auch der Zen- gemessener zu sein. Die, Differenz zwischen Bewußtsein und dem
Perspektive offenkundig sind: die "Überwindung der Leiblichkeit" und das menschlichen Dasein besteht ja darin, daß das Bewußtsein durch Re-
"Aufgehen in der Vernunft"; flektieren, Objektivieren in eine Distanz zu diesem Dasein selbst ge-
rät. Der Mensch beispielsweise, der seine Sterblichkeit denkt, setzt
"Nach Platon ist die Einheit des Ganzen in der Idee des Guten be- sich ja von sich selbst als Sterblichem ab. Wer seinen leiblichen Zu-
gründet. [...] Das mannigfaltige Viele ist eines, weil es im Prinzip ei- stand betrachtet, macht ihn zu etwas, das ihm äußerlich ist. Wenn die-
nes ist. Alle Tiere beispielsweise sind eins, weil sie Lebewesen sind, ses Verhalten allgemein darin besteht, sich das Dasein zum Bewußt-
also die Idee des Lebewesens in unterschiedlicher Weise darstellen. sein zu bringen, so hieße, die Differenz zu überwinden, das Bewußt-
Das hat zur Folge, dass man sich mit der Einheit des Ganzen in Ver- sein zum Dasein zu bringen.,,333
bindung bringen kann,jndem man die Idee oder das Prinzip des Man-
nigfaltigen erfaßt. Das ist aber nur durch Denken oder letztenendes Die aufsteigende Mystik verfUgt in der Regel über keine Praxis, bei der ab-
durch geistige Anschauung möglich. Der Weg dieser Mystik, der auf- steigenden ist Praxis gewissermaßen alles. Um den Daseins- als Mitseinsbe-
steigenden, ist also einer, der aus der bunten Mannigfaltigkeit der zug herzustellen und zu leben, bedarf es der Desidentifikation mit sich selbst
Dinge sich zu lösen und das Augenmerk auf die ewigen Ideen zu rich- und, der Identifikation mit der Gruppe. Die aufsteigende Mystik flieht die
ten versucht. Das bedeutet ftir den einzelnen, seine Leiblichkeit zu
Gründe, gerade die der Sozialität, von der das abstrahierende Interesse aus
überwinden und, soweit es geht, in der Vernunft aufzugehen. Je mehr
Furcht vor Vermischung und Beschmutzung sich femzuhalten bemüht ist.
das gelingt, desto mehr verliert sich die Individualität, und man wird
Teil der Weltvernunft oder der Weltseele. Die Einheit mit den Ideen Das Gegenteil ist im Zen der Fall. Der Zen-Weise ist sich ftir das Kontingen-
beruht darauf, daß ftir sie gilt, was schon Parmenides formuliert hat, te und den Unsinn nicht zu schade. Das zehnte der berühmten Ochsenbilder
nämlich daß Denken und Sein dasselbe sind.,,331 ist mit folgendem Vers kommentiert:
"Mit entblößter Brust kommt er barfuß zum Markte./Schmutzbedeckt
Lacan demgegenüber lehrt, sich ausdrücklich auf Heraklit als Zeugen beru- und mit Asche beschmiert,/lacht er doch breit übers ganze Ge-
fend, dessen Erbe PlatonlAristoteles gerade ausgeschlagen hatten, um der sicht/Ohne Zuflucht zu mlstischen Kräften/Bringt er verdorrte Bäu-
parmenideischen Traditionslinie zu folgen: Das Sein denkt nicht und das me schnell zum Blühen.•<33
Denken denkt nicht das Sein. 332 Lacan geht von einer Inkongruenz von Den-
ken und Sein aus. Sein und Denken als dasselbe zu denken oder eine Inkon- Wer dagegen das Dasein jenseits des Mitseinsbezugs erfiillen will, wer eine
gruenz von Denken und Sein zu behaupten, hat weitreichende Konsequen- Privaterleuchtung jenseits der Alienation im anderen zu erlangen und zu kul-
zen, die zum Beispiel an einer Formel, die Böhme zur Unterscheidung von tivieren unternimmt, ist in letzter Konsequenz schon aus den schlichtesten
ab- und aufsteigender Mystik prägt, ablesbar sind: die aufsteigende Mystik anthropologischen Gesichtspunkten, "geliefert", denn, so Lacan:
bringt das Dasein zum Bewusstsein, die absteigende das Bewusstsein zum "Es ist sicher, daß sich die Menschen mit einer Gruppe identifizieren.
Dasein. Böhme präferiert die absteigende Mystik und wertet wie folgt: Wenn sie das nicht tun, sind sie geliefert, sind sie einzusperren.,,335
"In der aufsteigenden Mystik versucht der Mensch sich mit der einen
Seite der Differenz zu identifizieren, und in der Vereinigung mit der
Ewigkeit gedanklicher Gegenstände selbst der Sterblichkeit zu entrin-

333 Böhme, G.: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht S. 219


331 Ebd., S. 214f. 334 Suzuki, T.S.: Zazen, Die Übung des Zen, S. 206
332 Vgl.. 1. Lacan: Encore 335 Lacan,1.: S XXII, RS.I., S. 70
148 149

Das Klischee vom wahnsinnigen Genie konnte so nur unter abendländischen gen in die je verschiedenen Richtungen sind dem unbewussten Widerstand
Himmeln entstehen. gegen die fundamentale Unangepasstheit des Menschen und dem immer in-
stabilen Status des Subjekts geschuldet. Der Versuch des Hingelangens zum
sagenumwobenen traumatischen Kern als dem Schatz, dessen Wissen die
5.2 Konjekturen zur Plotinischen Mystik gegenüber Zen und Probleme löst, ist in diesem Sinne als Fluchtbewegung zu verstehen; im
Analyse Neuplatonismus ist nur die Richtung dieser Flucht die umgekehrte, nämlich
Bei Lacan, wie schon hervorging, dreht sich die Analyse nicht um die imm~r "hinweg von dieser Erde", hin zum Einen, Absoluten, wo das Unbehagen
krude bleibende Frage nach einem traumatischen Kern, sonde~ u~ dIe durch das Ausgesetztsein in besagte Alienation nicht mehr berührt.
Durchquerung des Phantasmas. Das Leben selbst ist traumatisch, dIe Ahena- Die ,weglosen Wege' von Zen und lacanscher Analyse dagegen sind nicht
tion im anderen ist konstitutiv und irreduzibel und durch keinen imaginären als Fluchtwege aufzufassen, denn sie postulieren, auszuharren am Ort des
Garanten ,Identität' oder eine ,Harmonie der Triebe' zu überbrücken. Der Schnitts, der das Menschsein konstituiert, die Kastration als (zuerst) die des
harte traumatische Kern" als supponierte gleichsam fundamental- anderen anzuerkennen und die Ausgesetztheit in die Alienation im anderen
~ntologische Basis des Subjekts gehört ebenso in die Ordnung des Im~ginä­ willig zu akzeptieren. Auch der Versuch, des traumatischen Kerns, der die
ren wie Identität und Ich als feste Bezugspunkte. Im psychoanalytIschen erlösende Wahrheit des Subjekts, sein geheimes agalma birgt, habhaft zu
Mainstream-Milieu impliziert aber das Gelangen zu diesem Kern das V. er- werden, ist in diesem Sinne Flucht vor dem Nächsten, der zugleich der
sprechen auf Heilung - so als wäre man, hätte die psycho~alytische vertIka- Fremdeste ist.
le Grabung, einem imaginären Lot folgend, erfolgreich bIS zum Trauma ge- In der fliehenden Mystik Plotins verhält es sich so: Durch einen Rest von Er-
führt, bei dem unteilbaren, letzten, nicht weiter reduzierbaren Atom ange- innerung an sich selbst wendet sich die Seele, die durch den Körper bis fast
langt, dessen Kern die Wahrheit des Subjekts birgt. . zum Vergessen ihrer selbst abgelenkt, bzw. in eine sinnlose Geschäftigkeit
Neuplatonismus und Tiefenpsychologie verhalten sich zueinander dem ers- verwickelt war, um, nämlich wieder auf sich selbst zurück, anstatt von sich
ten Anschein nach krass entgegengesetzt. bilden aber unter bestimmten Ge- selbst weg und in dieser Umkehr wird sie erneut ihrer Herkunft gewahr. Sie
sichtspunkten ein ungleiches, aber sich gut verstehen.de~ Paar. ~ie sind ver- ändert ihre Bewegungsrichtung, hinweg von falscher Zielsetzung und Rich-
bunden in der Art einer coincidentia oppositorum. WIe m der Tiefenpsycho- tung, auf sich selbst zurück und hin zum Ursprung, der als das Eine und der
logie das Gelangen zum Trauma das Versprechen auf Heil~g impliz~ert, ~o Geist, in personaler Hinsicht als die Seele, bestimmt ist. Das Ähnlicherwer-
weist der Neuplatonismus den genau umgekehrten Weg, mdem er nIcht ~n den der Seele mit dem Ursprung heißt bei Plotin 0l-lo((OO't<;. In der ekstati-
der peinlichen Tiefe den Schlüssel zum geheimen agalma sucht, sondern. m schen EVOO't<; aber wird sie vollends eins mit dem Ursprung. Alles Kontin-
genauer Umgekehrtheit der Richtung auf das Loskommen von aller .Lel~­ gente und Dissoziierte ist ausgeschieden, nur was bleibt, ist wahr und wirk-
lichkeit und das Einswerden mit der Idee setzt. Die Reise geht nicht m dIe lich, ist das eigentlich Wahre und Wirkliche. Die Seele, die ursprünglich aus
Tiefenschichten des je besonderen Menschen, sondern immer "hinweg von dem Geist ist, wird in ihrer Hinwendung zu ihn! vollends eins mit ihm, und
dieser Erde" wie es einmal bei Hölderlin heißt. Es darf vermutet werden, das heißt: eins mit sich selbst.
dass das ,B~gehren der Tiefenpsychologie' nach de~ ,T~efsten im Men- Bei Plotin ist die Näherung zu sich selbst die Entfernung vom Körper: Je
schen' auch motiviert ist vom Wunsch, sich von den Ideahstischen Maßga- weiter der Körper zurückgelassen, desto mehr Selbst. Die Wendung nach in-
ben der griechisch/christlichen Orientierung an einem unkörperlichen Höchs- nen zum wahren Selbst verfläuft als eine Bewegung des Aufstiegs, verbun-
ten dem Höchsten im Menschen' (häufig verbunden mit einer Verteufelung den mit einer durch die Geistzugewandtheit bedingte zunehmenden
de; Sexu~llen, wie besonders bei den Kirchenvätern) zu emanzipieren und Vergleichgültigung des Körpers. Bei Plotin geht es um die Vermeidung der
gerade deshalb im Gegenkonzept in principio derselben Denkungsart verhaf- Kontingenz, wohingegen es bei Lacan und im Zen gerade um ihre Anerken-
tet bleibt. nung geht. Wo die Kontingenz vollständig vermieden ist, bleibt bei Plotin
Gemeinsam ist beiden Konzepten ein Nicht-Wissen-, bzw. eine (unbewusste) kein Rest. Das Sein selbst denkt und das Denken denkt nur das Sein, also
Leugnung der Alienation im anderen, jener Alienation, ?ie von Lacan als sich selbst. Die Differenz zu Lacan könnte nicht größer sein. Er insistierte ja,
konstitutiv für das menschliche Dasein behauptet wird. DIe Fluchtbewegun-
150 151

wie oben schon bemerkt: Das Sein denkt nicht und das Denken denkt nicht Position des Ur-Buddhismus hinsichtlich des Fliehens der Gründe, das zur
das Sein und auch im Zen heißt es immer wieder, dass das Sein nicht zu unio mit dem Absoluten führen soll:
denken ist. Jeder idealistischen Totalisierung des Seins soll hier abgeschwo- ,,(Um) von der Ich-Fessel frei zu werden ... genügt nicht allein die
ren sein, ebenso wie eine idealistische Totalisierung des Subjekts a la Hegel moralische Überwindung des Egoismus, sondern bedarf es dessen all-
nicht in Frage kommt. seitiger Negation, mit eingeschlossen das von ihm ausgehende sub-
Die Vereinigung mit dem Ursprung (dem Geist, dem Einen) geschieht bei stantialisierende Denken ebenso wie die Unio-Mystik, die in Gestalt
Plotin in einem ekstatischen Moment. Wenn vorher alles das "weggetan" der Atman-Brahman-Unio-Mystik schon im Urbuddhismus als (bloß
wurde, was nicht der Geist selbst ist, dann geschieht das Einswerden mit sublimere) Ausprägung des Egoismus begriffen und abgelehnt wur-
dem Einen. Plotins Rat lautet deshalb: äq>SAS nov'W, "Tu Alles weg!,,336 de.,,339
Dann kann es geschehen. Plotin selbst ist es, so berichtet Porphyrius, sieben
Mal geschehen. (Auf ekstatische Erleuchtungszustände und ihre Zählung Im "großen Tod" des Zen soll der Egoismus gerade in seinen subtileren
wird weiter unten noch einzugehen sein.) Ausprägungen vollständig verwunden werden. Nur in Anbetracht ihrer Ver-
gänglichkeit und ihrer Kontingenz erscheinen die Dinge in Zen-Sicht dann in
Die 6q>aips(n~, der verwandelnde Aufstieg, ist Geistzugewandtheit und
ihrer wahren Form und führen den Betrachtenden ins Dasein als Mitsein,
gleichzeitig Bewegung des Freiwerdens von allem Außen. Sie operiert, von
während bei Plotin, ähnlich wie bei Platon, die vergängliche Erscheinungs-
Abstrahierung zu Abstrahierung fortschreitend, gleichsam die Seele, die ver-
form der Dinge nur ihre Wesenhaftigkeit verbirgt und deshalb eben geflohen
strickt ist in die lästigen Dinge des täglichen Lebens und Besorgens, denkend
werden soll. Im Zen steht die Endlichkeit der Formen gerade für ihre We-
aus dem Vielen und Kontingenten heraus. So wird sie eins mit dem Geist
senhaftigkeit. Das ist der Grund, weshalb Essenz und Existenz nach buddhis-
und schließlich mit dem Einen selbst. Das Eine ist das letzte, zu dem durch
tischer Logik zusammenfallen. 340 Es gilt nicht, die Endlichkeit der Formen
die plotinische Metalogik zu gelangen ist, aber zugleich ist es der Ursprung.
zu fliehen, vielmehr das Noumenale und das Phänomenale im Vollzug des
Lebens als nicht-zwei zusammenzuhalten.
Die Affinität der frühen Christen für Plotin ist nur zu verständlich. Dieses
Denken des Einen ohne Körperlichkeit machte ihn besonders für die Eremi- Bei Plotin ist der hypostasierte Gipfel der V611O't~ (der ,Denkung', cogitati-
ten der sketischen und syrischen Wüsten (die Vätergeneration, besonders 0- on) als das Gelangen zum "sich selbst denkenden Gott" gerade nur um den
rigines) so interessant. Aber der extreme Asketismus dieser Anachoreten, Preis der endlichen Form, des Körpers, der Körperlichkeit möglich: Je weni-
wie etwa zur Darstellung gebracht in den Apophtegmata patrum 337 , war Plo- ger Körper, desto mehr Gott. Sinne und Geist werden auseinandergedacht
tin bekanntlich ebenso suspekt wie der "verwegene Logos" (Beierwaltes) und letzterer führt nach dieser Trennung ein freies und autonomes Eigenle-
dieses anderen frühen Christen, nämlich Paulus, der auf die Fleischwerdung ben, unberührt von störenden Sinneseinflüssen. Die Ideen sind dann die Ge-
des Geistes, bzw. Gottes abhob, was für Plotins hellenistisch feinsinnige danken Gottes selbst, absolut und vollkommen. Gerettet ist das Menschen-
Geistigkeit wie ein Aberwitz sondergleichen geklungen haben muss. wesen nur in der Hinwendung zum Unvergänglichen und der Abwendung
Das Lassen bei Plotin bezieht sich auf das Fliehen der Gründe 338 , das Zen von körperlicher Vergängnis. In der EvOO't~ dann ist die Seele, die Geist ge-
fordert demgegenüber gerade ein Fliehen des Fliehens. Sh. Ueda schreibt zur worden ist, aus ihrem Leibgefangnis entflohen. 341

339 Ueda, Sh.: Das Nichts und das Selbst, S. 161


340 Vgl. hierzu: Shimizu, M.. Das ,Selbst' Im Mahayana-Buddhismus, S. 73ff.
336 Zu ausführlichen Stellenangaben vgl.. Plotmus: Geist - Ideen - Freiheit, S. XXVI (Einlei- 341 Als interessant will Im Nachdenken Uber die Beziehungen von Körper/Geist/Seele die fou-
tung von W. Belerwaltes) caultsche Umkehrung des platomschen/neuplatonischen Standpunkts erschemen: Die Be-
337 Die "Aussprüche der Väter" Die Sammlung von Aussprüchen, Anekdoten und KurzbIO- freIUng hat dem Körper zu gelten. Es gehe um die Befreiung des Körpers aus dem Seelen-
graphien aus dem altChristlichen Mönchtum. gefllngms. Eine weitere Möglichkeit, die BeZiehung von Seele, Geist auf der einen und
338 "Das Ist das Leben der Götter und göttlicher, seliger Menschen, Abscheiden von allem an- Körper, Erde auf der anderen vorstellig zu machen, bietet Heidegger. Trakls Satz: "Die
dem, was hlemeden ist, ein Leben, das nicht nach dem Irdischen lUstet, Flucht des Einsa- Seele ist em Fremdes auf Erden" deutet Heidegger nicht Im platomschen Sinne, als dass
men zum Einsamen." Aus: Plotm: Ausgewählte Einzelschriften, S. 65 die Seele auf Erden ihrer Heimkunft m den Ideenhimmel harrte, sondern so, dass die Seele
152 153
.
Plotin überbietet hinsichtlich des Körpers und semer Gebrech en342 d'le_ st01-
' Friedrich Heiler bemerkte:
sehe Empfehlung von ataraxia und apatheia, die erl~ubt, im ~al~ät
ie~en "Der Buddhismus hat nur den Gedanken der ,negativ en' Theologie
Körper den "Seelenfunken" zu bewahren, zugunsten, emer. vo.llsta~dlg
gels~­ zu Ende gedacht und aus der mystischen Idee epekeina die letzten
zugewandten, absoluten Ignoranz des ~~.wers. ~el Plotm 1st dIe
~ater~e Konseq uenzen gezogen.,,345
nicht-seiend oder auch das "Erste Böse ,wohm gegen "das Matene frele
[...] das Freie,,344 ist. In diesem Ausschlu~s liegt vielleicht der, ~eginn
?er In größere Nähe zum Zen wie zu Lacan führt die ,mystische Theolo
"Philosophie der schönen Seele", gegen dIe noch Lacan pole~lllsieren gie' des
,wrr~. Dionysius von Areopagita und dies schon allein deswegen, weil Dionys
ius,
Wie der Analysant in der psychoanalytischen Kur das schembar
ObjektIv was er zu sagen hat, adressiert, nämlich qua Apostrophe unterbre
Gegebene wie das vermeintlich bloß Subjektive erfahrt als ~egebe itet, qua
nes d~s personaler Zuwendung. Die Psychoanalyse ist ja gar nicht denkbar ohne
,Sprachkörpers' , so erfahrt auch der Zen-Schüler sowoh~ dIe bonno die-
(Ne~­ ses Moment, in einer elementaren Form mit dem anderen zu tun zu
gungen, Triebe, etc.), Gelingen wie Misslin~en, ~ankhelt ~d Gesun~ haben
elt und schon in den Gründungsakt des Zen ist der berühmte Inshin-D
enshin-
als zum ,ursprünglichen Wesen' gehörig. Bel Plotm dagegen 1st. der
Be~elC~ Satz (wörtL durch Geist Geist übermitteln), meistens übersetzt mit
der Materie "nicht-seiend", Nur die höheren Funktionen der seehsch-,obJekt "Über-
l- tragung von meinem Geist zu deinem Geist", eingeschrieben.
ven Substanz haben den Status von "Sein", In der Zen-Schul~g ~rrd
al~es Den Apophasen - Dionysius' am häufigsten gebrauchte rhetorische
Figur,
zu uranfanglicher Lt;:erheit, reiner Gegenwärtigkeit des So-Sems, }nklusl
~e das theo-logische Gegenstück zur logischen Negation346- sei bei
diesem,
der körperlichen Gebrechen, von ,~Kra~eit, A1t~m und Sterben
" Zen l~t schreibt Derrida, dessen Dionysius-Interpretation wir hier als Basis fiir
desillusionistisch, Plotin versucht dIe IlluSlOn zu flIehen zugunsten emer, unse-
WIe re Deutung nehmen, ein Versprechen mitgegeben, nämlich das von
Zen sagen würde, höheren Illusion. "Walrr-
heit, Überwalrrheit und Licht".347
Das Motiv eines impliziten Versprechens (ein explizites gibt es gerade
nicht)
5.3 Die "Axiomatik der Apophasis" bei Dionysius und der auf der via apophatica des Zen (denn auch hier bilden Verneinungen
das
Hyperessentialismus herausragendste Diskurselement) ist jedesm al verschlungen mit einem
ande-
ren, nämlich dem eines "Totalschadens" (Kodo Sawaki Roshi), der
Wenn ein Theoretiker seine lange Lehrzeit zu er-
leiden sei, ohne alle kompensatorischen Gegengaben. Der Widerspruch
beendet hat und weit genug auf der via ne- ver-
schwindet, wo der "Nullpunkt der Zeit", an den die Zen-Übung führt,
gativa gereist ist, die die Psychoanalyse all gleich-
zeitig das Samadhi des Zazen wie den Verlust jegliche n Objekts, ja der
denen empfiehlt, die gern Theorien kon- onto-
logischen Basis des Daseins selbst bezeichnet. Der Ort des "Totalschadens
struieren mächten, dann hat er seine Be- "
und der der Erleuchtung sind letztlich ein und derselbe.
lohnung verdient. Im Falle Lacans besteht In gewisser Hinsicht ist die Zen-Schulung eine Art negativ-theolog
sie darin, zum Autor zu werden und schrei- ische ü-
bung, nur durchläuft ein in der apophatischen Theologie nicht bekann
bend nicht nur die Vorgebirge der Wahr- ter
Signifikant ihre Diskurse. Dieser Signifikant sieht dem Realen Lacans
heit, sondern seine wahnwitzigsten Gipfel ähn-
lich. In seinem Aufklaffen zerschellt jede Logik des (negativ-) diskursi
zu entdecken. "(Malcolm Bowie) ven
Vollzugs und das ohne die Mitgabe des Versprechens eines Zugang
s in ein
Reich der hyperessentiellen Kompensationen. Jede versprochene kompen
sa-
torische Gegengabe gehört nämlich selbst noch der Ordnung der Verblen
-
noch nicht versteht, auf der Erde zu wohnen. (Vgl. hierzu d~ Kapitel "Schmerz
bel Hel-
degger" m dieser Arbeit) Beide Konzeptionen smd aber letztlich mit dem Zen
mkompati-
~
342 Wobei die Triebe für Plotin ebenso nicht zum eigentlichen und wahren W
esen ge h-oren wie
die Krankheiten der leidigen physis, Jeder Schmerzparoxysmus oder Simple 345 Heiler, F.. Die buddhiStische Versenkung, S. 40
Zahnschmerz.
343 Vgl.: Plotmus: Geist-Id een-Frei heit, S. XVIII 346 Und das mentale Gegenstück zur physischen Apotaxis
344 Ebd., S. XXXIX 347 VgJ.: Derrida, 1.: Wie mcht sprechen, Wien: Böhlau, 1989
154 155
348
dung (samsara) an. So ist es richtig zu sagen: Das Zen nimmt alles hin- Ende der Rechnung die gesamte Axiomatik dieser Apophasis auszu-
weg, ohne irgendetwas übrigzulassen. richten.,,35o
Die überaus schwierige Frage des Satori sei aber hier noch dahingestellt. Je-
denfalls gibt es keine orientierte apophatische Zen-Logik. An dieser Stelle Der Zweck der Orientierung an Gesetz und Regel im Gebrauch der Apopha-
wird eine der Weisen des Zen (wie auch schon des Ur-Buddhismus) evident, sen liegt allein in deren Vermögen, dieses göttliche Überwesen, an dem alle
mit dem, was ihm vorausging, zu brechen, nämlich mit jeder Art des Aske- Namen abprallen, zu entschleiern. Die geforderte diskursive Askese ist ein
tismus auf der einen, des Idealismus auf der anderen Seite. Das ausdrücklich Gebot, das auch hier wieder, wie schon bei Platon und auch bei Plotin, von
verneinte Angebot, die explizite Ausschlagung von Gegengaben kennzeich- einem als absolut hypostasierten Gut ausgeht und als Belohnung für die Op-
nen die spezifische Psychagogie dieses Ansatzes. Jede Idee von Wiedergut- fer und die strenge Anwendung der apophatischen Logik die Partizipation
machung ("Wahrheit, Überwahrheit, Licht") subvertiert die Auf-gabe (in ih- ermöglicht. Diesem Zweck dient die Orientierung an einer strengen logi-
rer Mehrfachbedeutung). Die Reinheit des Begehrens, die Reinheit der Gabe schen Axiomatik, einer "Axiomatik der Apophasis" (Derrida). Die Beherr-
wird instrumentalisiert und dadurch korrumpiert durch die In-Aussicht- schung ihrer Regel- und Gesetzmäßigkeit ist weder Schulung rein kognitiver
Stellung eines unübertrefflich Großartigen. Die Preisgabe der Ideologie des Fähigkeiten ist, aber schon gar nicht mit einer bloßen rhetorischen Technik
Opfers, auf die noch einzugehen sein wird, steht gerade für die Suspendie- zu verwechseln, wie sie Redner beherrschen müssen, um die Wirkung ihres
rung einer solchen Gerichtetheit der Verneinungen. Vortrags kontinuierlich zu steigern. Sie hat vielmehr einzig zum Zweck, die
Aber bei Dionysius' erklärt sich explizit gerade von der absoluten Dignität Dinge so erscheinen zu lassen, wie sie wirklich sind und das heißt: getaucht
eines Versprochenen, Verheißenen her die Verpflichtung des Gehorsams ge- in "Wahrheit, Überwahrheit und Licht", entblößt von aller Kontingenz.
gen Gesetz und Regel, insbesondere einer höchsten Verantwortlichkeit im
Gebrauch der Sprache, speziell der logisch-rhetorischen Figur der "abspre- Besonders bemerkenswert ist, dass bei Dionysius der Gebrauch der gewöhn-
chenden Verneinung"349, da sie eben der Königsweg zu "Wahrheit, Über- lichen Erkenntnismittel die Dinge in ihrem wahren, von der Kontingenz be-
wahrheit und Licht" sei. Mit Gesetz und Regel, die die negativ-theologische freiten Wesen nicht nur nicht erscheinen lässt, sondern geradezu die Ursache
Übung lancieren, sind in der Theologie des Areopagiten vor allem anderen für ihre Nicht-Erkenntnis bildet, denn hier lässt sich eine interessante Paral-
das Gesetzes- und Regelwerk einer bestimmten diskursiven Praxis gemeint. lele zum Ur-Buddhismus konstatieren. 351 In diesem zeugt nämlich gerade der
Es gilt, durch Verneinung von etwas Falschem und Täuschenden zu einem Gebrauch der sonst gepriesenen Mittel der Weltdurchdringung vom Noch-
Wahren, aber unmöglich positiv zu benennenden fortzuschreiten. Mittels Verhaftetsein der Wahrheitssucher an den äußeren Dingen und der Sinnen-
"Regel und Gesetz" wird der Zweck seiner Entschleierung verfolgt, einer welt. Der Gebrauch dieser als gewöhnlich eingestuften Mittel ist selbst die
Entblößung, die der Aufhebung einer Täuschung gleichkommt. Jenseits der subtilste Ursache für dieses Verhaftetsein. Das (gewöhnliche) Erkennen ist
Täuschung liegt das Reich von "Wahrheit, Überwahrheit und Licht", Derrida selbst nur eines der Kettenglieder in der Lehre vom "gleichzeitig-abhängigen
schreibt in Bezug aufDionysius: Entstehen".352 Auch das Bewusstsein ist nur Bestandteil dieses "die ganze
,,(Es) scheint ein gewisser Wert von Entschleierung, von Bloßstel-
lung, von Wahrheit jenseits der Bekleidung letztzweckendlieh und am 350 Derrida, J.. Wie nicht sprechen, S. 82
351 Das Zen verh!l1t sich in gewissem Sinne, in den kulturellen Kontexten gesehen, zu diesem
wie die lacanianische PSYChoanalyse zur negativen Theologie.
352 "Gerade so, wie wenn da zwei RohrbUndel an emander gelehnt stUnden, genauso entsteht
348 "Sowohl Menschen als auch hnnmlische Wesen leben Im Reich des Samsara." (Dögen, E.. aus Name und Form als Ursache das Erkennen: aus dem Erkennen als Ursache entsteht
Shöbögenzö ZUimonkl, S. 30) Name und Form, aus Name und Form als Ursache entstehen die sechs Sinnesbereiche, [...]
349 Das ist der vom deutschen Übersetzer von "Wie llIcht sprechen" gewählte AusdruCk fur aus der Geburt entsteht Alter und Tod, Schmerz, Kummer, Leid, Betrübllls und Verzweif-
Derridas Terrmnus denegation. Er merkt dazu an: "Den letztendlichen Ausschlag fur die lung [.. .]." (aus: Samyuttanikäya, 11, 112f., zit. n. Takeuchi, Y.. Probleme der Versenkung
hier gewählte Übersetzung von denegation hat die deutsche Übersetzung des Werkes von Im Ur-Buddhismus, S. 14) Die hochkomplexe Lehre vom "gleichzeitig-abhängigen Entste-
DIONYSIUS AREOPAGITA gegeben, wo Im Kapitel II der Mystischen Theologie (1025 hen" soll hier llIcht m grUndlicher Form behandelt werden. Die in dem Zitat benannten Zu-
b; dt 165) von ,absprechenden Vememungen' die Sprache 1St." (Gondek, H.-D., m: Dem- sammenhänge betreffen Jedenfalls die Seite der Entstehung der "ganzen Masse des Lei-
da, J.. Wie mcht sprechen, S. 119, Fußnote 17) dens", Durch die Gewahmis dieser Zusammenhänge Wird, wie Yoshinon Takeuchl
156 157

Leidensmasse" bildenden Zusammenhangs. Die Aufhebung des Leidens eignet sich nicht, selbigen zu durchdringen. Entsprechend gehört bei Lacan
kann ohne die Preisgabe des (gewöhnlichen) Erkennens nicht erfolgen. das ,positive Wissen' des Analysanten über sich selbst und die Weltzusam-
Denn, nach der berühmten Formel des Palikanon: menhänge zum Phantasma und es noch zu vermehren, taugt nicht, selbiges
zu durchqueren, es behindert sogar den Fortschritt der Kur, indem das Sub-
"Wenn dies ist, ist auch jenes; wenn dies entsteht, entsteht auch jenes; jekt sich dabei nicht von seinen Selbstbildern löst. Bei Dionysius nun ver-
wenn, dies nicht ist, ist auch jenes nicht; wenn dies vergeht, vergeht
auch jenes.,,353 unmöglicht das gewöhnliche Erkennen die Erkenntnis von Gottes Überwe-
sen. Im Unterschied zum Buddhismus geht es aber hier um eine qualitativ
verschiedene, potenzierte Erkenntnis des hyperessentiellen Gutes, nicht um
Das (gewöhnliche) Erkennen ist weit davon entfernt, geeignet zu sein, das
Leiden aufzuheben, vielmehr verstrickt es sogar noch tiefer in Samsara. Es die "Aufhebung der ganzen Masse des Leidens".
Oftmals erscheint es so, als werde im Zen alle Erkenntnis verworfen, die
ist integraler Bestandteil des komplexen Verblendungszusammenhangs und
gewöhnliche wie die subtile. Hier ist auch Lacan ungenau, wenn er eine vor-
geblich intendierte vollständige Preisgabe des Denkens für das Zen behaup-
tet, den "Verzicht auf das Denken selbst,,354. Aber das Zen lehnt nur ein
schreibt, ,Jene Kraft nichtIg, die uns mitten auf dem Meer des Todes und Alters schweben
läßt" (Takeuchl, Y.:Probleme der Versenkung Im Ur-Buddhismus, S. 14). Die "wechsel- Denken ab, das (ohne es zu bemerken) eine Welt konstruiert und dann die-
seltlge Abhängigkeit" von "Erkennen" und "Name und Form" mit sowohl der Entstehung sem erdachten Konstrukt wiederum durch Denken zu entkommen sucht. Tat-
als auch der Aufhebung der "ganzen Masse des Leidens" macht die "verborgene Dynamik sächlich geht das Zen genau davon aus, wovon auch Lacan ausgeht, nämlich
unseres mneren Gefüges" aus (Takeuchl, Y.. Probleme. der Versenkung Im Ur-
dass, was denkt, nicht das Sein ist und das Denken nicht das Sein denken
Buddhismus, S. 14). - Shlmizu erklärt die "Entstehung in RelatIon" folgendermaßen: ,,En-
gt ist ein Grundbegriff des Buddhismus, der die m der Buddhas eigener Erleuchtung eXIs- kann und außerdem: dass kein referentielles Wissen das Leiden aufheben
tentiell erfahrene letzte Wirklichkeit, die Entstehung m RelatIon, zum Ausdruck bringt, die kann. Die nahe Verwandtschaft der ,Denkungsarten' von Lacan und Zen
Sich m Worten nICht adäquat Wiedergeben läßt. hinsichtlich dieser allerdings auch von Dionysius, nur zu einem anderen
Das Wort engl Wird zusammengesetzt aus zwei Schriftzeichen, en (RelatIon) und ki (Ent-
Zweck, geleisteten Problematisierung der ,gewöhnlichen Erkenntnismittel'
stehung), Es bedeutet das Entstehen und EXistieren der Wirklichen Welt in unermesslichen
BeZiehungen, emmal von Noumenon und Phamomenon und em andermal von allen Phal- tritt deutlich hervor, wo bei Lacan die Philosophie als solche und ganze und
nomena. Anders gesagt: Alle Dinge der Welt stehen m BeZiehung zuemander und eXistIe- dort das komplette (und so komplexe) Systemwerk des "indischen Idealis-
ren erst dadurch. mus" als Quasi-Symptom gehandelt werden, mit der die Wahrheitssucher be-
En hat noch eme andere Bedeutung,Verbmden' und dies Ist gerade WichtIg. Die Verbm-
lastet sind, um die wahre Erkenntnis nicht aufkommen zu lassen. Denn
dungswelse: die als en bezeichnet wird, bezieht Sich auf die IdentItät des SICh Widerspre-
chenden. Diese Identität bringt die ursprüngliche Bedeutung des engt zum Ausdruck. Sie nichts kann letztlich adäquat ,erklärt' werden und das Leiden verschwindet
ISt keme substantIelle Verbindung oder GlelchmachUng, sondern begreift die konkrete Da- nicht durch seine Erklärung. Deshalb gibt es im Zen den Rückgriff auf die
semswelse der Wirklichkeit als soku-hl ,Identät durch Nicht-IdentItät' " (Shlmlzu, M.. Das den Verstand übersteigenden Koan und bei Lacan den auf die Matheme und
,Selbst' im Mahayana-Buddhismus, S. 193) Knoten. Im Unterschied zur negativen Theologie evoziert aber hier die Aus-
Shlmlzu referiert Sh. Ueda, um hmslchtlich des "Entstehens in Abhängigkeit" auszuführen,
dass,. da das Ich ohne SUbstanz ISt, das Selbst m der "RelatIon zu anderem grenzenlos of- schlagung der ,gewöhnlichen' Erkenntnismittel nicht das Vordringen zu
fen" ist: Gottes "Hyperessentialität" sondern ,nur' die Gewahrnis der Vergänglichkeit
"Sh. Ueda bemerkt m semem Buch Zen-bukkyo (Zen-Buddhismus), daß die grundlegende und der Leerheit aller Formen. Deshalb heißt es: "Wenn du den Buddha
Kategorie des Buddhismus nicht die ,Substanz', sondern die ,Beziehung' 1St. Der Budd- triffst, töte ihn." Die Verfeinerung dieser (gewöhnlichen) Erkenntnismittel
hismus vernemt seiner AnSicht nach grundsätzlich sowohl das Absolute als auch das Rela-
tIve mit der Kategorie Substanz als etwas Seiendes aufzufassen. Alles, was Ist, ISt m Sich erscheint dann geradezu als Verfall der Weisheit.
selbst ein Nichts, und gerade dadurch ereignet es Sich als em Sem m RelatIon zu anderem.
Das bedeutet nicht emfach, dass es zuerst zwei selbständige Dinge gibt, die dann als solche In der Behandlung des Dionysius befmdet sich nach Derrida diese den Zu-
gegenseitIg in ,RelatIon' treten, sondern dass das, was in ,Relation' steht erst aus der Re-
latIon' entsteht und m die ,Relation' aufgelöst wird. [...] Ein Jedes ist 'in sich selbst em
gang zu "Wahrheit und Licht" eröffnende Axiomatik in einer für sie maß-
Nichts und dadurch für die RelatIon zu anderem grenzenlos offen. Gerade m diesem Nichts geblichen Spannung, die insgesamt typisch sei für den Diskurs über die
sammelt sich die grenzenlose RelatIOn." (Shlmlzu, M.. Das ,Selbst' Im Mahayana-
Buddhismus, S. 20)
353 Zit.n.: Tak:euchl, Y.. Probleme der Versenkung im Ur-Buddhismus, S. 13 354 Lacan, J.: S XX, Encore, S. 125
158 159

christliche Offenbarung einerseits und Regel und Gesetz andererseits. Diese wird er zum Verbündeten seines alter ego. Rekurrierte Dionysius auf die
Spannung wird dadurch erzeugt, dass das Verheißene (die Offenbarung) gewöhnliche Erkenntnis, wäre er bloß etwas wie ein Tugendlehrer. Wie in
selbst das Geheiß kommandiert, also die "Axiomatik der Apophasis" mit ih- der negativen Theologie der Gebrauch der gewöhnlichen Erkenntnismittel
rer spezifischen Diskursivität und Regelhaftigkeit. Das, was offenbart wer- ein Weniger an gleichermaßen Hingabe und Standhalten erfordert als die
den soll, Gottes Über-Wesen, ist also selbst die bewegende Kraft, die zu ih- strenge Axiomatik der apophatischen Logik, so ist das Symptom nach La-
rer eigenen Entschleierung Regel und Gesetz (und die bewusste Axiomatik) cans Verständnis leichter zu ertragen als das Wissen, das es verdrängt.
auf den Plan ruft, die sie zuerst verschleiern. Derartige Vorgaben nun, ein
kommunizierendes und kommandierendes Groß A, fehlen zwar im Zen, aber
auch an diesem Punkt ist eine gewisse Nähe der negativen Theologie des A- 5.4 Das Meister/Schüler-Verhältnis in der negativen Theologie
reopagiten wenigstens zum Rinzai-Zen und seiner zentralen Koan-Übung Die prototypische christlich-esoterische Sozialität, die der Autor Dionysius
zum Zweck der Evokation des kensho, dem Sich-Zeigen der Dinge, wie ,sie allein mit seinem Leser Timotheus bildet, nimmt sich Regel und Gesetz einer
wirklich sind', aber auch mit Lacan und seinen Mathemen zu konstatieren. apophatischen Praxis zum Maß, stellt sich einer "Axiomatik der Apophasis"
Das, was entschleiert werden soll, bedarf vorzugsweise der Verschleierung, anheim, die zum Zweck hat, die Dinge in ihrer Eigentlichkeit erscheinen zu
um erkannt werden zu können. Was dekryptiert, in seiner Bloßheit erkannt lassen. Der Zugang zu dieser Eigentlichkeit jenseits des falschen Scheins,
werden soll, muss zunächst in kryptischer Form erscheinen. Das zu Entzif- der durch die gewöhnliche Sicht um die Dinge liegt, ist der ultimative Hori-
fernde ist vor-zu-verziffern. 355 Die Unterschiede zeigen sich dort, wo es dar- zont dieser diskursiven Askese, die nicht schweigt, sondern auf das Schwei-
um geht, was zu entziffern ist, was in seiner Bloßheit erscheinen soll. gen hinweist und sich durch Negationen fortschreibt. Die Eigentlichkeit des
Gegenstands tritt hervor, wo er aller Kontingenz entblößt ist. Aber die Ei-
Es dürfte deutlich geworden sein, wie Übereinstimmungen und Abweichun- gentlichkeit der Dinge verhält sich resistent gegen jede Benennung.
gen der an Lacan>geschulten Praxis mit den Konzeptualisierungen der nega- Es geht bei Dionysius um eine bestimmte Sicht, eine bestimmte Kontempla-
tiven Theologie sich genauso gewinnbringend feststellen lassen, wie diese tion, die zwischen den (platonisch-altphilosophischen) ,Sphären' von Schein
gewisse Nähe der apophatischen Diskurspraxis mit dem Ansatz des Zen: Es und Sein zu unterscheiden weiß, dabei aber auch noch das Sein unter Schein-
ist nicht so, wie oben bereits angemerkt, dass es dem Analysanten an positi- kriterien zu nehmen wissen wird. Die negative Theologie ist eben deshalb
vem Wissen über sich selbst gebräche. Es gebricht ihm gewissermaßen an nicht Essentialismus, vielmehr diese Art Hyperessentialismus (Überwesen,
negativem Wissen. Er verfügt in der Regel über positives Wissen über sich Übersein), also erst recht der aufsteigenden Mystik zu subsumieren. Ein
selbst, noch bevor er die Analyse antritt. Aber dieses positive Wissen bildet Höchstes, dessen Namen wir nicht kennen, lenkt dabei jeden Fortgang des
nur den Schleier, der sich über ein anderes Wissen legt: eines, das sich selbst Diskurses. Dieses Höchste ist gleichzeitig Verheißung wie Geheiß und als
nicht weiß. solches maßgeblich für jede Wendung des diskursiven Fortgangs. Um den
Der Analysant mag sein Symptom bis in alle Einzelheiten wissen (wie der Akt der Zuwendung an den anderen zu einem legitimen zu machen, bedarf es
"Mann vom Lande" in Katkas Gesetzesparabeljede einzelne Laus im Mantel dieser transzendenten Ursache. Transzendente Ursache und Adressiertheit
des Türhüters weiß), aber genau dieses Wissen legt sich als Schleier über das des Sagens, das sind die wesentlichen Merkmale dieses Diskurses.
eigentliche Problem, so dass es nicht zum Vorschein kommen kann. Da sein Gerade wegen dieses doppelten Motivs steht die negative Theologie dem
Genießen an das Symptom gebunden ist und das positive Wissen zum Sym- Zen näher als die Mystik Plotins und den Grund hierfür bildet neben der mit
ptom gehört, fürchtet er nichts mehr, wie schon Freud auffiel, als seine Hei- der zenistischen Logik formale Ähnlichkeiten aufweisenden apophatischen
lung. Der Analytiker wird, wenn er mit dem Patienten am Symptom arbeitet, Rhetorik eben dieser explizite Einschluss des anderen, des Schülers.
leicht zu dessen Komplizen, zu einem Bürgen seiner Verkennungen. Ent- Derrida stellt folgende Fragen, die Diskursgemeinschaft von Dionysius
sprechend schlägt Dionysius die gewöhnlichen Erkenntnismittel als inadä- (mystagogischer Lehrer) und Timotheus (Schüler) betreffend:
quat aus. Wenn der Analytiker sich auf das Ego des Analysanten einlässt, "Wo hält sich, in dieser Hierarchie, derjenige, der spricht? Derjenige,
der zuhört und empfangt? Derjenige, der spricht, während er emp-
355 Vgl.. Lacan, 1.. SChriften III, Olten, S. 8 fängt, was seinen Anfang in der Ursache (Cause) hat, die auch die
160 161

Ursache für diese Gemeinschaft ist? Wo halten sich Dionysios und das zu zeigen ist wohl der Sinn der negativen Theologie des Dionysius, der
Timotheus [...]"356 seine Rede als Ansprache an einen Schüler inszeniert.

Das ,Doppelsubjekt' Dionysius/Timotheus steht paradigmatisch für ein be-


stimmtes Format des diskursiven Vollzugs. Ihr Gespräch, das keine duale 5.5 Meister Eckhart
Beziehung darstellt oder widerspiegelt, bildet den Raum einer ganz besonde- Was Lacan an Freud hervorhob, dass nämlich sein Denken eines in Bewe-
ren mystagogischen Psychagogie. Weil Dionysius sich nicht von Gott ab- gung sei und nicht auf abgenutzte Begriffe zu reduzieren, gilt in höherem
wendet, derweil er sich Timotheus zuwendet, ist seine Zuwendung ein legi- Maße von seinem eigenen. Über Meister Eckhart lässt sich Vergleichbares
timer Akt, seine Apostrophe eine rechtmäßige. Der Grund für die quasi- sagen: Im Unterschied zu den systematischen Zugängen von Neu-Plato-
kerygmatische Autorität von Dionysius ist seine Nicht-von-Gott-Abgewandt- nismus und Negativer Theologie haben wir es im Predigtwerk Eckharts mit
heit in seiner Zugewandtheit. Gegenüber Gottes "Hyperessentialität" verhält einem Denken zu tun, das sich nirgends schließen lässt, nur mit variabel
sich Dionysius wie ein Empfangender ihrer GabenlEingebungen, die Verhei- verwendbaren Theoriebausteinen, die zum System sich schließen zu lassen
ßungen sind und als solche Geheiß, Weisung. Und nur weil er sich in dieser zwar möglich wäre, aber wohl nur an Eckharts Intention vorbei. Ein weiteres
Hinsicht rein passiv verhält, kann er andererseits Meister sein, nämlich aktiv, unterscheidendes Merkmal kommt beim Eckhart der Predigten und Traktate
Geber von Gaben. Sein Meistersein ist also in tieferem Sinn durch sein Schü- hinzu, nämlich dass es sich bei dem uns überlieferten Textkorpus um
lersein begründet und legitimiert sich nur durch dieses. Dionysius ist Gott Transkriptionen handelt. Eckharts Worten hatte also, wie das Sagen Lacans
zugewandt, um sich von ihm fUhren zu lassen. Dieses Gefiihrtsein ist der in den Seminaren und wie das der Zen-Meister im Dojo (und ein Gutteil der
Grund für seine Ausgerichtetheit auf einer "geraden Linie,,357 Ohne aber auf- Überlieferungen sind Transkriptionen von kusen), nicht nur einen unbewuss-
zuhören, zugewandt zu sein, wendet sich Dionysius um. um seinerseits Ti- ten oder aber fIktiven Adressaten, wie bei Dionysius. Eckharts Sprechen war
motheus zu führen, auf die gerade Linie auszurichten, den 6p9-o~ A.6yo~ 358, im vollsten Sinne ein Sprech-Handeln.
den seine eigene Bewegung bereits beschreibt. Diese Umwendung, ohne sich Philosophie und Theologie, soweit sie als scholastische rudimentär in Eck-
abzuwenden, ermöglicht und legitimiert den psychagogischen Akt. Nur durch harts Predigten noch auftauchen, erfahren eine Instrumentalisierung inner-
seine Nicht-Abgewandtheit von der ,transzendenten Ursache' kann sich Di- halb einer transformatorischen Praxis. Nachdem er als Sorbonne-Professor
onysius erlauben, die Psyche des anderen zu führen. einer der anerkanntesten Gelehrten seiner Zeit geworden war, sah er sich
durch Anordnung der Kurie mit der Aufgabe konfrontiert, volkssprachlich
Es ist ersichtlich, wie hier das Ich, das spricht, nicht das Subjekt der Rede ist, statt lateinisch vor allem in Nonnenklöstern zu sprechen und zwar - fast
vielmehr ist es gewissermaßen die transzendente Ursache, die sprechen schon wie ein Psychoanalytiker - mit dem Ziel, die zur ekstatischen Aus-
macht, die selbst aber namenlos ist und die sich als ein Nichts zeigt, ein ,lau- schweifung hin tendierende Spiritualität der Ordensfrauen zu bemeistern, mit
teres Nichts', wie es bei Meister Eckhart heißen wird. sobald man sich ihr Lacan zu sprechen: ihr "Genießen zu zügeln", (Eben als dieser Prediger, zu
mit den groben menschlichen Erkenntnismitteln nähert. Aber auch die subti- dem er bestimmt worden war, geriet er dann ja auch mit der Amtskirche in
len Mittel können diese Ursache nicht einholen. Durch vorsichtige Näherung
Konflikt.)
aber lanciert sie ein Sprechen, das sie entblößt und erscheinen macht in ihrer Der Unterschied zwischen Eckharts Predigt und Dionysius Apostrophe be-
Unscheinbarkeit, ursächlich für die Rede des Psychagogen. Wie die Rede ei- steht darin, dass Eckharts adressiertes Sprechen jede Ver- und Entschleie-
ne legitime werden kann unter Wahrung des höchsten, namenlosen Gutes, rungsdialektik letztlich übersteigt (was ihn wiederum in einen gewissen Ge-
gensatz zu den Kryptierungen der Matheme Lacans und den Koan des Zen
stellt) und in der Bloßlegung oder Entblößung des logos, des lebendigen
christlichen Wortes selbst kulminiert. So ist die hohe Emphase solcher Rede
356 Derrida, 1.. Wie mcht sprechen, S. 40 zu erklären; Eckhart bezeichnete sie selbst als locutio emphatica und ihr pa-
357 Man denkt an Lacans "rektifizIertes Begehren"
radoxes Merkmal ist gerade Nüchternheit, ein kristalliner Stil. Gleichzeitig
358 Vom ,,6p9-6~ Aöyo~ des Unbewußten" spricht Lacan im: S VII, Die Ethik der Psychoanaly-
se, S. 92. Vergieichbare Stellen finden sIch des weiteren: Ebd., S. 31. 40 u. 44
aber nun mit dieser Entblößtheit ist Eckharts Rede (und deshalb vor allem
162 163

wohl wurde sie als skandalös empfunden) explizit adressiert, jedoch weder in habe, so der Soto-Meister S. Suzuki, ließe sich auf eine einzige kurze Formel
der Art, wie sie Intersubjektivität als duale Beziehung ins Werk setzt, noch bringen. Wir erinnern an die bereits zitierte order:
eben auch in Form eines impliziten Adressaten, dem Leser, wie bei Dionysi-
"Absolute Ruhe, bitte!"
uso
Gerade deshalb, weil es entblößt und adressiert ist, ist dieses Sprechen mit
dem Schweigen im Bunde. Oder umgekehrt: gerade weil es mit dem
Schweigen im Bunde ist, kann es nicht anders als entblößt und adressiert
5.6 Der Bruch mit dem Erbe
sein. Jenes kommandierende Groß A, das bei Dionysius als Verheißung Was in den vorigen drei Kapiteln elaboriert wurde, sollte zeigen, inwiefern
gleichzeitig Geheiß ist, fehlt bei Eckhart radikal. Wir paraphrasieren hierzu es in der abendländischen Philosophie und Theologie Anknüpfungspunkte
Derrida, der mit Blick auf Eckharts Gottesbegriff fragt: Wie Gott aussagen fiir das ,Zen im Westen' gibt. Die doppelte Motivik des ,Bruch mit dem Er-
und wie auch Gott lieben, wenn er im Sein, wo wir sind, gar nirgends anzu- be' und ,Rekurs auf das Erbe' finden sich im Zen wie in der Psychoanalyse.
treffen ist? - Die Antwort, die Derrida Eckhart geben lässt ist etwa folgen- Bei Freud, aber mehr noch bei Lacan, ist stets eine starke Spannung zwi-
de: Gott eben gar nicht aussagen, sogar nicht einmal lieben wollen. Seinem schen dem Rekurs auf die philosophisch/theologische Tradition und gleich-
unseren Vostellungen und unserem Denken vollständigen Entrücktsein ge- zeitig dem Bruch mit diesem Erbe zu bemerken. Dem Spannungsverhältnis
genüber ist Schweigen die einzig redliche und angemessene Weise. Er ist zwischen Freuds Psychoanalyse und seinem Rekurs auf die Philosophie, und
kein Objekt und insofern soll er weder Gegenstand unseres Diskurses noch zwar insbesondere der Schopenhauers und Nietzsches, widmet Jaques Derri-
unserer Liebe sein. da eine subtile Reflexion in "Die Postkarte, 2. Lieferung", die weit über das
Das mystagogische Sprechen mit dem Ziel. die Psyche des anderen "auf eine hinausgeht, was gewöhnlich gesagt wird, nämlich dass Freud sich von einem
gerade Linie" auszurichten, kommandiert damit zuallererst, nicht zu spre- bestimmten Zeitpunkt an die Lektüre Nietzsches untersagt habe, um sich
chen. Nur aus dem geforderten Schweigen heraus kann ein anderes Spre- nicht philosophisch vorwegnehmen zu lassen, was er empirisch und eben
chen anheben. Derrida paraphrasiert hierzu Eckhart, der seinerseits Augusti- psycho-analytisch zu ermitteln sich vorgenommen hatte. Derrida schreibt
nus paraphrasiert: über Freud:
"Von diesem ,überhervorragenden Sein', welches auch eine ,übersei- ,,[...] Ebensowenig wie Nietzsehe, ist Schopenhauer etwas geschuldet.
ende Nichtheit' ist, muß man vermeiden zu sprechen. Eckhart läßt Als solche schuldet die psychoanalytische Theorie ihm nichts. Sie hat
den hl. Aug. sprechen: ,Das Schönste, was der Mensch über Gott aus- von ihm ebensowenig geerbt, wie man begriffliche Trugbilder erbt,
zusagen vermag, besteht darin, daß er aus der Weisheit des inneren was soviel heißt wie Falschgeld, Scheine, emittiert ohne Wertgaran-
(göttlichen) Reichtums schweigen könne.' ,Schweig daher .. .' , tie. Die Worte und ,Begriffe' Schopenhauers und Nietzsches ähneln
schließt Eckhart an. ,Ohne dies lügst du und tust Sünde.' [...] ,Du zum Verwechseln dem psychoanalytischen Diskurs. Aber es fehlt ih-
sollst ihn lieben, wie er ist ein Nicht-Gott, ein Nicht-Geist, eine nen das Äquivalent eines eigenen Inhalts, der allein ihren Wert,
Nicht-Person, ein Nicht-Bild, mehr noch: wie er ein lauteres klares Gebrauch und Austausch garantieren kann. Man darf vor allem nicht
Eines ist, abgesondert von aller Zweiheit. Und in diesem Einen sollen erben von solchen Assignaten, ja von einer derartigen Geldscheindru-
wir ewig versinken vom Etwas zum Nichts. [... ]"<359 ckerei, oder von einer Maschine, die, mehr oder minder betrügerisch,
in unkontrollierbarster Leichtigkeit, solche ,Aktien' emittiert. Und
Sprechen, um zu kommandieren zu schweigen. Auch das Sprechen der Zen- wegen der Ähnlichkeit, wegen einer nur zu natürlichen Imputation
Meister dient dazu, das Schweigen herzustellen und zu bewahren. Die be- von Erbschaft, muß man um jeden Preis diese Filiation vermeiden.
rühmten Schreie der alten Zen-Meister unterbrechen so auch nicht die Stille, Man muß brechen mit ihr im Augenblick, wo die Identifikation droht
sie stellen sie vielmehr erst her. Alles, was er je während des Zazen gesagt in nächster Nähe. Man darf nicht übernehmen die Schuld: nicht allein,
weil sie die eines anderen ist, sondern weil der andere sich verschul-
det hat in insolventer (nicht zu vergebender) Weise, indem er Trug-
bilder von Begriffen emittierte. Das ist wie eine andere Geschichte
359 Derrida, J.. Wie nicht sprechen, S. 93
164 165

von kollektiver Verantwortung: ob er sie analysiert oder nicht, Freud doch man scheitert, bekommt· ihn nicht in
unterwirft sich einem Imperativ, der ihm vorschreibt, zu unterbrechen den Griff; doch eben durch dieses Scheitern
die Kette und auszuschlagen das Erbe. Zu gründen so eine andere wird der Ort des anvisierten Objekts einge-
Genealogie. Ich behaupte, daß fiir das, was er schreibt zur (philoso- kreist, und seme Konturen zeichnen sich
phischen und nicht-philosophischen) Spekulation, etwas in Betracht ab. (Slavoj 2izek)
kommt bei dieser Szene des unerträglichen Erbes. Etwas kommt in
Betracht, anders gesagt, ist nicht zu betrachten. [...] Ebensowenig wie Lacans verzifferte Konjekturen zur Entzifferung des, mit Heidegger zu spre-
Nietzsehe [...] ebensowenig wie der Philosophie im allgemeinen, ge- chen, "seinsgeschichtlichen Geschicks" des abendländischen Menschen ruh-
gen die er sich wehrt, indem er sie meidet, beabsichtigt Freud,_ Scho- ren zu folgender Dialektik, die hier kurz vorgefiihrt werden soll: Parmenides
penhauer etwas zu schulden. Die Anerkennung der Schuld wird an- schließt das Nicht-Seiende aus, aber es wird, wie alles Ausgeschlossene, zu-
nulliert oder [...], verneint [...].,,360
rückkehren. Das Christentum setzt auf dieses Ausgeschlossene und dabei
mutiert es zur Wahrhelt, die so, psychoanalytisch gesprochen, zwangsläufig
Gleichsam unterminiert wird jeder trotz alldem unvermeidbare Rekurs auf
den Status einer Wiederkehr des Verdrängten hat (und in gewisser Weise ü-
das Erbe also immer durch seine gleichzeitige Ausschlagung, die bei Freud
berdeterminiert ist wie das Symptom). Das Christentum quartiert dann das
und erst recht bei Lacan mehr ist als nur Geste. Wie das Zen den ontologi-
aus, was Parmenides gelten ließ: das Seiende. Aber dieses bleibt sich ebenso
schen Idealismus der alten indischen Schulen, einbeschlossen die buddhisti-
nicht selbst gleich durch seinen Ausschluss, es depraViert im Durchlauf des
schen, wirkungsmächtig erzittern ließ, so erschütterten die Theorien des Un-
christlichen Signifikanten zur ,Welt'. Von grundsätzlicher Bedeutung fiir
bewussten die durch die Philosophie und die philosophische Tradition ge-
Lacans Konzeptualisierung ist, wie schon hervorging, der Schritt von Hera-
stützten Selbstgewissheiten des abendländischen Subjekts. Der Abstand. den
klit zu Parmenides:
das Zen zu den auf den Schriften fußenden, insbesondere hinayanistischen
Heraklit sagte:
Schulen des Buddhismus (dem "ontologischen" oder "indischen" Idealis-
mus) behauptet, ist dem Freuds zum philosophischen Diskurs des Abend- "In dieselben Flüsse steigen wir und steigen wir nicht, wir sind es und
lands vergleichbar. wir sind es nicht."
Lacans "Aufhebung,,?61 der freudschen Lehre findet seine Entsprechung aber
dort, wo das Zen auch den Rekurs auf die eigene Tradition explizit aus- Doch dann kommt Parmenides und markiert apodiktisch den Bruch:
schlägt. Wie bei Lacan die Rückkehr zu Freud eigentlich die Aufhebung des "Das Sein ist und das Nicht-Sein ist nicht."
Freudianismus zugunsten einer tatsächlichen, effektiven Realisierung der re-
velation des Unbewussten visiert, so situiert sich das Zen dort, wo jeder Be- Weil er Dichter war, so Lacan, habe Parmenides, was er zu sagen hatte, auf
zug zum kurrenten buddhistischen Diskurs gekappt ist und der Sinn der Ü- die "am wenigsten blöde Weise" gesagt. Aber was er zu sagen hatte, war an
berlieferung im vollsten Sinne sich erst dort enthüllt, wo sie preisgegeben sich "blöde genug":
wird.
,,[...]üü daß das Sein sei und das Nichtsein nicht sei, was das Ihnen
sagt, jedenfalls ich, ich fmde das blöde. Und man soll nicht glauben,
5.7 Das Erbe als "seinsgeschichtliches Geschick" und die es mache mir Spaß, das zu sagen.,,362
analytische Wahrheit versus Welt und Realität
Nach Heidegger, an dessen geschichtsphilosophischem (resp. seinsgeschick-
Man versucht, den Gegenstand des Den- lichem) Schema Lacan zweifellos orientiert ist, ohne ihm aber im geringsten
kens zu begreifen/begrifflich zu fassen, ,verfallen' zu sein, fiihrte Parmenides apodiktischer Ausschluss des Nicht-
Seins zur entfesselten Technik und zur Herrschaft des "Gestell" oder, um ei-
360 Derrida, J.: Die Postkarte, von Sokrates biS an Freud und Jenseits, 2. Lieferung, S. 16f
361 Wenn von Lacans "Aufhebung" die Rede ISt, sollte dieser Begriff in der hegeischen Drei-
fachbedeutung verstanden werden. 362 Lacan, J.. S XX, Encore, S. 27
166 167

nen Topos von Hans Blumenberg zu gebrauchen, zum "Absolutismus der nisch/1acanianisch verstanden, einmal mehr Zeugnis von einem Unverständ~
Wirklichkeit,,363. Es folgten im Zuge dieser Ausschließung, der gewisserma- nis dessen, was das Unbewusste überhaupt ist.364
ßen griechischen Variante des peccatum origninale, der jüdisch-christlichen Auch Lacans Einlassungen auf Parmenides und Heraklit in dieser an Hei-
Erbsünde, weitere Verwerfungen und Weichenstellungen: Bewusstsein ver- degger angelehnten Leseweise werden immer wieder relevant im Zuge sei-
sus Unbewusstes, Wissen versus Nicht-Wissen, Handeln versus Nicht- nes Anti-Aristotelismus. Entscheidend hierbei ist, dass seine Zurückweisung
Handeln, Arbeit (gerichtet, orientiert) statt Begehren (selbstreflexiv), effi- des Aristotelismus selbst nicht aristotelisch sein will. Wichtig ist nicht die
zienter Umgang mit den Dingen anstatt Betrachtung, Aktivismus statt Kon- Substitution des einen höchsten Gutes durch ein anderes, sondern die Preis-
templation. Als Folge dieser Ausschlüsse tritt auch das behauptete Orien- gabe der Orientierung am "Gut" selbst, letztlich eben die Preisgabe jeder O-
tiertseins des· Handeins an einem höchsten Gut auf den Plan: an Gott, am rientierung des Begehrens überhaupt. Das Begehren soll sich auf kein Gut
Sein, am Guten bei Platon/Aristoteles, in, nach Lacan, verhänghisvoller Ver- beziehen, worin es seine Selbstentfremdnung erleidet. Das soll den seinen, so
quickung dieser Orientiertheit mit der Inthronisation der Wirklichkeit als ka- Lacan, grundlegend von schon dagewesenen anti-aristotelischen Ansätzen,
pitalistischer zu Ungunsten all dessen, was von nun an als nicht-seiend und die dem Großmeister abendländischer Wissenschaftslehre und Methodologie
folglich irrelevant zu gelten hatte. auch im Widerspruch nicht entkommen, unterscheiden. 365 Aristoteles beginnt
Stets hat Lacan die aristotelische Wissenschaft mit ihren Klassen, Arten und bei Lacan mit Parmenides und teilt mit diesem die ,Überwindung' Heraklits:
Unterarten von Seiendem im polemischen Visier: Aristoteles hierarchisier-
"Daß der Gedanke nur agiere im Sinn einer Wissenschaft, indem er
enden, alles in den Griff bekommenden "Klassizismus", wie er kalauert.
dem Denken supponiert wird, das heißt, das das Sein Denken solle,
Dem "rechnenden Wesen" droht aber in Permanenz die Gefahr durch ein
das ist, was die philosophische Tradition von Parmenides an begrün-
strukturell Unwissbares und folglich Unberechenbares, das ihm das Nächste det. Parmenides hatte unrecht und Heraklit recht.,,366
und Fremdeste zugleich ist. Der vermeintlich alles im Griff habende Mensch
(der begreifende Mensch) leidet ebenso wie der vormals allein Gottes All- Die Lehre Lacans lautet: In der Analyse - "Die Analyse ist der Austritt aus
macht und unverständlichem Ratschluss ausgelieferte und wahrscheinlich dem kapitalistischen Diskurs,,367 - reduziert sich das, was als seiend und als
sogar noch tiefer. Dem Er-kennen des homo scientificus wohnt beunruhig- wirklich gelten darf, weil es denkbar ist, als ein Produkt von Ausschluss, von
enderweise ein spezifisches Ver-kennen inne, das alle seine Akte subvertiert. Urverdrängung, aufs Phantasma. Die Realität ist nichts uranfanglieh, an und
Der Optimismus der neuzeitlichen Wissenschaft, ob nun schon angelegt bei fiir sich bestehendes, vielmehr ein Produkt jener frühen Weichenstellungen.
PlatoniAristoteles oder erst mit Descartes begründet, von einem von den Na- Sie existiert eben gewissermaßen "nicht wirklich", Die Realität (als solche)
turmächten, Gott oder kosmischen Zyklen dem Menschen implantierten Wil- ist das Produkt jener ursprünglichen Verwerfung. Vom analytischen Stand-
len frei werden zu können, wird unterhöhlt durch ein strukturell nicht Wiss- punkt aus reduziert sie sich darauf, ein phantasmatisches Konstrukt zu sein,
bares. Seit Freuds Forschung hat dieses Nicht-Wissbare einen Namen: das auf einer Urverdrängung gründend.
per definitionem nicht berechenbare Unbewusste.
Ausgerechnet der an der Empirie orientierte und Gott nur noch als einen Pos- Wie die analytische Wahrheit die Realität zurückstößt ins Phantasma, so ge-
ten im "psychischen Apparat" akzeptierende Freud reintegrierte also eine schieht diese Zurückweisung, so deutet Lacan, ganz ebenso durch den Dis-
Größe, die das Un(be)greifbare wieder in sein Recht versetzt. Seit Freud kurs innerhalb eines anderen "Genres", wie er sich ausdrückt, nämlich dem
führt kein Weg mehr vorbei an der Anerkennung dessen, was nie "aufhört, der Evangelien.
sich nicht einzuschreiben", der Selbstermächtigung des Subjekts zu wider-
stehen und seine Akte zu subvertieren und der gegenwärtige Optimismus,
sich an Biochemie und Computertechnologie orientierend, gibt, freudia-
364 Dieser zweite Optimismus wllre nach Heidegger der absolute Gipfel der Semsvergessen-
heit m der Herrschaft des Ge-Stell.
365 So, nach Lacan, von z.B. dem Batesons, vg1.: Lacan, 1.: S XX, Encore, S. 150f.
366 Lacan, 1.: S XX, Encore, S. 123f
363 Blumenberg, H.: Arbeit am Mythos, S. 9 367 Lacan, J.: Rtr. S. 71f.
168 169

Diese Texte sind [...] das, was ins Innerste der Wahrheit geht, der kUnden in radikaler Weise eben von der Wahrheit. Mit ihrer Aufkunft ist die
" - als solcher [...]", 368
Wahrheit Philosophie an ihrem Ende angelangt.
Das eben ist auch die Sichtweise Heideggers, der sagte, dass er selbst, wenn
Denn man könne nicht besser als in ihnen er wirklich und wahrhaft Christ sein würde, seine "Werkstatt" würde schlie-
"[00'] die Dimension der Wahrheit spielen lassen, das heißt besser die ßen müssen: "Philosophie ist dem ursprünglich christlichen Glauben eine
Realität zurückstoßen ins Phantasma.,,369 Torheit [...] ein hölzernes Eisen und ein Mißverständnis,,373, philosophisch
gesprochen: eine contradictio in ac!jecto. 374 Heidegger, der Philosoph bleibt
So nimmt es nicht Wunder, dass dieser Wahrheit und die Lichtung und das Seinsgeschick denkt und nicht die christliche Of-
fenbarung (denn diese ist eben nicht denkbar), befmdet sich so keineswegs
"ganz nahe nur zu kommen (ist) im Licht der Kategorien, die ich aus im Selbstwiderspruch, wenn er das Ende der Philosophie durch Aufkunft der
der analytischen Praxis zu gewinnen versucht habe, nämlich das evangelischen Wahrheit behauptet. Allein, dass er seine "Werkstatt" nicht
Symbolische, das Imaginäre und das Reale,,370,
geschlossen hat, kUndet davon, dass er den radikalen Schnitt, der durch die
Aufkunft der christlichen Wahrheit gemacht ist, für seine Person nicht mit-
Wie in der Analyse die Realität aufs Phantasma reduziert wird, so wird in
vollzieht. Er fühlte sich letztlich nicht angesprochen.
den Evangelien die Welt als "Gemeinheit" ausquartiert und "die Wahrheit an
Entsprechend gilt, dass ontologische Einlassungen, vom Standpunkt der
ihren Platz,,371 gestellt. Die "Historioie des Christus"
geoffenbarten Wahrheit aus gesehen, das sind, was Derrida im Zuge seiner
"[00'] hat das überflutet, was man die Welt nennt, indem sie diese zu Dionysius-Auseinandersetzung für den Fall des Fortbestehens der Philoso-
ihrer Kehrrichtwahrheit restituiert hat. Sie hat das abgelöst, was das phie unter dem Licht der christlichen Offenbarung einen "subtile(n) oder
Römische, Maurer ohnegleichen, gegründet hatte in einem wunderba- perverse(n) Götzendienst,,375 nennt. Er schreibt im Zuge dieser Auseinan-
ren, universalen Gleichgewicht, mit Bädern an Genuß dazu, die hin- dersetzung, die sich um das (unmögliche) Verhältnis von geoffenbarter
länglich symbolisiert werden von jenen sagenhaften Thermen, von Wahrheit und Philosophie dreht, einerseits gäbe es die "vulgären Profanen,
denen uns eingestürzte Stücke geblieben sind. Wir können uns welche die Attribution als naive Götzenanbeter handhaben,,376, aber es gäbe
schlechterdings keine Vorstellung mehr machen, wie, was Genießen auch anders geartete Anhänger, die Philosophen nämlich oder die "Experten
angeht, pompös das war. Das Christentum hat all das verworfen als in Ontologie,,377, die im Licht der offenbarten Wahrheit ebenfalls nichts als
verächtliche Gemeinheit, die man als Welt ansah. So besteht das Götzendienst leisteten.
Christentum fort nicht ohne eine intime Affinität zum Problem des
Wahren.,<37Z Der authentische Zen-Meister gehört ganz ohne Zweifel zu denjenigen, die
ihre "Werkstatt geschlossen" haben. Deshalb allein ist es falsch, in Heideg-
Der historische Schnitt, den Lacan hier in blumiger Prosa ausschmückt, be-
deutet aber nicht nur, dass, wie in den Evangelien, jene "verächtliche Ge-
meinheit", die Welt, in den Orkus zuruckschießt, aus dem sie gekommen ist, 373 Heidegger, M.: Einfilhrung in die Metaphysik, Tübmgen 1976, S. 6. - Vgi. zum Thema des
Verhältnisses von Philosophie, Theologie und christlicher Offenbarung bei Heidegger:
dieser Schnitt bringt es auch mit sich, dass die Philosophie (als solche) mit Haffner, Gerd SJ.. "Chflstsem im Denken. Zu Heideggers KrItik des ,christlichen Philo-
der Aufkunft dieser Wahrheit ihr Existenzrecht einbüßt. Die Evangelien sind sophie"\ m: Theoiogle und PhilosophIe, Freiburg.BaseI.Wien, 68. Jahrgang, 1993, S. Iff.
nicht eine neue Weisheitslehre, erst recht keine neue Philosophie, sondern 374 Es gibt weItere Stellen, die diese Einstellung Heldeggers beiegen: "Innerhalb des Denkens
kann nIchts vollzogen werden, was vorbereitend oder mitbestimmend wäre filr das, was Im
Glauben und m der Gnade geschieht. Wenn ich vom Glauben so angesprochen wäre, wür-
de ich die Werkstatt schließen. - Innerhalb der Gläubigkeit denkt man wohi noch; aber das
Denken hat als solches keine Aufgabe mehr." (Bericht eIner Tagung der evangelischen
368 Lacan, J.: S XX, Encore, S. 116 AkademIe Hofgelsmar, Dez., 1953, "Gespräch mit Martin Heidegger", in: Anstöße. Be-
369 Ebd. flcht der evangelischen Akademie Hofgelsmar, Nr. 2, März 1954, S. 33)
370 Ebd. 375 Derrida, 1.. Wie nIcht sprechen. S. 38
371 Ebd., S. 117 376 Ebd.
372 Ebd., S. 116 377 Ebd.
170 171

ger eine Art europäischen Zen-Meister zu sehen, denn er hat seine "Werk- rigen, von dem Dögen reichlich Gebrauch macht, aber einen technischen
statt" eben nicht geschlossen. Philosophisch-ontologische Spekulationen o- Gebrauch im Dienst einer transformatorischen Praxis, so wie Lacan Philo-
der seien es "fundamental-ontologische" Erörterungen des Seinsgeschicks sopheme, Theologumena, Mytheme, etc. technisch gebraucht, "weil es näm-
unter der Prämisse einer zu erlangenden adäquaten Welt- oder Wahrheitser- lich anderes sagt,,381,
kenntnis nehmen sich vom Standpunkt der buddhistischen Leerheit ebenso
wie von der christlichen Offenbarung. her gesehen generell wie Blasphemie Avanciert die Psychoanalyse bei Lacan so also zur Heilslehre? Eingeschrie-
und Unernst aus. Heidegger ist seine eigenen Wege gegangen, hat aber zu- ben in die Theorie seiner Praxis ist, dass der analytischen Wahrheit der Vor-
mindest die Dinge an ihren richtigen Platz zu stellen gewusst. Eine ,christli- zug zu geben ist vor jeder durch die Philosophie erzeugten (Richtigkeit). Die
che Philosophie' betreffend (und zweifellos ebenso eine buddhistische), (philosophischen, hermeneutischen) Mittel zur Durchdringung von Welt und
greift sein Vorwurf eines "wesenhafte(n) Nicht-Denken(s) an das Wesen des Wirklichkeit, ja in gewissem Sinne sogar die Psychoanalyse selbst, gehören
Nichts,,378 (gegenüber Nietzsche als Einwand formuliert, ob zu Recht oder zu selbst zur Ordnung der Welt und also des Phantasma. Eine Wahrheit, die er
Unrecht sei dahingestellt; er bildet im übrigen auch Heideggers Formel für die analytische nennt, hat auch Lacan in einer Weise berührt, die es unmög-
den "vollendeten Nihilismus" ). Die alten Koan und Koan-Kommentare las- lich macht, zum Gewohnten zurückzukehren. Bei ihm wird die Nennung der
sen bereits keine Täuschung darüber zu, was der Schritt des Zen gegenüber Namen der Philosophie zu einer "Anrufung der Leere" zur Evokation des
allen Formen jedes indischen und postindischen Idealismus, einer bloßen wahren, vollen, authentischen Sprechens.
Philosophie des Buddhismus, gegenüber buddhologischen Studien jeder Art, Dennoch sind Philosophie, Ontologie, Theologie etc. die privilegierten Mittel
wirklich bedeutet. Entsprechend wird im Christentum die Ontologie im Licht zur Durchquerung des Phantasmas. Sie taugen paradoxerweise dazu, gerade
einer' geoffenbarten Wahrheit zu einem "perversen Götzendienst" und die weil sie selbst zu ihm gehören, seine Ausstaffierung bilden. Wenn Philo-
Philosophie post Christum zu einem "hölzernen Eisen", sopheme, Mytheme etc. also selbst zum Phantasma gehören, so verwandelt
Lacan sie in seiner seminaranalytischen Praxis in Matheme, ausgelegt (wie
Ontologie, Metaphysik, Philosophie, Onto-Theologie - aus der hier be- Köder) für präsupponierte Analytiker, um selbige dorthin vordringen zu las-
schriebenen Perspektive ist all dies strictu sensu nicht mehr möglich, es ist, sen, wo von der Realität, inclusive der Mittel zu ihrer Durchdringung, nichts
in der drastischen Diktion des späten Lacan: "orientiertes Scheißgequat- mehr übrigbleibt als die "Kehrrichtwahrheit" der analytischen Wahrheit zu
sche,,379, Shunryu Suzuki, als Zen-Meister einer derer, die "die Werkstatt ge- sein. Die Realität wird zum Phantasma, zu einem komplexen Truggebilde.
schlossen" haben, sagte: Lacans Analyse fUhrt also tatsächlich in die Dit-mension des wahr ein. Des-
halb ist sie eine transformatorische Praxis. Es genügt nicht zu sagen, Lacan
"Es ist irgendwie eine Lästerung, wenn man davon spricht, wie voll-
endet der Buddhismus als Philosophie oder als Lehre ist, ohne zu wis- rate seiner Klientel, bei ihren Pathologien zu bleiben, weil diese ohnehin un-
sen, was er tatsächlich ist [...] Unsere Praxis in ihrer reinen Form zu abänderlich mit unauslöschlicher Schrift auf ihren Leib gezeichnet seien.
erhalten, das ist unser Ziel. Manchmal habe ich das Gefiihl, daß etwas Nach dem Durchlauf des analytischen Signifikanten, in der Aufkunft der a-
Blasphemisches darin liegt, wenn man darüber spricht, wie vollkom- nalytischen Wahrheit erfährt das Subjekt eine radikal neue Determination.
men der Buddhismus als Philosophie oder als Lehre ist, ohne daß man Der alles verändernden und doch alles an seinem Platz lassenden Aufkunft
weiß, was er eigentlich ist.,,380 der analytischen Wahrheit entspricht im Zen die Unterscheidung eines Welt-
lichen vom Buddha-Dharma:
So werden also die wahren Häresien kenntlich. Zen-mäßig gesprochen be- "Wenn man glaubt, weltliche Beschäftigung störe das Buddha-
deutet Shikantaza (Nur-Sitzen), jede Art "indischen Idealismus" allenfalls Dharma, dann weiß man nur, daß es kein Buddha-Dharma im Weltli-
noch zu Demonstrationszwecken gebrauchen zu können - ein Mittel im üb-

378 Heidegger, M.: Nietzsche, Band H, S. 53f.


379 Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 57
380 Suzuki, Sh.. ZEN-Geist - Anfänger-Geist..., S. 132 381 Lacan,1.. S XI, Die vier Grundbegriffe..., S. 297 (Nachwort)
172 173

ehen gibt, aber man weiß noch nicht, daß es kein Weltliches im der Macht, und zwar welcher Macht immer, in allen Umständen, in
Buddha-Dharma gibt."382 jeder Wirkung, historischer oder nicht, immer dieselbe gewesen.

Hier ist mutatis mutandis genau der Schnitt markiert, den Lacan zwischen Was proklamiert Alexander, als er in Persepolis, was Hitler, als er in
Welt/Realität = Phantasma auf der einen und der Wahrheit auf der anderen Paris ist? Die Präambel besagt wenig - Ich bin gekommen, um euch
ansetzt. Eine ,buddhistische Philosophie' ist mit Beginn des Dharma streng- von diesem oder jenem zu befreien Das Wesentliche besteht darin-
genommen genauso unmöglich wie eine christliche mit Autkunft der offen- Arbeiten Sie weiter. Die Arbeit darf nicht unterbrochen werden. Was
barten Wahrheit und Dögen (wie die gesamte Koan-Literatur) bestätigt dies heißt - Eines muß klar sein, es ist in keinem Fall eine Gelegenheit,
mit jedem der überlieferten Texte. das geringste Begehren zu zeigen.
Die Moral der Macht, des Dienstes an den Gütern ist - Was die Be-
gierden angeht, da werden sie nochmals vorbeikommen müssen. Die
5.8 Das Tragische der Analyse können warten. [...] Ein Teil der Welt hat sich entschieden am Dienst
Don't believe in yourself, don't deceive with an den Gütern orientiert und hat alles verworfen, was das Verhältnis
believe / knowledge comes with death's re- des Menschen zum Begehren betrifft [...] Das einzige, was man da
sagen kann, ist, daß es nicht so aussieht, als würde man sich Rechen-
lease (David Bowie, "Quicksand")
schaft davon geben, daß man, wenn man die Dinge so formuliert, nur
die ewige Tradition der Macht perpetuiert, nämlich das - Fahren wir
Die analytische Bewertung des Handeins, wie sie Lacan vornimmt und die
fort zu arbeiten, und was das Begehren betrifft, kommen Sie nochmals
durch eine Ethik, die er die traditionelle nennt, sind stark voneinander unter- vorbei.,,386
schieden. Gegen die geforderte Orientierung des Handelns am Objekt des
"höchsten Gut", die in Wahrheit der "Dienst an den Gütern" sei, richtet La- Das Begehren in den "Dienst an den Gütern" zu stellen, ist dann gleichbe-
can seine Konzeptualisierung von der Konformität von Handeln und Begeh- deutend mit: vom Begehren abzulassen. Lacans Umwertung der Sache mit
ren, spricht aber in dem Zusammenhang auch von der "tragische(n) Dimen- dem Begehren impliziert eine Umwertung des Begriffs der Schuld:
sion der psychoanalytischen Erfahrung,,383, Im Dienst am Gut, an den Gü-
tern, erleidetdas Subjekt seine Selbstentfremdung, entgeht aber auch der Ge- "Ich behaupte, daß es nur eines gibt, dessen man schuldig sein kann,
fahr, in die Dimension des Tragischen zu geraten. zumindest in analytischer Perspektive, und das ist, abgelassen zu ha-
Die Werte der traditionellen Ethik, die Aristoteles, so Lacan, bis über Kant ben von seinem Begehren. [...] Letztlich besteht das, wessen sich das
hinaus vorformuliert habe, seien etwa "Schmälerung des Begehrens, Be- Subjekt wirklich schuldig ilihlt, wenn es Schuld auf sich lädt, es mag
scheidenheit, Mäßigung"384, Die "Ordnung der Dinge", auf die sie sich grün- dem Beichtvater gefallen oder nicht, im Grunde darin, daß es von sei-
nem Begehren abgelassen hat." 387
den, sei aber letztlich die "Ordnung der Macht", die einer "menschlichen,
allzu menschlichen Macht,,385, Die Macht verlangt die Instrumentalisierung
Dass dem so ist, dafiir beruft sich Lacan auf die Erfahrung, auf die des Psy-
des Begehrens, das ursprünglich leer ist und keine Objekte hat, seine Orien-
choanalytikers. Da die Christen nach dem Guten strebten als dem obersten
tierung an einem Gut, am ,höchsten Gut', am ,Guten' und letztlich verpflich-
Gut, kehrte bei denen "der gewöhnlichen Observanz nie wirklich Ruhe
tet sie das Subjekt dabei auf den "Dienst an den Gütern", ein,,388,
"In Bezug auf das, worum es geht, nämlich das, was sich auf das Be-
"Die Dinge im Namen des Guten zu tun und mehr noch, im Namen
gehren, seinen Aufzug und seine Verwirrung, bezieht, ist die Position
des Wohls des anderen, ist weit davon entfernt, nicht allein vor
Schuld, sondern vor allen Arten inneren Katastrophen Schutz zu bie-
382 Dögen, E.. Shöbögenzö ZUlmonkl, S. 14
383 Lacan, J.: S VII, Die Ethik der PsychOanaiyse, S. 347ff. 386 Ebd., S. 375f. u. 379f.
384 Ebd., S.375 387 Ebd., S. 380f.
385 Ebd. 388 Ebd., S. 381
175

ten. Insbesondere schützt es uns nicht vor der Neurose und deren Fol- tragischen HeIdin. Vom Begehren ablassen und das Tragische zu vermeiden
gen."389 demgegenüber heißt, es zu befriedigen im "Dienst an den Gütern" unter
Preisgabe dieser authentischen Vision. 394
Weil das Begehren so sehr verknüpft ist mit dem, was als "Kern der Person" Was not-tut, ist die Realisierung dessen, was "uns in einem besonderen
von Lacan als der schwierigste Topos der Freudschen Lehre bezeichnet wird, Schicksal wurzeln läßt", gestützt vom unbewussten Thema, der "authenti-
steht im Ablassen vom Begehren mehr auf dem Spiel als nur die Versagung schen Vision unseres Lebens", einer Art Leitmotiv des Individuums, dessen
einer Befriedigung. Was auf dem Spiel steht, ist nichts weniger als das "See- Vernehmbarkeit die Anerkennung des unbewussten Wunsches voraussetzt.
lenheil", Denn das Begehren ist das, "was das unbewusste Thema stützt,,390. Im Fall der Verfehlung der Inswerksetzung des Begehrens kehrt wie bei den
In der Preisgabe des Begehrens um eines höheren Gutes willen, bzw. der In- "Christen gewöhnlicher Observanz", die ihr Handeln in den Dienst des Gu-
dienstnahme des Begehrens um dieses Höheren willen, steht die Realisierung ten stellen (und also in den der Macht, die letztlich nur den "Dienst an den
dessen auf dem Spiel, Gütern" fordert), "niemals wirklich Ruhe ein", In puncto Inswerksetzung des
"was uns in einem besonderen Schicksal wurzeln läßt, welches nach- Begehrens geht es in letzter Konsequenz nicht darum, besser leben zu kön-
drücklich fordert, dass die Schuld beglichen werde,,391, nen, sondern darum, sterben zu können. Das symbolische Gesetz zu erfiillen
in der Übernahme des symbolischen Mandats ermöglicht dieses Sterben-
Der Aufgriff dieses "unbewussten Themas" ist notwendig. Man verrät sein Können. Es ist wie bei den Protagonisten der (meisten) Opern von Richard
Begehren nämlich nicht ungestraft: Wagner. Sie müssen eine bestimmte Aufgabe erfiillen, um sterben zu kön-
nen. Solange sie diese nicht bewältigt haben, wandeln sie als ,Untote' wie
"Es kommt wieder und führt uns immer in ein bestimmtes Kielwasser Gespenster über die Erde. Diese Aufgabe aber, aufs engste zusammenhän-
zurück, in das Kielwasser dessen, was im eigentlichen Sinn unser Af- gend mit dem, was "uns in einem besonderen Schicksal wurzeln läßt", ver-
far ist. ,,392
langt gebieterisch nach ihrer Inswerksetzung.
Zur Plausibilisierung seiner analytischen Konjekturen zum Tragischen zieht
Schuld empfmdet derjenige, der von seinem Begehren ablässt, der außerhalb
Lacan noch das Beispiel eines weiteren tragischen Heros heran, das Philok-
seines "Kielwassers" sein Glück zu machen versucht. Lacans Gegenbeispiel
tets. Der "Philoktet" eignet sich deshalb besonders, weil bei diesem seine
ist immer wieder Antigone, die in unnachgiebiger, kompromissloser Weise
Vorgeschichte eine so besondere Rolle spielt. Lacan kann hier zeigen, wie
nicht von ihrem Begehren ablässt. Dafür nimmt sie sogar ihren physischen
einer wurde, was er ist. Ein geschichtliches Moment, ein gewisser biographi-
Tod in Kauf. Hätte sie dem Drängen Kreons nachgegeben, würde sie zwar
scher Wendepunkt in Philoktets ,Denkungsart' ist in seinem Fall, anders als
am Leben geblieben sein, aber als ,Untote', nämlich um den Preis, nicht
bei Antigone, von entscheidender Bedeutung.
sterben zu können. Antigones Begehren ist deshalb nicht Begehren nach et-
Lacan erzählt also Philoktets Geschichte nach und setzt folgende Schwer-
was, nach einem Objekt, nach dem Guten, es ist auch nicht die hegeische
93 punkte: Zu Beginn ist Philoktet ein Jedermann, der "wie so viele" für sein
Pietät, die dieser der Weiblichkeit zuordnee , sondern, wie Lacan sagt, "rei-
Vaterland in den Krieg zu ziehen und zu sterben bereit ist. Er ist "voll Hitze,
nes Todesbegehren", Sie weiß, dass sie nur sterben kann, wenn sie dieses
ungeschriebene Gesetz erfiillt, das heißt: der ursprünglichen, "authentischen
Vision ihres Lebens" (Arokiasamy) treu bleibt und diese Vision verlangt ge-
bieterisch nach Erfiillung des symbolischen Auftrags. Dadurch wird sie zur
394 Ein weiteres Beispiel wäre hier die Person Christi, so wie sie Martm Scorcese m semem
Film "Die letzte VerSUChung Christi" m Szene setzt. Jesus wlfd, bereits ans Kreuz gena-
gelt, von emem SChutzengel ,gerettet' Er steigt herab, heiratet Mana Magdalena und er-
389 Ebd. greift den Beruf semes (irdischen) Vaters. An seinem Sterbebett erschemen die Jünger und
390 Ebd., S. 381 werfen ihm Verrat vor. Aber Verrat woran? An seiner MiSSIOn, an semem symbolischen
391 Ebd. Auftrag, wenn man so will: an der "authentischen Vision semes Lebens", deren Inswerk-
392 Ebd. setzung die Treue zum sybolischen Auftrag erfordert. Hat er so also nicht "von seinem Be-
393 Vgl.. Hegel, G.W.F.. Phänomenologie des Geistes, dann: "Die Sittliche Welt. Das mensch- gehren abgelassen"? Und dieses Begehren war nichts anderes als Todesbegehren m seiner
liche und das göttliChe Gesetz, der Mann und das Weib''. S. 328-342 reinsten Form. Der Schutzengel erweist sich schließlich als der Satan.
176 177

voll Verlangen,,395, sich im "Dienst an den Gütern" aufzuopfern. Zwischen Einlassungen . sollten selbstredend nicht als Apologie des Hasses gelesen
sich und seine Vollendung stellt er sein Begehren in den Dienst, das heißt: er werden.
gibt es preis, er verrät es, er überschreibt es dem Vaterland, zu dessen (ver- Lacan weist dann noch auf Möglichkeiten hin, mit einem Verrat umzugehen,
meintlicher) Rettung er sich anstellen lässt. die das Subjekt nicht in die Dimension des Tragischen einführen, sondern es
Aber dann geschieht folgendes: Er wird verraten: fortfahren lassen, sein Begehren im Dienst an den Gütern zu opfern. Die tra-
gischen Heroen sind Ausnahmen, der Normalfall im Umgang mit einem Ver-
"Weil er zu übel roch, hat man ihn auf der Insel ausgesetzt. Zehn Jah-
rat sei, dass das Subjekt sich in sein vermeintliches Schicksal begibt und, auf
re verzehrt er sich dort in Haß.,,396
einem verminderten, aber womöglich sogar effizienteren Energieniveau fort-
ftl.hrt in der illusionären, selbstverräterischen Arbeit im Dienst der Güter.
Das ist besagter Wendepunkt in der Biographie Philoktets: Zu unterscheiden
Zwei Abschnitte aus der betreffenden Seminarstunde seien hier zitiert. Para-
sind eine Zeit, in der er, wie die anderen Krieger, bereit war, um eines frag-
digmatischen Wert haben die subjektiven Begründungen für das Nachgeben
würdigen Gutes willen sein Leben hinzugeben, in der er, von sich selbst ent-
in puncto Begehren. Sie schreiben sich ein ins Register der "traditionellen
fremdet, einem äußeren Gut verpflichtet sich glaubte und dieser Verpflich-
Moral":
tung vollständig verhaftet war. Eine neue Zeit hebt an (ein anderer Anfang)
wegen des Verrats, der an ihm geübt wurde. Denn: "Was ich ablassen von seinem Begehren nenne, ist im Schicksal des
Subjekts - Sie können es in jedem Fall beobachten, merken Sie sich
,,(S)ein Irrtum (wird) über die Tatsache des Verrats von ihm genom-
men,,397, die Dimension davon - immer von irgendwelchem Verrat begleitet.
Entweder begeht das Subjekt Verrat an seinem Weg, verrät sich also
selbst und bekommt es zu spüren. Oder einfacher, es nimmt hin, dass
Worin bestand dieser Irrtum? In der Preisgabe seines Begehrens zugunsten
jemand, mit dem zusammen es sich mehr oder weniger einer Sache
des Dienstes an den Gütern. Wenn dieser Irrtum nun von ihm genommen ist, hingegeben hat, seine Erwartung enttäuscht und ihm gegenüber nicht
so ist ihm im selben Zug sein Begehren zurückerstattet. Es hat kein Objekt das getan hat, was in ihrem Pakt verlangt war - was für ein Pakt es
mehr, es ist eins mit dem Hass. Man darf sich hier nicht täuschen und den auch sei, ein glücklicher oder ein unglücklicher, ein heikler, ein kurz-
Hass, der sich auf die, die ihn verraten haben, richtet, für einen zu halten, der sichtiger, der Pakt einer Revolte oder zu einer Flucht, es ist ganz
eben doch ein Objekt hat. Sein Begehren steht nicht im Dienst dieses Hasses, gleich.
es ist vielmehr vollkommen eins mit ihm. Worauf es Lacan ankommt, ist zu Irgend etwas spielt sich ab um den Verrat, wenn man ihn hinnimmt,
zeigen, wie Philoktets Handeln vom Moment des Verrats an unmittelbar vom wenn man, getrieben von der Idee des Guten - ich meine des Wohls
Begehren durchwirkt ist, wie es ihm innewohnt. Philoktet gerät in diesem dessen, der in diesem Moment den Verrat begangen hat -, so weit
Hass, in dem seine Selbstentfremdung im Begehren wettgemacht wird, ,au- nachgibt, dass man auf seine eigenen Ansprüche verzichtet und sich
ßer Konkurrenz' im Kampf um die Güter, die imaginären Dinge wie Ruhm, sagt - Nun gut, wenn's so ist, verzichten wir auf unsere Aussichten,
Ehre, GlÜCk, Wohlleben etc. Der Hass dient nur akzidentell dazu, Rache zu von uns beiden ist keiner mehr wert, sicher nicht ich, kehren wir also
nehmen, vor allem hält er ihn in einem Leben, das nicht ,untot' ist und das auf den gewohnten Weg zurück. Sie können sicher sein, dass es da
gerade dadurch, dass er sich gegenüber den Dingen, mit denen der gewöhnli- um die Struktur geht, die ablassen von seinem Begehren heißt.,,398
che Mensch befasst ist, wie ein Toter verhält, vollständig indifferent. Das ist
die traditioneller Rezeption und gewöhnlichem moralischem Empfinden Das Subjekt begeht Verrat "an seinem Weg...um des Guten willen...und
krass zuwiderlaufende, zweifellos heuristische Deutung Lacans, denn Lacans kehrt auf den gewohnten Weg zurück". Wegen der Unmöglichkeit einer Ver-
wechslung von Philoktets Motiven mit einer Orientierung am Guten, wie sie
im Fall Antigones gegeben ist, wird hier noch deutlicher als in ihrem Fall,
wie die von Lacan entwickelte Ethik der Psychoanalyse konträr zu dem
395 Lacan, 1.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 382
396 Ebd., S. 382
397 Ebd. 398 Ebd., S. 383
178 179

steht, was von der christlich/aristotelischen Morallehre, von der Philosophie "Darin ist die Psychoanalyse eine Technik, die die menschliche Per-
gestützt, gefordert wird. son respektiert [...] die sie nicht allein respektiert, sondern überhaupt
nicht anders möglich ist, als indem sie sie respektiert.,,401
Aber zweifellos können - dies sollte nicht ungesagt bleiben - die Handlungs-
weisen der beiden Tragödienhelden nur als das bezeichnet werden, was die
Analytiker "etwas schamhaft negativ-therapeutische Reaktionen,,399 nennen. 5.9 Wie das Phantasma durchqueren, ohne tragisch zu werden?
Sie geben nur das Paradigma für die Nicht-Orientiertheit der lacanschen
Es geht in der Zen-Schulung nicht darum, ein,bewusstloses', nur an seinen
Psychoanalyse an der Idee des Guten und damit dem Dienst an den Gütern
Instinkten oder Trieben orientiertes Subjekt zu erzeugen, vielmehr dieses in
ab.
den Stand zu versetzen, konform mit seinem Begehren handeln zu können.
Nach der Entfremdung im Dienst der Güter "verzweifelt man selbst sein"
An Sätze wie die folgenden muss Lacan im Zusammenhang seiner Seminar-
wollen ist auch nicht die Lösung. Der Weg ist wohl, wie Sören Kierkegaard
reflexion über "Freuds technische Schriften" gedacht haben.
dies einmal schrieb, zu finden zwischen zwei Vermeidungen: Weder "ver-
zweifelt man selbst sein" wollen, noch "verzweifelt nicht man selbst sein" "Dreißig Hiebe, wenn du sprichst; dreißig Hiebe, wenn du
wollen. Wenn letzteres die Verzweiflung der Schwachheit ist, defmiert Kier- schweigst".
kegaard, ist ersteres die des tragischen Trotzes. Aber es ist eben auch über "Sprich ein schnelles Wort!,,402
das Tragische hinauszugehen. Die Dimension, wo man weder "verzweifelt
man selbst sein", noch "verzweifelt nicht man selbst sein" will, ist bei Kier- Lacan schlägt in besagtem Passus die Brücke zwischen Freud und der Tech-
kegaard die religiöse 400 und bei Lacan derjenige Existenzmodus, wo Handeln nik der Psychoanalyse auf der einen Seite und dem Zen-Lehrer "auf der Su-
und Begehren nicht auseinandergelegt sind, sondern sich konform verhalten, che nach einem Sinn" auf der anderen:
wo das Begehren unmittelbar dem Handeln innewohnt, oder, wenn man so "Der Lehrer unterbricht das Schweigen durch gleichgültig was, einen
will: wo es genügt, dem Lauf der Signifikanten zu folgen, um gemäß zu han- Sarkasmus, einen Fußtritt. So geht auf der Suche nach einem Sinn ein
deln. Das Selbst ist hier kein Etwas mehr, das verneint oder bejaht werden buddhistischer Lehrer vor, entsprechend der Technik des Zen. Es ist
könnte, es ist kein Objekt mehr. Der Preis für den Gewinn eines Selbstes, das Sache der Schüler selbst, die Antwort auf ihre eigenen Fragen zu su-
kein Objekt mehr ist, ist ein wenigstens einmaliges Losgekommensein von chen. Der Lehrer trägt nicht ex kathedra eine abgeschlossene Wissen-
den "Schlacken jeder Leidenschaft", eine wenigstens einmalige Lösung der schaft vor; er bringt die Antwort bei, wenn die Schüler in der Lage
psychosozialen Vertäuungen. Aber dieses wenigstens einmal macht, dass der sind, sie selbst zu fmden.
Zugang offen bleibt. Der psychoanalytische Akt evoziert die Geburt des Sub- Diese Lehre ist eine Absage an jedes System. Sie deckt ein Denken in
jekts im Symbolischen. Die Trennung von sich befreit aus dem circulus viti- Bewegung auf - gleichwohl fahig zum System, denn es zeigt notwen-
osus, entweder man selbst oder nicht man selbst sein zu wollen. Die Lösung digerweise ein dogmatisches Gesicht [...].
der ursprünglichen Bindung als ethischer Akt, so wie sie die Analyse ins Freuds Denken hält sich durchweg geöffnet für Überprüfung und ü-
Werk setzt, die Trennung vom Liebsten, was man hat, ist dann gerade nicht berarbeitung. Ein Irrtum, es auf abgenutzte Worte zu reduzieren. Je-
der Begriff besitzt in ihm sein eigenes Leben. Und genau das heißt
als "Ablassen vom Begehren" zu verstehen, vielmehr als die Bedingung sei- Dialektik.,,403
ner Inswerksetzung.
Lacan selbst stellt die Grenze zwischen der Praxis, die ihn verpflichtet und
dem, was sie nach der Meinung gewisser Epigonen konstituiert, nämlich ihre
Abgrenzung gegenüber dem, was solchen als mystisch gilt, gleichsam von

401 Lacan,1.. SI, Freuds techmsche Schriften, S. 41


399 Ebd., S. 373 402 Zit. n.: SUZUkI, T.S .. Zazen, Die Übung des Zen, S. 89
400 VgL Kierkegaard, S.. Die Krankheit zum Tode, S. 73ff. 403 Lacan, J.: Sehr. I
180 181

innen her in Frage. Es ließen sich jede Menge Gründe dafür beibringen, je- logie, gleichwie, mit Nietzsehe zu sprechen, auf einem "Basiliskenei" sit-
nes von Freud entdeckte Unbewusste mit Begriffen der mystischen Texturen zend, hat geradezu schon eine eigene Tradition ausgebildet. Interdisziplinari-
in Beziehung zu setzen. Freuds vielzitiertes Statement, demzufolge ihm "o- tät und interkulturelle Forschung lassen nach der Meinung ihrer Verächter
zeanische Gefühle" abgingen, verhinderte hier auf lange eine angemessene den Blick auf das, was ist, nur durch Milchglasscheiben zu, nicht cartesia-
Rezeption. So gibt es denn, was vielleicht sogar einer gewissen Komik nicht nisch, wie es sich gehört, "clare et distincte", Das Zen demgegenüber sprach,
entbehrt, kaum eine gemeinsame Schnittmenge von Freudianern/L~canianern seit es in den Westen gelangte, immer sein Wort zur westlichen Philosophie,
und mit Themen aus dem Umkreis der Mystik Befassten. 404 Die Mystik ist auch zur Psychoanalyse, um, nicht zuletzt, in dieser Annäherung einen Ab-
eine ernste Angelegenheit, so jedenfalls Lacan, sie sei eben nicht nur alles, stand zu markieren.
"was nicht Politik ist,,405,
Es ist eine mit der Regelmäßigkeit rezeptionsgeschichlicher Wiederholung
auftauchende Merkwürdigkeit und verdiente eigens analysiert zu werden,
dass gewisse Rezipienten speziell stets das, was sie nicht verstehen, als mys-
tisch diskreditieren und im Umkehrschluss das Mystische als das Nicht-
Verstehbare. "Sie bewerten alles als Irrtum, was sie nicht verstehen...,,406,
hielt auch Meister Eckhart seinen Anklägern in seinem sogenannten Lehr-
zuchtsverfahren entgegen.
Gerome Taillandier spürt einen "Zeitgeist, der über der Psychoanalyse
weht'" Lacans Bericht über seine "Reise nach Japan", schreibt er in einem
Artikel über das "Angst-Seminar", "interessiert nicht weiter", Dennoch hät-
ten, fährt er in diesem für einen gewissen akademischen Stil, der herablas-
send und ausgrenzend in einem ist, typischen Duktus fort, "diese Ferien La-
can offenbar viel gebracht":
"Er kommt mit nichts weniger als den ersten Hinweisen auf die Stim-
me und den Blick als Objekte a zurück. Wenig fehlte übrigens, und er
hätte auch den Atem als Objekt isoliert, wenn er ihn nicht im letzten
Moment auf... ein anales Objekt reduziert hätte!,,407

"Buddhismus, Japan, Gott und einige andere Universalien" bestehen für


Taillandier allesamt "aus ähnlichem Teig"408, Die westliche Borniertheit im
Beharren auf der Exklusivität abendländischer Wissenschaft und Epistemo-

404 Derrida schreibt sehr treffend, dass viele Psychoanaiytiker, die Sich m der Nachfoige
Freuds verstanden, "die Schultern gezuckt und verschamt den BlicK abgewandt (haben) vor
der Anwandlung von Mystizismus, der speKulativen Verirrung oder der mythologischen
Träumerei: der Meister hat gespielt, er ISt mcht ernst gewesen usf." (Derrida, 1.. Die Post-
karte, von Sokrates biS an Freud undjeriseus, 2. Lieferung, S. 144)
405 Lacan, J.: S XX, Encore, S. 82
406 Zit. n.: Derrida, 1.. Wie nicht sprechen, S. 81
407 Taillandier, G.. Jaques Lacans Semmar über die Angst, m: Riss, Zeitschrift filr Psychoana-
lyse. Freud.Lacan. Nr. 42, S. 28
408 Ebd.
6 Das leere Subjekt

6.1 Das eigentliche Ich und die Leerheit des Subjekts


Das Satori gleicht dem Geist eines Diebes,
der in ein leeres Haus eindringt. Es gibt
nichts zu stehlen. (Taisen Deshimaru Ros-
hi)
Wenn Lacan in einer Sitzung seines Seminars über die Angst auszuloten ver-
sucht, was
"vielleicht noch lebendig ist von den buddhistischen Praktiken, und
zwar insbesondere denen des Zen,,409,

so gilt ihm dieser Versuch als


"nicht unpassend [...] in Bezug auf das, was wir hier zu defmieren
versuchen hinsichtlich des Verhältnisses des Subjekts zum Signifi-
kanten,,410,

denn im Grunde sei ja die buddhistische Sache und die, "die uns interes-
siert", ein und dieselbe:
"ein bestimmtes Verhältnis des menschlichen Subjekts zum Begeh-
ren,,411.

In den fühesten buddhistischen Schriften gibt es das bekannte Gleichnis vom


Rad. Es besagt, dass selbiges, wenn es zerlegt wird, aus nichts als aus einzel-
nen Holzstückchen besteht. Entsprechend sei das Ich nur ein Bündel hetero-
nomer Triebfedern und Eigenschaften, einzig durch den Körper zusammen-
gehalten. An dieses Gleichnis nun schließen sich zwei naheliegende, typi-
sche Fehlinterpretationen an: die substantialistische, die zwar die Nicht-
Substanzhaftigkeit des empirischen Ich konzediert, jedoch gegenüber diesem
das Vorhandensein eines wahren, eigentlichen Ich behauptet - und die nihi-
listische, die bei der Verneinung der Einheit des Ich stehenbleibt. Beide

409 .Lacan, J.. Seminar X, Die Angst, 2. Teil, S. 69


410 Ebd.
411 Ebd.
184 185

Missverständnisse gründen darin, dass hier nicht die Leerheit des Ich erkannt nes Ich nur diese einzelnen Stückehen des Rades gäbe, also nur einen in
und in den Blick genommen wird. Hierin liegt aber gerade das Unterschie- nichts verankerten losen Verbund flüchtiger und heterogener (mentaler) Er-
dene des Buddhismus und ruht, wenn man so will, sein Geheimnis. Leerheit eignisse, haften entgegen ihrer Intention vielmehr genau am Bestand eines
ist Dasein ohne bleibende Substanz und das Nicht-Ich (anattat 12 die Be- Ich, das sie nur als zersplittertes fassen. Ihre Forschungen korrespondieren
wusstseinsform, die der Universalität des kosmischen Gesetzes vom Nicht- weniger mit dem Buddhismus als etwa mit den Theorien von Deleuze/Guat-
Bestand Rechnung trägt. Der Standpunkt, der die Nicht-Substanzhaftigkeit taii, wie unterbreitet im "Anti-Ödipus", in denen es auch nicht um die Leer-
des Ich behauptet, sein Bestehen aus heterogenen Bestandteilen, wurde heit oder wenigstens Negativität des Selbst geht, sondern seine Zersplitte-
schon zu Zeiten des historischen Buddha von konkurrierenden Schulen ge- rung in inkonsistente, heteronome Vielheiten. Solche Theorien, aufgenom-
lehrt und entspricht den Forschungsergebnissen der heutigen Kognitionswis- men und weitergedacht, münden dann in die modische Annahme der Exis-
senschaftler. Dass unter dieser heterogenen Masse aber ein eigentliches Ich tenz von "multiplen Persönlichkeiten", die in Wahrheit wohl nur von der
vorhanden sei, entspricht eher einer (platonisch/christlichen) Philosophie der Verlegenheit der Analytiker und Therapeuten zeugt, gewisse schwerwiegen-
Seele. de Probleme, die bei bestimmten Individuen aus der Unmöglichkeit des Ein-
Von den Vertretern des letzteren Standpunkts wird behauptet, dass der klangs der subjektivenjouissance und der Forderung des symbolischen Ge-
Buddha gar nicht eine solche ,furchtbare Theorie' vom Nicht-Ich gelehrt ha- setzes resultieren, zu erklären und in den Griff zu bekommen. Nie dürfen im
ben könne, er habe, gleichsam im Sub-Text, vielmehr die ,Theorie vom ei- Buddhismus und ebensowenig bei Lacan das Subjekt, das leer ist und das
gentlichen Ich' gelehrt. Dieses Missverständnis ist leicht zu erklären als ge- nicht existente einheitliche Ich verwechselt werden. Die auf die Himhemi-
gründet im Widerstand gegen das erste, nämlich eine Gleichsetzung des sphärenforschung sich stützenden Kognitionswissenschaften verschleiern
Buddhismus mit den ,materialistischen' Kognitionswissenschaften. Es er- letztlich mit ihrem Expertenwissen vom nichtexistenten Selbst geradezu die
klärt sich also aus dem Widerstand gegen eine nihilistische Deutung und Leerstelle, die das Subjekt ist. Ihre Forschung ist die Verschleierung des lee-
reintegriert mutatis mutandis den Begriff der Seele als ,eigentliches Ich', um ren Subjekts. Sie wissen nichts von der symbolischen Kastration und ebenso
dem Dilemma zu entkommen. nichts von der symbolischen Identifikation, die die Nicht-Identifikation ist.
Sowohl die Auslegung vom ,eigentlichen Ich', wie auch die nihilistische, Eine der unzählige Male wiederkehrenden Formeln für die Nicht-Identifi-
derzufolge es kein Selbst gibt außer in einer kontingenten, momentanen Zu- zierung im Palikanon lautet:
sammensetzung, verfehlen aber den Sinn der buddhistischen Lehre. Auf- "Das gehört mir nicht, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst."
grund der Tatsache, dass das Ich nichts ist als ein grundloses Bündel flüchti-
ger und heteronomer (nur mentaler) Ereignisse, ist der buddhistische Stand- Lacan sagt: "Es gibt keine Objekte." Die symbolische Identifikation setzt die
punkt weder gleichzusetzen mit dem nihilistischen, kognitionswissenschaft- Nicht-Identifikation voraus und sie gründet das Universum des Symboli-
lichen der Leugnung eines einheitlichen, stabilen, mit sich selbst identischen schen auf dem Fehlen eines wirklich existierenden Objekts des Begehrens,
Selbst, der den menschlichen Geist in der Konsequenz in einen mit dem "he- einem Mangel an sicherem Wissen und einem Fehlen von ursprünglicher
teroklitesten Gerümpel" vollgestopften Spielort verwandelt, an dem sich die Ichselbstheit. Anatta, das Nicht-Ich, ist dieser Mangel, dieses Fehlen, es ist
Dämonen begegnen, noch mit derjenigen Lehre, die ,unter' der Heterogenität eine Leerstelle.
ein ,eigentliches Ich' supponiert. Die Aufkunft der analytischen Wahrheit, wie Lacan sie versteht, genau wie
Die sich mit dem Buddhismus auf Augenhöhe vermeinenden Kognitionswis- das Sichtbarwerden der Dharma-Welt, die gewissermaßen die Sphäre des
senschaftler, die den Begriff des Selbst loszuwerden trachten, da es statt ei- Nicht-Ich ist, stürzen dann das Ich und die Realität (die Objekte, die Gedan-
ken) zurück ins Phantasma, ins Reich des Samsara. Die kognitionswissen-
412 "Die Bedeutung der grundlegenden Begriffe wie atta (SkI.." atrnan) oder anatta (Skt.: a- schaftliche Zerlegung des Ich dagegen weiß nichts vom Dharma, wie auch
natman) festzustellen ist schwieng." (Shlmlzu, M.. Das ,Selbst' Im Mahayana- nichts von der symbolischen Ordnung und dem Gesetz der Kastration und
Buddhismus, S. 12f) - Für die Fälle, in denen im Pali anattan als Pradikat gebraucht Wird, das rührt letztlich daher, dass sie nicht vom Leiden ausgeht, wie das sowohl
wertet G. Herbert die Übersetzungen ,ist mcht das Ich' uno ,Ist mcht das Selbst' für nch-
tlg, die auch vorkommenden Wiedergaben durch ,1st ohne Selbst' und ,wesenlos' aber für in der Psychoanalyse als auch im Buddhismus der Fall ist. Nicht-Ich (anatta)
mcht haltbar. (Herbert, G.. Das Seelenproblem im älteren Buddhismus, S. 14f.) ist, paradoxal formuliert, das Selbstbewusstsein eines Fehlens oder die "per-
186 187

sonale Form einer impersonalen Leerheit" (Nishitani). Dem vorstellenden, vielmehr eben eine Theorie vom ,eigentlichen Ich', Das Zen wie auch Lacan
begrifflich operierenden Bewusstsein ist wegen der Untauglichkeit des Wis- kommen ohne Rekurs auf irgendeine Spielart von Substantialismus aus. We-
sens- und Verstehensreferenten, auch nicht desjenigen, der die Nicht-Ein- der die überwucherte Stadt aus dem buddhistischen Gleichnis noch das Es
heitlichkeit des Ich konzediert, dieses Nicht-Ich nicht zugänglich. NichHch der psychoanalytischen Theorie sind substantielle Dinge.
als Nicht-Sein von Ich ist im Wesentlichen Realisierung der Interdependenz Bei Lacan wird die Leerstelle (Nicht-Ich), die das Subjekt ist, als zu realisie-
allen lebendigen Wesens auf der Ebene des Dharma. rende markiert durch den Übergang vom mythischen Subjekt des Genießens
zum ,gebarrten' oder ,ausgestrichenen', zum leeren Subjekt des Begehrens.
Noch ein weiteres Missverständnis kann an dieser Stelle ausgeräumt werden: Das genau bezeichnet den Schnitt der symbolischen Kastration. Diesen Ü"
Genauso wenig wie das ES bei Freud/Lacan ein "Unbewußtes als archaische bergang zu schaffen, das eben ist die harte Initiation ins Begehren.
Funktion [ist], auf der Ebene des Seins anzusetzen [...], bevor es sich enthül-
len SOll,,413, ist Leerheit im Buddhismus etwas wie das ,Grauen der Leere',
von der die Existentialisten angegriffen sind. Nicht-Ich ist weder einer Leere 6.2 Weder Wahn noch Mythos
ausgeliefert, noch macht es sich eine Leere zu eigen, so wenig wie das Ich Die Natur im Buddhismus ist keine Mischform aus Realität, Wahn und My-
bei Freud, jedenfalls in der lacanschen Lesart, ein dämonisches, irrationales thos und sie ist auch nicht beseelt. Ein Unterschied zum Pantheismus oder
und instinkthaftes . ES zu domestizieren hat, weil es von ihm angegriffen auch Schintoismus ist gerade dies, dass die Natur nicht beseelt, vielmehr al"
wird. Einmal mehr ist darauf hinzuweisen, dass der Freud-Satz vom Ich, das les Leerheit ist. Der große Pan ist auch hier tot. Folglich zählen nicht kosmi-
werden soll, wo es war, nach Lacan "im Klang der Formeln der Vorsokrati- sche Symbole, vielmehr das Dharma oder die symbolische Ordnung. Der
ker,,414 gesprochen, nicht in diesem Sinne aufzufassen ist. Byung-Chul Han Mythos hat auch hier, wie es im Christentum durch das Zerreißen des Jerusa-
richtet sich in seiner "Philosophie des Zen-Buddhismus" gegen eine vulgär- lerner Tempelvorhangs im Moment des Todes Christi signalisiert wird, end-
freudianische Lesart des Zen, wenn er schreibt: gültig ausgespielt. Es gilt, radikal ohne Mythen zu leben. Darin eben bestand
"Kein dämonisches ES überflutet das Ich und die Welt.,,415 ja nach Freud/Lacan der Irrtum Jungs, der der Versuchung durch den Mythos
nicht widerstehen konnte. Seine Analyse stellte den Versuch seiner Wieder-
In genau dieselbe Richtung zielt Lacan, wenn er gegen archaisierende Lesar- einführung durch die Hintertür der Archetypen dar. Remythisierung im Sin-
ten des Unbewussten wie die Jungs polemisiert. Wenn Ich wird, wo es war, ne Jungs ist unmöglich, die Archetypen fallen auf die Seite der Illusion. Hier
geschieht also keine Öffnung eines Zugangs zum dunklen, amorphen Be- wäre Karl Jaspers ,Achsenzeitthheorie' am Platz, denn für das Christentum
reich eines Archaischen oder Instinktiven, vielmehr ist es die Realisierung wie für den Buddhismus gilt gleichermaßen, dass sich durch sie die Zerstö-
desjenigen, was im Ur-Buddhismus anatta heißt. Der Buddha der frühen rung der Welt der Götter und der Mythen vollendet. Götter und Mythen sind,
Gleichnisse behauptet auch nicht in irgendeinem archaisierenden Sinne wie der Wahn, in die Struktur des Subjekts zurückgenommen und gehören
- und die zenistische Lesart unterstreicht dies mit Nachdruck -, seine Lehre zum Phantasma als seine Ausstaffierung, als der Versuch der (unmöglichen)
vom Dharma sei wie die Wiederentdeckung eines von einem Urwald über- Verbindung von symbolischer Ordnung undjouissance. Auch die Philoso-
wucherten Weges zu einer vergessenen Stadt. Substantialistische Lesarten phie hat mit diesen Ankünften strictu sensu ausgespielt, wie wir schon weiter
sind an dieses und ähnliche Gleichnisse ja ebenfalls angeschlossen worden, oben anhand von Heideggers Reflexion über das ,Schließen der Werkstatt'
so als ginge es darum, das wahre Ich zu entdecken unter dem "überwucher- zu zeigen versuchten.
ten Weg" oder wenigstens die Geheimnisse des Es. Solche Lesarten ent- Jedoch sollten in dem Zusammenhang zwei Punkte nicht außer Acht gelas-
springen aus dem Widerwillen gegen die unverstandene ,furchtbare Theorie' sen werden: einmal der, dass das Subjekt der "Philosophie nach ihrem En-
vom Nicht-Ich und behaupten, der Buddha habe sie auch gar nicht gelehrt, de,,416 dennoch weiterhin ihrer und auch des Mythos, der kosmischen Sym-
bole, der Wahrheit als (narrativer) Fiktionsstruktur bedarf, auch wenn all
dies längst als ,Formen der Leerheit' erkannt ist. Eine Vemähung der nicht
413 Lacan, J.. Die vier Grundbegriffe der PsyChoanalyse, S. 132
414 Ebd., S. 50
415 Byung-Chul Han: PhilosophIe des Zen-Buddhismus, S. 79 416 So der Titel emes Buches von N. Bolz. (vgl.. Literaturliste)
188 189

abbildbaren und nicht konstativ prädizierbaren Leerheit mit einer begriffli- Widerspruch noch Zustimmung ist, jedoch ist diese epoche doch auch wieder
chen oder narrativen Fiktionsstruktur ist unverzichtbar, oder besser noch: die nur akzidenteller Natur. Das Desinteresse des Buddha an Schulstreitigkeiten
Vernähtheit dieser Leerheit mit Begriffen und Fiktionen ist immer, je schon, wie seine Zurückweisung von Fragen der philosophischen Spekulation421 hat
vorauszusetzen. Aber die Lehre des Buddha, an der nicht festzuhalten diese wenig gemein mit der stoischen epoche, da es in der Stoa doch stets ein be-
Lehre selbst auffordert (sie ist zum Hinübergehen da), fungiert dann, um ein drängtes Ich ist, das sich gegen die Ansprüche des anarchischen Triebwe-
häufig gebrauchtes Zen-Beispiel anzuführen, nur wie der Finger, der auf den sens, eines weltlichen imperium oder die Zumutungen des Kultes zur Wehr
Mond deutet. Jedoch darf sie keinesfalls mit dem Mond selbst verwechselt setzt und sich in ataraxia und apatheia übt, um loskommend sich zu erhal-
werden. 417 Wenn Lacan sagt, dass er spricht, ,,(w)eil es nämlich anderes ten.
sagt,,418, so deutet das genau auf diesen Zusammenhang. Und wenn die alten Auch Lacan rückt ja die Ziele der Psychoanalyse nicht in die Nähe der Aus-
Zen-Meister auf egal welche Einlassungen der Schüler stets nur mit dieser bildung einer etwaigen stoischen Haltung. Die Theorie vom rektifizierten
Art ,abschlägigem Bescheid' antworten, von welcher Diskurstechnik wir be- Begehren korrespondiert mit dem Theorem, dass das Begehren' ursprünglich
reits Beispiele nannten, so steht das in eben diesem Bezug. leer ist und sich auf keine Objekte bezieht. Es meint nicht Sammlung oder
Mythos und Philosophie sind also nie endgültig und restlos überwunden. Bezähmung der anarchischen elementarsten Triebe und ist auch nicht des-
Zwar tötet der Buchstabe und der Geist befreit, wie Augustinus schrieb, aber halb zu erstreben, weil dann Schicksalsschläge, Beleidigungen und Krän-
manchmal bedarf es des Buchstaben, um den Geist zu befreien. Ebenso be- kungen nicht mehr zählten. Das Analysezielliegt also nicht auf der Linie der
darf es manchmal des Mythos, um etwas klarzustellen. Auch durch ihn ver- stoischen ataraxia oder apatheia, das Ideal der Analyse
mögen wir zu erfahren, dass e~ der Geist ist, der befreit und nicht der Buch- ,,[...] ist nicht vollkommene Selbstbeherrschung, Absenz der Leiden-
stabe oder eine Geschichte. Es bedarf nur tagtäglich neuerlicher Anstrengun- schaft. Ihr Ziel ist die Fähigkeit des Subjekts, den analytischen Dis-
gen, nicht auf die eigenen Begriffe und Mythenbildungen gewissermaßen he- kurs mit sich selbst zu unterhalten, weder zu früh noch zu spät zu
reinzufallen, mithin den Finger nicht für den Mond zu nehmen. sprechen. Diese Fähigkeit ist es auch, die von einer Lehranalyse vi-
siert wird. ,,422
6.3 Weder Weisheitslehre noch positive Religion
Weder die Zen-Schulung, noch auch die lacansche Analyse suggerieren ir-
Die Ankunft ,des Buddhismus, schrieb Heinrich Zimmer, ist zwangsläufig, gendwelche normativen Ziele, etwa in der Ausbildung von Tugenden,
wo immer sie sich ereignet, die eines "großen Bruders,,419, Ohne sich von der gleichwohl ihre Etablierung als Nebenprodukt der Intervention selbstredend
Stelle zu bewegen, ist er stets, wie der Igel in dem bekannten Märchen, im- nicht anders als erwünscht sein kann. Lacan formulierte das so:
mer schon da. Dabei bedarf die Lehre von der Leerheit aller Dinge und auch
"Denn in Wahrheit kann man nicht sagen, wir würden je auf dem Feld
des Ich nicht einmal einer Verteidigung, wie die positiven Inhalte der bürger-
irgendwelcher Tugend intervenieren. Wir räumen Bahnen und Wege
lichen Grundrechte der Verteidigung bedürfen.
In Fragen, so wie sie die Spekulationsgegenstände der konkurrierenden
Schulen und Lehrsysteme bildeten, übte sich der Buddha bekanntlich in Ur- unendlich?" ,Ist die Welt sowohl endlich als unendlich?" ,Ist die Weit weder endlich
noch unendlich?', ,Sind Seele und Körper identisch?'. ,Sind Körper und Seeje unterschIed-
teilsenthaltung. 420 Es ist zwar charakteristisch für seine Lehre, dass sie weder
lich?', ,EXIstiert der Vollendete nach dem Tode?" ,Ob der Vollendete nach dem Tode so-
wohl existiert als auch mcht existiert?" ,Ob der Vollendete nach dem Tode weder eXIstiert
noch mcht eXistiert?" smd Fragen, die man beIseite jassen kann. [...] Aber aus welchem
417 Vgl.: z.B.. Zen-Worte vom Wolkenberg; MeIster Yunmen, S. 89 (Fußnote 2) Grund 1st diese Frage beIseIte zu jassen? Weil es ftlr ihre Erklärung keme Ursache, keme
418 Lacan,J.: S XI, Die vier Grundbegriffe..., S. 297 (NaChwort) Begründung gibt. [...] Nicht gibt es ftlr die erhabenen Buddhas ohne Grund, ohne Ursache
419 Vgi.: Zimmer, H.. Yoga und BuddhIsmus, S. 257ff. - Allem die Lehre des Tatagata (des em Erheben der StIlnme." (Gautama Buddha, Die vier edlen Wahrheiten, IV, 2, 4f., S. 385)
So-Kommenden und So-Gehenden) Uber die wahre BeschaffenheIt des Ich mache den 421 WobeI diese Zurückweisung oft die Gestalt emer Widerlegung hat und mcht ohne ausfuhr-
BuddhIsmus, bemerkt der bedeutende Indologe des ersten Dnttels des 20. Jahrhunderts, liche und genaue Darlegung des ZurückgeWIesenen ausKommt.
zum "großen Bruder der PsychologIe", 422 Lacan. 1.. S I, Freuds techniSChe Schriften, S. 10 - MöglicherweIse ließe sich zeigen, WIe
420 "Was 1st eme Frage, die man beIseite lassen Kann? ,Ist die Welt eWIg?' 1st eme Frage, die die römische Stoa m der Antike den Platz eInnahm, den heute die amerikanische Ego-
man beIseite jassen kann. ,Ist die Welt nicht ewig?" ,Ist die Welt endlich?" ,Ist die Welt PsychologIe emmmmt.
190 191

frei, und da eben hoffen wir, daß das, was Tugend heißt, blühen Gegenteil von der These aus, daß das Subjekt durch die fragliche Fi-
wird.,,423 gur [hier eine Variante der borromäischen Knotens, J.A.] festgelegt
wird. Nicht, daß es deren Doppel wäre. Sondern durch die Verzurrun-
Bahnen und Wege freiräumen... - Tatsächlich lehren die zen-buddhistischen gen des Knotens, [...] durch das Festziehen des Knotens bedingt/kon-
Meister nichts als Satori und Nirwana und das heißt: dass alle Dinge leer ditioniert sich das Subjekt. ,,425
sind; keine praktische Lebensklugheit, nicht etwas wie Stoizismus, weder
Zügelung der Triebe noch die Entbindung unterdrückter vitaler Kräfte und Dem Willen, bis in die Grammatik hinein diesem Faktum des "Entstehens in
auch keine philosophische Erkenntnis der Weltzusammenhänge. Ganz von Abhängigkeit" nachzuspüren, ist es geschuldet, dass die Seminare des späten
selbst wird dann auch hier das sich einstellen, "was Tugend heißt", Lacan sich kaum lesen lassen, so erratisch und exzentrisch sie sich gegen-
über dem kurrenten wissenschaftlichen Diskurs verhalten. Lacan monstriert
eben den analytischen Diskurs. Die SignifIkantentheorie und mehr noch die
6.4 Entstehung in Abhängigkeit versus Descartes Theorie der Knoten monstrieren die Nicht-Substanzhaftigkeit des Subjekts
Der buddhistische Gelehrte Shimizu schreibt: und seines Entstandenseins in Abhängigkeit und das klingt zuweilen monst-
rös. 426
"Es ist nicht so, daß Ich und Du von vornherein als substantielle Per-
sonen vorhanden sind und dadurch gegenseitige Beziehungen entste- Gleichwohl, wie in buddhistischer Theorie treten bei Lacanjedes Ich und je-
hen können, sondern die Beziehung erst läßt Ich und Du als solche des Du nur in Erscheinung, indem sie bedingt werden durch anderes, aber
entstehen.,,424 gerade nicht in Form eines Subjekt-Objekt-Dualismus, denn das Subjekt
selbst ist Bedingtes durch anderes. (Ein SignifIkat ist, was einem anderen
Lacans topologische Bemühungen dienen nicht anders als die buddhistischen SignifIkanten das Subjekt repräsentiert.) Shimizu setzt die Anatta-Lehre (die
Klärungsversuche zur "Zeigung", "Monstration" eines "Entstehens in Ab- Lehre vom Nicht-Ich) vom Cartesianismus ab:
hängigkeit", Die "Verzurrungen des Knotens" generieren das Subjekt erst, es "Diese Bewußtseinsform ist völlig andersartig als die des cartesia-
ist nicht so, dass ein Subjekt da wäre, das Zustände annähme. Ein Subjekt nisch denkenden Menschen, der bei allem von sich selbst als Mittel-
hat folglich keine Seelenzustände, vielmehr legt das Spiel der SignifIkanten punkt ausgehen muß. ,,427
das Subjekt erst fest. Verhielte es sich umgekehrt, hieße das, das metonymi-
sche Verhältnis von Seinsverfehlen, Begehren und Ich umzukehren. Aber Bei Descartes vergewissert sich der Mensch der Substantialität des unsiche-
das Begehren ist die Metonymie eines Mangels und das Ich die Metonymie ren und instabilen Status des Ich und der dahinschwindenden Dinge durch
des Begehrens. Die Reihe umzukehren hieße: Ein Ich weicht durch ein Be- Denken. Er vergewissert sich des gesunden Menschenverstandes (versus den
gehren von sich selbst ab und im Misslingen des Begehrens, dem Verfehlen deus malignus), der nach Sicherheit und Selbstgewissheit verlangt, durch den
des Objekts, stellt sich der Mangel ein. Das wäre die substantialistische Auf- philosophisch-spekulativen Initialakt des "Ich denke", Im Buddhismus geht
fassung, der die Ego-Psychologie anhängt, weshalb sie auch auf Ich-Stär- es genau umgekehrt darum, die Verkennungen des gewöhnlichen Bewusst-
kung setzt, um dem als substanzhaft hypostasierten Ich das Erreichen des seins bloßzulegen und nicht noch philosophisch zu perpetuieren. Das ge-
Objekts zu ermöglichen. Dem Faktum des Entstandenseins in Abhängigkeit wöhnliche Bewusstsein ist die Instanz der Verkennung und nicht mit ihr be-
aber selbst des sub-jeetum will Lacan bis in die Grammatik hinein Rechnung ginnt der Buddhismus, vielmehr
tragen.
"Den Knoten darzustellen ist nicht leicht. Ich sage nicht, ihn steh vor-
zustellen, weil ich das Subjekt vollständig eliminiere. Ich gehe im
425 Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 49
426 Diese monströse SpraChe ennnert teilweise tatsächlich an die des Adnan Leverkühn In
Thomas Manns "Doktor Faustus" Dies zeigt, wohIn es fuhren kann, wenn eIner nicht nur
423 Lacan, J.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 17 etwas demonstrieren will, sondern eben monstrleren, unmittelbar Zeugnis ablegen.
424 Shimizu, M.: Das ,Selbst' Im Mahayana-Buddhismus..., S. 22 427 Shimizu, M.. Das ,Selbst' Im Mahayana-Buddhismus..., S. 22
192 193

,,[...] mit der bereits existierenden dynamischen Welt, die in unendli- verwandelt sich die konstitutive Ausgesetztheit in die Alienation im anderen,
chen Relationen entsteht,,428. ohne sie zu eliminieren, in Mitsein. Buddha-Dharma und Daseinsvollzug
stehen sich nicht weiter sich gegenseitig ausschließend gegenüber, sobald die
Im "Bussho", dem 22. Kapitel des Shöbögenzö, gibt Dögen, gewissermaßen Ruhe des Buddha-Dharma nicht mehr vom ex-zentrischen Ego gestört
versus Descartes avant la lettre, eine Deutung der buddhistischen Anatta- 432
wird.
Lehre: Unsere wahre Schuld und der Schuldkomplex, der von der Unmöglichkeit
"Wer die Buddha-Natur erkennen will, soll zuerst das Festhalten an herrührt, alle Bewegungen der Differenz auf ein vermeintlich vom Grund her
seinem ,ga' und ,man' aufgeben."429 existierendes Ich aufzuladen, sind etwas völlig verschiedenes. Nishitani
schreibt:
Shimizu erklärt folgendermaßen: "Ferner sagen wir, dass nur dann, wenn die für unser Dasein wesen-
"Unter dem ga wird hier etwas verstanden, von dem man irrtümli- hafte Form am Standort der Leere aufgehoben ist, unsere wahre
cherweise annimmt, daß es im Zentrum des Selbst vorhanden sei, und Schuld zutage tritt."433
unter man etwas, das aufrund des ga gegenüber anderen Menschen
als Hochmut erscheint.,,43 Erinnert das nicht an Lacans Ödipus auf Kolonos, der erst das volle Maß sei-
ner Schuld erkennt, nachdem er sich der Kastration ausgesetzt hatte, indem
Dögen geht es stets darum, die Illusion einer ursprünglichen IchSelbstheit als er sich selbst des Augenlichts beraubte und so die "für sein Dasein wesen-
eines Seins unter allem Seienden zu zerstören, damit die ständigem Wandel hafte Form am Standort der Leere" erkennt? In diesem Sinne spricht Lacan
unterworfene ,denkende Substanz', derart entblößt vom Eigendünkel- was von einem "Universum der Schuld,,434, das nur von der Leere aus sichtbar
nicht heißt, wie Hegel es versteht, dass ein Eigenes (als Selbstbewusstsein) wird. Anders gesagt: Dieses "Universum der Schuld", der "Schuldzusam-
von Dünkel frei sein sollte, sondern dass das Eigene selbst ein Dünkel ist- menhang alles Lebendigen", wie Fichte sich einmal ausdrückte, wird erst
zur Wahrnahme ihres ,ursRrünglichen Wesens' gelangt, das "weder Ich noch von der Welt des Dharma aus sichtbar. Doch es sind nicht zwei Welten, von
ein anderer Mensch" ist. 4 1 Das ,ursprüngliche Wesen' ist Leerheit. Die In- denen hier die Rede ist. Das Dharma ist, wie Dögen und andere schreiben,
terdependenz aller Dinge und die Präsupponierung eines substanzhaften Ich "wunderbar", "unübertrefflich", "mit nichts zu vergleichen", aber es ist nicht
sind unvereinbar. so, dass es jenseits der Schuld wäre. Aber dass es diesseits der Schuld ist,
dass es ,hier und jetzt' ist, ändert nichts daran, dass es unbeschreiblich
Der Buddhismus ist gerade kein Nihilismus. Sein Wesen erschöpft sich nicht "wunderbar" ist. Es ist zu spüren, wie der Schuldbegriff hier ein anderer ist
im Verneinen. Wenn das Rad zerlegt ist, bleiben zwar nur einzelne Holz- als der christliche. Die Sphäre des Dharma ist im übrigen auch nicht jenseits
stückehen, aber es gibt das Dharma. Im Dharma, das üblicherweise mit den des Schmerzes, wovon weiter unten noch ausführlich die Rede sein wird.
drei Begriffen Dasein, Lehre und Gesetz übersetzt wird, als gleichsam der Das Dharma ist einfach,ultimative Wirklichkeit'.
Sphäre des formlosen Selbst oder des Nicht-Ich, wird, wie geschrieben wur-
de, in Ausübung der Lehre der Daseinsvollzug selbst zur Gesetzeshandlung.
Das Gesetz ist Leerheit, Vergänglichkeit und Nicht-Substanz. Im Dharma
432 Der Begriff des Dharma kann, wie schon hervorgIng, gut mit der symbolischen Ordnung
bei Lacan vergleichen werden. Der Mensch bel Lacan Ist deshalb konstitutiv unangepasst,
dissoziiert, weil die symbolische Ordnung eXistiert, zu der er SICh ex-zentrisch verhält. Die
428 Ebd. EXistenz der symbolischen Ordnung macht die menschliche Unangepasstheit konstitutiv.
429 Zit. n. Shimizu, M.. Das ,Selbst' Im Mahayana·Buddhismus.... S. 56 Jedoch ISt sie die einzig mögliche Onentierung. Sich am Dharma zu onentieren und nicht
430 Ebd. am Ego-Willen meInt genau dies. Je größer die Preisgabe des Ego-Willens, desto mehr
431 Die Sphare von weder Ich noch du kommt m folgendem Zen-Gedicht von Gasan Joseki kann das Dasem Im Sinne der Interdependenz alles erscheInenden Wesen, als Mitsem rea·
zum Ausdruck: "Der bewußte Sinn dieses Phantom-Menschen / Ist mir allerorts höchst lisiert werden.
vertraut / Seit jeher geheimnishaft wunderbar / Weder Ich noch em anderer Mensch." (zIt. 433 Nishltanl, K.. Was ISt ReligIOn?, S. 388
n.. Nishitani, K.. Was ist Religion?, S. 178) 434 Lacan, J.. S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 8
194 195

In ihm ist der Maßstab ftir das Handeln und alle Erwägungen weder der ei- zweierlei: zum einen den unfruchtbaren Diskurs, den das Subjekt mit sich
gene Nutzen noch der der anderen. Deshalb heißt, den Daseinsvollzug zur selbst unterhält, zu unterbrechen. Zum anderen sind sie immer ein Fingerzeig
Gesetzeshandlung zu machen keineswegs, den Egoismus schlicht gegen ei- auf das Dharma hin. Solche Statements ftir sich selbst zu betrachten, als ent-
nen Altruismus einzutauschen. Der Altruismus ist letztlich egoistischer Na- hielten sie irgendeine ,letzte Wahrheit', macht nicht den geringsten Sinn.
tur, ein egoistischer Altruismus. Nutzen, Funktionalität, ebenso wie Interesse Nur auf dem Nährboden der "Drei Kostbarkeiten" (Buddha, Dharma, Sang-
und Wille, egal in welche Richtung sie orientiert sind, gehören der Welt des ha) erweisen sie ihre Nützlichkeit. Sie isoliert zu betrachten, ist etwa so un-
Ego an. Das Dharma eröffnet einen ganz anderen Spielraum. Das Gewahr- ergiebig wie, ohne· in die lacansche Lehre eingefiihrt zu sein, darüber nach-
werden des Fehlens eines SignifIkanten, der unsere Existenz von einem zudenken, was Lacan meint, wenn er lehrt, dass das Reale das Unmögliche
Groß A her verbürgt und uns sagt, ,wer wir sind' und die Anerkennung der ist.
Ausgesetztheit in die Alienation im anderen sind Wegleiter in diese Welt.
In der WeltlRealität ist deshalb kein Dharma, weil Welt und Realität nichts
anderes sind als die Verstrickung des Subjekts in sein Phantasma, das Reich
6.5 Zazen 1
des Samsara. Im Dharma ist deshalb keine Welt/Realität, weil in ihm kein
Es gibt einen Punkt, von dem aus es kein Denken ist, das sich auf phantasmatische Objekte bezieht und so erst Welt
Zurück gibt. Dieser Punkt ist zu erreichen. und Realität hervorbringt, die dann folgerichtig in strenger Äquivalenz zum
(Kafka) Denken stehen, dem Denken im Phantasma freilich. Dennoch ist es richtig zu
sagen, dass das Dharma in dieser Welt ist, genauso wie es richtig ist zu sa-
Obwohl das ohne Berufung auf die Autorität des Schriftbuchstaben aus- gen, dass der Buddhismus den Austritt aus dem Kreislauf der Wiedergebur-
kommende Zen in seinen chinesischen Anfangen ausgerechnet bei den Ge- ten lehrt. Das sind sehr tiefsinnige und subtile Dinge, die nicht einfach durch
bildeten innerhalb der höheren Stände rasche Verbreitung fand, ist vom ho- die Konstatierung eines Widerspruchs aus den Angeln zu heben sind. Die
hen Ton,· der locutio emphatica, dem repetitiven Sakral-Stil der alten Pali- Regeln der ,weltlichen' Ordnung mit ihrer Logik zählen in der Dit-mension
Sutras in den Zen-Dialogen nichts mehr übrig geblieben. 435 Urs App des wahr nicht. Dennoch ist es genauso richtig zu sagen, dass im Dharma das
schreibt: "Gesetz von Ursache und Wirkung" nicht außer Kraft ist. 437 Lacans ethische
"Statt hehrer Worte und Begriffsspalterei vom Lehrstuhl hagelt es Forderung des "bon dire" (zu sprechen und zu schweigen an den richtigen
plötzlich Vulgaritäten, Schreie, Schläge. Der salbungsvolle Predigtstil Stellen) erhebt mutatis mutandis auch das Zen, wobei es nicht darum geht,
weicht einer deftigen, umgangssprachlichen Ausdrucksweise.,,436 wenig durchdrungene Angelegenheiten durch ein "Gut-Sagen" zu nobilitie-
ren. Das "Gut-Sagen" setzt vielmehr ein Wissen darum voraus, dass der Dis-
Die Dharma-Rede der Zen-Meister soll einerseits eine Abkoppelung vom kurs der des anderen ist und es keine Metasprache gibt. Das buddhistische
gewohnten Denken, Meinen und Vorstellen bewirken, andererseits der Sagen ,sagt' weder auf dem Hintergrund der Dit-mension von Welt (Le-
Wahrnehmung einer höchsten Möglichkeit von Realisierung des Daseins den bensklugheit) noch der von Denken (Philosophie).
Weg bereiten. Dabei ist die Wirkung solcher Rede umso nachhaltiger, je we- Diejenigen, die Zazen praktizieren, erfahren die Kluft, die zwischen der Welt
niger Referentialität zu irgendeinem äußeren Objekt besteht. Die überliefer- der Gegenstände und den Gegenständen der Gedanken liegt, unmittelbar. Es
ten ,unsinnigen' Statements der Zen-Meister und die Koan bezwecken also gibt kein Kontinuum zwischen den Vorstellungsreihen im Bewusstsein und
der Welt der Dinge. Selbst wenn, wie beim Zazen, die Wahrnehmungsein-
drücke auf ein absolutes Minimum reduziert sind, laufen die Repräsentad-
onsketten weiter.
435 Das Charaktenstische des Zen WInI häufig m den vier kurzen Aussagen zusammengefaßt:
,,1. (Eine) besondere überlieferung außerhalb der (orthOdoxen) Lehre [...], 2. Unabhängig
von (heiligen) SChriften [...] 3. Unmittelbare(s) Deuten (auf des) Menschen Herz [...] (filh-
ren zur) 4. Schau des (eigenen) Wesens (und zur) Buddha-Werdung [...]" (Diener, M. S.:
Das Lexikon des Zen, S. 243)
436 In: App, U. (Hrg. und Übersetzer): Zen-Worte vom Wolkenberg; Meister Yunmen, S. 18 437 Vgi. hierzu das Koan Nr. 2: Mumonkan, Die torlose SChranke, S. 35f.
196 197

Denn Worte ,nisten' (ex_tim438) am Körper und diese Worte fmden andere Das institutionalisierte, japanische Zen sei teilweise, schreibt Arokiasamy, zu
Worte oder insistieren hartnäckig - völlig unsinnige Worte (Signifikanten- einer "nahezu sadistischen Hlirte,,440 entartet. Freilich erfordert es auch ab-
müll) oder scheinbar irgendwie bedeutsame. Der Mensch wird vom Signifi- seits von solchen Degenerationserscheinungen ein gewisses Maß an Hinga-
kanten bewohnt39 , was nicht heißt, dass die Sprache das Haus des Seins ist, be. 441 Nur das Durch-den-Schmerz-Hindurchgehen evoziert die große Be-
wie bei Heidegger. Es darf wohl gesagt werden, dass der lacansche freiung zur Leerheit aller Dinge. der höchsten und niedrigsten, der heiligsten
"Mensch" hauslos ist, wie der buddhistische. Eine Orientierung hat er zwar und der profansten und vor allem des Ich.
am Lauf der Signifikanten und der symbolischen Ordnung, aber das bedeutet Die Haltung des Zazen öffnet das Tor zum Nirwana, zum Satori und ist
nichts wie ,eine Unterkunft haben'. gleichzeitig dieses Nirwana und Satori schon selbst. Pathos und Heroismus
Die Aufforderung zu schweigen hält die Zazen-Übenden an, das auftauchen- aber werden absolut überstiegen. Diese Haltung entspricht weder dem einem
de (Signifikanten)Material, ähnlich wie bei der "freien Assoziation" in der starken Ich verhaftet bleibenden stoischen Gleichmut, intendiert nicht eine
Psychoanalyse, weder zurückzuweisen, noch an ihm zu haften, vielmehr ge- "Harmonie der Triebe" und auch nicht ein amorphes und wegen seiner Un-
hen zu lassen und nicht zusätzlich noch zu unterhalten. Das Gehengelassene, bekanntheit irgendwie gefiihrlich scheinendes Es unter Kontrolle zu bringen.
so heißt es, gibt Ruhe, nur das Geflohene kehrt stets wieder. Was man aber Kein Es ist durch ein Ich zu domestizieren (nach Art der falschen Lesart des
festhalten will, das entflieht. Durch die nicht nachlassende Konzentration auf Freud-Satzes), kein rastloses Triebwesen ist in Form zu bringen. Die Haltung
die korrekte Haltung (aufrecht, unbeweglich) und die Atmung (natürlich, die des Zazen intendiert im Grunde gar nichts, denn sie ist bereits ,letztendliehe
Ausatmung ist länger als die Einatmung) gelingt dieses Gehenlassen zuneh- Wirklichkeit'. Nach Soto-Auffassung fiihrt sie nicht zum Satori, weil sie die-
mend besser. Im Rinzai-Zen kommt als die Konzentration fokussierendes ses selbst schon ist. Sie ermöglicht nur den Eintritt in einen leeren Raum, in
Element noch die Beschäftigung mit dem Koan hinzu. dem es "nichts zu stehlen gibt": Die Haltung des Zazen ist die wundersame
Das Tun von Zazen übt auch ein, die Beziehung von Ding und Wort nicht als große Befreiung vom Ich und seinen Objekten, das Hingelangen und Schon-
natürlichen Konnex aufzufassen. Es besteht keine Verbindung des Wortes zu Angelangt-Sein beim Leben selbst.
442
einem transzendentalen Signifikat, das eine geheime, aber verlässliche Be- Ein Sesshin dient weniger dazu, die Erleuchtung zu erlangen, vielmehr ist
ziehung zum Signifikanten unterhielte. Das "Drängen des Buchstaben im es die Verwirklichung der ursprünglichen Erleuchtung. Wenn das Zazen
Unbewussten" geht von keinem Groß A aus, dessen Text wir, wenn wir nur selbst das Satori schon ist, muss, was es bewirkt, strikt als ,Nebenwirkung'
aufmerksam genug wären, nur gleichsam mhzulesen bräuchten und in dessen betrachtet werden. Die Erlernung der Haltung des Buddha ist so nur neben-
Spur wir uns dann sicher bewegen könnten. Die Übung hilft nicht dazu, die bei auch jene "Ausrichtung auf eine gerade Linie" (6p9-6~ A.öyo~), gewisserma-
Beziehung von Ding und Wort in ein ,richtiges' Verhältnis zu setzen, son- ßen das, was Lacan für die Kunst des Barock behauptet, nämlich die "Regu-
dern den Diskurs als den des anderen zu realisieren und das heißt, das Da- lierung der Seele durch die Körperschau". Vor allem aber evoziert sie eine
sein als Mitsein aktiv zu gestalten. Lösung aus den "psycho-sozialen Vertäuungen" und knüpft das intersubjek-
tive Band als dharmisches neu. Von der Wirkung her betrachtet ist sie jedoch
6.6 Zazen2
440 Arokmsarny, A.M.. Warum Bodhidharma m den Westen, S. 68
Zazen tun ist wie das Schauen in einen lee- 441 "Es klingt sehr einfach, sich nur auf das Sitzen zu konzentrieren, es Ist daran nIchts Beson-
ren Eimer. (Ein Zen-Schüler) deres oder Extravagantes. Aber wenn man es versucht, bemerkt man, daß es sehr schWierig
1St. Am Anfang weiß man gar nIcht, wie man SICh konzentneren soll und nach filnf Minu-
ten Willensanstrengung ISt man müde. Man weiß dann eigentlich überhaupt nichts, ISt völ-
lig entwaffnet, man weiß gar nicht, was man tun soll m dieser unbequemen Haltung. -
Darm beginnt man, es Millimeter fur Millimeter zu erforschen. Es gibt em paar Regeln,
Anweisungen, em paar Ratschläge, aber das ändert nIchts daran, daß man es selbst erfor-
schen muß [...]" (Tenbreul, Heft XIII, S. 14) Eine Zazenperiode dauert gewöhnlich zwi-
438 Diese Wortbildung Lacans bezeichnet den Gegensatz zu tntim und kennzeichnet das Mo- schen 25 und 40 Minuten, danach gibt es für fünf bis zehn Minuten kinhtn (Gehen) und es
ment der Unabhängigkeit, fur das Subjekt m gewissem Sinne Fremde der Welt der Worte. folgt die zweite Penode.
439 Vgl.. Lacan, 1.. Schr. I, S. 35 442 D.l. eme mehrtägige intenSive Übungsperiode.
198 199

genau wie Lacans Analyse eher als Katharsis, als eine "Reinigung des Be- Das Zazen versammelt das disparat Auseinanderfallende und transformiert
gehrens,,443, denn als Therapie aufzufassen. es in Leerheit. Die Haltung des Buddha ist so der Durchgang zur Leerheit
Die Betrachtung des Stoffes, aus dem das Phantasma ist (also der, von die- und gleichzeitig diese Leerheit schon selbst.
sem ununterschiedenen, Realität, denn "alles was uns anzugehen erlaubt als Zazen zu üben ist, wie Deshimaru Roshi sagt, "wie in seinen Sarg zu stei-
Realität, bleibt im Phantasma verwurzelt"), bringt eine Transformation auf gen,,447, vergleichbar also jener oben erwähnten Ö't'll, deren Theorie Lacan im
den Weg, die nicht mehr als Wirkung zu betrachten ist. Diese Betrachtung Ethik-Seminar entwickelt, jenes Raumes "zwischen zwei Toden", von dem
erfordert Geduld und zwar Geduld mit sich selbst, denn, wie Dögen sagte, niemand weiß, was in ihm wirklich geschieht. 448 In diesem Raum schwinden
den Buddhaweg zu erfoschen heißt, sich selbst zu erforschen. Zen-Meister die Illusionen, wie im ,durchdringenden Sitzen' die Illusionen schwinden.
Arokiasamy schreibt: Aufgetaucht aus diesem Grab wird die Leerheit aller Dinge und auch des Ich
"Geduld zu haben, heißt zu leiden, sich selbst zu erleiden.,,444 gewahr und Dasein kann sich als Mitsein realisieren. Aber ohne dieses Sich-
dem-Grab-Aussetzen kann diese höchste Realisierung des Daseins nicht
Doch im geduldigen Betrachten der Illusionen, welcher Vorgang bei Lacan verwirklicht werden.
die "Durchquerung des Phantasmas" heißt, wird aus einer aus heterogensten Es ist der Schmerz, der wesentlich dazu beiträgt, die imaginären Posten der
Antrieben gesteuerten Person eine, die sich vornimmt. Über jedes Objekt Persönlichkeit in Leerheit zu verwandeln und einem Eintritt in die Dharma-
hinaus (sich) zu begehren heißt, sich vor-zu-nehmen, vornehm zu sein. Die Welt den Weg zu ebnen. Zen ist, nach Arokiasamy,
Haltung des Zazen, des Buddha, ist, fernab von jedem Dünkel, die vornehme "Selbstverlust, Sterben, Verwandlung. (Zen) ist plötzlich und subver-
:tIaltung schlechthin. Aus vulgären Personen (vulgus = gemischt, durch- siv, es ist das Zerbrechen der Struktur, von Kontinuität und Wohlbe-
kreuzt) können so solche werden, die sich vornehmen, die sich nicht identifi- finden. Das Herz des Zen ist dieses Zerbrechen [...] Sterben und Sich-
zieren und so nicht von den Schlägen der Signifikanten hin- und hergewor- selbst-hingeben. Gesetz, Institution, Selbst-Identität werden [...] weg-
fen werden, ohne irgendeine Ruhe zu finden. Der vornehme Mensch weiß genommen oder versagen.,,449
von seiner Kreatürlichkeit und von der Kontingenz, während der ,natürliche
Mensch' sich daruberstehend wähnt. Dögen hat das folgendermaßen formu- Zazen zu tun heißt nicht, sich in die Untiefen des Imaginären zu versenken,
liert: sich leidlich in ihm einzurichten, um einen besseren Stand in der Welt zu ha-
ben. Es ist vielmehr ein Hinausgehen über die Grenzen dieser Welt. Aber die
"Wenn der Dharma den Körper und Geist noch nicht ausfüllt, glauben
Übung des Zazen zerstört auch nicht das Imaginäre, sondern bringt nur die
wir dass es schon genüge. Wenn der Körper und Geist ~anz vom
Verwindung des Haftens an ihm auf den Weg. Das ,Darüberhinausgehen' als
Dharma erfüllt sind, empfmden wir, dass noch etwas fehle." 45
leere Form eines Gesetzes, dem es zu folgen gilt, ist ein anderer Ausdruck
Das Nicht-Haften auch an der menschlichen Form bewirkt, dass schließlich für das Nicht-Haften.
eine Art Eintritt in die Welt des Buddha geschehen kann. "Körper und Geist
fallen ab", wie es bei Dögen heißt. Hier versagt auch die Sprache.
"Die Körper aller Buddhas sind golden, bedeckt mit hundert Freuden
und wundervoll geschmückt.,,446

447 "Wenn Sie Zazen üben, gehen Sie zu Grabe. Aufhören Zazen zu üben heißt: das Satori be-
enden. [...] <las vollständige Satori ist in unserem Grab. Der Körper selbst Ist Illusion von
<lern Moment an, wo man ihn in die EWe legt. Es gibt lllchts zu fürchten. Wenn Wlf das
443 Lacan, 1.. S VII, Die Ethik <ler Psychoanalyse, S. 385 verstehen, erlangt unser Leben neue Kraft, und alles Wlf<l friedlich und frei um uns herum.
444 Aroklasamy, A.M.. Warum Bodhidharma in den Westen..., S. 56 Das Ist <ler Sinn <les Saton." (Deshimaru, T.. Zazen, Die Praxis des Zen, S. 91)
445 Dögen, E.: Shöbögenzö, Die Schatzkammer <les wahren Dharma-Auges, Band I, Heidel- 448 "Von einem bestimmten Augenblick an wissen wir [...] nicht mehr, was Im Grab Antlgo-
berg-Leimen, 2003, S. 59 nes geschieht." (Lacan, J.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 356)
446 Dögen, E.: Shöbögenzö, Bd. 2, S. 160 449 Aroklasamy, A.M.. Warum Bodhidharma in den Westen..., S. 76
200 201

6.7 Das Bodhidharma-Koan Der Zen-Meister antwortete: ,Es gibt keinen Geist, der in Haltung zu
bringen wäre, noch irgendeine Wahrheit, in der man sich üben könn-
"Die Person oder das Selbst kann nicht te.'
durch Begriffe oder Bilder eingefangen ,Wenn es keinen Geist gibt, der zu erziehen, noch eine Wahrheit, die
werden. - Es ist nicht eins, es ist nicht zwei, zu üben wäre, warum hast du dann täglich eine Versammlung von
es ist nicht nicht-dual; es ist nicht gleich, es Mönchen um dich, die Zen studieren und sich in der Wahrheit üben?'
ist nicht unterschiedlich, weder das Glei-
che-in-Verschiedenheit noch Verschieden- Der Meister antwortete: ,Ich habe nicht einen Zoll Raum zu vergeben,
heit-in Gleichheit. " (Arokiasamy) wo sollte ich eine Versammlung von Mönchen unterbringen? Ich ha-
be keine Zunge, wie wäre es mir möglich, andere zu veranlassen, zu
Koan müssen gelöst werden. Es geht nicht um Verstehen. Verstehen ist al- mir zu kommen?'
lenfalls ein Nebenresultat besagten Lösens. Zur Lösung fUhrt kein Weg über Der Philosoph rief aus: ,Wie kannst du mir eine solche Lüge ins Ge-
das Wissen. Es besteht keinerlei Referentialität irgendeiner Wissensform sicht sagen?'
zum Lösen eines Koan, so wenig wie eine Verbindung besteht zwischen dem ,Wenn ich keine Zunge habe, um andere zu unterweisen, wie wäre es
Wissen und dem Leiden am Dasein, dem Schmerz des Existterens selbst. Es mir möglich, eine Lüge auszusprechen?'
geht im Folgenden um das, was annäherungsweise die ,religiöse Grundope- Worauf Doko verzweifelt ausrief: ,Ich kann eurer Rede nicht folgen.'
ration' genannt werden könnte und diese ist, so wenig wie die ,mystische Er-
faht:ung', ungeachtet der strittigen Frage, ob denn das Zen überhaupt unter ,Ich verstehe mich selbst ebensowenig', schloß der Zen-Meister.,,451
das, was man Mystik nennt, subsumiert werden sollte, nicht mit den Instru-
mentarien der kurrenten Wissenschaften zu erfassen, nicht in die Wissen- Nach Lacan ergibt sich im Kontext der Zurückweisung der hermeneutischen
schaft zurückholbar, Methode für die Praxis der Psychoanalyse betreffs der Position des Analyti-
kers folgendes:
"Ganz offensichtlich können wir f. ..] die mystische Erfahrung nicht in
die Wissenschaft zurückholen. ,,450 ,,[...]Der Analytiker muß gewisse Sachen wissen. Er muß besonders
wissen, daß das Kriterium seiner Position nicht darin besteht, zu ver-
Auch die ,angewandte Hermeneutik', eine Hermeneutik der Existenz, er- stehen oder nicht zu verstehen.
möglicht in Koan-Dingen letztlich immer nur, sich in Illusionen besser aus- Es ist absolut nicht wesentlich, daß er versteht. Bis zu einem gewissen
zukennen/einzurichten. Demgegenüber sagt Lacan, dass es nicht darum gehe, Punkt ist es vielleicht besser nicht zu verstehen als ein zu großes Ver-
trauen in das Verstehen zu haben. Mit anderen Worten,er muß das,
sich mit Illusionen auskennen, nicht einmal im Realen/mit dem Realen,
was er versteht, ständig in Zweifel ziehen und sich sagen, daß das,
vielmehr selbiges darzutun - etwas darzutun, das vorher nicht dargetan war.
was er zu erreichen sucht, gerade das ist, was er prinzipiell nicht ver-
Koan tun etwas dar, sie geben es nicht zu verstehen, denn man kann es nicht steht. ,,452
verstehen. Das folgende Zwiegespräch aus der Überlieferung des Zen führt
schlagend vor, wie weder Wissen noch Verstehen nützen, die "große Sache, R. Borens trägt den im Zen und bei Lacan diskreditierten Verstehensan-
d.i. Leben und Tod" (Dögen) zu klären. Die Unterredenden sind Doko (Ta- spruch in die Koordinaten von Frustration und Privation ein:
okwang), ein buddhistischer Philosoph und Anhänger der Lehren des Vijnap-
timatra ("absoluter Idealismus") und ein (ungenannt bleibender) Zen- "Verstehen, der Anspruch der Hermeneutik, ist eine Maßnahme, eine
Meister: Finte der Frustration, gegen die Faktizität der Privation. Das Aushal-
ten des Nicht-Wissens und das Respektieren des Sinn-losen bedeuten,
"Mit welcher geistigen Haltung sollte einer sich in der Wahrheit ü-
ben?"
451 Zit. n. Suzuld, T.S.. Die große BefreIUng, S. 77
452 Lacan,J.. S VIII, Le Transfert, S. 229 (ZIt. n.. Borens, R.. Widerstände der Psychoanalyse,
450 Lacan, 1.: S XI, Die vier Grundbegriffe der Psychoanaiyse, S. 15 S.22)
202 203

sich der Privation nicht entziehen zu wollen. Praxis aus diesem Ver- "Indem sie [die PA; lA.] auf deren Unzulfulglichkeit [von Wissen
stfuldnis heraus ist eine Praxis des Nicht-Verstehens.,,453 und Verstehen; J.A.] hinwies, menschliches Leiden zu erklären und
zu beheben, legte sie zugleich die Überheblichkeit des Wissensan-
Genausowenig also wie die Matheme und Knoten der lacanschen Analyse spruchs (dieses Wissens, das sich als Referenz schlechthin präsen-
sind die Koan Teil einer hermeneutischen Strategie. In jedweder hermeneuti- tiert) bloss. In ihren besten Ausprägungen ist Psychoanalyse bis heute
schen Annäherung bleibt das Subjekt sich selbst, und das heißt: dem Realen dieser Kritik des überheblich auftretenden Wissens verbunden geblie-
seiner Nicht-Identität, der Faktizität der Privation, entfremdet. Das Lösen ei- ben.,,455
nes Koan korrespondiert dagegen, weder Verstehen noch Wissen zu seiner
Sache machend, aufs engste mit dem Leiden wie mit dem Genießen des Sub- Die Koan sind also nicht mit der hermeneutischen Methode zu lösen, eben-
jekts. sowenig aber mit Rekursen auf die Lehrüberlieferung. Im Gegenteil sogar:
So lassen sich folgende Sätze von Borens als Warnung davor lesen, wie sich durch Zugfulge wie diese wird ihre Lösung vermieden und aufgeschoben.
den Koan nicht zu nähern ist: Das Aufkeimen der wahren Erkenntnis und die Ausschlagung des Umwegs
(des Un-wegs) der hermeneutischen Methoden (im weitesten Sinne) fallen
"Dieses Unbenennbare (hier klein a; lA.) versucht man zu benennen, sogar zusammen. Die Erkenntnis der Wissenschaft, die hermeneutische Me-
dieses Unsagbare versucht man zu sagen (damit wird aus der Privati- thode und der Rekurs auf die Lehrtradition müssen hier dergestalt aufgefasst
on eine Frustration), aber darüber sprechen läßt sich nur in Annähe-
werden, dass sie die Gewahrnis des konstitutionellen Fehlens einer letzten
rungen und Metaphern. Die Objekte, in denen man das Objekt a wie-
Versicherung des Daseins und im selben Zuge der Leerheit aller Dinge und
derzufmden glaub?, sind metonymische Ersatzbildungen fiir das end-
gültig verlorene.,,4 4 des Ich verschleiern und also verhindern. Sie verschleiern die Dinge noch
einmal zusätzlich, anstatt sie zu enthüllen.
Nicht das Unnennbare, das Unsagbare zu benennen, zu sagen versuchen, Einmal mehr: Der Finger (Wissen und intellektuelles Verstehen) darf nicht
sondern eben das Reale dartun, zeigen, monstrieren. Die Koan künden von mit dem Mond (Unwissenheit, Leiden und Genießen, das Sinn-lose) ver"
einem Fehlen von letzter Versicherung des Daseins und ihre Lösung führt wechselt werden. Intellektualistisches Zen wie intellektualistische Analyse
zur Ent-sagung (die der Ebene der Privation angehört), nämlich zum Ver- neigen dazu, den Finger fiir den Mond zu nehmen.
zicht darauf, das niemals Besessene, endgültig verloren zu Gebende, doch
noch (wieder)anzueignen. Kein Wissen, auch nicht das sogenannte Tiefen- Wie die Privation als Zustand des Fehlens eines das Subjekt als Ganzes be~
wissen, das aus dieser Perspektive nur Vertiefung der Verkennung ist, flillt zeichnenden und versichernden Signiftkanten weder durch Verstehen und
die Lücke dieses konstitutionellen Fehlens. Der Fehl selbst verlangt vielmehr Wissen, noch insbesondere von dem imaginären Garanten Identität über-
nach seiner Anerkennung; gefordert wird gerade nicht seine Überbrückung brückt werden kann, das ist der Gegenstand des im folgenden behandelten,
durch Wissen, weder durch philosophisches, noch durch tiefenpsychologi- berühmten ersten Koan der Sammlung "Niederschrift von der smaragdenen
sches Wissen. Bei Lacan kann auch das psychoanalytische Wissen diese ü- Felswand", Zuerst sein Text:
berbrückung niemals leisten. Die Ansprüche des Wissens und des Verste- " Wir legen vor:
hens sind überheblich und naiv in einem. Was im folgenden Passus aus dem Wu-Di von Liang fragte den Großmeister Bodhidharma: Welches ist
Text von Borens über die Möglichkeit, "menschliches Leiden zu erklären" der höchste Sinn der Heiligen Wahrheit?
und dem Anspruch, durch Wissen, der Referenz schlechthin, seine Beendi- Bodhidharma sagte: Offene Weite - nichts von heilig.
gung auf den Weg zu bringen, ausgesagt wird, gilt ebenso fiir die Praxis des Der Kaiser fragte weiter: Wer ist das uns gegenüber?
Zen: Bodhidharma erwiderte: Ich weiß es nicht.
Der Kaiser konnte sich nicht in ihn fmden.
Bodhidharma setzte dann über den Strom und kam nach We.
453 Borens, R., Widerstllnde der Psychoanalyse, m: Riss, Zeitschrift für Psychoanalyse.
Freud.Lacan. Nr. 43, S. 23
454 Ebd., S.ll 455 Ebd.
204 205

Später wandte sich der Kaiser an den edlen Bau-dsch'i und befragte rung der Psychoanalyse einer Prüfung unterzogen hatte. Denn, wie Schmid
ihn. schreibt:
Der edle Bau-Dsch'i sagte: Aber Eure Majestät wissen doch wohl, wer
das ist? Oder nicht? "Das höchste Gut ist kein erreichbares Ziel. Es fehlt, bzw. schreibt
Der Kaiser erwiderte: Ich weiß es nicht. sich dem Subjekt als Verlust ein.,,458
Da sagte der edle Bau-Dsch'i: Das ist der große Held Avalokiteshvara,
der das Siegel des Buddhageistes weitergibt. Das reine Begehren, darüber belehre die psychoanalytische Praxis, ist in sei-
Da reute es den Kaiser und schließlich sandte er einen Boten ab, um nem Grunde auf nichts ausgerichtet, auf kein Objekt hin, auch eben nicht auf
Bodhidharma zurückzubitten. Das Gute und ebenso nicht auf Das Nichts. Seine Orientierung kommt viel-
Der edle Bau-Dsch'i aber riet: Sagen eure Majestät es lieber niemand, mehr seinem Verrat gleich.
daß sie einen Boten schicken wollten, ihn zurückzuholen! Dem könn- Die okzidentalen Subjektkonstitutionstheorien sind aus dieser Perspektive
te das ganze Land nachlaufen: er kehrte doch nicht wieder um.,,456 Versuche, um die Anerkennung dieses dem Subjekt sich als reines Fehlen
Einschreibende herumzukommen. Durch die Ankoppelung des Begehrens an
In einer abweichenden Überlieferung wird Bodhidharma vom Kaiser noch das Gut soll hier das Selbst seine Würde erlangen, während in psychoanaly-
eine weitere Frage gestellt: tischer Theorie und ebenso im Zen dieses Gut gerade als Fehlen markiert
"Ich habe eine große Anzahl von Tempeln bauen lassen, ich habe vie- wird. So enträt das Zen jeder idealistischen Zielsetzung, durch orientiere
le Mönche bestätigt, ich habe viele Sutras übersetzen lassen. Ich habe Handlungen die Würde des Selbst zu erlangen. Es gibt keine Objekte, die
mir doch sicher viele Verdienste erworben?" angeeignet werden können und kein Subjekt, dem etwas zugeeignet werden
kann.
Bodhidharma antwortet: "Kein einziges Verdienst" 457
6. 7.1 Die Preisgabe der Logik des Opfers
Das disponierende Denken, das "rechnende Wesen" (Heidegger) geht nicht
absichtslos vor, auch und gerade nicht, wenn es sich in den Dienst des Guten Im westlichen Denken ist das Selbst entweder die Alltagsverkennung perpe-
stellt, wie im vorliegenden Fall. Verborgen hinter den Aufzählungen seiner tuierendes Konstrukt von im weitesten Sinne idealistischer Spekulation oder
guten Taten (seiner Leistungen, modem gesprochen) ist der Wunsch des es hat einen anderen, aber damit zusammenhängenden Preis: nicht einen, den
Kaisers, sich seiner selbst zu vergewissern. Ein zunächst unsicherer und un- das Denken zu entrichten hätte, sondern das Opfer des Triebes. Der Preis ft1r
gewisser Status des Existierens erhält vermeintlich dann die Dignität wirkli- das Selbst, das zu gewinnen, zu finden oder wiederzufinden ist, ist der des
chen Seins, wenn der andere die Leistung würdigt. So kommen Tat und Leis- Triebverzichts. Das Opfer des Triebes ist zu erbringen, damit ein Selbst zum
tung zu blindem Aktivismus herab, einzig dazu angetan, sich seiner selbst zu Vorschein kommen kann, das die Dignität von Sein besitzt. Die "Auffahrt
vergewissern und den Fehl zu annihilieren, die "Löcher zu stopfen", des Seins" beginnt jedesmal dort, wo vorher die Triebe ausgetrieben wurden.
Es bleibt aber derjenige gebunden, der nicht absichtslos handelt, vielmehr Nietzsches Studie über die "Büßer des Geistes" war im Westen eine der ers-
sein Handeln orientiert. Leicht ließe sich also hier die Kritik Lacans an der ten mit großem psychologischem Scharfsinn angestellten Analyse dieser
aristotelischen Ethik mit ihrer Ausrichtung am höchsten Gut noch einmal zur Spezies, die der Logik des Opfers erliegt. 459 Im Zen heißt es von dieser Art
Anwendung bringen. Die Orientierung des Handels an einem vermeintlich Mensch, dass er "vor Erleuchtung stinkt"460.
existierenden höchsten Gut ermöglicht alle Arten von Lebenslügen. Anhand K. Heinrich spricht in Bezug auf das Zen gerade von der Preisgabe der Ideo-
speziell dieser Orientierung am Guten ließ sich ja die Stelle markieren, an logie des Opfers, von einem "Opfer des Opfers,,461, Tatsächlich hat das Zen
der Lacan mit der aristotelischen Ethik bricht, nachdem er sie mit der Erfah-

458 Schmid, M., Vom X des Akts, m: Riss, Zeitschrift ftlr Psychoanalyse. Freud.Lacan. Nr. 41,
S. 53
459 Nietzsche, F.. Sämtliche Werke, Bd. 4, "Von den Erhabenen", S. 150ff.
456 Bi-Yän-Lu, Meister Yüan-wu's Niederschrift von der smaragdenen Felswand, Bd.l, S. 37 460 Zit. n.: Suzuki, T.S.. Zazen, Die Übung des Zen, S. 96
457 Zit. n.: Deshimaru, T.: Zazen, Die Praxis des Zen, S. 51 461 Hemnch, K.. Versuch über die SchWierigkeit nem zu sagen, S. 125
206 207

sich immer dagegen verwahrt, als asketische Praxis missverstanden zu wer- Welt und mit den anderen zu ermöglichen, den Verrat am Begehren fordert,
den. In allen Formen des Asketismus ist letztlich das Opfer des Triebes der das ursprünglich leer ist und sich auf kein Objekt bezieht.
zu zahlende Preis für den Gewinn eines/des Selbst, das vor einer imaginären So bildet das zen-buddhistische nirgends wohnen die Gegenfigur zur Dimen-
obersten Richterinstanz (bei Freud: dem Über-Ich) bestehen darf und das sion des oikos, der ökonomischen Existenz des Menschen. Die Suspension
Subjekt zu einem der Anerkennung werten Objekt macht. Aber der Mensch der Opferlogik und die Ausschlagung der idealistischen Identitätskonstrukti-
gewinnt sich nicht, indem er auf sich verzichtet. onen antizipieren damit gewissermaßen den "Austritt aus dem kapitalisti-
Zen ist weder die (für das Philosophen-Subjekt des römischen Reichs zur schen Diskurs", den Lacan als Analyseziel visiert und zwar als effektiv zu
Zeit des Späthellenismus relevante) asketische Zuspitzung des stoischen Ide- vollziehen, nicht als Idee oder Ideal für die Zukunft.
als und es verlangt nicht, die elementaren, vitalen Bedürfnisse auf ein anima-
lisches Minimum zu reduzieren. Desgleichen scheidet jede Form von Anbe- 6.7.2 Das Opfer als Form der Leugnung der Kastration des anderen bei
tung und Verehrung eines allmächtigen Gottes aus, der im Gegenzug (für die Lacan und im Zen
Opfer) das Subjekt weltlich gewähren und trotz seiner Fehler und Sünden Mit Lacan wäre zwischen einer neurotischen und einer nicht-neurotischen
weiterbestehen lässt. Auslegung der Kastration zu unterscheiden. Erstere ist die mit der Logik des
Das Zen bricht radikal mit der fatalen Dialektik von Trieb und Triebverzicht Opfers verhängnisvoll zusammenhängende. In ihr wird durch das falsche
und lehnt jeden W~g zur Erlangung personaler Würde und Integrität qua Op- Opfer eine falsche Metapher des Subjekts geschaffen. Die Anerkennung der
fer ab. Erst die Preisgabe der Versuchung durch das Opfer führt auf den symbolischen Kastration auf der einen Seite und das Eingestelltsein in die
Weg, den das Zen lehrt. Die Zen-Übung zielt gerade auf einen Austritt aus Dialektik von Trieb und Triebverzicht auf der anderen dürfen nicht mitein-
der dilemmatischen Opferlogik, des Aufgespanntseins auf das Streckbrett der ander verwechselt werden. Die Ideologie des Opfers beruht auf der falschen
Dialektik von Opfer und Gewinn, Trieb und Triebversagung, Schuld und Auslegung der Kastration. Sie hypostasiert den existierenden Großen Ande-
Vergebung, schließlich Askese mit seinem notwendigen, kompensatorischen ren, der die Kastration verlangt und im Gegenzug dem Subjekt die Würde
Pendant der Ausschweifung. des Selbst zuträgt. Nur der als existierend hypostasierte Große Andere kann
Das Vertrauen auf die Kompetenz des Körpers selbst, nicht die eines imagi- dem Subjekt als der Garant seiner Versichertheit im Dasein nützen. Dazu
nären Doppelgängers, führt gleichsam in ein Jenseits des Sinns (der in der muss dieser der Spaltung nicht unterworfene Andere das Opfer verlangen.
Logik des Opfers inuner Funktion des Imaginären ist) und in das sublime Das erbrachte Opfer, als verlangt unterstellt, soll in letzter Konsequenz das
Diesseits dieses Körpers selbst. Der Austritt aus der Dialektik von Opfer und Subjekt zuerst der Existenz dieses Großen Anderen selbst versichern, um im
Gewinn ist jedoch nicht gleichbedeutend mit einem Setzen auf die Aufgabe nächsten Schritt von diesem in seiner eigenen Existenz versichert zu werden.
des Aufgebens. Es ist eine Illusion zu glauben, etwas aufzugeben führe zu So dient das Opfer zwei unmittelbar miteinander verbundenen Zwecken,
Gewinn, es ist aber ebenso eine Illusion zu glauben, das Aufgeben des Auf- zum einen der Selbstversicherung, zum anderen zur Versicherung des Gro-
gebens bringe endlich die ersehnte Ruhe. Letzteres bedeutete nur, in eine ßen Anderen, dem unterstellt wird, das er das Opfer verlangt. Dieser Art ist
nächste dialektische Schleife der Opferlogik geraten zu sein. Es geht um et- der Tauschhandel mit einem imaginären Groß A. ZiZek, dem der Autor in
was anderes: die Beendigung des Tauschhandels mit einem imaginären puncto Opferdialektik wesentliche Anregungen verdankt, schreibt hierzu,
GroßA. den Akzent auf den Ausgleich des Mangels im Anderen setzend:
Der Sinn darf nicht außerhalb der Handlung liegen. Die Zen-Übung ist die
Initiation in ein Begehren, das gerade nichts über sich hinaus will. Die orien- "In seiner elementarsten Form bietet das Subjekt sein Opfer nicht
tierte Handlung, deren Prototyp vielleicht die Opferhandlung ist, hat nur mit- deswegen an, um selbst davon zu profitieren, sondern um den Mangel
telbaren Wert, die reine Handlung hat Wert für und in sich selbst, hat aber im Anderen zu füllen, um den Schein der Allmacht, oder zumindest
der Konsistenz des Anderen zu wahren. ,,462
keinen Sinn. Die Arbeit im modemen Verständnis und die Leistung, vor de-
ren Altären heutzutage die Opfer für den Erhalt eines Selbst und die hiermit
zusammenhängende Anerkennung der anderen zu erbringen sind, sind die
tragenden Säulen einer Ökonomie, die, um dem Subjekt ein Wohnen in der
462 Zizek, S.. Die gnadeniose Liebe, S. 28
209
208

Die Konsistenz des Anderen... Es muss diesen geben, denn an seiner Existenz Der Sinn der Aktivität Bodhidharmas leitet sich nicht aus einem imaginären
hängt die Versichertheit des Subjekts selbst. Die Präsupponierung des exis- Jenseits seines Körpers ab, das er durch sein Tun als existierend supponiert,
tierenden Großen Anderen und die Unterstellung des ,konsistierenden' Sub- um im Gegenzug von diesem als konsistentes Selbst bestätigt zu werden.
jekts gehören jedoch genauso zusammen, wie, nach einem qu~litativen Seine Aktivität ist eine die symbolische Kastration anerkennende (zuerst,
Sprung, die Gewahmis des Schweigens des Großen Anderen und dIe der In- wie stets, die des anderen, hier die des Kaisers, zu dessen Erstaunen und
konsistenz des Subjekts. Im Moment der Gewahmis der Gespaltenheit des Verdruss), aber jede Dialektik des Opfers zurückweisende und also nicht
wirklichen anderen und dem Schweigen eines unterstellten Groß A, kann der neurotische Aktivität des Subjekts des Unbewussten. Damit ist er aber ironi-
Mensch in seine wirkliche Verantwortung eintreten. Die Nicht-Anerkennung scherweise, worüber der "edle Bau-Tschi" den Kaiser aufklärt, eben genau
der symbolischen Kastration, inszeniert durch die Geste des Opfers, ist dem- der "Dharma-Träger, der das Buddhasiegel weitergibt",
gegenüber die Leugnung der transzendentalen Nicht-Versichertheit und im
selben Zug die Leugnung der Kastration des wirklichen anderen. Dem Subjekt des Unbewussten (Bodhidharma) bleibt, zur Selbstaussage ge-
So geht es im Opfer auch erst in zweiter Linie um die Sicherstellung des Ge- nötigt ("Wer bist du?"), einzig zu sagen: "Ich weiß es nicht", Bodhidharma
nusses des Subjekts auf verschobener Ebene, vorrangig geht es um die Ver- wird nach dem Namen für ein Wesen gefragt, das weder einen benennbaren
bürgung einer fundamentalen Versichertheit durch einen ultimativen Signifi- Inhalt hat, noch eine Form, über die verfügt werden kann. Sein Wesen selbst
kanten, der dem Leben-Sinn gibt und dem Subjekt Konsistenz und Identität ist Aussagen, Vollzug, Entäußerung, weder Inhalt, noch Form, noch Na-
verleiht. Wichtig ist deshalb, dass, um das Opfer als verlangt unterstellen zu melBenennung. Im Moment des Auftauehens dieses Wesens, in dem gewis-
können, es zuerst noch einer vorgängigen Präsupponierung bedarf, der eines sermaßen Produktivität und Objektlosigkeit konvergieren, ist es auch schon
Groß A nämlich, welches eben das Opfer fordert. entschwunden, es ist nicht festhaltbar und fixierbar, eine flüchtige Erschei-
nung:
Bodhidharma fungiert in der psychischen Ökonomie ~es Kaisers als der "Dem könnte das ganze Land nachlaufen: er kehrte doch nicht wieder
Statthalter dieses als existierend unterstellten Groß A. Uber Bodhidharmas um."
Vermittlung will in dem Koan der Kaiser sich des Sinns des Opfers versi-
chern. Bodhidharma soll damit zum Garanten und Bürgen seines Selbst wer- Denn er hinterlässt keine Spur. Keine Spuren zu hinterlassen ist für Lacan
den. Wenn die Opfer und Anstrengungen des Kaisers, wie er selbst meint, eines der Kennzeichen des Heiligen. 464 Wer aber keine Spuren hinterlässt, ist
darauf zielen den Buddhismus verbreiten zu helfen, so dienen sie in Wahr- nicht identifizierbar. Avant la lettre kommentiert das Koan Lacans Theorem,
heit dazu di~ Illusion der Existenz des existierenden Groß A zu stützen, die demzufolge die symbolische Identifikation die Nicht-Identifikation ist. La-
ihrerseits' das Subjekt, den Kaiser also, versichert. Der Hegemonialsignifi- can schrieb:
kant Buddhismus fungiert hier ironischerweise ausgerechnet als Ermöglicher
"Ich bin für euch das Rätsel derjenigen, kaum daß sie erschienen,
der Inswerksetzung der Leugnung des konstitutiven Mangels des Anderen.
verschwindet, ihr Menschen, die ihr euch so gut darauf versteht, mich
Deshalb ist das Opfer des Kaisers falsch. Das falsche Opfer kommt, wie unter dem Flitterkram eurer Wohlanständigkeit nachzuäffen. ,,465
Zizek schreibt,
"keineswegs einer freiwilligen Akzeptanz der Kastration gleich, son-
dern ist vielmehr die raffmierteste Form, sie zu leugnen, also so zu
464 Vgl. das Kapitel: "Die Person als Maske des Nichts oder der Analytiker als Heiliger"
tun, als besäße ich den verborgenen Schatz, der mich zu einem lie- 465 Diese skandalöse Rede Lacans, der das Zitat entstammt, sei m der Fußnote m etwas größe-
b enswerten Ob~e' kt macht ... ,,463 rem Zusammenhang wiedergegeben. Lacan spricht hier mit dem Ich Freuds. Es soll Freuds
Rede sein, die Lacan m dieser Welse mszeniert. Hier mcht wemgstens den Erfinder der
Psychoanalyse als Autor unterzuschieben, hätte allem der gute Geschmack verboten, je-
doch spricht Lacan tatsächlich von niemand anderem als von sich. "Ich bin fur euch das
Rätsel derjenigen, kaum daß sie erschienen, verschwmdet, ihr Menschen, die ihr euch so
gut darauf versteht, mich unter dem Flitterkram eurer Wohlanständigkeit nachzuäffen.
Dennoch will Ich euch zugestehen, daß eure Verlegenheit echt ISt, denn selbst, wo ihr euch
463 Ebd., S. 31
210 211

Im Erscheinen verschwinden und einzig als Verschwindendes erscheinen- Noch eine weitere Konjektur sei hier angeschlossen: Der Gründer des Zen ist
aberauf die Frage: "Wer bist du?" kann die Antwort nur lauten: "Ich weiß es gewissermaßen Lacans Ding als Person. Das lässt sich so begründen: Die
nicht", In dieser negativ-performativen Selbstaussage (die, was nicht unbe- postmoderne Umschrift von Becketts (modernem) Godot müsste, wie Zizek
achtet bleiben will, im Text des Koan zweimal auftaucht) drückt sich die ra- schreibt, diesen zeigen als
dikal-ethische Haltung aus, die anerkennt, dass es kein Groß A gibt, mit dem
in einen Tauschhandel zu treten möglich wäre und das Subjekt von außen "stunlpfsinnigen Kerl, der sich über uns lustig macht, der genauso ist
wie wir, der dasselbe sinnlose Leben voller Langeweile und dumpfer
oder aus einem sublimen Innen versichert und ihm ein der Anerkennung
Vergnügungen fuhrt - mit dem einzigen Unterschied, daß er sich rein
wertes Selbst verschafft.
zufällig, ohne es selbst zu wissen, an der Stelle des ,Dings' wieder-
Die zuletzt zitierte Stelle kann auch noch zu einer weiterreichenden Interpre-
fIndet, zur Inkarnation des Dings geworden ist, auf dessen Ankunft
tation Anlass geben: Da, was die überlieferten Seminare Lacans angeht, wir warten. ,,467
,kein Original existiert', wie J.A. Miller herausstellt, und sämtliche seiner
Begriffe, bei allem bestechenden Sinn für Logik und die signifIkante Struk- Kurzum: als einen Bodhidharma-Godot. Manche bildlichen Darstellungen
tur, konjektural sind, das Allusive und Approximative den Diskurs insofern Bodhidharmas, die einen in seiner Gewöhnlichkeit fast hässlich zu nennen-
bestimmen, als sie ihn unbestimmt lassen, wird, was zu Lacan geschrieben den Mann zeigen, weisen genau in diese Richtung. Der Godot Becketts ge-
wird, notwendig, aber nicht immer offenkundig die Züge des Rezipienten hört der Modeme an, die das furchterregende und im selben Zuge Ehrfurcht
tragen. Lacan ist als. Instanz Groß A ebenso ungeeignet wie Bodhidharma. gebietende, kurz: erhabene Objekt im Modus seiner Abwesenheit, als ver-
Beide sind sogar, beschäftigt man sich eingehend mit dem einen oder ande- borgene Präsenz im Kern der Dinge und Geschehnisse zeigt oder besser:
ren, gleichsam der Beweis der Illusionshaftigkeit einer Versichertheit ~urch vielmehr eben gerade nicht zeigt. Das postmoderne, lacansche Ding haust
ein Groß A und zwingen das Subjekt, "sich selbst zu erforschen", In dIesem nicht als abwesendes im leeren Zentrum des Seins, wird vielmehr als ganz
Sinne spricht Dögen davon, dass den Buddhismus zu erforschen nichts ande- gewöhnliche und banale ,Sache' gezeigt. In diesem Sinne sind die sinn-losen
res heiße als sich selbst zu erforschen. Im lacanschen "Handele konform mit bonno das Satori, sie umkreisen nicht den zu erreichenden Kern als abwe-
deinem Begehren!" ist dem Subjekt gerade vorgeschrieben, mit nichts kon- senden, sie sind dieser Kern, die Sache selbst. Es gibt nach Lacan kein ande-
form zu sein, mit keiner Konvention und keinem Vorbild. res Trauma als das der Geborenheit. Alle Dinge des Lebens sind somit letzt-
Wenn der Autor des Koan den "edlen Bau-Tschi" dem staunenden Kaiser lich traumatische Dinge. Das niedere Schein-Ding und sein traumatischer
mitteilen lässt, dass dieser, der da eben entschwand, der Träger des Dharma Kern fallen in eins zusammen. Die Oberfläche selbst ist der Abgrund und der
war, so will die hintergründige Ironie, die hierin liegt und die zu dieser Art Abgrund ist auch nur Oberfläche. Was bedeuten die Bilder des hässlichen
slapstickhafter Komik des Dialogs beiträgt, nicht unbeachtet bleiben. Bod- Bodhidharma, wenn nicht folgendes: ,Dieses jeder psychosozialen Vertäu-
hidharma, resp. der Autor des Koan, scheinen ihren Spott mit guten Leuten ung mit ihren Spiegeleffekten entbößte Unwesen, das bist du, tat swam asi.
zu treiben. Wie in so vielen Zen-Texten, erzeugen hier gerade der Witz, das Hier musst du ansetzen und neubeginnen! Von hier aus wird sich dein Be-
-
Unerwartete und das Rätse I einen G'Ip~e
~ I an S'Inn. 466
gehren begründen lassen!'
Andy Warhol wäre als der Künstler des lacanschen Ding zu nennen. Das
niederste, banalste Schein-Ding wird zum traumatischen Ding an sich und
die heiligsten Dinge zeigen sich in ihrer Banalität. Warhols "Distaster"-
Serien unterscheiden sich in ihrem traumatischen Charakter nicht von der
zu meinen Herolden aufwerft, seid ihr nicht wert, meine Farben zu tragen mit diesen Klei-
dern, die euer smd und euch gleich, Gespenster, die ihr seid. Wohin gehe iCh, nach<lem ich
massiven, ebenfalls traumatischen Präsenz seiner als Kunst präsentierten all-
unter euch hindurchgegangen bin? Wo war ich vor diesem Durchgang? Soll ich es euch ei- täglichsten Gebrauchsgegenstände (Suppendosen, Cola-Flaschen) und die
nes Tages sagen? Vielleicht. Aber auf daß ihr mich, wo Ich bm, findet, will Ich euch leh- zugleich vom "Glanz des Seins" fluoreszierenden und widerwärtig abge-
ren, an welchem Zeichen ihr mich erkennt. Hört, ihr Menschen, ich gebe euch sem Ge-
hemmis preis. Ich, die Wahrheit, ich rede." (Zit. n.. Borch-Jacobsen, M.: Lacan, Der abso-
lute Herr und Meister, S. 125.)
466 ,,Die Spitze an Sinn [...] Ist das Rätsel." (Lacan, 1.. Schriften II, S. 7) 467 Zizek, S.. Liebe demen Nächsten?..., S. 99
212 213

klatscht wirkenden Reproduktionen der Ikonen des Medienzeitalters (Mon- chen Perspektive als Verschleierungsgeschichte des lacanschen Ding. Ihre
roe, E. Taylor etc.) bilden hier erst recht keine Ausnahme. letzte Station vor seinem Erscheinen ist die Modeme mit dem Szenario des
Bei Warhol gibt es eine mit der buddhistischen Leerheit korrespondierende abwesenden Gottes im Zentrum alles Geschehens wie bei Beckett in "War-
Art Homophonie alles Seienden. Warhol zeigt, dass es vollkommen gleich- ten auf Godot".
gültig ist, was ein Maler malt: Schuhe, Zwiebeln, Unfälle, Starletts - solange
das Dargestellte nicht Abbildung ist, die einen Verweis auf sein verborgenes,
wahres Wesen enthält, sondern das Ding. (Wobei es um so mehr nicht Ab- 6.8 Nicht-Irrende Narren, Irrende Nicht-Narren, Erleuchtete
bildung sein kann, desto getreuer der Gegenstand getroffen ist.) In Zen-Sicht Sich-Täuschende und Sich nicht Täuschende Nicht-Erleuchtete
ist analog hierzu der erhabenste (sakralste) wie der banalste Gegenstand vom
(Von Lacan zu Dögen und zurück)
selben Nichts, von dem alles Seiende ist. Es gibt schließlich gar keine Hie- Mit dem Text des R.S.I.-Seminars lassen sich die unterschiedlichen Ansätze
rarchie von Gegenständen mehr. Es ist vielmehr so, wie Lacan sagt, von Freud und Lacan in der folgenden Weise schematisieren: Freuds Text
,,[...] daß egal welcher Gegenstand als SignifIkant auftreten kann, schreibt sich ein in das Feld von: ,Die Genarrten, die nicht irren.' Freud sei,
durch den dieser Widerschein, dieses Wunder, dieser mehr oder min- so Lacan, "genarrt, aber auf die gute Weise, die nicht irrt',471
der unerträgliche Glanz vibriert, der das Schöne heißt,,468, Lacans Sprechen dagegen steht unter dem Zeichen von: ,Die Nicht-
Genarrten, die irren. '
Schön ist zu nennen, wenn die sich fremden Dinge plötzlich ganz unerwartet "Das ist [bei Freud,J.A.] nicht so wie bei mir, der ich nur bezeugen
harmonieren oder der sonst unmögliche Zusammenklang menschlicher Lei- kann, daß ich irre:,,472
denschaften doch zustandekommt.
"Das heftige Licht, der Schimmer der Schönheit fallen zusammen mit Nicht-Narr sein und irren oder Narr sein und nicht irren. Es handelt sich
dem Moment, in dem Antigone die äT1l übertritt und realisiert.,,469 hierbei um eine Variante von Lacans Sophisma, das mit der Homophonie
von "Le non-dupes erre" und "Nom-du-pere" spielt. 473 Der Nicht-Narr, der
Aber dieses "Wunder" kann nur eintreten mit jenem "Wechsel des Objekts in irrt (Le non-dupe erre) ist durch Homophonie im Französischen der Name
sich selbst", einem Übertretenhaben der Schwelle, die das Reich der Leben- des Vaters (nom du pere).
den von dem der Toten trennt. Es handelt sich hier nicht um Ästhetizismus, ,,[...] Der Ungenarrte geht in die Irre ohne das, ins Blaue hinein oder
eine neue oder andere ästhetische Theorie, sondern um die Bereitschaft fiir aufs Ewigkeits-Geratewohl. ,,474
ein Sich-Einlassen auf eine Erfahrung, die dann die Dinge in einem Glanz
vibrieren lässt, einem Schimmer, der von ihrer absoluten Fragilität und ihrer Das Irren ist durch den "Namen des Vaters" (nicht "ohne das") kein ,In die
Vergänglichkeit herrührt. Die Bedingung fiir ein ,neues Leben' ist der Ein- Irre gehen', sondern, in abweichender Konnotation, "Umherirren" im Gehe-
tritt "in die Zone zwischen Leben und Tod,,470, Die Lösung besteht nicht im ge eines Gesetzes (das der Kastration) oder "Auslauf innerhalb der Diszip-
Austausch des Objekts, der Rückkehr eines ,ursprünglichen Objekts', die lin", der Lehre.
Hinwendung zu einem neuen oder gar seine Ausquartierung und Hinwen-
"Ich irre umher in diesen Intervallen, die ich versuche, fiir sie zu situ-
dung zu einem leeren, abstrakten Nichts. Aber schließlich lehren Zen und ieren, des Sinns, des phallischen Genießens, und eben des dritten
Psychoanalyse auch, worauf es möglicherweise nicht lohnt, sein Begehren zu
richten.
Überall hier sind die Dinge durch Leerheit verbunden und auch der harte
traumatische Kern selbst ist Leerheit. Die Geschichte erscheint aus einer sol-
471 Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 14
468 Lacan, 1.: S VII, Die Ethik der Psychoanaiyse, S. 355 472 Ebd.
469 Ebd., S. 336 473 Vgl. den Titel des Semmars XXI (1973/74), Les non-dupes errent (nicht erschienen)
470 Ebd. 474 Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 41
214 215

Terms r...] der uns den Schlüssel zum Loch gibt [...] das Genie- Wahrheit des Sprechens, sondern die Wahrheit des Sprechens selbst setzt
ßen...,,4"'S sich mit dieser Bewusstwerdung ins Werk als "Fortschreiten von Fehler zu
Fehler", Das Fortschreiten des bastardisierten, die Alienation im anderen er-
Wird versucht zu "fossilieren", was dieses "Umherirren" ergibt, kehrt sich leidenden und anerkennenden Diskurses ist die Wahrhaftigkeit des Spre-
das Verhältnis zwangsläufig wieder um und es ergibt sich erneut: "Der Narr, chens selbst.
der nicht irrt", so wie ihn im Bodhidharma-Koan der Kaiser und in geringe- Diejenigen, die von der Unmöglichkeit von idealer Selbstaussage wissen und
rem Maße Bau Tschi repräsentieren. Wer ist es, fragen sich diese beiden generell von der Unmöglichkeit, irgendein Ding adäquat auszusagen, sind
"Genarrten, die nicht irren", der dort, in dieser Weise, "umherirrt"? Sie fiin- "die Nicht-Genarrten, die irren", Wo sich dieses Wissen verbindet mit der
den selbst die Lösung, ließen sie sich "mehr narren", Für sie gilt, was Lacan Anerkennung der Kastration des anderen, produziert sich die Vatermetapher.
angelegentlich am Beispiel Maupertius exemplifiziert: "Die Genarrten, die nicht irren" hingegen, diejenigen die festhalten an der
"Hätte er [Maupertius, J.A.] sich mehr narren lassen, würde er weni- Möglichkeit von Selbstaussage und adäquater Aussage der Dinge, produzie-
ger in die Irre gehen. [...] Er ist Nicht-Narr - er bildet Hypothesen." ren das Expertenwissen und den Moraldiskurs.
476
Den präsupponierten Analytikern/Meistern "Lust zu machen, die Wahrheit
zu sagen" heißt nicht, sie aufzufordern, sich im Sagen von ,letzten Wahrhei-
Das "wirkliche Ich" sagt sich selbst aus im kontinuierlichen Verfehlen beim ten' zu üben, auch nicht, ,,[...] alles zu sagen (denn) man kann nicht alles sa-
Versuch ,zu sagen "wer ich bin" und "was es ist". Der Zen-Mönch Ejo gen - sondern Blödheiten zu sagen, darauf kommt es an,,478, Sich nicht nar-
brauchte acht Jahre (eine Analysedauer?) um folgenden Satz hervorzubrin- ren lassen zu wollen heißt, prädisponiert zu sein für die Irre; nicht in die Irre
gen: zu gehen aEer, im Bündnis mit dem Unbewussten (Signifikantenkette, Dy-
namik der Ubertragung) und der symbolischen Ordnung sich willig narren zu
"Was immer ich sage, daß ich bin, wird den Punkt verfehlen - das
lassen.
genau ist das wirkliche ,Ich",477 .

Besser als in dieser Aussage ließen sich Lacans Konjekturen über das Ich Bei Dogen ist die Täuschung der "großen Erleuchtung" inhärent und die
und seine (Un)Möglichkeit, sich selbst auszusagen, kaum formulieren. In E- "große Erleuchtung" der Täuschung.
jos Satz koinzidieren Lacans "Subjekt des Aussagens" und das "Subjekt der "Die große Erleuchtung existiert immer. Sie sollte nicht nur als Ab-
Aussage". Es ist ein Sagen (im Sinne: Subjekt des Aussagens) über die Un- wesenheit der Täuschung aufgefaßt werden. Denke auch nicht, daß es
möglichkeit einer adäquaten Selbstaussage, in den Kategorien des lingutsttc die große Täuschung gibt, weil es die große Erleuchtung gibt. Nicht
turn: ein negativ performativer Akt. Selbstaussage ist nicht die ideale Reprä- nur ein großer Erleuchteter vertieft seine Erleuchtung, auch ein
sentation eines Signifikats im Signifikanten, sondern das perrinnierende ,Mensch voller Illusionen' vertieft sie.,,479
Scheitern von Selbstaussage, das Verfehlen im Sich-Sagen einer (unmögli-
chen) Selbstbeziehung. Die diesem Passus folgenden Fragen kreisen avant la lettre um das Verhält-
Im Verfehlen der idealen Selbstaussage ("das bin ich", "das bin ich nicht") nis von Täuschung und Erleuchtung auf einer Lacans Diskurs analogen Um-
spricht sich das Subjekt des Unbewussten ohne Unterlass selbst aus. In die- lautbahn. Dogen greift zuerst die von einem früheren Zen-Meister aufgewor-
ser sich fortsetzenden Täuschung tut sich sein Wesen kund. Das Bewusst- fene Frage auf:
werden des Scheitemmüssens von Selbstaussage als Repräsentation des "Was geschieht, wenn ein großer Erleuchteter der Täuschung unter-
Signifikats im Signifikanten führt gerade nicht in die Sackgasse eines nicht liegt?,,'480,
zu umgehenden Dilemmas eines konstitutionellen Verfehlen-Müssens der

475 Ebd., S. 14 478 Lacan, 1.. S XX, Encore, S. 26


476 Ebd., S. 12 479 Dögen, E.. Shöbögenzö, Band I, S. 58
477 Zit. n. Arokiasamy, AM.. Warum Bodhidhanna In den Westen..., S. 74 480 Ebd.
216
217

um sie, statt sie zu beantworten, mit weiteren Fragen zu kommentieren: die Irre zu gehen. Meister sein heißt "Fortzuschreiten von Fehler zu Fehler"
"Ist ein großer Erleuchteter, der der Täuschung unterliegt, der gleiche und nicht, aus der Unerleuchtetheit in die Erleuchtetheit übergewechselt zu
wie eine unerleuchtete Person? Ist es möglich, daß ein großer Er- h~ben. ~ber genau das zu gewahren, muss wohl die Erleuchtung sein. Diese
leuchteter der Täuschung unterliegt? [...] Kann er seine Täuschung zu Dialektiken kommen erst im Zazen zur Ruhe. Das Zazen selbst ist das Satori.
Erleuchtung wandeln, oder befleckt die Täuschung seine Erleuch- "Erlangt" werden kann Erleuchtung nicht:
tung? Falls er seine Täuschung zu Erleuchtung wandeln kann, ist es
"Diese Erleuchtung existiert frei in den Buddha- und Dharmahallen
dann immer noch Täuschung?"481
aber sie kann nicht von einem alten Novizen erlangt werden.,,486 '
Das erneute Hervortreten der entscheidenden Frage wird dann mit dem Ziel
Erleuchtung ist kein Objekt, das erlangt werden könnte und Nicht-
der übung gleichgesetzt:
Er,leuchtung kein bedauernswerter Zustand. In "Beständige Entwicklung jen-
"Das letzte Ziel unserer übung ist es herauszufinden, ob ein großer seits von Buddha" sagt Dögen:
Erleuchteter der Täuschung unterliegen kann. ,,482
"Wir können nicht behaupten, daß es keine heiligen Wahrheiten ü-
bung ~d Erl.~uchtung gibt, noch können wir sagen, daß es heilige
Er kommt zu folgendem Resümee:
WahrheIten, Ubung und Erleuchtun~ gibt. Nichts kann erlangt wer-
"Die große Erleuchtung schließt die Täuschung ein und kümmert sich den, nichts kann ergriffen werden.,,48
nicht um groß oder klein. ,,483
Do~entieren nicht die, Aussagen Dögens ganz ebenso wie die der späten
Schließlich ist die Täuschung sogar die Bedingung für die Erleuchtung, aber Semmare Lacans den (nie vollständig vollziehbaren) übertritt dorthin, wo
nicht in einem Ablösungsverhältnis, sondern einem der gegenseitigen ein Subjekt in der Dit-mension von Unbewusstem und symbolischer Ord-
Durchdringung. Wer sich hier täuscht, wäre der Narr, der nicht irren will. nung, in der Mo?stration des analytischen Diskurses, resp. der Darlegung
Die Erwägungen gipfeln in dem Satz: des Dharma, gleIChsam spielend mit den konstituierenden Begriffen, sein
"Nur die Täuschung kann die große Erleuchtung suchen, außerhalb perrinierendes, "wie aus einem Faß rinnendes" Maß findet?
der Täuschung können wir niemals die große Erleuchtung fmden.,,484 "Um .au~ eine treffende Weise mit diesem Knoten zu operieren, müs-
sen SIe Ihn blöde gebrauchen. Lassen Sie sich von ihm zum Narren
Das Verhältnis von Täuschung und Erleuchtung ist keines des gegenseitigen halten. Geraten sie über ihn nicht in den zwanghaften Zweifel. Knau-
Ausschlusses. Beide sind untrennbar miteinander verbunden: sern Sie nicht zuviel.,,488
"Die Priester der heutigen Zeit denken, daß es zwei getrennte Stadien
gibt: unerleuchtet und erleuchtet. Sie glauben, daß das Unerleuchtete Wenn dieses Fass, die black box des Unbewussten, aus der jenes Wissen
von irgendwoher oder von irgendwem erleuchtet wird. Aber sogar rinnt, das sich selbst nicht weiß, angestochen ist, kann Vertrauen entwickelt
diese Vorstellung ist nichts als die große Erleuchtung. ,,485 ,":erden, jenseits des Normativen, diesseits der Täuschung, wo ein Nicht-in-
dIe-Irre-Gehen unweigerlich mit dem Sich-narren-Lassen verbunden ist.
dass das Unerleuchtete von irgendwoher oder von irgendwem erleuchtet 6.8.1 Das neue Bündnis
wird... Da dem nicht so ist, bleibt nur das Sich-narren-Lassen, um nicht in
Lacans ,neue~ Bündnis' mit der Lehre Freuds modifiziert das ,alte Testa-
ment' von Tneb- und Neurosenlehre und evoziert einen Übertritt in das ,E-
481 Ebd.
482 Ebd.
483 Ebd. 486 Ebd., S. 58
484 Ebd. 487 Dogen, E.. Shobogenzö, Band II, S. 15
485 Ebd., S. 60 488 Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 11
218 219

schaton' einer ,ultimativen Wirklichkeit', dargestellt mittels der,borromäi- ,,[...] dann hat er nach oben hin nicht mehr die Haltung sehnsüchtigen
schen Beziehungen' von Realem, Imaginärem und Symbolischem. Die Sichanklammerns, hat nach unten hin sich selber aufgegeben und ist
Wahrheit zu sagen in diesem ,neuen Reich' bedeutet, im Sprechen zu reali- die ganze Zeit wie närrisch und verbohrt. ,,490
sieren, dass Diskurs wie Begehren stets die des anderen sind. Das Nennen
der Namen der Gegenstände der äußeren Realität wird hier zu nichts als ei- Die ,beiden Seiten' sind: einmal die Annahme, es gäbe Objekte des Begeh-
nem "Durchstreifen der Leerheit" zur Realisierung des "bon dire" als neuem rens ("nach unten hin"); zum anderen das Vertrauen auf die Versichertheit
ethischen Postulat, das dazu auffordert, an den richtigen Stellen zu schwei- durch Buddha, seinen himmlischen Willen, irgendein Groß A ("nach oben
gen und an den richtigen zu sprechen, was voaraussetzt, der Dynamik der hin"). Die Supponierung einer Versichertheit des Subjekts durch Groß A
Übertragung geöffnet sein, denn nur so ist dem Lauf der SignifIkanten zu produziert Subjekte wie den Kaiser aus dem Bodhidharma-Koan: Narren,
folgen möglich. Die ,letzte Wahrheit' innerhalb dieser ,ultimativen Wirk- die nicht irren. Die Nicht-Narren, die irren, erscheinen, wie Bodhidharma
lichkeit' haben der authentische Analytiker und der Meister des Zen zum selbst, wie Idioten:
gemeinsamen Feind. Zu diesem Thema lässt sich Dögen wie folgt verneh-
"Auch solche, die im WEG sich üben, bringen es nur schwer soweit,
men:
daß sie wie närrische Idioten werden. [...] Die närrische Idiotenart, die
"Es [das Prinzip der erleuchteten Meister,J.A.] ist wie ein zerbroche- gibt es so leicht nicht.,,491
ner Schöpflöffel. Sie töten Buddha, wenn sie Buddha begegnen, weil
sie dann, wenn sie Buddha begegnen, Buddha töten. Wenn sie versu- Hier ist Vorsicht geboten. Deshimaru Roshi sagte, Bezug nehmend auf eine
chen, in den Himmel zu kommen, wird der Himmel zerbrechen; wenn gewisse emphatische Rezeption des ,Zen im Westen' und der Statements der
sie sich zur Hölle bewegen, wird die Hölle zerschmettert. Wann im- Meister, die der abendländischen ratio, derer man überdrüssig war, anschei-
mer sie jemandem begegnen, lächeln sie dumm; sie tun nichts ande- nend spotteten:
res, als in Verwirrung umherzuwandern und reden dumm im "Daher wird man nicht durch Bildung, Gelehrsamkeit, logisches, rati-
Schlaf.,,489 onales Denken oder den Intellekt ein wahrer Meister. Idiotie ist (aber)
auch kein Kriterium.,,492
Das volle Sprechen, das stets das des anderen ist, ,bricht' jede ,letzte Wahr-
heit' und zwar aus Prinzip, weil es nicht anders kann. Es realisiert in seiner Das erratische Sprechen der "närrischen und verbohrten" Meister ist nicht
Rede, dass Gott tot ist, es ist nicht (nur) Sagen, dass Gott tot ist, sondern tötet das von Schwachsinnigen oder dem Einfluß von zu viel Alkohol zuzuschrei-
493
Gott im Sagen, dass Gott tot ist zu seiner eigenen Realisierung, basierend auf ben , sondern resultiert aus dem Wissen der Kastration und ihrer Anerken-
und zugunsten der Anerkennung der symbolischen Kastration des anderen. nung. Die Realisierung dieses ethischen Motivs erscheint nur zuweilen wie
Sein Sagen ist diese Realisierung in actu. An die Stelle der Orientierung der eine Hybris. Indem es aber zugleich zum Gegenstand der Rede macht, was
Rede an Groß A tritt die Realisierung dessen, dass der Diskurs der des ande- sie ermöglicht (die Nicht-Versichertheit, das Loch), stellt sie die "Geburt der
ren ist. Wahrheit im Sprechen,,494 dar. Im Meister-Diskurs, anders als bei den Hyste-
Aber es werden, nicht nur bei Dögen, stets ausdrücklich Warnungen ausge- rischen, für deren Diskurs Lacan ja diese berühmte Formel ersann, ist,
sprochen. Der Weg der "offenen Weite" ist gleichzeitig ein schmaler Grad.
Das ,Loslassen' muss ,zu beiden Seiten hin' in einem Höchstmaß erfolgt
490 Bi-Yän-Lu, Meister Yüan-wu's Niederschrift von der smaragdenen Felswand, Band I S.
sein. Ein chinesischer Meister, noch ein paar Generationen vor Dögen, sagte 433 '
folgendes: Wenn der "Schöpflöffel zerbrochen" ist (dieses Instrument, mit 491 Ebd.
dem man Weisheiten aus dem Himmel schöpft), 492 Deshimaru, T.. I Shm Den Shin, S. 7
493 Eine Betrachtung solcher Fälle, die auch vorkommen, fmdet sich (mit den entsprechenden
Literaturverweisen), ~n.: Gottwald, P.: Zen im Westen - neue Lehrrede für eme alte übung,
darm das Kapitel: "über Licht und Schatten, Gutes und Böses, Gott und Teufel als von
Menschen Ersonnenes - ebenso viele Versuche, Sich in der Welt zurecht zu fmden und
emzunchten" (S. 178f.)
489 Dogens, E.. ShObogenzo, Band H, S. 14 494 Vgl.. Lacan, 1.: Schr. I, S. 94f.
221
220

gleichgültig was er artikuliert, stets die Markierung eines Fehlens inhärent, 6.9 Jenseits des Spiegelbildes
eines Fehlens von dem er Zeugnis gibt und eines Fehlens, das, fehlte es War das eine schleichende Krankheit oder
nicht, ein sich~res Wissen verbürgte. Bei den Hysterischen aber fehlt die An- der Beginn der Heilung?(Dieter Wellers-
erkennung dieses Fehlens, eines Mangels, der hier genau zu erkennen 1st als hofJ)
der Mangel im anderen.
Weder das Dharma noch das Unbewusste und die symbolische Ordnung, zu Der (sich narren lassende) erleuchtete Mensch sieht nicht in den Spiegel des
denen der Zugang ~eöffnet wird durch die Anerkennung der symbolischen Spiegelstadiums, denn es sind, mit den Worten Lacans,
Kastration, sind ein Wohnort, ein Habitat. Das Unbewusste ist "struktunert
,,[...] keine zwei gegeneinandergestellten Spiegel nötig [...], damit die
wie eine Sprache", aber die Sprache ist nicht, wie schon betont, das ,,~aus
Reflexionen des Palastes der Trugbilder bereits erschaffen sind
des Seins", wie bei Heidegger. Rekurs auf das Unbewusste bedeutet bel La- [ ... ]"496,
can vielmehr, wie M. Bowie schreibt, die
,,[...] Bereitschaft, sich damit abzufmden, dass ~lles, was in den ,Be- Das Auge selbst ist nämlich schon ein Spiegel; in sich leer, nimmt dieser
reich der Rede fällt, bastardisiert wird, sowie [die] Bereitschaft, emen Spiegel, der das Auge ist, alle Bilder in sich auf. Die sogenannte Buddhana-
P~ zu schließ~n ~it d~n .-:~~paltlillgen und Unvollkommenheiten, tur wird häufig mit einem leeren Spiegel verglichen. 497 Wie dieser bleibt sie
die jede Rede mit Sich brmgt. von den Bildern, die sich in ihr spiegeln, unberührt. Was im leeren Spiegel
sichtbar wird, ist weder das ,wahre Sein' im Unterschied zur Täuschung,
Da die Konturen des Unbewussten beweglich sind und es auch ungleich nicht die Wahrheit im Unterschied zur Lüge, sondern die Welt, wie sie sich
mehr Konzentration Ernst und Disziplin erfordert, ihnen zu folgen, als sich zeigt jenseits solcher Dualismen und Oppositionspaare. Es ist die Welt der
innerhalb der Koordinaten einer Wissenschaft zu bewegen, die den Diskurs Leerheit.
von sich aus konstituiert, ist also Lacans Ansatz streng genommen genau wie Der "große, alte Spiegel", von dem Dogen spricht, ist der "leere Spiegel".
der der Zen-Meister mit dem der kurrenten Wissenschaften vom Menschen Das Erscheinen der Dinge im "alten Spiegel" der Buddhanatur setzt das Ver-
schlicht inkompatibel. Das Unbewusste, anders als die Gegenstandsbereiche lassen, das Zurücklassen des Raumes des Spiegelstadiums voraus. Das
und Objekte der Wissenschaft, ist nichts Festes, fest Umrissenes. Man, karm Schwinden dieses Raumes, das Verschwinden aus diesem Raum und das Er-
es nicht besitzen. Ebensowenig ist es möglich, in das Dharma wie m em scheinen des "leeren Spiegels" eröffnen einen neuen, anderen Spielraum.
Haus einzuziehen. . . Wo der Narzissmus vorwaltet, wird die Rettlillg in der Reinhaltlillg des Spie-
Das Sprechhandeln des späten Lacan wie das der alten Zen-Meister s~d ~in gels gewähnt und seine Beschmutzung mutet an wie der Ernstfall der Exis-
nahezu oppositionsloses Sagen, produzieren gleichwohl pe~anent die Dif- tenz. Lacans Invektiven gegen den ,Diskurs der schönen Seele' markieren
ferenz, die allerdings auf keine neue Identität projezierbar 1St, weshalb a~ch hier die Differenz. Gegen die Zumutlillgen der Epoche stellen die ,Schön-
die Diskurse über Lacan und über das Zen so leicht fehlgehen. In semer
Wirkung bewegt sich ein solches Sprechen in der Sparmung von ,die W~­
heit sagen', ,verführen', ,zur Wahrheit verführen' un~ nicht zuletzt ,Z~U~lllS 496 Lacan, 1.. Semmar X, Die Angst, 2. Teil, S. 71
:m
ablegen', Sein Sinn erzeugt sich in Jedem A~genbhck neu d es nsklert, 497 "Buddhanatur" Ist die Übersetzung von buddhatä aus dem Sanskrit. Eigentlich heißt es Be-
Unsinn zu produzieren, "Stuss", wie Lac~ im R.S.I.-.Se~m~ sagt. Aber schaffenheit: chineSisch scheng Gap. sM) W. Gundert schreibt dazu: "Vielfach übersetzt
man diesen Ausdruck mit ,Natur' Ihn wählten die chmeslschen Buddhisten zur überset-
diesen "Stuss" produziert zu haben, heißt nicht notwendig, m die Irre gegan- zung der Endsilbe -tä in abstrakten Begriffen der Sanskntsprache wie buddhatä, dharmatä,
gen zu sein. tathätä, d.h. Buddhaschaft, Dharma-Eigenschaft, Sosein. Da sich dieses scheng (im Unter-
schied zu der mdogermanlschen Substantivierung) vom vorausgehenden Begriff ablösen
läßt, so erhielten sie damit emen selbständigen Ausdruck ftlr den Begriff »wahre, eigentli-
che Natur oder Beschaffenheit« des sogenarmten Seienden und des Ich. So z.B. m dem
Ausdruck djiän-scheng Gapanlsch ken-shö), EinSICht m die eigene, ursprüngliche Natur,
die wahre Beschaffenheit memer selbst." (in: Bi-Yän-Lu, Meister Yüan-wu's Niederschrift
von der smaragdenen Felswand, Band 1)
495 BOWle, M.: Lacan, S. 111
222 223

geister' die Reinheit ihrer höheren, eigentlichen Bestimmung. Also wenden sich auf ihre Art aus dem "Wespennest des Idealismus"so3 herauszuwinden
sie sich ihrem Bild zu, einem Bild von sich. versucht, so hat sich auch das echte Zen immer als Medizin gegen jede Ver-
N. Bolz hat in einem inspirierten frühen Essay über die "Verwindung des suchung der Huldigung an dieses Ideal verstanden. Viele privatistische Zen-
Erhabenen,,498 mit Hilfe nietzschescher Formeln gezeigt, wie es keine Ver- Zirkel, durch Bücher oder zweifelhafte Proselytenmacher inspiriert, reüssie-
windung des Traumas der Geborenheit im Zeichen der ,schönen Seele' ge- ren jedoch mit unvermindertem Erfolg auf dem Gebiet des Schöngeistigen.
ben kann. Das Erhabene, schreibt er, ist die Verwindung des Schrecklichen, Auf diesem Niveau aber sinkt das Zen auf die Höhe der vielen Derivate des
der "Gorgomaske der Urszene". Aber auch das Erhabene selbst verlange Willens zur Ganzheit und Unversehrtheit im Selbstverwirklichungsmilieu,
noch nach seiner Verwindung und dies geschehe im ,schönen Schein', der die als Reparaturunternehmen mit den Zivilisationsschäden auch gleich die
bei Nietzsehe als Antidot zur ,schönen Seele' fungiere, weder als ihr Aus- konstitutive Unangepasstheit des Menschen wegzudelirieren sich anheischig
druck, noch als ein Gegensatz zur Wahrheit. Die Wahrheit hat den Schein machen. Dem schöngeistigen Ideal zu huldigen, dem ,Ideal der schönen See-
nötig, um erscheinen zu können. Damit die Schönheit erscheinen kann- le', das eigentlich nur eines des Willens zur ,schönen Seele' ist, denn ihm
nach Nietzsehe ist sie "das gnädige Herabkommen der Macht ins Sichtba- zugrunde liegt, wie auch Nietzsehe erkannte, eine monströse Hässlichkeit,
re,,499 - muss der Erhabene entspannen lernen. Nietzsches Bilder vom "Na- hat für das echte, authentische Zen etwas Ridikulöses. Wie die folgenden
cken des Stiers" mit dem "Auge des Engels" oder dem "römische(n) Cäsar Beispiele zeigen werden.
mit Christi Seele"soo huldigen einem anderen Ideal als dem der ,schönen
Seele' und dienen sogar noch dazu, genau dieses zu ridikülisieren. Ein Un- Die zwei berühmten Spiegelgedichte, in eine der Legendenbildung zugute
terscheidungsmerkmal ist, dass der Erhabene nicht lacht. Wer aber nicht zu kommende Narration eingewoben, die die denkwürdigen Umstände einer
lachen lernt, wird ridikül. Weitergabe des Dharma-Siegels an den sechsten Dharmaerben Eno zum Ge-
Nietzsches und Lacans Invektiven gegen das ,Ideal der schönen Seele' sind genstand hat, markieren paradigmatisch die Grenzlinie. so4 Das erste Gedicht,
leicht auf ein idealistisches, schöngeistiges Zen zu münzen, das ganz mit sich das des vermeintlichen ,Zen-Musterschülers' Schen-hsiu, der bezeichnen-
selbst beschäftigt ist und das Ideal nirgends als im Spiegel erblickt. Persona- derweise immer mit dem Epitheton ,Dichter' genannt wird, lautet fol-
le Würde und Integrität stellen sich hier her über die narzisstische Projektion, gendermaßen:
über das Spiegelbild. Das Subjekt vergewissert sich seiner selbst über sein
Bild und bleibt unbefleckt von den Zumutungen der Epoche und herausge- "Der Leib, das ist der Bodhi-Baum,
der Geist, er gleicht dem klaren Ständer-Spiegel.
nommen aus den Sackgassen des Sozialen. Ein solches Zen findet leicht sei-
Wisch ihn denn immer wieder rein,
nen Platz in einer vom Bedürfnis nach Wiederherstellung fundamentaler Be- Laß keinen Staub sich darauf sammeln!"sos
schädigungen umgetriebenen Moderne und Postmoderne, deren Ichs als
"schöne Seelen" Form annehmen wollen. Lacan schreibt:
Das Gegengedicht des (der Legende nach) des Schreibens unkundigen Hsüä-
,;Das Ich des modernen Menschen hat [...] in der schönen Seele als feng, jap. Eno (er hatte einen Mönch gebeten, es nach seinem Diktat zu
einer dialektischen Sackgasse seine Form angenommen."SOI schreiben), lautet:

Die schöngeistige Gegenwelt ist Domäne und Refugium des intellektuellen "Im Grunde gibt es keinen Bodhi-Baum,
noch gibt es Spiegel und Gestell.
Narziss, "in der sein Diskurs deliriert"So2. Wie die Psychoanalyse Lacans

498 Bolz, N.: Die Verwindung des Erhabenen, S. 165ff. 503 Ebd.
499 Zit. n.: Ebd, S. 168 504 Vgi. hierzu: Bi-Yän-Lu, Meister Yüan-wu's Niederschrift von der smaragdenen Felswand,
500 Nietzsehe, F.: Sämtliche Werke, Band 11, S. 289 Bd.l, S. 143f.
501 Lacan, 1.: Sehr. I, S. 123 505 HUI-Neng, Das Sutra des sechsten Patriarchen, S. 30
502 Ebd. 638-713
224 225

Da ist ursprünglich kein (einzigeu Ding - heißt es dort. 507 Die tagtägliche Arbeit der Wiederherstellung, die der Beam-
wo heftete sich Staub denn hin?" 06 te der Pflicht leistet, dient der steten Erneuerung der Illusion. Die Arbeit des
pflichttreuen Beamten und das Bild des Narziss verschmelzen so überra-
Shen-hsiu's Spiegel ist das Objekt der Verehrung in einem schöngeistigen schenderweise in eins. Diese Haltung wird getragen von einer fiir den Pseu-
Zen. Es ist der Spiegel des Spiegelstadiums, sein ,Besitzer' ist der Narziss doheiligen wie fiir den Beamten der Pflicht typischen Hypertrophie.
par excellence, der hier die Ich-Obsession auf eine nicht alltägliche Höhe Die Zen-Übung zielt jedoch gerade nicht auf eine Rekonstruktion und Wie-
treibt. Hervorsticht die geradezu kosmische Opazität dieses Geräts seines derherstellung des Bildes, sondern gerade auf die Destruktion des
(masturbatorischen) Selbstgenusses. Hsüä-feng's Spiegel dagegen ist nichts, (Schutz)Schirms des Narzissmus und damit auf die der imaginären Einheit
was man besitzen könnte, nichts, was verunreinigt werden könnte, also auch des Ich. Der Schreiber des ersten Gedichts aber missversteht sie als eine Me-
nichts, was der Reinigung bedürfte. Hier ist der Schirm des Narzissmus thode zur Erlangung von reiner Vollkommenheit, resp. vollkommener Rein-
durchbrochen. Hsüä-feng haftet nicht am Bild seiner selbst, ja nicht einmal heit. Das Unternehmen verbleibt gänzlich im Imaginären, in dessen Stell-
an der menschlichen Form. rahmen das Bild nicht als (nur) Bild erkannt wird, nicht seine Flüchtigkeit
Das Begehren, dem im Bild vermeintlich nur Abgebildeten Dauerhaftigkeit und Nicht-Substanzhaftigkeit. 508
zu verleihen, sich seiner selbst als sich gleichbleibenden Seins zu vergewis-
sern und im selben Zuge die Strebung, durch die Identifizierung mit dem
Spiegelbild dem infantilen Phantasma der Allmacht Nahrung zu geben, spre- 507 "Ist man von der großen Führerin abgefallen, / so gibt es Menschlichkeit und Pflicht, /
chen sich im ersten Gedicht mit penibler Penetranz aus. Die sich als Sorge Wissen und EinSicht kommen hervor, / Und es gibt großes Getue. / Sind die sechs Ver-
wandtschaftsgrade unems, / so gibt es Kindespflicht und Elternliebe. / Ist die Reichslen-
artikulierende Warnung des Verfassers vor einer Verunreinigung des Spie- kung verdüstert und verwirrt, / Dann gibt es die treuen Beamten." (Lao-Tse: Tao-Te-King,
gelbildes deutet jedoch auf die Kehrseite einer faktischen Versehrtheit, die S. 26, Der achtzehnte Spruch) - Das hier Gememte lässt Sich mltteis einer Textstelle aus
im Bild nicht al.lftauchen darf, ja deren Verleugnung das Bild ist. Die ver- Böhme, H./Böhme, G.. "Das Andere der Vernunft" plausibilisieren, wobei wir zummdest
wendeten Metaphern künden als Metonymien dieser Versehrtheit von der Zweifel anbnngen wollen, ob ihre Deutung Kant, auf den sie gemünZt ISt, tatsächlich ge-
ständigen Bedrohung, das Unternehmen könne misslingen, durch dieses recht Wird. Aber eine "Philosophie der Pflicht" m Verschlungenheit mit dem Narzissmus
darzustellen, taugt sie vorzüglich: "In der Abhängigkeit von dem tragenden, sicheren Ob-
selbstgeschaffene monadische Zentrum der Unversehrtheit könne das Ver- jekt Königsberg liegen zugleich Omnipotenz und grenzüberschreitende Umversalität. Die-
leugnete hindurchscheinen. Anders gesagt: Der Verfasser fiirchtet, aus dem sen Widerspruch memt die ,Impotent ommpotence' [...]. Die anklammernde Angst Kants
Bild fallen zu können, das ihn vor der Alienation im anderen bewahrt und bormert mcht, sondern verleibt Sich die Imagmäre Weite und universale Welthaltigkelt des
Objekts em, zu dessen Teil SICh Kant unbewußt phantasiert. Königsberg am Meer Ist mcht
worin er seine Rolle gefunden hat als Zeremonienmeister der eigenen Unver- nur der Mittelpunkt der Welt, sondern enthäit diese m symbolischer Repräsentation. [...]
sehrtheit. Die Selbstinszenierung geschieht als Leugnung des Mangels und Wer m Königsberg lebt, dem ist der Gesamtumfang der Welt präsent. Einsoiches Phan-
der Nicht-Ganzheit. Sobald sein Bild von sich, zur Verwechslung gebracht tasma ISt erklärlich nur, wenn man es aus der Psychodynamik der archaischen Verschmel-
mit einer ursprünglichen Ichselbstheit, Schaden nähme, gälte es, an der Wie- zung mit dem omnipotenten Objekt, das Kömgsberg symboliSiert, verstehen iernt. Kant hat
derherstellung des Imaginären ad tntegrum zu arbeiten. iebensiang den Beweis anzutreten versucht, daß dieses ungeheure Phantasma kemes ist,
sondern Wahrheit und Wirklichkeit. Kant ersehnt die ommpotente Welthaltigkelt und ver-
"Wisch ihn denn immer wieder rein", meidet die Impotenz, die ihn an seinen Ort barmt wie einen Gefangenen und zu realer Ob-
jektverfügung unfähig macht." (S. 466) Und weiter S. 468: "In den Barm emer unauflösli-
chen Symbiose mit der Mutter geschlagen, in den der Traum der Allmacht emgeschlossen
Der Geist des Dichters verträgt sich interessanterweise ausgezeichnet mit der ISt, mobiliSiert Kant alle Energien m das Dementi der Angst, Abhängigkeit, Bewegungsun-
Mentalität des in die Pflicht eingetretenen konfuzianischen Beamten, wie er fllhlgkelt und Ohmnacht semes Lebens wie in den Beweis der Souveränität, Freiheit, UnI-
bereits im Dao te king mit Hohn bedacht wird. Ist der "alte Spiegel" verlo- versalität und allumfassenden Welthaltigkelt semes Wissens."
ren, ist vom Dao abgewichen, so gibt es nur noch "die treuen Beamten", 508 Wie das Bild des DiChters und des pfliChttreuen Beamten m ems verschmelzen, so auch
das des Im heideggenschen "Ge-Stell" gefangenen modernen Arbeitsmenschen und des
NarZISS. - ErstaunliCh ISt JedOCh, dass die das Gedicht-Koan behandelnden Kommentare
aus neuerer Zeit dem SChen-hsiu durchaus auch sem Recht lassen. Kommt hierbei nun der
echt buddhiStische Geist des Mitleids und der Sorge, an die gerichtet, die zur Höhe des
zweiten Gedichts - diese Höhe smd die Niederungen des Lebens - nIcht vorzudringen
506 Ebd., S. 38 vermögen, zum Vorschein oder ist hier auch bereits die narzisstische Verblendung am
226 227

Derjenige, der sich nicht im Spiegel des Spiegelstadiums erkennt, schaut in Spiegelgleichnis stelle zwar die unbegrenzte Durchdringung aller
den in sich leeren Spiegel. Taisen Deshimaru Roshi fmdet folgende Formu- Dinge im Raum dar, es gäbe jedoch keine analoge Ausdrucksweise
lierung für den Dögenschen "alten Spiegel", der nicht der Spiegel des Spie- für die gegenseitige Durchdringung aller Zeitmomente und erst gar
gelstadiums ist: nicht für das Zugleich-sein und Ineins-sein von Raum und Zeit."sl2
"Ich bin der Spiegel, aber was sich spiegelt, ist nicht Ich.,,509
Die Kenntnis der wahren Natur des Spiegels fUhrt in die Dimension von
wahr und von Weg, worin weder Irren noch Fehler-machen ein in die Irre
Es ist genau der Spiegel, von dem Lacan in seiner Seminarreflexion über den
gehen sind. Lacan reflektiert über Auge, Spiegel und Reflex im Anschluss an
japanischen Buddhismus spricht, davon ausgehend, dass "das Auge bereits
die oben bereits zitierte Stelle:
ein Spiegel" ist:
,,[...] dass das Auge bereits ein Spiegel ist; dass das Auge, würde ich
"Dass das Auge, wurde ich sagen, die Welt als Raum organisiert; dass
sagen, die Welt als Raum organisiert; das es das spiegelt, was, im
es das spiegelt, was, im Spiegel, Reflex ist.,,5lO
Spiegel, Reflex ist; dass aber dem schärfsten Auge der Reflex sicht-
bar ist; [es folgt die bereits zitierte Stelle, J.A.] dass, kurz gesagt, kei-
Wenn kein In-den-Spiegel-Sehen ist im Sinne des Spiegelstadiums,
ne zwei gegeneinandergestellten Spiegel nötig sind, damit die Refle-
"zeigt ein glanzloser Spiegel ihm [dem Auge, lA.] eine Oberfläche, xionen des Palastes der Trugbilder bereits erschaffen sind. ,,513
auf der nichts sich reflektiert. ,,511
Die auf der Ebene des Ego ent-täuschende und gleichzeitig mitten in die Er-
Das ist die Dharma-Welt, durch das Auge selbst "als Raum organisiert": der leuchtung fUhrende Gewahrnis des Raumes als Raum der Leerheit, ultimati-
buddhistische Spiegel. Täuschung und ,Irrung' erscheinen in ihm konstitutiv. ve Wirklichkeit und gleichzeitig "Palast der Trugbilder" ist das Aufgehen
Deshalb, so Dögen, vertiefe einer im selben Maß, wie er seine Erleuchtung des Dharma, einer (vom Spiegel-Ich) erlösten Welt, jenseits von gut und bö-
vertieft, auch seine Illusion und deshalb gibt es im Zen diese Rede von der se. Hier verliert die Unterschiedenheit von Täuschung und wahrer Erkennt-
Identität von Erleuchtung und Verblendung. Dieser leere Spiegel jenseits des nis, jenseits dieser Dimension notwendig und nützlich, ihre Geltung. Aber
Spiegels des Spiegelstadiums ist die Sphäre des Dharma. Fatsang, einer der um in der Welt der Unterschiede das richtige Maß zu fmden, muss man die
berühmteren frühen chinesischen Zen-Patriarchen veranschaulichte die "andere Seite", die Welt des "großen, alten Spiegel(s)" kennen.
Wunderbarkeit des "großen, alten Spiegels" im Experiment: Das Zerbrechen des Spiegels des Spiegelstadiums :fii.hrt also in eine Dimen-
sion, wo das Auge selbst der Spiegel wird. Der Appell an die Wahrheit be-
"Berühmt ist die Veranschaulichung der Dinge im Raum, die der drit-
te Hua-yen-Patriarch Fatsang (643-712) der chinesischen Kaiserin deutet für die Analyse immer nur, so Lacan, sich nicht über das Konstitutive
Wu vorge:fii.hrt haben soll. Er ließ eine Halle des Kaiserpalastes an al- der Täuschung zu täuschen.
len Seiten, auch an Decke und Boden, mit Spiegeln ausstatten. In die Die bonno sind satori und satori, das ist nichts anderes als die bonno, so
Mitte stellte er neben eine brennende Fackel ein Buddha-Bild. Die lehrt das Zen. Das Symptom zu lieben, rät Lacan. Denn es gibt nicht das rei-
Kaiserin schaute das leuchtende Buddha-Bild nicht bloß einmal in al- ne, echte Wesen hinter den Erscheinungsformen, so wenig wie ku, die Leer-
len Spiegeln ringsum, sondern zugleich die Spiegelungen der zahllo- heit, hinter shiki, den Erscheinungsformen. Form ist vielmehr Leerheit und
sen Spiegel und wiederum die Spiegelungen der Spiegelungen, ein Leerheit ist Form. Es kommt nur auf die Gewahmis der Natur des "großen
unendliches Schauspiel. Sie begriff, hoch erfreut und geistig erschüt- Spiegels" an.
tert, den Sinn der Symbolsprache. Doch Fat-sang erklärte ihr, das Es sind, so Lacan, nicht zwei gegeneinandergestellte Spiegel nötig, um den
"Palast der Trugbilder" zu erschaffen. Wenn Klarheit über die Natur des
Werk? Gleichwohl, ftlr manche mag es das Beste sem, sich an Schen-hslU ein Beispiel zu
nehmen.
509 Deshimaru, T.. D6kan, S. 166
510 Lacan, J.: Seminar X, Die Angst, 2. Teil, S. 71 512 Dumoulin, H.: Geschichte des Zen-Buddhismus, Bd. 1, S. 52
511 Lacan, J.: Schr. III, S. 166 513 Lacan, 1.. Seminar X, Die Angst, 2. Teil, S. 71
228 229

"großen, alten Spiegels" herrscht, ändert, einen Spiegel in den Spiegel zu deutung des zerbrochenen Spiegels und der
stellen, nichts an der Natur des "großen, alten Spiegel", Dögen sagte: gefallenen Blüte zu fragen, zeigt ein großes
Verständnis für die Täuschung eines Er-
",Ein klarer Spiegel erscheint' bedeutet, dass selbst wenn ein klarer
Spiegel kommt, nicht zwei Spiegel da sein werden. Wenn wir sagen,
leuchteten. (Dögen)
dass es keine zwei Spiegel gibt, meinen wir, der Alte Spiegel ist ein- Ob das Warten auf ein Satori als mystisches Super-Event, auf "supranormale
fach der Alte Spiegel, und der klare Spiegel ist einfach dieser klare Erkenntnisse,,517 oder den Tod des Herrn, wie beschrieben im vierten Kapitel
Spiegel.,,514
von Hegels "Phänomenologie des Geistes", das Warten auf die sichere Ich-
Basis als Ausgangspunkt für das In-der-Welt-Sein oder das Warten darauf,
Die "große Gloriole" im folgenden Zitat meint die Welt des Dharma, den baldmöglichst zu "brummen, schnurren in der Lust", was ja, wie Lacan sagt,
"großen, alten Spiegel"; mit dem "Spiegel aus Jade, Kupfer, Fleisch oder durch die Alienation im anderen ein für alle Male verloren ist; im Grunde
Mark" ist nichts anderes gemeint als der Spiegel des Spiegelstadiums: handelt es sich stets um dasselbe Phänomen. Die Analyse, sagt Octave Man-
"Die große Gloriole ist nicht Weisheit, noch Wahrheit oder Essenz, noni in Lacans Seminar über "Freuds technische Schriften", kann einem,
noch Form alleine. [...] Alle Buddhas besitzen nicht alleine Weisheit, dessen Weise, "mit seinem Sein zu agieren", vom Aufschub bestimmt ist, zu
und Weisheit alleine kann nicht Buddha genannt werden. Wir sollten einer "anderen Form des Wartens" werden. Das Warten in der Analyse re-
das studieren: Weisheit alleine zu klären wird den Buddhistischen produziere in gewisser Weise das Warten im Leben. 518 Im Zen gibt es ein
Weg nicht aufhellen. [...] Diese Glorie ist keine, die wir in dieser oder vergleichbares Phänomen: das sogenannte Erwartungszen. Man übt Zazen,
der nächsten Welt erreichen sollten; noch ist sie ein Spiegel aus Jade, um erleuchtet zu werden oder wenigstens, um besser Konzentration erlangen
Kupfer, Fleisch oder Mark. ,,515 zu können. Doch im Grunde gibt es gar keine Ziele der Übung, denn die ü-
bung selbst ist das Ziel. Der Weg eben ist das Ziel und Zazen ist Satori. In
Die Worte der Meister verdanken sich weniger der Überlieferung als der den Meister-Diskursen genießt das Erwartungszen den schlechtesten Leu-
Schau des "großen, alten Spiegels": mund. Wie die Depression bei Lacan wird das Aufschieben und Erwarten als
"Solche Worte wurden nicht von einem Lehrer oder aus Sutren ge- eine Art moralischer Defekt angesehen, für den das Subjekt die Verantwor-
lernt, aber durch das Aufgehen der Glorie vor ihm. Seit seiner Kind- tung trägt.
heit war es sein Brauch, den Spiegel einfach mit vollständiger Weis- Es geht eben weder um ein existentielles Damaskuserlebnis, noch um illumi-
heit anzuschauen.,,516 nierte Super-Satoris, eher schon, viel bescheidener, ein wenig weniger Täu-
schung und Selbstbetrug, Macht, Gewalt und Dummheit. Fragen wie, ob Sa-
tori immer auf einer Täuschung beruht, die Täuschung aber gerade das Satori
6.10 Reden von der Erleuchtung ist, ob es in die Täuschung hineinführt oder aus ihr heraus, sind aus dieser
Warte (der Warte des Wartens) nur Objekte einer nutzlosen Spekulation, die
Wenn die Blüte fällt, ist es gerade das~ und die wahren Probleme noch gar nicht in den Blick bekommen hat.
nichts anderes. Ganz gleich, wie hoch sie Arokiasamy schreibt in dazu passendem Zusammenhang:
auch steht, sie fällt doch. Wenn der Spiegel
zerbricht, ist das der Zeitpunkt der Freiheit. "Das Reden über den großen Zweifel, den großen Tod, den großen
Ganz gleiCh, was für Gedanken auch da Durchbruch und so weiter nährt nur die Ego-Trips der Schüler, die
sind, er spiegelt nicht mehr. Das ist der Zu- Dramatik und das Geschichten-Produzieren, und es kann zu Erfolgs-
stand der Freiheit. Nach der wahren Be-

514 Dögen, E.: Shöbögenzö, Bd. 2


515 Ebd. 517 Lacan, 1.. R/T, S. 42
516 Ebd. 518 Vgl.. Lacan, J.: SI, Freuds techmsche Schriften, S. 359
230 231

und Aufstiegszwängen führen, zu manisch-depressiven Zyklen und zu "Iida Toin Roshi kommentiert das und sagt, daß die ersten 17 Er-
Depressionen. ,,519 leuchtungen Fälschungen gewesen sein müssen. ,,522

Lacan empfahl dem Analytiker, im Stil eines Zen-Meisters zu intervenieren, Auszuschließen ist m.B. aber auch nicht, dass es sich bei Hakuins Ausspruch
wenn die präsupponierten Analytiker "tuschelnd in der Ecke zusammenste- schlicht um einen Witz gehandelt hat, einen adressierten Witz freilich. Mög-
hen" und sich in der Manier vom Geist Heimgesuchter über die Lehre des licherweise hätte er, wenn er Gelegenheit gehabt hätte, auf Iida Toin Roshi
Meisters ereifern. Dem "Reden über den großen Zweifel, den großen Tod, zu antworten, nur müde gelächelt. Er müsste ja eine Strichliste über seine Er-
den großen Durchbruch" entspricht dort eines über die Bedeutung des Phal- leuchtungen gefl1hrt haben. Ein Verdacht, den wir über diesen Meister nicht
lus, den· SignifIkanten des SignifIkantenmangels oder das Reale als das Un- kommen lassen wollen.
mögliche. Derlei ist zu unterbrechen, sagt Lacan, durch "egal was". Gleichwohl: Die mystische Ekstase, der mystische Raptus oder der Erleuch-
tungszustand sind weder im Rinzai-Zen und erst recht nicht bei Dögen Ziel
Plotin hat nach dem Zeugnis des Porphyrius sieben Male die EvOO"t<; erlebt, und Zweck der Übung. Das Satori als illuminative Sensation, womöglich mit
die Vereinigung mit dem Einen als mystische Ekstase, als Entrückung. Es ist einhergehender Stärkung des Ich-Gefühls als verdientem Feed-back medita-
eine nicht so leicht zu beantwortende Frage, ob Ekstase und Entrückung ü- tiver Anstrengungen nimmt sich als Ziel der Übung ridikül aus. Der Geist
berhaupt etwas mit der buddhistischen Erleuchtung zu tun haben. Sicher ist "geistet" - auch hier -, "wann er will". Aber nicht das "Geisten des Geistes"
nur, was Dögen wie folgt ausdrückt: ist das Ziel. Auch ist Samadhi nicht Satori, vielmehr ist eben, wie Dögen
"We~ die Pe~le [der Erleuchtun~ö JA] um den Hals getragen wird, sagte, das Zazen selbst das Satori. (Würde das Soto-Zen mit Koan arbeiten,
ist dIe Person immer betrunken." was nicht der Fall ist, so wäre der Satz "Zazen ist Satori" hier das Koan aller
Koans.) Wäre Zazen die Methode zur Erlangung von Satori, wäre das Zen
nur ein weiteres Format auf der Linie der Therapiegruppen und Selbstfm-
Sicher ist auch,·· dass die Erleuchtung, die mit Unterbrechungen auftritt, dungsseminare. Die Analyse nach Lacan wie das Zen sind aber der "Austritt
zwangsläufIg zum begehrten Objekt wird, das man besitzen will und auf des- aus dem kapitalistischen Diskurs", nicht seine Fortsetzung auf einem ande-
sen Ankunft es sich zu warten lohnt. Es handelt sich in solchen Fällen stets ren Schauplatz.
um ein Missverstehen dessen, was mit Erleuchtung überhaupt gemeint ist.
Deshalb wäre eine Unterscheidung zwischen der Erleuchtung als einem we- Hier sei an die grandiose Geschichte von Rinzais Erleuchtung erinnert, so
der er- noch begreifbaren Nicht-Objekt und einzelnen, zählbaren Erlech- wie er sie selbst in seiner Autobiographie erzählt. Rinzai glaubte sich im Do-
tungszuständen sinnvoll. jo, bei der Übung des Zazen, unvermittelt erleuchtet. Begleitet von Zittern
Auch Hakuin, der berühmte Meister des Rinzai-Zen, war offenbar, genau und Schweißausbrüchen erschien ihm die Stimme des gerade eine Lehrrede
wie Plotin, glaubt man dem Zeugnis des Porphyrius, dem Zählen nicht abge- (kusen) haltenden Meisters unentscheidbar aus weiter Feme und unmittelba-
neigt. Er soll gesagt haben: rer Nähe zu ertönen. Er erfuhr ein Glück, für das sein Körper ein zu kleines
"Ich habe 18 große Erleuchtungen gehabt und meine kleinen Erleuch- Gefaß zu sein schien. Schließlich wandte er sich an seinen Meister und er-
tungen sind zahllos. ,,521 wartete dessen Bestätigung rur die Korrektheit seiner Erleuchtung. Er scheu-
te sich diesem gegenüber nicht auszusprechen, dass, was ihm gerade wider-
Arokiasamy bemüht zu dem Ausspruch zustimmend die Einlassung eines fahren war, wohl seit mindestens zwei- oder dreihundert Jahren der gewal-
zeitgenössischen Meisters: tigste Durchbruch gewesen sei, den ein Zen-Mönch erlebt hätte. Der Meister
jedoch verweigerte ihm strikt jede Anerkennung des Erlebten als echte Er-
leuchtung. Rinzai, vollkommen überzeugt von der Echtheit seines Durch-
bruchs, begab sich auf Wanderschaft und wandte sich an andere Meister, die
519 Arokiasamy, A.M.. Warum Bodhidharma in den Westen kam, S. 72
520 Dögen, E.: Shöbögenzö. Bd. 1., S. 49
521 Arokiasamy, A.M.. Warum Bodhidharma III den Westen kam, S. 72 522 Ebd.
232 233

aber sämtlich sein Anerkennungsbegehren abschlägig beschieden. Nach Jah- der ganzen Kraft unseres Daseins, das ist Buddha, ursprüngliche, na-
ren des Herumwanderns, schon völliger Verzweiflung und der Aufgabe na- türliche Verfassung des Geistes, [...]."523
he, erlebte er dann Folgendes: Er stand morgens, während des täglichen Bet-
telgangs, mit seinen Essensschalen an einer Straßenecke und über ihm ging Wenn bei Dögen doch einmal die Rede davon ist, dass Zazen die Erleuch"
ein Fenster auf. Eine Frau beugt sich heraus und rief ihm zu: "Hey, du! Zen- tung evoziert, dann stets so, als wären Handschuhe anzuziehen vor Berüh-
Mönch da unten...Verschwinde!" Da ging ihm unvermittelt ein Licht auf. Er rung eines solch merkwürdigen Gegenstands. Das Methodische an der ü-
kehrte zurück zu seinem alten und ersten Meister und dieser zögerte nun bung des Zazen besteht darin, dass es der Weg ist, der auf den Weg führt, al-
nicht, ihm zu bestätigen, dass das die echte Erleuchtung war. - Schwerlich so auf sich selbst, oder anders gesagt: Zazen ist das Geschenk, wodurch die
ließe sich wohl eine geeignetere Geschichte ersinnen mit dem Zweck zu zei- Menschen dieser Praxis Zazen zum Geschenk erhalten.
gen, wie es in lacanscher Analyse nicht um Glück, sondern um die Anerken- Obwohl der Leistungsaskese wie jedem forcierten Verlangen nach Erleuch-
nung der symbolischen Kastration geht. tung abhold, ist aber doch Müßiggang für Dögen (die acedia der mittelalter-
Der Gebrauch des Plural wie der von Steigerungsformen beim Sprechen vom lichen Mönche), ein stockendes Sich-Treibenlassen von der Trägheit des
Satori zeugt also wohl in den meisten Fällen von einem Missverständnis. Geistes ebenso ein Greuel wie (erst recht) für Hakuin. Bei Dögen ist nur der
Derlei hätte eher im Diskurs über Drogen und Rausch seinen Platz. Bei Standpunkt, dass es weder etwas zu erlangen, noch etwas zu verlieren gibt,
Dögen wird ja nicht einmal die Absetzung oder Trennung der Erleuchtung radikalisiert. Shimizu weist daraufhin:
von alltäglichem Erleben der Dimension des Dharma gerecht. Im Reden über "Die passive Form in Dögens Ausdruck ,Erleuchtet-werden' wollen
Erleuchtung lässt er eine äußerste Vorsicht und Zurückhaltung walten, wir [...] besonders beachten. [...] Sobald man Zazen übt, sitzt man
nichtsdestotrotz er tatsächlich über nichts anderes redet, woraus unter ande- schon, zu Dank verpflichtet, imjiju-yo zammai aller Buddhas.,,524
rem der Schluss gezogen werden kann, dass er also beim Sprechen generell
eine äußerste Vorsicht und Zurückhaltung übte. Also antizipiert er gewis- Glück und Freude sind nicht das Ziel der Übung des Weges, sie sind der
sermaßen, jenseits von Erleuchtung und Nicht-Erleuchtung, Lacans ethisches Weg selbst. Wie mit Glück und Freude verhält es sich mit der Erkenntnis.
Postulat vom bon dire. Den alten Weg wiederzuentdecken und zu gehen ist das Glück, er führt nicht
Reden über Erleuchtungen von der Art, dass es ist, als ginge das Licht an zu ihm. Der Weg führt nicht zu Glück und Erkenntnis, er ist es. Der Weg ist
und wieder aus, sind für Dögen Ergebnis einer vulgären Leistungsaskese, auf eben das Ziel.
eine Übungsweise sich gründend, die sich an Rekorden bemisst. (Wir zitier- Shimizu drückt das so aus:
tenja bereits Nietzsche, demzufolge nur der Asket weiß, was Ausschweifung
"Diese ursprüngliche Erleuchtung, nämlich die Vorgegebenheit der
ist. Die Erleuchtungen der Asketen sehen dementsprechend auch nicht zufäl-
Buddha-Natur, ist das Apriori für die Übung; [...] Zwischen der ü-
lig immer Ausschweifungen ähnlich.) Das Ergebnis von Leistungsaskese bung und der Erleuchtung besteht also keine Kausalbeziehung.,,525
sind dann eben zählbare Erleuchtungszustände. Auch Arokiasamy betont mit
Nachdruck, dass das Zen nicht die Evokation besonderer Geisteszustände vi- - sondern, wiederum mit den Worten Dögens:
siert. Im Dögen-Zen unterbleiben Erleuchtungszählungen und Unterschei-
dungen zwischen erleuchteten und nicht-erleuchteten Zuständen vollständig. "In der Lehre Buddhas sind Übung und Erleuchtung eins. Da die ü-
Durch die Festlegung, dass das Zazen selbst das Satori ist, erübrigen sich im bung jetzt Übung in Erleuchtung ist, ist die Übung des Anfängers das
Grunde sämtliche Spekulationen über die Erleuchtung als Zustand. Das Za- Ganze der ursprünglichen Erleuchtung.... Da es Erleuchtung in Ü-
zen ist kein Mittel zum Zweck. Kodo Sawaki Roshi sagte:
"Wenn wir einfach in der Lage sind [...], einfach so zu sitzen - ohne
etwas zu ergreifen oder zurückzuweisen, ohne etwas zu suchen oder
zu fliehen, ohne Buddha zu suchen oder die Illusionen zurückzuwei-
523 Zen-Info, Nr.2/2000, S. 16
sen [...], ohne etwas zu produzieren oder zu zerstören [...] -, wenn wir 524 Shlmlzu, M.. Das ,Selbst' Im Mahayana-Buddhismus..., S. 57/58
in der Lage sind, einfach so, mit unserer ganzen Kraft zu sitzen, mit 525 Ebd., S. 58
235
234

bung ist, hat die Erleuchtung kein Ende. Da es Übung in Erleuchtung über die menschlichen Formen. Arokiasamy schreibt über das "Mark des
. .'" 526 Shikantaza", diesem Grundbegriff des Soto-Zen:
ist, hat die Ubung kernen Anfang."
"Gerade dies - nur sitzen, hier und jetzt sein, gegenwärtig sein, los-
Es bedarf keiner besonderen Anstrengungen und Aktivitäten. Noch einmal lassen und sein lassen, - das ist beim Shikantaza oder ,Nur-Sitzen'
Dögen: entscheidend. Es geht nicht darum, einen besonderen Zustand des
"Der Weg ist in hohem Maße perfekt und existiert überall. Weder ist Bewußtseins zu erreichen. Kein Versuch, etwas zu erreichen. Keine
der Weg zu suchen noch zu realisieren. Die Wahrheit, die uns weiter- Ziele, keine Vergleiche, keine Urteile, keine Errungenschaften. Es ist
trägt, ist souverän und braucht unsere Anstrengung nicht. ... IJ:n we- nur da-sein, gegenwärtig, gewahr und gegründet im Gewahrsein des
sentlichen ist die Wahrheit dir sehr nahe. Ist es daher notwendig, auf Körpers. Mit-sein mit sich selbst, mit-sein mit allem. [...] Das moder-
der Suche nach ihr herumzulaufen? Das, was wir Zazen nennen, ist ne Soto-Zen in Japan richtet sich bloß auf ,Nur-Sitzen' oder Shikan-
nicht ein Weg, um Konzentration zu entwickeln. Es ist einfach der taza und wertet den Gebrauch von Koans fiir die Meditation ab. Shi-
bequeme Weg. ,,527 kantaza als gegenstandslose Meditation ist modeme Soto-
Ideologie. ,,528
Erleuchtung und Buddha-Natur sind nicht wie äußere Objekte zu begehren
durch eine Übung, durch "das, was wir Zazen nennen", um sie, wenn man Und Hee-Jin Kim schreibt über shikantaza mit besonderem Bezug auf
sie erlangt hat, zu verwirklichen. Die vollständige Abkehr Dögens von j egli- Dögen:
chem Zweckdenken in Kausalbeziehungen in Sachen, die das Dhanna "In Dögens Auffassung von Nur-Zazen wird ,Nicht-Denken' nicht so
betreffen, ergibt sich durch eine neue Durchdringung dessen, was schon der sehr in einem transzendenten Sinn benützt als vielmehr im Sinne von
Ur-Buddhismus lehrte: Alles ist von jeher schon und fiir alle Zeiten "das Le- Realisierung; es ist objektlos, subjektlos, fonnlos, ziellos, zwecklos.
ben Buddhas", Aber es ist nicht identisch mit einem Vakuum ohne jeglichen intellek-
Wie Erleuchtung kein Zustand und nicht an bestimmten Illuminationen fest- tuellen Inhalt. ,Nur-Zazen' eliminiert nicht die Intelligenz, sondern
zumachen ist, so kann es im Dögen-Zen auch keine Indizien fiir Erleuchtung realisiert sie. Im Nur-Zazen entfaltet Intelligenz die Geheinmisse der
geben. Jedoch gibt es Kriterien, ob einer die Qualifikation hat, Zen zulehren. Existenz anstatt sie zu umschreiben. ,,529
Alle Kriterien aber, nach denen entschieden werden soll, ob sich einer im
Zustand der Erleuchtung befrndet, sind zweifelhaft. Das Soto-Zen Dögens Das absichtslose Sitzen realisiert ganz von selbst die Buddhanatur. Deshalb
radikalisiert den Aspekt, dass es nur gutes und schlechtes Benehmen und gu- ist Shikantaza der "bequeme Weg", Reichlich ,unbequem' noch klingt Haku-
tes und schlechtes Sprechen gibt. Die lacansche Analyse scheint, wie sich in. Gegenüber dem Dögen-Zen erscheint das Rinzai-Zen dann doch zuweilen
jetzt mehrfach gezeigt hat, mit ihrem bon dire als ultimativer Forderung je- wie ancien regime. Wie ein "General zu Felde" hat der Schüler alles zu eli-
der "Ethik der Psychoanalyse" gerade darauf hinauszulaufen. minieren, was die Erlangung verhindert:
Wie bei Dögen also das Zazen nicht die Methode zur Erlangung von Er-
leuchtung, vielmehr die Übung selbst schon die Verwirklichung der ur-
sprünglichen Erleuchtung ist oder das Erwachtsein zur Wirklichkeit der ur- 528 Arokiasamy, AM.. Warum Bodhidharma m den Westen kam, S. 44f/68. - Der Begriff
sprünglichen Erleuchtung, so ist, wenn ,Ich' der Name fiir das Verhängnis Meditation ist zwar beim Reden und Schreiben über Zen m der Tat schwer und kaum zu
des Haftens ist, die Übung nur in einem vorläufigen, oberflächlichen Ver- vermeiden. dennoch sollte Immer Wieder einmal und so denn auch an dieser Stelle darauf
ständnis die Methode zur Erlernung des Vergessens des Ich, tiefer verstan- hmgewlesen werden, dass die MeIster des Zen und besonders die Soto-Melster mSlstleren
dass es sIch bel der Übung des Zazen eIgentlich nicht um nur eme bestimmte Meditations~
den ist sie dieses Vergessen selbst. Das "Nur-Sitzen" (Shikantaza) ist gleich- form handelt. Zazen Ist nicht eIgentlich Meditation, sondern ,,Nur-Sitzen", shikantaza.
bedeutend mit dem Vergessen des Ich, auch des Du, es ist ein Hihausgehen Diese Unterscheidung zu kennen und gleIChsam erfahren zu haben, Ist von großer Bedeu-
tung. Zu westlichen Menschen aber, zumal Anfilngern m der übung des Zen, geht es wohl
hin, von MeditatIOn zu sprechen.
526 Zit. n.: Shimizu, M.: Das ,Selbst' im Mahayana-Buddhismus..., S. 58 529 Hee-Jin K.., Dogen Kigen, Mystical Realist, S. 60; ZIt. n. Aroklasamy, AM.. Warum Bod-
527 Zit. n.. Arokiasamy, AM.. Warum Bodhidharma m den Westen kam, S. 70 hidharma m den Westen, S. 45
236

Zu allen Zeiten kämpfe in deiner Übung des Zen gegen Täuschun- 7 Die verbotene Meditation
gen und weltliche Gedanken, zieh zu Felde gegen den schwarzen
Dämon des Schlafs, greife aktive und passive Gedanken, Ordn~g
und Unordnung, Richtig und Falsch, Haß und Liebe an und schheß
dich dem Kampf gegen alle weltlichen Dinge an. Dann,.wenn du mit
wahrer Meditation vorwärts stößt und heftig kämpfst, Wird dort uner- 7.1 "Die Arbeit muss weitergehen!"
,,530
wartet wahre ErIeuchtung k ommen. Die Ahnung der Möglichkeit eines Schwindens der Gegenstände, auf die
sich die Erfahrung gewöhnlich bezieht, evoziert die Angst. Die reine Erfah-
Für Dögen verhält sich die Sache einfacher, eben ,bequemer'. Die Opfer- rung ohne Gegenstand erscheint unerträglich. Wenn die Angst das ist, "was
ideologie ist hier vollständig verwunden. Erleuchtung kommt mcht durch nicht täuscht", so muss der Mensch, um der Angst zu entgehen, sich täuschen
Kampf, sondern durch Vergessen, die Beendigung jeglichen Kämpfens. wollen. Durch die Täuschung vermag er sich in der Welt zu halten. Der Ge-
"Den Weg Buddhas zu lernen, heißt, das Selbst kennenzulernen. Das genstand der Angst, die ja nach Lacan "nicht ohne Objekt" ist, ist die ,reine
Selbst kennenlernen heißt, das Selbst vergessen. Das Se~~~l vergessen Erfahrung' ohne den ,rettenden' Gegenstand. Dessen Vorhandensein versetzt
heißt, von den zehntausend Dharmas erleuchtet werden. also gleichzeitig in die Täuschung und bändigt die Angst. Die Angst trägt als
ihren Gegenstand die Ahnung jener "fundamentalen Hilflosigkeit" in sich,
von der Lacan sagt, dass sie dann zum Vorschein komme, wenn die Täu-
schungen des Spiegelstadiums außer Kraft sind. Die Erfahrung des Fehlens
des Gegenstands, der die Täuschung ermöglicht, ist aus psychoanalytischer
Sicht jedoch notwendig.
Das Verbot der reinen Erfahrung, anders gesagt: der Erfahrung des selbstre-
ferentiellen Begehrens, eines Begehrens, das nur sich selbst zum Gegenstand
hat, sich auf kein Objekt bezieht außer sich selbst, hat in der abendländi-
schen Kulturgeschichte Tradition. Die Untersagung richtet sich genau auf
das, was im Zen-Buddhismus als das Ziel der letzten Anstrengung gelten
darf: die Gewahmis des Fehlens irgendeines (wirklich existierenden) Ob-
jekts, die in Leerheit einführt und in der Folge alle Objekte, auf die sich nach
der Erfahrung des Gewahrens des Fehlens des Objekts das Begehren den-
noch bezieht, beziehen muss, leer werden lässt.
Ein an die Stelle der untersagten Erfahrung reiner Gegenwärtigkeit tretendes
Supplement fungiert stets als das letzte Objekt, dessen Wegfall das Fehlen
des Objekts schlechterdings gewahren ließe. Die Psychoanalyse nach Lacan
will bei diesem Objekt jedoch gerade nicht stehenbleiben. Um welches ,letz-
te' Objekt aber handelt es sich? In einem Diskurs über die Grundla-
gen/fondements der Psychoanalyse erinnert Lacan an die Kabbala, um die
fondements der Kabbala von den Grundlagen seiner Psychoanalyse zu unter-
scheiden und erstere mit dem pudendum zu identifizieren. Die fondements in
der Kabbala kreisten um ein pudendum, ein nicht zu Berüherndes, ein Ver-
femtes.

~30 Zit. n. Aroklasamy, A.M.: Warum Bodhidharmam den Westen kam, S. 70


531 Zit. n. Shimizu, M .. Das ,Selbst' Im Mahayana-BuddhIsmus..., S. 57
238 239

"Es wäre allerdings recht ungewöhnlich, wollten wir in einem analy- rens', das als solches in der Struktur auszumachen ist als formiert durch die
tischen Diskurs ausgerechnet beim pudendum haltmachen. Zweifellos symbolische Kastration, deren Anerkennung es eben grundlegend unter-
sähen dann die fondements plötzlich wie Dessous aus, die sowieso scheidet von dem der ,heidnischen' Nachbarvölker, die von diesem Schnitt
schon etwas vorgucken.,,532 nichts wissen (wollen). Das ist es, was Lacan nicht aufhört, an selbigem her-
auszustellen. Die Juden seien eben nicht "Unbeschnitten an den Lippen",
Ein Fehlendes, das als Fehlendes keine Anerkennung findet, kehrt als Objekt "Unbeschnitten am Herzen",536 ,Eigenschaften', deren Fehlen Lacan als ur-
wieder, hier als obszönes Objekt. Das Auftauchen dieses Objekts fungiert sächlich fUr alle möglichen Erscheinungen von Dummheit und Gewalt in der
dann als sowohl Ersetzung wie auch Verschleierung dieses keine Anerken- menschlichen Gemeinschaft ausmacht und deren Fehlen eben gerade zu den
nung fmdenden Fehlenden. Im Fall der häretischen Kabbala handelt es sich antijudaischen, antisemitischen Exzessen in der Geschichte geführt hat, dem
so um die Wiederkehr des Nicht-Objekts als Objekt in der Form einer heidnischen Pöbelhass (dem Hass derer, die "nett" sind) gegen all diejeni-
"Sammlung stark sexuell konnotierter obskurer Einsichten, die ge- gen, die nicht gänzlich bedenkenlos sind.
heimgehalten werden müssen, man erinnere sich an die berühmt- Mit Lacan lässt sich so durchaus eine Brücke vom Judentum zum Buddhis-
berüchtigten Abschnitte über Vaginalsäfte,,533, mus schlagen. Hinter die Anerkennung der symbolischen Kastration ist nicht
zurückzufallen, aber zur Gewahrnis von Leerheit wäre fortzuschreiten. Der
Die Kabbala bild~, so Zizek, "den phantasmatischen Kern der jüdischen 1- Buddhismus steht bei Lacan häufig paradigmatisch fUr eine religiöse Form,
dentität,,534, Sie sei das (ex-time) Supplement, das am Ort des ursprünglich in der beides gegeben ist. Das Fehlen der Leerheitserfahrung aber ist fUr alle
fehlenden Objekts - dessen radikales Fehlen gerade nicht gewahrt werden monotheistischen Religionen charakteristisch und das hat, wie gleich zu se-
darf - auftaucht. Aller Diskurs (im weitesten Sinne) kreist in der Folge un- hen sein wird, seinen Grund. Die Gegenwart ist im abendländischen Mono-
ausgesprochen um diese Ur-Ersetzung eines Fehlens, und nicht um das Feh- theismus Richtstätte fUr die Vergangenheit (was zur Vorstellung der Koinzi-
len des Objekts, das Loch selbst. Aber ist nicht möglicherweise Freuds Psy- denz der "absoluten Gegenwart", der Parusie Gottes und des jüngsten Ge-
choanalyse selbst, mit ihrer Kaprice auf die sexuellen Traumata, genau wie richtes führt) und die Zukunft muss Ansporn bleiben, Motor des Begehrens.
die Kabbala, ein solches Supplement? Lacans Aufhebung des Freudianismus In der Kabbala, jener "obscuren Schriftensammlung", wird ein Verbot der
zugunsten einer effektiven revelation des Unbewussten, bekäme von hier aus Erfahrung reiner Gegenwärtigkeit explizit ausgesprochen. Es soll auch hier
ihren tiefen Sinn. Das wäre Lacans neues Bündnis mit der freudschen Trieb- nämlich, mit den Worten Lacans, nicht und um keinen Preis aufgehört wer-
und Neurosenlehre. den zu arbeiten.
"Wissen Sie, warum sie keine gute Presse haben, diese Juden? Weil "Arbeiten Sie weiter. Die Arbeit darf nicht unterbrochen werden."S37
sie nicht nett sind, weil sie keine Heiden sind. Wenn sie nette Heiden
wären, wären sie keine Juden, und damit wäre alles in Ordnung. ,,535 Das jüdische Klagever- und Arbeitsgebot hängt eng mit dem Verbot des Ein-
tritts in die Sphäre absoluter Gegenwart zusammen, dorthin, wo das Objekt
Im Französischen lautet die Stelle aus dem R.S.I.-Seminar: "C'est parce radikal fehlt, wo sein Fehlen durch kein Supplement als Ausstaffierung des
qu'ils ne sont pas Gentils." Gentil bedeutet nett, freundlich, le gentil ist der Lochs aufgehoben ist. Swi R. 1. Werblowsky spricht von einem Verbot der
538
Heide. Die Kabbala ist ein ,häretischer Sonderfall' des ,jüdischen Begeh- Meditation. Die Versenkung in absolute Gegenwart ist untersagt, was man
auch lesen kann als: es ist untersagt aufzuhören zu arbeiten. Wichtiger noch
als jedes Ergebnis der Arbeit, jeder Erfolg ist, dass eben überhaupt gearbeitet
532 Lacan, J.: S XI, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, S. 12. - fondement = auch wird. In jedem Fall wird kommandiert: Die Arbeit muss weitergehen. Dem
"Hintern",
533 Zizek, S.: Die gnadenlose Liebe, S. 174. - Die neuerdings zu beobachtende Begeisterung
gewisser zeitgenössischer Pop-Größen (Madonna) fUr die Kabbala IllSst sich übrigens mit 536 Lacan, J.. S X, Die Angst, H. Teil, S. 61. Die Stellen beZiehen Sich auf Jeremta, Verse 24
diesem Deutungsmuster ausgezeichnet erklären. u. 25 des 9. Kapiles
534 Ebd. 537 Lacan, J.. S VII, Die Ethik der PSYChOanalyse, S. 375
535 Lacan, J.: R.S.I., S. 69 538 Werblowsky, Swi, R.J.. Die verbotene MeditatIOn
240 241

Begehren, das ursprünglich kein Objekt hat, muss folglich ein Objekt gege- Der l!,rgrund selbst aber, en sof genannt, ist nicht nur jenseits allen Wesens
ben werden, das es niemals erreicht, sei es Glück und Sicherheit oder das und Uber-wesens, sondern auch jenseits allen Seins. Bis zu den sephiroth
Reich Gottes als später zu erwartendes. SeineErfüllung darf nie vollständig dürfen die sich in die göttlichen Geheimnisse Versenkenden vordringen, aber
sein und muss immer von neuem aufgeschoben werden. (Hier kann gut an nicht weiter, die Meditation des en sofist verboten.
Hegels Defmition der Arbeit als aufgeschobenes Begehren erinnert werden.) Das Wissen vom
Die Selbstbezüglichkeit des Begehrens demgegenüber, wie sie in der Medi- "Entspringen aus dem Nichts des göttlichen Urgrunds (um mit Jakob
tation geübt wird, hat zur Voraussetzung gerade den Entzug, bzw. die Preis- Böhme zu reden)"s41
gabe dieses Objekts, welches es auch sei, und ist die effektive ,Realisierung'
seines Fehlens. Zazen ist die Evokation des Erscheinens des reinen Begeh- ist verboten, wird von den Weisen gehütet und gleichsam verwaltet, aber
rens; desjenigen Begehrens, das nur sich selbst zum Gegenstand hat. seine Erfahrung ist, selbst ihnen, verboten.
Für wesentlich erachtet auch Sri R. J. Werblowsky in seinem Aufsatz über Der "Lehrer Moses" heiligte und wahrte dieses "Nichts des göttlichen Ur-
die kabbalistische Mystik mit dem Titel "Die verbotene Meditation" das sprungs" durch Nicht-Andeutung. Werblowsky zitiert einen alten kabbalisti-
Fehlen des Objekts in der Meditation. Die Mystik aller Zeiten und Völker schen Text:
habe über
"Und weil dieser Gegenstand so verborgen, geheim und höchst subtil
"alles Vorstellbare hinaus zu einer Wirklichkeit führen [wollen], für ist, hat auch unser Lehrer Moses ihn nicht einmal angedeutet. "S42
welche der menschlichen Sprache nur Negativa als Chiffre zur Verfü-
gung stehen. Es gibt da kein Objekt mehr, selbst kein echtes Sub- Die Sphäre des en sof sei so
jekt."S39
"verborgen und erhaben, daß menschliches Denken sich ihm über-
Die Kabbala nun aber verbiete eben diese Meditation der ,letzten Wirklich- haupt nicht nähern darf,s43,
keit'. Dorthin eben dürfe der Mensch nicht gelangen. Die Erfahrung ,reiner
Präsenz' für ein Subjekt mystagogisch anzuleiten und einen Eintritt zu evo- Dieses Verbot der Meditation ist tief eingeschrieben in die Grtindungsakte
zieren, fällt unter dieses Verdikt. Die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt des Abendlandes, in seine Kulturgeschichte und nicht etwa ausschließlich
dürfen nicht hinfällig werden und schwinden, der Mensch darf sich nicht im auf den jüdischen Horizont beschränkt. Im Zuge des Arbeitsgebots (nur ge-
"maßlosen Unendlichen" verlieren. In der Sprache der Philosophie: die ver- richtet, orientiert, auf ein Objekt bezogen begehren zu sollen) und des Medi-
botene Sphäre der "maßlosen Unendlichkeit" ist die, in der der Unterschied tationsverbots tritt hier eine weitere Untersagung auf den Plan: Es ist unter-
zwischen natura naturans und natura naturata, zwischen cogitatio cogitans sagt zu genießen. Einzig Gott darf genießen (jrui), wie noc\1 Augustinus
und cogitatio cogitata aufgehoben ist. Die Differenz von Schöpfer und Ge- schrieb, der Mensch darf alle Dinge nur gebrauchen (uti). Der Begriff des
schöpf ist so unantastbar wie die zwischen Subjekt und Objekt. Vor allem frui als das "Genießen Gottes" (zu lesen als genitivus objektivus und-
aber: Das Begehren darf nicht aufhören, sich auf ein Objekt zu beziehen. Die subjektivus) und der der lacanschen (idiotischen, masturbatorischen) jouis-
Selbstbezüglichkeit des Begehrens, der Eintritt in absolute Gegenwart und sance sind hier auseinanderzuhalten. Diejouissance ist ein Resultat des Ver-
die von hier aus gegebene Möglichkeit eines Eintritts in eine von jeder Ge- botes des frui, seine Wiederkehr auf einem anderen Schauplatz, wie jene
schichtlichkeit befreite Geschichte ist untersagt. "obskure Sammlung von Schriften", Der Mensch darf, wie in der Genesis
Die zehn sephtroth des en sof sind der angeordnet, nicht werden "wie Gott",S44 Anstelle des "Genießen Gottes", das

"verborgenen, nicht wesenhaften, sondern über-wesenhaften Gottheit


lebendiges Kleid"s4o 541 Ebd., S. 239
542 Ebd., S. 240
543 Ebd., S. 241
544 Die Inknmlmerung der Predigten und Schriften Meister Eckharts hatte m der Hauptsache
539 Ebd., S. 237 zwei miteinander zusammenhängende Gründe: Zum emen eben war es untersagt, SICh m
540 Ebd.,S.238 die "stille Wüste der Gottheit" zu versenken und zum anderen durfte Gott als das Objekt
242 243

im Abendland, wie Lacan in R.S.I. sagt, "immer zu kurz gekommen" ist, gibt Ordnung"S48 - bedient. Er hatte, wie es in einem alten Sutra heißt, dem Nir-
es dann die obszöne jouissance, wie in der Kabbala. Ihre Untersagung wie- wana entsagend,
derum wird dann selbst zum Genuss, wie in der Zwangsneurose.
Es ergibt sich also: Die Meditation der ,letzten Wirklichkeit' ist untersagt. "seine kostbaren Gewänder abgelegt, ein Kleid aus schlechten Lum-
pen angezogen, und sich, weil ihm nichts anderes übrigblieb, mit den
Der Genuss ifrui) ist untersagt (Gott vorbehalten). Schließlich: das Begehren
oberflächlichen und naheliegenden Lehren, die das Tor zur Wahrheit
wird nur als aufgeschobenes, nämlich als Arbeit, gutgeheißen. Es muss in
zweiter Ordnung in sich schließt, befaßt, um auf diese Weise die Her-
seiner Ausrichtung (Orientierung) stets einen Gegenstand haben, der nicht es ren anzulocken"s49,
selbst ist und den es in letzter Konsequenz immer verfehlen muss: Gott oder
Das Gute, beides als dasselbe oder gestuft in einer Ordnung der höchsten Aber er selbst war längst diesen "oberflächlichen und naheliegenden Lehren"
Wesenheiten. Die "Reinjizierun( ~er arist?te~ischen Philo~~fie mit ~hrer entwachsen. K. Heinrich schreibt mit Bezug auf die "zwei Wahrheitsordnun-
Orientierung am Guten m das ,JÜdISch-chrIstlIche Gespmst folgt dIeser gen":
Vorgabe. Das Diskursparadigma aus griechischer Philosophie und mono-
theistischer Religion steckt die Grenze ab, die menschliches Erkunden nicht "Solange er [der, der den WEG gehen will, lA.] noch sein Herz an
überschreiten darf. diese Begriffe hängt, die er aussprechen, artikulieren und vor der
Mißdeutung schützen muß (darum, in diesem Stande noch die Wäch-
terrolle des Denkens, der Philosophie) hängt er noch am Schein des
7.2 Ein anderes Paradigma: Die Topik von Mathem und Entzweiten. "sso
Nicht-Mathem im frühen Buddhismus
I:t;n Ur- oder nördlichen Buddhismus Indiens bediente man sich nach dem
Im zenistischen Diskurs um den "großen Tod" geht es nun genau darum, Zu-
Tod des Buddha zuerst noch anderer als dann im Zen zum Zuge kommender
gang zu schaffen zu jenem Bereich, für dessen Beschreibung nur "negative
Methoden der Unterweisung zum Zwecke dieser "Anlockung". Das stets in
Chiffren" zur Verfügung stehen. Dort ist nichts, an das sich die Erfahrung
einer Übertragungsbeziehung gesprochene und vernommene Wort rückt erst
(qua, in der Sprache Kants: transzendentaler Apperzeption) ,ankleben' kÖnn-
im Zen an die Stelle. die bei den Alten zuerst die Mantras, deren Wirksam-
te.Es gibt hier kein Objekt mehr und kein Subjekt, weshalb es, wie es nicht
keit auch noch magischer, apotropäischer Natur war, später dann die Dhara-
anders sein. kann, den sich dorthin Fortbewegenden aufgegeben ist,
ni innehatten. (Im Soto-Zen wird per definitionem alles, was im Dojo und
"sich niederzulassen, wo es nichts gibt, um sich niederzulassen"s46. den übrigen Räumen des Tempels gesprochen wird, zum Koan. Die Nähe zur
Psychoanalyse ist hier greifbar.)
Um Zugang zu schaffen zu diesem Bereich, wo die Erfahrung des Fehlens Dharana bedeutet in den alten Mahayana-Schulen Meditation mit Hilfe eines
des Gegenstands dem unvermittelten Übertritt in die Sphäre eines "absolut bestimmten Objekts, mit Hilfe gewisser Silben und Wörter. 551 Die Dharani
gestaltlosen, abgeschiedenen Leuchtens"s47 vorausgeht, wandten die Meister sind diese Objekte, Wörter und Silben, die die Meister ihren Jüngern zur
des frühen Buddhismus, sich bewusst des völlig Unzureichenden des philo-
sophischen Sagens, "Notbehelfe" an, Kunstgriffe (sanskr.: Upaya). Der his-
548 "Die Lehre von den sogenannten ,zwei WalirheIten' spleit eine so große Rolle Im Budd-
torische Buddha selbst hatte sich solcher Methoden - die Hinführung zur hismus, daß schon der indische Welse Nagarjuna feststellte: ,Die Erwachten (Buddhas)
"Wahrheit erster Ordnung" durch einen Rückgriff auf die "Wahrheit zweiter lehren, Indem sie zwei Wahrheiten beiziehen: Die eIne ist diekonvenhonelle oder voriäu-
fige Wahrheit, die andere die endgüitige. Wer den Unterschied ZWischen diesen beiden
WalirheIten nIcht versteht, der erfaßt die tiefen Bedeutungen der Lehren des Buddha
nIcht. '" (Mervyn Sprung (Hrsg.): The problem of two trueth In Buddhism and Vedanta, S.
57, Zit. n.. Zen-Worte vom Wolkenberg; Meister Yunmen (hg. und übersetzt von Urs
einer höchsten Verehrung und als Objekt, das gewährleistete, dass die "Arbeit weItergeht", App), 238 (Fußnote I).
nicht in Frage gestellt werden. 549 Zit. n.. Schumann, HW.. Der histOrIsche Buddha, S. 153
545 Lacan, J.. S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 213 550 HeInrIch, K.. Versuch über die SchWierIgkeIt neIn zu sagen, S. 125
546 Arokiasamy, AM.: Warum Bodhidharma in den Westen kam, S. 46 551 Vgl. hierzu Hauer, J.W.. Die Dharani im nördlichen Buddhismus und ihre Paralleien In der
547 Zen-Worte vom Wolkenberg; Meister Yunmen, S. 108 (Fußnote 3) sogenannten Mithraslithurgle.
244 245

Meditation vorlegten. Ihre meditative Durchdringung macht den Weg frei zu weitesten Sinne) diskursiver Praktiken, die die meisten jedoch als das We-
etwas, was "weder gehört noch gesehen werden kann"und das in die Haus- sentliche und Eigentliche erachten, obwohl sie nur dazu da sind, das Tor zur
losigkeit führt, die "Wohnstätte der Buddhas". "Wahrheit erster Ordnung" zu öffnen.
Die Dharani im alten Buddhismus sind Hilfsmittel, um in die eigentliche Das Ziel im Gebrauch der "Hilfsmittel" ist es zu enthüllen, zu entschleiern,
Meditation - Dhyana (sanskr.; chin.: chan; jap.: zen) - eintreten zu können. aber es geht im Unterschied zu zum Beispiel Dionysius, dessen Kryptierun-
Zwar ist der Übergang zwischen gegenständlicher und ungegenständlicher gen dazu dienten, Gottes Hyperessentialität zu enthüllen, hier nur darum, et-
Meditation nicht schroff, jedoch ist klar zu erkennen, dass die Dharani nur was in Wahrheit vollkommen Naheliegendes gerade von seinen metaphysi-
Mittel zum Zweck sind. Zweck und Mittel sind unterschieden. Der Weg ist schen Umkleidungen zu befreien und in seiner Bloßheit erscheinen zu lassen.
noch nicht das Ziel. Es führt noch ein Weg zur Befreiung, das Ziel ist noch Die Dialektik von Verbergen und Enthüllen wird fi1r den Anfanger insze-
nicht der Weg selbst. niert, um ihn methodisch von Enthüllung zu Enthüllung fortschreiten zu las-
Diese Silben und Worte, die Dharani, haben, was ihren Stellenwert inner- sen, bis sich ihm schließlich das Geheimnis der Verbergung selbst enthüllt.
halb der Ordnung der Übung betrifft, mit dem lebendigen, in der Übertra- Über die sakralen Formen des Zen ließe sich sagen, was Hegel über den äs-
gungsbeziehung gesprochenen Wort des Zen nur noch gewisse sozio- thetischen Schein sagt, nämlich dass er
historische Entwicklungslinien gemein. Die Versenkung des Rinzai-Zen "selbst durch sich hindurchdeutet", während 5'die unmittelbare Er-
richtet sich auf Koan, nicht auf bestimmte bloße Worte oder Laute. Im Soto- scheinung sich selbst nicht als täuschend gibt"55
552
Zen ist dann auch noch diese Orientierthett aufgehoben. Die Gabe eines
Koan durch einen Rinzai-Meister, dessen Lösung zum Satori führen soll, er- und die Verblendeten dadurch um so mehr täuscht. Der Buddhismus geht
scheint so doch noch als das Relikt einer älteren Praxis. Arokiasamy datiert aber noch über diese Unterscheidung hinaus, indem er letztlich keinen Un-
die Abneigung des Soto-Zen gegen die Verwendung auch von Koan auf das terschied macht zwischen Kunstwerk, Kultgegenstand oder profanem Ge-
18. Jahrhundert zurück: genstand. Jeder Gegenstand hat Teil am großen Nichts alles Seienden. Alles
"Es scheint, daß sich seit dem Soto-Patriarchen Menzan (1683-1769) Wesen, die belebte wie die unbelebte Materie. hat die Buddhanatur.
eine gewisse Abneigung gegen den Gebrauch von Koans im Soto
festsetzte.,,553
7.3 Das Mathem als das Design des Nicht-Mathems
Bei Dögen aber bereits werden die alltäglichen Handlungen zum Tor, das zur "Ich entschuldige mich, wenn {. ..} Dunkel-
Befreiung führt und sind diese gleichzeitig schon selbst. Es wäre aber auch heiten auftreten auf den Wegen, die ich sie
unrichtig zu sagen, dass die alltäglichen Handlungen nun zu Koan geworden führe. Ich glaube, daß das ein Charakteris-
wären. Diese Handlungen sind einfach der Weg selbst. Die Unterscheidun- tikum unseres Feldes ist. {. ..} Sollte man
gen MitteIJZweck, Eigentliches/Uneigentliches verlieren im Soto-Zen letzt- sich wundern, wenn's manchmal dauert, bis
endlich vollkommen ihren Sinn. ein Licht aufgeht!" (Lacan)
"Der Weg der Buddhas und Patriarchen ist, Tee zu trinken und Reis
zu essen.,,554 7.3.1 Das mehr als Wissbare
Die auf Philosophie. Theologie, Tragödientheorie, Naturwissenschaften und
Tee trinken, Reis essen - das ist die "Wahrheit erster Ordnung". Die "Wahr- alle möglichen ,neuesten Forschungen' gleichermaßen rekurrierenden rheto-
heit zweiter Ordnung" ist die Welt der "Notbehelfe", das heißt gewisser (im rischen Formen und quasi-mathematischen Formeln, die Lacans Seminardis-
kurs strukturieren, sind nur das DeSign jenes Nicht-Mathems, das zu zeigen,
552 Vgl. hierzu auch: das jijiyu-zammal, das selbsterfüllende Samadhl des (Soto-)Zen, wie er- weil es nicht (positiv) sagbar ist, Lacan zu seinem Anliegen macht. Metapher
lautert bel: Arokiasamy, A.M.. Warum Bodhidharma m den Westen kam
553 Arokiasamy, A.M.: Warum Bodhidharma m den Westen kam, S. 68
554 Dögen, E.: Shöbögenzö, Bd. I, S. 129 555 Hegel, G.W.F.. Werke m zwanzig Blinden, Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 13, S. 23
246 247

und Sophisma wie die borromäische Mathem-Matik setzen wie das Koan Die Lösung von Mathemen kann nicht (voraus)berechnet werden. Soury,
statt auf Klarheit und Distinktheit auf die Kraft eines Denkens des Unbegriff- persönlicher Schüler Lacans und Mathematiker, hatte über die Beschäftigung
lichen, das sich dennoch in Begriffen aussagt und kundtut. Ihr Wert als Bei- mit den Borromäischen Knoten und die Rolle der Geduld folgendes ge-
trag innerhalb der kurrenten Wissenschaften und auch der Psychoanalyse schrieben:
selbst ist daher gar nicht zu bemessen. Die borromäischen Knoten etwa sind
"Was war unser Ausgangspunkt? Im speziellen Fall des Borromäi-
gewissermaßen ,absolute Metaphern', die sich in keine andere Sprache über-
sehen Knotens war dies ein Übergang vom Knoten zur Flechte. Dann
setzen lassen, weil, was sie zu verstehen geben, mehr ist als wissbar. Ein
hatten wir da noch die Defmition eines Geduldspiels [...]. Ein Ge-
Wissen, das sich seiner gewiss ist, ist mit Lacan nicht zu erlangen. Denn sein duldspiel ist ein einfaches Problem ohne Vorläufer, dessen Lösung
Sagen (be)sagt gerade, dass es auf dem Feld der Analyse kein Sagen im Ver- nicht ohne weiteres wiederholbar, bewußt, weitergebbar, beherrschbar
bund mit einem sicheren Wissen gibt. Deshalb, so meinen wir, befindet sich ist.,,557
besonders Lacans spätes Sagen in größerer Nähe zum Zen als zur Psycho-
analyse selbst, jedenfalls in ihren handelsüblichen Formen. Die Einsicht in Auf der einen Seite stehen die für die Wissenschaft verlangten Kriterien von
die Unmöglichkeit eines Wissens, das sich schließt, fi1hrt auf einen anderen Quantifizierung, Wiederholbarkeit und Vorhersagbarkeit, auf der anderen ist
Weg: Wissen wird zum Mathem eines Nicht-Wissens, das mehr ist als Wis- deutlich, wie das Operieren mit Mathemen und Knoten genau diese Kriterien
sen. Zugang zu diesem zu erlangen, das mehr ist als Wissen, heißt gerade der Wissenschaft unterläuft, indem das Unbewusste, mit dem Freud/Lacan
nicht, Verfügungsgewalt über etwas objektiv Vorhandenes und positiv Aus- als Analytiker rechnen, seinerseits, wie Freud schrieb, nicht rechnet, keine
sagbares zu besitzen. Negation kennt und keinen Zweifel. Es geht um die Verbindung dieser bei-
Lacans sprachliche Artikulation seiner besonderen Form von Psychoanalyse den Welten und bestimmte Übergänge (in borromäischer Topologie ist solch
streift so naturgemäß ständig die Grenze zur mystagogischen Sonderrede. ein Übergang eben der vom Knoten zur Flechte).
Wer "spricht, um etwas anderes zu sagen" und schreibt, dass, "was sich liest, Warum nicht mögliche Definitionen des Realen (was nicht aufhört, sich
[...] durch die Schrift (hindurchgeht) und [...] unversehrt"556 bleibt, dessen nicht einzuschreiben), des Symbolischen (was aufhört, sich nicht einzu-
Diskurs ist textsortenspezifisch als mystagogischer zu klassifizieren. Rheto- schreiben) und des Imaginären (was nicht aufhört, sich einzuschreiben) als
rik bildet hierbei nicht den Gegenpol zur cartesianischen Rationalität, steht Koan lesen, als Matheme des Nicht-Mathems, als Rätsel, die gelöst werden
nicht entgegengesetzt zur clare et distincte aufgebauten schlüssigen Beweis- können, deren Lösung aber nicht errechenbar ist? Die intensive, geduldige
führung, sondern fungiert als Form einer nur noch dem Schein nach wissen- Beschäftigung mit den Topoi der lacanschen Mathem-Matik macht möglich,
schaftsformigen Rationalität und ist dabei gleichzeitig alles andere als ein dass sich der Sinn solcher Koan/Matheme plötzlich kundtut, beispielsweise
Drift in ein schlicht und schlecht Irrationales. Insofern verhält sich Lacans durch eine Acceleration der Zeit, "in einem Moment der Hast", Wenn man
Sagen zu den akademischen Diskursen im vollsten Sinne des Wortes subver- nichts mehr versteht, wenn eine schier unendliche Verstrickung aus Knoten,
siv. Flechten und Schlingen, ein undurchsichtiges Wuchern jeden klaren Blick
(clare et distincte) zu verstellen droht, dann kann es geschehen, dass, wie es
7.3.2 Die Matheme als Koan im Zen heißt:
Die Frage, die sich auf den von Lacan und dem Zen gebahnten Wegen stellt,
"Wenn man davorsteht und nicht weiterkann, geht die Sperre auf.
lautet nicht, wie etwas, das noch nicht gewusst ist, Wissen werden kann, Und diesen Augenblick muß man sofort benutzen.,,558
sondern wie die Wahrheit, die nicht Wissen ist, dennoch gelehrt werden
kann? Wie ist also die Beziehung zwischen Mathem und Nicht-Mathem, o-
der besser: Wie kann das Nicht-Mathem Mathem werden? Antworten sind 557 Zit. n. Roudinesco, E.. Jaques Lacan, S. 540. Elisabeth Ruodinesco schreibt über die Lehre
hier kaum zu erwarten, es muss mit Konjekturen Vorlieb genommen werden. des Lacan-Schülers Soury, emes Mathematikers, dass sie "pnvat wie öffentlich das Ziei
[verfoigte], em mathematisches Modell aufzubauen, das es erlaubte, die logischen und to-
pOloglschen Anliegen Lacans zu untersuchen." (ebd.)
558 Bi-Yän-Lu, Meister Yüan-wu's Niederschrift von der smaragdenen Felswand, Bd. 1,
556 Lacan, 1.: S XI, Die vier Grundbegriffe..., S. 298 (Nachwort) S. 184
248 249

Womöglich löst sich der Knoten, die Verstrickung aber auch ausgerechnet in nung von ,letzten Wahrheiten'.) Die Kenntnis der "Ordnung des Diskurses"
einem Moment, in dem man an ,etwas anderes' denkt. der hier behandelten Institutionen - die psychoanalytische Praxis und das
Die lacanschen Defmitionen sind offene. Es sind Sprachspiele, die die Fä- Zen-Dojo - gewährleistet diese besondere Möglichkeit, das Reale zu sehen
higkeit haben, die Wirklichkeit zu treffen wie ein Pfeil das Ziel, aber nur, (zu geben). Das lacansche Sophisma und seine Matheme, die Knoten und
wenn grundlegende Kenntnisse der terminologischen und topologischen Flechten schaffen die Intervalle, zwischen denen zu spielen möglich ist, um
Strukturen vorhanden sind, die das Koordinatensystem ihrer Bildbarkeit her- seiner ansichtig zu werden, bzw. es zu "monstrieren".
stellen. Es bedarf einer Eingeführtheit in die bOITomäische Topologie, um
etwas mit den Knoten und Flechten, Schlingen und Schnurschlingen anfan- 7.3.3 Zurückweisung eines Missverständnisses
gen zu können. Dann mag es wie ein Blitz treffen, wenn plötzlich das Ver- Die Koan wie die Matheme und Knoten gehören in den Bereich einer deonti-
stehen davon auftaucht, dass das Glück (bon heur) im Entziffern des Signifi- sehen Logik, nicht den der Modallogik. Ihre Lösung evoziert stets eine Art
kanten besteht oder, analog im Zen, was es heißt, wenn der Pfeil den Speer qualitativen Sprung, die Überwindung eines Abgrunds, der Nicht-Verstehen
in der Luft trifft. 559 und Lösung voneinander trennt, keine quantitativen Übergänge, die sich aus
Es mache nur Sinn, über das zu cogitieren, was er dazu aufgibt, so Lacan in einer kausalen Kette notwendig herleiten. Es ist ähnlich wie mit der Bezie-
R.S.I., wenn einer nahe herankomme an die Topoi dieses Sprechens, ihre hung zwischen der endlichen Analyse und der unendlichen. Den Schnittzwi-
Begriffe und Definitionen, ihre Mathem-Matik. Es bedarf von seiner Seite schen beiden markiert nicht die Erlangung eines ausreichenden ,Wissens ü-
aus deshalb zuerst einer gewissen "Herstellung", um sich einigermaßen in ber sich', sondern ein qualitativer Sprung.
diesen Ringen von Verweisungen zurechtzufinden. Lacan habe wohl am Ende "unter dem Druck seiner eigenen Schüler selber
"Ich kann einen Dialog nur mit jemanden führen, den ich dazu herJBe- an die Wissenschaftlichkeit seiner mathematischen Witze" geglaubt, schreibt
stellt habe, mich auf der Ebene, auf der ich spreche zu verstehen.,,5 Borch-Jacobsen. 563 Aber eine solche Sichtweise muss zurückgewiesen wer-
den. Lacan hat ja gerade nie aufgehört zu lehren, dass das Reale, das Un-
Aber es gibt auch eine "Herstellung auf Distanz", Er habe mögliche, das Geschlecht nie aufhören, sich jeder Mathematisierung zu wi-
"Leute auf Distanz hergestellt, [...] die nur meine Bücher aufzuschla- dersetzen und gerade deshalb das Mathem herausfordern, denn:
gen hatten"S6I, "Die Diskordanz des Wissens und des Seins, das ist unser Sujet.,,564

In jedem Fall ist hier erst zu reüssieren im Lösen von Rätseln, wenn gleich- Das Sein weiß nicht und das Wissen weiß nicht das Sein. Es gibt Verhältnis
sam ein Spielen mit und zwischen den Intervallen dieser Mathem-Matik zwischen den beiden immer nur in Form von Nicht-Verhältnis. Das Reale,
möglich geworden ist - im Entziffern des Signifikanten ins Schwarze zu tref- das Unmögliche, das Geschlecht bleiben, "was wir nicht verstehen,,565 und
fen, das Reale zu zeigen, den Pfeil mit der Lanze im Flug zu treffen. Um zu das Unbewusste "durchsteppt" die Signifikantenketten des Wissens. Was
treffen, bedarf es des Hergestelltseins durch die Signifikanten der struktur- "zessiert, sich nicht zu schreiben", ist das Symbolische und also mathemati-
gebenden Ordnung. sierbar. Das Geschlecht aber "hört nicht auf, sich nicht zu schreiben" und
Foucault wies darauf hin, dass der Wert jeder Institution, die Begriffe und bleibt unmathematisierbar. Das Reale "zessiert nicht, sich nicht zu schrei-
Praktiken tradiert, darin liegt, Initiation in die Ordnung des sie regelnden ben" und ist deshalb nicht mathematisierbar. Die Matheme zeigen dies, kön-
562
Diskurses zu sein. (Nur in diesem Sinne würde Lacan für seine Praxis den nen es aber nie schlüssig (clare et distincte) beweisen.
Begriff der Initiation gelten gelassen haben, nicht aber im Sinne von: Eröff-

559 "Diese Wahrheit ist wie eine Lanze, die emen Pfeil mitten Im Flug trifft." (SekIto Kisen
Zenji, Sandokal, Die Vereimgung von Essenz und Erschemung, S. 30)
560 Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 31 563 Borch-Jacobsen, M.. Lacan, Der absolute Herr und Meister, S. 183
561 Ebd. 564 Lacan,1.. S XX, Encore, S. 129; vgl. auch: Ebd., S. 157ff.
562 Vgl.: Foucauit, M.. Die Ordnung des Diskurses 565 Ebd.. S. 102
250 251

7.4 Matheme des Nicht-Mathems und die Grenze zwischen Innen ehen' auf einer ,bedeutungslosen', ,mechanischen' Ebene ,ein' (die
und Außen man in Anlehnung an Foucault als ,revolutionäre disziplinarische
Mikropraktiken' bezeichnen könnte) und beobachten unser Verhalten
Dögen fragte den Mönch: Was bedeuten dabei zugleich kritisch.,,567
Worte und Schrift, was ist die Übung? Der
Mönch antwortete ihm: Worte und Schrift Die Vermeidung der "emotionalen IdentifIkation" und die Partizipation am
sind: Eins, zwei, drei, vier, fünf Die Übung erhabenen Ritual der symbolischen Formen, die Rollen vorschreibt, gehören
bedeutet: Nichts ist verborgen im Unzver- zusammen. "Emphatische Teilnahme" und Leerheit hinwiederum schließen
sumo (Überlieferung aus Dögens Lehrzeit) sich nicht aus. Im Gegenteil ist hier Leerheit sogar die Bedingung "emphati-
scher Teilnahme". Der Entzug des Trugbildes der Rolle innerhalb einer Dia-
lektik von Ich und anderen, die Nicht-Gegenbenheit der IdentifIzierung mit
7. 4.1 Die Inszenierung einer transformatorischen Praxis
sich selbst, führt nicht ein in ein leeres abstraktes Nichts, sondern in Leerheit
Es ist eine ebenso unausrottbare, wie doch merkwürdige Idee, es gäbe am als emphatischer Teilnahme. Ohne Angleichung an die Haltung des Buddha
sakralen Ort des erhabenen Rituals keine Rangunterschiede unter den Parti- sind die Rituale des Zen sakrales Kasperletheater, ausgefUhrtmit vollende-
zipanten. Das Unbehagen in der Rolle in allen gesellschaftlichen Bereichen tem Gleichmut (mushotoku) sind sie der offene Zugang zu einer ultimativen
scheint derart groß zu sein, dass dieser andere Ort nur vorgestellt werden Schönheit, die mit Worten nicht annähernd gesagt werden kann. Diese be-
kann als einer, wo diese Rangunterschiede nicht existieren. Die Erlösung sonderen Handlungen konvergieren, wie Lacan sagt, auf ein Zentrum hin,
muss vor allem die sein von Rang und Position, dem Nessushemd des ,wah- "das seinem Wesen nach das Zentrum eines Nirgendwo ist", aber man sähe
ren Selbst'. Beim Negativ-Theologen Dionysius fmden wir die Konzeption, hier, wie,
derzufolge innerhalb der sakralen Ordnungen "himmlische Hierarchien" e-
"ich würde fast sagen: auf die am höchsten verkörperte Weise - das
xistierten, diese aber eben nicht mit den irdischen zu verwechseln seien. Nur
Lebendigste, Realste, Beseelteste, Pathetischste wiedererscheint, wie-
in seiner Verfallsform, lässt sich von hier aus weiterdenken, degeneriert das derauftaucht, das es in einer ersten Beziehung zur göttlichen Welt ge-
erhabene Ritual zu einer Ausübung von Macht. Prinzipiell aber visiert es ei- ben mochte, einer Beziehung, die wesentlich genährt und &leichsam
nen "Austritt aus dem kapitalistischen Diskurs". Die Orientierung des Be- interpunktiert ist durch alle Spielarten des Begehrens [...],,5
gehrens am Gut, am höchsten Gut und damit an den Gütern ist hier preisge-
geben. Prinzipiell visiert es einen Ort jenseits des Ökonomischen, jenseits
des (gewöhnlichen) Wissens und jenseits der Herrschaft. 7A.2 Die Agenten der Signifikanten Konvention
Dem Geheimnis der Diskurspraxis eines Zen-Dojo lässt sich auf die Spur Die Angst, die daher rührt, nicht zu wissen, wohin es fUhrt, wenn auf dem
kommen mittels Brechts "Die Maßnahme", so wie Zizek dieses Stück liest. Feld der Psychoanalyse die hergebrachten Orientierungen keine Sicherheit
Tatsächlich handelt es sich hierbei um eine Art Wiedereinführung des durch mehr verbürgen, also die gewohnte, auch emotionale Identifizierung mit Rol-
die Aufklärung als voraufklärerisch diskreditierten "erhabenen Rituals" der le und Position des Analytikers keinen konsistenten Diskurs mehr zu garan-
Rückbindung (= re-ligio), also des protoreligiösen Aktes schlechthin, um die tieren scheint, ruft eine (nicht wirklich existierende) Organisation auf den
Inszenierung einer transformatorischen Erfahrung mit den Mitteln des Thea- Plan, die Lacan die SAMCTA nennt. Diese sagt, auf den kürzesten Nenner
ters. Das Stück sollte ohne Publikum aufgeführt werden, die Schauspieler gebracht: "Die Arbeit muss weitergehen". Lacan stößt einen vehementen
sollten nacheinander alle Rollen spielen und so die "verschiedenen Subjekt- Fluch gegen diese Agenten der im psychoanalytischen Mainstream-Milieu
Positionen ,erlernen",566. Gefordert sind:
"emphatische Teilnahme der Schauspieler, aber ausdrücklich unter
Vermeidung der Falle der emotionalen IdentifIkation. [...] Wir ,tau-

567 Ebd.
566 Zizek, S.: Liebe deinen NlIchsten?..., S. 260 568 Lacan, 1.. S X, Die Angst, S. 74
252 253

gültigen signifikanten Konvention mit Namen SAMCTA aus, der sie gerade "Denn - Sie wissen es ja - zumindest in Paris stammen in der
wegen seiner Heftigkeit ein-ex-cludiert. 569 Die Antipoden Lacans sind also SAMCDA die einzigen (sic) Elemente, von denen sie sich dort nährt,
aus meiner Lehre. Von überall dringt sie ein, das ist ein Wind, der
,,[...] gegenwärtig [1973, lA.] eine societe d'assistance mutuelle frösteln macht, wenn er zu stark weht. Also kehrt man zu den alten
contre le discours analytique [...] Verdammte SAMCTAI [...] Sie wol- Gesten zurück, wärmt sich wieder auf, indem man im Kongreß zu-
len also nichts wissen von dem Diskurs, der sie bedingt. Aber das sammenkriecht.
schließt sie von ihm nicht aus: weit entfernt, da sie ja als Analytiker Denn das ist kein Witz, den ich heute mal so reiße, keine Geschichte,
funktionieren, was heißt, daß es Leute gibt, die sich mit ihnen analy- um die Fernsehzuschauer zum Lachen zu bringen, die SAMCDA.
sieren.,,570 Ausdrücklich zu diesem Zweck hat Freud die Organisation ersonnen,
diesen analytischen Diskurs, ihn hat er ihr vermacht. Er wußte, daß
Die SAMCTA, gleichsam die Glaubenskongregation, die Inquisition inner- das eine harte Probe sein würde, die Erfahrung mit seinen ersten Ge-
halb des kurrenten psychoanalytischen Diskurses, stellt handfeste Fragen: folgsleuten hatte ihn gründlich darüber belehrt.,,573
nach dem Unbewussten als Substanz, nach der psychischen Energie, dem
Affekt und dem Trieb. Sie will es zu tun haben mit einem Wissen, das sich Nach der Berührung mit der lacanschen Psychoanalyse wird der Freudianis-
schließen lässt und setzt auf ein Unbewusstes, bei dem man weiß, woran mus der SAMCTA als Rückkehr, als Kehrtwendung entzifferbar:
man ist. Benoit Jaquot, der Fernsehinterviewer, ahmt, wie Lacan in seiner
"Sie mag schon ihren Wert haben, diese Bahnung, aber es ist, als
Antwort deuten wird, die Fragen der SAMCDA nach:
bliebe ich ohne Wirkung .. , oder schlimmer, als jagte ich ihnen Hei-
"Seit zwanzig Jahren, seit sie ihre Formel vorgebracht haben, daß das denangst ein.
Unbewußte wie eine Sprache strukturiert ist, hält man ihnen in ver- SAMCDA simplicitas: sie trauen sich nicht. Sie trauen sich nicht
schiedener Form entgegen: ,Das sind doch nur - Worte, Worte, Wor- dorthin, wo es hinfUhrt. ,,574
te. Was aber fangen sie mit dem an, was sich nicht um Worte schert?
Quid mit der psychischen Energie oder dem Affekt oder dem Aus Angst also vor dem, was man "den Boden unter den Füßen verlieren"
Trieb? ".571 nennt, stellt die SAMCDA-Polizei Fragen nach dem Sinn der lacanschen
Auslegung Freuds und kommt schließlich zu dem Schluss, dass eine solche
Die Meinungsverschiedenheiten eskalieren als Streit um die Rechtmäßigkeit Psychoanalyse nichts nutze. Lacan sage es sogar selbst. (Einmal mehr
eines Erbes, dem Erbe Freuds. Lacan markiert die Begriffe "Psychische E- schließen sich richtiges Verstehen und falsches Auffassen derselben Sache
nergie", "Trieb" und "Affekt" als Einsatz im Streit um die Legitimität der nicht aus.) Unterstellungen dieser Art haben nach Lacan den Wert von De-
Freud-Nachfolge und antwortet: nunziationen, aber solche knüpften in der SAMCTA das soziale Band.
"Sie ahmen da die Gesten nach, mit denen man sich in der SAMCTA
den Anschein von Erbbesitz gibt."572 Der Schnitt, der die gewöhnliche psychoanalytische Gesellschaft, die mittels
phantasmatischer Supplemente ("psychische Energie", "Instinkt", "Trieb")
Das Pochen auf einen Erbbesitz ist in Wahrheit Angst davor, wohin das das grundsätzliche Fehlen des die Existenz verbürgenden, den Analytikern.
,neue Bündnis' Lacans mit der Lehre Freuds führt. Die Angst ist das Motiv fehlte er nicht, ihre Arbeit erleichternden Signifikanten verschleiert, von der
für die Flucht vor seiner Analyse und evoziert die Rückkehr zur signifikan- durch Lacan ins Leben gerufenen Sozialität trennt, ist aber derart, dass es
ten Konvention eines hinter Freud selbst zurückfallenden Freudianismus: letztlich unmöglich ist, zu den "gewohnten Gesten" zurückzukehren. Denn
die deontische Logik der analytischen Geometrie Lacans ist eine verwi-
ckelnde und so bleibt niemand, der in Berührung kommt, unberührt vom
569 Das ist eine AnspIelung auf eme Kapitelüberschrift m: Zizek, S.: Die Tücke des Subjekts.
Sie iautet: "Inkludiere mICh aus!"
570 Lacan, J.. RIf, S. 70
571 Ebd., S. 72 573 Ebd.
572 Ebd. 574 Ebd., S. 82
254 255

,,kalten Hauch, der frösteln macht", So verschiebt sich ständig die Grenze M. Gill und H. Muslin die vorgefertigten, der Lehre entnommenen
zwischen diesseits und jenseits des echten analytischen Diskurses. Antworten." 577
Was letztlich die SAMCTA beunruhigt, ist, mit den Worten M. Bowies, dass
es Die "vorgefertigten, der Lehre entnommenen Antworten", die Gills und
,,'hinter' oder ,unter' der menschlichen Rede [00'] kein bioenergeti- Muslim geben, sind eben jenes "ängstliche Gerede von den Trieben und der
sches Kraftfeld [gibt] und [kein] verschleiertes SignifIkat im War- biologischen Notwendigkeit". Jenseits der "vorgefertigten Antworten" ist
testand, das endlich den verrückten Aufmarsch der SignifIkanten zur nur jene "grenzenlose und unausdrückbare Leere", vor der die Angst den
Ordnung ruft. ,,575 letzten Vorposten bildet. Vom Trauma als imaginärem Garanten der Ver-
bürgtheit eines Wissens, das zum Ausgangspunkt taugen könnte, war ja wei-
Kein transzendentales SignifIkat, nicht die Beziehung auf den Instinkt oder ter oben schon die Rede.
die Triebe, vielmehr gibt es Es gibt keine letzte Verbürgung als Selbst, nur ein (urverdrängtes) Wissen,
dass hinter dem Symptom - nichts ist, eben "nur jene grenzenlose und u-
"[00'] jenseits des letzten Vorpostens der SignifIkation [00'] nichts nausdrückbare Leere". So ist Lacans Analyse tatsächlich der Gipfel der Illu-
mehr - oder vielmehr: Es gibt dort nur jene grenzenlose und u- sionslosigkeit:
nausdrückbare Leere, vor der viele psychoanalytische Autoren (dar-
unter auch Freud selbst) durch ihr ängstliches Gerede von den Trie- "Das Unbewußte ist nicht das Ursprüngliche oder das Instinktive, und
. ~7~n und der biologischen Notwendigkeit zu fliehen versucht haben." an Elementen enthält es nur die Elemente des SignifIkanten.,,578

7.4.3 Überall Polizei


Diese..Auffassung von Bowie vertritt auch M. Sylvestre in seinem Essay über
die "Ubertragung in der Ausrichtung der Kur", in dem er über Freuds und Derrida hat am Beispiel der "Deconstructionists" eine Analyse (seinerseits
Lacans Konzeptualisierungen des Urverdrängten reflektiert. Freud hat nach eine Dekonstruktion) des spezifIschen Argwohns, der auch bei den Gegnern
Sylvestre die Urverdrängung zwischen jener Leere und den letzten "Vorpos- Lacans soziales Band macht. gegeben, die es lohnt nachzuvollziehen, weil
ten der SignifIkation" angesiedelt. Der Rekurs auf den Trieb und die biolo- sie den Aufeinanderprall zweier Diskursordnungen vorfUhrt, von denen die
gische Notwendigkeit" geht immer mit einem Ausweichen vor der ,,~~nzen­ eine mit der Gesellschaft, Weltordnung, ja der Realität als solcher im Bunde
losen und unausdrückbaren Leere" einher, die ,urverdrängt' würde. Wissen steht und aus dieser Position der anderen eine obskure Praxis, nur Magie des
in der schlecht verstandenen Analyse und im kurrenten psychoanalytischen Sprechens (Sprechen. um nichts zu sagen), kurz: Scharlatanerie vorwirft.
Diskurs (dem der SAMCTA) stellt sich immer im Rekurs auf ein angebliches Vorwürfe, denen sich auch das ,Zen im Westen' ausgesetzt sah, denkt man
"bioenergetisches Kraftfeld", die Triebe oder die "biologische Notwendig- nur an die Inkompatibilätsbescheinigungen, die vorwegnehmend schon ein
keit" her, die als eine Art transzendentales Signiftkat, das die Deutungen C.G. Jung einer Praxis des Zen in der westlichen Gesellschaft ausstellte und
stützt, fungieren. Es gäbe aber eben, so Silvestre, dieses SignifIkat nicht und die auf lange Jahre eine ernstzunehmende Rezeption behinderte. Es erweist
folglich kann ihm auch kein Wissen entspringen: sich, dass Lacan nicht der einzige war, der es zu jener Zeit, den sechziger-
bis achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, "hinter und vor all den eiser-
"Diese Frage [hier die der Selbstautorisierung, lA.] gilt der Struktur nen Vorhängen, die Europa damals zerschnitten,,579mit der ,Polizei', vor-
des großen Anderen und der Abwesenheit [00'] des letzten SignifIkan- nehmlich zu eben jener Zeit .Diskurspolizei' genannt, zu tun bekam. Zeitge-
ten. An der Stelle dieses Mangels des Anderen siedelte Freud die Ur-
verdrängung an, den Ausschluß eines ersten Signiftkanten, dem-
folglich - kein Wissen entspringen kann. An diese Stelle setzten z.B.
577 Silvestre, M.. Die Übertragung In der Ausrichtung der Kur, S. 126
578 Lacan, J., zit.n.. BOWle, M.: Lacan. S. 71
575 BOWle, M.. Lacan, S. 71 579 Kittler. F.. "Es Ist eIne Tatsache, daß Frauen begabter SInd." Das Treffen In Straßburg: Ei-
576 Ebd., S. 46 ne rätselvolle Begegnung mit dem Irrenarzt Jaques Lacan. FAZ, 12.04.2001, Nr. 87
256 257

nossenschaft unter Freundens80 trug hier die Siegel einer Dissidenz, die eine wahren hat"S82 geben. Zwischen dem, "was mehr ist als Sein, aber ohne zu
Subversion mitten durch die akademisch normierten Diskurse des Wissens sein (being more than being: being more)" und der
trug. Die Diskursanalyse im weitesten Sinne erregte diese besondere Art des "Topologie, der nur durch Initiation zugänglichen Politopologie, die
Verdachts, weil der Gegner, wie Derrida sagt, nicht länger außen auszuma- zugleich die mystische Gemeinschaft organisiert und diese Adresse
chen war sondern im innersten Getriebe der Institutionen selbst (im Fall La- an den anderen, dieses quasi pädagogische und mystagogische Spre-
cans der ~sychoanalytischen Vereinigungens81 ) und mehr noch: im innersten chen möglich macht, für das Dionysius hier vorzüglich Timotheus
jedes Diskurses überhaupt. Derrida sah sich mutatis mutandis genau mit den (pros Timotheon: die Widmun der Mystischen Theologie) zum Ad-
Fragen, mit denen sich auch Lacan durch die SAMCDA, eben jener Forma- ressaten auserwählt (destine )',S a1 ,
tion, die mit der Gesellschaft, Weltordnung, ja der Realität selbst im Bunde
steht, ihr Agent ist, konfrontiert. . .' Vergessen wir nicht, dass Initiation hier Einübung in den Gebrauch der einen
Im Fall des "Geheimbundes der Deconstruktionists", wie Derrida sich auf . .
Diskurs, hier den der "mystischen Gemeinschaft", strukturierenden Signifi-
den bewussten Seiten ausdrückt, die von einer dem Sokrates würdigen Irome kanten (im foucaultschen Sinne) heißt. Dionysius Apostrophe an Timotheus
getragen sind und dann wieder von beißendem Spott geradezu bers:en, ste- sei, so Derrida, nicht Mitteilung, aber was sie ist, sei schwer zu bestilnmen.
hen sich Mitteilung und Information als die Münzen des kurrenten Dlskurs.es Stets werde zu viel und zu wenig gleichzeitig gesagt und stets gehe es dar-
auf der einen, Wahrung und Nicht-Sagen auf der anderen gegenüber. HIer um, ein Geheimnis zu wahren und dabei es verbreiten zu müssen. Aber...
das Geheilnnis, die Wahrung und die Teilung, dort die Mitteilung - die Mit- "Wie ein Geheilnnis nicht verbreiten? Wie nicht sagen? Wie nicht
teilung als die Nicht-Wahrung, als jenseits des Wahren. Die Wahrung ist auf sprechen? [...] Wie/was tun (comment faire), damit das Geheimnis
Nicht-Mitteilung angewiesen. Aber die Nicht-Mitteilung als Wahrung evo- geheim bleibt? Wie es wissen lassen/bekanntgeben, damit das Ge-
ziert auch die Teilung. Mitteilung im Sinne von Kommunikation, wie sie die heime des Geheimnisses - als solches - nicht geheim bleibt? Wie die-
Gesellschaft, die hiervon nichts weiß, konstituiert, ist ausgeschlossen. Diese se Verbreitung selbst vermeiden?"s84
Wahrung, dieses ,wahr' be-wahrt man durch Nicht-Mitteilung. .
Derrida will am Beispiel Dionysius/Timotheus zeigen, wie sich gewisse ,e- Die Logik des Verdachts hat längst auch, so Derrida, den Dekonstruktivis-
soterische Sozialitäten' in ihrer Beziehung zum Außen bestimmen und wie mus eingeholt, diese ,Bewegung', der zuzugehören er einbekennt. (Wir spre-
sie das Geheilnnis wahren, ohne es mitzuteilen (denn ein mitgeteiltes Ge- chen hier über den Derrida der sechziger- bis achtizer Jahre.) Doch sei die
heilnnis ist kein Geheilnnis mehr). Bei DionysiusiTimotheus gehe es um die Stelle bei Derrida, der die Angelegenheit bei aller gewitzigten Distanznahme
Beziehung zwischen dem Ort der "cryphiomystischen Geheimnisse der zu den ,Inquisitoren' der akademischen Disziplinen und bei aller geradezu
lichtvollen Dunkelheiten" und dem, was darill/daruber soziales Band macht. überbordenden Ironie, die diesen Passus trägt, in der Schwebe hält, "instabil
Es müsse, schreibt er, eine "bestimmte Homologie" zwischen diesem Ort und in den Bedeutungen changierend", im Zusammenhang wiedergegeben.
und der "Topographie des sozialen Bandes, das die Nicht-Verbreitung zu Derrida ahmt hier die sprachlichen Gesten der Gegner des "Geheimbundes
der Dekonstruktionists" nach, wie oben Lacan, angestoßen durch Benoit, die
der SAMCDA nachahmte:
580 Derrida versicherte Lacan seiner Liebe. Ein Kapitel seines Buches: "Vergessen wir nicht:-
die Psychoanalyse" Ist überschrieben: "Aus Liebe zu Lacan", (Derrida, J.: Vergessen wir "Doch werde ich es vermeiden, vom Geheimnis als solchem zu spre-
nicht - die Psychoanalyse. Ffm., 1998) chen. Diese kurzen Anspielungen auf die Negativität des Geheimnis-
581 "Verlage und UniversItäten" bilden gewissermaßen die A~ßen~ertretung der ~AMCTA. ses und auf das Geheimnis der absprechenden Verneinung schienen
Lacans Werk nennt Kittler "Samisdatliteratur" Er beschreibt die Lacan-RezeptlOn m der
BRD um 1975 folgendermaßen: "Verlage und Universitäten hierzulande wollten nichts mir notwendig zu sein, um ein anderes Problem zu situieren. [...] Es
davon wissen. daß wir aus Bäuchen gekommen sind, bei der Geburt eme Plazenta verheren geht um dieses, was stets und zwar nicht zuflillig die ,negativen Theo-
und eme Narbe davontragen, um fortan in Wortnetzen zu leben, zu weben und zu sein.
Samlsdatliteratur- hinter und vor all den eisernen Vorhängen, die Europa damals zer-
schnitten." (Kittier, F.. "Es ist eme Tatsache, daß Frauen begabter smd." Das Treffen in 582 Derrida, J.. Wie nicht sprechen, S. 40
Straßburg: Eine rätselvolle Begegnung mit dem Irrenarzt Jaques Lacan, FAZ, 12.04.2001, 583 Ebd.
584 Ebd.• S. 46
Nr. 87)
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logien' und alles das, was darin einer Form esoterischer Sozialität äh- rung, bestenfalls in den einer Politik der Grammatik. Denn filr sie gibt
nelt, mit Erscheinungsweisen einer Geheimgesellschaft verknüpft hat, es nur Schrift und Sprache, nichts jenseits, obgleich sie doch vorge-
so als ob der Zugang zur apophatischen Rede in seiner größten Stren- ben, den ,Logozentrismus' zu ,dekonstruieren', und genau damit an-
ge die Teilung eines ,Geheimnisses' erforderte - das heißt eines fangen.
Schweigen-Könnens, das stets mehr wäre als eine leicht nachzuah- 2.) Wenn Sie es vermögen, sie zur Rede zu stellen, so werden sie
mende logische oder rhetorische Technik, und eines vorbehaltenen schließlich gestehen: ,das Geheimnis ist, daß es gar kein Geheimnis
Inhalts, eines Ortes oder eines Reichtums, den es dem erstbesten, der gibt, doch es gibt wenigstens zwei Weisen, diese Proposition zu den-
kommen mag, vorzuenthalten gälte. Alles geht vonstatten, als ob die ken oder zu beweisen', und so weiter. Denn, Experten, wie sie sind, in
allgemeine Bekanntmachung (divulgation) eine Offenbarung gefahr- der Kunst der Vermeidung, können sie besser verneinen (nier) oder
den würde, wie sie der Apophasis versprochen wird, dieser Dekryp- absprechen (denier) als behaupten (dire) - was es auch sei. Sie ver-
tierung, die, um die Sache unverschleiert (aperikaluptos) erscheinen ständigen sich stets, um zu vermeiden zu sprechen, wiewohl sie viel
zu lassen, sie zunächst verborgen vorfmden muß. Geregelte Rekursi- sprechen und ,Haarspaltereien betreiben'. Einige von ihnen geben
vität und Analogie: diejenigen, die heute noch an der ,Dekonstrukti- sich einen ,griechischen' Anschein, andere einen ,christlichen', sie
on', am Denken der differance oder der Schrift der Schrift eine bas- berufen sich auf mehrere Sprachen zugleich, man erkennt daran die,
tardierte Wiederauferstehung der negativen Theologie denunzieren, welche den Talmudisten ähneln. Sie sind hinreichend pervers, ihre
sind auch diejenigen, die mit Vorliebe die, die sie die ,deconstructio- esoterische Lehre populär und /ashionable' zu machen. Ende einer
nists' nennen, verdächtigen, eine Sekte, eine Bruderschaft, eine esote- wohlbekannten Anklagerede. ,,58
rische Körperschaft, ja, vulgärer noch, eine Clique, eine Gang oder,
ich zitiere, eine ,Mafia' zu bilden. Insofern es dabei ein Gesetz der Es dürfte klar geworden sein, dass die Stoßrichtung in dieser fiktiven Ankla-
Rekursivität gibt, läßt sich die Logik des Verdachts bis zu einem ge- gerede die gleiche ist, in die auch die VorwUrfe gegen Lacan durch die
wissen Punkt formalisieren. Diejenigen, welche die Untersuchung o- SAMCTA zielten. Von der Art wie Punkt 2 sind darüberhinaus die denunzia-
der den Prozeß führen, sagen oder sagen sich, sukzessiv oder alterna- torischen Anwürfe, die schließlich auch filr Borch-Jacobsen und M. Bowie
tiv: das letzte Wort zur Analyse Lacans formulieren: Scharlatanerie, nur Magie
Diese Leute da, Anhänger der negativen Theologien oder der De- des Sprechens, Sprechen um nichts zu sagen, dies aber weder einzugestehen
konstruktion (der Unterschied zählt filr die Ankläger gering) müssen noch nicht einzugestehen. Eine Abgrenzung Magie/Wissenschaft sei gar
wohl ein Geheinmis haben. Sie verbergen etwas, denn sie sagen nicht mehr möglich. Es würden die Grenzen (in unverantwortlicher Weise)
nichts, sprechen in negativer Weise, antworten auf alle Fragen mit von innerhalb und außerhalb der Akademie aufgelöst.
,nein, das ist es nicht, so einfach ist es nicht' und sagen alles in allem, In der Tat ist die Frage, was eigentlich Sozialitäten wie die hier in Rede ste-
daß dieses, wovon sie sprechen, weder dieses noch jenes noch ein henden konstituiert, eine schwerwiegende. Es geht um die Legitimität und es
Drittes ist, weder ein Begriff noch ein Name, daß es alles in allem ist legitim zu fragen, über welches schwer zugängliche Wissen sie überhaupt
nicht ist und folglich nichts ist. verfügt und wie sie es übermittelt und tradiert. Ist die borromäische Topolo-
1.) Doch sowie dieses Geheimnis sich ersichtlich nicht bestimmen gie und der Diskurs über die Knoten, Schlingen, Schnurschlingen, geplätte-
läßt und nichts ist, erkennen sie es selbst - diese Leute da haben gar ten Knoten und was der meta-geometrischen Figuren aus dieser besonderen
kein Geheimnis. Sie geben vor, eines zu haben, um sich neu zu grup- Mathematik mehr sind, noch zu etwas anderem nutze als dazu, Verwirrung
pieren um eine soziale Macht herum, die gegründet ist auf der Magie
zu stiften?
eines Sprechens, geübt darin zu sprechen, um nichts zu sagen. Diese
Obskurantisten sind Terroristen, die an die Sophisten erinnern. Ein
Platon wäre schon nützlich, um sie zu bekämpfen. Sie sind im Besitz
einer realen Macht, von der man nicht mehr weiß, ob sie innerhalb
der Akademie oder außerhalb der Akademie anzusiedeln ist: sie tun
sich zusammen, um auch diese Grenze zu vernebeln. Ihr angebliches
Geheimnis gehört in den Bereich des Trugbilds und der Mystifizie- 585 Ebd" S. 35ff
261
260

Die Matheme und Knoten sind keine Junggesellenmaschinen Zu vergleichen mit der Konstruktion einer surrealistischen Junggesellenma-
7.5 schine sind Lacans konjekturale Theoreme zur Formalisierung des Zugangs
"Yün-men sagte: ,Laßt euch nicht von mei- zu einem desubjektiven Wissen, das dennoch nicht das der Akademien und
nen Worten irreführen und zu unsinnigen Universitäten ist, jedoch gerade nicht. 588 Es geht nicht darum, mittels einer
Bemerkungen hinreißen. Solange ihr nicht borromäischen Topologie eine "Junggesellenmaschine" zum Laufen zu brin-
der seid, der die ganze Sache wirklich gen, sondern den Signifikanten zu entziffern oder des Realen ansichtig zu
durchgestanden hat, werdet ihr nie zu Ran- werden, also etwas zu sehen, was ,sonst' nicht zu sehen ist, was weder der
de kommen. Wenn ihr von einem alten Ordnung des Imaginären angehört noch der des Sinns. Borch-Jacobsen aber
Mann wie mir überrascht werdet, kommt vermittelt den Eindruck, als konstruiere Lacan etwas wie besagte Maschine
ihr sofort vom Weg ab und brecht euch die und überantworte sie den Partizipanten seiner experimentellen Seminare, um
Beine. Und ist mir dafür ein Vorwurf zu sich mit diesen oder sogar auf deren Kosten einen Ulk zu machen.
machen? Dies vorausgesetzt, ist da einer Allerdings ist die bOITomäische Topologie eben auch nicht mit einer exakten
unter euch, der das eine oder andere über Wissenschaft zu verwechseln. Sie visiert die Wahrheit, die exakte Wissen-
die Lehre unserer Schule wissen möchte? schaft aber, in die die borromäische Topologie unmöglich zu übersetzen ist,
Er trete vor, damit ich ihm antworte. Er konstituiert sich ja nach Lacan erst auf der Basis der Verwerfung (des Beg-
wird vielleicht eine Wendung erfahren und riffs) der Wahrheit. Die lacanschen Konjekturen zurechtzustutzen, bis sie
frei sein, in die Welt hinauszugehen, Ost widerspruchsfrei, quantifizierbar, wiederholbar und vorhersagbar werden, bis
oder West. ' sie also den Kriterien einer exakten Wissenschaft genügen, ist in der Tat ver-
Ein Mönch trat vor und wollte eben eine fehlt. 589 Weder also dies, noch aber auch ist es angemessen zu denken, es
Frage stellen, als der Meister ihm mit dem handele sich um einen höheren Witz, den man nur goutieren oder nicht gou-
Stab auf den Mund schlug und vom Sitz he- tieren kann, schlimmstenfalls auf dessen Ernst-Anschein hereinfallen, um
runterkam. " (Überlieferung um die Person schließlich sich loszureißen und zum Gewohnten zurückzukehren.
Yün-mens) Mit den Mathemen zu "operieren" ist, anders als Borch-Jacobsen meint, aber
möglich, man darf "nur nicht zu viel knausern", wie das wohl Laplanche und
7.5.1 Ist das Nicht-Mathem mathematisierbar? Labarthe getan haben, man soll sie "blöde gebrauchen", um "zu etwas zu
Eine systematisch-mathematische Entwicklung des Anliegens der lacanschen
Topologie ist fiir Borch-Jacobsen ein ridikulöses Unterne~en. Man ~.ann 588 Hier ist em Wort zu Lacan und zu der frühen ,expressiomsttschen' Rezeption Freuds in
dem Verfasser von "Lacan. Der absolute Herr und Meister .~ur zur Halfte Frankreich am Platz. Von unbedeutenderen Ausnahmen abgesehen hatten bis zu Lacan in
Recht geben. Tatsächlich hat Lacan sich nur lust~g gemacht uber J. Laplan- FrankreiCh nur die Expressionisten Freud gelesen und die mcht wtrklich gelesen, sondern
gewissermaßen nur reZipiert. Breton hatte gesagt: Ich braUChe Freud mcht zu lesen, Ich
ehe und S. Leclaire, die eine solche MathematlSlerung der lacanschen Ma- ,,habe ihn in mir" (zit. n. Roudinescou, Vortrag vor dem Institutfrancats am 14.05.04 m
theme anlässlich ihres Berichts auf dem Kolloquium von Bonneval~e anhand Berlin) - was in Signifikanter Welse auf das spezifische Freud-Bild dieser Generatton m
des Textes "Das Drängen des Buchstaben im Unbewussten" zu lelsten ver- FrankreICh deutet. Von hier aus ist Lacans Satz zu deuten, demzufolge die Expressionisten
me etwas aus der Entdeckung des Unbewussten gemacht hätten, me "zu etwas gekommen
suchten. 586 Borch-Jacobsen schreibt dazu: smd" (Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 11). Die expresslOnisttschen Freud-Reziplenten
"Deshalb wäre es übrigens ebenso lächerlich, mit Lacans Ma!hemen waren m der Sicht Lacans sympathische Neo-Obskurantisten, denen Freud lediglich als em
operieren zu wollen, als wenn man versuchte, eine surreahstlsche Stichwortgeber unter anderen für diesen ihren Neo-ObskUranttsmus diente. Auch die Psy-
, b ' ,,587 chlatne funktionierte m dieser Zeit m FrankreICh weitgehend von Freud unberührt und erst
,Junggesellenmaschine' zum Laufen zu rmgen. Lacan steuerte eme freudianische Lesart der Psychiatrie bel, wohmgegen die Psychiater in
Frankreich Sich zu dieser Zelt am "Urunbewussten" Pierre Janes onentlerten.
589 Die "Kategorien" des Realen, Symbolischen und Imagmären dienen zwar dazu, Sämtliche
psychoanalytischen Phanomene beschreiben zu können, aber nicht in der Form emer exak-
586 Vgl. hierzu: Borch-JacobSen, M.: Lacan, Der absolute Herr und Meister, S. 182
ten Wissenschaft.
587 Ebd.
263
262
allem denn selbst gründe, wenn das Viele und Differente auf es als sein
,,590 b dann kann man den SignifIkanten'glücklich entzi!fern o~er Zentrunl hin konvergiert. Aber natürlich steht hier die daoistische Lehre im
kommen , a ,er , dl d K' tnis der diesen DIS-
des Realen ansichtig werden. Ohne grun egen e enn . Mns- Hintergrund. Es scheint dem Schüler um den logischen Nachvollzug des on-
kurs bestimmenden SignifIkanten aber nützt, möch~e man sd , :l~d~c Be-
agen
tologischen Werdeprozesses zu gehen. Im Dao-Te-King steht geschrieben:
, nichts man wird in die Irre gehen. Emgehen e, ge u Ig~
tsech~~idhg;gt ist aiso vonnöten. Jedenfalls ist Lacans analytis,chter Dt lRskurechSt "Die Führerin des Alls bringt die Einheit hervor, Die Einheit bringt
die Zwei hervor, Die Zwei bringen das Dritte hervor, Die Drei brin-
, . 'M tr r "des Knotens IS ers
nicht der surrealistische und dIe" ons a Ion , " 'k d gen die zehntausend Wesen hervor. Die zehntausend Wesen tragen
kein Dada, so wenig die Statements der alten Zen-MeIster emer Logl es daher rückwärts das Dunkle"592
Absurden folgen.
Sie tragen, anbei bemerkt, "das Dunkle", wie die Null die Reihe der Zahlen
7.5.2 Der Wissenstrteb der Zen-Schüler durchsteppt und Leerheit die SignifIkantenkette. Gleichwohl, die Frage, wo-
, f schon hingewiesen wurde, nicht ums Ver- hin denn das "Eine selbst zurückgeht", hätte korrekt daoistisch also mit "Auf
Es geht im Fall der Koan, worau , kur f d' Lehrüberlieferung
st~henb s,o~~~:u~:i~:~~:: ~~~c~~::U~:bli::~L~:ans borromäischer die Führerin des All", das Dao selbst, beantwortet werden müssen. Eine auf
der Linie der Frage sich bewegende Antwort, die eher an den Lehren des
o er~loe\e
g
schl~memdes System führt, so ,unverzic~tbar denno~h Kenn~­ Buddhismus und des Zen orientiert wäre, hätte lauten können, dass das Eine
~~;e in den wissenschaftlichen Disziplinen smd'h~uIf dlde falswc~~~ä~:. ~~~ seinerseits auf ein Zentrunl hin konvergiert, das das eines Nirgendwo ist. Der
, .' 't d Wissenstrieb" der Sc u er, em 1 ' , ' Meister in unserem Beispiel verlässt aber die vorgegebene Linie, wechselt
em Zen-MeIster ml em" , '" d den Unterweisungen
sie sich unter Zen vorstellen mit der Uberhefe:,ung ~ B" I anhand gleichsam den Schauplatz und monstriert unmittelbar, "woraufhin dieses Ei-

.
Eau~~~g ~e~~:~:~;~h~~;a:::::d:= F~l:~:Uhd"
ddeers M44eisKteoranin
", .
ver-
' en was ler ge-
ne hinausgeht", Auch anband dieses Zen-Beispiels aus der "Niederschrift
von der smaragdenen Felswand" lässt sich sehr gut die Durchkreuzung des
deutlichen. (Es wäre aber fast jedes Koan geeIgnet zu zelg , indisch-idealistischen Diskurses durch einen grundlegend neuen Signifikan-
meint ist.): . ten erkennen. Aber so wenig wie Lacans analytischer Diskurs mit der An-
, l' hk 't henZUfÜck auf Emes. kunft einer surrealistischen Junggesellenmaschine an seinem Ende ist, so
Alle die zehntausende von Dmg lC . el en ge .. 'D-
Welches ist der Ort, auf den das ..Eme selbst zuruckgeht? sa,: wenig sind die Koan als fernöstliches Dada anzusehen. Es ist mehr daraus zu
Dschou sagte: ,Als ich [noch] in T)mg-dschou lebte, machte Ich ~rr machen, ja es muss mehr daraus gemacht werden.
[einmal] einen Leinenrock, der hatte ein GeWIcht von SIe en Die vorgeblich/anscheinend einem "Wisstrieb" (der nach Lacan, nicht nach
Pfund. ",591 Freud, in reiner Form ja gar nicht existiert) entspringende spekulativ-
idealistische Frage nach der Natur des Einen und die Absicht, den Meister
Aufden ersten Blick wl11 e~c~ep~ye~ika~e~~:~:leDd:;S;:a~e~~r::e~~; aufs Glatteis zu fiihren und im Wettstreit um Worte und Verstehen zu obsie-
gen, befmden sich hier in einer eigentümlichen Vermischtheit. Die wahre
legendes Problem aus er, e f d Eine als der Grund von
gleichsam Neuplatoniker, denn er fragt, worau as Frageintention scheint auf einem Herrschaftsbegehren in der Ulnhüllung des
"Wisstriebs" zu gründen. Was bei der SAMCTA als quasi-transzendentales
SignifIkat fungiert, die Triebe, ein bioenergetisches Kraftfeld oder das
590 Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 1~ ' n dersmara denen Feiswand, Bd. 1, S. Trauma, dem entspricht hier, auf dem Feld, auf dem die Meister des Zen sich
591 Bi-Yän-Lu, Meister Yüan-wu's ~I~~:h:~~ ~~se1ben Sam~iUng hier behandelt werden auseinanderzusetzen haben, jenes Eine und Letzte, auf das alle Dinge hin
241. - Ebenso gut hätte,n fOlge~ e der Patnarch vom Westen hergeKommen ist? Dscha~­ konvergieren. Wie schon geschrieben, gibt es einen Punkt, wo sich das Phi-
können: "Was Ist der SInn, m em . Garten Der Mönch versetzte: Ehrwürdl- losophieren in der Manier des Neuplatonismus und die Tiefenpsychologie in
Dschou erwiderte: Der .Leben;bau~t da ;o~~r:utlich~g des Menschlichen. Der Mönch
ger, verwendet nIcht dIe Au e~we . z u , . h vom Westen hergekommen ist??
fragte [abermalS]: Was 1St der SInn, m dem der Patnarc Garten" (Ebd S 242f) Oder:
'd rt 'D Lebensbaum da vom 1m ' "','
Dschau-Dschoe erwi e e, erd' M -pmg' Was ISt der wesentliche Sinn des Buddha- 592 Lao-Tse: Tao-Te-King, S. 53
E'n Mönch fragte den ehrwür Igen u " ' " " 's 243)
'ge:etzes? Mu-pmg sagte: Wie ISt dieser Wachskürbis doch groß. (Ebd" .
264 265

ihrer Entgegengesetztheit entsprechen. Der Wille zur Erkenntnis des letzten sich Lacan im Stande, einem Analysanten die Beschreibung des Phantasmas
Zusammenhangs der Dinge oder der letzten Verankerung des Subjekts ver- einer Analschwangerschaft mit anschließender Entbindung durch Kaiser-
schleiern etwas viel naheliegenderes. Es wäre hier bezüglich dieser Ver- schnitt in einer Zeit zu entlocken, in der er sich, wäre er wie die SAMCDA-
mischtheit der Motive nicht falsch, etwa an Nietzsches Gleichsetzung von Spezialisten verfahren, noch die Spekulationen des Subjekts über die Philo-
Erkenntnisinteresse und Wille zur Macht zu denken. Jedenfalls deutet die sophie Dostojewskis hätte anhören müssen. Dieses groteske Beispiel dient
Antwort auf den unbewussten Wunsch des Fragenden hin. Sie gibt gleichsam unter anderem zu zeigen, wie die Vorbringung weltanschaulicher Ideen sei-
seine Botschaft in umgekehrter Form zurück. Dem Ansatz des meditativen tens des Analysanten in der analytischen Situation immer daraufhin deutet,
Umkreisens des Einen, der genau sich der Mönch befleißigt, wird eine Absa- dass es dem Analysanten darum zu tun ist, den Analytiker zum Verbündeten,
ge erteilt, die zugleich die Frage in ihrer wahren Form hervortreten lässt. Der zum Komplizen zu machen, den narzisstischen Konflikt zwischen Ego und
Frager erhält seine Frage zurück (in umgekehrter Form, in ihrer wahren Alter Ego vom Analytiker zugunsten des Alter Ego entscheiden zu lassen.
Form) und was sich ,oberhalb' ihrer wahren Intentionalität liest, erweist sich Widersteht jedoch der Analytiker dieser Verführungskunst, führt er derartige
als deconnage, "orientiertes Scheißgequatsche,,593 Ideen auf das zurück, was sie tatsächlich bedeuten, kommt es bald zum Ab-
"Was das Beste im Buddhismus ist, das ist das Zen, und das Zen, das bruch des spiegelfechterischen Verkennungsdiskurses, womöglich zu einem
besteht darin - dir zu antworten mit einem Geblaffe, mein Freund- vorübergehenden verzweifelten Verstummen. Die Frustration des Anspruchs
chen.,,594 kommt einem Wirksamwerden dessen gleich, was Arokiasamy für die Theo-
rie der Praxis des Zen Antistruktur nennt:
Unter freier (spielerischer) Verwendung einiger Topoi aus dem Seminar über "Struktur' bezieht sich auf Formierung, Training, Erziehung, Diszip-
das Reale, das Symbolische und das Imaginäre (R.S.I.) ließe sich formulie- lin, Samadhi, Selbstaufbau, Selbstbejahung. ,Antistruktur' bezieht
ren: Der Fragende "orientiert" eine "unendliche Gerade" zu einem "Kreis" sich auf Konversion, Selbstverlust, Sterben, Verwandlung. Es ist
und möchte eine ,,(Schnur)Schlinge" daraus "knoten", um den Meister daran ,plötzlich' und subversiv [...] Gesetz, Institution, Selbstidentität wer-
aufzuhängen. Als Antwort aber eben erhält er seine "Botschaft" in ihrer den in der Antistruktur oder der Verwandlung weggenommen oder
"Ungeplättetheit" zurück. "Ungeplättet" heißt hier: Das Gesagte, das alle versagen. Es bedeutet, in den Grenzzustand von ,weder das eine noch
Anzeichen seiner "Orientiertheit" am Geschriebenen zu erkennen gibt, wird das andere' zu gehen, ins Nirgendwo.,,596
zurückverwandelt aus der "Zweidimensionalität" (Schrift, "geplättet") in die
"Dreidimensionalität" (gesprochene Sprache, "ungeplättet"). Antistruktur ist das "Zerbrechen der Struktur, von Kontinuität und Wohlbe-
Dschau-Dschou legt also seinerseits dem, der ihm die Schlinge umzulegen fmden,,597, der Entzug der die Realität zu einem vermeintlich sinnhaften Ge-
trachtet, selbige um den Hals, indem er dessen Begehren "wörtlich nimmt", füge machenden subjektiven Koordinaten des Phantasmas, demnach, wie in
das heißt; indem er zu verstehen gibt, wie er sieht, dass in den Worten des obigem Koan-Beispiel vom schweren Rock, ironischerweise das Hinbewe-
Fragenden dessen Begehren erscheint. In einer zunächst unverständlichen gen genau dorthin, wo das Eine, auf das alle Dinge hin konvergieren, selbst
Chiffre kommt dem Fragenden sein unbewusstes Begehren und sein Wunsch hin zurückgeht: auf das Nirgendwo.
zurück. Je sinnentleerter ein Symbol als Münze im Spiel der Deutung zu-
nächst erscheint, desto größer ist seine Wirksamkeit.
595 Vgi.. Lacan,1.. Sehr. I, S. 16. - Schneiderman, der von Lacan analySIert wurde, schreibt zu
7.5.3 Der enggeführte Signifikant den Kurzsitzungen: "Es lag etwas von einem Schrecken des Todes In den KurzsUzungen,
in diesen Psychoanaiysesltzungen bei denen man die Dauer mcht vorweg wußte. [...]. Der
Durch das forcierte Analysetempo, hervorgerufen durch die berüchtigten, auf aus der Kürze der Sitzungen und aus der Unvorhersehbarkeit ihres Endes geknüpfte Effekt
Seiten der Analysanten Eile und Hast erzeugenden Kurzsitzungen595 , sah schafft eine Situation, die auf großartIge Welse die Tendenzen zur freIen AsSOZIation er-
mutigt. Sie sagen alles, was Ihnen durch den Kopf geht, fast unmittelbar, spontan, weil sie
gar mcht die Zelt haben, WIederzukäuen, die bessere Formulierung zu suchen." (zU. n..
Roudinesco, E.. Jaques Lacan, 571f.)
593 Lacan, Jaques: S XXII, R.S.I., S. 57. 596 Aroklasamy, AM.. Warum Bodhidharma In den Westen..., S. 76
594 Lacan, J.: S XX, Encore, S. 124 597 Ebd.
266 267

Tatsächlich kommt Lacan gleich in dem Abschnitt, der dem Dostojewski- europäischen "Aufklärung" (enlightment) verwechselt werden. Nicht alles,
Beispiel folgt, auf die Technik, "die man mit dem Namen Zen bezeichnet" was Abseits der Linie dieser Aufklärung liegt, ist als "nicht erhellt" anzuse-
zu sprechen. hen. Die "gewissen Beschränkungen, die unsere Praxis sich auferlegt", sind
womöglich eher bei Lacan selbst überschritten, das Zen hält sich, ungeachtet
"Wir sind zudem nicht die einzigen, die bemerkt haben, daß dieses
Verfahren sich der Technik annähert, die man mit dem Namen Zen der bereits erwähnten gewissen Entartungserscheinungen, die bei jeder Insti-
bezeichnet und die als Mittel der Offenbarung des Subjekts in der tra- tution zu beobachten sind, an ,Regel und Gesetz'. Die Zen-Praxis ist in ihren
ditionellen Askese gewisser fernöstlicher Schulen angewandt wird. Zielen und Methoden, entgegen einem landläufigen Vorurteil, klar defmiert.
[...] Wir wollen nicht so weit gehen wie diese Technik, die in ihren Lacan selbst setzte sich, besonders in seinen späten Jahren, weit eher über
Extremen gewissen Beschränkungen sich widersetzt, die unsere diese "gewissen Beschränkungen" hinweg, als wollte er geradezu die (ver-
Technik sich auferlegt; doch scheint uns eine zurückhaltende Anwen- meintlichen) Methoden des Zen, so wie sie dem aufgeklärten abendländi-
dung ihrer Prinzipien in der Analyse viel zulässiger zu sein als gewis- schen Sinn als nicht aufgeklärt aufstoßen, noch überbieten. In Berichten, die
se Arten der sogenannten Widerstandsanalyse, zumal sie keinerlei Schüler Lacans über ihre Analyse gaben, ist sogar von Faustschlägen die
Gefahr einer Entfremdung des Subjekts in sich birgt. ,,598 Rede, die Lacan austeilte, insgesamt von überaus unorthodoxen und offen-
kundigjedes Maß einer aufgeklärten Praxis überschreitenden Mitteln. 601
Lacan spielt hier auf die Praxis des Dokusan an. Dokusan (wrtL "allein zu Arokiasamy beschreibt die "Antistruktur" bewusst als Diskurspraxis, als Teil
einem Höheren gehen") meint nach M. S. Diener die einer spezifischen Mystagogie. ,Letzte Wahrheiten' lassen sich bei Lacan
und im Zen als Matheme oder Koan strategisch besetzen, aber
"Begegnung eines Zen-Schülers mit seinem Meister in der Zurückge-
zogenheit von dessen Raum. Dokusan gehört zu den wichtigsten E- ,,(w)as hier beschrieben ist, das ist die Dimension der Erfahrung des
lementen in der Schulung des Zen; es bietet dem Schüler die Mög- Zen und der Koan-Arbeit, und sollte nicht mit der ontolo~ischen oder
lichkeit, allein vor seinem Meister alle Probleme vorzubringen, die religiösen Wirklichkeit als solcher gleichgesetzt werden." 02
seine Übung betreffen, sowie in der Begegnung mit seinem Meister
den Stand seiner Übun~ zu demonstrieren und die Tiefe seiner Zen- Das "Zerbrechen der Struktur, von Kontinuität und Wohlbefinden" bedeutet
Erfahrung auszuloten." 9 im Beispiel Lacans die Unterbrechung eines Sagens, das darauf angelegt ist,
Komplizenschaft zu erzeugen im Teilen von ,letzten Wahrheiten' und statt-
In den alten Texten wird von den seltsamsten Vorfallen bei solchen Begeg- dessen einem Wissen - dem des Unbewussten - Bahnen zu schaffen, in dem
nungen berichtet, die während intensiver Übungsperioden täglich zu festge- der Mangel- gerade als einer des Wissens, als Fehlen von ,letzten Wahrhei-
setzten Zeiten (ohne Festgelegtheit der Aufenthaltsdauer des Schülers im ten' - anerkannt ist. Das ist der radikal desillusionistische Zug, der diese
Raum des Meisters, ähnlich wie bei Lacans Kurzsitzungen) stattfinden. beiden Schulen verbindet.
("Dreißig Hiebe, wenn du sprichst; dreißig Hiebe, wenn du schweigst". Die Philosophie Dostojewskis (nicht von ungefahr gerade diese, denn Dosto-
"Sprich ein schnelles Wort!") Derartige Berichte aus alter Zeit sind sicher- jewskis Name steht gleichsam synonym für Tiefsinn) muss, wo sie beim A-
lich durchaus wörtlich zu nehmen. Gerade deshalb ist auf den Verdacht, der nalysesubjekt in der Übertragung auftaucht, als Metapher verstanden wer-
sich hier einstellen könnte, eine solche Praxis sei willkürlich oder "nicht auf- den, die in der Unterbrechung ihrer Entwicklung eine neue Metapher hervor-
geklärt", zu antworten. "Eine Praxis braucht nicht erhellt zu sein, um zu ar- bringt. Alle diese Metaphern (Dostojewski, Analschwangerschaft) aber sind
beiten,,600, bemerkte Lacan. Die Praxis des Zen allerdings "arbeitet" und ist nur auf dem ,anderen Schauplatz' erscheinende, anamorphe Ausdrücke des
"erhellt", nur darf hier "Erhellung" (enlightment) nicht mit dem Begriff der unbewussten Wunsches und haben nichts mit der Wahrheit des Subjekts,
dem Kern seines Seins, seinem Trauma zu tun, außer insofern sie Metaphern
dieses unbewussten Wunsches sind. Und dieser muss, nach vielleicht einer
598 Lacan, J.: Sehr. I, S. 161
599 Diener, M. S.. Das Lexikon des Zen, S. 50 - Die Praxis des Dokusan Ist übrigens nur noch
im Rinzal-Zen in Gebrauch. 601 Vgl. hierzu: Roudinesco, E.. Jaques Lacan, BerIcht über em Leben...
600 Lacan, J.: RIf, S. 64 602 Arokiasarny, A.M.. Warum Bodhidharma in den Westen..., S. 76
268 269

Phase des verzweifelten Verstummens des Subjekts, irgendwann zur Sprache Diese Koinzidenz aber nicht zu sehen, beruhe auf einer Art Stumpfheit des
kommen. Geistes:
,,(S)ollten wir ihnen [besagten Kollegen, J.A.], um diese Höllenstra-
7.6 Die Versenkung, der Schmerz und die Entpsychologisierung fen, die man sich niemals jenseits dessen ausmalen konnte, womit die
Menschen hier auf Erden den gewöhnlichen Unterhalt bestreiten,
Lacan hat uns ins Herz des Schmerzes zu
wieder gebührend zur Geltung zu bringen, inständig vor Augen hal-
existieren mitgenommen. Wenn er nicht da ten, einmal zu bedenken, wie sich unser tägliches Leben als ewiges
gewesen ware, ware ich tot oder verrückt Dasein ausnimmt?,,604
geworden. Wir sind alle Geisteskranke, a-
ber wir müssen nicht zwangslaufig alle ver- Diese Höllenpein, scheint Lacan sagen zu wollen, ist noch nicht der vollen-
rückt sein. Der Verrückte, das ist derjenige, dete Schmerz, dieser werde durch jene Praktiken erst evoziert. Sie arbeiteten
der der Welt die Verwirrungen seiner Seele mit dem Schmerz, denn erst der "Schmerz im Reinzustand" 605 verschaffe
zum Vorwurfmacht. (Vappereau) manchen Individuen zuweilen die privilegierte Erfahrung des Gefilhls von
Wiedergeburt. Lacan fUhrt ein Beispiel an, nämlich das von gewissen Träu-
In Kant mit De Sade'f ergreift Lacan Partei:fiir den Buddhismus und gegen mern, die noch lange ein Traum verstören würde, in dem sie im selben Mo-
ge;isse Psychoanalytikerkollegen und Psychiater, die die Bedeutun~ d~s ment das "unversiegbare Gefühl einer Wiedergeburt,,606 erlebten und auf den
Schmerzes nicht richtig einzuschätzen wüssten. Der Schmerz ist konstitutiv Grund des "Schmerzes am Dasein" dringen würden.
:fiir das Dasein, der Buddhismus trägt dem nicht nur Rechnung, er ist ihm ge-
radezu "offenkundiger Beweis :fiir die Praktiken des Heils"; In der Tat spielt in der Zen-Praxis der Schmerz eine wichtige, nicht zu
Nun sind zweifellos in den Augen solch blasser Epigonen [eben jene unter-, aber auch nicht zu überschätzende Rolle. Der Schmerz ist ein tiefes
Kollegen, JA] die Millionen von Menschen,.:fiir die das.Leiden a~ Koan und ... "Meditation tut weh." Mit diesem Satz überschrieb Wilhelm
Dasein der offenkundige Beweis :fiir die Praktiken des Heils Sind, die van de Wetering ein Kapitel seines autobiographischen Romans über einen
sie in ihrem Glauben an Buddha begründen, unterentwickelt. Ja, es zweijährigen Aufenthalt in einem Rinzai-Zen-Kloster in Japan. 607 Die Evo-
mag ihnen sogar, wie etwa Buloz [...] der es Renan ganz unve~blümt kation .des Schmerzes in der übung muss nun aber differenziert betrachtet
zu verstehen gab, als er, wie Burnouf berichtet, irgendwann in den werden. Sie hat nichts mit Repression oder gar Sadismus zu tun (von Entar-
fiinfziger Jahren (des vorigen Jahrhunderts) dessen Artikel über den tungserscheinungen abgesehen). Der die Signifikanten engführende strenge
Buddhismus zurückwies, ,unmöglich' erscheinen, ,daß es so dumme Formalismus des Zen entspricht eher dem Kritikverbot der Psychoanalyse,
Leute gibt' ,,,603 das bezweckt, das Subjekt zu seinem Ich- und Weltbild in Distanz zu setzen.
Der Schmerz dissoziiert von dem erratischen, von der (gewissermaßen ob-
Das Leben ist nicht lustig", gibt Lacan diesen Kollegen zu bedenken, die er jektiven) Dharmaordnung abweichenden Eigenwillen. Einmal mehr ist hier
~sammen mit jenen den Buddhismus abwertenden Religionsphilosophen zu sehen, wie die übung des Zazen also keine Versenkung in die Tiefen und
des 19. Jahrhunderts nennt. Jene "Praktiken des Heils" bestünden in einem Untiefen eines bloß (Subjektiv-)Imaginären ist. Im genauen Gegenteil: Sie
Verhältnis zu der alltäglichsten ,,Mühe, die es macht, da zu sein", Sie seien macht das Subjekt sich selbst fremd und zwingt es, sich aus einer gleichsam
nicht zu üben, um einer Hölle zu entgehen, deren Strafen im Jenseits zu er- objektiven Warte zu sehen oder besser gesagt: aus der Warte von Leerheit
leiden wären, vielmehr besteht hier die Hölle gerade in der alltäglichsten sein Ich zu sehen.
Mühe die es macht, da zu sein", Die "Praktiken des Heils" kämen zum Zu-
ie, wo' die Vorstellung von einer Hölle mit eben jener Mühe koinzidierte.
604 Ebd.
605 Ebd.
606 Ebd.
603 Laean, J.: Sehr. II, S. 148 607 Wetenng, van de, 1.. Der leere Spiegel
270 271

Der Schmerz bewirkt, indem er die Erfahrung des Wegfalls oder Versagens Schmerzes nichts wissen will. Das eigentliche Trauma ist schlicht das der
der imaginären Existenz-Garanten ins Werk setzt, einen Umschlag vom Ich- Geborenheit. Die Probleme und Symptome fungieren hier dann als der
zum Körper-Apriori. Er löst die "Vertäuungen des Seins,,608 und fokussiert Schirm, der vor dem Eintreten dieses Schmerzes bewahrt. Wie dem Subjekt
als den letzten Schauplatz des persönlichen Schicksals, der Schuld, des Ver- gerade durch das, worauf es sich als seine ,Probleme' fokussiert, der Blick
fehlens, der Pathologien und des Sinns den Körper. Bei der Evokation des auf dieses Faktum verstellt sein kann, so ist es in vielen Fällen einfacher ein
Schmerzes durch das lange Sitzen geht es also um eine Abtrennung, einen Symptom zu ertragen als das, zu dessen Verbergung es dient. '
Abriss von etwas dem Körper anhaftenden, aber dem Imaginären zugehöri- Die Gewahrnis des vollständigen Fehlens eines symbolischen SignifIkanten,
gen, die Abtrennung von etwas, das mit dem Körper - in ex-timer Weise - der das Subjekt als Ganzes in seinem Sein bezeichnet und der dem Schmerz
verklebt ist. Das Rühren am Knoten, der an das Sprachzeichen bindet, ge- wenigstens einen Sinn gäbe, ist bei Lacan der Wendepunkt der Kur, bei dem
schieht über den Körper, geschieht dem Körper und instabilisiert die Vertäu- es entweder zur Lyse kommt oder zu einem fatalen Ausgang. Aber die Reali-
ung des Subjekts mit diesem Sprachzeichen. Es fokussiert als Rest den un- sierung des B~gehrens, seine Inswerksetzung, kann nur da wirklich Vollzug
synthetisierbaren Körper selbst. Damit löst es die imaginären Verhaftungen, ~erden, wo dIe Gewahrnis des Fehlens des sinnverbürgenden SignifIkanten
die Vertäuungen des ,sprechenden Seins' und macht den "Palast der Trug- SIch zur Evidenz steigert. Die Evokation der Gewahrnis des Fehls, des Feh-
bilder,,609 wanken. Vom Rest her aber, wie Lacan lehrt, erfolgt die Begrün- lens eben dieses SignifIkanten, fokussiert das Reale als Ursache das die kon-
dung des begehrenden Subjekts. Erst an diesem Ort, am Ort des Körpers tingente SignifIkantenverkettung produziert. Der Wechsel, d~r stattfIndet
selbst, gelangt man vom bloßen ,Leiden an sich selbst' zum echten Leiden, v~rbunden mit der "Drehung des Objekts in sich selbst", ist folgender: Vo~
das, wie Zen-Meister L.T, Tenbreul sich einmal ausdrückte, emem als existierend unterstellten Groß A als Ursache zum Realen der Kon-
"die Konturen schärft, etwas klarstellt, die Schärfe und Kürze der Zeit tingenz als Ursache. Das Fehlen der Ursache wird nun seinerseits zur Ursa-
erkennen läßt und letztlich bedeutet, nicht daran zu leiden; Leiden an che und zwingt in die Verantwortung, in die Realisierung des Begehrens als
sich selbst verwischt die Sicht, man leidet an sich selbst ein Leben der Inswerksetzung der Vatermetapher.
lang, ohne zu begreifen, was Leiden wirklich meint.,,6IO
7.7 Verlust und Fehlen
Lacans Aufhebung der Lehre Freuds läuft durch die Fokussierung auf den Die M~hrzahl der Klientel von sowohl Zen-Meistem als auch Psychoanalyti-
"Schmerz des Daseins selbst" auf etwas hinaus, das die Entpsychologisie- kern, dIesen weltweit führenden ,Experten' in Sachen Leiden und Begehren,
rung des Unbewussten genannt werden könnte, denn sie verlagert den re~tiert sich aus solchen, die durch ein konfliktives Begehren in Leid gera-
Schwerpunkt auf das grundlegende Dilemma, das nicht pathologischer, son- t~n smd. Lacans Entpsychologisierung des Unbewussten und seine Wendung
dern konstitutiver Art ist. Von der Seite der Existenz her gesehen geht es um hm zur Monstration des "Schmerzes des Existierens selbst" und des aporeti-
jenen Schmerz, von der Seite des Wissens her um das Unbewusste, das, nach schen menschlichen Begehrens, das sich in jedem Objektbezug in Wahrheit
Lacan, in seiner "ursprünglichen Bedeutung" als Nicht-Wissen zu fassen ist. auf nichts bezieht, rückt die Analyse Lacans in größte Nähe zu den "buddhis-
Die psychoanalytische Festlegung auf das persönliche Trauma, also gewis- tischen Praktiken des Heils", Nicht die gemeinsamen Voraussetzungen der
sermaßen die Psychologisierung des Unbewussten, verschleiern das Faktum Analyse und des buddhistischen Zugangs zu den Phänomenen des Leidens
des Nicht-Wissens ebenso wie das des Schmerzes, der mit dem Existieren und des Begehrens zu sehen, kreidet Lacan seinen Kollegen an.
selbst untrennbar verbunden ist. Die Forschung und Praxis der SAMCTA J?er Verdruss am Dasein, der die Leidenden sich zu Analyse oder Zen-
zum Beispiel arbeitet aus dieser Sicht dann jenem allzu-menschlichen Willen Ubung entschließen lässt, reicht von da, enttäuscht zu sein von einem (empi-
zur Verkennung zu, der vom Nicht-Wissen und der Sinnlosigkeit des rischen) Objekt des Begehrens bis dorthin, enttäuscht zu sein von allen, von
der Welt insgesamt und als solcher. Ohne auf die vielen dialektischen Ver-
schiebungen und Windungen, die sich aus Freuds Analyse von Melancholie
608 Laean, J.. Sehr. II, S. 53 und Trauer ergeben oder auf dieser aufbauen, des näheren einzugehen- auf
609 Laean, J.: S X, Die Angst, S. 71
610 Tenbreui, L.T., in: Zen-Info, Nr. 62,63/1999, S. 23
den gröbsten Nenner gebracht: die Trauer akzeptiert einen Verlust erfolg-
272 273

reich, die Melancholie insistiert auf der narzisstischen Identifikation mit dem beziehen und dadurch ein Begehren, das sich auf kein Objekt des Begehrens
verlorenen Objekt und bewahrt es auch im Verlust - sei die Aufmerksamkeit beziehen kann und darf, zu realisieren und so geradezu das uranfangliehe
hier nur auf einen einzelnen Aspekt gerichtet, der für unsere Untersuchung Fehlen jeglichen Objekts des Begehrens zu bezeugen. Gewöhnlich aber ge-
bedeutsam ist, nämlich den einer Verwechslung von Verlust und Fehlen. schieht die Bezugnahme auf ein Objekt, um gerade der Gewahmis des uran-
Ein Objekt des Begehrens fehlt, wie oben dargestellt, von Anfang an. Es ist fanglichen, radikalen Fehlens jeglichen Objekts des Begehrens aus dem Weg
aber aus der Sicht der Analyse Lacans niemals der Mangel irgendeines Ob- zu gehen und in der Melancholie wird dieses Objekt, in dessen Besitz sich
jekts, der für den Menschen konstitutiv ist, sondern immer der Mangel an das Subjekt vermeintlich einmal befand, auch noch in seinem Verlust be-
Sein, also ein Mangel im Symbolischen. Das Erscheinen des Objekts ist aus wahrt.
dieser Warte nur die Positivierung dieses ursprünglichen symbolischen Es gibt bei Lacan nur den einen legitimen Umgang mit dem Objekt, nämlich
Mangels und jede seiner Evokationen gründet nur in dem Versuch, diesen ein Objekt des Begehrens in ein Objektfür das Begehren zu verwandeln und
Mangel aufzuheben. Das Begehren, das sich auf ein solches Objekt richtet, zur "Dignität des Dings" zu erheben. Sublimierung heißt dann, den Dingen
ist die Metonymie des Seinsverfehlens. Die trügerische Übersetzung von ihre Würde zurückzugeben und zugleich die Unabhängigkeit zu bewahren,
Fehlen in Verlust hat mit diesem Nicht-Wissen oder der Leugnung dessen zu nämlich sich über jedes Objekt hinaus zu begehren. Letztlich kann jeder be-
tun, dass das Begehren sich in Wahrheit von Anfang an auf nichts, auf ein liebige Gegenstand diese Qualität der "Würde des Ding" erlangen, es muss
Etwas, das in Wahrheit ein Nichts ist, bezieht und es tatsächlich überhaupt sich nicht, wie im Fall der buddhistischen Nonnen, um von vornherein als
keine Gegenstände des Begehrens gibt, dass solche Objekte nicht wirklich sakral eingestufte Gegenstände handeln. Die Kunst, sagt Lacan, und warum
existieren. Dieses Fehlen ist radikal, weshalb das Erscheinen des Objektes nicht dies auch für eine Lebenskunst geltend machen, erhebt egal welchen
(das Objekt wie das verlorene Objekt sind in dem Fall beide nichts als die Gegenstand zur "Würde des Ding". Solcherart aber muss der Umgang mit
Positivierung einer Leere) tatsächlich immer mit seinem Mangel einhergeht. dem Begehren und den Dingen sein, um nicht auf den Irrwegen zu laufen
Das entsprechende Leiden ist dann eines unter dem Verlust von etwas, das und in die dialektischen Sackgassen zu geraten, die für die eingerichtet sind,
tatsächlich nie besessen wurde. die nicht wissen, dass das Objekt von Anfang an radikal fehlt.
"Da ist ursprünglich kein (einziges) Ding" lautet einer der meistzitierten Sät- Wo diese Art Sublimierung nicht gelingt, handelt es sich in der Beziehung
ze aus dem Zen-Kanon. 611 Buddhistisch inspiriert zu leben und zu denken des Subjekts zum Objekt stets um den Versuch der Ausstaffierung eines
heißt, sich auf der Seite des ursprünglichen Mangels, nicht der des fälschli- Lochs oder den der Vergegenständlichung einer ursprünglichen Leere, um
cherweise angenommenen Verlusts zu situieren. Zwar finden viele Melan- die Bemühung einer Wiedereroberung von etwas, das nie verloren wurde
choliker (solche, die enttäuscht sind von allen empirischen Objekten, der zum Zweck der Aufrechterhaltung der Illusion, es gäbe verlierbare und wie-
Welt insgesamt) zum Buddhismus, aber der Buddhismus ist gerade keine Re- derzugewinnende Objekte des Begehrens. Der Verlust eines Objekts scheint
ligion der Melancholie. Es gibt kein Objekt des Begehrens und es gab nie ei- leichter zu ertragen als sein gänzliches Fehlen. Der Entzug der zur Überset-
nes, so seine Lehre, auf das das Begehren sich legitimerweise hätte beziehen zung des Mangels in Verlust dienenden Objekte gefahrdet dann den ,Zu-
können und ein solches Objekt, das in Wahrheit nie existiert hat, auch im sammenhang der Dinge' selbst, also die Lebenswelt des Subjekts. Zizek
Verlust zu bewahren, wäre dann der Gipfel des Widersinns. schreibt in diesem Sinne:
Da das Begehren sich aber aufirgendetwas beziehen muss, gibt es den Weg,
wie oben mittels der lacanschen Deutung eines monastischen Rituals zu er- "Wir haben es hier mit dem Zusammenhang von Anamorphose und
Sublimierung zu tun: Die Serie der Objekte in der Realität ist um eine
klären versucht612 , sich auf ein Objekt als Repräsentant des Nicht-Objekts zu
Leere herum strukturiert (oder impliziert vielmehr eine solche); wenn
diese Leere als solche sichtbar wird, löst sich die Realität ,als solche'
611 Vgl.: Hui-Neng, Das Sutra des sechsten Patriarchen, S. 38, wie W.O. bereits behandelt: auf. ,,613
"Im Grunde gibt es keinen Bodhl-Baum,
noch gibt es Spiegel und Gestell.
Da ist ursprünglich kein (einziges) Ding -
wo heftete Sich Staub denn hm?"
612 Vgi. das Kapitel: "Wie japanische Nonnen begehren" 613 Zirek, S.. Das Fragile Absolute, S. 144.
274

Die Gewahrnis der Fadenscheinigkeit,,614 der Objekte löst die Realität als 8 Diskurs über den Schmerz
solche auf das heißt' die Realität wird als "Palast der Trugbilder" kenntlich.
Die AUhft der analytischen Wahrheit stößt sie zurück ins Phantasma,
rückerstattet den Objekten ihre Unabhängigkeit und löst das Subjekt aus sei-
Dieser große Strom leitet das Wasser von
ner Verklebung mit ihnen.
Auch dem Diskurs um den Verlust der Mitte ist diese Verwechslung von einem Kürbis zum anderen und trocknet
Fehlen und Verlust eingeschrieben. Wenn ein Subjekt vom Verlust seiner niemals aus. Eine runde Säule wird
Mitte spricht, einer die Beziehung von Ich und Weit regulieren~en .Mitte, so schwanger und eine Steinlaterne begegnet
bewahrt es diese Mitte dennoch als fehlende. Es bewahrt den SlgmfIkanten, einer Steinlaterne. (Dögen)
der geeignet wäre, das Subjekt als Ganzes zu versichern, wenn auch ~ls Fe~­
lenden. Dieser SignifIkant fehlt in Wahrheit aber von Anfang an. Nicht die
Mitte des Subjekts ist wiederzufmden, sondern seine Leerheit zu entdecken. 8.1 Der "vollendete Schmerz" und sein Anschein
Das Nichtwissen die Nichtakzeptanz oder Leugnung des radikalen Fehlens, Die Nähe der Philosophie Heideggers zu gewissen buddhistischen Theorie-
das mit Lacan zdbestimmen ist als Mangel im anderen, bilden also die Vor- bildungen ist zweifellos gegeben und zu Recht auch immer wieder betont
aussetzung der falschen Übersetzung von Mangel in Verlust. Die Mitte ist worden. Den Philosophen aber als europäischen Zen-Meister darzustellen, ist
nicht verlorengegangen, es gab nie einen Verlust der Mitte, vielmehr fehl!e eine, wie schon dargelegt, äußerst fragwürdige Angelegenheit. Heidegger
eben der das Subjekt als Ganzes bezeichnende SignifIkant, von dem aus em hatte eben "seine Werkstatt nicht geschlossen", Seine Versuche über den
sicheres Hinausgehen in die Weit gewährleistet wäre, von allem Anfang an. Schmerz, denkerisch experimentiert anhand der Dichtung Trakls, sind jedoch
Jede Ethik muss auf dem Bestehenlassen des Mangels im anderen basieren. fur unser Sujet von hoher Relevanz. Die Unterscheidung von "endloser Pein"
Die Akzeptanz der symbolischen Kastration, die zuerst stets ?ie des ander~n und "vollendetem Schmerz" lässt sich, im Gewand einer anderen Begriff-
ist nicht ihre Verschleierung durch egal welche Objekte, selen es auch die lichkeit und in unterschiedlichem Theoriedesign, ebenso bei Lacan wie im
erhabensten, ist der etllische Akt par excellence. Zen-Meister Suzuki sagte: Zenfmden.
"Geben ist nicht anhaften; das bedeutet: überhaupt an nichts anhaften Die "endlose Pein" macht das Subjekt zu ihrem Spielball und lässt es erzit-
heißt geben.,,615 tern unter den Schlägen des SignifIkanten, die es zu fliehen sucht. Unver-
wandt zu verweilen im "vollendeten Schmerz" dagegen, sich in Unbewegt-
heit durchbeben zu lassen von den Wellen der SignifIkanten und diese gehen
zu lassen, dies ist die Haltlmg eines nicht mehr von Hingabe zu unterschei-
denden Standhaltens, die den Austritt aus der fatalen (pein-lichen) Ordnung
von Lustgewinn und Unlustvermeidung, Trieb und Triebunterdrückung, Ge-
setz und Übertretlmg ermöglicht.
Die Subjekt-Objekt-Spaltung wird im "vollendeten Schmerz" nicht dialek-
tisch aufgehoben, sondern verschmerzt, verwunden. Der Schmerz, heidegge-
risch verstanden, ist nichts anderes zum Dasein, so als wäre hier das Dasein
und dort der Schmerz, mit dem ein Dasein geplagt ist, den ein Dasein ertra-
gen muss, den es hat, vielmehr ist das Dasein selbst in seinem wahren Wesen
der "vollendete Schmerz", Heidegger würde sicher einer Bemerkung des
614 Vgl. zu Lacans Gebrauch des Begriffs "fadenschemlg'" Lacan, J: S XXII, R.S.I., S. 21: Schmerzforschers D.M. Morris zugestimmt haben, derzufolge
"Wenn der Faden durchscheint, heißt dies, daß Sich das Gewebe mcht mehrverbtrgt m
dem, was man den Stoff nennt [...] Die Formulierung fadenscheimg mahnt uns hmrelchend ,,[...]die gesamte wissenschaftlich-medizinische Weitsicht, die unsere
daran, daß es keinen Stoff gibt, der nicht Gewebe wäre." Kultur durchdringt - beharrlich dazu gefiihrt (hat), Schmerz als rein
615 SUZUkl, Sh.: ZEN-Gelst-Anfänger-Geist, S. 69
277
276

sinnliche Wahrnehmung, als bloßes Symptom, als biochemische Objektiven zu schlagen. Denn Heidegger weiß, dass die Überwindung des
Problematik fehlzuinterpretieren.,,616 Subjekt-Objekt-Dualismus nicht denkerisch geleistet werden kann, hierzu
bedarf es des Körpers, der "Erde".
Heideggers Versuch über den Schmerz ist gewissermaßen das Gegenteil des-
jenigen Unternehmens, das sich im Gefolge der medizinisch-mechanis- Der Ort des "vollendeten Schmerzes" ist der des Ursprungs oder sogar "Vor-
tischen Auffassung des Schmerzphänomens, so wie sie durch die Philoso- ursprungs", wie Heidegger schreibt. Das Sagen in diesem Modus (das "dich-
phie Descartes vorbereitet wurde, bemüht terische Sagen") "entquillt" diesem Ort, aber "fließt" im selben Zug in den
"stets verhüllteren Ursprung" zurück, in eine "Frühe", die sich selbst voraus-
,,[...], den Schmerz zu einem ordentlichen Bürger der neuen Vorstädte
liegt, die früher ist als sie selbst. Diese Frühe ist nicht Ursprung als histori-
des Wissens zu machen, (denn) irgendwann saust er unweigerlich zu-
scher Beginn, sondern Gegenwart des Ursprungs.
rück in das Gewinkel der alten Straßen, in dem Stadtpläne so gut wie
nutzlos sind und wo man sich, wenn überhaupt, nur mit Spürsinn zu- Die passage zu diesem "anderen Anfang" mündet in das Ankommen im
rechtfindet. [...] Unsere Kultur - die moderne, westliche, industrielle, Anwesen einer von der Herrschaft der Geschichtlichkeit (warum nicht sagen:
technokratische Gesellschaft - hat uns mit Erfolg überzeugt, daß vom Karma) befreiten Gegenwart. Der vollendete Schmerz ist Transmitter,
Schmerzen einfach und ausschließlich ein medizinisches Problem gleichzeitig Siegel und Unterpfand der Möglichkeit des Anwesens dieser
darstellen. Der Gedanke an Schmerzen erweckt fast unmittelbar die Gegenwart, Hüter und Bewahrer der Möglichkeit ihres Sein-Könnens. Ge-
Vorstellung von Ärzten, Medikamenten, Salben, Operationen, Kran- genwart ist hier aber auch wiederum nicht dualistisch als Gegensatz zur Ge-
kenhäusern, Labors und Krankenscheinen." 617 schichtlichkeit aufzufassen, denn sie durchwährt gleichzeitig immer auch
jedwedes
Es interessiert den Philosophen des Weiteren nicht, in welchen Zeitbezügen "Gestörte, Verhemmte, Unheile und Heillose, alles Leidvolle des Ver-
steht, was Trakl über den Schmerz sagt, der Dichter, mit dem er sich als fallenden,,619, .
Denker im Gespräch befindet. Jeder Art konventioneller literaturwissen-
schaftlicher Analyse verweigert er sich. Er legt großen Wert auf die Feststel- Wie das Aufgezählte sich hier auf der Ebene jener Struktur, die einen Ver-
lung, dass sein Ansatz ein unzeitgemäßer ist: gleich im Sinne eines,Tertium datur' ermöglicht, in der Position der Signifi-
"Solches Vorgehen bleibt für das historisch, biographisch, psychoana- kantenkette befindet, die an jeder ihrer Stellen immer schon von der Leerheit
lytisch, soziologisch an der nackten Expression interessierte Zeitalter durchsteppt wird, wie die Reihe der Zahlen von der Null, sind, um Heideg-
eine offenkundige Einseitigkeit, wenn nicht gar ein Irrweg.,,618 gers poeto-philosophischen Konjekturen auch mit einer gebräuchlicheren
Sprache zu deuten, die ichgebundenen Stimmungen, das Schwanken zwi-
Nicht aber, weil er sich dem Objektiven verweigert, sei sein Diskurs nun schen Niedergeschlagenheit und Hochstimmung, das ergebnislose Abwech-
subjektiv zu nennen. Souverän steht er über dem antizipierten Vorwurf des seln von Lethargie und Unrast der "Anschein" des "vollendeten Schmerzes",
bloß Subjektiven, womöglich Idiosynkratischen seines Ansatzes. In der Art Auch die (christlichen) Diskurse des "Sünden/(Ver)falls, des Fluchs, des
seines veröffentlichten Nachdenkens, das sich als geduldig-langsames, medi- Versprechens, der Rettung, der Wiedererweckung,,620 fallen unter "An-
tatives Umkreisen des Gegenstands fortbewegt, wird ja eben gerade der Ver- schein". Heidegger verweigert sich diesen Diskursen nicht, er will nur zei-
such unternommen, genau die Subjekt-Objekt-Spaltung zu überwinden, oder gen, was sie in Wahrheit sind: im logos des Trakl-Aufsatzes wären auch sie
besser: zu verwinden, nicht sich auf die Seite des Subjekts statt auf die des zu bestimmen als das Währen des "vollendeten Schmerzes", verdeckt durch

616 Morris, D.: Geschichte des Schmerzes, S. 15. - Morns "Geschichte des Schmerzes", so der 619 Ebd., S. 64
Autor, "erforscht etwas, das man als den histonschen. kuiturellen und psychosozialen Auf- 620 Das Zitat stannnt nIcht von Heidegger, sondern von Derrida. Dieser läßt m semem Buch
bau von Schmerz bezeichnen könnte" "Vom Geist. Heidegger und die Frage" einen fiktiven Heidegger auftreten, der Sich mit fik-
tiven christlichen Theologen in einer ZWiesprache befindet. (Derrida, 1.: Vom Geist, Hei-
617 Ebd., S. 27/10 degger und die Frage, S. 130)
618 Heidegger, M.: Unterwegs zur Sprache, S. 37
278 279

den "Anschein",621 Der"vollendete Schmerz" ist aber deren "wahres Ant- Theater, das das Subjekt sich auf einer imaginären Bühne selbst vorspielt,
litz", Er ist anfangloses Durchwähren von allem, anfangloses Immerwähren um dem auszuweichen, was es in Wahrheit angeht.
von Augenblick zu Augenblick. Die "endlose Pein" ist in Wahrheit also auch
nur der "Anschein" des "vollendeten Schmerzes", ' .
Als anderes Wort für den "vollendeten Schmerz" gebraucht Heidegger dIe 8.2 Die Spiele des Schmerzes
"unendliche Qual", Qual kommt, nach einer etymologischen He~1~itung Ja- Zur Erzeugung jenes "unerträglichen Glanz(es) [...], der das Schöne
kob Böhmes, auf die Heidegger aufinerksam macht, von Quelle., Aus der heißt,,623, bedurfte es bei Leiris, wie oben dargestellt, eines antagonistischen
Quelle entspringen ist Entquellen der Qual. Die unendliche Qual ist der voll- Moments, des Vorhandenseins einer nie zu überbrückenden Inkohärenz, der
endete der vollkommene in der Fülle seines Wesens ankommende Schmerz. Verzweiflung und des Bewusstseins der Schuld. Lacan bemerkt, dieser Kon-
Wo d;s Sein entspringt, htdem es sich vom Nicht-Sein ablöst, entspringt die zeptualisierung nicht unähnlich, jedoch mit unterschiedlicher Akzentsetzung,
Qual. Der Beginn des Seins ist der Anfang der Qual. Von dem Moment an, einen Zusammenhang zwischen dem Erscheinen der Schönheit, in der alle
wo etwas ist, gleichgültig, was es ist, ist Qual. Das "Gestörte, Verhemmte, Dinge (zur "Würde des Ding" erhobene Objekte) "vibrieren" und dem
Unheile und Heillose, alles Leidvolle des Verfallenden" ist der "Anschein" Schmerz. Er sieht eine
dieser "unendlichen Qual". Das Aufgezählte ist, wie sie (er)scheint, eben ihr
"Anschein". ,,[...] Verbindung zwischen den Spielen des Schmerzes und den Er-
Bei Lacan ist der "Schirm des Phantasma" mit diesem "Anschein" zu ver- scheinungen der Schönheit, auf die nie hingewiesen wurde, als wäre
gleichen. Was sich auf ihm abzeichnet und sichtbar wird, ist gleichzeitig.Zei- sie mit ich weiß nicht was für einem Tabu belastet.,,624
chen für den "Schmerz des Existierens selbst" wie nichts anderes als dIeser
schon selbst. Auf diesem Schirm, der sich als Anschein über den "Schmerz Tatsächlich kann sich der Leser von Heideggers Trakl-Aufsatz kaum des
des Existierens selbst" spannt, ereignet sich der imaginäre, subjektspezi~­ schwer in Worte zu fassenden Eindrucks erwehren, hier rühre der Philosoph
sehe Wechsel von Wohlbefmden/Unwohlsein, Krankheit/Gesundheit, an ein Tabu. Es muss wohl daran liegen, dass diese Schmerz-Dinge in einer
nicht-wissenschaftlich-medizinischen Betrachtung in unserer angeblich von
GlücklUnglück, Unrast und Phlegma. Dies sind, wie Nietzsche sich aus-
keinen Tabus mehr belasteten Gesellschaft eben doch tabuisiert sind und dies
drückte, die Plagen des Menschen als dem "nicht-festgestellten Tier", Es ist
erst recht, wenn der Schmerz noch mit der Schönheit in einen Zusammen-
von der gleichen Art wie das, was Heidegger als das "Gestörte, Verhemmte,
Unheile und Heillose alles Leidvolle des Verfallenden" aufzählt. hang gebracht wird. Der masochistische Schmerz hat im Zuge der Normali-
ui
Bei Heidegger wie vergleichbarer Weise bei Lacan werden die verschlin- sierung der Perversionen längst seinen Stammplatz im Katalog des perversen
Genießens gefunden. Was aber, wenn nicht den masochistischen Schmerz,
genden Modi des Unglücklichseins, fern davon, sie nicht ernst ~ ~ehmen,
nur kenntlich gemacht als die verschiedenen Stellungen, dazu dIenhch, den hat man sich unter den "Spielen des Schmerzes" vorzustellen? Hierzu ein
Schmerz des Existierens selbst", resp. den "vollendeten Schmerz" nicht weiterer Satz Lacans aus dem "Ethik-Seminar", der es zudem ermöglicht, die
~ewahren zu müssen. Aus der Perspektive von "vollendetem S.chmerz" und Verwandtschaft der lacanschen Konjekturen zu Heideggers Konzeptualisie-
rung und zum Zen aufzuschlüsseln:
Schmerz des Existierens selbst" erscheinen sie dann zuweIlen WIe das
" "Freud sagt uns tatsächlich, daß die Schmerzreaktion in den meisten
der Fälle genau dann auftritt, wenn eine motorische Reaktion, eine
Fluchtreaktion Ulllllöglich ist, und dies, weil der Reiz, die Erregung
621 Heidegger widerspriCht also kemeswegs denMatn-Points des Christentums, den Essentials aus dem Inneren kommt.,,625
der christliChen Lehre er will sie weder widerlegen nOCh als zu Überwmdende darstellen.
Ebenso Ja mtervemert das Zen heutzutage 1m Westen nicht als "Proselytenmacherei", als
Bekehrungsuntemehrnen, das zu KonverSIOnen emladen will. Auch es will nur zu Jenem
Ort filhren, von dem aus "all das möglich 1St", denn das Ziel des Zen 1St der Ursprung. Das
Zen erinnert den Westen an seme Ursprungs- und damit GegenwartsvergessenheIt. Der Ur- 623 Lacan, J.. S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 355
sprung 1St das Ziel und er liegt nirgends als m der Gegenwart. 624 Ebd., S. 314
622 VgI.: Heidegger, M.. Unterwegs zur Sprache, S. 72 625 Lacan, 1.. S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 76
281
280

Ist die Übung des Zazen nun nicht genau die Evokation dieses Schmerzes Derrida bringt im Zuge seiner Heidegger-Auseinandersetzung einen weiteren
"aus dem Inneren"? Die Verschränkung der Beine im Lotus- oder Halblotus- wichtigen Begriff ins Spiel, indem er Heideggers Gebrauch des Begriffs
sitz626, die eine unmittelbare "motorische Reaktion" eine in gewissem Sinne "Versammlung" im Trakl-Aufsatz mit den Begriffen der "Bläue" und des
heikle Angelegenheit werden lässt, ruft diesen Schmerz hervor. Irgendwann, "Heiligen" kontextualisiert:
mit der nötigen Geduld, schlägt, "als wenn man einen Schalter umlegt" "Das Wort Versammlung durchzieht und beherrscht diese Erörterung,
(Tenbreul), die "unendliche Pein" aber um in den "vollendeten Schmerz", sie wird von ihm bestimmt und überdeterminiert.,,63o
das "Samadhi des Zazen", Das Hin- und Hergeworfensein, die "unendliche
Pein" durch einen Schmerz, "der aus dem Innern kommt", der aber weder als In der Versammlung - in dem das Unterschiedene und Viele in Eins sam-
nur körperlich, noch als nur psychisch zu bestimmen ist, kommt zur Ruhe im melnden Anschauen - ist die Entzweitheit in der Verzweiflung in Eins ver-
"Samadhi des Zazen", sammelt. Der Begriff der Versammlung taucht hier als eine neue Qualität
Lacan gebraucht die Formulierung "zu Stein gewordener Schmerz" in einer auf, eher zu verbinden mit dem shikantaza (Nur-Sitzen) des Zen als mit dem,
Reflexion über die Architektur als einer "Vergegenwärtigung des Schmer- was im abendländischen Diskurs gängigerweise Meditation oder Kontempla-
zes", Dabei setzt er den Stein der Architektur nicht nur in eine Beziehung tion geheißen hat. Die "endlose Pein" ist im "vollendeten Schmerz" "ver-
zum Schmerz, sondern auch in eine zur Leere. Das Hindurchgedrungensein sammelt", Es ergibt sich dann:
zum "Schmerz de$ Existierens selbst" ist gleichzeitig das, Tor zur Leerheit', "Die Bläue selber ist ob ihrer versammelnden, in der Verhüllung erst
Die "primitive Architektur", dieser "zu Stein gewordene Schmerz", lässt scheinenden Tiefe das Heilige.,,631
siel)" so Lacan, auch "defmieren als etwas, das um eine Leere herum organi-
siert ist,,627, Die so zum "vollendeten Schmerz" versammelte Pein, die den Geduldigen
"In der Folge begnügt man sich aus ökonomischen Gründen, Bilder den Zutritt zu Heideggers Reich des "Vor-Ursprungs" gewährt, eine Art
dieser Architektur zu malen, man lernt, die Architektur auf die Wände gleichsam ,geistlicher Primordialität', die im Zen "Ungeborenheit" genannt
der Architektur zu malen - und die Malerei ist zuerst etwas, das sich wird, ist deshalb eigentlich weder Schmerz, noch auch Pein. Dem Subjekt
um eine Leere herum organisiert. Da es sich bei diesem in der Malerei der erhabenen Haltung des Verweilens im "vollendeten Schmerz" leuchtet
weniger kenntlichen Mittel darum handelt, die heilige Leere der Ar- aus der Tiefe dieses Schmerzes die Bläue entgegen. Und
chitektur wiederzufmden [...]"628 "Vor ,Bläue' schweigt der Schmerz.,,632
Die Kunst letztenendes in toto, das sind die "Spiele des Schmerzes", wes- Das Schweigen des Schmerzes ist sein Verlöschen oder, im Duktus des Tex-
halb, wie Heidegger schreibt, das "wahrhaft Schöne" immer "schmerzhaft tes: sein Stillwerden, sein Besänftigtsein. Das ist, was im Zen der "große
schön" sein muss. Der Schmerz bei Heidegger steht folglich in einem beson-
Tod" genannt wird.
deren Bezug zur "Bläue" als gleichsam protoästhetischer Kategorie. Er Die "Tiefe des Heiligen,,633 und die Bläue bergen "Das Eigene,,634, nicht das
schreibt: Subjekt als Substanz (wie bei Hegel), kein wahres Ich im Unterschied zum
"So bleibt der Schmerz als der Grundzuf der großen Seele die reine erratischen Ego, nichts was mit einer Seelenphilosophie zu tun hätte. Das Ei-
Entsprechung zur Heiligkeit der Bläue,,62 , gene leuchtet durch das Heilige gleichsam hindurch und aus dem Heiligen
heraus. Die "Versammlung" öffnet das Menschenwesen auf das hin, worin
das Anschauende sein bisheriges Wesen verliert und das Ereignen dieses

630 Derrida, 1.. Vom GeIst, Heidegger und die Frage, S. 124
626 DenJemgen, die diese Haltung nicht einnehmen können, wird erlaubt zu kmen oder sogar
631 Heidegger, M.. Unterwegs zur Sprache, S. 44
auf emern Stuhl zu sitzen 632 Ebd., S. 45
627 Lacan,1.: S VII, Die Ethik der Psychoanaiyse, S. 167
633 Ebd., S. 44
628 Ebd. 634 Ebd., S. 41
629 Heidegger, M.. Unterwegs zur Sprache, S. 64
283
282

Verlustes öffnet die Sphäre des wahrhaft Eigenen, des eigentlichEigenen. Es In dem hier gemeinten Tod erfährt der geduldig Ausharrende
wird eins mit dem Eigenen·als dem einzig Gemäßen, indem/insofern er eins ,,[...] die Erde erst als Erde in ihrem ,kühlen Saft,,639
mit dem Schweigen wird.
Anschauen heißt: Eingehen in das Schweigen.,,635 Dieser Tod, der sich in der Versammlung dem Anschauenden ereignet und
" den Heidegger einen geistlichen nennt, ermöglicht dann
Das eigentlich Eigene aber als das einzig Gemäße ist wiederum au.ch das ,,[...] anderes zu schauen, anderes zu sinnen,,64o.
Heilige. Um es zu erlangen, muss das "Gestörte, Verhemmte, UnheIle und
Heillose alles Leidvolle des Verfallenden" versammelt sein im "vollendeten Er ist also, wie der "große Tod" im Zen, derjenige, der alles verwandelt. Bei
Schmer;", Darin verliert es sein bisheriges Wesen als "endlose Pein", Hei- Lacan entspricht ihm die radikale Entäußerung, die im Durchqueren des
degger bestimmt jetzt, in seiner Zwiesprache mit dem Dichter stets auf.Ge- Phantasmas geschieht und die mit der Preisgabe jedweden geistigen Gehalts
dichtzeilen Trakls rekurrierend - Das "blaue Wild" steht für den zukünftIgen verbunden ist, durch den das Subjekt in einer in Wahrheit nicht existierenden
Menschen, den ins Schweigen eingegangenen - diesen Verlust wie folgt: Substanz verhaftet bleibt. Das Subjekt erlangt hier den Status reiner Negati-
Das blaue Wild hat wo und wann es west, die bisherige Wesensge- vität. Es wird zu dem, was es schon immer gewesen ist: eine Leerstelle, eine
~talt des Menschen ~erlassen. Der bisherige Mensch verfällt, insofern Lücke, buddhistisch gesprochen: die Mitte der Leerheit des Alls und auch
. Wesen. verl'Iert, d..
er sein h ver-wes.t ,,636 selbst leer.
Das Eingedrungensein in diese Sphäre (die Lacan in seiner Tragödienausei-
Im Eingehen ins Schweigen ereignet sich mit dem Ende des bish~rige~ Me,n- nandersetzung als die der äTT] ausmacht; ein Ort, in den nicht hineingesehen
sehen auch der "Vorbeigang des letzten Gottes", denn Gott ist, WIe bel MeIS- werden kann), bildet dann die Voraussetzung für die Identifikation mit einem
ter Eckhart, nur dort, wo auch ein Ich ist, das ihn vor-stellt.. Verlöscht der neuen Signifikanten. Nach dem Durchtauchen dieses Pools, nach der Durch-
bisherige Mensch im "vollendeten Schmerz" oder, wie es bel Meister Eck- querung des Phantasmas bis über seinen Rand hinaus, erfährt das Subjekt ei-
hart heißt in der stillen Wüste der Gottheit", dann hört auch Gott auf zu ne neue Determination.
sein. Der i~ Frage stehende Ort ist also nicht der Ort Gottes. Heideggers Phi- Die Konzeptionen weisen also große Gemeinsamkeiten auf. Wie bei Lacan
losophie ist ja ihrem Selbstverständnis nach anthpropo- und theo-ex- die Erfahrung des "Schmerzes des Existierens selbst" die Transformation des
zentrisch. ganzen Wesens auf den Weg bringt, ist der Ort des vollendeten Schmerzes
Aber auf der passage zu diesem Ort, der nicht menschlich und nicht der Ort bei Heldegger einer,
Gottes ist, geschieht mit dem bisherigen Menschen zuerst das: "wo alles anders zusammengekommen, geborgen und für einen ande-
Die verweste Gestalt des Menschen ist der Marter des Sengenden ren Anfang verwahrt ist,,64 I ,
" dem Stechenden des Doms ausge l'Ie fiert' ,,637
und
Vor dem "geistlichen Tod" aber ist der Mensch
Drastischer als in dieser Trakl-Paraphrase könnte kaum ausgedrückt sein, "der Marter des Sengenden und dem Stechenden des Doms ausgelie-
womit es das "nicht festgestellte Tier" in seiner Hinwendung zu jenem "an- fert,,642
deren Anfang" zu tun bekommt. Aber
der Tod wird hier nicht unbestimmt und im allgemeinen als Beendi- Eine weitere Parallele zu Lacan ergibt sich, insofern es eigentlich zwei
~ng irdischen Lebens vorgestellt,,638 Durchquerungen des Phantasmas gibt. Die erste geschieht vor dem Eintritt in

635 Ebd., S. 45
639 Ebd., S. 49
636 Ebd., S. 46. 640 Ebd., S. 51
637 Ebd., S. 47
641 Ebd., S. 52
638 Ebd., S.46
642 Ebd., S. 47
285
284
Saft", Es hat also ein Abstieg zu erfolgen in genauer Umkehrung der Rich-
die Analyse und endet mit der Erschöpfung der Möglichkeiten des Subj~kt~,
tung, die Platon im Höhlengleichnis vorgab: Nicht der Aufstieg des Troglo-
auf die Aporien seines Ich noch adäquate Antworten ~u finde.~, also ~lt e~­ dyten in den Ideenhimmel, sondern der Abstieg des metaphysisch orientier-
nem Zusammenbruch des subjektiven Ordnungsgefüges, mundend m dIe
ten Menschen in seine irdische Heimat.
Entscheidung für eine Analyse. Dieser ersten Durchquerung entspncht bel
Heidegger die "Marter des Sengenden und (das) Stechende d~s Do~s", De~ Der geistliche Tod bereitet den Grund für das Wohnen auf der Erde. Nun ist
folgt bei Heidegger der geistliche Tod und bei ~a~an entspncht d1ese~ die Geist, heideggerisch verstanden, nicht das andere zur Sinnenwelt. Vielmehr
zweite Durchquerung des Phantasmas, so Wie SIe m der Analyse ges~~l~ht. hält der Philosoph Ausschau nach einem Gegenkonzept zur dualistischen
Der "geistliche Tod" und die "zweite Durchquerung des Phantasm~s smd platonisch/christlichen Auffassung, derzufolge eine Kluft besteht zwischen
jeweils Ausgangspunkte für einen Neube~inn, bel He1degger das Emlenken "dem Übersinnlichen (voE't6v) und dem Sinnlichen (aicr$Tlt6v),,648, Der Dich-
in einen "anderen Anfang", Wenn dann dIe Verwandlung gekommen 1St, pa- ter Trakl, so Heidegger,
raphrasiert Heidegger Trakl, "versteht den Geist nicht zuerst als Pneuma, nicht spirituell, sondern
edächte ein blaues Wild seines [des bisherigen Menschen, des als Flamme, die entflammt, aufjagt, entsetzt, außer Fassung bringt.,,649
"g .
nicht-festgestellten TIeres; J.A.] Pf:ades,,643
,
Der Geist ist Flamme:
Festgestellt ist erst der Mensch des "vollendeten Schmerzes":
"Das Flammen ist das erglühende Leuchten. Das Flammende ist das
"ein Tiergesicht, erstarrt vor Bläue, seiner Heiligkeit,,644, Außer-sich, das lichtet und erglänzen läßt, das indessen auch weiter-
fressen und alles in das Weiße der Asche verzehren kann.,,650
Von hier aus rührt der Weg hinaus und weiter in den "Wohllaut, geistlich~r
Jahre,·645, Die Probleme und die, lacanianisch gesprochen, Verw1esenhe1t m Wahrer Schmerz und Geist gehören zusammen. Es gilt hier zu unterscheiden
die Knoten des Symptoms bleiben, sind aber ausgemacht als nur d~r ,,An- zwischen der Defizienzform des Geistes, das sind alle Arten des ,,rechnenden
schein" eines profunderen Schmerzes, der im Faktum der GebOrenhelt selbst Wesens", auch inder Bedeutung von spiritus und pneuma (also römisch und
wurzelt. griechisch verstanden) und der ekstatischen, mit dem vollendeten Schmerz
korrespondierenden Bedeutung von Geist als Flamme.
Hier nun kommt das Böse ins Spiel. Die Biographie Trakls, des Dichters des
8.3 Alles ist Schmerz "ekstatischen Geistes", ist angetan, hier eine Vorstellung dessen zu vermit-
Heidegger widmet einige Seiten seines Textes der Trakl-Zeile: teln, was gemeint ist. Denn solange nicht "das Sanfte" und "das Freundliche"
Die Seele ist ein Fremdes auf Erden.,,646 hinzutritt, welches das "Lodernde" und "Außer-Sieh-Setzende" besänftigt,
" ist der Geist als Flamme, der ekstatIsche Geist, nur ein verzehrendes Feuer.
Dies sei, so Heidegger, nicht platonisch-christlich gemeint, als d,ass ~i~ Seele Das Böse, so Heidegger, ist so wesentlich stets das "Böse eines Geistes".
auf Erden in ihrem Leibgefangnis auf ihre endliche Heimkunft m die Ihr ge- Oder der Geist als ungezügelte Flamme, als Ekstatisches, als Außer-sich-
mäßeren, über-irdischen Gefilde wartete. In genau umgekehrter, absteIgen- Setzendes wäre eine bestimmte Spielart des Rausches, der verbrannte Erde
der Weise deutet Heidegger den Satz. 647 Die Seele ist noch fremd auf Erden, zurückläßt und die Sucht nach neuer Berauschung. 651 "Das Sanfte" und "das
weil sie noch nicht gelernt hat, auf der Erde zu wohnen, "in ihrem kühlen
648 Heidegger, M.. Unterwegs zur Sprache, S. 59
649 Ebd., S. 60
650 Ebd.
643 Ebd., S. 43 651 Klaus Hemnch schreibt m semem "Exkurs über den Buddhismus ais Ausweg'" "Aber
644 Ebd., S. 44 Rausch, der nicht mit völligem Verlöschen endet, erzeugt den Katzenjammer und die Be-
645 Ebd., S. 68 gierde nach neuem Rausch." (HemrIch, K.: Versuch über die Schwierigkeit nem zu sagen,
646 Ebd., S. 39 S.126)
647 Vgl. das Kapitel: "Auf- und absteigende Mystik"
286 287

Freundliche" nun aber haben die erfreuliche Eigenschaft, nicht die Flamme sehen Kastration. (Bei Ödipus - nur bei diesem - ist dies im zweiten Teil der
des Geistes zu löschen, vielmehr ihr den Ort zuzuweisen, wo sie leuchten Tragödie auch der Fall.) Der präsupponierte Analytiker muss deshalb durch
kann, einen heiligen Ort. Heidegger bringt, um diesen Zusammenhang zu das "Extrem seines Begehrens" gehen, um bei genau dieser Position anzuge-
klären, erneut den Begriff der "Versammlung" ins Spiel: langen.
"Der so verstandene Geist west in der Möglichkeit des Sanften und Was bei Heidegger Geist und Flamme heißt, sieht dem lacanschen Begehren
des Zerstörerischen. Das Sanfte schlägt jenes Außer-sich des Ent- also tatsächlich verblüffend ähnlich. Um die Konformität von Begehren und
flammenden keineswegs nieder, sondern hält es in der Ruhe des Handeln zu erreichen, die die lacansche Analyse visiert, bedarf es, um das
Freundlichen versammelt. Das Zerstörerische kommt aus dem Zügel- Begehren als gereinigtes wIederauferstehen zu lassen, des Durchgangs durch
losen, das sich im eigenen Aufruhr verzehrt und so das Bösartige be- sein Extrem, seines Erschemens in einem ekstatischen Moment, wo seine Er-
treibt. Das Böse ist stets das Böse eines Geistes. Das Böse und seine fahrung mit der des Todes koinzidiert. Bei Lacan sublimiert sich der furor
Bosheit ist nicht das Sinnliche, Stoffliche. Es ist auch mcht bloß des Begehrens in die Anerkennung der symbolischen Kastration, bei Hei-
,geistiger' Natur. Das Böse ist geistlich als der in der Verblendung degger besänftigt sich die Geistflamme, die entflammt und entsetzt, in das
weglodernde Aufruhr des Entsetzenden, das in das Ungesammelte des Sanfte und das Freundliche.
Unheilen versetzt und das gesammelte Erblühen des Sanften zu
versengen droht.,,652 Hier sei abschließend noch auf einen 1m Kontext von Heideggers Schmerz-
Erörterung bisher nur am Rande aufgetauchten Begriff aufmerksam gemacht,
Die "geistlichen Jahre" mit ihrem "Wohllaut" beginnen, wo das Entsetzende nämlich den der Geduld.
uhd Versengende des Geistes als lodernde Flamme in das Sanfte und die
"Ruhe des Freundlichen" einmündet. "Die Wanderung in die Abgeschiedenheit, das Schauen der Anblicke
des Unsichtbaren und der vollendete Schmerz gehören zusammen.
Seinem Riß fügt sich der Geduldige.,,654
Schlägt nicht, trotzt der denkbar größten Verschiedenheit in der sprachlichen
Diktion, die lacansche Analyse und ihre kathartische Prozedur genau diesen
Das "anbeginnliche Wesen,,655 in seiner "Heiterkeit der frühesten Frühe,,656
Weg ein? Tatsächlich erzeigen sich der Begriff des Geistes (als reine Flam-
"erbebt aus der Stille des verborgenen Schmerzes,,657, dessen Riss sich der
me) bei Heidegger und der des Begehrens bei Lacan, wenn man genau hin-
Geduldige fügt. Der Geist, der Flamme ist, entflammt am Schmerz. Dessen
sieht, als in auffallend ähnlicher Weise konnotiert. Die Analyse evoziert die "Wesenseinfalt,,658
Erfahrung des reinen Begehrens. Sie stößt an die Grenze, "an der sich die
ganze Problematik des Begehrens stellt,,653. "trägt flammend am weitesten, wenn sie anschauend am innigsten an
Lacan gibt zu bedenken, dass die Wirkung der Analyse nicht unbedingt eine sich hält"659.
pazifizierende sein muss. Das Gegenteil kann der Fall sein. Wer im Verlauf
der Analyse schmerzlich ins "Extrem seines Begehrens" geht, mag dieses Die "endlose Pein" ist in diesem Sinne nicht wahrhaft Schmerz, denn es fehlt
Nicht-Pazifizierende, den furor des Begehrens, als negativ-therapeutische ihr die Geduld. Anschauen und Sammlung dagegen ist Hinnahme als gedul-
Reaktion erfahren, so wie dies Lacan am Beispiel Philoktets herausgearbeitet diges Ansichhalten, als Inne- und Beisichhalten. Die innigste Geduld im An-
hat. Von einem kathartischen Effekt ist erst dann zu reden, wenn der Exzess schauen führt zur Gewahrnis, dass alles, was ist, schmerzhaft ist. Der
des entfesselten Begehrens - heideggerisch wäre dies das "reine Lodern der Schmerz ist der Grundzug allen Wesens. Alles Lebendige ist schmerzhaft,
Flamme des Geistes" - schließlich einmündet in die Akzeptanz der symboli-
schen Kastration. Die (hysterische) Raserei, wie in der Tragödie die von An-
654 Heldegger, M.; Unterwegs zur Sprache, S. 73
tigone, Philoktet, Ödipus, muss einmünden in die Anerkennung der symboli- 655 Ebd., S. 64 .
656 Ebd.
657 Ebd.
652 Ebd., S. 60 658 Ebd.
653 Lacan, J.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 357 659 Ebd.
288 289

die gesamte Natur ist der alles durchwährende, einzige Anblick des Schmer- Im Theoriedesign der ur-buddhistischen Texte, jenem unverwechselbaren
zes. Heidegger zitiert Trakl: repetitiven Sakralstil der alten Pali-Sutren, findet sich avant la lettre Heideg-
gers Spannungsverhältnis von "unendlicher Pein" und "vollendetem
Alles was lebt, ist schmerzlich. [...] So schmerzlich gut und wahr-
" .' ,,660 Schmerz", ebenso wie die lacansche Konzeptualisierung eines unter den
haft ist, was lebt. Schlägen des Signifikanten hin- und hergeworfenen Subjekts, das im Grunde
den "Schmerz des Existierens selbst" erleidet.
Aber nicht nur das Lebendige, vielmehr ist alles Schmerz. Hier kann noch
Etwas zu fliehen, zieht notwendig die Verfolgung nach sich und das Geflo-
einmal auf Lacans Ausführungen zum Stein der Architektur als einer "Ver-
hene kehrt schließlich wieder. Nur das Gehengelassene gibt Ruhe. Die
gegenwärtigung des Schmerzes" zurückgesehen wer~en. Der ~t~in, auch ein
Nichtflucht vor "Furcht und Schrecken" ermöglicht dem Buddha das "Ent-
"Antlitz des Schmerzes", spricht in einem von Heidegger zitierten Trakl-
kommen", Dieser buddhistische Topos bezeichnet also gerade keinen Eska-
Gedicht: pismus, meint nicht Flucht oder ihren glücklichen Ausgang, vielmehr sich
Ich werde immer bei euch sein. [...] (Und Heidegger fährt fort:) Das nicht verstricken zu lassen und das heißt: aus allem eine Übung des Nicht-
~lte Gestein ist der Schmerz selbst, insofern er erdhaft die Sterblichen haftens zu machen. In der "unendlichen Pein", die nichts vom "vollendeten
anblickt.,,661 Schmerz" weiß, ist kein "Entkommen" möglich, alles drängt nach Lösung
und schließlich nach der Erlösung. Das Hinausgehen über die peinlichen Di-
Der Schmerz ist nicht nur das Grundwesen alles Lebendigen, er ist der alektiken der "unendlichen Pein" (Trieb/Triebversagung, Askese/Ausschwei-
"Grundzug alles Wesens" Überhaupt, auch des anorganischen. Er lässt das fung etc.) in der buddhistischen Versenkungsübung - das "Darüberhinausge-
"Wesenhafte alles Wesenden" ereignen. hen" ist eine Art terminus technicus im zenistischen Kanon - ist ein, um ei-
. die
"Der Schmerz ist a en a 11 es W esend en. ,,662
. Gunst des Wesen hft nen Ausdruck Heinrich Zimmers zu benutzen, "Sich-Entgleiten ins Bodenlo-
se,,665 Bis dieses Entgleiten in einem unendlichen "Sich-Anheim-Fallen,,666
Er ist wie Lacan mit Bezug auf die Buddhisten sagt, "der Beweis für die aufgeht, ist es ein standhaltendes und gleichzeitig Hingabe erforderndes
Praktiken des Heils". Der Schmerz ist mit all dem das "Wahrliche,,663, das Sich-Hineinbegeben in den "vollendeten Schmerz",
durch den Anschein verborgen wird: Wie aber der "vollendete Schmerz" dann schließlich gar kein Schmerz mehr
ist, lässt sich exemplarisch anhand einer Lehrrede aus dem Pali-Kanon nach-
"Das Gestörte, Verhemmte, Unheile und Heillose, alles Leidvolle ~es
Verfallenden ist in Wahrheit nur der einzige Anschein, in dem Sich vollziehen, die in diesem Kapitel des Näheren betrachtet werden soll. Sie
das ,Wahrliche' verbirgt: der alles durchwährende Schmerz.,,664 handelt von der Verwandlung, der die Erfahrung der Koinzidenz des "voll-
endeten Schmerzes" mit dem Eindruck einer Wiedergeburt vorausgeht - je-
ner Koinzidenz, von der Lacan im weiter oben zitierten Passus über den
Buddhismus spricht. Im Durchbebtwerden vom "vollendeten Schmerz" ge-
8.4 Die Lehrrede "Furcht und Schrecken" aus der Suttapitaca
schieht die Geburt von anatta, dem Nicht-Ich. Der Bewegung von der "un-
Am Ende des Geistes beginnt der Körper. endlichen Pein" zum "vollendeten Schmerz" entspricht die vom Ich zum
Jedoch am Ende des Körpers der Geist. Nicht-Ich. Als Nicht-Ich gelangt der Buddha nicht nur zur Überwindung des
(Paul Valery) Leidens und in den Genuss des eigenen Wesens, sondern er ist auch in den
Stand zu lehren versetzt. Das sind die Qumtessenzen dieses Textes, der die
Transformation er-örtert, indem er in den Ort weist, wo die die Befreiung er-
heischende Verwandlung geschieht.
660 Ebd. S. 62
661 Ebd., S. 62/63
662 Ebd., S 64
663 Ebd. 665 Zimmer, H.. Yoga und Buddhismus, S. 268
664 Ebd. 666 Ebd.
290 291

In dieser Lehrrede aus der Suttapitaca also nun wendet sich em namentlich auf das sich niederzulassen wäre'" Der Buddha ist nicht ungeläutert im
ungenannt bleibender Brahmane mit einem Problem an den Buddha: W ort~ und De~wirken, sondern eben geläutert. Er ist statt "gierig in Lüsten"
"Schwer erträglich sind die tief Wald-einsamen, entlegenen Lager- "entgle~t", er 1st nicht "träg und schlaff', sondern "trägheits- und schlaff-
stätten; gar schWierig ist Abgeschiedenheit; schwer ist's, sich am Al- heitsfr~I", er ist "zweifelentronnen", "nicht zitternd, nicht verängstigt", Er
leinsein zu erfreuen. Dem Mönch, der Vertiefung nicht erlan~t hat, gIert mcht nach Ruhm, Ehre etc., sondern ist "wunschfrei", aber nicht matt-
dem benehmen ja sozusagen die Waldesdickichte das Denken." 67 herzig", sondern "voll frischer Kraft" und "gefestigt in Sammlung,,674, "

Der Buddha stimmt dem zu: Bi~ hierhin deckt sich das Aufgezählte mehr oder weniger mit den Main-
Pomts aus den g~ngigen Tugendkatalogen aller Kulturkreise. Die genannten
"So ist es, Brahmane! So ist es, Brahmane!,,668,
Tugenden zu beSItzen, bnngt der Buddha zum Ausdruck ist hilfreich um zu
- um dann, nach der in diesem Genre üblichen Wiederholung der Worte des ver:virklichen, worum es eigentlich geht. Eine gewis~e Gezügeltheit des
Vorredners, eine Reihe von Präzisierungen anzuschließen. Genau genommen GeIstes und des Temperaments sind gute Voraussetzungen, aber auch nicht
handelt es sichum 13 Einschränkungen: Nur dem mehr, haben mit der ,eigentlichen Sache' wenig zu tun. Im nächsten Schritt
läS~; der ,Pali-~utor den Buddha ,darstellen, "":as nun genau den "Vollerwach-
"benimmt d~j.s Alleinsein, die Abgeschiedenheit im Waldesdickicht ten dahm gefiihrt hat, das Allemsem und dIe Abgeschiedenheit nicht mehr
das Denken", der "ungeläutert in Wortwirken [...] ungeläutert in zu fürchten, wie er sich also erworben hat, was es möglich macht, dort zu
Denkwirken [...] ungeläutert in Lebensfiihrung,,669 ist. wohnen, wo kem Haus ist, zu "wohnen, wo nichts ist, auf das sich niederzu-
lassen wäre", Gotama wendet sich also mit den folgenden Worten an den
Des weiteren dem, der "gierig in Lüsten, voll heftiger Leidenschaften,,67o ist. Brahmanen:
Als nächstes darf er, um sich in diesen "tief wald-einsamen entlegenen La-
gerstätten" nicht des Denkens benehmen zu lassen, nicht "missgünstigen "Es gibt diese bekannten, berüchtigten Nächte, den Vorvollmondtag,
Sinnes" sein, nicht "voll von Trägheit und Schlaffheit", nicht "hochmütig, den Vollmondtag, den Achtertag des Monats.,,675
unberuhigten Sinnes"67I , Er darf nicht voll von Zweifein sein, denn gerade
und "Der Vollerwachte" habe sich nun gefragt:
auch aufgrund des durch Zweifel bedingten "Hin- und Herschwankens" zie-
hen die des Alleinseins Unkundigen sich "unschickliche Furcht und Schre- "Sollte ich nicht in derartigen Nächten jene Grabdenkmäler in HaI-
cken" zu. Er darf auch nicht "sich selber überhebend, andere verschmähend" nen, in Walddickichten, unter Bäumen, Grauen und Entsetzen erre-
sein, aber auch nicht "zitternd, verängstigt,,672, Außerdem darf er nicht "nach gende, aufsuchen, an solchen Stätten weilen, ob mIr nicht etwa diese
Gaben, Ehre und Ruhm begehrend" sein, so wie nicht "mattherzig, kraftlos", Furcht und Schrecken begegnen würde?,,676
nicht "unaufmerksam, unnachdenklich", und schließlich nicht "unwissend,
stumpfsinnig,,673, Freiwillig begibt er sich also an derartige Orte und zwar mit dem Vorsatz
Zu jedem der Gründe, die dem Brahmanen das "Alleinsein" und "das Aufsu- d~ss er ~ich, ","enn er sich vorgenommen haben würde, auf und ab zu gehen:
chen tief entlegener Waldeinsamkeiten" verleiden, nennt der Buddha zu er- dIese TatigkeIt, wenn "Furcht und Schrecken herankämen", nicht unterbre-
werbende Eigenschaften, die dennoch erlauben zu "wohnen, wo nichts ist, chen wollte; desgleichen nicht aufzustehen, wenn er sich zu sitzen vorge-
nommen haben würde oder wenn sein Vorsatz iautete zu stehen oder zu lie-
gen, eben von diesen Vorsätzen nicht abzurücken.
667 Suttapltaka, Buch der buddhistischen Urschriften, S. 71
668 Ebd.
669 Ebd.,S. 72
670 Ebd.
671 Ebd., S. 72f. 674 Ebd. S.72-74
672 Ebd. S. 74/75 675 Ebd. S. 75
673 Ebd. S. 73/74 676 Ebd.
292 293

"Und während ich, Brahmane, saß, kam diese Furcht und Schrecken Diese Einsichten sind Resultat seiner Übung, "wie ich da unermüdlich, eif-
an mIch heran. Und durchaus nicht, Brahmane, legte ich mich da nie- rig, zielbewußt weilte,,68l,
der oder stand still oder ging hin und her, bis ich sitzend diese Furcht Schließli<;h antizipiert der Buddha im Anschluss an diese Kurzdarstellung
und Schrecken überwunden hatte.,,677 seiner Lehre den Zweifel des Brahmanen, der sich fragt, ob jener denn tat-
sächlich die Befreiung erlangt haben kann, denn, wenn er sie erlangt hat, wa-
In dieser Übung überwand er "Furcht und Schrecken", sein Geist war ge- rum begibt er sich dann weiterhin an "tief Wald-einsame, entlegene Lager-
sammelt, "völlig einheitlich", stätten"? Das ist ein wesentlicher Punkt. Der Brahmane, der hier bis zum
"Und ich weilte, Brahmane, fern von Lüsten, fern von unguten Din- heutigen Tag stellvertretend für so viele steht, die die Übung in dieser fal-
gen, im Besitz der ersten Sinnung, mit ihren Eindrücken, mit ihren schen Weise auffassen, kann sich eine Übung nicht anders als zu einem Ziel
Erwägungen, der Einsamkeit-geborenen, der freudvoll-beglücken- führend vorstellen. Man übt, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen (Satari)
den."b'78 und hat man es erreicht, kann die Übung eingestellt werden. Da der Buddha
aber weiterübt, zweifelt der Brahmane also, ob er das Ziel auch tatsächlich
An jenem furchterregenden Ort also befindet sich der Buddha in einem erreicht hat, ob ihm die Verwandlung wirklich geschehen ist, ob er die Be-
"freudvoll-beglückenden" Zustand. Mit vollendet gesammeltem Geist kom- freiung tatsächlich erlangt hat. Die Übung des Buddha aber ist, erfährt der
men ihm die "Wiedererinnerung an den Vorverweil", Nachdem er auch das Leser, "ohne Anfang und ohne Ende", Hiermit zusammen hängt, dass sie
"Verschwinden undWiederauftauchen der Wesen" gewahrt hat, erlangt er nicht Mittel einer egoistischen Strebung ist, denn "es gibt nichts zu errei-
das "Wissen vom Versiegen der Triebe,,679 und er formuliert die "vier edlen chen", Die Übung ist die effektive Realisierung des Nicht-Ich und insofern
Wahrheiten"; ist sie aufzufassen ganz in dem Sinne, in dem Lacan vom "Metipsismus"
"So lenkte ich gesammelten Geistes, geklärten, geläuterten, flecken- spricht. Das "Selbstigste von Ich-Selbst" ist nicht unterschieden vom Selbst
losen, gereinigten, geschmeidigten, bereiten, standhaften, unerschüt- der anderen, nicht einmal von dem der bereits Gestorbenen, weshalb es im
terlichen, den Geist hin auf das Wissen vom Versiegen der Triebe: Zen heißt: ,Bodhidharma ist mit uns und übt mit uns bis zum heutigen Tag.'
Das ist das Leiden - diese Einsicht ging mir wirklichkeitsgemäß auf; Der Brahmane aber zweifelt weiter und der Buddha selbst bringt seinen
das ist die Leidensentstehung - diese Einsicht ging mir wirklichkeits- Zweifel zum Ausdruck:
gemäß auf; das ist die Leidensvernichtung - diese Einsicht ging mir "Es könnte nun aber wohl sein, daß dir der Gedanke käme: ,Auch
wirklichkeitsgemäß auf; das ist der zur Leidensvernichtung führende heute vielleicht ist der Büßer Gotama nicht frei von Lust, nicht frei
Weg - diese unmittelbare Einsicht ging mir wirklichkeitsgemäß von Haß, nicht frei von Wahn. Daher pflegt er tief Wald-einsame,
auf.,,680
entlegene Lagerstätten. ",682

Doch dem sei nicht so:


"In Hinblick auf zwei Beweggründe, Brahmane, pflege ich tief Wald-
677 Ebd. einsame, entlegene Lagerstätten; in Hinblick auf mein eigenes, ge-
678 Ebd. S. 76. - Interessant hIer der Ausdruck "erste Sinnung" Er ermnert an Paulus und des- genwärtiges Wohlbefinden und weil ich Mitleid habe mit der Schar
sen Wort von "des Geistes Erstlinge(n)''; die zu besitzen er den Chnsten zuspricht. In der hinter mir. ,,683
folgenden Paulus-Stelle, in der der AusdruCk auftaucht, geht es um die Überwmdung von
"Furcht und Schrecken'" "Denn wir Wissen, daß alle Kreatur sehnet Sich mll uns und
ängstet sich noch Immerdar. Nicht allem aber Sie, sondern auch wir selbst, die wir haben Mit dem Sic:h-Begeben in eHe "tiefen Wl:ildeinsarnkeiten" ist nichts anderes
des Geistes Erstlinge, sehnen uns auch bel uns selbst nach der Kindschaft und warten auf gemeint als die Zazen-Übung, das shikantaza (nur Sitzen) des Zen. Die
unseres Leibes Erlösung. [...] Desgleichen auch der Geist hilft unsrer Schwachhell auf.
Denn wir wissen mcht, was wir beten sollen, wle's Sich gebührt; sondern der Geist selbst
vertrllt uns aufs beste mll unaussprechlichem Seufzen." (Röm. 8.22ff.) 68 I Ebd. S. 77
679 Ebd. 682 Ebd.
680 Ebd. 683 Ebd.
294 295

Sammlung des Zazen ist es, die zur Befreiung führt, aber sie ist diese auch näre Ich. Diie Therapie arbeitet daran, das Objekt herbeizuschaffen, die Ana-
gleichzeitig schon selbst. Der "vollendete Schmerz" geht Über in Wohlbefin- lyse am Entzug sämtlicher Objekte. Patient und Therapeut arbeiten gemein-
den, indem er über jeden Wunsch nach Wohlbefinden hinausgeht. Das "Ge- sam daran, dass sich das Objekt der Angst nicht zeigt, nicht enthüllt, so also
nießen Gottes", im Abendland immer zu kurz gekommen, hier kommt es letztenendes an der Aufrechterhaltung der Angst. Der Analytiker im lacan-
nicht zu kurz. Dies hat nichts mit einem ,selbstischen Genießen', einem nar- sehen Sinne dagegen ist gleichsam der Agent, wie auch Anwalt ihres Ob-
zisstischen Selbstgenuss zu tun, wie es etwa der Verfasser des ersten der jekts, des Dings, des Lochs, dessen, was in keiner Dialektik synthetisierbar
Spiegelgedichte pflegt. Dieses Genießen Gottes, das ununterschieden ist von ist. Von diesem Rest her wird dann der Zug kommen, "der den Angler ins
einem reinen Erleiden Gottes, versetzt den Buddha nämlich in den Stand zu Wasser reißt, um ihn an einer anderen Stelle als Subjekt wiederauftauchen zu
lehren. Die ,transzendente Ursache' macht seinen mystagogischen Akt zu lassen,,684, Das Objekt der Angst muss sich enthüllen, damit das geschehen
einem legitimen; der Buddha, wendet sich um, ohne sich abzuwenden', ohne kann, was Lacan die "Rektifizierung des Begehrens" nennt.
sich abgewandt zu haben und prädisponiert damit ,andere Brahmanen', Das Objekt der Angst liegt nicht in der Relation einer Abwesenheit zu einer
,präsupponierte Buddhas', es ebenso zu tun, selbst dorthin zu gelangen, wo- geWÜnschten Anwesenheit oder in einer Anwesenheit, die um ihren Verlust
hin er gelangt ist. Das ist gewissermaßen sein Akt, wie bei Lacan der Akt dar- bangt. Solange der Mensch in dieser "Fort-Da-Dialektik" gefangen ist, bleibt
in besteht, präsupponierte Analytiker dahin zu bestimmen, Analytiker zu das Objekt der Angst verborgen. Das Objekt der Angst ist, dass das Begeh-
werden. Deren Analytikersein besteht dann darin, wiederum neue Analytiker ren sich auf kein Objekt im Raum-Zeit-Kontinuum mehr beziehen könnte,
hervorzubringen u.s.w. ad infinitum. Sich den Schlägen des Signifikanten dass kein Objekt mehr da sein könnte, durch dessen Vermittlung sich die Se-
willentlich in Unbeweglichkeit auszusetzen, durchquert zuerst und durch- rien der An- und Abwesenheitsspiele fortsetzen lassen. Ein Begehren, das
dringt dann das Phantasma, überwindet die Realität und bringt die Befreiung. immer auf Anwesenheit zielt und deswegen das Spiel mit der An- und Ab-
Sich dieser Übung zu unterziehen, ist ein ethischer Akt, aber kein explizit e- wesenheit inszeniert, verhindert durch seme Aktivität das Auftauchen des
thischer. Der Buddha ist durch die Befreiung, zu der er gelangt ist, in die La- Objekts der Angst. Das ist ja die Absicht der Inszenierung des kindlichen
ge versetzt zu lehren, aber er vollzieht die Übung nicht, um zu lehren. Er er- Spiels, von dem Freud berichtet. Von dieser Art Begehren, das dieses (infan-
langt durch sie nur seine naturgegebene Autorität und verkörpert dadurch tile) Spiel inszeniert, spricht Lacan als von der Metonymie des Seinsverfeh-
das Dharma, welcher Begriff eben Gesetz, Dasein und Lehre zugleich meint. lens. Es ist ein Spiel mit der Täuschung. Qua der Inszenierung der Spiele
Vielleicht ist es das, was sich mit Lacan Neues, und wenn nicht das dann neu von An- und Abwesenheit phantasiert es Objekte herbei, ,bestückt' es eine
sagen lässt Über das Erwachen des Buddha: auch das Satari ist das der ande- Welt mit Objekten, die in Wahrheit radikal fehlen und dieses phantasmati-
ren. sche Produkt nimmt es dann für tatsächlich existierend, für die Realität. Die
Realität besteht also aufgrund einer Täuschung. Die Angst ist aber, so Lacan,
"was nicht täuscht"685, denn sie bezieht sich auf die Möglichkeit des Fehlens
8.5 Vom Anfang und Ende der Angst jeglichen Objekts, auf das die Phantasie sich beziehen könnte, den Entzug
Die symbolische Ordnung strukturiert sich um ein Loch, die imaginäre um der Realität selbst mithin und damit der subjektiven Basis. Das Fehlen der
die An- bzw. Abwesenheit des Objekts. Das Objekt der Angst ist die Mög- Objekte ist also das Objekt der Angst. Die Durchquerung des Phantasma bei
lichkeit eines Aussetzens der dialektischen Bewegung zwischen An- und Lacan heißt nun genau, dorthin sich fortzubewegen, wo der Phantasie jegli-
Abwesenheit. Die Spiele der An- und Abwesenheit dienen zur Verschleie- che Objekte entzogen sind, auf die sie sich richten könnte.
rung des Lochs und die Objekte, die hier .auftauchen, sind die "Ausstaffie- Am ,Nicht-Ort' ohne Objekt, an dem die Durchquerung angelangt, ,erlebt'
rung" des Lochs. Die im Rahmen der Ansprüchlichkeit des Subjekts arbei- das Subjekt sein fading, indem es an den Nullpunkt gelangt, von dem aus
tenden Therapien intervenieren nicht auf der Ebene der symbolischen Ord-
nung und des Lochs, sondern auf der der An- und Abwesenheit des Objekts
(der Mutter). Die dialektische Bewegung zwischen An- und Abwesenheit 684 Schmid, M.. Vom X des Akts, in: Riss, Zeitschrift fur Psychoanalyse. Freud.Lacan., Nr.
projizieren sie auf eine als vorgängig vorhanden supponierte Identität. Je nä- 41, S. 56
685 Lacan, J.: S X, Die Angst; Zlt. n.. Schmitz, G.. ZWischen Gemessen (SIC!) und Begehren,
her das Objekt, desto näher das als vorgängig vorhanden supponierte, imagi- Anmerkungen zur Angst, S. 68
296 297

sich sein Begehren grundsätzlich neu wird formieren können/müssen. Von ,nichts passiert',. nur arbiträr und schmerzhaft-sinnlos die Signifikanten auf-
hieraus sei ein Neuanfang, die Transformation der subjektiven Basis und die marschieren und wieder verschwinden und die Reduktion des Raumes auf
Modifizierung der signifikanten Kette möglich. Von hier aus sogar kann, ein Nichts hat flir das Subjekt, als Erfahrung angeleitet, einen vergleichbar
sagtLacan, eine wesentliChe Modifikation des Charakters erfolgen. 686 Wenn entpsychologisierenden Effekt wie er in der Durchquerung des Phantasma
das· Objekt radikal fehlt, durch dessen Vermittlung die Spiele besagter Dia- gegeben ist: den Effekt einer Lösung seiner Verstrickung in die Welt, ein
lektikzu inszenieren möglich sind, kein letztes Objekt mehr da ist, worauf allmähliches Aufhören der ennervierenden An-, Abwesenheitsspiele und also
sich das Begehrenrichten könnte, ist der Wendepunkt erreicht. Aber was die die Lösung der Bindung mit den sich vermeintlich in der Welt/im Raum des
Angst betrifft, so ist ihr Objekt nicht die Abwesenheit der Mutter, deren An- Phantasmas befindlichen Objekten, die in Wahrheit nur die "Ausstaffierung"
wesenheit gewünscht wird, sondern die Ahnung, dass wir flir immer in das, des urverdrängten Lochs sind. Das Fehlen von Gegenständen im Raum und
"was man den Mutterschoßnennt"; zurückkehren könnten. Lacan sagte, die endlose Zerdehnung der Zeit entziehen der Phantasie ihre Objekte und
,sichtbar' wird jene Leerstelle, jenes Loch, dessen Urverdrängung Welt wie
"daß die Angst nicht ein Signal flir einen Mangel ist, sondern für et-
Phantasma hervorbringt.
was, an dem Ihnen [...] zuerkennen gelingen müßte, daß es das Feh-
len dieser Stütze des Mangels ist. [...] Wissen Sie nicht, daß es nicht Aus der Perspektive von Leerheit nach dem Durchqueren des Phantasma o-
das Heimweh nach dem, was man den Mutterschoß nennt, ist, was die der nach der Aufrechterhaltung der Zen-Übung über einen längeren Zeit-
Angst erzeugt? Es ist sein Herannahen/Bevorstehen, es ist all das, was raum, werden die Objekte und das, was sie umgibt und wozu sie selbst gehö-
uns etwas ankündigt, das uns erlimben wird zu erahnen, daß man in ren, die Welt, kenntlich als "Schleier der Maya", als "Palast der Trugbilder".
ihn zurückkehren wird. Was ruft die Angst hervor? Im Gegensatz zu Diese phantasmatischen Objekte sind ununterschieden von dem, was bis da-
dem, was man sagt, ist es weder der Rhythmus noch die Alternanz der hm als die Realität selbst wahrgenommen wurde. Denn nicht nur aus psy-
Anwesenheit-Abwesenheitder Mutter. Und das, was das beweist, ist, choanalytischer Sicht ist ,,[...] alles, was uns erlaubt ist anzugehen als Reali-
daß dieses Spiel Anwesenheit-Abwesenheit, daß das Kind Gefallen tät, eingewurzelt im Phantasma,,69o Aber es gibt keine andere Welt. Nach
daran findet, es zu erneuern: diese Möglichkeit der Abwesenheit, e- der Durchquerung des Phantasma in die Welt zurückzukehren heißt, in die-
ben das ist die Sicherheit der Anwesenheit. ,,687 selbe ,alte' Welt zJ.lrückzukehren und dennoch ist hier alles ,neu'. Hier er-
schließen sich die Bedeutungen der Lehrformein (Matheme), dass Samsara
und Nirwana eines sind, ebenso wie die Bonno und das Satori eines sind, e-
Man soll beim Zazen nichts fliehen und nichts festhalten.
benso wie. die "endlose Pem" nur der Anschein des "vollendeten Schmerzes"
"Die Hände werden. ineinander gelegt, die offenen Augen, das ist ist. Aber die Gewahrnis dieses Zusammenhangs kann sich erst nach der
wichtig, ruhen blicklos auf dem Boden.,,688 Durchquerung des Phantasmas eröffnen. Der "Palast der Trugbilder", die
Realität, wird im selben Zuge ais der "große, alte Spiegel", die "große Glori-
Die Schau ist blicklos. Man deponiert seinen Blick, "als wenn man Waffen ole" der Buddhanatur kenntlich und als unser alltägliches Leben. Diese neue
deponiert" 689: Die Zeit, bewusst zerdehnt in eine pure ,lange Weile', in der Sicht tut sich auf im Erscheinen der Objekte als komplexe Organisations-

686 Lacan spricht davon, ,,[:..]dilßdie Analyse den Charakter tiefgreifend modifizIeren kann." tungeiner gewissen Befriedigung geht - in dem Sinn, Wie Freud von ,Tnebbefiiedigung'
(Lilcan, J.: S,I, Freuds technische Schrifhm, S. 260) spricht - befriedigt wird hier also gewissermaßen, was der Blick fordert." (ebd.) Besllm-
687 Lilcan, J.: S X, Die Angst; I. Teil, S. 60 mend fiir die expresiionIsllsche Malerei seI deshalb auch "em direkter Appell an den
688 Gottwald, P.: Zen im Westen, S. .I0 Blick" (ebd., S. 116) Das hier in Bezug auf das Sehen Gesagte lässt Sich leicht auf das Hö-
689 Der Maler "lädt [...] den, dem er sem Bild vorsetzt, em, semen Blick in diesem zu deponie- ren übertragen. Lädt etwa Bachs "Kunst der Fuge" nicht em, den Horchsmn zu "depome-
ren, WIe man Waffen deponiert. Dies eben macht die pazifizierende, apollinische Wirkung ren" zugunsten emes Wahrnehmens, emes Hörens der Stille? Analog durchdngt das be-
der Malereiaus. Etwas ISt nicht so sehr dem Blick, sondern dem Auge gegeben, etwas, bel rühmte "Kwatsu" der Zenmeister mcht die Stille, vielmehr macht es sie erst hörbar. Hier
dem der Blick drangegeben, niedergelegt wird." (Lacan, J.. Sem XI, Die vier Grundbegrif- wären wieder Ausnahmen zu nennen: Die Rockmusik etwa, die dann auch eher Triebbe-
fe..., S. 107f.) Es gibt nach Lacan eine Ausnahme: die expressIOnistische Malerei: "Der fiiedigung anbietet, bzw. diese m emem unemlösbaren Versprechen unendlich aufschIebt.
Unterschied der expressIOnistischen Malerei besteht dann, daß SIe etwas gibt, was in Rich- 690 Lacan, J.. S XX, Encore, S. 102 .
299
298

form rund um ein Loch. Das, was gewöhnlich als Subjekt bezeichnet wird, kompensatorischen Gegengaben für das Aufgegebene. Er gehört der Ebene
der Enthusiasmiertheit und des Gefühls an. Es ist ein entscheidender Unter-
ist in Wahrheit genau dieses Loch. Der "Stimmenschwall von Jahrtausen-
den", wie Heinrich Zimmer schrieb, wurde so für den Shakia-Sohn, der sich schied, entweder zu sagen: Leere ist Fülle, bzw. aus der Leere entspringt die
unter jenem Baum der Übung des Sitzens unterzog und so die Erleuchtung Fülle, oder aber: "Leerheit ist Form und Form ist Leerheit." Form bedeutet
691 nicht Fülle. Das Zen lehrt nur, dass alle Formen Leerheit sind und die Leer-
erlangte, zum Echo auf sein eigenes Schweigen.
heit selbst Form ist, nicht aber, dass Leere Bedingung für Fülle ist. Wie nicht
eine enthusiasmierte Fülle Zweck der Übung ist, so besteht ihr Sinn auch
8.6 Der Totalschaden nicht darin, uns zu besseren Menschen zu machen. Die Zen-Lehre steht nicht
"Zen ist Zazen: Meditation, religiöse Essenz jenseits der Religionen ein für ein dieserart naiv-humanistisches Programm. Menschlichkeit, mit
und Philosophien, einzig durch den Körper zu erfahren, in Konzentra- Gut-Sein gleichgesetzt, wie zum Ausdruck kommend in Wendungen von der
tion, hier und jetzt,,692, Art: ,So grausam zu sein, ist unmenschlich!' ist nicht Ziel der Übung. Kodo
Sawaki bringt dies in der ihm eigenen drastischen Diktion zum Ausdruck:
sagte Deshimaru Roshi. Es sei "Was bringt uns Zazen? Überhaupt nichts! [u.] Manche sagen, sie
,,[.u] das zu praktizieren, was von unserem eigenen Bewußtsein nicht wollen Zazen ausprobieren, um bessere Menschen zu werden. Zu bes-
ge dacht werden 'kann,,693 seren ,Menschen' wollen sie durch Zazen werden! Wie bescheuert!
[...] Zazen ist keine Erziehung zum Menschsein. Zazen bedeutet, mit
Vor allem sei es "ohne Gewinnstreben" (mushotoku) zu praktizieren. In Zen- dem Menschsein Schluss zu machen.,,694
Texten wird in der Regel jede dialektisierende Betrachtung des Verhältnisses
von (geistlicher) Armut und (innerem) Reichtum, diesem Stereotyp mysti- Auch nicht an der "menschlichen Form" zu haften ist eine der häufig wie-
scher Texturen, bewusst vermieden. Der Loslösung wird kein besonderer derkehrenden Aufforderungen an die Zazen-Übenden. In den Unterweisun-
Reichtum versprochen, wie das etwa für die Apotaxis in den "Apophtegmata gen des Zen wird es vermieden, irgendwelche kompensatorischen Gegenga-
patrum", ebenso für die Apophase bei Dionysius noch gilt und auch bei PI~­ ben für das Aufzugebende zu offerieren und der Durchbruch zur Leerheit
ton schon seine Entsprechung findet, wo die Eudaimonie der Lohn für dIe ist nichts wie die Bedingung eines Erscheinens einer absoluten Fülle. Von
Gerechtigkeit ist. Im Zusammenhang mit Meister Eckhart wird Leere häufig der Fülle ist es stets nicht weit bis zur Erfüllung und zum Glück. Der Instru-
mir einer zu erlangenden Fülle in Beziehung gebracht und dann behauptet, mentalisierung der Praxis des Zen aber, so unvermeidbar eine solche in ge-
eben diese Beziehung oder Wechselwirkung von Leere und Fülle rücke seine wissen Phasen der Praxis auch immer sein mag, ist auf der Ebene des Spre-
Mystik in so große Nähe zum Buddhismus. Wir wollen hier dahingestellt chens über das Zen nicht noch Vorschub zu leisten. Deshimaru Roshi zitierte
sein lassen, ob diese Lesart dem, was Eckhart tatsächlich gesagt hat, über- seinen Meister wie folgt:
haupt entspricht. Sie hat sich aber eingebürgert und ihr zufolge ist Leere bei "Kodo Sawaki sagte über das Satori, es käme einem Totalschaden
Eckhart immer nur um der Fülle willen: je mehr Leere, desto größer die Fül- einem vollständigen Verlust gleich; mit anderen Worten der äußerste~
le. Eine solche Deutung entfernt sich jedoch, ob sie Eckhart nun gerecht wird Entblößung, dem Zu-sich-selbst-Sterben, der Auslöschung des eige-
oder nicht, ganz sicher vom Sinn der urbuddhistischen Lehre und auch von nen Ichs und jeden Begehrens. [u.] Wir können [...] aus dem Zazen
den Lehren des Zen. Die Leerheit im Buddhismus hat nichts mit einer zu er- selbst keinerlei Vorteil ziehen. Zazen bedeutet, jeden Gewinn zu ver-
strebenden Fülle zu tun. Das Erreichen der Leerheit ist dort nichts wie der lieren, ja sich zu schädigen.
PreIS oder ein zu erbringendes Opfer, damit sich eine absolute Fülle einstel- Das Satori gleich dem Geist eines Diebes, der in ein leeres Haus ein-
len kann. Allein der Begriff der Fülle suggeriert das Vorhandensein von dringt. Es gibt nichts zu stehlen.,,695

691 Vgl.: Zimmer, H.. Yoga und Buddhismus, S. 260 694 Sawakl, Kodo: AN DICH, Gesammelte Zen-Sprüche, S. 44
692 Deshlmaru, T.: Dökan, S. 30 695 Deshlmaru, T.. Dökan, S.27/48
693 Ebd. S. 27
300
301
Sprechen über das Zen als Sprechen aus dem Geist des Zen vermeidet jede genes Werk und der Mensch erleidet Gott so in sich, und Gott ist eine
Inaussichtstellung eines höheren oder bedeutenderen Gutes im Tausch gegen eigene Stätte seiner Werke.,,697
das Aufgegebene. Zazen tun heißt, ,in sein Grab zu steigen', alles auf-
zugeben. Diese Aufgabe soll vollständig sein und ohne Aussicht auf irgend- Im Verlöschen des Ichbm-Dünkels erlangt der Mensch, so lehrt es der Budd-
eine kompensatorische Gegengabe, eben "ohne Gewinnstreben", Das Zazen hismus, die Buddhanatur. Doch hier sind wir auch schon wieder bei einer
ist die Übung des Sitzens in reinem Entzug aller Objekte. Nichts von dem, Differenz angelangt. Gott bei Eckhart genießt ,sich' noch ,in sich selbst', tri-
woran die Sinne, der Verstand, die Imagination gewöhnlicherweise haften, nitarisch gesprochen: Gott genießt sich in seinem Sohn, wodurch eben das
ist verfügbar. Gedanken und Vorstellungen werden ex-time Objekte, organi- Verhältnis ein sublim narzisstisches bleibt, ein ,selbstisches Genießen', Im
siert umjenes Loch, das das Subjekt in diesem Moment ist. Wenn das Ich Zen aber fehlt auch noch dieses Moment der "göttlichen Autoerotik", Die
Ergebnis der Identifikation des Objekts ist, ist Zazen als die Praxis des Ent- Enthusiasmiertheit, das ,des Gottes voll sein', ist dem buddhistischen Stand-
zugs jedweden Objekts die Methode des Abtuns des aus der Identifikation punkt entgegengesetzt. Byung-Chul Han bringt den Unterschied auf den
hervorgegangenen Ichs und seiner Welt. Punkt:
Wenn aber das Ich abgetan ist, vermögen selbst die Götter nichts mehr:
"Jenes ,Etwas in der Seele', das mit Gott verschmilzt, ist ,dasselbe,
Und wie ihr Mönche wird der Mönch ein Heiliger, einer dessen das sich selbst genießt in der Weise, wie Gott es tut.' Sich-Genießen,
Standarte ~efallen, des;en Last abgeworfen ist, ein Entbundener? Da Sich-Schmecken oder Sich-Lieben sind allesamt Formen der narzißti-
ist, ihr Mönche, bei einem Mönche der Ichbin-Dünkel abgetan, samt sehen Innerlichkeit. Diese göttliche Autoerotik macht die Andersheit
der Wurzel zerstört, einer aus dem Erdboden herausgerissenen Palmy- der eckhartschen Mystik gegenüber dem Zen-Buddhismus anschau-
ra-Palme gleichgemacht, zum Nimmersein gebracht, nicht mehr fa- lich. Das göttliche Wort ,Ich bin, der ich bin' kennzeichnet fiir Eck-
hig, weiterhin aufzuspringen. So, ihr Mönche, wird der Mönch ein hart die ,auf sich selbst und über sich selbst zurückgebogene Hin-
Heiliger, einer, dessen Standarte gefallen, dessen Last abgeworfen ist, wendung und ein In-sich-selbst-Ruhen und Feststehen.' Das Über-
ein Entbundener. Einen solchen innerlich befreiten Mönch, ihr Mön- sich-zurückgebogen-Sein, diese Reflexionsstruktur Gottes ist dem
che, werden auch die Inda-Götter, die Brahma und Pajapati-Götter, zen-buddhistischen Nichts wesensfremd. Dieses sammelt sich bzw.
wenn sie ihn suchen, nicht erreichen im ,Hierauf fußen tut das Be- verdichtet sich nicht zum ,Ich', Die subjektive Innerlichkeit, in der al-
wußtsein dieses Vollendeten.' Und warum das? Schon in diesem Da- lein ein Sich-Schmecken, ein Sich~Genießen möglich wäre, fehlt dem
sein, ihr Mönche, nenne ich den Vollendeten unerfaßbar.,,696 fastenden Herzen des Zen-Buddhismus. Das zen-buddhistische Nichts
ist nämlich dem Sich, der Innerlichkeit ganz entleert.,,698
Hier nun wäre ein Verweis auf Eckhart angebracht. Denn am ehesten in ok-
zidentaler Textur noch finden sich diese Motivketten bei Meister Eckhart, Dieses ,Entleertsein' nur sei eine vollkommen selbstlose und innerlich frele
bei dem von einem Zusammenspiel von absoluter Armut und absoluter Un- Haltung. Der Leerheit wie dem Nicht-Ich kann weder etwas hinzugefügt,
abhängigkeit die Rede ist: noch etwas abgezogen werden. Jedes Rechnen mit irgendeiner noch so sub-
Denn Gott strebt rur sein Wirken nicht danach, daß der Mensch eine lim/subtilen Kompensation rur den "Totalschaden" ist immer noch an den
Stätte in sich habe, darin Gott wirken könne; sondern das (nur) ist Ich-Gedanken gebunden und an unterstellte, dem Ich zugehörige, wirkliche
Armut im Geiste, wenn der Mensch so ledig Gottes und aller semer Objekte als Gegenstände des Begehrens, an Objekte, die in einen Tausch-
Werke steht, daß Gott, dafern er in der Seele wirken wolle, jeweils handel eingebunden sind und die erlangt werden können. Auch die Fülle und
selbst die Stätte sei, darin er wirken will, - und dies täte er (gewiß) das ,wahre Selbst' können solche Objekte sein. Die vollständige Preisgabe
gern. Denn, fande Gott den Menschen so arm, so wirkt Gott sein ei- des Objekts aber und das Nicht-Haften an der menschlichen Form löst
gleichzeitig die psychosoziale Vertäuung des Ich. Darauf genau baut die

696 Suttapltaka, BUCh der buddhlstJschen Urschriften, S. 282 697 MeIster Eckhart: Deutsche Predigten und Traktate, S. 307
698 Byung-Chul Han: Philosophie des Zen-Buddhismus, S. 27
302
303
Praxis des Zazenauf als eine Praxis des Sitzens in reinem Entzug aller Ob- zu leben. Aus dem Grab heraus zu leben heißt: Tod und Leben sind nicht-
jekte. zweI.
Auch eben die ,himmlische' Wiedergutmachung, die nicht mehr mit welt-
lich-irdischen Maßstäben zu messende, ist ein kompensatorisches Verspre-
chen. Sie erregt den Verdacht, nur die immaterielle, hyperessentielle und nur
scheinbar von Zweckdenken und Eigennutz befreite Kompensation zu einem
preisgegebenen Allzu-Irdischen und Ichhaften zu sein. Irdisches und Himm-
lisches sind aber weder im "Totalschaden", noch unter der Perspektive von
Leerheit absolut getrennt, keine getrennten Entitäten. Nur dem Nicht-Selbst
kann kein entschädigendes Komplement zur absoluten Armut mehr zuge-
rechnet werden. Es gibt einfach kemen substanzhaften Träger mehr, dem
noch ein Verlust abzuziehen oder ein Gewinn aufzuschlagen wäre.
Inwiefern aber diese bewusste Vermeidung jeglichen Versprechens von
kompensatorischen Gegengaben dort, wo auch die sublimsten und unschein-
barsten dialektischen Bewegungen zwischen Reichtum und Armut, Gewinn
und Verlust nicht mehr stattfinden, dennoch und vielleicht erst recht das
höchste Versprechen impliziert, ist wiederum eine eigene Sache. Aber mit
einem Gewinn, der im Aufgeben jeden Gewinnstrebens sich einstellt, hat es
eine besondere Bewandtnis. Und hier wiederum kann Lacan weiterhelfen:
Auch die Unabhängigkeit ist nämlich die des anderen. Wie es "fUr nieman-
den Befriedigung geben (kann) außerhalb der Befriedigung aller,,699, so auch
keine Erleuchtung und keine Unabhängigkeit ohne die des anderen. Es zeigt
sich hier, wie auch die Unabhängigkeit von der des anderen abhängt. Auch
das Satori eben, wie schon geschrieben, wäre so zu sehen als das des ande-
ren. Im übrigen ist dieser Gewinn hinwiederum auch gar kein Gewinn, inso-
fern er letztlich nicht zu unterscheiden ist von Verlust oder besser: Fehlen.
"Geben ist nicht anhaften; das bedeutet: überhaupt an nichts anhaften heißt
geben'<700, Die Reden von Gewinn und Verlust verlieren im "Totalschaden"
und in der Erleuchtung ihren Sinn. Vom Standpunkt des vollständigen Verlö-
schens der solitären Ich-Strebung ist auch das erhabenste Gut nur ein Speku-
lationsobjekt in der Ökonomie eines selbstischen Genießens. Das vollständi-
ge Verlöschen ist der Weg und das Ziel der Übung. Hier endet jede Spekula-
tion.
Das Erlittenhaben der Privation, des "Totalschadens" ist im Zen die Bedin-
gung jeden höheren Lebens, jeder höheren Geistigkeit und erst der symboli-
sche Tod führt zu einem Leben, das nicht mehr aus der Furcht vor dem Tod
heraus bestimmt ist. Aus Zazen heraus zu leben, heißt aus dem Grab heraus

699 Lacan, 1.. S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 348


700 SUZUkl, Sh.: ZEN-GeIst - Anfänger-Geist, S. 69
9 Leerheit lernen und lehren

9.1 Das leere Grab


Eines Tages ging Meister Linji nach Hefu
und wurde von Statthalter Wang gebeten,
aufdem Lehrstuhl Platz zu nehmen (und ei-
ne Darlegung zu geben). Da trat (der
Mönch) Mayu vor ihn hin undfragte: "Der
große Barmherzige (Bodhisattwa Avaloki-
teshvara) hat eintausend Hände und Au-
gen; welches ist nun das wahre Auge?"
Meister Linji fragte zurück: "Der große
Barmherzige hat eintausend Hände und
Augen; welches ist nun das wahre Auge?
Sag's doch, sag's!" Da riß Mayu den Meis-
ter von seinem Stuhl herunter und setzte
sich selbst darauf Meister Linji trat vor ihn
hin undfragte: "Wie geht's?" Mayu zöger-
te, woraufihn der Meister vom Stuhl herun-
terriß und sich selbst wieder darauf setzte.
(Taisho-Kanon)

Lacan schreibt im Zusammenhang mit dem Versuch, "im freudschen Mythos


den toten Vater einzuführen", dass "Moses Grab für Freud so leer wie das
Grab Christi rur Hegel,,701 geblieben sei. Keinem von beiden habe Abraham
sein Geheimnis preisgegeben. Für Lacan, ließe sich die Reihe fortsetzen,
blieb das Grab Freuds leer. Das Erbe ist hier gerade das Nicht-Erbe, die
Nachfolge ist die Nicht-Nachfolge. Für einen an Lacan geschulten Analyti-
ker muss das Grab Lacans leer bleiben. Der Textkorpus des Kanon und die
Lehren des Meisters/Analytikers sind nur Matheme des Nicht-Mathems. Die
Frage der Selbstautorisierung dagegen - ein Analytiker, lautet das entspre-
chende Mathem, autorisiert sich nur durch sich selbst - ist aufs engste ver-
knüpft mit dem Faktum des Mangels im anderen.

701 Lacan, L Vorschlag vom 9. Oktober 1967 (Auszug), in: Der Wunderblock, S. 3
306 307

Muss nicht auch fur die Protagonisten des "Bodhidharma-Koan", den Kaiser lens der Ursache selbst zur Ursache wird, wird der präsupponierte Analytiker
und den "edlen Bau-dschY", diesen ,Anwärtern' auf die Buddhaschaft, genau zum Analytiker. Das Fehlen der Ursache als Ursache wird so zum Kennzei-
wie ftir jeden der nachfolgenden Meister das Grab Bodhidharmas leerblei- chen des authentischen AnalytikersIMeisters und zeugt gleichzeitig von der
ben, genau wie ftir Bodhidharma selbst das Grab Buddhas leer bleiben muss- Fragwürdigkeit dieser Ämter.
/

te? Der Buddha entdeckte die Leerheit des Alls und das "Bodhidharma-
Koan" ist Bekanntgabe und Zeugnis dieser Leerheit und damit verbunden: Es kann keine positive Selbstaussage des Subjekts des Unbewussten geben.
der Leere des Grabes Gautama Buddhas. Kein Name ftir dieses Dasein ist verbürgt, das Dasein selbst kann sich seiner
Nicht anders verhält es sich bei Dögen. "Beständige Entwicklung jenseits weder durch Namen noch durch Ränge/Ämter versichern. Es gibt keine, wie
von Buddha,,702 heißt: nicht der Rekurs auf die Dharmavorfahren verbürgt Lacan sagt,
letztlich die Autorität zu lehren, vielmehr gerade die Abtrennung vom Karma ,,[...] letzte Antwort auf die vom Anderen geforderte Garantie des
der Vorfahren, auch der Dharmavorfahren. Der Sinn der Lehren enthüllt sich Sinns als im tiefsten Unbewußten artikulierten Gesetzes. Wenn es nur
nur, wo sie preisgegeben werden. Eine Abtrenn~ng ist die Bedingung ftir die noch Mangel gibt, fällt der Andere, und der Signifikant ist der Signi-
Übernahme des symbolischen Mandats. Diese Ubernahme ist gegründet auf fikant semes Todes.,,705
der vollständigen Gewahruis des symbolischen Mangels, des radikalen Feh-
lens eines Signifikapten, der das Subjekt bezeichnet und ausweist als Lehrer. Hierin liegt der Grund daftir, weshalb Lacan den Grund des Symbolischen
als Loch markiert. Die Topoi der "Vatermetapher" und des "Namens des Va-
l-D. Nasio schreibt über den Zusammenhang des Fehlens von Groß Aals ters" - diese ftir psychoanalytische Zwecke, als Matheme des Nicht-
namen- und sinngebender Instanz in Bezug auf das frühe Mutter-Kind- Mathems, verwendeten Theologumena - sind Einftihrungen, um auf den Ur-
Verhältnis: sprung und den Ort der Meisterschaft, die Möglichkeitsbedingungen der Ü-
,,Der Andere ist unfähig, dem Kind einen adäquaten Signifikanten zu bernahme eines Mandats ohne Mandat hinzuzeigen. R. Borens schreibt dazu,
geben, einen, der es befriedigen würde.,,703 den Phallus als "Signifikant des Signifikantenmangels,,706 ins Spiel bringend:
"Der Name des Vaters ordnet sich um ein Loch, um eine Leerstelle,
Zwar könne die Mutter sagen: der Phallus steht ftir den Mangel, der grosse Andere ist gebarrt.,,707
",Du bist schön. [...] Du bist mein kleiner Junge.' [...] Aber ein Signi-
fikant, der ihn selbst· im Ganzen in seinem Sein bezeichnen würde, Im Fall des Narzissmus dagegen handelt es sich um "eine Montage rund um
bleibt ungesagt.,,704 ein Loch" zu seiner Verschleierung, um die "Ausstaffierung" des Lochs:
"Das reale Loch stellt die Ursache der Montage des Narzißmus dar,
Vergleichbares nun gilt fur den Signifikanten der Autorisierung. Es gibt und die besetzten Bilder ermöglichen es, sich in diesem Aufklaffen
nämlich keinen, der ein Sein als Analytiker- oder Meistersubjekt verbürgte. einzurichten.,,708
Die symbolischen Erstattungen dieses fehlenden Signifikanten - Zeugnisse,
bestandene Prüfungen, das shiho - können nicht über seinen grundsätzlichen Was bedeutet dieses ,Sich-Einrichten'? Es ist der Vorgang der imaginären
Mangel hinwegtäuschen und das Wissen dieses Mangels kennzeichnet die Identifizierung. Ein Subjekt identifiziert sich mittels eines Objekts mit sich
symbolische Autorität. Sie basiert gerade darauf, sich nicht mit dem ?as selbst. Kodo Sawaki formulierte das so:
grundsätzliche Fehlen erstattenden Signifikanten zu identifizieren, das heIßt:
sie basiert auf der Anerkennung des Mangels. Wo die Anerkennung des Feh-
705 Lacan, J.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 233
706 Was auch Immer die gelehngen Schüler über den "Phallus als Signifikant des Signifikan-
702 "Butsuköjöji - Beständige Entwicklung JenseIts von Buddha", so der Titel emes Dögen- tenmangels" tuschelten, sagt Lacan, es nütze nichts, "solange die Sache nicht wirklich
Texes, m: Dögen, E.. Shöbögenzö, Bd. Il, S. 11-18 durchgestanden 1st", um mIt emem Meister des Zen fortzufahren.
703 Nasio, J.-D.: 7 Hauptbegriffe der Psychoanalyse, S. 49 707 Borens, R.. Widerstände der Psychoanalyse, S. 24
704 Ebd. 708 NaslO, J.-D.: 7 Hauptbegriffe der Psychoanalyse, S. 49
309
308

Menschen haben immer etwas, was sie nicht vergessen können. Sind Wo Groß A"gebarrt" bleibt, kann, so Silvestre, ,,- folglich - kein Wissen
~ie reich dann halten sie sich auch für reich. Sind sie intelligent, dann entspringen,,713, Das Selbstbewusstgewordensein dieses Nicht-Wissen-
halten si~ sich auch rur intelligent. Sind sie geschickt, dann halten sie Könnens ist die Bedingung des selbstautorisierenden Aktes. Aber in der Ü-
sich rur geschickt. Und das drängt sich dann ständig in den Vorder- bernahme des symbolischen Mandats geht das bereits vorhandene ,positive
grund und so t "rt [... ],,709 Wissen' keineswegs verloren, es wechselt nur seinen Ort. Genauso wenig
geht die ,Schwäche' dieses Wissens verloren. Die Person insgesamt weist
Der Passus erinnert an die bereits zitierte Anmerkung von Lacan, derzfolge dieselben Schwächen, Unzulänglichkeiten, neurotischen Züge auf wie zuvor
nicht nur der Narr, der sich für einen König hält, als verrückt anzusehen ist, und doch verändert der selbstautorisierende Akt in gewissem Sinne alles.
sondern auch der König, der sich für einen solchen hält. Die Selbstautorisie- Was die Eigensc~aften, die spezifischen Merkmale der Person angeht,
rung dagegen gündet auf einen Mangel und nicht auf eine i~.aginäre Identifi- herrscht nach der Ubemahme des symbolischen Mandats ,Meister' oder ,A-
zierung. In dem bereits angeruhrten Essay zum Feld der Ubertragung, der nalytiker' das selbe Verhältnis von, VorherINachher' wie bei einem, der das
auch vom "Begehren des Analytikers" handelt, entwickelt Michel Silvestre symbolische Mandat ,König' übernommen hat. Allein die Übernahme des
Thesen zur Problematik von LacansSelbstautorisierungsdoktrin. Er stellt Mandats, so das Geheimnis, das die betreffende Person jetzt kennt, gibt, wie
sich folgende Fragen: Lacan ausruhrt,
"Woher nimmt der Analytiker das, was er sagt? Auf welches Wissen ,,[...] seinen Leidenschaften, seinen Plänen, selbst seiner Dummheit
gründet er sich? Welche letzte Instanz verbürgt die Deutung und all- einen völlig verschiedenen Sinn. All seine Funktionen werden, durch
gemeiner den Akt des Psychoanalytikers?,,710 den bloßen Umstand, daß er König ist, königliche Funktionen. In der
Ordnung des Königtums wird seine Intelligenz etwas völlig anderes,
Silvestre würde, um Lacan zu paraphrasieren, diese Fragen wohl nicht ge- selbst seine Unfahigkeiten fangen an, eine ganze Reihe von Schicksa-
stellt haben, wenn er die Antwort nicht schon gehabt hätte: len zu polarisieren, zu strukturieren, die sich aus dem Grund tiefgrei-
fend verändert finden werden, daß die königliche Autorität auf genau
"Der Analytiker autorisiert sich letztendlich nur aus sich heraus,_ wel- diese Weise von der Person, die mit ihr bekleidet ist, ausgeübt-wird.
ches auch seine Gruppenzugehörigkeit oder seine Lehrmeinung
iSt.,,711 Dem begegnet man auf kleinem Fuße alle Tage - daß ein Herr, der
über äußerst mäßige Qualifikationen verrugt und auf einem bestimm-
denn, um mit Lacan fortzufahren, ten, untergeordneten Posten alle möglichen Nachteile zeigt, mit einem
"Die symbolischen Legitimationen, in Hinblick auf die jemand.das, in gewissem Sinn souveränen Amt bekleidet wird, auf einem wie im-
was ihm von anderen übertragen worden ist, auf sich nimmt, bleIben mer begrenzten Gebiet, und sich vollständig verändert. Sie brauchen
der Ordnung der Befähigungsnachweise vollständig entzogen.,,712 es nur im Alltagsleben zu beobachten, die Tragweite sowohl seiner
Stärken wie seiner Schwächen verwandelt sich, und ihr Verhältnis
Das Problem der Autorisierung ist ein strukturelles, rur das keine,technische kann sich dadurch umgekehrt finden. ,,714
Ausbildung' eine Lösung erbringen kann, denn das Fehlen eines letzten, die
Autorität verbürgenden Signifikanten ist durch keine Technik zu kompensie-
ren. Es ist sogar gerade das nicht kompensierbare Fehlen dieses _bestimmen- 713 Silvestre, M.: Die Übertragung m der Ausnchtung der Kur, S. 126
den Signifikanten, das die Dezision, sich zum Analytiker zu bestimmen, her- 714 Lacan,1.: S I, Freuds techmsche Schriften, S. 350 - Um das Beispiel par excellence /Ur
dieses alles verändernde Dazwischentreten des Symbols zu nennen, sei auf emen Film,
vorbringt. nämliCh Kurusawas "Kagemusha - Der Schatten des Kriegers" verwiesen, worm ein einfa-
cher, in Jeder HinSicht mäßig begabter Dieb den Platz des Shoguns, dessen Tod den Fem-
den verborgen.!,leiben soll, emzunehmen genötigt Wird. Er wird allein wegen semer physi-
709 Sawaki, Kodo: AN DICH, Gesammelte Zen-Sprüche, S. 61
ognomischen Ahnlichkeit mIt dem verstorbenen Herrscher /Ur dieses Amt ausgewählt, aber
710 Silvestre, M.: Die Übertragung m der Ausrichtung der Kur, S. 125
/Ur alle, die den klugen und würdevollen Shogun nicht kannten, repräsentiert dieser Dop-
711 Ebd., S. 126 pelgänger in vollkommenster Welse das Bild des Herrschers und mit zunehmende~
712 Lacan, J.: S I, Freuds techmsche Schriften, S. 349
1

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I 311

Das Wissen desjenigen, der sich im lacanschen Sinne zum Analytiker autori- Analyseversuche nur wenig ~usgebildeter, interessierter Laien, die sogenann-
siert ist das Wissen von der Macht des Symbols, des Dazwischentretens des te "wilde Analyse", die die Ubertragung nicht zu handhaben weiß, strikt ab-
Zeichens, das alles verändert, obwohl eigentlich nichts sich verändert hat. zulehnen. Es muss irgendeine Art Maßstab geben, an dem sich der Wert und
Erforderlich ist hier nicht die psychische Gesundheit nach einem bestimmten die Ziele des ,analytischen Tuns' bemessen lässt. Bei Lacan besteht letztlich
Normwert noch eine umfassende Gelehrsamkeit, wie sie gewöhnlichen der Akt des Analytikers in nichts anderem als in der Evokation des Aktes des
Sterbliche~ abgeht, vielmehr werden Fragen plötzlich zu Antworten allein präsupponierten Analytikers, der durch diesen Akt seinerseits Analytiker
durch den Wechsel des Zeichens, das sie begleitet, durch das Hinzutreten des wird, das heißt den Akt vollziehen kann, der einen nächsten präsupponierten
Signifikanten ,Analytiker', Aber das Fehlen der Ursache un~ die Übernahme Analytiker zum Analytiker macht und so weiter ad infinitum. Wie aber die
des symbolischen Mandats trennt noch ein Abgrund. Seine Uberbrückung ist (zu erwartende) Intervention eines (noch erst) präsupponierten Analytikers
als legitimen Akt feststellen?
der lacansche Akt.
In der von ihm selbst gegründeten Schule hielt Lacan sich bekanntlich an die
Das Wissen, dass von keinem Groß A her der Akt der Deutung verbürgt ist, passe, die die Dezision zum Analytiker hinterfragt. Die passe ist keine Prü-
zwingt radikal in die Verantwortung. Der Analytiker muss ja wissen, dass fung im üblichen Sinne. Lacan kommt im "Television"-Interview auf sie zu
die Deutung ein Eingriff ist, gewissermaßen eine Störung, idealitas eine Gu- sprechen:
tes bewirkende Ver~törung. Die (durch die eigene Analyse) zu Wissen ge- "Ich erkläre, ,der Analytiker autorisiert sich allein durch sich selbst'.
wordene Erfahrung, die Gewissheit, dass Groß A nicht antwortet, ja nicht Ich richte in meiner Schule die ,Passe' ein, also die Prüfung dessen,
einmal spricht, dass an seinem Ort folglich kein Wissen entspringt (entgegen was einen Analvsanten zu der Entscheidung bringt, sich als Analyti-
der von manchen ,romantischen' Strukturalisten vorgebrachten Behauptung, ker zu setzen.,,7(7
es ginge nur darum auszusprechen, was ,woanders' schon gleichsam vor-
buchstabiert ist), zwingt so in die Übernahme der Vatermetapher, der auf Nicht einer bestimmten Quantität an Wissen und seiner qualitätsvollen Re-
nichts als einem dezisionistischen Akt gründenden Übernahme des symboli- produktion gilt es in der passe zu genügen, vielmehr wird die Entscheidung
schen Mandats, sogar in ihre Inszenierung als "signifikante Parade" und hinterfragt, "sich als Analytiker zu setzen", das heißt also die Fähigkeit, an-
gleichzeitig dazu, die volle, an keine Instanz Groß A deligierbare Verantwor- dere Analytiker zu eben dieser Entscheidung zu qualifizieren, nämlich den
tung zu übernehmen. Das ist dann der Akt des Analytikers/Meisters. So gibt selbstautorisierenden Akt zu vollziehen. Diese Dezision steht gegenüber allen
Schmid die genau richtige Antwort auf die Frage, was man macht, wenn man Fragen der Technik im Vordergrund.
eine Analyse macht, nämlich: "Den Akt des Analytikers,,715. Wenn auch es einer langen Vorbereitung bedarf, einer langen "Zeit des Ver-
stehens" bis zum "Moment des Schließens", so ist diese Entscheidung, sich
9.1.1 Die Passe als Analytiker zu setzen, dennoch als eine reine Dezision zu sehen, weil sie
Jemandem weh zu tun außerhalb einer in ihren Zielen und Mitteln klar defi- aus der Kausalkette der Motive, die die Handlungen determinieren, heraus-
nierten Praxis flillt unter das Moralverdikt. 716 Lacan folgte Freud darin, die springt, bzw. die Sprengung dieser Kette ist. Der Akt der Selbstautorisierung
meint eben genau dies: sich als seine eigene Ursache zu setzen und sich nicht
aus anderem herzuleiten, denn das ,Grab bleibt leer' und der Instanz Groß A
Vertrautwerden mit dem Amt errullt der Doppelgänger es schließlich auch rur dieJenigen,
entspringt kein Wissen. Der Akt ist ja so definiert, dass er den Mangel der
die den alten Shogun kannten, auf eme Welse, die durch nIchls mehr von der semes Vor- Ursache als Ursache hat. Deshalb sind die "Zeit des Verstehens" und der
gängers unterscheidbar 1St. . . . . ' "Akt des Schließens" durch eine Art Abgrund voneinander getrennt. Um es
715 Schmid, M.. Vom X des Akts, S. 57, in: Riss, Zeitschrift rur Psychoanalyse. Freud.Lacan. in einem an ein Koan angelehntes Rätsel zu sagen: Wenn der präsupponierte
Nr.41
716 Die Zen-Praxis, ems zu eins m eine politische Programmatik übersetzt, so der Zen-Meister
L.T. Tenbreul in einem Gespräch mit dem Autor, liefe auf FaSChismus hmaus. Auch eine
Psychoanalyse der Gesellschaft mit ihrem bürgerlich-demokratischen Konsens stellte vor lichkeit, des Respekts, des Gehorsams zum anderen. (Lacan, 1.. S I, Freuds teChnische
profunde Probleme, denn, mit den Worten Lacans: "Man löst m ihr [der PA, J.A.] tatsäch- Schriften, S. 223f.)
lich alle Vertäuungen der gesprochenen Beziehung, man bricht das Verhältnis der Höj- 71 T Lacan,1.. Rff, S. 82
i

312
I 313

Analytiker das Gesicht zu zeigen in der Lage ist, das er selbst nicht sehen beißen sie in jeden Schmutzhaufen. Ihr Blinden, was vergeudet ihr all
kann, ohne dabei jene Maßstäbe zu verletzen, die als die Ziele und Mittel der die Gaben der Frommen? [00'] Keine Buddhas, keine heiligen Lehren,
Psychoanalyse definiert sind, hat er diejenige Reife, die rur die Dezision zum keine Disziplinierung, keine Bestätigung. Was sucht ihr im Nachbar-
Analytiker und rur das analytische Handeln, das seinerseits darin besteht, haus? Ihr Blinden, was setzt ihr einen zweiten Kopf auf euren eige-
718 nen! Was mangelt euch? Ihr Anhänger der Wahrheit, wovon ihr eben
"den Akt zu evozieren, vorausgesetzt werden muss.
Die Frage, mit der der Analysant sich in der passe konfrontiert sieht, lautet jetzt Gebrauch macht, ist das, was einen Patriarchen oder Buddha
also: Wie wird sein Agieren mit einem Sein zu erwarten sein, das in Wahr- ausmacht. Doch ihr glaubt mir nicht und sucht es außen. Begeht kei-
heit ohne Mandat ist? Wie wird (nicht) dessen Anschein gewahrt werden? nen Fehler. Es gibt außen keine Wirklichkeiten, noch ist in euch et-
Silvestres Antwort ruhrt zusammenfassend uns zurück zu schon Gesagtem: was, das ihr ergreifen könntet. Ihr heftet euch an die wörtliche Bedeu-
tung dessen, was ich euch sage, doch wieviel besser ist es, alles Sin-
"Nun hat Freud an genau dieser Stelle die Vaterfunktion aufgerichtet, nen und Trachten zum Stillstand zu bringen und sich im Nicht-
um dem Subjekt jenen Eckpfeiler zu bedeuten, den Freud Kastration Handeln zu üben.,,720
genannt hat."719
Der Buddhismus selbst wird schließlich, das ist die Quintessenz dieser Er-
Wenn Lacan sagt, "dass die passe hinterfragt, was einen Analysanten zu der mahnungen Rinzais, zum Hindernis, die buddhistische Wahrheit zu erlangen.
Entscheidung bringt, sich als Analytiker zu setzen", so geht es dabei also Mit den Worten des Gefangniskaplans aus dem Dom-Kapitel in Franz Kaf-
darum herauszufinden, wie es bei der betreffenden Person mit dem "Namen kas "Der Prozess" zu reden:
desVaters" steht. Die Anerkennung der symbolischen Kastration (als die des
anderen) ist die conditto sine qua non der Übernahme der Vatermetapher. "Richtiges Auffassen einer Sache und Mißverstehen der gleichen Sa-
che schließen einander nicht vollständig aus.,,721

9.2 Autorisierung und Übertragung Die Verstrickung in die "Netze der alten Meister" und nicht "unabhängig
von Objekten" zu sein, sind ursächlich darur, dass da "niemand [war], der
"Ihr Anhänger der Wahrheit, wenn ihr das rechte Begreifen erlangen
ganz auf sich gestellt, ganz frei, ganz er selbst" vor den Redner hintreten
wollt, laßt euch von niemandem irrefUhren. [00'] Begegnet ihr dem
Buddha, so tötet ihn; begegnet ihr einem Patriarchen, so tötet ihn; [00'] konnte, mit anderen Worten: dem dieser das shiho hätte übertragen können.
Laßt euch nicht mit irgendeinem Objekt ein, sondern steht darüber, Denn mit dem Buddhismus wird zwar die Welt überwunden, aber schließlich
geht weiter und seid frei. Wenn ich die sogenannten Anhänger der muss der Buddhismus selbst überwunden werden, weshalb die Aufforderung
Wahrheit landauf, landab betrachte, so ist da keiner, der frei und un- lautet:
abhängig von Objekten vor mich hinträte.[.oo] Bisher ist da wahrhaftig "Begegnet ihr dem Buddha, so tötet ihn!"
niemand, der ganz auf sich gestellt, ganz frei, ganz er selbst vor mich
hingetreten wäre. Unweigerlich findet man sie in die Netze der alten Die Zen-Lehre selbst und der Meister bilden am Ende das größte und letzte
Meister verstrickt. Ich habe euch wirklich nichts zu geben. Ich kann Hindernis zur Erlangung des Weges, denn die Lehre ist zum ,Hinübergehen'
nur eure Krankheit heilen und euch aus den Banden befreien. da, nicht zum ,Festhalten" Der Buddhismus in toto steht wie ein Schirm, wie
Ihr Anhänger der Wahrheit, zeigt euch hier unabhängig von allen Ob- ein weiterer "Schirm des Phantasma" vor dieser Wahrheit, versperrt den
jekten, ich möchte die Sache mit euch erwägen. Die letzten runf oder Weg und hindert die Schüler an der Übernahme jenes ,mandatslosen Man-
zehn Jahre warte ich auf solche, und es gab noch keine. Sie sind alle
dats', das "lachend auf den Marktplatz zu gehen" erlaubt, ohne den "Schrit-
gespensterhafte Existenzen, Dämonen, die in Wäldern und Bambus-
hainen ihr Unwesen treiben, Irrlichter der Wildnis. In ihrem Wahn

718 Angespielt ist hier auf das vlelzilierte Koan: "Zelge mir dem ursprüngliches Gesicht vor
der Geburt deiner Eltern!" 720 Rinzal, Zlt. n. Suzuki, T.S.. Die große BefreIUng, S. 162f.
719 Lacan, J.. R1T, S. 82 721 Kafka, F.: Der Prozess, S. 158
314 315

tenfrUherer Meister" zu folgen. 722 Die Lehre enthüllt ihren letzten Sinn erst der Adressat dieser apodiktischen Aufforderungen. Den Buddha, den Patri-
im Moment ihrer Preisgabe, bzw.: ihre Preisgabe ist der letzte Sinn dieser archen "töten" heißt dann, seine Spaltung anzuerkennen und im selben Zuge
Lehre. sich von der Bevormundung durch ein Trugbild zu befreien.
Der Ausweg rur solche, die sich inden "Netzen der alten Meister" verstrickt Hier könnte nun, im Transfer auf die Praxis der Psychoanalyse, der Eindruck
finden, liegt immer dort, wo sich plötzlich oder allmählich die Gewahrnis, entstehen, das Ende der Analyse sei mit der Beendigung der Übertragung
dass die Nachfolge die Nicht-Nachfolge ist und das Erbe das Nicht-Erbe, herbeigeführt. Dies ist aber ein Missverständnis und diesem liegt eine Ver-
Bahn bricht. Der Pali-Kanon, die Überlieferungen des Zen und die Lehren wechslung der Begriffe Übertragung und Identifizierung zu Grunde. Hält
des Meisters sind von da an nur noch ganz äußerliche konjekturale Theore- man sich an den lacanschen Begriff der Übertragung, so wird klar, wie es
me, "Wahrheiten zweiter Ordnung", Die Nachfolge aber ist radikal als sich nämlich tatsächlich weit eher genau umgekehrt verhält. Das Ende der
Nicht-Nachfolge zu realisieren. Analyse disponiert zum Analytiker, es ist gegeben mit dem Durchquerthaben
des Phantasma und der Anerkennung der symbolischen Kastration des ande-
",Identifiziere dich nicht', ,Sei nicht, der du bist', ,Begehre dich über
ren, die Übertragung aber ist ihrer Natur nach nie zu beenden. Evans stellt
jedes Objekt hinaus', ,Sei nichts",.723
klar heraus, wie bei Lacan das Ende der Analyse nicht das Ende der Übertra-
gung ist:
Die crux der Identifizierung und das Inkraftsein der Dialektiken von Gewinn
und Verlust verschleiern das radikale Fehlen einer Instanz Groß A, das Feh- "Die Vorstellung einer liquidierbaren Übertragung gründet auf einem
len von ,letzten Wahrheiten' und/oder eines erlangbaren Wissens, das sich Mißverständnis über die Natur der Übertragung, die sie als eine Art
enqlich irgendwo schließt und auf dessen Schließung zu warten sei. Die I- überwindbare Illusion sieht. Eine solche Ansicht führt in die Irre, weil
dentifizierung des anderen als Instanz des Wissens, des anderen als Statthal- ~~e die symbolische Natur der Übertragung völlig außer Acht läßt.
ters der Weisheit der Schriften, verhindert das Erwachen. Ubertra~un.~ ist Teil der Struktur, die dem Sprechen zugrunde liegt.
Es ist von entscheidender Bedeutung zu sehen, wie die Identifizierung des [..,] (Die Ubertragung) besteht auch nach dem Ende der Analyse
fort.,:724
anderen als Instanz des Wissens und die Nicht-Anerkennung der Kastration,
die zuerst immer die des anderen ist, sich genau entsprechen. Die Hochach-
tung und Bewunderung des anderen sind, vergleichbar der Idealisierung der Die Unterscheidung von Übertragung und IdentifiZierung ermöglicht eine
geliebten Person auf dem Schauplatz der Liebe, aus dieser Perspektive seine neue Lesart der Übertragung im Zen (shiho), der Übertragung des Buddha-
Missachtung, seine Nicht-Anerkennung als der Spaltung unterworfenes, siegels, die einem Schüler das Mandat ,Meister' überträgt, und rückt ihren
sterbliches Mängelwesen. So sind die Sätze Begriff in direkte Nähe zu dem, was in lacanscher Psychoanalyse Übertra-
gung heißt. Die Übertragung des Buddhasiegels (shiho) als Urkunde bestä-
,,Begegnet ihr dem Buddha, so tötet ihn; begegnet ihr einem Patriar- tigt nicht die Beendigung der Übertragung (im lacanschen Sinn des Beg-
chen, so tötet ihn." riffs), vielmehr die Möglichkeit ihrer Realisierung, der Realisierung dessen,
dass Diskurs wie Begehren stets die des anderen sind. Das Ende der Lehrzeit
auch als Aufforderung zur Schonung des anderen, des "Buddhas", des "Pat- ist dann gekommen und die Zeit zu lehren angebrochen, wenn die Befreiung
riarchen", zu lesen, denn jedweder andere unterliegt derselben Spaltung wie vom Trugbild einer existierenden Instanz des Wissens mit der Anerkennung
der Kastration des anderen gegeben ist. Bei Lacan endet mit dem Übertritt
722 AngespIelt ist hier auf das zehnte und letzte der berühmten ,,zehn Ochsenbilder", m der vom Analysanten zum Analytiker die Übertragung nicht, vielmehr die Iden-
Kommentlerung von Meister Kuo-an. Der, den "selbst der Weiseste mcht ausfindig ma- tifikation mit dem Analytiker als einer Instanz, der Wissen unterstellt ist. Die
chen kimn" und dessen "Gefilde seines Innem [...] tief verborgen smd [...] geht semen Weg Ratschläge Rinzais fordern in diesem Sinne zum Abbruch der Identifikation
und foigt mcht den Schntten früherer Meister" Es folgt noch eine Kommentlerung m Ver-
sen: "Mit entblößter Brust kommt er barfuß zum Markte / Schmutzbedeckt und mIt Asche auf, nicht zur Beendigung der Übertragung:
beschmiert / lacht er doch breit übers ganze GeSIcht / Ohne Zuflucht zu mystischen Kräften
/ bringt er verdorrte Bäume schnell zum Blühen." (Zit.n.. SUZUkl, T.S.. Zazen, Die übung
des Zen, S. 206)
723 Borch-Jacobsen, M.. Lacan, Der abSOlute Herr und Meister, S. 250 724 Evans, D.: WörterbUCh der Lacanschen Psychoanalyse, S. 86
316 317
"Begegnet ihr dem Buddha, so tötet ihn; begegnet ihr einem Patriar- gen: ja, man kann sie weitergeben. Doch sowohl Lehre wie Transmis-
chen, so tötet ihn." sion geschehen immer nur partiell, man gibt die Lehre nie als Ganzes
weit~r. ~nd ich würde sagen, daß das ein Glück ist. Denn derjenige,
Der Meister hat, wie zu lesen war, "wirklich nichts zu geben", kein Erbe, der Sie ubernlmmt, muß etwas hmzufügen, um es seinerseits an einen
kein Wissen, nichts was er positiv weitergeben/hinterlassen könnte. Er über- a~deren weite~geben zu können. Sehr persönlich gesagt: Ich fühle
trägt ,sein Nichts', das Nichts, das er selbst ist, aber nicht eine ,Lehre des mIch als ein Uberbringer der Psychoanalyse, als ein Glied in einer
Nichts' als einen Gegenstand, den man besitzen könnte. Anders gesagt: er Kette. Ich habe etwas erhalten, ich habe es ausgearbeitet, mir neu ge-
überträgt sein Nicht-Wissen als dynamischen Wert. Die Leerheit des Ich und schaffen und gebe es an andere weiter."ns
aller Dinge, die dem Subjekt zu dämmern beginnt mit der Lösung der Ver-
täuungen seines Seins und seiner Bindung an das Sprachzeichen, meint eben Was ist dieses, das hinzugefügt werden muss, so dass die Lehre, ein Wissen
gerade nicht, dass es sich mittels eines Wissens oder der Beherrschung einer "das nicht bewußt ist, keinem der beiden Akteure, weder dem Analytike;
Technik sukzessive in ein ideales Außen der gerade herrschenden Diskurse noch dem Analysanten", transmittiert werden kann? Es ist der Akt der Ent-
zU begeben im Begriff steht. Leerheit durchsteppt vielmehr die sozialen Be- scheidung, sich als Analytiker zu bestimmen. Alle Theoreme, Matheme und
ziehungen, die Tatsachen der Herkunft (und folglich das, "was uns in einem Narrationen zielen so letztlich auf nichts anderes als den transmissiven Akt.
bestimmten Schicksal wurzeln läßt"), ebenso wie die Systeme des Wissens. O~ne i~n ist die Zeit des Lernens, die ,,zeit des Verstehens", vergeudete
Zelt. DIe Analyse nach Lacan muss den Akt evozieren wollen. Der ethische
Akt des Analytikers ist dann die Evokation des Aktes auf Seiten des Analy-
9.3 Lehre, Transmission und di~ natürliche Autorität santen. Jeder Rekurs auf ein schließbares Wissen und auf das Label ist nur
Mit der Übernahme der Vatermetapher bildet das Subjekt seine eigene Me- der Widerstand, hinter dem der Analytiker sich verschanzt. (Es gibt ja nach
tapher. Der Signifikant Vater ist der Signifikant des Fehlens eines Signifi- ~acan nur den. einen für die Analyse relevanten Widerstand: den des Analy-
kanten, der das Subjekt von sich aus bezeichnet. Wie das Symbol die "Spur tIkers.) Als WIssen, das SIch hinter dem Label verschanzt, gleichsam "in Tü-
eines Nichts" ist, gründet die Übernahme des symbolischen Mandats, die cher eingewickelt", wie Rinzai sich in nachstehendem Passus ausdrücken
zum Analytiker qualifiziert, auf nichts als der eigenen Setzung. Das Label wird, wird der "tiefe verborgene Sinn" der Lehre dem Blick des anderen ent-
der Organisation ist nur eine der Dezision äußerlich bleibende Bestätigung, zogen. Der Widerstand des Meisters/Analytikers zielt darauf, die Schü-
denn der Analytiker autorisiert sich nur durch sich selbst. ler/Analysanten gerade nicht zum selbstautorisierenden Akt vorauszube-
Grundlegend zu unterscheiden im Zusammenhang mit der Autorisierungs- stimmen, vielmehr ein Verhältnis festzuschreiben, dass sich auf die duale
frage sind die Begriffe Transmission und Lehre. Transmission heißt weder, Beziehung gründet, in der der eine über ein Wissen verfugt, das er scheib-
den Kanon der Lehre einem einzelnen Individuum weiterzugeben und chenweise dem anderen generös zum Verzehr anbietet. Rinzai dagegen hat
gleichsam aufzubürden, noch ihm ein probates Machtmittel in die Hand zu SIch nicht hinter seinem Widerstand verschanzt, er spielt mit offenem Visier
geben. Der Ordnung der Befähigungsnachweise bleibt sie äußerlich. Nasio und tut das Seinige, den Akt auf den Weg zu bringen:
schreibt zum Unterschied von Lehre und Transmission: "Ihr Lernenden von heute kommt zu nichts, weil euer Verständnis al-
"Wenn jemand in Analyse steht, findet eine Transmission statt. Es ist lein auf die Kenntnis von Begriffen und Worten baut. Ihr schreibt die
ein Übertritt eines Wissens, das nicht bewußt ist, keinem der beiden Worte irgendeines verstorbenen alten Kerls in eure dicken Notizbü-
Akteure, weder dem Analytiker noch dem Analysanten. Hingegen ch~r, wickelt diese in Tücher ein und paßt auf, daß niemand einen
bedeutet Lehre einen Ubertritt eines Wissens, das beiden bewußt ist. Bhck hineinWIrft. ,Das ist der tiefe verborgene Sinn', sagt ihr und
Mankönnte sagen, Lehre bedeutet, daß· wir eine Brücke überqueren, bewahrt die Notizbücher mit großer Sorgfalt auf. Ihr liegt total falsch,
doch dabei wissen wir, wer wir sind, von welchem Ufer wir ausgehen
und an welchem Ufer wir ankommen werden. Das ist der Unterschied
zwischen Lehre und Transmission. Um auf (die Frage) zurückzu-
kommen, ob man die Psychoanalyse weitergeben kann. Ich würde sa-
725 NaslO, J.-D.: 7 Hauptbegriffe der Psychoanalyse, S. 152
318
319

ihr blinden Idioten! Ihr glaubt wohl, ihr findet noch Saft in diesen mehr, desto besser sie es verstehen. Dennoch sind Kryptierungen notwendig,
ausgetrockneten Knochen [...]?,,726 damit sich etwas enthüllen kann. Mit unvergleichlichem Humor zielt Yun-
men im folgenden Überlieferungstext auf das Unzureichende des Verstehens,
Paradoxer- oder ironischerweise steht in den "dicken Notizbüchern" jedoch
und sei es des "Verstehens des Nicht-Verstehens", z.B. der Koan, dieser
nichts anderes als: Lasst euch nicht von den "dicken Notizbüchern" gefan- fernöstlichen Matheme:
gennehmen! Einmal mehr schließen .yers~ehen und Missverst~hen derselben
Sache einander nicht aus. Auch die Uberheferungstexte um d1e Person Yun- "Die alten Meister konnten es einfach nicht lassen: Als sie euch plan-
mens handeln von nichts anderem als dem Verhältnis/Nicht-Verhältnis des- los herumrennen sahen, schwatzten sie euch etwas von Weisheit und
sen, was in den "dicken Notizbüchern" steht und dem, was eig~ntlich nottut. Erlösung vor und verscharrten. euch; sie schlugen ein~n Pflock ein
Um aus einem dieser "dicken Notizbücher" über Yunmen zu zltieren: und fesselten euch daran. Wenn'· sie dann sahen, daß ihr nichts davon
kapiertet, sprachen sie zu euch von Nicht-Weisheit und Nicht-
"Ihr dürft den Tricks anderer Leute nicht auf den Lei~ geh~n und ihre Erlösung. Doch auch, wenn ihr das begriffen hättet, stände es noch
Weisungen nicht einfach akzeptieren. Kaum seht 1hr eu:en .alten keineswegs gut um euch.,,729
Meister seinen Mund auftun, so stopft ihr euch auch schon d1e d1cken
Steinbrocken (seiner Worte) ins Maul. Und wenn ihr euch in kleinen
Gruppen versammelt und diskutiert, so seit ihr genau. wie die g~nen Lacans Formeln, seine berüchtigte Algebra, sind rhetorische "Tricks", ver-
Fliegen, die sich auf der Scheiße drängen und um d1eselbe stre1ten! gleichbar solchen, die die Schüler zuerst um einen Pflock von Weisheit und
Eine Schande isfs, Brüder!,,727 Erlösung laufen lassen, dann um einen von Nicht-Weisheit und Nicht-
Erlösung, wobei es doch einzig darum geht, den Pflock herauszureißen. Die
Die Schüler, sich "in kleinen Gruppen" versammelnd und diskut~eren~... Die Meister "knausern nicht", lassen keinen Zweifel daran, wie es sich bei derlei
"Jüngelchen", sagte Lacan - "Tochtermänner" nannte sie Friednch Klttle~­ "Unfug und Narretei", solcherlei Wahrheiten "zweiter Ordnung" ("platt und
stünden, so nahezu wörtlich Lacan, in kIemen Gruppen zusammen und d1S- naheliegend") immer nur um rhetorische Strategeme handeln kann. Ihre vor
kutierten - tiefem Sinn bersten wollenden Sätze, wie Lacans grandiose metalogischen
"animiert [...] von dem Wunsch, einen Meisterposte~ zu haben, un~ Formeln machen nur Sinn als Matheme des Nicht-Mathems, denn das unbe-
es hat nicht einen einzigen gegeben, der nicht ich we1ß mcht was für wußte Selbst ist selbst Autorität und kein im komplexesten System sich
ein Gerangel fabriziert hätte über den Signifikantenmangel, den Sig- schließendes Wissen kann jemals der Dignität dieser ursprünglichen, natürli-
nifikanten des Signifikantenmangels und anderes Gefasel zum Phallus chen Autorität gleichkommen.
[...]"728,
Die Herausbildung der natürlichen Autorität ist gebunden an die Aufmerk-
samkeit, die dem Lauf der Signifikanten zu gelten hat, dem zu folgen ist. Es
Wie gesagt (eingangs dieses Kapitels): Der Signifikant Vater ist der Si~ifi­ kann folglich nur der Zugang zum Wissen (des Unbewussten) sein, der mit
kant des Fehlens eines Signifikanten, der das Subjekt von sich a':ls beze1ch- Hilfe der Koan und Matheme gelehrt werden soll, kein positiver Wissensin-
net. Aber dies nur zu wissen nützt wenig, denn der Akt, der zur Übernahme halt:
der Vatermetapher prädisponiert, wird von woandersher kommen als von ei-
nem Subjekt, das dies nur weiß. Insofern dieses Wissen bei Lacan als Ma- "Er [der Analytiker, lA.] hat das Subjekt nicht zu einem Wissen zu
them organisiert ist, verschleiert es das Nicht-Mathem s~gar noc~e1.nmal zu- führen, sondern zu den Zugangswegen dieses Wissens. Er muß es in
sätzlich und "fesselt" die Schüler gerade dadurch und d1es womoghch umso eine dialektische Operation hineinZiehen, nicht ihm sagen, daß es sich
täuscht, denn es bewegt sich gezwungenermaßen im Irrtum, sondern

726 Rinzal, zit. n.: Zen-Worte vom Wolkenberg; Meister Yunmen, S. 20


727 Yunmen, zlt.n: Zen-Worte vom Wolkenberg; Meister Yunmen, S. 54
728 Lacan, J.: S XX, Encore, S. 80 729 Yunmen, zlt.n: Zen-Worte vom Wolkenberg; MeIster Yunmen, S. 55
321
320

. da,ß es sc hl echtJßrIC
'ht, d ..,
h daß es ohne zu wissen Begehren des Analytikers kann also nicht sein, Gutes zu tun oder zu heilen.
ihm zeigen,
spricht, als Unwissender, [...]. Auch muss er das Begehren des Analysanten, Fortschritte zu machen, frust-
rieren. Evans schreibt hierzu:
Der "Mensch ohne Rang", der über die natürliche Autorität verfugt, kann ~ur "Lacan verwirft die Vorstellung von Fortschritt, da sie auf einem li-
realisiert werden, wenn auch die Idee, ohne Rang zu sein, aufgegeben Ist, nearen, in eine Richtung verlaufenden Begriff von Zeit -firündet und
denndie Kaprice auf das "ohne Rang" ist wiederum selbst (und erst re~ht, in auch, weil sie die Möglichkeit einer Synthese impliziert." 1
noch gesteigerter Form) idiosynkratisch, vom Ich-Dünkel überdetermmlert.
Es wäre die extremste Form des, um die Hegel-Formel zu benutzen, "Wahn- Streng genommen, will der Analytiker gar nichts. Die psychoanalytische Kur
sinn des Eigendünkels", Der Mensch ohne Rang verliert sich o~ne, Unter~~s~, nach Lacan ist zu sehen als ein ,Prozeß hin zur Wahrheit' oder als die Ins-
wie Dögen lehrte, in Ränge und Positionen und gewinnt dabei seme naturli- Werk-Setzung einer allmählichen oder plötzliche Einsichtsgewinnung in die
ehe Autorität. Das Subjekt selbst aber ist nichts als die Repräsentation eines tragische Dimension des Lebens. Einmal beschreibt Lacan das Ende der A-
Signifikanten für einen an~~ren Signifika~ten, ,:~r sICh s.el,b~t genomme~ ist nalyse auch als die "Bewältigung der eigenen Sterblichkeit"m,
es nichts, bzw. leer, eme Lucke. "Das Ethische ISt ImpllZlt Im Sagen dles~s Diese Bewältigung als kathartische Prozedur und die Erreichung normativer
"Mensch ohne Rang", er ist gewissermaßen moralisch aus seiner ursprüngli- Ziele auf der Ebene des Ich sind grundsätzlich zu unterscheiden. Die Trans-
chen Natur heraus. Die ursprüngliche Natur ist Mitsein, dort, wo das "Ich- formation der subjektiven Basis soll erfolgen durch jene
selbstigste von Ich Selbst" ununterschieden ist vom Selbst der anderen. ~ie
,,[...] Annäherung an ein glühendes Zentrum oder einen absoluten
innere Tauschbörse des in der Ich-Du-Dialektik gefangenen Subjekts bleibt
Nullpunkt, der psychisch den Atem verschlägt. [... ].,,733
hier geschlossen. Ein Ich, das sich in seinem Dünkel berufen fühlt, andere ~u
belehren oder zu erziehen, hat in Wahrheit keinerlei Autorität. Lacan und die Durch die Übernahme des fundamentalen Signifikanten des nom du pere er-
Zen-Meister lehren, sich in Acht zu nehmen vor solchen mit derartigen Beru- langt der Analytiker diejenige Autorität innerhalb der symbolischen Ord-
fungen. In ihrem Sagen und Agieren handelt es sich nicht um die Praxis der
nung, der Ordung des Sprechens, die zu solch transformierender "mystischer
symbolischen Autorität, nicht um die Autorität, die im Mitsein das Selbstsein
Operation" das Mandat verleiht. Hier muss ein wesentliches In-Abstand-
gründet, sondern um die Ausübung einer Macht. Bleiben zu den Reziprozitätsverhältnissen innerhalb der Ordnungen des I-
maginären vorausgesetzt werden. So sind etwa das Schweigen des Analyti-
9.4 Die Person als Maske des Nichts oder der Analytiker als kers und seine Weigerung zu verstehen in dieser Praxis Mittel zur richtigen
Heiliger Ausbalancierung der Übertragung, nicht Machtausübung, es handelt sich al-
so um keine spezifische Variante des Diskurses des Herrn. Legitim wird das
Ein Fragezeichen, zwischen zwei Nichtse Sprech- und Schweigehandeln des Analytikers durch seine Indifferenz. Ihr
eingekrümmt (Nietzsche) Maß findet sie einzig in der symbolischen Ordnung, der Ordnung des Spre-
chens, die präsubjektiv ex-istiert.
9.4.1 Die Moralität der Meister/Analytiker und die moralische Norm Doch wie passt diese solitäre Position des Analytikers, so wie Lacan ihn ide-
Die Moralität des an Lacan geschulten Analytikers richtet sich nicht an dem altypisch entwirft, damit zusammen, dass im Analytiker sich doch die Person
aus was die moralische Norm gebietet. In gewisser Hinsicht ist er asozial. als das ursprüngliche Selbst, das ununterschieden ist vom Selbst der anderen,
Di; analytische Intervention soll nicht, wie in der Ego-Psychologie, an Idea- realisiert haben, dass sein Dasein sich radikal auf Mitsein gründen soll? Die
len orientiert sein, nicht das Glück oder die Gesundheit des Analysanten Antwort muss hier lauten: Gerade indem die schwebende Aufmerksamkeit al-
wollen, auch nicht seine Anpassung an die Realität, wobei gerade letzteres, lein dem Lauf der Signifikanten zu gelten hat, erfordert sie diese Art nietz-
wie nun klar geworden sein dürfte, einen Gipfel an Widersinn bildete. Das
731 Evans, D.: Wörterbuch der lacanschen Psychoanalyse, S. 101
732 Zit. n.: Ebd., S. 85
730 Lacan, L S I, Freuds technische Schriften, S. 348 733 Lacan, J.: S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 243
322 323

scheanischen "Pathos der Distanz". Denn das In-Abstand-Bleiben zu den ten Ort am unerkennbarsten. Aber es geht nicht um ein Spiel mit Verbergung
"Subjekten des Diskurses" allein genügt nicht. Die Realisation von Selbst- und Enthüllung, darum, sich zu entziehen, unsichtbar zu machen, um sich an
sein als Mitsein setzt sich erst ins Werk im Bemühen, nur dem Lauf der Sig- einem anderen Ort unvermutet wieder zum Vorschein zu bringen. Derglei-
nifikanten zu folgen. Integraler Bestandteil einer Sozialität zu sein und chen wäre zu werten als nur die ästhetizistische Variante des "Fort-Da-
gleichzeitig die Position des Dritten und des Toten zu behaupten, schließen Spiels" mit dem Ich als narzisstischem Objekt. Die Allüren des ,falschen
einander nicht aus, ja bedingen sich vielmehr. Messias" seien ,,Manierismus und das Rätsel,,736, sagt Jaques Aubert im Se-
minar über das Sinthome.
Lacans Vergleich des Analytikers mit dem Heiligen erweckt den Anschein Um Begriffe des japanischen Zen-Meisters und Philosophieprofessors Keiji
des Versuchs der Wiedereinführung einer seit der Neuzeit als obsolet gelten- Nishitani zu benutzen: der Heilige ist die Realisationsform der Person in ih-
den Möglichkeit von Existenzgründung. Aber: rem ursprünglichsten Sinne. Die Person ist nicht Tauschpartner auf der inter-
subjektiven Börse innerhalb der Ich-Du-Dialektik, sondern die Maske des
"Man kann ihn [den Pschoanalytiker, J.A.] objektiv nicht besser situ- absoluten Nichts, der zum Vordergrund gewordene Hintergrund des absolu-
ieren als durch das, was in der Vergangenheit geheißen hat: ein Heili-
ten Nichts. Deshalb ist das Erscheinen einer solchen Person gewissermaßen
ger sein.,,734
eplphanischer Natur. Die Begegnung mit ihr kommt einer Enthüllung des
Nichts gleich, der Erscheinung des Hintergrundes auf dem Vordergrund/als
Lacan nennt verschiedene Charakteristika, die für beide gelten: Der Heilige
Vordergrund. 737 Heiligkeit meint nach Nishitani den Umschlag von der "per-
wie der Analytiker "geben" nicht im Sinne von "milde Gaben,,735 Die an der
sonzentrierten Selbstauffassung zur Selbst-Öffnung als der Realisation des
Idee.des Guten ausgerichtete (im weitesten Sinne aristotelische) Ethik sorgt
absoluten Nichts". Über die Buddhanatur schreibt er:
sich um das "Gut des anderen", in scheinbarer Umkehrung der egoistischen
Bestrebung, den Rivalen zu dominieren. Bei Lacan firmiert solch vermeint- "Die Buddha-Natur [...] bleibt im Menschen nicht im Hintergrund,
lich selbstlose Handlung unter dem Titel "altruistischer Egoismus". Auch sondern wird in ihm hier und jetzt offenbar.,,738
diese Umkehrung verbleibt innerhalb des korrumpierenden "kapitalistischen
Diskurses". Mithin können der Heilige wie der Analytiker nicht der "gute Die Leerheit wird so als konkrete Wirklichkeit sichtbar, die Person wird zu
Mensch" als Verteiler von "milden Gaben" sein, Lückenbüßer in der Welt ihrer Realisationsform, der Form des formlosen Selbst. Die Form, das Sicht-
des kapitalistischen Warenaustausches. Als Prototypen oder exemplarische bare, ist die Maske, in der die Nicht-Form erscheint. Eine solche Person
Personen innerhalb eines ethisch-moralischen Diskurses im kurrenten Sinne scheint stets in einer privilegierten Beziehung zum Sinn und zum Heil zu
taugen sie also nicht. stehen. In ihr scheint sich das Rätsel des Daseins selbst, sein Hintergrund, zu
Weiter charakterisiert nach Lacan den Heiligen wie den Analytiker, dass ihr inkarnieren. Die Begegnung mit einer solchen Person, die aus dem beengen-
Dasein "keine Spur" hinterläßt. Dies bedeutet auf die Erscheinung in der Ge- den Flechtwerk und den Verstrickungen der sozialen Reziprozitäten heraus-
sellschaft bezogen: Jede ihrer Identifizierungen muss auf einer Verwechs- genommen zu sein scheint, kann das Schicksal wenden.
lung beruhen. Lacan führt als Beispiel den von ihm geschätzten Gracian an, Die landläufigen Vorstellungen von Heiligkeit, die ,heilig' zu einer positiven
in dessen Person Amelot de la Houssaye geglaubt hatte, den Höfling erken- Bestimmung machen, erfahren sowohl in Lacans in Radiophone/Television
nen zu können. Keine Spur zu hinterlassen und nicht identifizierbar zu sein, sprach-spielerisch entwickelter Konzeptualisierung, wie auch im Zen eine
nicht zuzuordnen, ist aber keineswegs kategorisch unverträglich mit einem in Korrektur. Um diese Vorstellungen zu desavouieren, heißt es im Bodhid-
die größte Sichtbarkeit gestellten, nach·außen hin geöffneten Dasein. Heilig- harma-Koan: "Nichts von heilig". Der Heilige im Zen, wie mutatis mutandis
keit in diesem Sinne hat nichts zu tun mit Waldeinsamkeit und sozialer Isola- der Analytiker bei Lacan sind Konkretionsformen des Nichts, des Nichts in
tion. Wie "Der entschwundene Brief' in der von Lacan gedeuteten gleich- persona oder, lacanianisch gesprochen: das Fehlen des identitätsstiftenden,
namigen Poe-Geschichte hält sie sich womöglich am besten am augenfälligs-
736 Lacan, J.. S XXlll, Le Sinthome, S. 2
734 Lacan, J.. R/T, S. 70 737 VgL. Nishitam, K.. Was 1st ReligIOn?, S. 133ff.
735 Ebd. S. 71 738 Ebd.
324
325

transzendentalen Signifikanten wird hier Gestalt und in, dieser Konkretion


tion bezeugt letztlich nichts als das Vorhandensein von Kommunikation. Es
zeigt sich, was das Subjekt letztenendes tatsächli~h ist: ein ~icht,s. Das Da-
spricht, um dies zu bezeugen, um nichts zu sagen und das heißt hier: das
sein ist die Realisationsform dieses Nichts und dIe Person 1st seme Maske.
Nichts zu sagen, das das Subjekt ist. Die zwei Wahrheitswerte, adäquatio
Noch einmal Nishitani:
(zu verstehen als: mit sich selbst) und Enthüllung (des Nichts), koinzidieren
Wenn aber dieses da ist nicht etwas' sich diesseits des persönlichen damit vollständig. Im vollen Sprechen tut sich das Subjekt des Begehrens
Selbst, als das eig~ntliche Selbst auftut, dann wird das 1'!ichts im kund als das Nichts, das es ist.
Selbst realiter als das wahre Selbst realisiert, dann wird es leIbhaft er-
fahren. Das Selbst-Sein wird zur Realisation des Nichts [.:.] Die le- 9.4.2 Liebe und Lust
bendige Aktivität der Person ist, so, wie sie ist, eine Verwirklichung
Die Position des ,ohne Anerkennung der symbolischen Kastration' ist die ei-
des absoluten Nichts.'m9
ner unmöglichen Liebe, die sich entzündet am nicht wirklich existierenden
Die Unterscheidung eines ,inneren' von einem ,äußeren', Menschen, wie si~ ,äußeren Objekt', Für diese Liebe hat der von Lacan geschätzte Spinoza die
beste Definition gefunden:
Eckhart und die sog. Deutsche Mystik treffen und wie sie mutatis mutandls
bis in die Romantik hinein wirkte und bis heute gebräuchlich ist, verliert hier "Liebe ist [...] Lust, verbunden mit der Idee einer äußeren Ursa-
ihren Sinn. Die Konzeptualisierung erinnert eher an die ekkenosis Christi, che.,,742
das Person- und Körperwerden des göttlichen verbum. Nur kommt hier das
Nichts selbst ,zum Vorschein', Die Selbstentäußerung Gottes in seinem Wer ihr verfallen ist, wer an sie verfallen ist, ist nicht, wie ein japanischer
Sohn beschreibt das Verhältnis immer noch, auf welche Differenz Byung- Zen-Meister sagen würde, mushotoku. Er handelt nicht absichtslos. Seine
Chul Han aufmerksam macht, als sublim narzisstisches, als "göttliche Auto- Liebe ist mit einem Begehren, das realisierbar wäre, einem "langandauern-
erotik"740. Nishitani demgegenüber bestimmt den hier in Rede stehenden Ort, den Begehren", nicht vereinbar, denn erst das ,buddhistische Wissen', das es
so wie er buddhistisch zu verstehen ist, wie folgt: keine Objekte des Begehrens gibt, schafft den Zugang zu demjenigen Begeh-
ren, das konform mit dem Handeln ist; in dem Subjekt und Objekt zusam-
"Es ist sozusagen der Ort der Et;t-Innerlichung..~·Iier ist das :Äuße~e'
menkommen, indem das Handeln konform mit dem Begehren wird. Der Hei-
inwendiger als das Innerste. DIe sogenannte,außere Wel: erweIst
sich hier als Selbstrealisation des nichtobjektivwrbaren NIchts oder lige ist der Prototyp desjenigen, dessen subjektive Position durch die Aner-
vielmehr kommt sie, wie sie ist, als eins mit dem Nichts zum Vor- kennung der symbolischen Kastration formiert ist. Als Analysant erbietet
' [ ] ,,741
schem..... sich der (erst präsupponierte) Analytiker als Geliebter, denn auf der Ebene
einer Liebe, clie-sich an der äußeren Ursache entzündet, bedeutet zu lieben,
geliebt werden zu wollen. Als Analytiker aber wird er zum Liebenden. Das
Das Sprechen der Person, die so ist, ist folglich die Selbstaussage des Nich:s. heißt, er will nicht mehr, im Sinne von: er geht nicht von einem existierenden
Relevant ist hier nicht die Beziehung eines Sagens zu einem zugrundehe- Objekt des Begehrens aus, von dessen Besitz er sein persönliches Schicksal
genden sub-jectum, das vor dem Sprechen bereits existierte, schon gar nicht abhängig macht. Der Heilige will nicht(s) mehr, außer - wenn er Pause hat.
die adäquatio mit einem äußeren Gegenstand - das Nennen der Namen der
äußeren Gegenstände wird zu einem "Anruf der Leerheit" - sondern das Sa- 9.4.3 Die Pause des Heiligen
gen selbst und als solches ist hier die Selbstaussage des Nichts. Da~ authenti- Manchmal hat der Heilige Pause, sagt Lacan, probeweise unterstellend, sich
sche Sprechen bezeichnet weder einen Gegenstand, noch sagt es em Ich ~us. in guter Gesellschaft zu befinden, denn ,Je mehr man zu Heiligen ist, desto
Es kommuniziert nur sich selbst und hat keine Botschaft, seine Kommumka- mehr lacht man,,743,

739 Ebd., S. 133/135


740 VgL Byung-Chui Han, Philosophie des Zen-Buddhismus, S. 27
741 Nishitam, K.: Was Ist ReligIOn?, S. 137 742 Spmoza, Die Ethik, Teil 3, Anmerkung zu Lehrsatz 13, S. 285
743 Lacan, J.. R/T, S. 72
327
326
ist, daß man nicht sieht, wohin ihn das führt.
"Manchmal jedoch hat er Pause, womit er sich nicht mehr zufrieden- Ich, ich zerbreche mir verzweifelt den Kopf, damit es neue gibt, auf
gibt als alle Welt. Er empfindet Lust (jouit). Währenddessen wirkt er diese Weise. Zweifellos, weil ich selber nicht dahin gelange.
nicht mehr.,,744 Je mehr man zu Heiligen ist, desto mehr lacht man, das ist das Prin-
zip, nämlich,der Austritt aus dem kapitalistischen Diskurs, - was kei-
Seine Lust ist dann die von "aller Welt", also von Subjekten, die sie entzün- nen Fortschritt darstellen wird, wenn es nur für einige gilt.,,749
den an der Idee von äußeren Objekten, äußeren Ursachen. Diejenigen, die
den Heiligen rur einen halten, der sich mit dem, womit der gewöhnliche
Mensch sich herumzuschlagen hat, aus irgendwelchen nicht nachvollziehba- 9.5 Eine Reise nach China
ren Gründen nichts zu tun hat, dieselben meIst, die ihn verwechseln mit ei-
nem, der "milde Gaben" verteilt, also mit einem mehr oder minder voll- Der ,Sinn' bei Lacan ist nicht, woraufEvans hinweist,
kommenen Subjekt im Sinne des kurrenten moralisch-ethischen Diskurses, " [...] an einem Punkt der Kette gegenwärtig, sondern der Sinn ,be-
glauben nun, sein ,wahres Gesicht' entdeckt zu haben, ihn 'ertappt' zu haben steht' aus der Bewegung von einem Signifikanten zum anderen,mo,
und von dieser Position aus die des vermeintlich Vollkommenen als heuchle-
rische demaskieren zu können. Wie er nicht an einem Punkt der Kette gegenwärtig ist, so auch nicht außer-
"Nicht daß ihn die kleinen Schlaumeier dann nicht belauerten, um halb ihrer. Sein Entziffern, so wären Lacans transkribierte ,Sprech-Stunden'
Schlüsse daraus ziehen zu können, um sich selber wieder aufzupus- zu entziffern, ist das volle Sprechen. Als zu Entziffernder muss er bereits
ten.,,745 vorgängig vorhanden sein, gleichzeitig aber ist sein Entziffern erst sein Er-
zeugen. So ist er paradoxerweise nicht außerhalb seines Entzifferns aber er
Doch 'schreibt sich die "Pause" des Heiligen nicht ein in die Buchführung ei- wäre auch nicht zu entziffern, wenn er nicht schon vorhanden wäre. Das vol-
ner doppelten Ökonomie, einer; die den ,Konsumenten' betrügt. Den Heili- le Sprechen produziert den Sinn, indem es gleichzeitig entziffert, was es her-
gen berühren Einwände und Zweifel aus dergleichen Überlegungen wenig: stellt im Aufreifen des Signifikanten, und das ist: im Moment zwischen "die-
sem Erlöschen, das noch nachleuchtet, und jenem Aufgehen, das noch zö-
"Aber den Heiligen schert das einen Dreck. Und genausowenig schert g~rt"751, ~fier kann "Ich zum Sein kommen", wie es in der Fortsetzung des
er sich um die, die darin seinen Ausgleich sehen. Was wirklich zum ZItats heißt. Das volle Sprechen ist nie das Produzieren von ,letzten Wahr-
Kringeln ist."746
heiten', es entziffert vielmehr die ,Wahrheit eines Körpers' .Der "Sinn des
Sinns" ist, die Wahrheit eines Körpers kundzutun.
Die Ausgleichstheorie taucht auf innerhalb einer (be)rechnenden Ökonomie
"Wie mit dem Sein agieren?" Diese Frage aller Fragen, ein Sein betreffend,
in einem letztlich kapitalistischen Diskurs. Doch die solitäre Position des
das in dem Moment, in dem die Frage gestellt wird, immer schon da ist, er-
Heili~en verträgt sich weder mit den Posten "ausgleichende Gerechtig-
fahrt bei Lacan eine Antwort, die mit dem Signifikanten, seinem Lauf und
keit" 4'1 noch "Erwerb von Verdienste(n),,748, Beides fallt unter das, was La-
seinem Aufgriff zu tun hat. Bevor Lacan den Ausdruck "signifikante Kette"
can im Ethik-Seminar als "Dienst an den Gütern" bezeichnete. verwendete, sprach er von der "symbolischen Kette", Damit bezeichnete er
"Denn sich auch einen Dreck um die ausgleichende Gerechtigkeit zu eine Linie von Vor- und Nachfahren, in die jedes Subjekt schon vor seiner
scheren, davon ist er oft gerade ausgegangen. Geb~ eingeschriebenist und die nicht endet mit seinem Tod. Dieses Einge-
In Wahrheit rechnet sich der Heilige keine Verdienste zu, was nicht schrIebensein des Subjekts macht, dass "es in einem besonderen Schicksal
heißt, daß er keine Moral hätte. Das einzige Ärgernis rur die anderen wurzelt" und es geht für jedes Individuum darum, zu realisieren, was, aus

744 Ebd" S. 71 749 Ebd. S. 71f. - Der letzte Abschnitt ist zu iesen als Lacans Antwort auf die Frage des Inter-
745 Ebd. Viewers nach der Stellung der Psychoanalyse zum MarXIsmus.
746 Ebd. 750 Evans, D.: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse, S. 271
747 Ebd. 751 Lacan, 1.. Schriften H, S. 175 f.
748 Ebd.
328
329
diesem Eingestelltsein sich ableitend, "seine Affär" ist. In seinem Akt über-
Was im Folgenden durch Isolierung der diskursiven Wendepunkte der in der
nimmt es qua freier Wahl, was .es "in einem besonderen Schi:~s~l.,;rorzeln
läßt". Es geht dabei also um eIne Art "passlve Entscheidung (Zlzek).. Es Form eines narrativen Berichts ("Es war einmaL") wiedergegebenen Bera-
entscheidet sich für das, was es von jeher schon ist. Es wiederholt./Ur sich, tung innerhalb des Koinobiums (der Sangha) und ihrer Wiedereingliederung
was es an sich schon ist. in die Signifikantenkette zu sehen sein wird, wird zeigen, wie sehr die ze-
Im Sinne des Gesagten soll Vorrang haben gegenüber dem, was an jenseits nistische Analyse der Problematik von Handeln und Begehren der Lacans,
der signifikanten Kette ausgemachten ,letzten (oder vorletzten) Wahrheiten' wie vor allem in den letzten Sitzungen des Ethik-Seminars unterbreitet, ent-
spricht. Wie Lacan die ethische Dimension der psychoanalytischen Erfah-
von den Unterredenden des Textes, der hier abschließend betrachtet werden
rung kontrastiert mit der herkömmlichen Ethik,
soll, gesagt wird, an welcher Stelle dieser Kette es jeweils auftaucht. Nicht
ehen um einen Sinn an bestimmten Punkten der Kette auszumachen, son- "mit dem Ziel, die Platonische und Aristotelische Perspektive des Gu-
dern 'sein rinnendes In-Bewegung-Sein zu demonstrieren, seine Bewegung in ten, des höchsten Guts, zu entm)'stifizieren und sie auf die Ebene der
der Differenz, im Sich-Produzieren und in seiner Verwischung. Im übrigen Ökonomie der Güter zu bringen,,754,
kann in der Kette der Bedeutungen immer noch ein Signifikant angehängt
werden, ad infimtum. So auch liegt nach Lacan die letzte Bedeutung der sig- so wird in der klösterlichen Unterredung mit Dögen der Unterschied zwi-
nifikanten Kette in der Verewigung des Begehrens, deren Inszenierung oder schen den Handlungsmaximen einer landläufig verstandenen buddhistischen
Inswerksetzung sie 1St. Ethik und einer, wie sie das Zen visiert, in subtiler Weise herausgearbeitet.
Das Selbst zu erforschen, wie Dögen sagte, heißt das Selbst zu vergessen. Myozan plant also diese Chinareise, jedoch ist sein Meister, ein Mann na-
Der Akt ist die Aktualisierung eines Erinnerten, das mit dem Vergessen mens Ayoyu Ajari, so berichtet Ejo, alt und bereits moribund. Der Meister
kommt. Zazen ist die Übung des Vergessens und Erinnerns gleichermaßen des Meisters, der todgeweihte Ayoyu Ajari, bittet seinen Schüler, der jetzt
und es bringt den Akt auf den Weg, das gemäße Handeln und Sprechhandeln, selbst das Meisteramt ausübt, deshalb die Reise
nicht im Sinne eines Normativen, vielmehr als die Konformität von Handeln "ein wenig zu verschieben, dich um mich in meiner Krankheit zu
und Begehren. Im Akt aktualisiert sich, was das Erinnern, das ein Vergessen kümmern und eine Begräbniszeremonie für mich zu leiten,,755.
voraussetzt, nahe-legt: genau als Aufgriff dessen, was es ist, das "uns In ei-
nem besonderen Schicksal wurzeln läßt". Dieser Wunsch ist wohl schwer abzuschlagen, denn Myozan verdankt sei-
nem Meister schlicht alles. Er wird mit folgenden dankbaren Worten zitiert:
Ejo, hier der Adlatus Dögens, berichtet, dass Dögens japanischer Meister
"Seit ich in meiner Kindheit mein Elternhaus verließ, bemühte sich
Myozen zu einer Zeit, als Dögen der jüngste seiner Schüler war, nach Chl.na
dieser Lehrer um mich und nun bin ich erwachsen. Dafür, dass er
zu reisen beabsichtigte. 7S2 Myozen hatte die Versammlung der Mönche eIn-
mich erzogen hat, bin ich ihm zu sehr großem Dank verpflichtet. Ihm
berufen, um seinen Plan vorzustellen und Ejo lässt ihn wie folgt zu Wort
verdanke ich alles, was ich über die überweltlichen Dharma-Lehren,
kommen. Der Plan zu der Reise sei entstanden über die Lehren und Worte des Mahajana und des Hinajana sowie ü-
aus dem großen Bodhisattwa-Mitgefühl und hat das Ziel, um der ber die esoterischen und exoterischen Lehren weiß. Ihm verdanke ich,
fuhlenden Wesen willen das Dharma zu erforschen.,,753 was ich vom Gesetz von Ursache und Wirkung verstehe, dass ich
Richtig und Falsch erkenne, weiter gekommen bin als meine Mit-
Myozen will die Reise also um eInes unbestreitbar Guten, ja um eines augen- mönche und bekannt wurde. Und ich verdanke ihm [auch], dass ich
scheinlich Höchsten Guten willen unternehmen, der Erforschung des Dhar- jetzt nach China gehen will [...]"756
ma "um der fühlenden Wesen willen".

752 Dögen. E.: Shöbögenzö ZUlmonkl. S. 155 - Chma war fiir gebildete Japaner der Dögen-
Zell eme PrOjektIOnsfläche fiir alles Gute, RichtIge, Echte etc.. 754 Lacan, 1.. S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 250
753 Ebd., S.71 755 Dögen, E.. Shöbögenzö ZUlmonkl, S. 155
756 Ebd.
331
330

Nach dieser vor der versammelten Mönchsschar erfolgten Dankesbezeugung Entscheidung stehenden Positionen deutlicher hervortreten zu lassen. Myo-
zen war Zen-Meister und ein solcher hält die Fäden in der Hand. Oder sollte
befragt Myozen die Umsitzenden:
es anders sein? Einleuchtender scheint wohl doch, dass Dögen vonEjo des-
"Gibt es irgendeinen Grund, die Bitte meines L,ehr~rs abzuschlage~ wegen ins Spiel gebracht wird, um ihn als den ,Geburtshelfer' der Realisati-
und nach China zu reisen, oder nicht? Sagt mIr emzeln eure Mel- on des unbewussten Wunsches von Myozen (nämlich unbedingt nach China
nung.,,757 reisen zu wollen) herauszustellen, vor allem aber: die Bedingungen zu schaf-
fen, dass Dögen selbst diese Reise antreten kann. Die Angelegenheit nimmt
Alle sind der Meinung, Myozen müsse seine Chinareise v:rschieben: auch
nämlich schließlich ihren Lauf dergestalt, dass am Ende beide, Myozen und
der ,jüngste in der Mönchsreihe", nämlich Dögen. ~ess~n Em~assu~gJedoch Dögen, sich auf die Reise begeben. Und Dögen wird als Zen-Meister von
hat es in sich. Sie ist seltsam tautologisch und zweIdeutig, typIsch Japamsch,
dieser Reise zurückkehren. Gleichwohl, Myozen beginnt seine Begründung,
könnte' man meinen. Dem Anschein nach aber ist er wie die anderen der
weshalb er nun doch nach China zu reisen gedenke, mit den Worten:
Meinung, der Meister sollte seine Reise verschieben. Er sagt:
"Ihr seid übereinstimmend der Meinung, dass ich bleiben sollte. Ich
"Wenn Ihr glaubt, dass Euer Erwachen zum Buddh~-Dharmavon der sehe die Sache anders. Würde er [sein kranker Meister, J.A.] irrtümli-
Art ist, wie es sein sollte, dann solltet Ihr Eure Chmarelse verschle-
cherweise einen Entschluß zur Suche des Dharma behindern, so ver-
ben.,,758 ursachte er damit schlechtes karma.,,761
Myozen jedoch scheint diese Aussage eindeutig zu finden, denn er sagt: Hatte er nicht eben noch den Gehorsam gegenüber dem Wunsch des Meis-
"So ist es. Ich glaube, ich begreife, wie es mit der Übu~g des Bl;lddha- ters, dem er alles verdankt, als das Höchste gepriesen? Jetzt wechselt er von
Dharma ist. Praktiziere ich mein ganzes Leben auf dIese Welse, so diesem äußeren Motiv auf das dem unbewussten Wunsch schon viel näher-
,,759
werde ich wohl den WEG vervo llkommnen. stehende. Das Verlangen nach seiner Anerkennung bricht sich mit Gewalt
Bahn in einem Moment, in dem die Inswerksetzung seines wahren Begeh-
Woraufhin Dögen vorschlägt, anscheinend die vorgebrachte Meinung noch rens durch seine eigenen allzu kurrent-geschliffenen Ausführungen zum Sinn
bekräftigend: der Buddhalehre endgültig zu scheitern droht. Er spürt, dass der Verrat am
"Verhält es sich so, dann sol ltet I'hr ganz h'lerbl'b
el en. ,,760 Begehren, den er beginge, käme er der Bitte des Meisters nach, nicht unge~
straft erfolgte, er "verursachte [...] damit schlechtes karma". In einem Mo-
Dieser Satz formuliert den entscheidenden diskursiven Wendepunkt in dieser ment der Hast, des enggeführten Signifikanten, evoziert durch die Drohung
Geschichte denn er scheint der Grund für einen unvermittelten Meinungs- eines endgültigen Scheiterns seines Vorhabens, bringt er genau. das heraus,
wechsel M~ozens zu sein. Dieser erhebt plötzlich nämlich Einspruch ge~en was die Preisgabe seines wahren Begehrens im letzten Moment verhindern
die offenkundige Überrumpelung seines unbewussten Wun.sches,. der SIch soll. Er bringt also den unbewussten Wunsch zur Sprache.
bereits in der bewussten Frage kundtat und tritt ein in ein dIskurSIVes SpIel Die. nächste Einlassung Myozens ist eine Bekräftigung seines Entschlusses
mit dem Ziel der Anerkennung dieses Wunsches. Denkbar wäre auch" dass und gewinnt zusätzlich ihr Gewicht aufgrund der Tatsache, dass er zwar
Myozens frühere Übereinstimmung mit d~n anderen, die, Dögen mit~mge­ nicht auf der Überfahrt "umkommt", wie er vor Antritt der Reise, rein speku-
schlossen, jedenfalls dem Wortlaut seiner Außerungen nach, ~a der Me.mung lativ, nur die Gründe eines für und wider erwägend, gemutmaßt hatte, aber
waren er solle seine Reise verschieben, nicht seine tatsächhche Gestimmt- angekommen am Reiseziel, in China.
heit w'iedergab, vielmehr von vornherein nur dazu gedient hatte, die hier zur "Selbst wenn ich bei der Überfahrt über das Meer umkäme und mei-
nen Entschluß nicht in die Tat umsetzen könnte, so verginge mein

757 Ebd.
758 Ebd.
759 Ebd. 761 Ebd., S. 156
760 Ebd.
332 333

Gelübde in keinem späteren Leben, da ich in dem Entschluss gestor- demach die Analyse die Geschichte eines Subjekts, die "Kontingenz des
,,762
ben wäre, das Dharma zu such en. Vergangenen", nachträglich verändert, damit sie die Möglichkeitsbedingung
einer in die Zukunft deutenden Notwendigkeit erhalten kann, ins Werk. 766
Das Dharma zu suchen ist plötzlich unmittelbar .mit der Anerkennung des Das, was wahr ist, hat eben Vorrang vor dem, was wtrklich gewesen ist. Im
unbewussten Wunsches verbunden, ja beides scheint ein und dasselbe zu übrigen kehrt Dögen - und dies muss als die eigentliche Pointe der Ge-
sein. Gerade noch war Handeln im Sinne des Dharma die Erfüllung des schichte angesehen werden - von dieser China-Reise, die er schließlich mit
Wunsches des Meisters, sich um ihn zu kümmern und nach seinem Tod eine seinem japanischen Meister zusammen unternimmt, seinerseits als Meister
angemessene Begräbniszeremonie zu veranlassen, jetzt aber ist es .identisch zurück. Dögen sagte also:
mit seinem Begehren, nach China zu reisen. Der Entschluss zum N1chtverrat
"So sprach er, und danach brach er nach China auf. Für ihn lag der
am Begehren, zum Nichtnachgeben in Sachen seiner Ins,,:erkset~ung, er-
wahre Bodhi-Geist in solchem Verhalten. Heutige Übende! Lasst
scheint jedoch nicht völlig ungetrübt von Gedanken an G~wmn. DIe Speku-
niemals die Zeit sinnlos verstreichen und lasst nicht den Buddha-Weg
lation über seinen eigenen möglichen Tod während der Uberfahrt 1st schon
links liegen, der doch alle anderen Wege übertrifft, während ihr euch
Teil einer Rechnung, die Myozen, die Gründe und Gegengründe, der, Re1se um eurer Eltern oder Lehrer willen mit nutzlosen Dingen befaßt.,,767
erwägend, anstellt. Dabei schlägt aber der zu erwartende Gewmn 1mmer
wieder die Furcht vor ihm in den Bann. Das Zögern, die Zweifel Myozens erhalten rückwirkend ihren Sinn dadurch,
Die folgende Erklärung Myozens klingt dann ein wenig wie ?ie nachträgli- dass sie eine Entscheidung hervorbrachten. Aber letztlich geht es um die
che Rationalisierung eines einmal gefassten Entschlusses, der 1hm aber letzt- Entscheidung Dögens, weniger die Myozens und Dögen tst bereits entschie-
lich noch nicht geheuer ist. Er beruft sich auf den "Willen Buddhas,,763 Der den zum Zeitpunkt, als die Erzählung spielt. Er ist bereits ,Analytiker' und
Leser gewinnt den Eindruck, Myozen rufe sich angestrengt Kerng~halte des weiß die unbewussten Wünsche zu ,lesen', das Begehren zu .entziffern',
Buddhismus ins Gedächtnis, um sich selbst Mut zu machen und emen mcht obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ,offiziell' Meister ist, während
sehr sicheren Entschluss zu bekräftigen. Er sagt also: Myozen, obwohl er bereits Me1ster ist, sich von Dögen auf die Sprünge hel-
Einem einzelnen Menschen zuliebe wertvolle Zeit zu vergeuden wi- fen lassen muss, um auch wirklich meisterlich zu entscheiden.
"derspricht
. dem W'll
1 en B uddh aso ,,764 Ejo bringt abschließend in der Manier eines Musterschülers das Bisherige in
griffige Lehrformeln:
Die nachfolgende Betonung der Festigkeit seines Entschl~sses, sowie die
"Wollen wir das Dharma wahrhaft suchen, so müssen wir die Hinder-
Bekundung seines Willens, sofort abzureisen, untermauern d1es noch: nisse ausschalten, welche unsere vorläufigen Verpflichtungen unseren
Deshalb .bin ich fest entschlossen, sofort nach China aufzubre- Eltern und Lehrern gegenüber darstellen, und sie als Ausgeburten der
~hen.,,765 Verblendung erkennen.,,768

Wieviel gelassener und seiner Sache gewisser klingt die die~en Sätzen ~ach­ Ejo behält die Dinge, wenig meisterlich, nicht in der Schwebe, sondern brigt
folgende Ermahnung Dögens, der hier zum Sub-Adlatus E]os w1rd, se~~em sie, man möchte sagen: in platter Weise, zum Ausdruck. Gleichwohl, nicht
geheimen Stichwortgeber. Gewissermaßen setzt avant la lettre der Erzahler der "Dienst an den Gütern" (am Guten, am höchsten Gut, hier dem Willen
(Ejo), als das Sprachrohr Dögens, retrospektiv fiir Myozen Lacans These, des guten, alten Meisters), sondern die Inswerksetzung des Begehrens als
seiner Konformisierung mit dem Handeln wird als das Gemäße zu verstehen
gegeben.
762 Ebd., S. 155
763 Wir sehen uns dadurch in der Auffassung bestärkt, dass es tatsächlich ein Memungswech-
sei war, ausgelöst durch die Einlassungen Dögens, der Myozen bewog, nach Chma zu rei-
sen, Im Text Ejos allenfalls naChträglich zu emem didaklischen Manöver umgedeutet. 766 Vgl.. Lacan, L Sehr. I, S. 95
764 Dögen, E.: Shöbögenzö Zuimonkl, S. 156 767 Dögen, E.: Shöbögenzö ZUimonkl, S. 157
765 Ebd. S. 157 768 Ebd.
335
334

Der Schritt, abzulassen von seinem Begehren demgegenüber ist gleichbedeu- stellt, die Wirkung, dass er ihn endgültig auf den Dienst an den Gü-
tend mit der, wie Lacan formuliert, "Mißachtung seiner selbst und des ande- tern zurückwirft, freilich unter der Bedingung, daß er nie wiederfin-
ren in einem einzigen Term,,769. Insofern intendieren Dögens auf den ersten den wird, was seine wirkliche Orientierung in diesem Dienst ist.,,771
Blick auch nicht besonders subtil klingenden, ihre tiefere Bedeutung aber im
Kontext entfaltenden Einlassungen auch keineswegs die Substitution der Lacan spielt auf den an Philoktet geübten Verrat an. Beim tragischen Helden
Momente von Pietät durch solche des Begehrens. Gleichwohl muss eine Ent- hat der Verrat nicht zur Folge, dass er seinerseits einen Verrat übt, nämlich
scheidung getroffen werden und im Extremfall hat man sie zu bezahlen. My- den am Begehren, so dass, in der Folge dieses seines Nichtverrats, die "Tat-
ozen bezeugt seine nur diffusen Vorstellungen vom Dharma. durch das sache dieses (ersten) Verrats von ihm genommen ist", Er beantwortet einen
Schwanken zwischen Unsicherheit und einer etwas unglaubwürdIgen FestIg- Verrat nicht mit einem Verrat. Das Gut oder höchste Gut in einem ethisch-
keit. Als Ursache dieses Schwankens wird die Nicht-Geklärtheit des eigenen moralischen Diskurs haben wie die Güter im kapitalistischen Warentausch,
Begehrenswesens kenntlich. Er ist noch nicht in die Nähe jenes "glühenden wenn das Subjekt der Macht sich beugt und sich in ihren Dienst stellt, den
Zentrums" gelangt, dass entbindet von "wählerischer Wahl", Sein Beg~hr~n Effekt, es seine Selbstentfremdung erleiden zu lassen. Wenn das Subjekt von
ist noch nicht "reines Todesbegehren", er begehrt das Dharma noch WIe em seinem Begehren ablässt, wendet es sich anderen Dingen zu. Es stellt sein
besitzbares Objekt. Sein Begehren ist, lacanianisch gesprochen, noch Begeh- Handeln in den Dienst eines (vermeintlich) Höheren, letztlich des Gutes des
ren nach dem Ding, Begehren, das Ding zu besitzen, nicht Begehren des anderen. Das heißt, einen Verrat mit einem Verrat zu beantworten. Es gibt
Ding selbst, eben "reines Todesbegehren", Die Realisierung der gerad~n Li- die Inswerksetzung seines Begehrens preis und strebt nach dem Guten - und
nie sich abzeichnend in der Konformität von Handeln und Begehren, 1st ra- das ist seine Verpflichtung auf den "Dienst an den Gütern", Die diesem Ver-
dikal gebunden an ein entschiedenes Nichtnachgeben in Sachen ~egehren, rat nachfolgende Störung, die Depression, ist zwangsläufig und gewöhnlich-
was aber nicht notwendig heißt, dass es an die Stelle etwaiger PflIchten. zu erweise wird sie therapIert, indem das Subjekt erneut und besser auf die Ar-
treten hätte. Sicherlich aber setzt es den symbolischen Tod voraus. Ohne Ihn beit rur das Gut des anderen verpflichtet wird und damit zum Dienst an den
ist konform mit dem Begehren zu handeln nicht möglich. Nicht konform mit Gütern.
dem Begehren zu handeln, das Begehren zu v~rrate~, heißt aber in..der Kon- Lacan aber hält seine präsupponierten Analytiker an, das Subjekt (wiederum
sequenz, in die Pflicht genommen zu werden 1m DIenst an den Gutem. La- einen präsupponierten Analytiker) sich nicht mit dem Nachgeben in Sachen
Begehren arrangieren, sondern seinen Preis bezahlen zu lassen, zumindest es
can:
vor diese Entscheidung zu stellen. Denn entscheidend hierbei ist, dass es bei
"Ist diese Grenze [des Ablassens vom Begehren, J.A.] überschritten, dieser "mystischen Operation" um "das tiefste in uns selbst" geht, um das,
wo [...] die Mißachtung des anderen und seiner selbst in emem emZI- "was wir sind in Verschlungenheit mit dem, was wir nicht sind",
gen Term verbunden ist, gibt es keine Umkehr [... ],,770
"Es gibt kein anderes Gut als das, das dazu dienen kann, den Preis rur
An dieser"Stelle lässt sich noch einmal an die Merkmale erinnern, mit dem den Zugang zum Begehren zu zahlen - insofern wir dieses Begehren
die Analyse von der Therapie zu unterscheiden ist, so wie dieser Untersc~ied an anderer Stelle als die Metonymie unseres Seins definiert haben.
sich lacansche Maßstäbe angelegt, darstellt. Der in TherapIe Befindhche Das Rinnsal, in dem sich das Begehren situiert, ist nicht nur die Mo-
und 'der, der in die Analyse geht, verhalten sich wie der gewöhnliche Mensch dulation der Signifikantenkette, sondern das, was darunterläuft, was,
eigentlich gesprochen, das ist, was wir sind, und auch das, was wir
und der außergewöhnliche, der Held:
nicht smd, unser Sein und unser Nicht-Sein - was im Akt bedeutet ist,
,,[u.] Das macht den Unterschied aus zwischen dem gewöhnlich~? geht von einem Signifikanten zum anderen in der Kette, in allen Be-
Menschen und dem Helden, der rätselhafter ist, als man glaubt. Fur deutungen. ,,772
den gewöhnlichen Menschen hat der Verrat, der sich fast immer ein-

769 Lacan, J.. S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 383 771 Ebd.
770 Ebd. 772 Ebd.
336
337
Von seinem Begehren abzulassen heißt dann also: in einem nicht wiedergut-
Wer aber selbst nicht in die Richtung des "Extrems seines Begehrens" vo-
zumachenden Sinne von sich selbst abzulassen, von eben de~, was "das
ranzugehen in der Lage ist oder sich entschieden hat, der wisse auch warum:
tiefste in uns" ist. Von hier aus erst wird deutlich, was Laca~ mel~t, ,:"enn .er
sagt, dass es nur eine Sünde im Sinne der Psychoanalyse glbt, namhch dle, "Man weiß, was es kostet, sich in eine bestimmte Richtung voranzu-
von seinem Begehren abzulassen. bewegen, und, meingott, wenn man es nicht tut, dann weiß man wa-
rum. Man ahnt, dass, wenn man sich nicht ganz im Klaren ist über
Wie der Geist bei Heidegger, bevor er im "Freundlic~en", i~ "San~ten" seine Rechnung mit dem Begehren, es deshalb 1St, weil man's nicht
Richtung und Ziel findet, die autochthone Flamme war, dle "m lhrem wllden besser machen konnte, denn es ist kein Weg zu gehen, den man nicht
bezahlen müsste. ,,774
Lodern" alles versengt "zu Weißglut", so ist das rätselhafte Begehr:n bel
Lacan zuerst alles andere als Sicherheit, Beruhigung, vielmehr Verstor~ng,
Unsicherheit, Ausgesetztsein in die Wüste (des Diskurse.s). De~ Zen~Melster Das trifft genau auf Myozen zu, der zu derjenigen Spezies gehört, die, wie
wie der lacanianische Analytiker leiten das Subjekt an, slch wel.ter hmauszu- das (englische) Sprichwort es ausdrückt, den Kuchen verspeisen und gleich-
zeitig aufheben will. Jedoch eben:
trauen als der sich abwechselnd agressiv und empathisch-zunelgend verhal-
tende,stets aber um seine Sicherheit bemühte ,?atürli~he Mensch> der ,g~­ "Sublimieren Sie, was immer Sie wollen, Sie müssen es mit etwas be-
wöhnliche'. Ödipus, Philoktet und Antigone smd bel La~an BelSplel~ für zahlen. Dieses Etwas heißt das Genießen. Diese mystische Operation
solche, die durch das Extrem ihres Begehrens g~gangen smd, wobel Sle, ~~ bezahle ich mit einem Pfund Fleisch. ,,775
der Sprache Heideggers, "Erde und Nächste um s~ch ~erum ve~sen~t haben ..
Die psychoanalytische Katharsis hat also zuerst mcht lmmer dle,.wukung el- Es ist nötig, sich zu trennen. Man muss sich trennen (separere), um sich her- .
ner Pazifizierung. Die Erfahrung des "Extrems de~ Begehrens muss d.ann vorzubringen (se parere) und so schließlich Teil (pars) zu werden. Will man
aber Übergang sein zur Anerkennung der sy~bo~lschen Kas~atlOn. Dlese neue Gesetze auf neue Tafeln schreiben, wusste schon Nietzsche, muss man
nur rektifiziert das Begehren und führt uns schheßhch m das Kielwas~~~ ?es- zuerst die alten zerbrechen. Will einer "das Haus verlassen" und in die
jenigen Stromes, auf dem wir verwirklichen können, was "unsere Affar 1St. "Hauslosigkeit" Buddhas realisieren, so muss der Abschied vom Gewohnten
und Hergebrachten radikal, aber warum nicht sukzessive, Schritt für SChritt,
"Meister Enchi Dai-an sagte: ,Dreißig Jahre lang lebte ~ch auf dem vollzogen werden.
Berg Isan aß Isan-Reis, entleerte Isan-Kot, lernte aber memals Isan-
Im Anschluss an den zitierten Passus kommt Lacan wiederum auf das Reli-
Zen. Ich iab nur Acht auf den kastrierten Wasserbüffel."m
giöse zu sprechen, auf "gewisse Praktiken", die den Beschreibungen, die er
von der Analyse gibt, nicht unähnlich sehen:
Keine Technik erlernen, sondern auf den Geist achtgeben, dass seine Flam-
me kein Unheil stiftet, sondern alles zum Besten bestellt wird... Am Belsplel "Wenn es um die Praktiken derer geht, die die Griechen flUtvO!!evot
der Tragödienhelden zeigt Lacan, was es heißt, durch das Extrem ~es Begeh- nennen, die sich dem Wahnsinn der Trance, der religiösen Erfahrung,
rens zu gehen, um darauf hinzuweisen, was es mIt dem symbolischen Tod der Leidenschaft oder was Sie noch wollen hingeben, dann unterstellt
auf sich hat. Die Inswerksetzung jedes authentischen Begehrens muss stets der Wert der Katharsis, dass das Subjekt, mehr oder weniger gelenkt,
von einer Erfahrung ausgehen, vergleichbar der der tragischen Helden, a~­ mehr oder weniger wild, in die hier beschriebene Zone eintritt und
schließend jedoch einen anderen Weg einschlagen. Analog verseng~~ Hel- dass seine Rückkehr Erwerbungen mit sich führt, die man Besitz [...]
deggers Geist alles um sich her, wä~e da mcht "da~, V.ersammelnde , "das nennen kann. Es gibt da eine ganze Skala, einen Fächer von Möglich-
Sanfte und Freundliche", das das "wllde Gelstlodern emfnedet~. In Lacans keiten, die aufzulisten ein ganzes Jahr erfordern würde.,,776
Konzeptualisierung entspricht dem die Anerkennung der symbohschen Kast-
ration.

773 Dögen, E.: Shöbögenzö, Die Schatzkammer des wahren Dharma-Auges, Band 2, Zazens- 774 Lacan, J.. S VII, Die Ethik der Psychoanalyse, S. 385f.
775 Ebd., S. 384
hin, S. 134 776 Ebd., S. 386
338

Warten und aufzuschieben heißt, dem Dienst an de~ Gütern ~erpflichtet zu 10 Literaturliste
bleiben. Das am Gut orientierte Bewusstsein bleIbt verpfl~chtet a~f .~en
Dienst an den Gütern. Der Akt demgegenüber, der von de~ 1m I~agmaren
anzusiedelnden phantasmatischen Supplementen t~ennt, 1st ~trlctu sensu
nicht dem Subjekt zuzurechnen. Zur reinen Tat, dIe der Akt m lacan,sch~r
Auffassung ist, muss der Täter immer hinzugeda~ht werden, ebenso ":le el~ Adorno, Th. W.: Minima Moralia, Reflexionen aus dem beschädigten Leben,
Autor zum Text, denn der Autor ist, so Lacan, eme Erfind~ng der UmverSl- Ffm,1982.
tät, "um jemanden haftbar zu machen". Der Akt aber geschle~t gerade da~, Adorno, Th. W.: Negative Dialektik, Ffm., 1982 (3. Auflage).
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wenn dle" ., heIßt, suspendIert
h
ist. Wenn er aber getan ist, so ist er deshalb auch mcht ,uns zuzurec nen. Arokiasamy, A.M.: Leere und Fülle. Zen aus Indien in christlicher Sicht,
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