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LORENZ DITTMANN
FARBGESTALTUNG UND FARBTHEORIE
IN DER ABENDLÄNDISCHEN MALEREI
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LORENZ DITTMANN
FARBGESTALTUNG
UND FARBTHEORIE
IN DER
ABENDLÄNDISCHEN MALEREI
EINE EINFÜHRUNG
WISSENSCHAFTLICHE BUCHGESELLSCHAFT
DARMSTADT
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek
Dittmann, Lorenz:
Farbgestaltung und Farbtheorie in der
abendländischen Malerei: e. Einf. /
Lorenz Dittmann. - Darmstadt:
Wiss. Buchges., 1987
ISBN 3-534-02383-8
1 2345
© Bestellnummer 02383-8
ISBN 3-534-02383-8
FÜR
MARLEN
CHRISTINA UND CHRISTOPH
INHALT
Vorwort.IX
Grundzüge der Farb- und Lichtgestaltung in der mittelalterlichen
Malerei. 1
Mittelalterliche Buchmalerei.13
Die Entstehung des Helldunkels in der transalpinen Tafelmalerei
des 14. Jahrhunderts.24
Giotto.30
Malerei des Trecento.39
Malerei und Theorie im Quattrocento.47
Die altniederländische Malerei.72
Deutsche Malerei des 15. Jahrhunderts.95
Malerei der Dürerzeit.114
Farbe und Helldunkel in der italienischen Malerei des ló.Jahr-
hunderts.135
Zur niederländischen Malerei des 16. Jahrhunderts.189
Helldunkel und Farbe: Die Malerei des 17. Jahrhunderts . . . 195
Zur Farbgestaltung in derMalerei des 18. Jahrhunderts . . . . 250
Farbgestaltung und Farbtheorie in der Malerei des 19. J ahrhunderts 261
A. Zur englischen Malerei des 19. Jahrhunderts.270
B. Französische Malerei des 19. Jahrhunderts.278
C. Zur deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts.325
Farbgestaltung und Farbtheorie in der Malerei des 20. Jahrhunderts 346
Register.417
Personen und Titel.417
Sachen.425
.
VORWORT
sich nach der Größe der Abstände zwischen den einzelnen Buntheiten bemißt,
die selbst wiederum durch kleinere Stufen von Buntheiten unterteilt oder mitein-
ander verbunden werden ... Das Bildlicht geht in diesem Falle aus derTotalität
der Eigenhelligkeiten sämtlicher Bildfarben hervor.“ - Von einem „luminaristi-
schen Gestaltungsprinzip“ ist zu sprechen, wenn ,,der Bildaspekt vorwiegend
durch Licht (gleichgültig in welchem Spannungsgrad) und Dunkel (gleichgültig
in welchem Dichtegrad) bestimmt“ wird. Hier „bilden die äußeren Pole des
Kolorits nicht zwei nach Qualität oder Helligkeitsgrad extrem verschiedene
Buntwerte, sondern die zum Luminösen erweiterten, gleicherweise im Licht wie
im Dunkel aufgehenden Helligkeitskomponenten der Bildfarben, unter Ein-
schluß der Buntheiten und in Durchdringung mit diesen. Die Verbindung der
Farben geschieht dann nicht so sehr stufenweise, als vielmehr in verschmel-
zenden oder verschwebenden Übergängen. Gegensätze ergeben sich in diesem
Falle nicht durch ein Gefälle zwischen unterschiedlich begrenzbaren Bunt-
heiten, sondern durch die Polarität von Licht und Finsternis. Alle farbigen Bild-
elemente erscheinen in einem transitorischen Zustand und in der gleichen dyna-
mischen Spannung, wie sie auch schon an der einzelnen Farbe bei ihrer Wendung
vom Licht ins Dunkel zu beobachten ist.“ - Das dritte, das „chromatische
Prinzip“, ist insofern eine Synthese der beiden anderen, ,,als es darauf abzielt,
mittels farbiger Kontraste und ausschließlich durch sie, lichthafte Wirkung her-
vorzubringen“. Hierbei werden, in einem „divisionistischen“ Verfahren, die
Buntwerte ,,als subtile Abstufungen, Nuancierungen eines vorgegebenen Farb-
wertes oder als eine Mikrostruktur aus Partikeln und kleinsten Fleckenformen
unterschiedlicher Farbe“ eingesetzt.
3 Koloritgeschichtliche Untersuchungen, 333-341.
GRUNDZÜGE DER FARB- UND LICHTGESTALTUNG
IN DER MITTELALTERLICHEN MALEREI
1 FA: André Grabar, Carl Nordenfalk, Das frühe Mittelalter vom vierten bis
zum elften Jahrhundert, Genf (Skira), 1957. - Dies., Die romanische Malerei
vom elften bis dreizehnten Jahrhundert, Genf (Skira), 1958. - Jacques Dupont,
Cesare Gnudi, Gotische Malerei, Genf (Skira), 1954. - Joseph Wilpert, Walter
N. Schumacher, Die römischen Mosaiken der kirchlichen Bauten vom IV.-XIII.
Jahrhundert, Freiburg i. Br., Basel, Wien 1916/1976.
2 Vgl. dazu auch: Dagobert Frey, Der Realitätscharakter des Kunstwerks. In:
Frey, Kunstwissenschaftliche Grundfragen, Prolegomena zu einer Kunstphiloso-
phie, Wien 1946, 107-149, insbes. 111 ff. - Hans Peter L’Orange, Lux Aeterna:
LAdorazione della luce nefi’arte tardo-antica ed alto-medioevale. In: Atti della
Pontificia Accademia Romana di Archeologia, Ser. III, Vol. XLVI, Anno 1973-74,
Vaticano 1975, 191-202. - Patrik Reuterswärd, Windows of Divine Light. In:
KonsthistoriskTidskrift, LI, 1982, 95-102.
2 Mittelalterliche Malerei
3 Wolfgang Schöne, Über das Licht in der Malerei, Berlin 1954, 58.
4 Schöne, 57-64, nach Clemens Baeumker, Witelo, ein Philosoph und Natur-
forscher des 13. Jahrhunderts, Miinster 1908, 357-514: Exkurs iiber die Licht-
metaphysik oder Lichtontologie des Altertums und Mittelalters. - Dazu die
weitere, bei Schöne angegebene Literatur.
5 Schöne, Über das Licht in der Malerei, 71.
6 Vgl. dazu: Gottfried Haupt, Die Farbensymbolik in der sakralen Kunst des
abendländischen Mittelalters (Ein Beitrag zur mittelalterlichen Form- und Gei-
stesgeschichte) (Diss. Leipzig 1940), Dresden 1941. - Renate Kroos, Friedrich
Kobler, Farbe, liturgisch (kath.). In: Reallexikon zur deutschen Kunstge-
schichte, Bd. VII (73.Lieferung), 1974, Sp. 54—121. - A.Hermann, M.Cagiano
di Azevedo, Farbe. In: Reallexikon für Antike und Christentum, Bd. VII, 1969,
Sp. 358-447.
Mittelalterliche Malerei 3
Die Öffnung der mittelalterlichen Farbe in ein Licht, das sie erweckt,
steht in striktem Gegensatz zur Farbe in der antiken Malerei 10. Hier
ist, seit der frühgriechischen Zeit, das Bildlicht weithin ,,mit der Farbe
identisch“ 11. In vielen Werken ist ein weißer Grund Basis der gesamten
Buntfarbigkeit und stärkt sie in ihrer Buntkraft. Finsternis, unfarbige
Dunkelheit fehlt. Dunkel ist immer Farbe, auch beim Schwarz der Bild-
griinde. Schatten sind, wenn sie erscheinen, nie Reflexe von Finsternis,
sondern sind nach der Helle zu orientiert, wirken als durchhellte Halb-
schatten.
So folgt die Farbgestaltung hier dem „koloristischen Prinzip“. In der
archaischen Epoche bestimmen „Intaktheit, Eindeutigkeit, Vitalität“
die in „polaren Bezügen“ stehenden Farben 12. Wohl nach dem Vorbild
Polygnots, des Vaters der attisch-thebanischen Malerschule, entsteht
mit der Beschränkung auf die „Vier Farben“: Schwarz, Weiß, Rot und
15 John Gage, Colour in History: Relative and Absolute. In: Art History,
Vol.I, No. I, March 1978, 104-130, Zit. 120.
Mittelalterliche Malerei 7
16 H.P. L’Orange and P. J. Nordhagen, Mosaik, Von der Antike bis zum
Mittelalter, Miinchen 1960, 67, 68. - Zum Farbstil der Mosaiken in S.Maria
Maggiore, Rom, vgl.: Beat Brenk, Die friihchristlichen Mosaiken in S.Maria
Maggiore zu Rom, Wiesbaden 1975, 134—139; Astorri zählte hier „33 verschie-
dene Blautöne, 39 Grüntöne, 40 Gelb-Rottöne, 2 Inkarnate, 45 Grautöne etc.,
im ganzen 190 verschiedene Glasuren“ (S. 134, Anm. 3).
17 Vgl. Schöne, Über das Licht in der Malerei, 24.
18 Vgl. Hans Jantzen, Ottonische Kunst, München 1947, 78.
19 In: Archaeologiai Értesitö, Bd. XLVI, 1932/33, 5-36 (ungar.), (Diss. Wien
1932). Nach dem Manuskript hrsg. v. Ernst Gombrich, München 1987.
Mittelalterliche Malerei
20 Ernst Gombrich, Referat des Buches von Bodonyi. In: Kritische Berichte
zur kunstgeschichtlichen Literatur, 1932/33, 65-76, Zit. 68, 70, 74.
21 Über das Licht in der Malerei, 25.
22 Ellen J. Beer, Marginalien zum Thema Goldgrund. In: Zeitschrift für
Kunstgeschichte, Bd. 46,1983, 271-286, Zit. 273/274.
23 Vgl. Theodor Hetzer, Tizian, Geschichte seiner Farbe, 2. Aufl. Frankfurt
a.M. 1948, 17.
24 David Katz, Der Aufbau der Farbwelt, zweite, völlig umgearbeitete Auf-
lage von: Die Erscheinungswesen der Farben und ihre Beeinflussung durch die
individuelle Erfahrung, Leipzig 1930, 34.
25 Vgl. Schöne, Über das Licht in der Malerei, 23.
Mittelalterliche Malerei 9
zeigt sich sein Lichtcharakter, in der anderen sein Gelb- und sein Mate-
riegehalt. Beide aber einen sich in der von Katz beschriebenen „Farbge-
stalt“, in der sich die Untrennbarkeit von Glanzraura und Materie be-
kundet. Auch die Goldpartien in Mosaiken lassen diese Doppelnatur
zur Geltung kommen. Die flächig-materielle Wirkung wird hier noch da-
durch unterstützt, daß in die ausgebreiteten Bezirke der lichtverstrah-
lenden Goldkuben lichtstumpfe Teile eingesetzt sind, die mit der
flächigen Verankerung den Gelbwert, die Farbwirkung, akzentuieren.
Schon in den Mosaiken von S. Maria Maggiore in Rom wird das Gold in
Griinden und Modellierungen fortgefiihrt in gelben, orangefarbigen
oder weißen Kuben, und das gleiche gilt auch noch fiir spätere Mosaiken.
Im weiteren Verlauf steigert sich der Lichtcharakter des Goldgrundes,
mit einem Höhepunkt im „oszillierenden Aufleuchten“ des Goldes bei
der ottonischen Buchmalerei, danach, im 13. Jahrhundert, kommt da-
gegen der Materiecharakter verstärkt zur Geltung. „Der Unterschied
zur spiegelnden Goldglanzfläche der Gotik ist eklatant: denn während
ottonischer Goldgrund einen zarten Übergang zur Farbe bewirkt,
treffen in der Gotik goldene und farbige Partien schroff aufeinander, ge-
steigert noch durch die ungebrochenen blauen und roten Farbwerte.
Etwa zur gleichen Zeit setzt die Bearbeitung der Goldoberfläche mit
Punze, Stichel oder plastischer Auflage ein.“ 26 Das Gold trennt sich auf
diese Weise immer mehr von der gemalten Farbwelt. Die Diskrepanz er-
scheint am ehesten dann wieder überbrückt, wenn Gold als modellier-
bare Farbe gestaltet und so dem Farborganismus eingegliedert wird, wie
dies zuletzt in der deutschen Malerei der Dürerzeit geschehen ist (so in
Grünewalds „Erasmus-Mauritius“-Tafel der Münchner Alten Pinako-
thek). Gold wird zur Goldfarbe und als solche gleichberechtigt in die
farbige Gesamtanlage hineingenommen, unter Zurückdrängung der
Glanzkomponente, die urspmnglich die entscheidende war.
27 Zu Farbe und Licht in der Glasmalerei vgl.: Eva Frodl-Kraft, Die Glas-
malerei, Entwicklung, Technik, Eigenart, Wien und München 1970. - Louis
Grodecki, La couleur dans le vitrail du XII e au XVI e siècle. In: Ignace Meyerson
(Hrsg.), Problèmes de la couleur, Paris 1957, 183-206. - Ellen J. Beer, Die Be-
deutung der Farbe in der gotischen Glasmalerei. In: Palette, 20, 1965, 1-10. -
Florens Deuchler, Gothic Glass. In: Thomas B.Hess, John Ashbery (Hrsg.),
Light in Art, 55-66. - John Gage, Gothic Glass: Two Aspects of a Dionysian
Aesthetic. In: Art History, Vol. 5, No 1, March 1982, 36-58.
28 Strauss, Koloritgeschichtliche Untersuchungen, 55.
29 Le vitrail et l’architecture au XII e et au XIII e siècles. In: Gazette des
Beaux-Arts, 36,1949, 5-24, Zit. 12.
Mittelalterliche Malerei 11
setzt voraus, „daß an die Stelle einer Welt, die aus farbigen Gegen-
ständen besteht, an die Stelle der unerschöpflichen Abwandlung der
Farben nach Farbwert, Sättigungsgrad und Helligkeit, die in der Erschei-
nungswelt vom Licht nicht zu trennen ist, ein Begriff der Farben an sich
getreten ist. Rot, Purpur, Grün, Blau, Blauviolett, Smaragdgriin, Zitro-
nengelb usw., aber auch Weiß und Grau usw. existieren fiir den gotischen
Maler als ideale Qualitäten, unabhängig von der Dingwelt; das ge-
schärfte Bewußtsein fiir ihre spezifische ästhetische Wertigkeit - die vom
Betrachter in einen unmittelbaren Gefiihlseindruck umgesetzt wird -
hat zur Herausbildung jener geradezu kanonischen Dualitäten gefiihrt,
die als Primärelemente gotische Bilder aufbauen.“
MITTELALTERLICHE BUCHMALEREI
dieser Miniatur, ein tiefes Carminrot und ein helleres Rosa, Indigoblau,
helles Mennigrot und sanftes Grünspangrün, sind so nebeneinanderge-
setzt, daß alle Figuren farbig in einem Gleichgewicht erscheinen und,
obwohl sie körperhaft mit dunklen Schattenlinien modelliert sind, alle
in der Fläche des Bildes übereinkommen. Das liegt nicht nur daran, daß
sie sich nach Intensität und Ausdehnung gegeneinander auswiegen, son-
dern auch daran, daß sie in etwa gleichmäßiger Dichte relativ fest und in
homogener Oberflächenwirkung aufgetragen sind. In solchen Wir-
kungen der Farbe ist die Miniatur noch ganz ein Zeugnis antiken künst-
lerischen Empfindens, für das die menschliche Gestalt als körperliche
Ausgang aller Gestaltung war und fiir die ein Bild von dort her in Tiefe
und Fläche ausgeglichen aufgebaut wurde.
Dafiir noch ein anderes Beispiel. Im Corpus Christi College in Cam-
bridge, England, wird ein Evangeliarfragment des ersten Erzbischofs
von Canterbury, das Evangeliar des hl. Augustinus, mit einer Darstel-
lung des vor einer triumphbogenartigen Architektur thronenden Evan-
gelisten Lukas 14 aufbewahrt. Die Handschrift stammt wahrscheinlich
vom Ende des 6. Jahrhunderts aus Italien, vielleicht aus Rom. Hier sind
nun gegenüber der früheren Iliasminiatur alle Farben leichter und kör-
perloser. Hellgelbe und braune Töne, Nuancen von Mennigrot, helles
und dunkles Blau und lichtes Purpurfolium treten in hellen Akkorden,
dabei aber wieder ähnlich gleichgewichtig zusammen. Bezeichnender-
weise wird hier statt des schweren, in der älteren Handschrift verwen-
deten Carmins das weniger körperhaft und fast glasartig aufgetragene
Folium verwendet. Gerade dadurch wird zusammen mit den anderen
Farben der Miniatur auch vom Rot her nochmals ein Gleichgewicht aller
Farben inTiefe und Fläche erreicht, das man letzten Endes noch als anti-
kisch empfindet.“
„Ganz anders ist in dem etwa ein Jahrhundert später entstandenen
northumbrischen Evangeliar von Lindisfarne in London 15 verfahren.
Auf fol. 137’ erscheint der Evangelist Lukas. Abgesehen davon, daß hier
der Evangelist isoliert vor einer leeren, dunkelrot gerahmten Grund-
fläche von der Seite gesehen, als große Einzelfigur und nicht wie in dem
16 Book of Kells, Dublin,Trinity College Library Ms. 58, AI b, fol. 188. -FA:
F. Henry, The Book of Kells, London 1974, 61.
20 Mittelalterliche Buchmaierei
Grund gelegt, so daß das Blau von unten durch das Rosa verhalten und
unruhig hindurchschimmert. Dies ist der Fall in den äußeren Streifen,
die als Band die breite ornamentgefiillte Rahmung fiir das innere Buch-
stabenfeld, in dem das ,Quo‘ steht, und die Eckkreuze rechts umfassen
... In der zwischen Lazur und weißlich Purpurrosa schwebenden, bei
hauchartig wechselndem Auftrag des Foliums sich ständig verändernden
Farbe der Feldumrahmung wird eine Flächenbindung fast aufgehoben
und die Farbe scheint vor dem Grund wie fluoreszierend, nicht mehr auf
einer Oberfläche lokalisierbar, zu schweben. Davon wird auch das
ganze, so umgriffene Feld mit seinen vielen kleinteiligen Füllungen,
dunklen Gründen und grellfarbigen Kleinmustern betroffen. Es sinkt im
Kontrast dazu in seinen Dunkelheiten zurück, aus denen dann um so
schärfer die hellen Auripigmentgelb-Streifen und -Spiralformen und das
grelle Mennigrot der Scheibenränder nach vorn springen. Alles dies
wird geschärft durch das fiir das Auge irritierende Flimmern von ste-
chendem Mennigrot vor dem Lazurgrund auf den Flächen des zentralen
Buchstabenkastens ...“
„Gegenüber solcher Erscheinungsvielfalt der Farben ist die Farbigkeit
festländischer karolingischer Malerei schlicht und gleichwohl prunkvoll
und feierlich. In einem Blatt aus dem um 800 zu datierenden Londoner
Evangeliar der Hofschule Karls d. Großen ist der Evangelist Matthäus in
einer von einem Gebälk gekrönten Nische dargestellt. 17 Er trägt einen
dunkelroten Mantel über einem hellblauen Gewand. Bezeichnend ist
nun, daß dieses Rot hier mit dem dichter als Folium wirkenden, aus
Kermes gewonnenen Carmin gemalt ist, das auch mit Weiß vermengt
deckend wirkt. Die verschiedenen Nuancen dieser Mischung bis in die
mit reinem Carmin gemalten tiefsten Stellen sind kräftig und bestimmt
vorgetragen, auf den höchsten Aufhöhungen bis ins Weißliche model-
liert ... Sie steht darin den anderen Farben der Seite gleich, den leuch-
tend warmen Rottönen und dem Orangeton in Säulen, Architektur und
Vorhängen, dem dunklen Grün des Thronbehangs, dem leuchtenden
Lazurblau der Nische und der großen Graufläche des Grundes, die ähn-
lich in reinen Ausprägungen mit Auflichtungen und Schattierungen
meist Ton in Ton modelliert sind ... Immer aber wird in aller solcher
Modellierung durchgehender Zusammenhang der Flächenwirkung und
gleichmäßige Dichte der farbigen Erscheinung alles Dargestellten be-
wahrt. Zu dem Eindruck einer gewissen materiellen Schwere trägt auch
weit wir von einer Kenntnis ihrer Gesamtgeschichte auch noch entfernt
sein mögen!
Nach dem 12. Jahrhundert stehen wir vor einer veränderten Situation.
„Die alten Vorschriften nach Art der Mappae Clavicula, des Heraclius
und des Theophilus konnten vielfach den neuen kiinstlerischen Vorstel-
lungen der Gotik nicht mehr genügen. Neue Verfahren oder Verände-
rungen der älteren Farbherstellungsrezepte und ihrer Verwendung
werden entwickelt und aufgeschrieben. Auch gehen dieTexte allmählich
vom Lateinischen zu den Nationalsprachen über. “ 22 Aufschlußreich ist
dabei, daß inTexten und Werken „in höherem Maße ein Gefühl für den
Lichtwert der Farbe zum Ausdruck kommt.“ So spricht man im späteren
Mittelalter in Deutschland von „liechten“ Farben und im Kontrast dazu
von Bildstellen, die man „schätwen“ solle. 23
In diesem veränderten Verhältnis von Farbe und Licht gewinnt auch
die Glasmalerei den Rang einer höchsten Kunstgattung. Deren Farbe-
Licht-Konzeption bildet die Voraussetzung der Farbgestaltung in der
transalpinenTafelmalerei des 14. Jahrhunderts.
7 FA: H.Th. Musper, Altdeutsche Malerei, Köln 1970, 73. - Vgl. auch
Landolt, Die deutsche Malerei, Das Spätmittelalter, 32 (>Christus am 01berg<).
8 FA: Landolt, Die deutsche Malerei, Das Spätmittelalter, 37.
9 FA: Landolt, Die deutsche Malerei, Das Spätmittelalter, 43.
28 Transalpine Tafelmalerei des 14. Jahrhunderts
zelnen Formen und Farben eignet, scheint sich dem gesamten Bildraum
mitzuteilen, hier wie dort bedingt durch flutendes Dunkel.
Die >Geißelung ChristU vom 1424 begonnenen Thomas-Altar Meister
Franckes in der Hamburger Kunsthalle 10 zeigt eng aneinandergedrängte
Farben: Braunorange, Olivgrün, Englischrot, Ocker, weißlichen Kar-
min, dazu gedämpftes, fast dumpfes Weiß. Jede Farbe wird in ihrem
dinglich motivierten, individuellen Wert belassen, alle zusammen
bilden, im Detailreichtum der Darstellung, eine Fiille zarter Kontraste.
Der Farbdichte kommt zugute, daß sich die Wirkung des Transluziden
auf die kubischen Architekturformen, etwa die zartrosatonigen, lichten
Zinnen des den Geißelungs-Raum oben schließenden Bogens, zuriick-
gezogen hat. Der Richtungsenergie des Formaufbaus entspricht keine
Intensität der farbigen Intervalle. Diese Spannung zwischen Form und
Farbe hebt sich in der mehrfach foliierenden Dunkelheit auf.
Die allenthalben wirksame Farbtriibung dient nicht allein als Model-
lierungsdunkel, sondern erscheint zudem als farbig gewordener Reflex
allgegenwärtiger „Raumtrübe“, aus der sich lichthaltige Teile heraus-
lösen. So werden die Farben transitorisch, nicht allein die „gebro-
chenen“, auch die „gesättigten“, und „gesättigt“ sind sie, weil gleich
weit entfernt vonTriibung wie vom absorbierenden Licht: Buntheit wird
ein Durchgangsstadium. Die Dunkelheit selbst ist (im Vergleich zu den
Wittingauer Tafeln) lockerer geworden und kann eben deshalb einen
„tieferen“ Raum konstituieren.
Kontrastreicher stellt sich die Bildräumlichkeit bei derTafel der >Ge-
burt ChristU desselben Altars dar. Hier hebt die Bodenfläche in einem zu
Umbra sich vertiefenden Sienagelb an, das dem Blau des Marienmantels
und dem Olivgriin des Engelsgewandes als glatte Folie dient. Das Gelb
des Bodens entspricht dem Rot des gestirnten Himmels. In der Bild-
mitte aber öffnet sich der Dunkelraum der Geburtshöhle, der tiefer
wirkt als der abschließende Himmelsgrund.
Bei der >Anbetung der Hl. Drei Könige< vi rahmen Weißtöne die Gestalt
Mariens, die in ihrem Kopftuch dies Weiß aufnimmt. Eine weitere Rah-
mung leistet das Rot im knienden König, im Kissen zu Füßen Mariens,
in Bett und Himmel. Das dunkle Blau des Marienmantels wird vom
zweiten, stehenden König aufgenommen, das Karminrosa ihres Kleides
von Schulterbelag und Kappe des Joseph. Nur das Olivgriin des rechten
Königs bleibt unwiederholt, findet aber, in Kombination mit dem
dunklen Braun seines Untergewandes, im Dunkelbraun der Landschaft
12 Vgl. Otto Pächt, Meister Francke-Probleme. In: Meister Francke und die
Kunst um 1400, Ausstellung zur Jahrhundert-Feier der Hamburger Kunsthalle,
Hamburg 1969, 22 ff. Zur Farbe in der deutschen Malerei zwischen 1370 und
1430 vgl.: Marie Kempfer, Die Farbigkeit als Kriterium fiir Werkstattbezie-
hungen, dargestellt an zehn Altären aus der Zeit zwischen 1370 und 1430. In:
Giessener Beiträgezur Kunstgeschichte, II, 1973,7-49. -Uta Hengelhaupt, Der
Netzer Altar, Die Zeitqualität der Raumform und der farbigen Gestaltung. In:
H.Engelhart, G.Kempter (Hrsg.), Diversarum Artium Studia, Festschrift fiir
Heinz Roosen-Runge, 105-115.
GIOTTO
Weiß, Schwarz, rote und grüne Erde, Ocker, „terra di Siena“, Blau, ,,a
secco“ aufgetragen. 4 Aber diese Skala stellt doch eine merkliche Erwei-
terung des mittelalterlichen Kanons dar und schließt eine gewisse Indivi-
dualisierung der Farbe nach Maßgabe ihres gegenständlichen Trägers
ein. So sind die Gewänder in einer Weise gegeben, daß sich der Eindruck
„wirklicher“, aber nach farbharmonischen Gründen gewählter Gewand-
farben einstellt. Der Gedanke an einen Symbolgehalt der Farben tritt
hingegen zurück, obschon sich Giotto fast durchweg an den traditio-
nellen Farbenkanon hält. „Giotto kennt keine andere Farbensymbolik
und Farbenikonographie als seine Zeit“ (Gottfried Haupt) 5. Aber diese
traditionellen Farben erhalten durch Brechung und „Umstimmung“
einen neuen Klang und werden überdies um neu eingeführte, aus
Mischungen entstandene Werte bereichert.
Auch nach ihrer Wahl lassen also die Farben Giottos die gleiche Hin-
wendung zur Wirklichkeit der Erscheinungswelt erkennen wie seine per-
spektivischen Mittel, ohne sich jedoch grundsätzlich vom mittelalter-
lichen Farbstil loszusagen. Die Starre, Strenge des hochmittelalterlichen
Farbkanons erscheint durch Giotto aufgebrochen. Es gibt keine Farb-
vokabeln mehr, die Farbe geht einen entscheidenden Schritt über das
„Zeichenhafte“ hinaus, wie auch über die mittelalterliche Materiever-
wobenheit - gerade so weit, um den ersten Kontakt mit der natürlichen
Erscheinungsweise der Dinge zu gewinnen und sich gleichzeitig zur Bild-
wirklichkeit zu konstituieren. Giotto hat, wie Hetzer formulierte, ,,der
Farbe das Magische, unbestimmt Leuchtende, Tiefe, Flutende, Gren-
zenlose, unmittelbar die Sinne Durchdringende genommen, und er hat
damit den Gegensatz zwischen Farbe einerseits, Fläche, Form, Grenze,
Festigkeit, Tektonik andererseits beseitigt“ 6.
Man kann in dieser Lossagung aus der Abstraktion der Farbe, ihrer
beginnenden „Verweltlichung“ und damit zugleich in ihrer, wenn auch
begrenzten, Differenzierung eine Umkehrung des Auslese- und Verhär-
tungsprozesses beim Entstehen der mittelalterlichen Farbgestaltung
erkennen.
Und doch wäre es unrichtig, zu meinen, es bestünde eine Art „rück-
läufiger Bewegung“ und die wiederbeginnende Individualisierung der
Farbe müsse in der freien Farbenvielfalt des Späthellenismus enden, von
der sie ausgegangen war. Denn trotz der unverkennbaren Annäherung
der Farben Giottos an die äußere Erscheinung der Dinge ist sie weit
davon entfernt, diese (und damit sich selbst) derart optisch zu differen-
zieren, daß sie die Lockerheit innerhalb fester Formbezirke erreicht, wie
sie in der Antike sich zeigt, Obschon durchaus der Form streng ver-
haftet, behält sie etwas alle Formdetails weit Übergreifendes und damit
Bindendes. Das vermag sie vor allem durch ihre Abstimmung auf eine
vor Giotto nicht in dieser Weise dominierende Helligkeit- die immer er-
neut, allein schon durch ihren Gegensatz zur Gedrungenheit und Würde
der Formen - überraschend wirkt. 7
Diese Helligkeit wird durchaus als eine Helligkeit der Farbe selbst
empfunden und dies um so mehr, als ihr - in Außen- wie auch Innen-
raumdarstellungen - durchgehend eine Folie zugrunde liegt, die selbst
durch und durch Farbe bleibt: das stumpfe, eher mittelhelle als tief-
dunkle Blau der Gründe, ein reines Ultramarinblau (das jedoch größten-
teils verdorben ist). Es schließt sich, zwar nicht bruchlos, der Farbigkeit
der unteren Bildhälften an und steigert deren farbige Helle durch Kon-
traste im Farbigen wie als Dunkelheit.
Diese charakteristische Helle des Kolorits Giottos ist aber noch nicht
das übergreifende, „gestaltete“ und gestaltende Licht der späteren
Malerei. Sie bleibt innerhalb der Grenzen jeder Dingform eingeschlos-
sen, kann hier aber durch Zusatz von Weiß zur Farbe so hochgestimmt
werden, daß über ihren noch transzendierenden Charakter kein Zweifel
bleibt und wir annehmen müssen, es seien hier Reste einer Lichtvorstel-
lung wirksam, die mit dem mittelalterlichen Licht noch in Verbindung
steht. Vielfach zeigt sich eine Tendenz zur weißlichen Überhelle hin, die
jedoch nur selten, so etwa beim Grün, zum nahezu völligen Erlöschen
der Farbe führt. Dieser Anschluß der Farbe an eine Überhelle findet sich
auf der Paduaner >Beweinung ChristU im changierenden perlmuttigen
Blau der Klagenden, dem lichten Karmin des Johannes, dem weißlich-
grauen Felsgrat. Gleichzeitig jedoch - und darin liegt eine entschei-
dende Neuerung - sind in den beiden Rückenfiguren Komplexe ge-
geben, deren Licht identisch ist mit ihrer „spezifischen Helligkeit“ und
die die Fläche, in der sie liegen, als Oberfläche kennzeichnen. Diese Wir-
kung ergibt sich nicht etwa deshalb, weil sie stumpfer scheinen, sondern
vor allem, weil sie so gebrochen werden, daß man ihre Brechung nach
7 Vgl. auch: Robert Oertel, Die Fmhzeit der italienischen Malerei, Stuttgart
1953,84: „Neben der dunkleren, dumpferen Pracht der großenMadonnenbilder
von Duccio und Cimabue wirkt Giottos Werk überraschend hell, glasklar, bei-
nahe kühl. Diese Helligkeit mag auf den heutigen Betrachter ernüchternd
wirken - in Wahrheit bedeutet sie den Durchbruch zu einem völlig neuen Sehen,
zu einem neuen Weltgefühl.“
Giotto 33
8 Erich von den Bercken, Forschungen iiber die Geschichte der Farbe in der
Malerei, in: Forschungen und Fortschritte, 6. Jg., 1930, 262.
9 Strauss', Überlegungen zur Farbe bei Giotto, 72.
10 FA: Pietro Cavallini, Das Jiingste Gericht, Rom S.Cecilia in Trastevere,
um 1295/1300: Otto von Simson, Mittelalter II (Prop. KG. Bd. 6), Berlin 1972,
Taf. XLII. - Enzo Carli, Cesare Gnudi, Roberto Salvini, Pittura Italiana, I,
Romanik und Gotik, Miinchen 1962, 36-39.
11 Haupt, Farbensymbolik, 128.
12 Hetzer, Giotto, 185.
34 Giotto
eignet weit weniger graphische Kraft, sie ergeben sich eher als Grenz-
werte der modellierten, nach außen gewölbten Formen, - von Formen,
die sich in kontinuierlicher Schichtung von homogenen Flächen zu
Ebenen innerhalb eines „Reliefraum.es“ zusammenschließen. Giottos
Farbe ist die dem „Reliefraum“ gemäße, in dem die einzelnen Farb-
zonen wie Gelenke ineinanderzugreifen beginnen: In den Fresken der
Arena-Kapelle zu Padua erscheinen die Farben als rhythmische Folge
von „Hebungen“ im Licht, vergegenwärtigt durch die Farben, und „Sen-
kungen“ in den Schatten, wobei die Buntwerte dominieren.
Es ist ein Verdienst von Ernst Strauss, den Hildebrandschen Begriff
des „Reliefraumes“ für die Analyse der Farbgestaltung aufgeschlossen
und als konstitutiv für den Bildraum der italienischen Malerei seit
Giotto aufgezeigt zu haben. Damit hat er ein wichtiges Korrektiv zur
Verkürzung der Bildraumproblematik auf die Frage nach der Perspektiv-
konstruktion geliefert - ähnlich wie Kurt Badt, der dem leeren, abso-
luten Raum, sei er perspektivisch konstruiert oder nicht, den konkreten,
durch Körper bestimmten „Ort“ entgegensetzte. 18
Organisiert durch eine rückwärtige Abschlußfläche und eine imagi-
näre zweite, vordere Scheidewand, die wie in aller europäischen
Malerei bis zum Aufkommen des Kubismus - die gesamte Bildfläche, als
deren ,ästhetische Grenze“, von der Außenwelt trennt“, steht der Relief-
raum in einem unlöslichen Bezug zur Bildfläche. „Der Raum zwischen
beiden Flächen gliche, denkt man sich ihn einem architektonischen
Wandsystem eingegliedert, dem einer rechteckigen Nische von geringer
Tiefe. Im Bilde aber läßt er den Gedanken einer bestimmten, bemeß-
baren Erstreckung in dieTiefe nicht aufkommen. Denn hier erscheint er
durchaus nicht ,eng‘ wie eine schmale Bühne (mit der er, in Verkennung
seines spezifisch bildmäßigen Charakters, oft gleichgesetzt wird), viel-
mehr aufs äußerste verdichtet, - so, als ob der universale Raum, den er
vorstellen soll, mit ihm jedesmal ganz in die Bildgrenzen eingegangen
wäre.“ 19
Bildlicht und -schatten folgen dieser Reliefraumstruktur, so daß
Strauss das aus den Eigenhelligkeiten der Farben geschaffene Bildlicht
als „Relieflicht“, die aus dem Modellierungsdunkel sich verselbständi-
genden Schattenzonen als „Reliefschatten“ bezeichnen konnte.
1 Vgl. hierzu: Strauss, Überlegungen zur Farbe bei Giotto, 76-77. -Trecenti-
stische Freskomalerei nach Giotto, in: Koloritgeschichtliche Untersuchungen,
84-85.
2 Vgl. dazu auch Alexandrine Miller, The dark background and the composi-
tion of space inTuscan painting of theTrecento, in: Art in America, Vol. 31, New
York 1943,195-202.
40 Malerei des Trecento
3 Vgl.: Das Buch von der Kunst oderTractat derMalerei des Cennino Cennini
da Colle di Valdelsa, übersetzt von Albert Ilg (Quellenschriften für Kunst-
geschichte und Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance, hrsg. von
R.Eitelberger V. Edelberg, 1,1871), Neudruck Osnabriick 1970, Cap. 9, 8/9.
4 FA: Millard Meiss, Das große Zeitalter der Freskenmalerei, München,
Wien, Zürich 1971, 54.
5 Robert Oertel, Die Fmhzeit der italienischen Malerei, 114,115.
6 Vgl. Wolfgang Schöne, Über das Licht in der Malerei, Berlin 1954, 128. -
Vgl. aber auch : Alastair Smart, Taddeo Gaddi, Orcagna, and the Eclipses of 1333
and 1339, in: Studies in late Medieval and Renaissance Painting in Honor of
Millard Meiss, ed. by Irving Laving and John Plummer, Vol. 1, New York 1977,
403-414.
Malerei des Trecento 41
7 FA: Jacques Dupont, Cesare Gnudi, Gotische Malerei, Genf (Skira), 1954,
107. - Enzo Carli, Cesare Gnudi, Roberto Salvini, Pittura Italiana, Bd. 1, Ro-
manik und Gotik, München 1962,145. -Lionello Venturi, La Peinture Italienne,
Les Créateurs de la Renaissance, Genf (Skira), 67.
8 Oertel, Die Friihzeit der italienischen Malerei, 119.
9 Oertel, Friihzeit, 183.
10 FA: Dupont, Gnudi, Gotische Malerei, 119.
11 FA: Umberto Baldini, Santa Maria Novella, Kirche, Kloster und Kreuz-
gänge, Stuttgart 1982, 77.
12 Strauss, Überlegungen zur Farbe bei Giotto, 77.
42 Malerei des Trecento
um 1100; oder, kurz vor Simone Martinis Werk, die Mosaiken in der
Kariye Camii in Istanbul, entstanden um 1315-1320).
Die blaue Farbsilhouette des Marienmantels aber leistet dem Gold-
grund als Buntheit Widerstand, ist streng umgrenzte Farbform. Eine
ähnliche Spannung zwischen tiefem Blau und Gold findet sich in der
sienesischen Trecento-Malerei häufiger.
So ist auch das nur wenig ältere Altarwerk Pietro Lorenzettis (um
1280-1348?) mit dem Mittelbild der >Thronenden Maria, umgeben von
vier Engeln und zwei Heiligen, dem hl. Nikolaus und dem Propheten
Elias<, gemalt 1329 (Siena Pinakothek), bestimmt von einer Zweiteilung
von tieferem, gesättigtem Kornblumenblau im Marienmantel und den
übrigen, um Gold geordneten Farben andererseits: Weiß in unterschied-
lichen Tönungen, Flellbraun, Lachsrot, silbriges Grauoliv. Auch hier
kommen die blonden Haare der Engel dem Gold sehr nahe.
Hinzuweisen ist auch auf das „Tiefendunkel“, das sich im Verkündi-
gungsbild Simone Martinis ,,an der Stelle bemerkbar macht, wo der
marmorne Fußboden mit messerscharfer Grenze an den Goldgrund
stößt“ 23, ein Gestaltungsmittel von stilprägender Kraft, gleichermaßen
bedeutsam fiir den Charakter des Bildraumes wie fiir die Neuinterpreta-
tion des Goldgrundes.
Die beiden Seitenfiguren der >Verkiindigung< von Martini wurden von
seinem Schüler Lippo Memmi gemalt. Die rechte Figur, die hl. Marga-
rethe, soll noch kurz nach der Art ihrer Modellierung betrachtet werden.
An ihrer rechten Schulter wird die hellste Stelle durch ein lichtes, aber
festes Grau bezeichnet, das sich als Farbsilhouette gegen den Goldgrund
absetzt. In ihrer bildäußeren Kontur aber triibt sich das Grau, sinkt in
einen dunkleren Schattenton. Diese wenn auch einseitige Farbtriibung,
„Verschattung“, modelliert die Form reliefartig, unter Bewahrung der
Farbsubstanz - in großem Gegensatz zur Durchlichtung in der trans-
alpinen Malerei des 14. Jahrhunderts. Was solche Licht- und Schatten-
gebung wiederum als eine typisch „trecentistische“ erweist, ist ihre
partielle Unabhängigkeit von der plastischen Form, sind die weichen
Übergänge vom Lichten ins Dunkle, ohne Rücksicht auf die plastischen
Anregungen des Konturs oder auf die Erfordernisse einer Binnenmodei-
lierung. Die Paarung solcher freien Komplexe mit anderen, wo die Farb-
teilung der plastischen Form folgt, bleibt charakteristisch für das ge-
samte Trecento und auch noch über die Jahrhundertwende hinaus.
Sie bestimmt auch noch die Form-Farb-Behandlung Masolinos (um
1383-vor 1447), in seinen Fresken und in seinen Tafelbildern und ver-
leiht ihnen ihren „unirdischen“ Charakter.
24 FA: Erich Steingräber, Die Alte Pinakothek Miinchen (Museen der Welt),
Miinchen 1985, 10.
MALEREI UND THEORIE IM QUATTROCENTO
mit der „Ausweitung“ des Bildraumes nach derTiefe zu. An seine Stelle
tritt der Landschaftsgrund, der nicht mehr Folie im alten Sinne sein
kann. Dafür nimmt der Grund eine andere Erscheinungsform an, er
riickt in die Bildschichten selbst ein, indem er sich in den Halbschatten
festsetzt. Diese, als mittlere Helligkeit von gleicher Reliefhöhe die
Formen verbindend, bilden in ihrer Gesamtheit den neuen Grund,
weisen also über ihre unmittelbare Bestimmung als „Modellierungs-
schatten“ hinaus.
Deutlicher noch wird der Charakter der mittleren Helligkeits-Gründe
an den Fragmenten von Masaccios Pisaner Altar (London, Nat. Gall.,
und Neapel, Pinacoteca Nazionale, 1426), da sie zeigen, wie weitgehend
die Farbe an ihrem Aufkommen beteiligt ist. Die Gegenstandsfarben er-
scheinen in den Licht- und Schattenzonen, stufenweise vertieft, und so
gewählt, daß ihrTonwert auf ein jeweils gleiches Niveau gebracht wird,
während ihr individueller Buntwert immer gewahrt bleibt. In der Neap-
ler >Kreuzigung< 3 bilden die Modellierungsschatten des Gekreuzigten
und von Johannes Teile des gleichen, in sich geschichteten Grundes,
dem auch das Blau und Orange von Maria und Magdalena durch Bre-
chung ihrer Buntwerte eingebildet sind. Die im vollen Bildlicht erschei-
nenden Partien sind diesem Grund aufgeprägt. Der Goldgrund derTafel
vermittelt zwischen den Licht- und Schattenzonen der Figuren.
Die Londoner Madonnentafel 4, das Mittelbild des Pisaner Altars, läßt
exemplarisch die Besonderheiten der Farbgestaltung Masaccios er-
kennen: die Eingliederung des Reliefschattens in das farbige Ensemble,
und zwar so, daß die in ihren Tonwerten einander angeglichenen Schat-
tenbezirke über alle Helligkeiten hinweg miteinander kommunizieren
und so zu Schattengründen zusammentreten, zugleich aber immer auch
als (gedämpfte) Buntfarbenzonen wirken; die Herabstufung aller
Farben, auch derjenigen der Lichtbezirke, auf eine mittlere Helligkeit,
die stufenweise in die mittlere Dunkelheit der Halbschatten führt, wo-
durch eine prägnante Strukturierung der Bildfläche unter Vervielfälti-
gung der Reliefschichten (verglichen mit Giotto), gewonnen wird, wie
Über diesen Stand der Entwicklung geht Piero noch einen Schritt
hinaus, indem er dieTon- und Buntkontraste noch von einem „polaren
Kontrast“ umgreifen läßt, einem Kontrast größtmöglicher Spannweite,
repräsentiert „durch reines Weiß und Surrogate des Schwarz, d. h. durch
die Farbtiefe von zu Schwarz konvergierenden Werten“. 21 Mit dieser
Einführung eines umfassenden Kontrastes aus den Skalenenden Weiß
und Schwarz zielt Piero auch schon auf einen Abschluß koloristischer
Farbgestaltung im Quattrocento, verbleibt aber dennoch ganz in ihr,
indem Weiß und die schwärzlichen Vertiefungen immer licht- oder dun-
kelhaltige Farbe bleiben, nie Helldunkelwerte werden.
Die an Pieros Fresken aufgezeigten Charakteristika der Farbgestal-
tung gelten auch für seineTafelbilder.
Helligkeit eines diffusen, kühlen Lichts bei heller Folie, sehr hellen
Schatten, hellstem Grau als Farbe des Inkarnats und des Baumstamms
bestimmt Pieros >Taufe Christu (entstandenum 1440 oder 1460, National
Gallery London 22. Der polare Kontrast spannt sich auch hier zwischen
dem hellsilbrig verschatteten Weiß (im Engelsgewand) und ins Dunkel-
oliv-Schwärzliche vertieften kleinen Bildkompartimenten. Dazwischen
stehen die Buntfarben, am klarsten repräsentiert durch den Klang von
Karmin und stumpfem Blau im Gewand des linken Engels.
Eine wohl noch strahlendere Helligkeit erfüllt Pieros Spätwerk der
>Anbetung Christu, ebenfalls in der Londoner National Gallery. 23 Vor
heller, leicht sandbräunlicher Bodenfolie heben sich die Figuren und die
vielfältig geformten kleinen olivbraunen Rasenstücke ab, vor licht-
blauem Himmel stehen das Hellgrau und helle Sandbraun des Stalles.
Zwischen dem Weiß des linken Engelsgewandes und demTiefoliv im Ge-
wand Josephs entfaltet sich erneut die Spannweite der Farbwelt. Inner-
halb dieser Pole die herrlichste Harmonisierung unterschiedlicher Blau-
werte! Fünferlei verschiedene Blautöne treten hier auf: der mittlere
Lautenengel erscheint hellblau, changierend zu purpurviolett; der
Engel links daneben grauviolett über rosafarbenem Grund; das Tuch
unter dem Kind wie der Marienmantel, dessenTeil es ist, ultramarinblau
mit grünlichen und schwärzlichen Abwandlungen; das Gewand Mariens
graublau. Ob in diesem Reichtum an Blautönen eine Einwirkung altnie-
derländischer Farbgebung vorliegt, bleibe dahingestellt, insgesamt je-
doch ist PierosTafel von niederländischer Helldunkelmalerei so weit wie
irgend möglich geschieden.
28 Leon Battista Alberti, Della pittura, Edizione critica a cura di Luigi Mallé,
Florenz 1950. - Leon Battista Alberti, On Painting and On Sculpture. The Latin
Texts of De Pictura and De Statua edited with Translations, Introduction and
Notes by Cecil Grayson, London 1972. -Leone Battista Alberti, Kleinere kunst-
theoretische Schriften im Originaltext herausgegeben, übersetzt, erläutert ...
von Hubert Janitschek, Wien 1877 (Quellenschriften fiir Kunstgeschichte und
Kunsttechnik des Mittelalters und der Renaissance, XI), Nachdruck Osnabriick
1970. Danach wird zitiert.
29 Alberti, 50.
30 Vgl. Samuel Y. Edgerton Jr., Alberti’s ColourTheory: A Medieval Bottle
Without Renaissance Wine. In: Journal of theWarburg and Courtauld Institutes,
XXXII, 1969,109-134.
31 Vgl. Leon Battista Alberti, On Painting, translated with Introduction and
Notes by John R. Spencer, New Haven 1966, 21976, 49 und 104, Anm. 22.
Malerei und Theorie im Quattrocento 59
das Griin und der Erde das Bleigrau oder Aschgrau: ,,Fia colore di fuoco
el rosso, dell aere cilestrino, dell acqua el verde, et la terra bigia et cene-
riccia.“ 32
Eigentümlich an dieser Albertischen Skala der Grundfarben ist das
Fehlen von Gelb, das schon in antiken Farbenskalen, auch der Aristote-
lischen von >De Sensu<, enthalten war. Edgerton vermutete, der Grund
dieser Ausschaltung liege darin, daß Alberti Gelb keinem Element
zuordnen konnte. 33
An die Stelle von Gelb tritt bei Alberti „Blei- oder Aschgrau“. Jonas
Gavel versuchte „bigio“ mit Gelb zu identifizieren, aber in der Mehrzahl
der von Gavel angeführten Vergleichsfälle meint „bigio“ eine Farbe zwi-
schen „biancho“ und „nero“ oder gelblich oder bräunlich getöntes
Grau. Gavel vermißt Gelb, weil er von einer systematischen Trennung
von Bunt- und Neutralfarben bei Alberti ausgeht. 34 Ohne das Problem
lösen zu können, sei doch darauf hingewiesen, daß die Rolle, die Alberti
dem „Grau“ als Grundfarbe zuweist, seiner Bedeutung in der italieni-
schen Quattrocentro-Malerei entspricht und dort, bei Filippo Lippi
etwa, das Phänomen des potentiell buntfarbigen Graus zu finden ist.
Als die entscheidende Neuerung der Albertischen Farbenskala wurde
die Ausschaltung von Weiß und Schwarz erkannt. Damit steht Alberti in
bewußtem Gegensatz zu Aristoteles, dem er in seiner erfahrungsorien-
tierten Grundhaltung sonst sehr nahe kam. 3S Aristoteles hatte die
Grundfarben aufWeiß und Schwarz reduziert, die durch An- bzw. Abwe-
senheit des Lichts entstehen. 36 Aus diesem Grunde sind Weiß und
Schwarz für Alberti gerade keine Farben: ,,1’biancho e ’l nero non sono
veri colori“ 37, sie sind keine Farben, weil sie nur der Darstellung von
Licht und Schatten dienen, weil sich bei der Mischung mit Weiß und
Schwarz keine neuen Farbengattungen, sondern nur hellere und dunk-
lere Farbenarten bilden. 38
Diese Auffassung Albertis „bezeichnet eine vollkommen neue Wen-
dung in der Entwicklungsgeschichte der Farbenlehre“, da die aristote-
lische Farbtheorie „die einzig gültige noch im Quattrocento war“ 39.
40 Alberti, 64.
41 Alberti, 98, 99.
42 Siebenhüner, 21.
43 Alberti, 61.
44 Alberti,65.
45 Alberti,63.
46 Siebenhüner, 22. - Vgl. auch Gavel, Colour, A study of its Position in the
ArtTheory of the Quattro- and Cinquecento, 120,121. -Edgerton interpretierte
das Wort „fusca“ im anschließenden Satz Albertis als „dunkel“: (“dark, black or
Malerei und Theorie im Quattrocento 61
dark brown”: Alberti’s colour theory, 133) „Onde traemmo regola: quanto mag-
giore sara la distantia, tanto la veduta superficia parra più fusca“ (Alberti, 63).
Damit wäre Alberti auf das Niveau der trecentistischen Raumverdunkelung zu-
rückgeholt. Siebenhünerübersetzte: „geschwächt“, Gavel: “indistinct and more
hazy”. Nur diese Auffassung läßt sich mit dem zuvor zitierten Satz Albertis
(Alberti, 65) in Verbindung bringen.
47 Moshe Barasch, Licht und Farbe in der italienischen Kunsttheorie des Cin-
quecento. In: Rinascimento (La Rinascita), 11, Nr. 2, Dezember 1960,207-300,
Zitat auf S. 232.
48 Alberti, 132.
49 Alberti, 66 und 132.
50 Vgl. Gavel, Colour, 108,109. - James S. Ackerman, On Early Renaissance
Color Theory and Practice. In: Studies in Italian Art and Architecture, 15th
through 18th Centuries, ed. by Henry A.Millon (American Academy in Rome).
Cambridge and London 1980,11-25:1. Cennini and Alberti. Ackerman wird aller-
dings der Quattrocento-Farbgestaltung nicht gerecht, wenn er z.B. behauptet:
“... the work of Lorenzo Monaco, Fra Angelico, oftenMantegnaand Piero della
Francesca, and many other early Renaissance Italians seems to be a patchwork
of intense colors, each isolated from its neighbor and involved in a competition
that inevitably is won by those of higher value ...” (18). Einer genaueren Be-
62 Malerei und Theorie im Quattrocento
Anmut geben: ,,Et truovasi certa amicitia de’colori, che l’uno giunto con
l’altro li porgie dignità et gratia.“ 57
Unter den Farben dient Grau als Medium der Vermittlung, das somit in
einer wieder anderen Funktion erscheint.
So ist Mantegnas >Madonna della Vittoria< von 1496 im Louvre be-
stimmt von einer Vieifalt sehr gebrochener, zu Grau hin orientierter
Farben, die dadurch dem Graphischen der Binnenzeichnung sich annä-
hern. Innerhalb der Fülle grauverfestigter Tönungen fällt das homogene
Korallenrot, exzentrisch, rechts unten im Ärmel der knienden Alten ein-
gesetzt, doppelt ins Gewicht. An mehreren Stellen, in Helm und Lanze
des bärtigen Kriegers rechts, in der herabhängenden Koralle, wieder-
holt sich dieses Rot in kleineren Quantitäten. Als zweiter hellklingender
Buntwert tritt klares Sienagelb in der Turbanschleife derselben
knienden Figur hinzu. Wie oft bei Mantegna bilden Rot und Gelb den
stärksten Buntklang und sind zu einer besonderen Schönheitswirkung
emporgefiihrt. Das Bildzentrum aber ist von gebrochenen Farben be-
setzt: die Madonna erscheint in bräunlichem Karmin und dunklem
bläulich-olivfarbenem, golddurchädertem Mantel, vor der braunen
Folie des Thrones und dem durchbrochenen schwarzgrünen Lauben-
grund.
Im dichtgefügten Reliefraum entfaltet sich die Polyphonie der Linien
und der Farben, in spannungsvollem Bezug intensiver Buntwerte zu sub-
tilen Brechungen und Changeanttönen (etwa den zart von Rosa nach
Graugrün changierenden Farben im Schultertuch der erwähnten Alten),
überfangen auch hier von mittlerer Helle.
In „mittlerer Helligkeit“, der immer erneut variierten Lichtgestaltung
des Quattrocento, die nur entfernten Vergleich mit einer natürlichen
Lichtsituation zuläßt, erscheint auch Mantegnas um 1480 gemalter
hl. Sebastian des Louvre 60, in dünnem, sprödem, abstraktem Grisaille-
ton, ausblühend nach Hellbräunlich im Inkarnat, im Blattwerk nach
Grüngrau, nach Olivgrau in den Gebälkfragmenten, nach Braungrau im
Felsen. Grau, von einem Bläulichgrau gerade überhaucht, ist der
Himmel gegeben. Gerade in solch nahen, um Grau kreisenden Inter-
vallen entfaltet sich eine eigentümliche Gespanntheit, wie auch prä-
gnante Körperlichkeit mittels sehr geringer Helligkeitsdifferenzen ge-
wonnen wird! Exzentrisch auch hier der Buntfarbakzent: kräftiger Zinn-
ober, Weißgelb, ocker verschattet, Blaugrau in den ausschnitthaft als
Brustbilder auftauchenden Figuren unten rechts, in die Farbfigur einer
asymmetrischen Trias gebunden.
Bei Botticelli 61 (ca. 1444/45-1510), um nach Florenz zumckzukehren,
wahl, zum farbigen Aufbau, vor allem auch zum Verhältnis bunter und neutra-
lisierter Farben in ausgewählten Werken Botticellis. Pattillo erkannte als be-
stimmende Klänge die Farbpaare Blau-Orange oder Gelborange, Blau-Rot,
Rot-Griin, die im friihen 16. Jahrhundert durch Violett-Gelb bereichert werden.
62 FA: Biaiostocki,Spätmittelalter und beginnende Neuzeit, Prop.Kg.,Bd.7,
Taf.XLIV.
63 FA: Gemäldegalerie Berlin. Geschichte der Sammlung und ausgewählte
Meisterwerke. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Berlin 1985, 301.
Malerei und Theorie im Quattrocento 67
67 Helen Sacher, Die Ausdruckskraft der Farbe bei Filippino Lippi. (Zur
Kunstgeschichte des Auslandes, Heft 128) Straßburg 1929, 23.
68 FA: Laclotte, Louvre, II, 23.
70 Malerei und Theorie im Quattrocento
ein Hochrot des Beinkleids des hl. Julian, den Karmin seines Mantels,
das Karminrosa der Tunika des hl. Nikolaus und das Hellrosa seiner
feinen, durchsichtigen Albe, mithin in vier klar unterscheidbare, aber
enge Stufen; Griin erscheint als scharferTon im Mantelfutter Julians und
als warmer, dem Moosgriin naherTon im Mantel des hl. Nikolaus, also in
zwei Varianten. In solch bestimmter Trennung, geeint wiederum durch
das dunkle Grau des Grundes, kann jede einzelne Farbnuance in ihrer
Individualität empfunden werden.
Während der zweiten Jahrhunderthälfte wird auch Braun in seiner ein-
heitsstiftenden Kraft entdeckt. Schon die um 1470 entstandene >Verkün-
digung an Maria< von Piero del Pollajuolo (1441-1496) (Berlin, Gemäl-
degalerie) 69 wirkt als ein System aus Braunstufen, Schokoladenbraun,
Ocker, Olivbraun, Olivgriin bis hin zum Cremeton des Inkarnats. Aus
ihnen wird auch das Braunrot im Mantel Gabriels entlassen, entgegen
steht ihnen nur das feste Hellblau im Marienmantel und das Matthell-
blau des Himmelsausschnitts. Die Braunstufen rhythmisieren Bildtiefe
und Bildfläche und schließen den zentralperspektivisch fliehenden
Innenraum an die Figurenfarben an.
Bei Luca Signorellis (um 1445-1523) >Madonna mit dem Kind< (um
1495, Alte Pinakothek, München) 70 dient Braun der Körpermodellie-
rung und zugleich, zusammen mit Olivgrün, alsTräger „neutralisierter“
Partien, von denen die Hauptfigur gerahmt wird. Nur diese, die Ma-
donna, ist Buntfarbträger, mit bräunlichrotem Mantel, violettgrauem
Obergewand und gelben Ärmeln. Die Inkarnate von Maria und Kind
vollziehen schon den Übergang zu der in ihrem Buntgehalt reduzierten,
neutralisierten Landschaft, in der ein kaltbräunlicher, weißlich aufge-
hellter Umbraton die Gestalt des nackten Jiinglings mit Felsen und
Wegen verbindet. Als mittlerer Wert, als „Achse“ des Gleichgewichts
von Bunt- und neutralisierten Farben fungiert Olivgriin. Das Rasengriin
schließt nahezu tongleich an das Griin der Mantelinnenseite an, wird
dort „enharmonisch verwechselt“, indem es aus der Zone dunklerer
Farbdämpfung zur Lokalfarbigkeit hiniiberwechselt.
Wie bei Filippino Lippi und Botticelli fiihrt auch Signorellis Farb-
gestaltung neuartige Ausdrucksgehalte mit sich, und zwar sind es hier
gerade die Neutraltöne in ihren Helligkeiten und Dunkelheiten, die zu
Stimmungsträgern werden, so etwa die farbentleerte Himmelsfolie oder
das kalte Zinngrau des Bodens in Signorellis >Gekreuzigtem< der Uffi-
zien.
Piero di Cosimo (um 1462-1521) schließlich faßt in seiner >Darstel-
1 In: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, N.F. Bd. IX, 1932, 320
bis 338.
2 Tolnai, 1. c., 332.
Die altniederländische Malerei 73
réalité» de l’image dans la peinture flamande des XV e et XVI e siècles. In: Bul-
letin des Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique, 15,1966, fasc. 4, 225-242.
- Denis Coekelberghs, Les grisailles et le trompe-l’œil dans l’œuvre de Van Eyck
et de Van der Weyden. In: Mélanges d’Archéologie et d’Histoire de l’Art offerts
au Professeur Jacques Lavalleye, Louvain 1970, 21-34.
11 FA: Dhanens, VanEyck, 194u.ff. -Wilson, National Gallery London, 34.
Die altniederländische Malerei 79
ment zwischen den Farben. Er tut dies zusammen mit der reziproken
Finsternis, die zentral als Schwerpunkt wirkt und darin die Struktur des
Bildraumes mitbestimmt.
So besteht die farbgeschichtliche Leistung Jan van Eycks darin, daß er
das erste Stadium des Fielldunkels, wie es sich in der transalpinen Ma-
lerei des 14. Jahrhunderts herausgebildet hatte, „überwand“, „aufhob“
- nicht indem er es ausschloß, sondern im Gegenteil, indem er es total in
seine Wirklichkeitsdarstellung eingehen ließ, ja zur Basis dieser Wirk-
lichkeitsdarstellung machte. Was an ihr im Licht erscheint, wird zum
Glanz erhöht und verklärt, was immer sie an Schatten sichtbar macht, ist
nicht „privazione di lumi“ (um Albertis Terminologie aufzunehmen),
sondern gehört dem Tiefenwert der Finsternis zu, einem positiven Dun-
kelheitswert also.
Diese Polarität tritt an jedem dargestellten Ding bis hinab zum un-
scheinbarsten in Erscheinung: das Prinzip des Ganzen wiederholt, wi-
derspiegelt sich in jedem einzelnen. Auch die Farben griinden in dieser
Polarität. Das galt freilich auch schon für die Farbe der Malerei des
14. Jahrhunderts, bei Jan van Eyck aber kompliziert sich dieses Ver-
hältnis dadurch, daß seine Farbigkeit ja eine wirklichkeitsbezogene ge-
worden ist und - scheinbar - ihr Gesetz von dem „natürlichen“ Aus-
sehen der Dinge, den Besonderheiten ihrer Oberflächen empfängt.
Kehren wir zum >Hochzeitsbild des Giovanni ArnolfinU zuriick. Flier
versammeln sich die vollen Buntwerte in der Gewandung der Frau und
in ihrer Umgebung; ein gesättigtes, im Schattendunkel der Falten je-
doch fast erlöschendes Grün in ihrem Mantel, ein Rot von gleichem
Farbton in Bettdecke und Baldachin, etwas nach einem Schokoladenton
gebrochen inTuch und Kissen der rückwärtigen Bank, Lapislazuliblau in
den Ärmeln und in dem kleinen Stück Rock, das unter dem Mantel
sichtbar ist; dazu seidig schillerndes Weiß mit perlmuttrigen Schatten in
der Haube, gelblicheres Weiß in Pelzwerk und Mantelsäumen. Gelb
klingt nur indirekt an im Messington des Leuchters und im Lichtfaktor
des Inkarnats.
Diesem Farbkomplex rechts steht gegenüber Giovanni Arnolfini
links, der ganz in seine helldunkle Umgebung eingelassen ist. Seine Ge-
genstandsfarbe, das sehr tiefe Braunviolett seines Mantels und Pelz-
werks läßt zunächst nur die Dunkelheit wahrnehmen, nicht die Farbe.
Arnolfini ist dem beieuchtenden Licht abgewandt, und diese Licht-
abwendung bekundet sich in seiner Farbigkeit und Dunkelheit - jedoch
auch hier weit über alles „natürliche Maß“ hinaus. Antlitz und Hände
erscheinen wieder im beleuchtenden Licht.
Auch bei der Gestalt des Arnolfini könnte man fortfahren in der Un-
terscheidung der tiefvioletten Ärmel, dem pelzbraunen Besatz, der kad-
80 Die altniederländische Malerei
matten darauf, von Ochs und Esel - trotzdem ist die Annäherung dieser
Qualitäten wichtiger als ihre farbige Differenzierung; und in der
braunen Steinfarbe wird schon eine Verwandlung des motivisch Gege-
benen vollzogen.
Der Hintergrund ist wieder heller und farbiger, kleinflächig sind die
Buntfarben in der Stadt verteilt, ohne Raumverschattung. Das klare
Hellgmn der Wiese steht gegen die Dunkelheit der Stallwand. Ein tief-
blauer, zu einem Weißlichton irisierender Himmel bildet das zugleich
farbige und dunkle Gegengewicht zur Farbigkeit des Vordergrundes.
Der Helligkeits- und Dunkelheitsanteil ist in allenTafeln ungefähr der
gleiche, die ausgebreitetste schwebende Helligkeit findet sich jedoch im
rechten Flügel, der >Darbringung im TempeU. Im Gesamtaspekt aber
macht sich kaum ein Unterschied zwischen „Innen“ und „Außen“ be-
merkbar, bedingt durch die Entsprechung der Hell- und Dunkelpartien.
Die Entfärbung der Buntqualität in der Dunkelheit bewirkt Versinn-
lichung einer Raumsphäre. Das bildnerische Mittel hierfür ist die Neu-
tralisierung bestimmter Bildpartien, in erster Linie solcher, die nicht die
Hauptträger der Darsteliung bilden.
Mit solcher stärkeren Trennung der Helldunkel- und Farbzonen wird
bei Rogier van der Weyden auch die Wiederaufnahme des Goldgrundes
möglich, ein für die niederländische Malerei des 15. Jahrhunderts sonst
seltenes Phänomen. Als Beispiel sei auf Rogiers >Madonna mit vier Hei-
ligen< des Frankfurter Städel (der sog. >Medici-Madonna< 20, um 1450 ge-
malt) hingewiesen: vor dem Goldgrund, von ihm strikt getrennt durch
das Weiß des Zeltes und der Engel, setzt die Helldunkelgestaltung ein.
Dunkel vertieft sich das Innere des Zeltes, von Dunkelheit erfiillt sind
hier auch die Figurenfarben, schon infolge der spezifischen Dunkelheit
der gewähltenTöne: Oliv, Grauviolett, Karmin, Braun, tiefes Blau, sehr
tiefes Grauviolett. Da sie in ihrem Lichtwert mit der Lichtkraft des
Goldgrundes nicht konkurrieren können, stellen sich die Farben hier auf
die Seite der Dunkelheit.
Dieric Bouts (um 1415-1475), Repräsentant einer „nordniederländi-
schen“ Malerei, führt das Helldunkel zu neuen atmosphärischen Wir-
kungen, nuanciert den Bereich der Neutralfarben, schafft neue Bezüge
zwischen diesen und den Buntfarben, setzt die Buntwerte gemäß ihren
spezifischen Helligkeiten und Dunkelheiten in die Helldunkelkomposi-
tion ein, - all dies im Unterschied zu Rogier van der Weyden.
Dieric Bouts’ in den fiinfziger Jahren des 15. Jahrhunderts gemalte
>Gefangennahme Christu in der Münchner Alten Pinakothek 21 zeigt
fläche der Chorschranke wohl tiefe Folie für Petrus und die Figuren-
gruppen links und rechts, aber keine „neutralisierte“, sondern eine als
wirklich „hölzern“ dargestellte Wand ist zu erkennen. Eine zweite ausge-
breitete Braunfläche bildet das Gewölbe-Innere, von kälterem, olivtoni-
gem Braun, gleichfalls nach rechts sich minimal erhellend; dazwischen
das Beigegrau und Grau der Chorschlußwand, mit dem lichten Flim-
melsblau hinter den Butzenscheiben.
Trotz solch äußerster farbiger Differenzierung der Braun- und Grau-
werte - oder gerade deshalb - überwiegt das luminaristische Element.
Raumwirkung entsteht durch Entgegensetzung der Dunkelkomponente
im Braun zur Hellkomponente im Beigegrau, nicht durch den Kontrast
der beiden Farben als solcher - im Grunde ist dies bereits das Prinzip der
niederländischen Architekturmalerei des 17. Jahrhunderts.
Der Boden erscheint lehmfarben, mit kaltbraunen Quadrat-Fliesen,
rotbrauner Grabplatte: es wird hier zuviel Lokalfarbigkeit beibehalten,
um als „neutralisierte Partie“ wirken zu können. Die bei Rogier farbig
zusammengefaßten Bildstellen werden vom holländischen Maler in
ihrer farbigen Eigenart belassen.
Gebrochen dagegen erscheinen andererseits die Buntwerte der Figu-
rengewänder, in einer kaum erfaßbaren Vielfalt: Petrus in der Mitte zeigt
den unauffälligsten Ton, ein stumpfes, im Licht gelbliches Olivgriin,
Christus daneben ein farbiges, etwas bläuliches, in den Schatten zu Rot-
bräunlich neigendes Grau. DieserTon wiederholt sich nicht, bildet aber
einen minimalen Kontrast zum tiefen Graublau im Obergewand der
Frau ganz links, mit dem es sich „reiben“ würde, stünden nicht Weiß und
Grün dazwischen.
Rot ist neben Weiß die häufigste Farbe, aufgespalten in viele Nuan-
cen, und hierin über Bouts hinausgehend. In größter Fläche, als „flüs-
siger“, zwischen hellbräunlich gebrochenem und stumpf bläulichem
Lachsrot stehender Wert erscheint es in der Knienden vorne links, in
kleinen Flächen kräftigen Rots im Brokatgewand der Frau ganz links,
und, in kleinster Fläche, im Mann vor der Säule, als Orangezinnober
im sich wegwendenden Alten, als Lachsrot in dcr Kopfbedeckung der
Rückenfigur rechts vorne.
Damit sind aber nur die wichtigsten Farben benannt.
Mit dieser Mannigfaltigkeit von Tönen gleicht Aelbert van Ouwater
Bunt- und Neutralwerte einander an, bindet sie zugleich an die Bildgegen-
stände und läßt Raum in vorher ungekannter Weise aus ihnen entstehen.
Hugo van der Goes’ (1440/45-1482) >Anbetung der Könige< (Mont-
forte-Altar, entstanden um 1470, Gemäldegalerie Berlin) 25 ist erfüllt
Blau, Moosgrün, Karminrosa, Rot, totes Grau, Weiß sind die Haupt-
farben der Figuren. An die Stelle von Farbtmbung tritt hier die Auszeh-
rung, Weißbrechung vor allem von Blau und Karmin.
Das Schmerzhafte, „Pathologische“ findet Ausdruck in den nahen In-
tervallen von Kobaltblau im Gewand Mariä und dem kalten Blaugrau in
der Bettdecke. In der oberen Bildhälfte herrscht das kalte Schiefergrau
der Folie, abgesetzt mit hellblauem Rand vom schwefelgelben Schein
der Glorie, in der dann noch Hellblau und Karmin, in der Gewandung
Christi, gegeben sind. Reines Gelb fehlt im ganzen Bild.
Die Neutralisierung des Vordergrunds hält ihn in Distanz, während
die Buntfarben nach vorne drängen.
Viel stärker als die rückwärtigen Figuren werden die beiden vorderen
Apostel von links her aufgehellt. Christi Glorie sendet kein Licht aus,
Christus selbst erscheint wiederum von links beleuchtet. Solch mehrfach
gespaltene Lichtquelle dient ebenso der Ausdruckssteigerung wie die
Spaltung des farbigen Bildraums.
Wie im fiorentinischen Quattrocento, bei Botticelli und Filippino
Lippi, findet so auch die niederländische Malerei im fortgeschrittenen
15. Jahrhundert den Weg zu einer Anspannung der farbigen Ausdrucks-
werte.
Mit der Ausweitung und Vertiefung der Landschaft erhalten bei
Geertgen tot SintJans (1460/65 bis vor 1495) auch die gebrochenen, halb-
neutralen Farben einen größeren Anteil, eine neue Funktion im Bild-
ganzen. Sie verdichten die tiefenräumliche Erstreckung in schwebende
Farbflächenkompartimente und bestimmen in einem weiteren Umfang
als je zuvor das „Niveau“ der Buntfarben. Von Ouwater konnte er die
Angleichung von Bunt- und Neutralfarben übernehmen, doch er bildet
daraus neue Beziehungen, erzielt andere Näherungen an die sichtbare
Wirklichkeit.
In seiner Darstellung der >Geschichte der Reliquien des hl. Johannes
des Täufers< (entstanden um 1485, Wien, Kunsthistorisches Museum) 29
sind die Felsen, die Architektur und die Wege in Sandbraun und Sand-
gelb, durchschossen vom Rötlichcreme der Sarkophage, die Zonen der
Vegetation in einen einheitlichen Olivton zusammengefaßt. Atmosphä-
rische Raumwirkungen treten zurück zugunsten eines lockeren Gleich-
gewichts von Hellflächen. Das Maß der Helligkeit aber wird bestimmt
von der Weiße des Horizontlichts, von ihm aus entfalten sich subtile
Senkungen ins Dunklere. Jede, selbst die zarteste Farbe erscheint ja
„dunkler“ gegen dieses Weiß. Das Weiß der Oberflächen, in den Ge-
verschollenen Werk des Hugo van der Goes 36, zeigt auf andere Weise
Veränderungen und Verfeinerungen der Farbgestaltung im ausgehenden
Jahrhundert.
Verglichen mit Hugo van der Goes sind die Buntwerte „stiller“, heller
und stärker gebrochen, heller auch die ausgebreiteten „neutralisierten
Zonen“. Diese Helligkeit erscheint motiviert durch einen höheren Grad
an Beleuchtungswirkung, einen Lichteinfall von links, ablesbar an aus-
geprägteren Schlagschatten.
Im Vordergrund sind Buntfarben im Licht von Verschattung abge-
hoben, im davon scharf gebannten Mittelgrund wird Buntfarbigkeit ge-
opfert und der Helldunkelkontrast mit einem Ruck verringert, so daß
dieser Mittelgrund mit seinem Platz und dem Gefolge der Könige darauf
einheitlich beleuchtet, wie durch dunstiges Sonnenlicht gesehen wirkt.
Sehr charakteristisch für die neue Sensibilität Helligkeitsphänomenen
gegenüber steht die hellrote Mütze des Mannes hinter dem Torbogen,
also noch der Vordergrundsgruppe des Gefolges angehörend, als Farbe
gegen die Helligkeit des Mittelgrundes; der Himmel ist wieder etwas
dunkler gehalten, auch dies trägt zur Erhellung der Mittelzone bei.
Stallruine und Fußboden bilden einen sandbräunlichen mittelhellen
Komplex, der die Farben des Strohdachs, von Mauer, Ochs und Esel,
auch des Stützbalkens rechts einander annähert. Das gelbe Strohbün-
del, der weißgelbliche Mantel Josephs heben sich davor in kleinen,
durch gemeinsame Schattentmbungen geeinten Intervallen ab, in
großen die kostbaren Farbtöne des Stahlblaus im Marienmantel und des
leicht davon abweichenden Grauvioletts des Josephsgewandes; vermit-
telnd wirkt sein Karminrosa im Mantel.
Über das „Gesetz der kleinsten Intervalle“ schrieb Eberhard von Boden-
hausen in seinem Buch „Gerard David und seine Schule“, das eine der er-
sten genauen Untersuchungen zur Koloritgeschichte enthält: „Zu beson-
derer und selbständiger Einheitsbedeutung aber entwickelt sich dieses
Prinzip in der Kunst Davids; es ist auf diesem Wege zu einer Wirkung kolori-
stischer Einheit und Kraft gelangt, die in der ganzen Epoche allein steht,
und die seinem Streben nach Weiterführung und Ausgestaltung der überlie-
ferten Kunstmöglichkeiten ein glänzendes Zeugnis ausstellt. Die Abstu-
fung der Farbe in sich hatte im Rahmen der holländischenTradition zu einer
besonderen Behandlung derblaugrauen, grauvioletten, reinviolettenTöne
geführt.. ,“ 37,zu derauchDavideinenwichtigenBeitragleistete,inWerken
wie etwa der im Frankfurter Städel aufbewahrten > Verkiindigung an Maria<.
36 Vgl. dazu: Karl Arndt, Gerard Davids >Anbetung der Könige< nach Hugo
van der Goes. In: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst, Dritte Folge,
Bd.XII, 1961, 153-175, bes. 169.
37 E. von Bodenhausen, Gerard David und seine Schule, München 1905, 64.
DEUTSCHE MALEREI DES 15. JAHRHUNDERTS
Gelangen damit die Farben nicht zur vollen Buntkraft, so bleibt ihnen
auch die Intensität des Leuchtens verwehrt. Bei der Innenseite dieses
Flügels, mit der >Anbetung der Könige< (ebenfalls Berlin, Gemälde-
galerie), herrscht der (nicht ornamentierte) Goldgrund als Lichtfläche.
Die Farben erheben sich zu keiner irgendwie vergleichbaren Lichthöhe,
sie bleiben unterschwellig-dumpf, legen sich aber in aller Gedämpftheit
zu klar unterscheidbaren Buntwerten auseinander, die aber sämtlich
eigenartig körperlos, schwebend, entrückt wirken.
Auch die Farbigkeit bei Stephan Lochner (um 1410-1451) ist noch
durchaus den Prinzipien des späten 14. Jahrhunderts verbunden.
Auf dem Flügel des um 1440/45 entstandenen Weltgerichtsaltars mit
den hll. Antonius der Eremit, Cornelius und Maria Magdalena (Alte
Pinakothek München) entwickelt er die Figuren aus dem (ursprünglich
bläulichen) Raumdunkel, das jedoch nicht auf den rückwärtigenTeil be-
schränkt bleibt, sondern überall im Bilde sich geltend macht, auch im er-
hellten Vordergrund: so kniet die Stifterfigur in ihrer eigenen Dunkel-
sphäre, wendet sich einer Schattentiefe zu, die sich raumlogisch mit der
Helligkeit der Bodenfläche nicht verbinden läßt. Erst tiefer im Bilde
trübt sich auch diese Helligkeit zum Dunkel des Grundes.
Diese umfangende, raumkonstituierende, lockere Dunkelheit (wie
„flach“ wirkt demgegenüber der „Flechtraum“ Meister Franckes) läßt
Licht wie als „Selbsterhellung“ des Raumdunkels erscheinen. Indem es
wird, nimmt das Licht Farbe an - während Dunkelheit nicht zur Farbe
gelangt. In solcher Lichtwerdung aus der Dunkelheit gewinnen die
Farben eine eigene Leuchtkraft, im Unterschied etwa zur Farberschei-
nung beim Meister der Darmstädter Passion. Was Lochners Farben aber
von den niederländischen unterscheidet, ist ihre Lockerheit, fastTrans-
parenz, die sich nie zur Oberflächenschließung verdichtet, bedingt auch
durch die Besonderheit der Lochnerschen Modellierung, bei der Licht
stellenweise der plastischen Form entgegen wirkt, Lichtgrate gerade an
den Konturen von Körperformen sich bilden, diese so in Lichtsilhouet-
ten verwandelnd. Dennoch sucht Lochner auch Anschluß an die sicht-
bare Wirklichkeit: Schlagschatten fallen nach der Bildtiefe zu und lassen
Licht partiell als Beleuchtungslicht erscheinen. Zwei Lichtqualitäten be-
gegnen sich: ein als Beleuchtung motivierter Lichteinfall von vorne und
der aus dem Inneren der Gestalten dringende Lichtschein.
In Lochners um 1440 gemaltem Altar der Kölner Stadtpatrone, dem
>Dreikönigsaltar< (Kölner Dom) 3 hinterfängt Goldgrund die Darstel-
lung - wie auch auf anderen seiner Tafeln. Was zunächst spricht, sind Sil-
houetten im Glanzraum des Goldgrundes, als zweites die am Gegen-
ständlichen haftenden Helligkeiten. Ein „Silhouettendunkel“ erfüllt die
ganze rückwärtige Figurenreihe, auch die Fahnen (in denen sich vor dem
Goldgrund Bräunlichrot und mittelhelles Blau zur Helligkeit durch-
dringen), dringt von dort nach unten: auch der dumpfolivbraune Boden
erscheint noch „überdunkelt“, und so auch die Gewänder der Könige:
das tiefe, bräunliche, goldgemusterte Karmin des linken, das mildhelle,
zu gelblichen Mustern fast changierend wechselnde Grün des rechten,
zusammengestellt mit einem etwas bläulicheren Karminton. Dies Grün
leitet über zur Dunkelheits„mulde“ der Bildmitte, aus der sich das Blau
der Madonnengewandung erhebt. Grün und Rot, der farbige Haupt-
klang des Mittelbildes, sind auch die ausgeprägtesten Buntwerte des
linken Flügels und kehren wieder, um ein helleres Blau vermehrt, im
rechten Flügel. Zwischen ihnen aber blühen im figural gebundenen
Dunkel kostbarste und vielfältig variierte, „fluktuierende“ Helligkeits-
und Farbnuancen auf.
Die letzte Stufe Fochnerscher Farbgestaltung wird faßbar in seiner
1447 datierten >Darbringung im TempeU (Darmstadt, Hessisches Fan-
desmuseum) 4. Charakteristisch bleibt auch hier der Schwebezustand
der Farben, zurückgenommen aber ist nun die Bilddunkelheit. Die
Farben gipfeln im hellen lichten Blau - das von ferne noch an das lichte
Blau des französischen Wilton Diptychons von etwa 1400 (in der Na-
tional Gallery, London) 5 erinnern kann, aber reicher sich differenziert
nach Farbton, -intensität und -helligkeit -, sonst finden sich nur ,,er-
leuchtete“, hochgestimmte Farben. Die schwebende „Farbscheibe“ des
Mantelbauschs Mariens läßt nochmals das, freilich aus dem Dunkel glü-
hende, Schweben des Christusmantels in der sechzig Jahre älterenTafel
des Meisters von Wittingau anklingen. Der nun vergegenständlichte
Goldgrund dringt noch durch das braune Priestergewand.
Lochners Tafel von 1447 repräsentiert beispielhaft das Ende des ,,wei-
chen Stils“, als letzte Möglichkeit malerischer Darstellung auf der in sich
noch nicht geschlossenen, zur Fläche als Substrat vollkommen verdich-
teten Bildebene.
Als dann, im Gefolge der epochalen italienischen und niederländi-
schen Neuerungen der Raum- und Gegenstandsdarstellung, etwa zu Be-
ginn des zweiten Drittels des 15. Jahrhunderts, langsam auch in der deut-
schen Malerei die Fläche sich zu konsolidieren beginnt, ergibt sich eine
neue und eigentümliche Situation.
Denn nun verwandelt sich der Bildraum des 14. Jahrhunderts nicht in
einen mit dem projizierten „Illusionsraum“ kompatiblen Bildraum wie
in der italienischen und niederländischen Malerei, sondern in einen mit
der neuzeitlichen Seherfahrung nur schwer vereinbaren. „Die Deut-
schen haben sich nie das neue Ideal der vollkommenen malerischen Illu-
sion ganz zu eigen machen können.“ „Es fehlt (hier) jene lückenlose
Geschlossenheit und Kontinuität des Anschauungszusammenhangs, auf
deren deskriptiver Treue die Überzeugungskraft westlicher Illusion be-
ruht (das auffallendste Symptom: vielfache Beibehaltung des Gold-
grundes trotz ganz naturalistischer Landschaftsdarstellung!).“
Otto Pächt, der diese Feststellungen traf, beschrieb den in der deut-
schen Malerei wirksamen Vorstellungsmodus als „suggestive Illusion“,
bei der es darauf ankommt, daß der Betrachter sich in die spezifische
Dynamik des Bildgeschehens „hineinversetzt“. „Wir sollen nicht nur zu-
schauen, sondern uns auch in die Lage der Mitspieler einer Szene ver-
setzen können, mit ihren Augen sehen lernen. Ein deutsches Bild ist
immer zugleich von zwei Standpunkten erschaut und verlangt daher von
uns, um richtig gesehen und verstanden zu werden, ein ständiges Hin-
überwechseln von der einen in die andere Position. Die optische Sensa-
tion ist nur einTeil des künstlerischen Erlebnisses, dariiber hinaus sollen
wir uns in den dargestellten Zustand oder das wiedergegebene Ge-
schehen selbst noch hineinversetzen, uns in sie einfühlen können.“ „Da-
vorstehen und Drinnensein, Schauen und Innehaben, die Vereinigung
dieser Haltungen bleibt der stete Anspruch, den die deutschen Maler an
sich und an die Betrachter ihrer Werke stellen.“ 6
Die Mittel dazu werden mit einer Raumkonstitution geschaffen, die
durch die Intensität der Tiefenlinien den Betrachter in die Bildwelt hin-
einzieht. Es fehlt somit das reine Gegenüber von Bildwelt und Be-
trachter, das für das niederländische „Nahbild“ wie für das italienische
„Fernbild“ so charakteristisch ist. Die Bildwelt des deutschen Werkes
öffnet sich nicht dem Auge, sondern das Auge öffnet die Bildwelt, schafft
sich eine Bahn, der es, dank der Eigeninitiative des Bildgeriists, auch
folgen muß, um von innen aus die Darstellung erst miterleben zu können.
Einer derartigen Bildwelt gehört die Lokalfarbe 7 zu. Auch sie ist als
6 Otto Pächt, Die historische Aufgabe Michael Pachers (zuerst in: Kunstwis-
senschaftliche Forschungen, I, Berlin 1931, 95-132). Zur deutschen Bildauffas-
sung der Spätgotik und Renaissance (zuerst in: Wiener kunstwissenschaftliche
Blätter, Alte und Neue Kunst, 1. Jg., 1952, 2. Heft, 70-78). Beide Aufsätze wie-
derabgedruckt in: Otto Pächt, Methodisches zur kunsthistorischen Praxis.
Zitate hier auf den S. 67, 70, 72,117/118,119.
7 Zur Lokalfarbe vgl. auch Strauss, Koloritgeschichtliche Untersuchungen,
insbes. 261 ff.
100 Deutsche Malerei des 15. Jahrhunderts
„nicht einfach ein Landschaftsprospekt gegeben ..., die Situation ist zu-
gleich noch vom Standort des durchs Wasser watenden und unter der
Last immer tiefer einsinkenden Riesen erlebt und gestaltet: Wir tasten
uns mit den Wellenkreisen, die von dem Riesen als Zentrum ausgehen,
nach allen Seiten in die Weite des Raums hinein.“ Witz faßt auch den
„leeren Raum, das Vakuum, wenn auch nicht als etwas Greifbares, so
doch als etwas aktiv zu Formendes“ 11.
Vor allem aber sprengt er die „Kontinuität des Anschauungszusam-
menhangs“ durch scharfe Entgegensetzung von oberflächennahen Figu-
renfarben und Goldgrund.
In der Tafel mit >Esther vor Ahasver< vom Fleilsspiegelalter (ent-
standen um 1435, Basel, Öffentliche Kunstsammlung) 12 geht die bildbe-
stimmende Wirkung noch immer vom Glanz des Goldgrundes aus - ob-
gleich dieser zu einem auf der Querstange aufgehängten Brokatvorhang
sich vergegenständlicht hat. Aber das Licht auf den Figuren und Kissen
vor ihm ist nicht mehr sein Licht. Dieses Licht, ein „irdisches Licht“,
wird vielmehr erzeugt von der Eigenhelle der Gegenstandsfarben, dem
Karmin des Ahasver, zu Rosa erhöht in den „beleuchteten“ Partien,
dem Lindgrün der Esther, das auch in den Lichtbezirken ausgeprägten
Buntwert zeigt. In ihren „Schatten“lagen aber schlägt die Farbe, auch im
Kontrast zum Glanz der goldenen Folie, in eine Silhouettendunkelheit
um, die fast den Eindruck erweckt, als läge hier eine Dunkel-„Enklave“
im Eyckschen Sinne vor - wo doch ein Dunkelheitszentrum wie in der
niederländischen Malerei gerade fehlt: die Bodenfläche vertieft sich
zwar zur Dunkelheit, in der alle Buntheit erlischt, die Goldfolie aber
macht eine Vereinheitlichung des Dunkels unmöglich.
Joachim undAnna an der Goldenen Pforte<, dieTafel eines um 1440/
1445 entstandenen Marienaltars (Basel, Öffentliche Kunstsammlung) 13
steigert noch die Kontrastik der doppelten Lichtquelle. Die Ornamentik
des Goldgrundes tritt zurück, so eignet ihm ein höherer Grad von Ab-
straktheit. Ihm steht entgegen ein scharfer Lichteinfall von rechts vorne,
der prägnante Schlagschatten zeichnet vor allem vom Torbalken und
- wie bei der Außenseite des Genter Altars - rechts vorne von einem
realen Rahmenstück. Diesem Licht öffnen sich die neutralen Farben,
das helle Grau und Braun der Architektur, bereitwilliger als die bunten,
die auf die Gewänder sich konzentrieren: grelles, scharfes Griin, dunkel-
seegriin mit Blauspuren in den Schatten, gelblich in den Lichtern, im
Gewand der Anna, bräunliches Rot im Mantel Joachims mit weißlichen
14 Emil Maurer, Konrad Witz und die niederländische Malerei (zuerst er-
schienen in der Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte,
Bd.18, 1958, 158-166), wiederabgedruckt in: Maurer, 15 Aufsätze zur Ge-
schichte der Malerei, Basel-Boston-Stuttgart 1982, 45-63, Zitat hier auf S. 53.
15 FA: Gantner, KonradWitz,Taf. 45.
Deutsche Malerei des 15. Jahrhunderts 103
derts zutage, als mit der niederländischen Rezeption die deutsche Ma-
lerei sich bewußt an die westliche Bildform anlehnt.
Diese Lokalfarbe der spätgotischen deutschen Malerei zeigt einen
Exzeß an Buntfarbigkeit, nicht nur weil das Gegenständliche (die far-
bige Oberfläche der Dinge als solche) mit besonderer Eindringlichkeit
zu Wort kommen soll, sondern weil die noch nicht (wie in der niederlän-
dischen Malerei) im Helldunkel aufgehende Farbe und auch nicht die in
ihrem struktiven Wert (wie in der italienischen Malerei) erkannte, verab-
solutierte Farbe des Mittelalters hier in eine schon nicht mehr mittel-
alterliche Bildvorstellung hiniibergenommen, den Dingen „aufge-
zwungen“ wird. Dies bedingt eine gewaltsame Einschränkung ihres im
hohen Mittelalter noch rein erhaltenen Eigenwerts. In ihrer immer noch
intakten Reinheit bezieht sie sich letzen Endes nur „notgedrungen“ auf
die Dinge als ihre Träger. In Wahrheit löst sie diese noch inrmer aus aller
umweltlichen Bezogenheit heraus. Da aber die Form schon viel eher auf
das „Bedingte“ der Erscheinungen Bezug nimmt als die Farbe, und zu-
gleich Farbe zu ihrer vollen Veranschaulichung „braucht“, zieht sie die
Farbe gleichsam zu sich heran, lenkt sie von ihrer Tendenz zum Abso-
luten hin ab. So entsteht eine Spannung in der Farbenerscheinung
selbst, die nicht wenig zu ihrer hohen Eindringlichkeit beiträgt.
Die gleiche Spannung teilt sich auch dem Gesamtbild eines spätgoti-
schen Gemäldes mit: die höchstgesteigerte Farbe haftet fest an den
Dingen - ihr „Haften“ wird auch durch die „Armatur“ der Linienzeich-
nung verstärkt - andererseits zielt ihre „Intention“ auf möglichst deut-
liche Herausstellung ihres Eigenwerts: sie drängt auf die Ebene der
reinen Farbigkeit hin, auf einen Farbplan für sich, der, kraft der Inten-
sität der einzelnen Farbglieder (aus welchen er sich zusammensetzt),
von der Darstellung unabhängig, vorne im Bilde zu liegen scheint, es wie
ein Schild nach außen abschirmend, undurchdringlich, starr, in sich ver-
kapselt.
Raum- und Flächenkomposition der spätgotischen deutschen Malerei
werden dadurch vom lokalfarbigen Kolorit wesentlich mitbestimmt.
Ernst Strauss stellte in seinen koloritgeschichtlichen Untersuchungen
dieses Zeitraumes dazu fest: „Die farbige Flächenkomposition der spät-
gotischen Malerei ist in der Weise konzipiert, daß sie grundsätzlich zu
dem rahmenden Gefüge im Gegensatz steht, sei es durch eine übermä-
ßige Betonung der Farben auch am Bildrande, sei es durch neutrale oder
unbestimmte Randfarben (grau, gold), die Bildgrenzen negiert. Inner-
halb der Bildflächen herrscht gemäß der Figuren eine Ungleichmäßig-
keit im Verhältnis der farbigen zu den unfarbigen Komplexen, die ihrer-
seits wieder in keinem notwendigen Verhältnis zu den Proportionen des
gegebenen Bildfeldes stehen.“
106 Deutsche Malerei des 15. Jahrhunderts
Was hier „via negationis“ beschrieben ist, das gerade ist Ermögli-
chung der in der „suggestiven Illusion“ griindenden deutschen Bildvor-
stellung. Ihr dient auch die Farbenskala der spätgotischen Malerei.
Dazu wiederum Strauss: „Bei der Beschränkung auf die Wiedergabe des
Elementaren der Farberscheinung ist es klar, daß auch die Zahl der iiber-
haupt zur Darstellung gelangenden Farben, verglichen mit dem differen-
zierten Reichtum der Skala in späterer Malerei, begrenzt erscheint. Da
aber in irgendeiner Weise alle Grundfarben zur Sprache kommen, so
miissen diese selbst unter sich im wesentlichen große Kontraste bilden:
die Skala der Farbe ist eine weite.
Durch die Zusammenstellung der Farben in vorherrschend großen
Intervallen besitzt auch der einzelne Farbenkomplex, ebenso wie die
einzelne Farbe, eine besondere Auffälligkeit innerhalb der farbigen Ge-
samtstruktur, da mit der Differenz zweier oder mehrerer Farben die
Selbständigkeit der einzelnen sich steigert. Der Eigenwert der Einzel-
farbe bleibt auch in der Paarung schon durch die Betonung der Kontur in
hohem Maße gewahrt.
Das Prinzip der Isolierung und Festlegung auf eine bestimmte Bild-
stelle, welches schon fiir die einzelne Farbe gilt, herrscht in ganz gleicher
Weise auch bei dem einzelnen Farbkontrast. Dieser erscheint nur inner-
halb des durch seine Grenzen vorgeschriebenen Gebietes wirksam und
soll nicht dadurch, daß die ergänzende Farbe erst in mehr oder minder
entfernten Teilen des Bildfeldes zu ihm in Beziehung gebracht wird, die
farbige Bildstruktur vereinheitlichen ...“
Als Folge für die farbige Raumstruktur ergibt sich: „Wenn die Begren-
zungen dieses Raumes keine abschließende Kraft besitzen, wenn die Ge-
gensätze der Farbe noch mit einer solchen Eindringlichkeit zur Wirkung
kommen, daß jedes einzelne Intervall das seinem Kontrastgrade ent-
sprechende räumliche Verhältnis für sich allein schafft, ohne sich um die
gesamte Raumwirkung zu kümmern, wenn nur einzelne Schichten des
Raumes eine Tiefenvorstellung erwecken, dann kann von einer Raum-
kontinuität im lokalfarbigen Stil nicht die Rede sein“. 19
„Raumkontinuität“, sei es im Sinne des reliefmäßig italienischen oder
des nahsichtig-helldunklen niederländischen Bildraumes, darf gerade
dort nicht entstehen, wo die Intention auf eine „Vereinigung von
Schauen und Innehaben“ geht.
Exemplarisch läßt Hans Pleydenwurjfs (um 1420-1472) >Auferstehung
iiberlagert und mit ihr in Spannung gerät. Nicht selten eignet der „inner-
sten“ Form die höchste Farbintensität, wie hier das Gelb der Mantel-
innenseite in der Mitte der rechten Gruppe. Solche Spannungsbeztige
sind nur eine andere Ausprägung der dynamischen Struktur des spät-
gotischen deutschen Bildes.
Nicht eigentlich „Abstände“ bilden sich zwischen den Figuren, son-
dern Gruppenunterteilungen. In einem ähnlich irrealen Verhältnis
stehen die Gruppen zum Goldgrund, steht derTempel zum Goldgrund.
Durchbrochen wird so die „Kontinuität des Anschauungszusammen-
hanges“ (Pächt), im stärksten Gegensatz zur niederländischen Malerei,
die doch auch hier als Vorbild diente.
Gesteigert ist nun auch der Konflikt zwischen Glanz- und Ober-
flächenfarbe. Denn nicht mehr in Lochnerschen Lichtschein sind hier
die Farben gegeben, sondern als feste, eben als Lokalfarben. Weniger
der Goldton, der sich, je nach Standort des Betrachters, dem Gelb, bis-
weilen auch einem Grünlichton annähern kann, trennt den Goldgrund
von den Figurenfarben, als die farbige Erscheinungsweise. Seiner
Glanzwirkung setzen sie ihre Bunt- und darin einbeschlossene Licht-
kraft entgegen.
Auf unterschiedliche Weise suchten die spätgotischen Maler im voran-
schreitenden 15. Jahrhundert die Spannungen und Widerspriiche der
Lokalfarbigkeit zu mildern, ohne doch ihrer das Bild als Kräftefeld be-
greifenden Kunstauffassung untreu zu werden.
Der „Meister des Bartholomäus-Altares“ (tätig in Köln im letzten
Viertel des 15. und im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts) verwandelt
in dem Altarwerk, nach dem er benannt wurde (Miinchen, Alte Pinako-
thek) 23, den Goldgrund in einen kostbaren Brokatstoff, zieht ihn etwas
nach unten, so daß nun über ihm, in zart blaugrauen Tönen vor weiß-
bläulichem Himmel, eine Fernlandschaft erscheinen kann. Die Figuren
vor ihm, in subtil gebrochenenTönen, mit vielem kiihlem Blau, bleiben
in ihrer die Aufgabe der Modellierung iiberschreitenden Dunkelzone
einbeschlossen, werfen aber bräunliche Schatten auf das Gold des bro-
katierten, gleichwohl abstrakten, nicht etwa als Vorhang ausgespannten
Goldgrundes. Wurde den Farben auf derTafel des „Meisters des Marien-
lebens“ mit dem Goldgrund die Bezugsfläche entzogen - wie den Flucht-
linien des Tempelinneren der Horizont - so schafft der „Meister des Bar-
tholomäus-Altars“ ein komplexeres Gefiige: das Licht, das die Figuren
beleuchtet, scheint auch in die Fernlandschaft zu wirken. Aber noch
steht aus sich strahlendes Gold dazwischen.
Gestaltung. Seine Idee des Plastischen überträgt er auch auf die Farbge-
staltung seiner Gemälde. Pachers Altar in St. Wolfgang vermittelt den
Eindruck, „als ob die Figuren nicht als plastische Massen in den Hohl-
raum des Schreins hineingestellt, sondern aus einer den Schrein erfül-
lenden Gesamtmasse durch Herausschneiden besonderer Substanzver-
dichtungen an bestimmten Stellen und dementsprechendes Freilassen
von Leerräumen in den angrenzenden Partien gewonnen worden seien.
Als hätte eine ungleiche Massenverteilung stattgefunden, in deren Ver-
lauf substanzielle Kraftströme sich zu körperlichen Wesen verfestigt
hätten, und die Zonen tiefschattenden Freiraums, die wir vor allem über
den Gestalten und an ihren Rändern sehen, die wären die klaffenden
Risse, in denen dieser Prozeß das Kontinuum des Schreingewebes
durchbrochen hätte“ (Otto Pächt) 26.
In Pachers um 1480 gemaltem Kirchenväteraltar (München, Alte Pina-
kothek) 27 „gipfelt dieTiroler Idee des Altars als Schaubühne“ (Pächt) 28,
freilich nun als gemaltes „Scheingebäude“. Nicht mehr die Lokalfarbe
als etwas „Abgeformtes“ herrscht hier, sondern die einem „Beleuch-
tungslicht“ unterworfene Farbe, wobei aber dies Beleuchtungslicht
selbst etwas vom Charakter des Lokalfarbigen übernimmt. Es arbeitet
entschieden den plastischen Gehalt heraus, wird darin aber selbst ,,pla-
stisch“, zeichnet scharf begrenzte Lichtkomplexe und Schatten, die zu
eigenwertigen Formgebilden werden. Der scharfkantigen Marmorie-
rung im Sockel des mittleren Pfeilers entspricht unmittelbar die Schat-
tenform darüber. Alles Verdämmernde, seinen Grenzen nach unbe-
stimmbar im Raume Flutende fehlt. Überall dominiert Facettierung,
partielle Flächenschichtung.
Das trocken-stumpfe, nicht ausstrahlende Licht, die transparenten
Schatten lassen eine Erinnerung an Mantegna aufkommen. Von ihm
unterscheidet sich Pacher durch das splittrige Gefüge der Halbschatten-
flächen. Die Schichtung aus flächigen Farb- und Schattenzonen hebt die
scharfen Formverkürzungen (des Löwen etwa) in sich auf.
Die Flügelszene mit dem >111. Sigisbertus, dem ein Engel mit dem
Herzen des hl. Augustinus erscheinU 29 macht sichtbar, wie die komplex-
hafte Verschränkung der Bilddinge untereinander, von „Bildmuster“
und Bildgrund, auch die Farbengebung ergreift. Alle Farben sind gebro-
mulden wie das Stahlblau rechts davon; nur bei Nahsicht zeigt sich, daß
die Farbqualitäten doch noch geschieden sind. Ähnliche Helldunkel-
„herde“ finden sich im Faltenwurf des Marienmantels, vor allem in Ver-
bindung ihres tief-stahlblauen Rocks mit den Treppenstufen, auf wel-
chen sie steht: hier „gleitet“ die Farbe in ein farbloses „lockeres“ Dunkel
und versinkt darin, ebenso wie das Gelboliv der Stufen. -Die abschlie-
ßende tiefgraublaue Himmelsfolie aber erscheint wiederum flach, bildet
einen planen Abschluß, nicht etwa, wie man von den raumschaffenden
Dunkelherden aus erwarten könnte, einen locker-atmosphärischen.
Holbein behält die spätgotische Vielfarbigkeit durchaus bei, ja er be-
reichert sie noch durch die Erfindung neuer Farbwerte. Zu den Haupt-
farben Blau, als Lokalfarbe wie als Changeant-Schattenfarbe zu Weiß,
Grün, Purpurkarmin, klares, leuchtendes Zinnoberrot kommen zahl-
reiche Differenzierungen: mindestens fünferlei Weißtöne erscheinen in
der >Beschneidung<. Es zeigt sich Holbeins Liebe zu Changeantfarben:
so changieren etwa Olivgrün zu Coelinblau in der Mönchskutte des >Ma-
rientodes<, mattes Graurosa zu Graugmn in der >Darbringung< usf. Ein
besonderer „Farbgeschmack“ bekundet sich hier. Er betätigt sich so-
wohl in der Vielfarbigkeit der Inkarnate wie in der Farbenphantastik der
Baulichkeiten, in denen oft eine ganz „unwirkliche“ Farbe erscheint,
etwa ein stumpfes, leicht lila- oder rosahaltiges Grau oder ein Oliv-
braun, bisweilen auch ein Graugmn oder sattes Olivgmn, zusammen
mit Braunrot. Solch „unwirklichen“ Färbungen fallen um so mehr auf,
als Holbein zugleich sehr wohl in der Lage ist, imitierend reale Stein-
farbe zu malen. Der Farbreichtum wird durch phantastische Architektur-
farben noch gesteigert, während in niederländischer Malerei diese Be-
reiche in der Regel zu „neutralisierten“ Zonen zusammengeschlossen
werden, die als „Fassungen“ der Gewandfarben dienen.
Holbeins Verbindung von Farbenreichtum und Dunkel ist grundver-
schieden von der Verdunklung, die mit der italienischen Renaissance die
Farbgestaltung bestimmt, denn diese geht zusammen mit einer Reduk-
tion der Farbanzahl.
Das lockere Verhältnis von Farbigkeit und Dunkel bedingt auch die
besondere „Labilität“ seiner Farbraumstruktur. Die Buntheiten dringen
gleichmäßig nach vorne, werden mittelalterlich nach vorne geblendet,
die Helligkeiten aber beziehen sich auf das Bildinnere und dessen Dun-
kelheit. Der farbräumliche Aufbau wird also nicht mehr allein von den
Buntwerten bestritten - wie wiedemm bei Dürer.
In Holbeins d.A. Sebastiansaltar von 1516 (München, Alte Pinako-
thek) 32 vereinfacht sich sodann der farbige Raumaufbau. Ausgeprägtere
Von der Eigenart der spätgotischen Lokalfarbigkeit aus wird auch die
Problematik der Farbe Diirers (1471-1528) erst verständlich. 1 Man wird
ihr nicht völlig gerecht, wenn man sie nur daraufhin betrachtet, was er
durch sie Neues gebracht hat. Dann wird das Urteil immer schwankend,
wenn nicht negativ ausfallen. Denn ein primäres Gestaltungsmittel ist
fiir Diirer die Farbe nicht, trotz seiner gerade von der neueren For-
schung erkannten besonderen Errungenschaften im Bereich der Farbge-
staltung.
Sieht man sie jedoch unter dem Gesichtspunkt, was er mit ihr zu iiber-
winden sucht, wie er sie seiner kiinstlerischen Vision unterzuordnen ver-
steht, dann wird ihre entwicklungsgeschichtliche Bedeutung, die sich
keineswegs allein auf die Malerei seiner Zeit beschränkt, offenbar.
Die epochale Leistung Dürers, nämlich die Überfiihrung der deut-
schen Bildvorstellung der Spätgotik in eine unmittelbar dingbezogene
Darstellung der objektiven Welt auf einer höchsten Ebene formaler Prä-
gung, innerhalb welcher er dann auch zu einer eigenen Bildeinheit und
„Bildhoheit“ findet 2, liegt in seinem graphischen Werk am offensten zu-
tage. Denn sein im höchsten Maße dingliches Gestalten schließt auch die
Farbe ein. 3
Bei seinem Bemiihen, auch die Farbe seiner plastisch-nahsichtig
orientierten künstlerischen Vision zu unterwerfen, müssen zwangsläufig
seine spezifisch graphischen Darstellungsmittel mit dem Wesen der
Lokalfarbe in Konflikt geraten, da jede Detailangabe ihrer Homoge-
nität, jede plastisch-modellierende Behandlung ihrer flächigen Erschei-
nung entgegenarbeitet. Gegen beides kann sie sich nur durch entschie-
dene Wahrung ihres Buntwertes behaupten. So liegt das Problem der
Lokalfarbe, wie es fiir Diirer besteht, darin, auszumessen, wie weit es
gelingt, „das Allgemeine, Elementare der Farbenerscheinung“ zu zer-
1 Vgl. auch: Otto Eberhard Martin, Die Farbe bei Diirer. (Ungedruckte)
Diss. Leipzig 1941.
2 Siehe: Theodor Hetzer, Die Bildkunst Diirers, SchriftenTheodor Hetzers,
Bd. 2, hrsg. von Gertrude Berthold, Mittenwald, Stuttgart 1982. Darin, 15-195:
Diirers Bildhoheit (1939).
3 Vgl. Hans Jantzen, Diirer der Maler, Bern 1952. Walter Jiirgen Hofmann,
Über Diirers Farbe, Niirnberg 1971, Kapitel „Farbe und Gegenstand“, 7ff.,
„Mimesis und Farbe“, 19 ff., „Farbige Dinge“, 36 ff.
Malerei der Dürerzeit 115
19 Vgl. Rupprich (Hrsg.), Dürer, Schriftlicher Nachlaß, Bd. II, Berlin 1966,
393.
20 FA: Steingräber, Alte Pinakothek, 115. - Striedter, Dürer, 327-329.
21 FA: Striedter, Dürer, 102, 103, 106, 107, 206, 207, 210, 211, 214, 215, 217,
331.
120 Malerei der Dürerzeit
aufs reichste modulierte Farben, welche der Landschaft als ein zartes
Gewand verliehen sind. Ein silbriges Blau-Grün dominiert.“ „Die
Farben bilden die Formen, sie wirken unabhängig von irgendeinem
Liniengerüst“, mit dieser knappen Feststellung brachte Fierrmann-
Fiore 22 die zukunftsweisende Kühnheit dieser Möglichkeit der Dürer-
schen Farbe ins Wort.
Der „Verdinglichung“ der Farbe durch Dürer steht gegenüber ihre
Enthebung ins Leuchten bei Grünewald (Mathis Gothardt Neithardt,
um 1475/80-1528), das zugleich Medium einer bis dahin unbekannten
Ausdruckssteigerung der Farben ist. 23 Griinewalds ungemein komplexe
Farbgestaltung stellt sich dar als eine schöpferische Synthese epochal
verschiedener Möglichkeiten zur Einheit eines unverwechselbar eige-
nen Farbstils. Wollte Dürer die Lokalfarbe überwinden im Bemühen um
eine dem Italienischen nahe Bildklarheit, so greift Griinewald weiter zu-
rück, indem er mit der Erfüllung spätgotischer Gestaltungsprinzipien
mittelalterliche Farblichtwirkungen wiederaufleben läßt und beides in
die Ganzheit eines renaissancemäßig sich schließenden Bildgeschehens
bringt.
Auf die deutsche Malerei der Spätgotik bezieht sich Gmnewald,
indem er die „suggestive Perspektive“, das Zusammenzwingen von ,,Da-
vorstehen und Drinnensein“ in die Dynamik des Farbraumes überträgt,
aus ihr die Besonderheit der deutschen Bildvorstellung entfaltet. Bei
Grünewald sind die Farben zu einer Intensität raumhafter Dynamik ent-
bunden wie nie zuvor und wie auch bei keinem seiner Zeitgenossen. Ihre
Beweglichkeit gründet in ihrer Erscheinung als Flächenfarben, die sich
vom gegenständlichen Träger lösen und ihren eigenen Raumort be-
setzen können, wie auch in der Gmnewald eigenen - und ihn auch von
Dürer unterscheidenden - Beschränkung der Farbanzahl. „Während in
den vielfarbigen Bildern des deutschen 15. Jahrhundert jedes einzelne
Intervall sein räumliches Verhältnis für sich allein schafft, können bei
Grünewald die wenigen Farben in ihren Raumstößen sich steigern an-
statt sich zu stören oder aufzuheben. Dies räumliche Zusammenwirken
aller Farben entspricht der Vereinheitlichung der innerbildlichen Per-
spektive. Die Blickbahnen sind gegenüber dem vielfältig Ausstrah-
lenden des 15. Jahrhunderts verdichtet und zusammengefaßt.“ Die ,,of-
fenen“ Bilder Grünewalds können sich um den Betrachter farbig
22 Dürers Landschaftsaquarelle, 66.
23 Vgl. Verf., Die Farbebei Grünewald. Diss. München 1955. Zit. 103,43,45,
48, 105. - FA: z.B. in: Griinewald, Das Werk des Mathis Gothardt Neithardt,
Einleitung und Katalog von Michael Meier, Zürich 1957. - Georg Scheja, der
Isenheimer Altar des Matthias Grünewald (Matthis Gothart Nithart), Köln
1969.
Malerei der Dürerzeit 121
schließen, ihn ganz in sie versetzen - auch dies eine wichtige Kompo-
nente der Expressivität Gmnewaldscher Farben.
Die flächenfarbige Erscheinungsweise ermöglicht die in Griinewalds
Gemälden des öfteren thematisierte Verwandlung der Materien - am
eindrucksvollsten in der >Auferstehung Christu des Isenheimer Altars.
Da die Farbe selbst an Körpern schon lichthaft-locker erscheint, sie aus
Farbmaterie bestehen läßt, ist ihr der Übergang ins Licht der Glorie
miihelos gegeben.
Auch das polyphone Überlagern von Form und Farbe wird durch die
Flächenfarbe begünstigt, wie auch durch die „seismographische“ Füh-
rung der Konturen, die ihrem eigenen Rhythmus zu folgen scheinen und
in modellierender Funktion sich nicht erschöpfen.
Vor allem aber ermöglicht die Flächenfarbe das Farbleuchten.
„Leuchten ist Intensitätssteigerung der Flächenfarben.“ Die Farben
leuchten vor Dunkelgrund. Dunkelfoliierung ist durchgehendes Kenn-
zeichen der Gmnewaldschen Farben. Aber nicht in einer einfachen, ein-
maligen Gegenüberstellung werden die Farben durch foliierendes
Dunkel ins Licht entbunden, vielmehr sind die Farben je neu „durch
Dunkelsäume, die aus schwärzlichen Konturen oder aus Streifen des
Dunkelgrundes beziehungsweise einer dunkleren foliierenden Farbe
entstehen, voneinander getrennt, jede Farbe so eigens wieder von
Dunklem hinterlegt“.
In dieses Dunkel aber sind die Farben nicht eingebettet, vielmehr
scheinen sie davor zu schweben; deshalb findet sich in Gmnewalds Bil-
dern wohl die „Einheit des Leuchtendfarbigen, aber nicht die Einheit
des Helldunkels“, wenn auch zum Helldunkel die nächste Verwandt-
schaft besteht, „die engste, die überhaupt zwischen einer in erster Linie
aus Farbkontrasten und einer primär aus Helldunkelkontrasten schaf-
fenden Farbgestaltung bestehen kann“. Hinzu kommen die Wirkungen
des Beleuchtungslichts, so daß aus den Lichtqualitäten der Farben,
ihrem Leuchten, ihrem Beleuchtetwerden, ihrem Lichtaussenden, eine
höchst komplexe Lichteinheit der Gemälde Gmnewalds ersteht.
Und hierin bekundet sich auch das Ineinandergreifen mittelalterlicher
und neuzeitlicher Farblichtverhältnisse bei Gmnewald. Denn das
Leuchten der Farben war im 15. Jahrhundert (außer in Ansätzen beim
älteren Holbein) nicht vorbereitet. „Im Leuchten und der dafür nötigen
flächenfarbigen Erscheinungsweise taucht vielmehr bei Gmnewald
noch einmal die eigentlich mittelalterliche Farbe auf.“ Diese mittelalter-
lich aus sich selbst leuchtende Farbe aber verbindet Gmnewald nun mit
Beleuchtungs- und Schattenwirkungen, die ihn ganz auf der Höhe der
Gestaltungsmöglichkeiten des fmhen 16. Jahrhunderts und ihrer Erfas-
sung optischer Phänomene der Wirklichkeit zeigen.
122 Malerei der Dürerzeit
länder oder Florentiner, die Buntfarbe Rot strahlt Farblicht aus ohne
Weißzusatz (vergleichbar dem Johannesmantel in Dürers „Vier
Aposteln“). Freilich fehlt diesen Farben das Leuchtende der Griine-
waldschen.
An der >Karlsruher Madonna< (gemalt um 1535) ist deutlich zu sehen,
wie das Rot noch eigens durch die Modellierung mittels „Schwarz“ sich
von den anderen Farben abhebt, die wesentlich geringere Intervalle zwi-
schen den Licht- und Schattenpartien zeigen. Die Dyas Licht-Schatten-
farbe bildet kein durchgehend rhythmisches Motiv wie in Italien, die
„Gefälle“ innerhalb der farbigen Formen sind grundsätzlich weit ge-
ringer als die Intervalle zwischen den einzelnen Buntfarben. Es ergeben
sich immer eindringliche Farbfigurationen.
Dieses Phänomen muß zusammenhängen mit einem tieferen kom-
positionellen Grund: Die Farbe fiillt hier eine Form aus, die nicht
selbständig „handelt“ in dem Sinne, daß sie Dahinterliegendes iiber-
schneidet und damit jeweils energisch Abstand bildet (wie im italieni-
schen Reliefraum) - vielmehr wird die Form hineingenommen in ein sie
umfangendes iibergeordnetes Ganzes. Das Prinzip der „umschlossenen
Form“ herrscht, nicht das der iiberschnittenen und iiberschneidenden.
Die Organisation der Formen geschieht von außen nach innen, jede Ge-
genstandsform wirkt eingeschrieben in stufenweiser Abnahme des Grö-
ßenmaßstabs, ruht wie eine „Perle in der Muschel“.
In einer Madonna Cranachs wie der erwähnten Karlsruher bilden die
Formen eine Sequenz von Silhouetten. Die Mutter-Kind-Gruppe ist hin-
terfangen von der Folie des Apfelbaums, der, zusammen mit dem Ge-
biisch, die Haare birgt. Die Haare wiederum umfangen den oberenTeil
des Gewandes und des Mantels, das Kind ist völlig in den Gewandkom-
plex eingetragen, die Hände der Mutter sind wiederum dem Körper des
Kindes eingeschrieben - in einer ununterbrochenen Folge von „Einlage-
rungen“ kleinerer Formen in größere, sie völlig umfassende. Alle
Energie entfaltet sich im Umriß der Formen, aber diese selbst bleiben
immer geborgen im „Schoß“ einer größeren Form, greifen nicht iiber
diese hinaus, um sie zu iiberschneiden, sind bedingt in ihrer Bewegungs-
freiheit - im Gegensatz zur italienischen Malerei. Man kann bei Cranach
eher von einer „Verflechtung“ der Formen als von ihrer Überlagerung
sprechen. Die Illusion der Plastizität wird nicht so sehr durch Schattie-
rung erzielt (trotz schwacher Randtriibungen im Inkarnat) als durch den
Duktus der Konturen, der in seiner Kurvierung auf die geschwellte Bin-
nenform verweist, die er jeweils begrenzt - eine Art „linearer“ Modellie-
rung, wie sie im Prinzip seit Beginn des 16. Jahrhunderts in Italien (bei
Raffael oder Pontormo), in den Niederlanden (bei Lucas van Leyden)
und vor allem von Diirer gehandhabt wird.
Malerei der Dürerzeit 125
Form des Hügels seinem mittelhellen Olivgrün und das tiefe, stellenweise
sich aufhellende Bleigrau der Wolken ihrer schweren Breitung. Beson-
ders aufschlußreich ist die Aufspaltung des Weiß in vier aufeinander nicht
beziehbare Varianten, die ganz dem gegenständlichen Ausdruck dienen:
wulstförmig, baumwollartig das Weiß in der Mantelinnenseite des Kardi-
nals, kalt, blaugrau schattiert im Schamtuch Christi, perlmuttartig, mit
zartgrünlichem Schimmer und einigen mattrosa Streifen, erscheint das
Weiß des Himmels über dem Horizont, ganz homogen, entschieden
gegen den bleischwarzen Grund kontrastiert und schattenlos, das Weiß
der Inschrifttafel. Wo also im Dienste der monumentalen Bilderschei-
nung nur wenige Farbformen gegeben sind, gestaltet sie Cranach in freier
Koordination anstelle silhouettierenden Übergreifens.
Dem Prinzip der umschlossenen Farbform ist ja selbst ein besonderer
Ausdruckswert eigen, der des Bergenden, vor allem Bedrohlichen
Schützenden.
So erscheint er aufs reichste ausgeprägt in der >Ruhe auf der Flucht
nach Ägypten< von 1504 (Berlin, Gemäldegalerie) 30. Wie mehrfach rah-
mende Fassungen legen sich schwärzlich-grüne Streifen um den kost-
baren Kern der Heiligen Familie und in diesem selbst wiederholt sich das
Umfangen eines Inneren durch die Führung der Falten im Marienge-
wand. Hier versinkt das schöne Rot in schwärzliche Dunkelheit, das sich
linienhaft verdichtet und darin mit den Konturen und Folienstreifen zu-
sammenklingt. Weil sich das Dunkel nicht räumlich entfalten kann, die
Farben andererseits nicht in einen unfarbigen Glanz ausstrahlen, gehört
auch Cranachs Farbgestaltung noch dem „Kolorismus“ an, von dem aus
sie den Weg zum Bilddunkel und Bildlicht sucht.
In Fortführung dieser Gestaltung kommen sich bei Lucas Cranach
d. J. (1515-1586) die Farbe der fernbildhaft-flach modellierten, silhouet-
tenartigen Karnation und die spätgotische Lokalfarbigkeit - bei seinem
>Bildnis einer Dame< (von etwa 1565, München, Alte Pinakothek) reines
Schwarz in Mantel und Mütze, weißlich aufgehelltes Korallenrot im Ge-
wand - entgegen; auch der dunklere Grauton des Schlagschattens auf
dem stumpf-lavendelgrauen Grund wirkt als Silhouette. Das extrem
flache „Relief“ begünstigt dabei die homogene Erscheinungsweise des
Inkarnats, das sich bei >Venus undAmor< (um 1565, München, Alte Pina-
kothek) messerscharf vom reinen, durchgehenden Schwarz des Grundes
trennt.
In der Dürerschule wird der lokalfarbige Stil auf unterschiedliche
Weise in einen „lichtfarbigen“ 31 transponiert.
durch ein farbiges Glas gesehen erscheint das ganze Bild. Alle Farben
scheinen teilzuhaben an einem Ton, der im Gemälde als solcher nicht
auftritt, sondern nur durch olivgriinliche Brechungen sich bemerkbar
macht, den „weißen“ Marmor grünbräunlich färbt, den Himmel griin-
bläulich. Braun und Tiefolivgrün sind aberTräger von Dunkelheit und
aus ihnen flackern, gewittrig, „bengalisch“, gelbbraune, elfenbeintonige
Lichter auf: Farbdunkelheiten und Farblichter, die im Grunde Rem-
brandt näherstehen als Carpaccio - wenn auch die venezianische Ma-
lerei zum Vorbild dieserTafel wurde.
In Harmonisierung durch Braun und Gold gestaltet auch Martin
Schaffner (um 1478/79 - zwischen 1546/49) farbig die Flügel des Wetten-
hausener Hochaltars (1523/24, München, Alte Pinakothek). Die Lokal-
farben finden ihren gemeinsamen Nenner in Braunflächen, die ,,aus-
schlagen“ nach rotem Ocker, Karminbraun, ockrigem, in den Schatten-
bezirken schwärzlich umflortem Gold, begleitet von Cremeweiß,
Neapelgelb, gebrochenem Blau und Olivgrün. Nur Weiß tritt als isolie-
rende Farbe auf, obzwar gleichfalls durch warm-zarte Schattierungen ge-
brochen; alle anderen Buntwerte nähern sich, unter Wahrung der Form-
grenzen, einander an. Es sind dies, wie bei Burgkmair, Symptome einer
Harmonisierung im venezianischen Sinne. Sie wirkt sich auch auf die
Raumbildung aus: die ausgebreiteten Flächen gebrochener Buntheiten
kompensieren die perspektivischenTiefenzüge, wirken deren Stoßkraft
entgegen. Doch klingt auch hier die spezifisch deutsche Raumauffas-
sung noch nach, die vorderste Raumschicht besetzen die Weißbereiche,
alle anderen Farben liegen hinter ihnen; ein eigener Farbraum wird so
konstituiert.
Holbein d. J. (1497-1543) sucht, ausgehend von der AugsburgerTradi-
tion der Farbgestaltung, allen renaissancemäßigen Funktionen der
Farbe gerecht zu werden. In den Flügeln des Oberried-Altars (1521/22,
Universitätskapelle des Münsters in Freiburg i.Br.) erscheinen nächt-
liche Darstellungen, aber in einer gewissermaßen „idealen“, nicht einer
atmosphärisch-raumhaften Dunkelheit, mit gestirnhaft hervorbre-
chendem Licht. Die Neutralfarben kommen als Individualitäten zur
Geltung, getrennt nach Braun und Grau, wobei die Flächen von hellem
Schiefergrau in unbestimmbaren Intervallen zu den anderen hellfar-
bigen Architekturteilen, zu Olivbraun, Braungrau, Kaffeebraun stehen.
Sorgsam sind die Farbbezirke voneinander abgegrenzt, auch mittels
dunkler Konturlinien; so können die braunen Dunkelfarben die Bunt-
heiten nicht aus sich entlassen, eine räumliche Freiheit des Helldunkels
wird nicht gewonnen.
Der >Leichnam Christi im Grabe< von 1522 (Basel, Offentliche Kunst-
sammlung) kann als Musterbeispiel nahsichtiger Durchmodellierung
132 Malerei der Dürerzeit
des Inkarnats gelten. Auf keine Weise ist hier die Farbe als Fläche aufzu-
fassen, nirgends kann der Blick auf ihr zur Ruhe kommen: hellgelblich
im Licht, gleitet sie, oft nahezu unmerklich, in dunklere Nuancen von
Bräunlich und Grau über, ständig „irisierend“. Ähnlich, wenn auch
nicht ganz bis zu diesem Grade, verhält sich das teilweise transparente
Weiß des Schamtuchs und das Grauweiß des Bahrtuchs. Hingegen bleibt
die gelblich gebrochene, dem Oliv nahestehende grüne Folie verhältnis-
mäßig flächig und unstofflich - ohne die eingemeißelte Signatur und Jah-
reszahl würde man schwerlich das Material Stein vermuten.
Noch entschiedener differieren die farbigen Erscheinungsweisen in
der >Madonna des Basler Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen<, der
sog. >Darmstädter Madonna< (1526,1528/30, Darmstadt, Schloß) 40. Der
farbige Eindruck wird bestimmt durch tiefes, grünliches Stahlblau (im
Madonnengewand), etwas bläuliches Rot (in ihrer Schleife), Zinnober-
rot (in der Beinbekleidung des Sohnes), ferner-in großer Ausbreitung-
durch Nuancen von Schwarz und Weiß in den Gewändern und braun-
schattiertem Gold in der Krone und den Ärmeln Mariens. Charakteri-
stisch ist die Zusammenstellung größerer Farbflächen in nahen, oft dis-
sonanten Intervallen, etwa von Grünblau, Graugrün, Eisengrau, Dun-
kelgrau, Schwarz, von kaltgrau und rötlichgrau schattiertem Weiß, von
Alabasterbraun, Gold, Blondbraun zu rot irisierendem Inkarnatston,
usf. Zu dieser unbestimmten Unruhe der farbigen Intervalle kommt die
Spannung, die aus Holbeins Versuch resultiert, stofflich-nahsichtige und
großflächige Erscheinungsweise der Farbe zu synthetisieren. Stellen-
weise herrscht ziselierende Nahsicht, wie in den „kleinmeisterlich“ gra-
phisch behandelten Löckchen der Kinder oder den emailartig irisie-
renden Inkarnaten. Flächig-homogen erscheint dagegen der graublaue,
abstrakte Grund. In seinem Vollkommenheitsstreben will Holbein
nichts „opfern“, auch nicht die innere Geschlossenheit der Lokalfarben.
Andererseits wirkt die graue Jacke des Bürgermeisters als abschlie-
ßende Dunkelfolie, in die die Schatten der Buntfarbe davor einfließen
können und deren Kontur zur Mariengestalt gänzlich in die Dunkelheit
des Madonnenmantels aufgeht. Doch bleibt dies Helldunkel auf ein-
zelne Bildstellen beschränkt, wird nicht von bildbestimmendem Raum-
dunkel aufgefangen.
Auch beim >Bildnis des Kaufmanns Georg Gisze< (1532, Gemälde-
galerie Berlin) 41 sind die Farben in unterschiedlicher Erscheinungsweise
gegeben: das Schwarz in Mantel und Mütze homogen, von aller Licht-
einwirkung frei, im höchsten Gegensatz dazu das lichtoffene, ins Weiß-
birgt, das andere (lume) zeigt .Damit hat Leonardo ,,die in der
Kunstwelt des Beleuchtungslichts maßgeblichen Begriffe fiir Licht und
Schatten ... eindeutig bestimmt.“ 3
Die damit festgestellte Dualität von Licht und Finsternis, Beleuch-
tung und Schatten wird in einer Ftille von Überlegungen, Beobach-
tungen, Anwendungen entfaltet. Einige wenige davon seien erwähnt. 4
Leonardo betont die „Geistigkeit“ des Lichts: „Der Schatten leitet sich
her von zwei einander unähnlichen Dingen, das eine von diesen ist kör-
perlich, das andere geistig (spirituale). Das Körperliche ist der dunkle,
Schatten tragende und verursachende Körper, das Geistige ist das mitge-
teilte Licht.“ (547) Dies Geistige aber ist keine Idee, ist nichtsTranszen-
dentes, sondern Kraft. - Leonardo unterscheidet mehrere Arten des
Lichts: „Die Lichter, welche die undurchsichtigen Körper beleuchten,
sind von viererlei Sorte, nämlich: allseitig, wie das der Luft innerhalb un-
seres Gesichtskreises, und einseitig, wie das Licht der Sonne oder eines
Fensters, einer Türe oder sonstigen begrenzten Öffnung. Die dritte
Sorte ist das reflektierte Licht, und die vierte dasjenige, welches durch
durchscheinende Dinge hindurchgeht, wie Leinwand, Papier oder der-
gleichen, die aber nicht vollkommen durchsichtig sind, wie Glas und Kri-
stall, denn diese tun die gleiche Wirkung, als wäre gar nichts zwischen
den dunklen Körper und das ihn beleuchtende Licht eingeschoben.“
(663) - Noch vielfältiger sind Leonardos Differenzierungen der Schat-
tenphänomene: der Schatten kann einfach oder zusammengesetzt, d. h.
durch eines oder mehrere Lichter verursacht sein (vgl. 557). Der Schlag-
schatten nimmt an Stärke in dem Grade ab, wie er sich von dem ,,pri-
mitiven Schatten” entfernt (553 d). Steht der „primitive Schatten“ gegen
einen beleuchteten Gegenstand, so wird er hell, denn auf diese Weise
wird der Schatten mit reflektiertem Licht beleuchtet (572). Die Quan-
tität des „primitiven Schattens“ ist von der Größe und dem Abstand der
Lichtquelle abhängig (726). Ebenso ist die Form der Schlagschatten vom
Abstand zwischen Körper und Lichtquelle und deren Größe abhängig
(vgl. 574, 589,725,725a etc.), wie auch seineForm darauf beruht, unter
welchem Winkel der Schlagschatten die Fläche trifft, auf welche er fällt
(600). Wie die Oberfläche eines Körpers durch Reflex von der Beleuch-
tung und Farbe eines nahestehenden Körpers beeinflußt wird (vgl.
694 f.), so gibt es keinen Schatten, der nicht durch irgendeinen Reflex
verstärkt oder geschwächt wird (vgl. 579). Beobachtungen über den
3 Schöne, Über das Licht in der Malerei, 83, 84 (mit Quellenangaben: Leo-
nardo, Buch von der Malerei, ed. Ludwig, Sätze 545, 570, 665, 550, 664, 549).
4 Die Ziffern beziehen sich auf die Abschnitt-Nummern in: Leonardo, Buch
von der Malerei, ed. Ludwig.
138 Italienische Malerei des 16. Jahrhunderts
an, die hinter ihnen zum Vorschein kommen; dann wirst du sämtliche
Farben der Dinge hinter den Gläsern mit den Farben besagter Gläser in
Mischung sehen und wirst gewahr werden, welche Farbe sich durch
solche Mischung verbessert, welche verdirbt.“ So gewinnen z.B. Gelb
und Grün hinter gelbem Glas, während Blau, Schwarz und Weiß die
Gelb-Mischung nicht vertragen (254). Fiir die Zusammenstellung har-
monischer Farbkombinationen rät Leonardo: „Willst du bewirken, daß
die Nachbarschaft einer Farbe der anderen anstoßenden Farbe Anmut
verleiht, so bediene dich der Regel, die man die Sonnenstrahlen bei der
Fiigung des Bogens am Himmel... bilden sieht“ (190). „Farben, die gut
zusammenstimmen“, sind: „Griin zu Rot oder zu Purpur oder Blaßvio-
lett, und Gelb zu Blau“ (253). Die Veränderungen der Farben sind fiir
Leonardo ein wichtiges Feld von Beobachtungen. Da sich die Farbe mit
wachsender Entfernung verändert und sich im Luftmedium schließlich
ganz verliert (136, auch 193-195,198-200, 226, 228 u. ö.), rät er, nur die
Gegenstände des Vordergrundes in ihrer Eigenfarbe (suo colore) zu be-
lassen, die iibrigen jedoch mit zunehmender Entfernung immer blauer
wiederzugeben (262, auch 243).
Andere Beobachtungen beziehen sich auf Reflexfarben. „Wenn du
eine weißgekleidete Frau siehst, inmitten einer offenen Gegend, so wird
an ihrer von der Sonne gesehenen Seite ihre Farbe so hell sein, daß die-
selbe zum Teil dem Anblick lästig fällt, wie die Sonne. Und die Seite von
der Frau, die von der Luft gesehen wird, welche durch die in sie verwo-
benen und eingedrungenen Sonnenstrahlen leuchtend ward, wird ins
Blaue fallen, da die Luft an sich blau ist, und die Seite von dieser Luft ge-
sehen wird. Ist auf der nahen Erdfläche Wiesengrund, und die Frau
befindet sich zwischen dieser sonnenbeschienenen Wiese und der Sonne
selbst, so wirst du die Faltenstellen, die von der Wiese gesehen werden
können, sich durch Reflexstrahlen in die Farbe der Wiese umfärben
sehen. Und so unterzieht sich dies Weiß der Umwandlung in alle Farben
der leuchtenden und nicht leuchtenden nahe gegeniiber befindlichen
Gegenstände“ (785). Hier kann man geradezu an ein Bild Claude Mo-
nets denken!
„Eine Malerei wird für die Beschauer nur dadurch wunderbar, daß sie
das, was nichts ist, wie erhaben und von der Wand losgelöst aussehen
läßt; die Farben bringen aber einzig den Meistern Ehre, die sie berei-
teten; denn durch sie wird keine andere Bewunderung hervorgebracht
als die ihrer Schönheit, und diese ist nicht Verdienst des Malers, sondern
dessen, der dieFarbengemacht hat“ (123). Dem „rilievo“ dient dasHell-
dunkel vor allem. So ist ,,das Helldunkel im Verein mit den Verkiir-
zungen ... die höchste Ehre der Wissenschaft der Malerei“ (671).
Für die besondere Formulierung des Helldunkels bei Leonardo ist
140 Italienische Malerei des 16. Jahrhunderts
9 John Shearman, Andrea del Sarto; Vol. I, Oxford 1965, 132, 133, eine Zu-
sammenfassung seines Aufsatzes von 1962.
142 Italienische Malerei des 16. Jahrhunderts
der Folie des oliv- und blaugriinen Landschafts- und hellgrauen, nach
oben hin hellblaugrauen Wolkengrundes stehen die Figurenfarben, in
einer offenen, Neutral- und Buntwerte nicht gänzlich ausponderie-
renden Komposition. Keine gemeinsame Dunkelheit verbindet sie. Zur
Gegenstandsfarbe tendieren das Braun im Fell desTäufers, das Grau in
der Kutte Franz von Assisis, aber auch die zweierlei Rot- und Blautöne:
Karmin im Madonnengewand, schwärzlich verhüllter Zinnober in der
Robe des Papstes, mittleres, nach Grau gebrochenes Blau im Madon-
nenmantel, neutraltintiges Pflaumenblau beim hl. Hieronymus ganz
rechts.
In einem kurzen „klassischen“ Moment führt Raffael koloristische
und luminaristische Werte der Farben zum reinen Ausgleich. Von ihrer
Buntheit verlagert sich die Farbe hin zu ihrem Helldunkelgehalt - und
erhöht dabei zugleich ihre Schönheitswirkung. Bei der um 1513/14 ent-
standenen >Madonna della Tenda< der Münchner Alten Pinakothek 25
vereinigen sich glühendes Karminrot, verhangenes Blau, ins Dunkel ver-
sinkendes Samtgrün und davor aufleuchtendes Goldgelb mit den Inkar-
nattönen zu einem vollen, harmonischen Klang. Aus dem Dunkel hebt
sich die Farbe ins Helle und bewahrt doch, ja steigert ihre farbige Indivi-
dualität. Wie hier repräsentiert Raffael auch bei der >Madonna della
Sedia< (um 1513/14, Florenz, Pal. Pitti) dieTotalität der Farben durch das
Zusammenspiel von Rot, Griin, Goldgelb und verhaltenem Blau.
In anderer Weise bekundet das >Bildnis von Baldassare Castiglione<
(um 1514/15, Louvre) 26 Raffaels nun errungene Meisterschaft der Farb-
gestaltung: die Abstufung von Grautönen zwischen dem Weiß des Hemd-
ausschnitts und dem Schwarz in Mantel und Mütze bestimmt die Bild-
wirkung. Der zarte, stellenweise von Rot überhauchte Bräunlichton des
Inkarnats durchdringt sich mit dem Grau zum warmen, bräunlichen
Grau des Grundes. In den kurzen hellgrauen Horizontalstreifen der
Lichthöhungen im Pelzwerk zeigt sich der offene Pinselstrich. Farbe
wird ganz Ausdruck dieser kultivierten Persönlichkeit und eben damit
Äußerung ihrer eigenen Subtilität und Kostbarkeit.
Raffaels spätestes, unvollendet hinterlassenes Gemälde, die >Trans-
figuration ChristU (1518/20, Rom, Vatikan) 27 steigert dagegen die Kon-
traste der Helldunkel- und Farbgestaltung. „Den beiden dargestellten
Geschehnissen entsprechend wird das Bildlicht als verklärendes Phä-
nomen wie als ,auftretende Gewalt' sichtbar, somit in ganz verschie-
denen Seinsweisen, die auch in der farblichen Behandlung zutage
Karmin und Zitrongelb auf die Figur Mariens, in Mantel, Kleid und
Ärmel, mithin im linken unteren Bildviertel, konzentriert. In den üb-
rigen Bildteilen herrscht Helldunkel, getragen von Grau- und Blaunu-
ancen, perlmuttigem, blautonigem Grau im Gewand der Elisabeth, in
ihrem Kopftuch zu Weiß sich erhebend, hellem Lila in der Fell-Innen-
seite des Johannesknaben, grünstichigem Blau im Engelsflügel. Aus
dem Grund, einem dem Schwarz sich nähernden Braun, leuchtet geister-
haft der hell graubräunliche Inkarnatton auf. Oszillierendes Licht
herrscht. Gleichwohl aber wechseln Buntfarben, Grau und Weiß in
„changierenden“, das heißt kubisch geschliffenen Brechungen - auch
dies ein wesentlicher Lfnterschied zu Leonardos Gestaltung.
Das Hauptwerk seiner mittleren Zeit, die >Madonna delle Arpie<
(1517, Florenz, Uffizien) 40, zeigt Helldunkel und Farbe in vollkommener
Gleichwertigkeit, „ohne daß die beiden Elemente im Gesamteindruck
sich voneinander scheiden ließen, wie dies noch bei Raffael oder Fra
Bartolommeo - etwa im Falle einer idealisierenden Hervorkehrung der
Gegenstandsfarbe noch vorstellbar wäre. Gewiß: die Vorrangstellung
der Triade (in den Gewandfarben Mariens) ist offenkundig und wird
noch unterstützt durch ihre Position auf der mittleren Senkrechten; die
große rote Fläche des Mantels bei Johannes hat die gleiche seitlich ab-
schließende Funktion wie in anderen hochklassischen Kompositionen.
Gleichwohl erscheinen diese Farbkomplexe den farbschwächeren Par-
tien nicht eigentlich als in sich ruhende Größen entgegengestellt, son-
dern, vergleichsweise unfest, offen nach ihnen hin ausgerichtet oder im
Zustand der Durchdringung mit ihnen. Umgekehrt besteht bei den lumi-
naristisch-unbunten Elementen die Tendenz, sich überall den Zugang
zur Farbigkeit offenzuhalten. Schon die Goldtonigkeit der foliierenden
Wandnische läßt eine solche Hinwendung verspüren. Das schimmernde,
reich modifizierte Olivbraun der Architekturteile bildet nicht allein die
Grundfarbe des Gemäldes - wieviel trägt seine Verwendung als Stein-
farbe anstelle eines ,naturalistischen‘ Graus zum Eindruck der Entmckt-
heit der Darstellung bei! -, sondern es konstituiert zugleich den gemein-
samen Schattenton ganz verschiedenfarbiger Komplexe. Auf solche
Weise erhält etwa das leicht opalisierende Grau der Mönchskutte wie
das ihm gegenübergestellte Kirschrot des Johannesmantels die gleiche
Valenz. Es entsteht der Eindruck, als ob diese Gegenstandsfarben
potentiell schon im Dunkelton ihrer Verschattungen enthalten seien, um
im Bildlicht sich zu individuellen Buntheiten voll auszugestalten. Dieser
Übergang vollzieht sich jedoch nicht plötzlich und nicht nur an den Wen-
dungen der Form der Tiefe zu, sondern wird noch in der entfalteten
Stadtvenezianer, alle die Maler, die von fremder Kunst wenig beeinflußt
waren, die in ähnlichem Geiste ihre Bilder geschaffen haben: Jacobello
del Fiore noch ganz am Anfang des 15. Jahrhunderts, später Jacopo
Bellini, in dessen Madonnenbildern man den Einfluß der Mosaiken am
allerunmittelbarsten spürt, Fra Antonio da Negraponte, der den kräftig-
bunten Stil der Mosaiken ins Zarte iibersetzte, Crivelli, der in der Auf-
lösung des Bildes in gleichmäßig kleine Farbstiickchen bis nahe ans
Bizarre geht, schließlich Gentile Bellini, der durch seine Reise nach
Byzanz die Verbindung mit der dekorativen Kunst des Orients wachge-
halten hat. - Nur diejenigen Maler, die von der plastisch-isolierenden
Ausdruckskunst von Florenz, die iiberhaupt von fremder Kunst stärker
beeinflußt waren: Bartolommeo Vivarini, in den Bildern seiner späteren
Zeit, und Alvise Vivarini entfernen sich ein wenig-auch diese nicht allzu
sehr - von dem streng gebundenen Stil, wie ihn die altvenezianische Tra-
dition vorschrieb. - Mantegnas Einfluß war bei den Künstlern derTerra
ferma hauptsächlich maßgebend, und dort wo er nicht, wie in den
Werken des Crivelli oder des Gentile Bellini eine Vereinigung mit dem
Stil der Mosaiken einging - bei dem in Padua aufwachsenden Giovanni
Bellini - da schienen gelegentlich die venezianischen Traditionen zer-
springen zu wollen. Indes nur scheinbar; im Grunde blieb auch hier das
Prinzip einer Ebenmäßigkeit der Bilderscheinung, einer ruhigen gleich-
mäßigen Ausbreitung der Formen und Farben im wesentlichen durchaus
gewahrt, wenn auch die Teilung der Fläche nicht in jener kleinen, dem
Mosaik verwandten Art durchgeführt war, wie sie gleichzeitig mit Gio-
vanni Bellini in Venedig vor allem Carpaccio weiter ausgebildet hat.“ 68
Zwei Grundrichtungen lassen sich auch in der venezianischen Malerei
des 16. Jahrhunderts unterscheiden, die eine führt von Carpaccio zuTin-
toretto und Veronese, die andere von Bellini zu Tizian.
Vittore Carpaccios 69 (1460/65-1525/26) Malerei ist von Helldunkel
noch frei. Ein mildes, gelblich-warmes Licht erfüllt seine Bilder, ge-
tragen von gelblichen, roten, bräunlichen und olivtonigen Farbwerten.
Im Zyklus der >Ursulalegende< (1490-1496/98, Venedig, Accademia)
schlägt nicht nur die Struktur, sondern auch die warm-gelblichgraue
Farbe der Leinwand durch. Die lichtsammelnde Farbe ist nicht Weiß,
sondern ein leicht grau verhüllter Elfenbeinton, wie er am reinsten in
den Marmorinkrustationen zur Geltung kommt. Durch Neigung zu
Orange gewinnt er starke Leuchtkraft, durch Abkühlung ein olivartiges
lierung ... Ähnliches gilt von der Farbe. Giovanni gibt den Figuren
reine, starkeTöne, durch die sie sich scharf von der Blässe des Flimmels,
von den neutralerenTönen der Landschaft abheben. Es fehlt die Wieder-
aufnahme der einzelnen starken Farbe in kleinen Farbpartikelchen, wo-
durch es auch dem Quattrocento in Venedig möglich war, die Flaupt-
farben untereinander und zur Landschaft in Beziehung zu setzen. Es ist,
als ob Giovanni sich sträubte, die Eindringlichkeit der einzelnen Figur,
die er auf ihre monumentale Geschlossenheit gründet, abzuschwächen,
und wirklich sind das matte Blau des Johannes, das mildernste Rot der
Maria, die griinliche Leichenfarbe Christi in der ,Pieta‘ wohl jedem Be-
sucher der Brera unvergeßlich. Wie in allem, so ist Giovanni auch in
seiner Farbe vom Erlebnis des Vorganges ausgegangen, und gerade
hierin liegt sein großes und unvergängliches Verdienst fiir die veneziani-
sche Malerei. Auch seine Farbe ist beseelt, befreit von dem kunstge-
werblichen Prunk der älteren Zeit. Solch zarte und durchgeistigte Nu-
ancen, solche edle Töne hatte man bis dahin in Venedig nicht gesehen.
Seinem ganzen Temperament nach gibt Giovanni keine jubelnde und
glänzende, keine sinnlich kräftige und heitere Farbe, und namentlich in
den frühen Bildern ist die Farbe eher düster und bleich, zeugt von der Er-
griffenheit, die ihn übermannt. Er gehört nicht zu den Malern, die wie
Mantegna, Tizian, Rubens das Rot nicht missen können; bis in die reife
Zeit hinein ist Blau seine Lieblingsfarbe, und in der Zusammenstellung
mit Blau, mit der Dominante des Blau, gewinnen auch Gelb und Griin
und Weiß eine ganz andere Bedeutung, als sie bei Mantegna undTizian
erlangen, die aus Rot und Gelb einen goldenen Fruchtsegen über uns
ausschütten.“ 72
Die friihen Bilder Giovanni Bellinis sind noch bestimmt von der ver-
haltenen mittleren Helligkeit, die der italienischen Quattrocentomalerei
insgesamt eigen ist. Erst um 1490 endet diese quattrocentistische „Bunt-
helle“ in einer Neuorientierung, die der leonardesken in manchem ver-
gleichbar, von dieser jedoch nicht beeinflußt ist. Bei der >Madonna mit
Kind zwischen den hll. Katharina und Magdalena< (Venedig, Acca-
demia) leuchten vor dunkler, schwärzlicher Folie die rötlichgelben In-
karnatfarben auf. Zwischen Dunkelgrund und leuchtendem Inkarnat
vermitteln die Buntfarben, Rot und Blau, diese selbst der dunklenTiefe
zugewandt. Auch vor mittelheller Folie konzentriert sich das Licht nun
im Inkarnat, so bei der >Madonna mit Kind zwischen den hll. Paulus und
Georg< (1490-1500, Venedig, Accademia) in den Gestalten Mariens und
72 Theodor Hetzer, Venezianische Malerei von ihren Anfängen bis zum Tode
Tintorettos, Schriften Theodor Hetzers, hrsg. von Gertrude Berthold, Bd. 8,
Stuttgart 1985, 232, 233.
Italienische Malerei des 16. Jahrhunderts 167
des Kindes, und im Weiß des Kopftuches. Die Farben sind ganz tief ge-
halten: verhülltes Rotbraun, Blau, Oliv und Schwarz bestimmen den
Bildeindruck.
Mit Giovanni Bellini beginnt ein spezifisch venezianischer Lumina-
rismus. Licht und das ihm gleichwertige Dunkel machen sich als neue
optische Qualitäten bemerkbar und verbinden sich aufs engste mit den
koloristischen. Die Lichtintensität sammelt sich im Inkarnat, das in
bisher unbekannter Weise zum Leuchten gebracht wird.
Das Licht organisiert nun aber auch den Bildaufbau im ganzen. Von
rechts fällt das Licht ein bei der >Sacra Conversazione aus S. Giobbe<
(um 1487, Venedig, Accademia), Maria wendet sich ihm zu, der
Rhythmus der Figurenkomposition wird im verborgenen von diesem
Licht bestimmt. Das Licht begegnet den dargestellten heiligen Gestalten
- und auch dem Betrachter, dessen Blick dem Weg des Lichtes nicht un-
mittelbar folgen kann: gerade die dunkelste, schließende Figur des hl.
Franziskus links nimmt auf ihn Bezug. (Umgekehrt blickt im Triptychon
der Frarikirche von 1488, bei Lichteinfall von links und ihm entspre-
chender Wendung von Maria und Kind nach links, der rechts schlie-
ßende hl. Benedikt aus dem Bilde.) Noch bei Antonello da Messinas
(um 1430-1479) >Madonna mit den hll. Nikolaus von Bari, Anastasia (?),
Ursula und Dominikus< (1475/76, Kunsthistorisches Museum Wien) 73
scheinen die Gestalten nichts vom Licht zu wissen. Der Lichteinfall im
Bilde Bellinis aber wird - wie vorbereitend schon bei Antonello - ge-
tragen vom Leuchten des Inkarnats; im Inkarnat des hl. Sebastian,
rechts, sammelt sich die Kraft des Lichts und nimmt nach links hin ab,
anschwellend einzig bei Maria und dem Kinde. Dem figuralen Licht-
schwerpunkt rechts antwortet das links sich verdichtende Raumlicht der
goldmosaizierten Apsiskuppel. Licht und Dunkel sind farbig durch-
stimmt. Aus dem bräunlichen Dunkelton der Nische heben sich be-
hutsam, die Formgrenzen zart überspielend, zu warmgelbfarbener Licht-
helle die Inkarnate, begleitet von warmweißen Gegenstandsflächen. In
der vertikalen Bildachse konzentrieren sich die Buntfarben, dunkles
Blau im Marienmantel, Olivgelb, Weißgraublau und Mattgelb in der
Engelsgruppe. Das englischrote Buch des hl. Dominikus kann Gelb und
Blau zur Trias ergänzen, die sich jedoch noch nicht zur Farbfigur
schließt.
Zu größeren Komplexen faßt Bellini Licht und Dunkel bei der >Sacra
Conversazione< in S. Zaccaria, Venedig (1505) zusammen, läßt sie freier
den tieferen und weiteren Bildraum erfüllen. Das Licht löst sich nun von
seiner Bindung an die Inkarnate, schlägt sich nieder an den struktiven
um ein geringes heller als die tiefbraune Haarmasse davor. Die Farbtöne
nehmen engere Verbindung zueinander auf. Die Briistung ist in einem
zumckhaltenderen Grau gegeben - aber der eine ausgebreitete Buntton
hebt sich als kostbarer, unwiederholbarer Farbwert heraus: das bläu-
liche, über braunrötliche Untermalung gelegte, in den Helligkeiten nach
Salmrosa modulierte Grauviolett der Jacke, in der Buntheit noch gestei-
gert durch den kleinen weißen Hemdzwickel. Die Helligkeit des Ant-
litzes erscheint fliichtiger, von geringerem Gelb- und Braungehalt als bei
Antonello, das optische Braun der Schatten neigt sich dem Grunde zu.
Das zart gedämpfte Weiß der Augen, das Braunrot der Lippen gehen als
Farben im Gesamtton des Gesichts auf, das Braungrau der Pupillen ist
schon Dunkelheit, wie der Grund. Die Nähe und Festigkeit der Antonel-
loschen Bildnisse wird abgelöst von Unfaßbarkeit und Ferne.
Der >Sturm< (Venedig, Accademia) bekundet den Durchbruch zum
Helldunkel. Licht und Dunkel trennen sich von den Gegenstands-
formen, Gegenständliches versinkt im Dunkel. Aber das Helldunkel ist
farbig durchstimmt. In Weiß verdichtet sich das Licht, im Hemd des
Jünglings, imTuch der Frau, im Blitz; die Rottöne in der männlichen Ge-
stalt schlagen die Briicke zum Dunkel, auf tiefemTiirkis und tiefem Oliv
griindet die farbige Dunkelheit. Ludwig Justi beschrieb die Vielfalt far-
biger Modulationen: „Immer neue Ketten leisester Abstufungen ent-
deckt man in diesem Gewebe, ob man schräg durch das Bild die griinli-
chen, die violetten, die bräunlichen Töne verfolgt, oder gleichlaufend
mit dem Rahmen. Man kann die verschiedenen Farbenfolgen einzeln be-
trachten, ihrem Weg und ihrer Abstufung durch das ganze Bild nach-
gehen, wie man in einer Partitur verschiedene Linien verfolgen kann;
aber sie laufen nicht jede fiir sich, sondern alle immer in Beziehung zu-
einander, sich ausweichend, sich begegnend, sich steigernd, zusam-
menklingend zum köstlichsten Wohlklang .. .“ 79 Im raumhaften Hell-
dunkel leuchten die Farben auf, versinken inTiefen, an allen Orten zart
bewegt, doch nie ins unfarbige Licht, in farbfremde Dunkelheit ge-
trieben.
„Giorgione hat nicht erst gezeichnet und dann koloriert, wie dies z. B.
noch durchwegs Giovanni Bellini getan hat, sondern er hat von Anfang
an zu Pinsel und Farbe gegriffen. ... Er begann mit dem Himmel, der in
Horizonthöhe weißlich ..., am oberen Bildrand aber hellblau ist, und
setzte darüber die Wolken in Grau und Lila.“ So beschrieb Ludwig Bal-
dass den Anfang des Malvorgangs von Giorgiones >Drei Philosophen<
(um 1508, Kunsthistorisches Museum Wien) 80 und weiter: „Dann malte
stimmung mit der farbigen Fülle der erscheinenden Welt. Vielmehr ge-
staltet er das Einzelne, den Menschen, den Gegenstand, als ein durch
die Farbe bestimmtes Wesen ...“ Er gestaltet das Einzelne mit neuer
Kraft von Einzelfarben. So herrscht in der >Sacra Conversazione des hl.
Markus< (um 1511, Venedig, Sta. Maria della Salute) „ein sehr ungebän-
digtes Gegeneinander schwerer ausgedehnter und energiegeladener
Farben, von denen jede eigentlich allein zu gelten beansprucht, und die
nur durch strenge Ordnung zusammengefaßt werden können... Zu dem
Zinnober des hl. Cosmas, zu Goldgelb und Graublau des hl. Damian
tritt das Karmin und Ultramarin des hl. Markus, das silbrige Blau des
wolkigen Himmels, das Braungrau der Säulen und das rotgestreifte
Grün des über dem Thronsockel hängenden Teppichs, das Rot, Gelb
und Graublau der Fliesen, schließlich der leuchtende Akt des heiligen
Sebastian und die dunkle bräunliche Gestalt des heiligen Rochus. Also
eine Fülle selbständiger Farben!“ Tizians Farbe „ist struktiv wie die
Natur. Sie ist nicht auf den Malgrund aufgetragen, sondern mit ihm ver-
wachsen; sie bedeckt nicht, wie bei den schnell malenden Meistern der
späteren Zeit eine Oberfläche, sie dringt aus derTiefe uns entgegen. ...
Vasari erzählt uns,Tizian habe seine Bilder nicht nach mittelitalienischer
Weise durch Kartons, auf denen schon jede Einzelheit festgelegt war,
vorbereitet, sondern sie nach flüchtiger Skizze gleich auf der Leinwand
entstehen lassen. Ja, man muß wohl schon sagen, aus der Leinwand.
Denn wir wissen weiter, daß Tizian langsam malte. Er pflegte lange vor
dem Bilde zu sitzen und es zu mustern; er stellte das Begonnene weg,
holte es nach einiger Zeit wieder hervor, beseitigte das schon Daste-
hende, fing wieder von vorn an. Im unmittelbaren Kontakt mit der Stoff-
lichkeit des Grundes und der Farbe also, aus den Möglichkeiten der
Materie formte sich dem Meister die Vision des Bildes.“ Die als Materie
und in neuer Mächtigkeit erfahrenen Farben läßt Tizian in einem leb-
haften Gegeneinander zur Einheit finden. ,,Es ist ein GrundzugTizians,
daß das Harmonische ihm nicht gegeben ist, sondern immer erst von ihm
herbeigeführt werden muß, daß er das Ergebnis eines Kampfes ist und
daher besonders eindringlich ... So bilden Tizians Gemälde die dich-
teste, an Energien und Spannungen stärkste farbige Einheit, die wir
kennen.“ In der „höchsten Spannung“, der von Rot und Blau, ver-
dichtet sich die Spannungseinheit ’Tizianischer Bilder, sie ist deren
Grundakkord.
Hetzer gliederte Tizians Entwicklung in sechs Perioden auf. „Die sie-
ben Jahrzehnte seines Schaffens bilden ein Ganzes, dessen Zusammen-
hang durch Gegensätze und Spannungen auf das entschiedenste geglie-
dert wird. ... Die erste Periode reicht von den zeitlich unbestimmten
Anfängen bis 1516, bis zum Auftrag der Assunta; es sind die Jahre der
Unausgeglichenheit, der noch nicht geklärten und entwickelten Form.
Die zweite Periode beginnt mit der Assunta und endet mit dem Petrus
Martyr, also gegen 1530. Diese Zeit des Ehrgeizes, des großen und
raschen Aufstiegs, begriindet Tizians Stellung in der Geschichte der
Kunst und seinen Ruhm ... Die folgenden vier Perioden fallen mit den
Jahrzehnten nahezu zusammen.“ Der Grundcharakter dieser Perioden
ändert sich in rhythmischem Wechsel, „die erste, dritte und fünfte und
die zweite, vierte und sechste Periode sind einander ähnlich“. Die
Grundtendenz, die sich in der ersten, dritten und fünften Periode
kundtut, zielt auf Schönfarbigkeit, Sinnlichkeit, Bindung an die Ma-
terie, die andere auf aktive Bewegung und Monumentalität.
Die erste Periode war schon mit der >Sacra Conversazione des hl.
Markus< angesprochen. Als zweites Beispiel sei hingewiesen auf das
Bild der >Himmlischen und irdischen Liebe< (um 1515, Rom, Galleria
Borghese). In diesemWerk verliert sich Giorgiones Einfluß, es offenbart
zum ersten Male die „eigentümliche Bildschönheit, j a BildprachtTizians“,
die „Vereinigung des Natürlichen mit einem kunstvollen und straffen
ornamentalen Gefüge“. Ihr entspricht eine großformige farbige Hell-
dunkelkomposition. Lichtträger ist, im Kontrast zum weithin dunklen,
tief olivgriinen Landschaftsgrund, nicht der graublaue Himmel mit
seinen graugelben Wolken, sondern das fast ockergelbliche Inkarnat der
beiden Frauen und das warmweiße Gewand der linken, dessen silber-
graue Schatten zum etwas helleren Grau des Sarkophags überleiten. Die
Buntfarben, von denen sich zunächst nur braungebrochenes Rot und
Karmin zu erkennen geben, sind bereits Träger von Dunkelheit, Rot
riickt also auf die Seite des Dunkels (bezeichnenderweise hellt es sich
nicht zu Weiß auf), das Gelb des Inkarnats ist dem Lichtzugewandt. Die
Farbkontraste zum tiefen Olivgriin, zum satten Braun und gedämpften
Graublau der Landschaft entfalten sich in diesem Bereich mittlerer
Dunkelheit.
Die farbige Komposition der zweiten Periode beruht auf „prä-
174 Italienische Malerei des 16. Jahrhunderts
Idealität der zweiten“, zugleich tritt „auch in der Farbe an Stelle der Zu-
sammenfassung aller Bilder zu einer Gruppe ein ruhiges Nebeneinander
individueller Bildlösungen“. „Jetzt hat jedes Bild seine Farben, seine
Zusammenstellungen, seine Dominanten. Tizian kommt zur farbigen
Bildindividualität. Deren Geschlossenheit wird durch drei wichtige
Momente gesteigert, die als etwas Neues im Schaffen Tizians er-
scheinen: durch die Gruppierung abgewandelter und verwandter
Farben, durch die Relativität des Inkarnats, schließlich durch den Über-
gang von der Gegenstandsfarbe zur Bildfarbe.“ So ist es etwas „grund-
sätzlich Neues im koloristischen Denken Tizians, wenn er auf >Mariä
Tempelgang< (1534-38, Venedig, Accademia) an das Gelb und Weiß der
heiligen Anna das Gelb und Blau ihrer linken Nachbarin und den von
rötlich-bläulich changierenden Schatten durchzogenen gelben Mantel
Joachims stoßen läßt. An einer der wichtigsten Stellen des Bildes er-
halten wir einen Komplex nahe verwandter Farben, der als solcher im
ganzen den ausgedehnten Flächen des Himmels und der Architektur
entgegengesetzt wird. So dominieren die beiden Farben Blau und Gelb,
die zu wählen durch die blaugoldene Decke des Raumes Tizian nahe-
gelegt war ... Zugleich aber wird in dieser Zusammenfassung der Ange-
hörigen zur Farbgruppe das bedeutende Einzeldasein der kleinen Maria
dem Betrachter eindringlich; auch Maria hat die Hauptfarben -himmel-
blaues Gewand, lichtgelbe Aureole -, aber sie besitzt individuell und
rein, was sonst nur als Vielheit und mannigfach bedingt vorkommt. In
der Hauptfigur des Bildes erscheint das farbige Hauptthema am konzen-
triertesten und stärksten; überall sonst ist es umspielt von einer Fülle ge-
brochener Töne, rötlichen, bräunlichen, gräulichen, grünlichen und in
das Ganze des Bildes verwebt ..Diese gebrochenen Töne gehören
dem farbigen Helldunkel an, im Halblicht stehen weiteTeile der Archi-
tektur, im Silbergelb und Weiß sammelt sich das Licht. Rottöne ergänzen
den Gelb-Blau-Akkord zu verhülltenTriaden.
Während der auf Nuance und Differenzierung abzielenden dritten
Periode entstehen aber auch Werke von höchster Einfachheit der far-
bigen Gestaltung, so etwa die >Venus von Urbino< (1538, Florenz, Uffi-
zien). Alle Buntfarben sind hier insTiefe gestimmt. Das dunkelglühende
Rot des Lagers ist schwärzlich verhangen, aus der Dunkelheit hebt sich
der tiefgrüne Vorhang, Braunvariationen sind die Farben des Zimmers,
akzentuiert durch das Rot der Dienerin. Warmes Weiß ist Lichtfläche,
bettet in sich das Inkarnat. „Tizian lockert die natürlichen und gegebenen
Einheiten, um desto sicherer die Einheit des Bildes zu gewinnen ..
In Bildern der vierten Periode sehen wir sodann „die gesamte Bild-
fläche einheitlich mit unbestimmten und nahe verwandten Farben sich
erfüllen, mit Farben, die wesentlich durch wolkige Himmel, bräunliche
176 Italienische Malerei des 16. Jahrhunderts
Inkarnats halten allein dem tiefen Samtrot des Mantels, dem Schwarz-
braun der Haare, dem schweren Dunkel der Wand die Waage. Zarte
Dunkelheit iiberflutet Wangen und Hals. Zwischen den Polen vermitteln
das Grau des Pelzes und der Rosaton des Gewandes. Mächtig steigert
die >Auferweckung des Lazarus< (1517/19, National Gallery London) 88
die Spannung zwischen Dunkelheit und kiihlem farbigem Licht. Glas-
fensterhaft heben sich die Farben aus der Dunkelheit des Grundes und
den dunklen bräunlichen Inkarnaten. Buntfarbige Intensität aber sam-
melt sich fast durchweg in den Halbschatten, so beim rosa aufgehellten
Karmin und beim Kobaltblau Christi, mit dem Gelb des Knienden davor
eine triadische Gruppe bildend, so bei den aufleuchtenden Griinak-
zenten und bei Orange. Ein Schulbeispiel vertiefter Buntfarbigkeit ist
auch die >Heimsuchung Mariä< von 1521 im Louvre 89, mit sattem Lapis-
lazuli, kräftigem Griin und Karmin, alle im Halbschatten, beim Marien-
gewand. Grau ist das Gewand Elisabeths, bindet sich mit dem Gelb ihres
Mantels zu ungewöhnlichem Klang und bestimmt die Farbhöhe: ihm
entspricht das Rot und Grün der Halbschatten; nur das Weiß des Schleier-
tuchs Mariä hebt sich dariiber. Klare Stufung bewahrt auch den von
Dunkelherden umgebenen Farben Schönheit und Ruhe.
Lorenzo Lotto 90 (um 1480-1556) erweckt in den Farben, in ihren
kiihnen, kiihlen Kombinationen und ihren Helldunkelrelationen neu-
artige Ausdruckswirkungen. Nur drei Werke seines umfangreichen, im
Schnittpunkt vielfältiger kiinstlerischer Ausstrahlungen stehenden
Schaffens seien erwähnt. Höchst ungewöhnlich ist, wie beim >Bildnis
eines jungen Mannes< (um 1508, Wien, Kunsthistorisches Museum) 91 die
Biiste vor schimmerndem, silbergrau-durchsichtig verschattetem Da-
mastweiß des Vorhangs steht, mit homogenem Schwarz der Miitze und
tiefstem, von schwarzen Falten durchzogenem Dunkelgrau des Ge-
wandes, - messerschaf konturiert! Im dunkelgrauen Folienstreifen
rechts glimmt eine Ampel. Der tiefgriine Vorhang der >Mystischen Ver-
mählung der hl. Katharina< (1505/08, Alte Pinakothek Miinchen) 92
schafft eine Folie von Dunkelheit, gegen die der lichthaltige Elfen-
beinton des Marienantlitzes heftig kontrastiert, die den Kopf Josephs
aber langsam aus sich entläßt und das Graublau und Grauviolett seines
Gewandes in sich schmilzt. Licht und Dunkel konstituieren neben den
Farben, unabhängig von ihnen, den Bildaufbau; das Licht, auf einer
Höhe gehalten, läßt eigene Flächenmuster entstehen, das Dunkel aber
reicht in unterschiedliche Tiefen und iiberflutet stellenweise die Farb-
grenzen. Der weiße Lichtglanz des karminroten Mariengewandes steht
in unbestimmter Relation zum gegenständlichen Weiß des Katharinen-
gewandes und des Kopftuchs Mariä: Farbe und Licht beanspruchen
gleiche Wirksamkeit, unentschieden bleibt ihr Verhältnis. Die Subtilität
der Farbdifferenzierung Lottos zeigt >Christi Abschied von seiner
Mutter< (1521, Gemäldegalerie Berlin) 93: vor olivgraugrimem, zu
fahlem Braun nach vorn und in die Tiefe sich erhellendem Helldunkel-
grund erscheinen Komplexe schwach gesättigter Buntfarben in nahen
Intervallen von Blau und Rot, sowie Gelb und Grau bei Petrus links. Die
Mäntel Christi und Mariens sind im gleichen milden, graugebrochenen
Blau gehalten, zu schwärzlichem, düsterem Graublau wird dieser Ton
im Mantel der hl. Anna abgebogen, zu Grauviolett bei den knienden
Stiftern vorne rechts: farbige Expression entsteht aus schmerzhaft
nahen Intervallen. Mit weichen Konturen, hauchhaft, lichtet sich das In-
karnat Christi und Johannes’ aus dem Braun des Grundes, noch Christi
Hände stehen wie unter dem Widerschein dieses Grundbrauns. 94
Jacopo Tintoretto 95 (1518-1594), der wie kein zweiter Venezianer die
Farbe dem Raum erschließt 96, steht andererseits doch in engerer Verbin-
dung mit der venezianischen Flächendekoration als Tizian. „Deko-
rativ“, so Erich von den Bercken 97, ist seine Farbgestaltung, unabhän-
giger von Bildinhalt und Form als bei anderen Malern seiner Zeit: „Von
ferne, ohne überhaupt den Gegenstand zu erkennen, üben Tintorettos
Werke - vor allem diejenigen seiner reifen Zeit - einen farbigen Zauber
wie Teppiche oder Mosaiken aus, einen Zauber, der in gewissem Sinne
von Linienkomposition und Inhalt ganz unabhängig ist.“ „Die Farbe ist
wie ein Schleier über die Zeichnung geworfen“ - kann eben deshalb
ihren eigenen Gesetzen folgen, wie die Zeichnung den ihrigen. Ihr ge-
meinsamer Nenner ist die „prinzipielle Gleichmäßigkeit der Verteilung
der Bildelemente. Dadurch, daß die Bildteile gegeneinander immer in
eigentümlicher Weise ausbalanciert waren, daß die Bildfläche im wesent-
lichen gleichmäßig aufgeteilt war, daß kein einzelnes Glied, kein Bildteil
93 FA: Gemäldegalerie Berlin, 335.
94 Zur Farbe bei Moretto da Brescia (um 1498-1554), der an Lotto und die
Venezianer anknüpft, vgl.: György Gombosi, Moretto da Brescia, Basel 1943.
95 FA: Carlo Bernari, Pierluigi de Vecchi, L’opera completa del Tintoretto
(Classici dell’Arte, 36), Mailand 1970.
96 Vgl. Hetzer, Tizian, 198/199.
97 Erich V. d. Bercken, August L. Mayer, JacopoTintoretto, Kapitel IV, Farbe
und Lichteinwirkung, 109-160, Zit. 111,112, 114,116, 121, 122, 125,147, 150.
180 Italienische Malerei des 16. Jahrhunderts
kung ist bei ihm denn auch eine viel größere als bei den Malern vom An-
fang des 16. Jahrhunderts, sie erscheint aufs höchste gesteigert dort, wo
die Farbschicht ganz dünn ist, wie in den Bildern der Scuola di S. Rocco,
in denen oft eine einzige oder ganz wenige Farbschichten auf dünner
Grundierung aufgetragen sind. Fmhwerke zeigen oft noch eine sehr
feine Leinwand verwendet.“ Tintoretto malte verhältnismäßig trocken
und benutzte wohl vorwiegend Borstenpinsel. Den farbigen Aufbau be-
schrieb v. d. Bercken folgendermaßen: „auf einer braunen Grundierung
erfolgt zunächst die farbige Vorbereitung in den unteren Schichten durch
Töne, die mitunter ein wenig neutraler, indes nirgends vollkommen ton-
frei sind, eine leuchtende Farbwirkung wäre durch eine nur Grau in
Grau ausgeführte Untermalung viel weniger leicht zu erzielen gewesen.
Die Farbtöne werden durch Übermalung immer mehr gesteigert, und
die oberste Schicht gibt den kräftigsten Ton. Der Farbkörper wurde
durch die Untermalung, der Farbton hauptsächlich durch die Uberma-
lung gegeben.“
Die Entwicklung der Farbgestaltung Tintorettos sei durch Bemer-
kungen zu einigen Hauptwerken wenigstens angedeutet.
Beim >Wunder des hl. Markus< von 1548 (Venedig, Accademia) ar-
beitet Tintoretto mit „Lichtschichten“, um Reliefflächigkeit räumlich zu
erweitern. Zwischen dem Weiß der auf hohen Sockel gestellten Säule,
die das Bild links vorn eröffnet, und dem Weiß der Gartenarchitektur
entfaltet sich die Farbenvielfalt der Figuren. Das im Bildgrund sich aus-
breitende Griinblau des Himmels ist Bestandteil auch der Trias als Ord-
nung der farbigen Mannigfaltigkeit. Im kalten Blau des vorne Knienden
wird es wiederholt, kontrastiert zu feurigem Goldocker im Gewand der
vom Rücken gesehenen Mutter daneben und im flatternden Mantel des
sich vom Himmel stürzenden Heiligen. Das Karminrosa in seinem Ge-
wand wie in des rechts vorne hockenden Soldaten Panzer ergänzt zur
Dreiheit abgewandelter Grundfarben.
>Susanna im Bade< (um 1555/57, Kunsthistorisches Museum Wien) 99
vertieft die Helldunkelspannung. Aus dem Halblicht und den von
stumpfem, tiefem Oliv und Braungrau getragenen Dunkelheiten heben
sich nur der gelblichweiße, von flächigen Haibschatten durchzogene
Körper Susannas und das gesättigte Orange im Mantel des Alten heraus.
Ein gelbgrauer Himmel bildet die farbige Folie.
In den Bildern der Scuola di San Rocco zieht Tintoretto alle Register
seiner Lichtkomposition. Vorzugsweise die licht-tragenden Flächen-
stücke dienen der Bildorganisation, oft unterTrennung von ihren gegen-
ständlichen Trägern. Die >Kreuztragung< in der Sala dell’Albergo (1566/
1567) zeigt reinweiße Schlaglichter auf den blauen, grünen und grauen
Gewandstücken der unteren Kreuzträgergruppe, rosa Schlaglichter im
braunroten Mantel der linken Figur. Auch die Farben werden, vor
braunem und tiefgrünem Dunkelgrund, über ihre „spezifische Hellig-
keit“ hinaus hochgeblendet. Licht wird zum Bewegungsfaktor, zieht den
Blick nach oben, zum Hellgrund hinter der Christusgruppe. Die >Drei
Grazien mit Merkur< im Anticollegio des Palazzo Ducale (um 1576) sind
von anderer Farbstimmung erfüllt als die kurz darauf folgenden Werke
der Sala Grande der Scuola di San Rocco: bei aller „dekorativen“
Grundhaltung dient auch Tintorettos Farbe den Bildgehalten. Verhal-
tenes rötliches Braun, zu weißem Lichtton changierend, klingt hier zu-
sammen mit tiefem, in rosa Lichtstegen aufgehelltem Moosgmn und
Mittelblau mit gelblichen Lichthöhungen in denTüchern. Das weißgelb-
liche, olivtonig verschattete Inkarnat leuchtet vor dem mittelhellen Blau
des Himmels und der fernen Berge. Es sind die gleichen Farben, die im
Tuch der vordersten Grazie changieren! Kein „quellendes“ Licht breitet
sich aus in Tintorettos Bildern (wie in Werken der florentinischen oder
römischen Malerei), auch kein glühendes Tiefenlicht (wie beiTizian),
sondern ein trocken flächiges, das in dieser Flächenbindung den Farben
nahesteht.
Die >Mannalese< (1592-94, San Giorgio Maggiore, Venedig) läßt die
Farbwahl der Spätzeit erkennen. Olivgelb, Graugelb treten vermehrt
auf, fahles Karminrosa löst den Karminton früherer Jahre ab. In stän-
digem Wechsel zu dunkleren oder helleren Gmnden heben sich die
Figurenfarben ab. Blau hält sich, rhythmisch verteilt, durch alleTiefen-
schichten im gleichenTon durch, bei einzelnen Figurengruppen mit triib-
purpur-verschattetem Karminrosa und Oliv zur verhüllten Trias erwei-
tert, bei anderen nur mit Rosatönen zusammenklingend. Geisterhaft
leuchten Lichtflächen auf, in kaltem Hellbraun fluoreszierend auf den
Inkarnaten.
In eigener Weise gestaltet Paolo Veronese 100 (1528-1588) farbiges
Helldunkel als mittlere Helligkeit unter voller Wahrung koloristischer
Werte. 101 Aus der Fülle seiner neuen Farbgruppierungen seien einige
Beispiele erwähnt. Die friihen Deckenbilder der Sala del Consiglio dei
Dieci im Dogenpalast von Venedig (1553/54) sind bestimmt vom Klang
100 FA: Guido Piovene, Remigio Marini, L’opera completa del Veronese
(Classici dell’Arte, 20), Mailand 1968.
101 Zur Farbe bei Veronese vgl. : Eva Tea, II Cromatismo di Paolo Veronese.
In: L’Arte, XXII, 1920, 59-75. - Joy AllenThornton, Renaissance ColorTheory
and some Paintings by Veronese, PH.D. University of Pittsburgh 1979, Univer-
sity Microfilms Int. 1980.
Italienische Malerei des 16. Jahrhunderts 183
aus Gelb und Blau. Die Himmelsfolie des Bildes >Juno schüttet ihre
Schätze über Venetia aus< ist geteilt in Gelb und homogenes, lichtes Blau.
Das blaue Gewand der Juno ist eingebettet in das helle Gelb des Him-
mels und das bräunlich gebrochene ihres Mantels. Wieder anders sind
der Goldton des Gefäßes, das Flachsblond ihrer Haare, der Gelblichton
ihres Inkarnats. Geteilt ist auch der Grund beim Hochaltar von S. Seba-
stiano in Venedig (wohi 1559), der Kirche, die Veronese auch mit Decken-
und Chorbildern ausgeschmiickt hat. Eine Wolkenzone, die Maria mit
ihren Engeln trägt, läßt die Hauptfigur der unteren Zone, den hl. Seba-
stian, und stellenweise auch die anderen Figuren in Halbschatten zurxick-
treten. Mattes Goldgelb oben bindet sich mit dem verhaltenen Lachs-
braun des Gewandes und dem gebrochenen Blau des Mantels Mariens
zurTrias. Graublau und Bräunlich sind die Farben des von weiß aufglit-
zernden Wolken durchzogenen „irdischen“ Himmels. Vor ihm akzentu-
iert sich Buntfarbigkeit im Klang von Stahlblau und Orange beim
knienden hl. Petrus, zarter, als Goldgelb und Braunorange, im Gewand
der hl. Katharina links, im Buntrelief aber kaum die Inkarnatfarben
iiberbietend. Die Farben scheinen wie erweckt vom gefilterten Licht,
das von oben dringt. Zwischen Licht und Schattendunkel steht Seba-
stians Inkarnat, steht das Grau der Franziskuskutte, das auch zur Folie
vermittelt. Die Schattenzonen aber vereinen sich zu einem mittleren
Grund, Helldunkel konkretisiert sich bei Veronese als Abfolge von Folien
unterschiedlicher Helligkeiten und Dunkelheiten, geordnet um einen
Bezirk von Halblicht und Halbdunkel. - Wie im erwähnten Deckenbild
kommt auch beim >Martyrium der Heiligen Markus und Marcilianus<
(1565) auf der linken Chorwand von S. Sebastiano den Gelbwerten eine
konstruktive Rolle zu. Vor einem Himmelsgrund in herbem, olivhal-
tigem Umbra und einer Architekturzone in graustichigem Weiß - die
einen mittleren Hellgrund bildet - dominieren in den Figuren Gelb-,
Orange-, Rot- und Karmintöne, wobei die Rotvariationen gewisser-
maßen auf die Seite von Gelb gezogen werden. Die dunkleren Gelbtöne
differenzieren sich in Goldbraun, Goldorange, Orange. In Fraise und
Lachsrosa beginnt der Rotbereich. Die hellen Gelbtöne teilen sich in
kaltes Silbergelb, Messinggelb und Goldgelb, je anders auch durch die
Schattentöne erscheinend. Veronese liebt changierende Farben; hier
finden sich von Graublau zu Mattrosa, von hellem Lachsrosa zu Helloliv
changierende, von Hellgriin nach Silbergelb aufgehellte, auch farbig ge-
streifte Gewänder. Eine schier unerschöpfliche Vielfalt zarterTöne steht
Veronese zur Verfügung, die er aber immer gestuft, nie in fließenden
Übergängen zur Geltung bringt. „Changieren“ ist Prinzip seiner Farb-
modulation wie seiner Farbmodellierung. Für Cézanne war eben des-
halb Veronese ein bewundertes Vorbild.
184 Italienische Malerei des 16. Jahrhunderts
Gelbwerte können aus brauner Folie entwickelt werden. Bei der >Sal-
bung Davids< (um 1555/60, Kunsthistorisches Museum Wien) 102 bildet
homogenes, nur von Weiß durchzogenes Blau die Abschlußfolie, davor
steht ein tief olivbrauner, gegenständlich kaum qualifizierbarer Grund,
der die „Brunaille“ der Figurenfarben aus sich entläßt, auch noch die
Geib- und Orangebraunflächen der Mäntel, und bis zum Gebälkstück
und zur Ziege des Vordergrundes reicht. Einzig leicht wäßriges Rot und
gebrochenes Blau in der Bildmitte heben sich davon ab.
Für die großen Gastmähler Veroneses ist farbige Zusammenfassung
von besonderer Bedeutung. Bei der >Hochzeit von Kana< (1562/63) im
Louvre 103 neutralisiert sich das Blau des Himmelsgrundes zum warmen
Grau und Weiß der Architekturanlage. In den linken Säulenfronten ge-
winnt das Weißgrau, über Elfenbeinweiß zu Salmrötlich, zunehmend an
Wärme, die rechten verstärken die Dunkelheit. Diese Griinde enthalten
potentiell die Figurenfarben, die sich als rhythmisierte Vielfarbigkeit
davor entfalten. Gelb wird aufgespalten in Zitron, Ocker, Gelb- und
Rotorange, vertieft zu Braun, und findet über Purpurbraun Anschluß an
Rot. Der Vielfalt dieserTöne antworten ein im Qualitätsgrad so gut wie
nicht, im Helligkeitsgrad nur geringfügig modifiziertes mittelhelles,
grauhaltiges Ultramarinblau und ein kaltes Griin. Die fast unüberschau-
bare farbige Fülle sammelt sich im Rot und Blau der Gewandung
Christi, die mit den Gelb- und Rottönen der beiden Musiker unter ihm,
ergänzt um Silberweiß, die Trias bilden. Die Figurenfarben stehen im
Halblicht - für William Turner war Veroneses >Hochzeit von Kana< das
Modell einer Verwendung gesättigter Farben als Schattentöne. 104
Anders als Tintoretto gliedert Veronese die Farben häufig in frei-
symmetrische Gruppen. 105 Selbst bei diagonal entwickelter Figuralkom-
position wägen sich Farbgruppen aus, so bei der >Erweckung des Jiing-
lings zu Nain< (um 1565/70, Kunsthistorisches Museum) 106 eine Gruppe
der Frauen links in Blau, Bleichkarmin, Orangebraun, Weiß, Grün und
die Gruppe um Christus in Blau, zu Weiß aufgehelltem Bleichkarmin,
Ocker, Hellrot, Olivgrün. Es wiederholen sich also nicht gleicheTöne,
sondern ähnliche werden in freiem Gleichgewicht ausbalanciert.
Veronese begnügt sich nicht immer mit gebrochenen, milden Farben.
So glühen bei der (im Erhaltungszustand freilich problematischen) >An-
betung der Könige< (um 1578, Vicenza, S.Corona) die Gewänder der
Könige vor tief tiirkisblauer Himmelsfolie und braungrauer Architektur
zu höchster Prachtentfaltung auf, zu brennendem Scharlachrot im
Mantel des stehenden, die Bildmitte bezeichnenden Königs, zu Gold-
gelb im Brokatmantel des knienden Königs daneben. Mit dem leicht
graugebrochenen Blau des Marienmantels bilden sie die Farbfigur der
Trias, in anderen Gelb- und Rottönen werden sie variiert. Nicht immer
verzichtet Veronese auch auf vertiefte Ausdruckswirkungen der Farbe.
Beim >Kruziftxus mit Maria und Johannes< (vor 1581) in S.Lazzaro dei
Mendicanti in Venedig foliiert die Figuren ein tief schiefergrauer
Himmel mit dunklen, silbergrauen, stellenweise von weißem Licht ge-
troffenen Wolken. Maria, in schwarzblauem Mantel, steht mit dem
dunklen, in den Schatten fast zu Violett sinkenden, in den Lichtgraten
metallisch karminrosa aufgliihenden Bordeauxrot ihres Gewandes in
schneidendem Kontrast zum Orangezinnober des Johannesmantels.
Fahlgraugelb, Kaltgrau in den Schatten ist Christi Inkarnat. Nur im
Goldgelb der Himmelsöffnung mildert sich die farbige Spannung.
Daneben entstehen Werke höchster farbiger Subtilität. Beim >Raub
der Europa< (um 1576/80, Venedig, Dogenpalast) entfaltet Veronese den
Blau-Gelb-Rosa-Akkord vor dunklem Oliv und tiirkisfarbenem Grund
zu zartester, auf Boucher vorausweisender Wirkung. Das nächtliche
Tiirkisblau des Himmels fiihrt in diesem Klang, die anderenTöne diffe-
renzieren sich in silbriges Schwefelgelb, Ocker, Lachsrosa, Fleischrosa
und Zinnober (in ganz geringer Quantität). Im Gemälde >Susanna und
die beiden Alten< (wohl friihe 80er Jahre, Paris, Louvre) ist der Grund
potentielle Farbe, enthält als festes, kiihles, mit Grau vermischtes
Umbra nahezu alle Farben der Bildgegenstände, indirekt - via Braun -
sogar die am weitesten abweichende Farbe, das matte, bräunliche
Karmin im Mantel des vom Riicken gesehenen Alten. Die Farbigkeit be-
schränkt sich im wesentlichen auf die Braunachse; es erscheinen Bronze-
braun in Brunnenfigur und Becken, Orangebraun im Mantel Susannas,
ein kiihlerer orangebrauner Ton beim mittleren Alten, leuchtendes
warmes Hellbraun im Inkarnat der Frau, ein Bronzeton in dessen
Schatten, Bronzeoliv am unteren Bildrand. Delacroix kommt in seinem
Tagebuch mehrmals auf dieses Bild zu sprechen, es ist ihm ein Beispiel
fiir die Einfachheit von Licht- und Schattenflächen. Unter dem 24. Sep-
tember 1850 vermerkt er: «Je remarquais dans la Susanne, de Paul Vér-
onèse, combien l’ombre et la lumière sont simples chez lui-même sur les
premiers plans ... La poitrine de la Susanne semble d’un seul ton, et elle
est en pleine lumière; ses contours sont également très prononcés: nou-
veau moyen d’être clair à distance ...» Unter dem 3.November 1850
heißt es: «Paul Véronèse met à plat la demi-teinte de clair et celle de
186 Italienische Malerei des 16. Jahrhunderts
l’ombre ...»Die„demi-teinte“wirddaskoloristischeGrundmaterialfiir
Delacroix. Hier kann er an Veronese anknüpfen.
107 Vgl. dazu weiterfiihrend: Barasch, Light and Color in the Italian Renais-
sanceTheory of Art, 90-134. -Lersch, Farbenlehre, Sp. 193,194. - Charles Park-
hurst, Camillo Leonardi and the Green-Blue Shift in Sixteenth-Century Paint-
ing. In: Intuition und Kunstwissenschaft, Festschrift Hanns Swarzenski, Berlin
1973, 419^125. - Jonas Gavel, Colour, AStudy of its Position in the ArtTheory of
the Quattro- & Cinquecento, passim. - David Rosand, Painting in Cinquecento
Venice: Titian, Veronese, Tintoretto, New Haven, London 1982, 15-26.
108 Lersch, Farbenlehre, Sp. 193.
109 Vgl. Barasch, Light and Color, 100 ff.
110 Vgl. Barasch, Light and Color, 102-111.
111 Lersch, Farbenlehre, Sp. 193,194.
Italienische Malerei des 16. Jahrhunderts 187
Werken ein lume leggiadro, amoroso e dolce, das die Grazie dieses
Künstlers offenbart; Mantegnas Licht ist pronto e minuto, aber harmo-
nisch gemildert; Tizians terrible ed acuto lume zeigt seine Größe und
Gaudenzio gab ,un lume large e regolato' ... Hier, in diesem Kapitel,
finden wir eine Lichttheorie, die weit über alles hinausgeht, was die
Kunsttheorie der Renaissance in dieser Beziehung sagte.“ (Barasch) -
Auch der Farbe läßt Lomazzo hohe Wertschätzung zukommen: sie ver-
leiht der Malerei Vollendung: „Onde il colorir si può dir la radice della
Pittura e quello che gli dà la perfezione. “ Ein charakteristisches Element
der Farbtheorie Lomazzos ist die Betonung der „Objektivität“ der
Farbe, die eine Trennung von Licht und Farbe zur Voraussetzung hat.
Wichtig ist ihm die Lokalfarbe der Gegenstände: „Beleuchtete und ver-
schattete Teile einer dargestellten Figur haben zwar verschiedene Licht-
intensität, sie haben aber dieselbe Farbe.“ So kann Farbe zum Mittel der
Erkenntnis des Dargestellten werden; die Körperfarbe einer Figur zeigt
ihr Temperament, „der Choleriker hat eine andere Körperfarbe als der
Sanguiniker, der Phlegmatiker eine andere als der Melancholiker“, die
Farben zeigen aber auch die Leidenschaften, die „Passionen der Seele“.
Traditionen der vor allem auch in der Astrologie überliefertenTempera-
menten-, Planeten- und Elementenlehre werden hier mit einer neuen
psychologischen Deutung verknüpft. Die Farbe als objektiver Ausdruck
des Gegenstands bedarf der subjektiven Dimension, des Erlebens des
Betrachters. Damit gelangt Lomazzo zu einer vertieften Erfassung des
farbigen Ausdruckswertes. Aber nicht schon als Einzelfarbe gewinnt sie
diese Wirkung im Kunstwerk, erst innerhalb eines Systems von Freund-
schaften und Feindschaften von Farben. „Die richtige Disposition einer
Farbe versichert ihre volle Sichtbarkeit, die falsche macht sie ästhetisch
abwesend“, und Lomazzo ist wohl der erste, der ,,das Zustandekommen
harmonischer Farbkombinationen auf ein einheitliches Prinzip zumckzu-
führen sucht: einander freundlich sind diejenigen Farben, die in der Skala
benachbart sind“. (Lersch) Diese Auffassung erklärt auch Lomazzos
Vorliebe für Changeantfarben. - Darin und in der Akzentuierung der
farbigen Ausdruckswirkung reflektiert Lomazzos Farbtheorie Besonder-
heiten manieristischer Farbgestaltung.
ZUR NIEDERLANDISCHEN MALEREI
DES 16. JAHRHUNDERTS
11 Vgl. dazu auch: Andreas Prater, Christus in der Vorratskammer, Ein ,em-
blematisches“ Bild Pieter Aertsens in Wien. In: Festschrift für Wilhelm Messerer
zum 60. Geburtstag, Köln 1980, 219-230.
12 Vittorio Imbriani, La Quinta Promotrice, Neapel 1868; vgl. Benedetto
Croce, Kleine Schriften zur Ästhetik, II, ausgewählt und übertragen von Julius
von Schlosser, Tübingen 1929, 249-258: Eine Theorie des Farbenflecks (1905).
13 Hans Sedlmayr, Die „Macchia“ Brueghels, (1934). In: Sedlmayr, Epochen
und Werke, Gesammelte Schriften zur Kunstgeschichte, Erster Band, Wien-
München 1959, 274-319, Zit. 275, 276/277.
14 FA: Prohaska, Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie, 60.
15 Wolfgang Mössner, Studien zur Farbe bei Pieter Brueghel d.Ä., Diss.
Würzburg 1975, 58.
194 Niederländische Malerei des 16. Jahrhunderts
sches Museum Wien) 16 „in den Farben selbst schon der Herbst“,
schwingt im jeweiligen Farbton „ein Stimmungsgehalt mit, der ganz
unmittelbar dem, was in der Natur vorgeht, entspricht“. Gaben sich in
den frühen Bildern die Farben mehr durch die „ Art ihrer verschiedenen
Positionen in Raum und Fläche, durch ihren harten, gegeneinander-
stehenden Auftrag und ihre Isolation als aufgrund der Art ihrer Farbig-
keit an sich als expressiv und aggressiv, als flüchtig und labil zu ver-
stehen, so wecken jetzt die zarten Braunnuancen aus sich selbst heraus,
nur mit Hilfe ihrer Farbigkeit und ihrer Verwandtschaft zu stets wieder
auftauchenden, ihnen ähnlichen Farbwerten gewisse im Wesen der
Farbe gründende Empfindungen, wie die von modriger Erde und säuer-
lich riechendem Laub. Zugleich aber entstehen bei der Betrachtung des
Bildes Assoziationen an einen Herbststrauß, dessen Blätter sich noch
einmal in allen dem Herbstlaub eigenen Farbnuancen zu einem letzten
melancholischen Aufleuchten vereint haben.“ Schon aber zieht der
Winter mit unwetterschweren Wolken herauf. „Die kalten, blei-
schwarzen bis tintenblauen Wolkenbänke lassen dabei im Kontrast die
schwache, sich über die Landschaft hintastende Wärme eines Spät-
herbsttages deutlich werden, gehen aber gleichzeitig zu den Farben auf
der Erde, die sich im wesentlichen auf den Leitwert eines goldenen
Brauntones bringen lassen, eine lockere komplementäre Beziehung ein.
In der sich auch durch diesen harmonischen Ausgleich einstellenden
Ruhe ist die spannungsgeladene ,Zwiespältigkeit‘ der früheren Bilder
aufgegangen.“ 17
4 Über das Licht in der Malerei, 137/138,142. -Dazu auch: Thomas Sommer,
Licht und Finsternis, Studien zu Caravaggio und Shakespeare. In: Shakespeare-
Jahrbuch, Bd. 95,1959,193-215.
5 Emil Maurer, Zu Caravaggios Helldunkel. In: Festschrift Hans R. Hahn-
loser zum 60. Geburtstag, Basel 1961, 393-396, Zit. 393. -Dazu auch: KasparH.
Spinner, Helldunkel und Zeitlichkeit, Caravaggio, Ribera, Zurbaran, G. de la
Tour, Rembrandt. In: ZeitschriftfiirKunstgeschichte, 34,1971,169-183.
Die Malerei des 17. Jahrhunderts 197
Caravaggio läßt, und dies ist entscheidend fiir den Ernst und die Konzen-
tration seiner Farbgebung, auch bei schärfstem „Lichteinfall“ die
Farben nicht vom Licht aufzehren, sondern bewahrt die bestimmenden
Buntwerte in ihrer Sättigung und Festigkeit -, wie auch sein Flelldunkel
die Linie nicht ausschließt: so trennt hier eine deutliche braune Kontur-
linie etwa den Oberarm des Christusknaben vom roten Rock der Mutter.
Annäherung von (schwärzlich verschattetem) Rot und einem (hier
graurötlichen) Ockerton, also zweier warmer Farben, zeigt sich auch in
der >Grablegung Christi< der Vatikanischen Museen (1602/03), begleitet
von dunklem Blau und sehr dunklem, kaum von der tiefschwarzbraunen
Folie unterscheidbarem Griin. Ähnlich beschränkt sich beim >Ma-
rientod< des Louvre 8 (1605/06) fiir die Gesamtauffassung die Farbigkeit
auf Braunrot, in Draperie und Mariengewand, und Ocker, im Mantel
des vom Licht getroffenen Apostels, ins Kupfrige gefiihrt beim Kleid der
Weinenden, zu einem Goldbraun vertieft und zum Braun des Grundes
und des Bodens vermittelnd im Mantel des Apostels links. Auch hier tau-
chen die anderen Farben, tiefes Schwarzblau, tiefes Schwarzgriin, leicht
violettstichiges Grau, im Bilddunkel unter. Nur Weiß hebt sich heraus,
rauh und stofflich, mit griinlichgrauen Schatten im Ärmel der Kla-
genden und im Kissen, so daß auch hier die antike Skala von „Schwarz“,
Weiß, Rot und „Gelb“ machtvoll sich zur Geltung bringt.
In der >Rosenkranzmadonna< des Wiener Kunsthistorischen Mu-
seums 9 (1606/07) lebt noch einmal, zwischen dem tief olivhaltigen
Schwarz des Grundes, das sich in den Kutten modifiziert, und der Licht-
helle des Weiß und der Inkarnate, die Fiille zart gebrochener Buntwerte
auf. Sie stehen unter der Vorherrschaft des machtvollen Rots im Vor-
hang: ein mattes, leicht nach Grau gebrochenes Kupferrot, tiefes Moos-
griin, graugedecktes Blau und Griinblau, zweierlei Gelb, ein matt griin-
liches, durch schwärzliche Verschattung olivtonig erscheinendes und ein
reineres Zitrongelb.
Caravaggios letzte Werke in Sizilien und Neapel steigern die Helldun-
kelspannung und drängen Buntfarbigkeit zuriick. Die bildbestim-
menden Erdfarben bleiben in der Dunkelfarbe des Grundes verankert.
„Mit den ganz auf das Dingliche und Stoffliche der Gegenstände ge-
richteten Werten seiner Farbskala schuf Caravaggio die Grundlagen fiir
neue Ausdrucksmöglichkeiten der europäischen Malerei.“ „Auf Ver-
wirklichung, Vergegenwärtigung und Konkretisierung zielte alles: die
Verdichtung und Verdinglichung der natiirlichen Gegenstände in ihrem
materiellen-körperlichen Sein, die Zusammenfassung und Lenkung des
12 Ludwig Münz, Rezension von: Arthur von Schneider, Caravaggio und die
Niederländer, Marburg/Lahn 1933. In: Kritische Berichte zur kunstgeschicht-
lichen Literatur, VI, 1937, 60-68, Zit. 65/66.
13 Hermann Voss, Die Malerei des Barock in Rom, Berlin o. J. (1924), 458.
14 FA: Steingräber, Alte Pinakothek, 27.
15 FA: Prohaska, Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie, 31.
16 FA: Laclotte, Louvre, II, 98.
17 FA: Steingräber, Alte Pinakothek, 26.
202 Die Malerei des 17. Jahrhunderts
findet sich eine Komposition von neutralen und bunten Farben, doch
nun in einer Gegeniiberstellung lokalfarbiger und neutralisierter Be-
zirke. Die Buntfarben werden von der Figur des Engels getragen: mittel-
helles Blau, Mattbräunlichrot, helles Braun, das den Gelbwert derTrias
vertreten kann, dazu kaltes Grau, festes Weiß undTaubenblaugrau. Das
übrige, die Folie, der Heilige und sein Begleiter, die Gegenstände des
Vordergrundes, sind Varianten von Braun und Grau. Diese Grundtöne
des Helldunkels verdichten sich in unterschiedlichem Maße zu Gegen-
standsfarben, jedoch so, daß der Lokalton nicht überwiegt, die Gemein-
samkeit der Helldunkeltöne als Farben immer spürbar bleibt.
Andere Nachfolger Caravaggios übernehmen in stärkerem Maße
dessen Helldunkelspannung, so Orazio Borgianni (1578-1616) in seiner
>Heiligen Familie< (Rom, Gall. Nazionale, Palazzo Barberini) 18. Hier
läßt sich beobachten, wie bei Caravagios Nachfolgern die Licht-Form-
Phantasie schwindet: nicht mehr konstituieren sich die Lichtflächen zu
eigenen, gegenstandsunabhängigen Formen. Es schwindet die Konzen-
tration des Lichtes und entsprechend die der Farben, die nun in anderer
Vielteiligkeit erscheinen, zusammen mit demonstrativ vorgetragener
Trias.
Ins offen Ausdruckshafte wandelt Guercino (Gian Francesco Bar-
bieri, 1591-1666) Caravaggios Helldunkel. Alle Farben sind eingebettet
in die Licht-Tenebroso-Dualität, Schatten sind Modifikationen des tene-
brosen Grundes, bisweilen erscheinen auch Farben wie umflort von
Dunkelheit. In dieser Spannung vereinfacht sich auch die Buntfarbord-
nung. Aber die Farben erweisen sich, in ihrer sonoren Schönheit, gleich-
wohl als an sich bestehend, werden vom Licht nicht erst erweckt. So be-
wahren sie ihre eigene Ruhe. Die >Auferweckung des Lazarus< (1619,
Paris, Louvre) 19 zeigt vor dunkelolivbraunem Grund eine tief gestimmte
Trias aus schwärzlichem Stahlblau, zu Violett neigendem Bordeauxrot
und Ledergelb in der Gewandung Christi und der Kauernden neben
ihm. Gefiltertes, mondscheinartiges Licht erhellt die Szene, bezeugt sie
als ein Wunder.
Annibale Carracci (1560-1609) greift weiter zurück. Correggio, Ba-
rocci, die venezianische und die römische Renaissancemalerei gehen in
seine künstlerische Bildung ein. Charles Dempsey widmete diesenTradi-
tionen, die hier nicht einmal angedeutet werden können, eine sorg-
fältige Studie. 20 Carraccis >Beweinung Christu (um 1604, London, Na-
stimmt die Tonmalerei ihre Bilder zunächst auf einen kühlen, später mit
den immer mehr aufgenommenen Braunmischungen auf einen warmen
Ton, der die Grundlage für die folgende Periode der Farbe gibt.“ Den
„komponierenden Farbenstil“ charakterisierte Jantzen als „Flelldunkel-
malerei“: „Die Helldunkelmalerei strebt - mit Riicksicht auf die Farbe
gesprochen - dahin, einenTeil der Bildfläche gleichsam zu neutralisieren
und nur einen kleinen Teil der Fläche für eine speziüsch farbenkräftige
Wirkung offen zu lassen. Bei geeigneter Motivwahl und Beleuchtung
konnte ein Teil des Raumausschnitts mit vielerlei neutralen Tönen ver-
hiillt werden (Interieur) und durch die Lichtfiihrung eine bestimmte Far-
benkombination hervorgeholt werden. Die verschiedenartigsten Lö-
sungen der Aufgabe: mit Hilfe des Helldunkels die Bedingungen der
Raumdarstellung und der Farbenkomposition in Einklang zu bringen,
fiihren zu einem komponierenden Farbenstil, dessen Bliitezeit nach der
Jahrhundertmitte einsetzt. - Allgemein charakteristische Merkmale fiir
diese Periode sind: die Wahl primärer Qualitäten für die entscheidende
Bildwirkung; die Farben bekommen ihren Zusammenhalt nicht mehr
durch gegenständliche Zusammengehörigkeit der Farbenträger, son-
dern sie werden nach den ihnen immanenten Gesetzen komponiert, zu
Paaren und Triaden zusammengestellt, ihre Anzahl beschränkt. Wäh-
rend vorher Vielfarbigkeit herrschte, herrscht jetzt Starkfarbigkeit. Die
Farben werden in der Regel mitten in der Bildfläche zusammengehalten
und heben sich aus einer rings umgebenden Menge von neutralen, im
Helldunkel gebundenen, Tönen heraus. Die Farbe geht genauer als
vorher auf die Stoffbedingungen ein, aber nur soweit, als diese Bedin-
gungen das Elementare der Farbenerscheinung nicht beeinträchtigen.
Es findet also gleichsam ein Ausgleich zwischen den Forderungen nach
Stofflichkeit und den Forderungen nach elementarer Farbenwirkung
statt. - Innerhalb dieser Periode des komponierenden Farbenstils kulmi-
niert die Farbenkunst holländischer Malerei ... Diese Phase wird cha-
rakterisiert durch dieWahl der primärenTrias Rot, Gelb, Blau in größter
Dichtigkeit und Sättigung der Qualitäten bei strengster kompositio-
neller Gebundenheit, wobei die positiven warmen Farben eine entschie-
dene Führung erhalten. Die zeitliche Ausdehnung dieser Phase läßt sich
ungefähr auf die Jahre 1654-1663 festsetzen. - Noch innerhalb dieser
Periode des komponierenden primärfarbigen Stils tritt ein verhältnis-
mäßig schneller Umschlag in der Farbenwahl ein. Auf die Verbindungen
Rot-Gelb-Blau, Rot-Gelb, Rot-Griin mit positiver warmer Stimmung
folgen die Kombinationen Blau-Gelb, Blau-Rot mit entschieden kalter
Farbenstimmung. Die Bemühungen der Farbe um die Stoffschilderung,
,wie man alle Farben mischen, brechen und von ihrer crudezza reduciren
möge, bis daß in den Gemählen alles der Natur ähnlich kommen 1 (San-
Die Malerei des 17. Jahrhunderts 207
drart), steigern sich und fiihren zu einem neuen Farbenstil in der Ent-
wicklung holländischer Malerei.“ 30
In der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts kulminiert sowohl
das Helldunkel wie die Farbkomposition nach der primären Trias.
Dieser Zusammenhang wurde von Jantzen klar erkannt. Allerdings ist
sein Begriff des Helldunkels zu erweitern: auch die „tonige“, auch die
farbkoordinierende Malerei der Friihzeit des 17. Jahrhunderts sind Aus-
prägungen einer Helldunkelmalerei.
Landschaftsdarstellungen Jan van Goyens (1596-1656), Salomon van
Ruysdaels (1600/1603-1670) oder Aelbert Cuyps (1620-1691) lassen er-
kennen, daß es fiir die Helldunkelwirkung keiner tiefen Dunkelheit be-
darf. Nicht der Grad des Dunkels ist entscheidend, sondern sein Span-
nungsverhältnis zum Licht, Solche Helldunkelspannung kann gerade
durch Monochromie gesteigert werden, die optische Erfassung wird
dabei von der Kategorie der Buntheit nicht abgelenkt. Insofern er-
scheint die „monochrome“ Phase der holländischen Landschaftsmalerei
als eine notwcndige Voraussetzung fiir die Vertiefung des Helldunkels
und die Entfaltung von Buntfarben nach der Jahrhundertmitte.
Bei van Goyens >Landschaft mit Motiven aus Leiden< von 1643 (Alte
Pinakothek Miinchen) ist die Monochromie auf warmes Bernsteingelb
abgestellt, das im Schatten des Vordergrundes sich verdichtet, im
warmen Sienagelb der Wolke feinstverdiinnt auftritt - so die Landschaft
in gelbliches Halblicht mit neapelgelblichen Lichthöhungen tauchend.
Ganz feines, minimal hellblau getöntes Hellgrau auf gelblichem Holz-
grund ergibt die Himmelsfarbe. In dunklem Braun ist die Figurengruppe
gegen den beleuchteten Weg silhouettiert, in den Halbschatten irisiert
Ocker in Bernsteinbraun.
Salomon van Ruysdaels um 1630/35 entstandene >Flußlandschaft mit
Fähre< (Alte Pinakothek) 31 dagegen stellt Grünspangrün in Bäumen
und Büschen gegen kaltes Schiefergrau in Wasser und Wolke, das heller
und bläulich überhaucht im Himmel wiederkehrt. Ein Olivton teilt sich
als gemeinsame Dunkelsphäre den Schatten und den Spiegelungen im
Wasser mit.
bis 1681), aber auch bei ihm bleiben sie verankert in der meist dunklen
Raumfarbe der Folie, erscheinen wie deren in Oberflächenfarbe uber-
setzte Nuancen und wie auf einen gemeinsamen Helligkeitsnenner ge-
bracht, Gelb und Blau etwa dem Helligkeitsgrad eines mittleren Grau
angenähert.
Zu voller Kraft schließlich erblühen die Buntfarben in den Gemälden
von Pieter de Hooch 37 (1629-1684) oder Gabriel Metsu (1629-1667), oft
zurTrias der Grundfarben sich vereinend. In Pieter de Hoochs Bild >Die
Mutter< (um 1659/60, Berlin, Gemäldegalerie) 38 scheint das Dunkel
zwar durch weitgehende Dämpfung, ja Negation der Bildfarben erzielt,
das Licht hingegen ist an Gelbwerte gebunden, verdichtet sich im hellen,
mit Weiß untermischten Brillantgelb des Türrahmens und der Lichttafel
auf der Wand des rückwärtigen Zimmers, im Neapelgelb des Glanzlichts
auf der Bettpfanne, dunkler schon, als Sienaton, in Türverschlag und
Fensterkreuz. In mittlere Helligkeit führen der zitternde Rosa-Grün-
grau-Ton der Rückwand und das Braun der Bettwand hinter der Mutter.
Der genaueren Betrachtung zeigt sich dann auch die „Gravitation“ der
Dunkelwerte zu Brechungen von Oliv (in der Bettkammer mit ihrem
Vorhang), zu tiefem Blaugrün und Blaugraugrün (im Rock der Mutter,
in Fliesenboden und Wänden des vorderen Raumes). Angelpunkt ist,
wie formal, so auch farbig, der hängende Mantel in der vertikalen Mit-
telachse des Bildes. Sein Rot ist farbige Mitte zwischen gelblich ge-
töntem Licht und potentiell farbiger Dunkelheit, nachklingend im roten
Mieder der Mutter und im gedeckten Orange der Decke in der Wiege:
die Trias der Grundfarben konzentrierend (wobei Blau durch den ur-
sprünglich wohl intensiveren Bläulichton im Rock der Mutter vertreten
ist), die sich einbettet in das Helldunkelkontinuum.
In anderef Weise sind primäre Trias und Helldunkel ineinander ge-
führt bei Metsus um 1650/55 entstandenem >Fest des Bohnenkönigs< der
Alten Pinakothek 39, nämlich so, daß hier die Trias auf die Figur der
Mutter sich konzentriert: ockergelb ist ihre Bluse, zinnoberrot ihr
Mieder, in gedecktem Blau ist ihr Rock gegeben. Aufs eindringlichste
setzt sie sich ,,den mannigfaltigen tiefen braun- und goldbraunen Werten
des Bildraums“ entgegen, jedoch wiederum „nicht als schroffer Kon-
trast, vielmehr als äußerste Verdichtung der zunächst noch völlig im
Braun dieses sie eindämmernden braunen Raumdunkels stehenden,
sachte sich aus ihm lösenden und erst ganz allmählich in der Richtung
auf die Trias hin sich verdichtenden Buntheiten. (Auch das Weiß des
Tischtuches, dem die wichtigste Rolle der Vermittlung zwischen den
beiden Farbkomplexen zukommt, läßt in seinen Schattenfarben diese
allmähliche Loslösung aus der Sphäre des Raum-Brauns erkennen.)“ 40
Jan Vermeer van Delft (1632-1675) führt die Farben, im strahlenden
Licht seiner Helldunkelräume, empor zu vordem unbekannter Klarheit.
Nur wenige seiner reifen Werke können hier näher betrachtet werden.
Das Bild >Die Küchenmagd< (um 1658/60, Amsterdam, Rijksmuseum) 41
zeigt die Figur aureolenhaft umgeben vom weißen, nach rechts hin
randlos abschließenden Grund. Auf diesem lichtverklärten Weiß der
Wand steht das hellere Stoffweiß ihrer Haube, kontrastiert gegen die
lichtolivgrauen, im Halblicht fluktuierenden Schatten. Mit diesem Weiß
verbinden sich das Gelb der Jacke und das klare Dunkelblau der Schürze
zum farbigen Hauptklang des Bildes. Das Gelb ist dem Weiß in Lichtge-
halt und Kraft der Emanation verwandt - auch deshalb, weil das In-
karnat dunkler als das Gelb gehalten ist. Hinzu kommen zweierlei Griin-
töne, das im Licht gelbliche, in den Schatten mattgraue Grün der Ärmel
und ein mattgraues Blaugriin der Tischdecke; neben ihm das fahle, in
den Schatten schwärzlich verhüllte Braunrot im Rock der Magd. Eine
tiefste, alle Farben in sich aufnehmende Dunkelheit vermeidet Vermeer;
auch darin zeigt sich die Sonderart seines Helldunkels. Noch im ,,ver-
schatteten“ Vordergrund sind das stumpfe Blaugriin derTischdecke, das
Rot des Rocks, das Blau des Tuchs klar voneinander zu unterscheiden,
wie auch an der schattenverhangenen Fensterwand die Gegenstands-
fafben von Fensterrahmen, Korb und blinkendem Messinggefäß deut-
lich sich trennen. Aber alle Farben wirken wie „glasiert“, gehen nicht auf
in der Dingschilderung, sondern enthalten ein Moment des Glanzes.
Der Farbbewahrung im Dunkel entspricht die Farbigkeit des Lichtes auf
den Körpern. 42 In Lichtperlen sammelt es sich - und zwar nur in den
Lichtern und Halblichtern: der „pointillistische“ Farbauftrag ist mithin,
anders als im Neoimpressionismus, nicht zum Prinzip erhoben -, hell-
gelb auf Gelb, hellblau auf Blau, hellgrau auf Grau.
Weiter in den Helldunkelraum verströmt die Farbe im Bild >Das Glas
Wein< (um 1660/61, Gemäldegalerie Berlin) 43. Es sind die vielfältig ge-
brochenen Werte der primären Trias. Rot erscheint als Fraiserot und
Lachsrot im Kleid der Dame, zieht sich als Braunrot durch die Tisch-
decke. Blau setzt an als getriibter (verdorbener?) Ton im Samtkissen des
Stuhles vorn, verdunkelt sich im beschatteten Kissen auf der Fenster-
wand, fiihrt iiber das Schieferblaugrau des Stuhls zur Zimmerwand mit
ihrem bläulichen Unterton. An das Majolikablau im Vorhang des Eck-
fensters schließt das entschieden kalte Grau der linken, größtenteils be-
schatteten Zimmerwand an. Solcher Fiille von Blaunuancen antwortet
vielfältig differenziertes Gelb, wird dabei mehr „suggeriert“ denn als
Eigenfarbe faßbar. Nur im Fensterglasbild tritt es als Lokalfarbe auf,
wird zum Lichtschein auf der Bank, zum hellen Braun im beleuchteten
FTolzwerk des Stuhls, verdunkelt sich zum triiben Braunorange, alternie-
rend mit sehr gedämpftem Grün, in den Bodenfliesen, und nähert sich
als dieser Ton dem Braunrot der Rotvariation. - Das triibe gelbliche
Sandgrau im Umhang des Kavaliers, der iiberraschendste Farbwert des
Bildes, ist zugleich als Variante von Gelb wie von Grau aufzufassen. In
diesem ambivalenten Ton versammelt sich eine Spannung, die mit den
Modifikationen der raumhaft zerteilten Trias verborgen das ganze Bild
durchzieht.
Entschiedener prägt Vermeer die Helldunkelpolarität aus im Bild
der >Jungen Dame mit Perlenhalsband< (um 1660/65, Gemäldegalerie
Berlin) 44. Hier steht der großen Dunkelmasse in der unteren Bildhälfte,
gebildet aus der schwärzlichgraublauen, gerafften Tischdecke, dem
schwärzlichen Majolikagefäß, dem olivfarbenenTisch, dem dunkeloliv-
braunen Stuhl, mithin von Gegenständen des nahen Vordergrundes
- diesen eben dadurch entriickend - die strahlende Helligkeit oben ent-
gegen, die im „Weiß“ der Wand kuliminiert und sich verdichtet in den
beiden Gelbtönen, dem Satinzitrongelb in der Jacke der Dame und dem
schwereren Safrangelb des Vorhangs. Teilung des Gelb ist ein schon im
Friihwerk der >Diana mit ihrem Gefolge< (Den Haag, Mauritshuis) 45
wirksames Prinzip der Vermeerschen Farbgestaltung und dient der
rhythmisierenden Inkorporation des Lichts in die Farbe. Zwischen den
beiden Gelbbezirken entfaltet sich die Bewegung des Lichts, das nach
rechts hin fast unmerklich zu einem lichten, silbrigen Grau abnimmt,
wie auch die Dunkelheit in dieser Bewegung sich vermindert, hin zu
einem Olivton, der als Schatten die Figur mit der Dunkelheit verbindet.
Aufgehellt bestimmt dieser Olivton auch noch ihr Inkarnat: ganz im Ge-
gensatz zu einer naturalistischen Wiedergabe von „einfallendem Licht“
gehört das Inkarnat noch der Dunkelsphäre an, ist nur ihr weitest vorge-
schobener, der Helligkeit nächster Posten!
Nicht die genau wiedergegebenen beobachtbaren Lichtgänge als
solche, so subtil deren Wirkung auf farbige Oberflächen auch dargestellt
sind, begriinden den Rang der Farbgestaltung Vermeers, sondern deren
Aufnahme in eine überwirkliche Helldunkelpolarität.
Die ganze Spannweite der Gestaltungsmöglichkeiten von Helldunkel
in der holländischen Malerei des siebzehnten Jahrhunderts wird
sichtbar, kommt man von den farbklaren, lichten, kühlen Bildern Ver-
meers zu Werken Rembrandts.
In der Kunst Rembrandts 46 (1606-1669) gewinnt das Helldunkel eine
neue Dimension. Carl Neumann, dessen monumentales Rembrandt-
werk auch viele Beobachtungen zu Rembrandts Helldunkel- und Farb-
gestaltung enthält, versuchte, das Wesen dieses Helldunkels folgender-
maßen zu charakterisieren: „Rembrandts Kunst wendet sich von dem
Surrogat einer Wirklichkeit ab, die nur Individuen kennt ... sie glaubt
nicht mehr an die Unbedingtheit körperlicher Existenz und an die
Selbstverständlichkeit des Lichts, das dieser Körperwelt angehört ...
Dem physikalischen und materiellen Licht der Erscheinungswelt setzt er
sein Licht ... als metaphysisches Prinzip entgegen. Sein Licht ist eine
irrationale, göttliche Macht, welches mit dem Dunkel ringt, das alle
Wesen bedeckt, ... sein Helldunkel der mystische Prozeß der Fleisch-
werdung und Materialisierung dieses Lichts. ... Nicht die Individuation,
die Körper und Figuren, die äußere Scheinwelt, die dasThema der italie-
nischen Kunst ist, sucht er wiederzugeben, sondern, was er von dem
Nichtsinnlichen, dem wirklich Wirklichen ahnt, welches nicht in tausend
und abertausend Egoismen parzelliert, sondern ein Allverpflichtetes
und Allabhängiges ist... “ 47
Diesem durch natürliche Beleuchtungswirkungen „motivierten“,
einer reichen Ausdrucksskala fähigen, im Unterschied zu italienischen
46 FA: B.Haak, Rembrandt, sein Leben, seinWerk, seine Zeit, Köln 1969.
47 Carl Neumann, Rembrandt, Bd.l, vierte Auflage, München 1924, 192,
193. - Vgl. auch: Hans Sedlmayr: „Helldunkel, Rembrandtbraun, zerschmel-
zende Linie und Ahnung und Mitgefühl sind also gewissermaßen dasselbe, nur
von verschiedenen Seiten her gesehen, und dieses selbe ist das Allverbindende
...“ (>Zugange zu Rembrandt<. In: Sedlmayr, Epochen undWerke, Gesammelte
Schriften zur Kunstgeschichte, Bd. 2, Wien-München 1960, 95.) - Wolfgang
Schöne, Über das Licht in der Malerei, 156-160.
Die Malerei des 17. Jahrhunderts 215
48 S. auch: John Kruse, Die Farben Rembrandts, Stockholm 1913. -Zur Mal-
technik Rembrandts vgl.: Hubert von Sonnenburg, Maltechnische Gesichts-
punkte zur Rembrandtforschung. In: Maltechnik/Restauro, 82, 1976, 9-24. -
Hermann Kühn, Untersuchungen zu den Pigmenten und Malgründen Rem-
brandts, durchgeführt an den Gemälden der Staatlichen Kunstsammlungen
Kassel, ebenda, 25-33. - Ders., Untersuchungen zu den Pigmenten und Mal-
gründen Rembrandts, durchgeführt an den Gemälden der Staatlichen Kunst-
sammlungen Dresden. In: Maltechnik/Restauro, 83, 1977, 223-233. - Hubert
von Sonnenburg, Rembrandts >Segen Jakobs<. In: Maltechnik/Restauro, 84,
1978, 217-241.
49 FA: Horst Gerson, Rembrandt, Gemälde, Das Gesamtwerk, Wiesbaden
o.J. (1968), 17.
50 FA: Steingräber, Alte Pinakothek, 55.
216 Die Malerei des 17. Jahrhunderts
scheint auf, wie das Weiß des Leichentuches daneben, gewinnt so einen
Charakter des „Unirdischen“ - ganz anders als bei Rubens.
Anders auch als bei Rubens kulminiert das Rembrandtsche Hell-
dunkel nicht in den Farben, geht das im Dunkel verborgene Licht nicht
in das Licht der Farben ein, wohl aber verleiht es ihnen einen ihnen
selbst fremden Lichtschein. So ist bei der >Heiligen Familie< (gemalt um
1633, Alte Pinakothek München) 51 der Lichtschein des Inkarnats so
stark, daß alle Details der Modellierung in ihm aufgehen. Auch das
bleiche Karminrot des Marienmantels leuchtet in mattem Schein, alle
Oberflächendifferenzierung tilgend. Aber die Homogenität dieser
Farbe ist nicht die des Fernbildes, sind doch angrenzende Partien, etwa
das Fell, das das Kind umhüllt, wieder ganz nahsichtig dargestellt. Der
Überhöhung des Lichts zum „Schein“ auf den Dingen entspricht die Wei-
tung des Dunkels ins Abgrundhafte: um Joseph öffnen sich dunkle
Raumhöhlen, in die kein Licht mehr dringt und Gegenstände nur noch
zu ahnen sind.
Tritt bei der >Heiligen Familie< im Karminbraun und Blaugrau der
Gruppe von Mutter und Kind noch ein Hauch von Bunt- und Lokalfar-
bigkeit auf, in der >Blendung Simons< von 1636 (Städelsches Kunstin-
stitut Frankfurt a. M.) 52 nochmals die Trias, nun ihre Buntkraft versprii-
hend, gänzlich dem dramatischen Licht-Finsternis-Kontrast dienstbar
gemacht, als hellstes, fahles Eisblau gegen blasses Zitron- und Graugelb
und im Gegenlicht aufleuchtendes Rostrot gestellt und von tiefer, grau-
olivfarbener Dunkelheit umrahmt, so ist die >Opferung Isaaks< des-
selben Jahres (Alte Pinakothek München) 53 allein bestimmt vom Hell-
dunkelkontrast, der sich als Helligkeitsgegensatz vonTönen der Braun-
und Grauskala konkretisiert. Im Inkarnat wird Braun ins Licht gehoben,
bis hin zur Strahlkraft von Weiß im Engelsgewand, kontrastiert gegen
tiefstes Grau und Raumschwarz.
Das Licht der >Blendung Simsons<, das aus derTiefe gegen einen Fin-
sternisvordergrund andringt, sammelt sich hier noch in einem Fokus -,
die wohl kühnste Helldunkelkomposition, die >Nachtwache< (1642,
Rijksmuseum Amsterdam) 54 konzentriert es in zwei Zentren. Dem ,,Ne-
benzentrum des Lichtes“ in diesem Bild widmete Neumann ein ganzes
Kapitel seines Buches: „Die Art, wie Rembrandt dieses Nebenzentrum
des Lichtes schuf und zur Wirkung brachte, gehört zu den merkwürdig-
selbst lebendig wäre, als ob Kampf und Frieden, Gegensatz und Ver-
wandtschaft, Leidenschaft und Sanftmut dieses Kräftespiel von Licht
und Dunkelheit unmittelbar triigen, nicht als ein Dahinter-Stehendes,
das sich in diesem Spiel erst ausdrirckte, sondern wie wir in der Statik
und Dynamik unserer einzelnen Vorstellungen und Affekte einen
tieferen Rhythmus des seelischen Lebens iiberhaupt wahrzunehmen
meinen ..
Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurde die Trias der primären Bunt-
farben auch in höherem Maße Gegenstand der Farbtheorie.
Anselm Boethius de Boodt (um 1550 bis um 1632) 59, vlämischer Flof-
arzt in Prag, behandelt in Buch I, Kapitel 15 seines Werkes >Gemma-
rum et lapidum historia<, Hanau 1609, die Farbigkeit der Edelsteine
und deren Mischungen. „Nicht durch Mischung herstellbare Grund-
farben sind Weiß, Schwarz, Blau, Gelb und Rot. Die Verbindung von
Weiß und Schwarz, die dem Licht bzw. dem Schatten ähnlich sind, ergibt
Aschfarben, während Blau und Gelb Griin erzeugen, aus Rot und Blau
Violett entsteht, aus Rot und Gelb Orange (aureus) bzw. Erdfarbe.
Durch verschiedene Anteile der einzelnen Farben lassen sich ,infiniti
alii‘ gewinnen. Die Reduktion der Grundfarben auf drei diirfte im An-
schluß an die 1502 erschienene Schrift des Camillo Leonardo erfolgt
sein; neu hingegen ist die Aufnahme des Blau in dieseTrias“ 60, anstelle
des bei Leonardo erscheinenden Grüns. So gelangt die „naturwissen-
schaftliche“ Untersuchung zu einer einfachen, wie,selbstverständlich
anmutenden Farbenordnung.
Im gleichen Jahr erscheint in Paris von Louis Savot >Nova seu verius
Nova-antiqua de causis colorum sententia< 61, die ebenfalls die Gelb-Rot-
Blau-Theorie vertritt, einige Jahre später, im Rahmen eines Lehrbuchs
der Optik, die wichtige Farbenlehre von François d’Aguilon (Franciscus
Aguilonius, 1566-1617), Professor fiirTheologie am Jesuiten-Kolleg in
Antwerpen (>Opticorum libri sex ...<, Antwerpen 1613). Sie faßt die
Farben in derselben einfachen Ordnung zusammen und veranschaulicht
sie zum erstenmal in einem Farbdiagramm: „Quinque sunt simplicium
colorum species, ac tres compositae“: „Zwischen den als Helligkeit
und Dunkelheit bestimmten ,colores extremi“ ,albus‘ und ,niger‘ stehen
als ,colores medii‘: ,flavus‘, ,rubeus‘, ,caeruleus‘. Aus der paarweisen
Mischung dieser drei ergeben sich ,aureus‘, ,purpureus‘ und ,viridis‘; vor
Mischung aller drei ,colores simplices 1 wird ausdriicklich gewarnt: zu-
sammen erzeugen sie einen schmutzig grauenTon. Die Mischung kann
auf dreifache Weise zustandekommen: durch Verbindung der physika-
lischen Farbstoffe (,compositio realis‘), durch Übereinanderlegen meh-
rerer Farbschichten (,compositio intentionalis“) oder durch Verteilen
kleinster Farbflecken, die konvergierend vom Auge als Mischung wahr-
genommen werden (,compositio notionalis 1). Je nach dem beige-
mischten Anteil von Weiß und Schwarz weisen die Farben verschiedene
Intensitätsgrade auf.“ 62
DAguilons Farbenlehre, die maltechnische Erfahrungen in sich auf-
genommen hat, überliefert vermutlich die Kerngedanken von Rubens’
nicht erhaltener Farbenlehre. In der klarenTrennung und Bezugnahme
einer Trias von bunten „colores semplices“ und einer Trias von „colores
compositae“, im Auftreten der erwähnten drei Mischungsarten konnten
Übereinstimmungen der Farbenlehre von Aguilonius und gleichzeitigen
Bildern von Rubens, insbesondere seiner >Verkiindigung an Maria< im
Kunsthistorischen Museum Wien (um 1609) und >Juno und Argus< im
Kölner Wallraf-Richartz-Museum (1610/11) festgestellt werden. 63
Solche Übereinstimmungen bekunden den neuen „systematischen“
Charakter der Rubensschen Farbgestaltung, doch reicht diese insgesamt
über das in der Theorie des Aguilonius Fixierte weit hinaus.
Peter Paul Rubens (1577-1640) nimmt auch in seiner Farb- und Hell-
dunkelgestaltung 64 eine ganz eigene Stellung ein. Sein Helldunkel ist
62 Nach Lersch, Farbenlehre, Sp. 201. - Dort ist auch das Farbdiagramm ab-
gebildet.
63 Vgl. Charles Parkhurst, Aguilonius’ Optics and Rubens’ Color. In: Neder-
lands Kunsthistorisch Jaarboek, 12, 1961, 35-49. - Michael Jaffé, Rubens and
Optics: Some fresh Evidence. In: Journal of the Warburg and Cortauld Insti-
tutes, Vol. XXXIV, 1971, 362-366. - Dazu auch: Julius S. Held, Rubens and
Aguilonius: NewPoints of Contact. In: The Art Bulletin, Vol. LXI, March 1979,
257-264.
64 Vgl. dazu: Willy Schmitt-Lieb, Die Farbe als Einheit bei Rubens (Die
Münchner Bilder), Diss. Erlangen 1948. -Eberhard von Zawadzky, Helldunkel
und Farbe bei Rubens, Diss. München 1965. - Hans Sedlmayr, Bemerkungen
zur Inkarnatfarbe bei Rubens, wiederabgedruckt in: Sedlmayr, Epochen und
Werke, Gesammelte Schriften zur Kunstgeschichte, Bd. III, Mittenwald 1982,
165-178. - Emil Maurer, Der Fleischmaler: ach oder oh? Notizen zur Haut-
malerei bei Rubens, wiederabgedruckt in: Maurer, 15 Aufsätze zur Geschichte
der Malerei, Basel etc. 1982, 143-150. - Verf., Versuch über die Farbe bei
Rubens. In: Rubens, Kunstgeschichtliche Beiträge, hrsg. von Erich Hubala,
Konstanz 1979, 37-72. - Verf., Helldunkel und Konfiguration bei Rubens. In:
220 Die Malerei des 17. Jahrhunderts
Intuition und Darstellung, Festschrift Erich Hubala, hrsg. von Frank Büttner
und Christian Lenz, München 1985, 105-116. FA: Roger Avermaete, Rubens
und seine Zeit, Genf 1977.
Die Malerei des 17. Jahrhunderts 221
65 FA: Martin Warnke, Peter Paul Rubens, Leben und Werk, Köln 1977,
Taf.2.
66 FA: Warnke, Rubens, Taf. 3.
222 Die Malerei des 17. Jahrhunderts
und des Guten Schächers, nicht nur das rötliche Dunkelbraun des Fel-
sens hinter ihm, sondern auch noch das von schwefelgelben und orange-
bräunlichen Lichtstreifen durchzogene Graublau des Himmelsgrundes -
und, diese Allfarbigkeit bestätigend, strahlt auch noch Christi Nimbus
gelblich und bläulich auf.
Andere Bilder, wie etwa die >Anbetung der Könige< im Prado (1609
und 1628/29), die >Vier Weltteile< im Wiener Kunsthistorischen Mu-
seum 67 (um 1615) oder der >Bauerntanz< im Prado (1639/40) akzentu-
ieren den Rot-Blau-Akkord.
Neben Werken, die in einer oder zwei Buntfarben kulminieren, stehen
andere, in denen die Dyas Grau und Braun, als koloristische wie lumina-
ristische Werte entwickelt, und die Trias der Primärfarben einander ganz
durchdringen. So schlägt in der >Amazonenschlacht< (Alte Pinakothek
München, um 1615) 68 die „doppelte Wurzel“ von Grau und Braun in un-
terschiedlicher Stärke zur Buntfarbigkeit hin aus, ist Buntheit zuriickge-
bunden in den Grau/Ocker-Grund: Blau ist „erwachtes“ Grau, Gelb und
Rot sind „erwärmter“ Ocker. Die Farben des Grundes vertiefen sich hier
zur Dimension des Naturhaften, Elementaren. Aus dem Graublau des
Himmels stiirmen die Griechen hervor, mit ihm stehen sie im Bunde, die
Amazonen aber stiirzen zuriick in die Dunkelheit der Erdzone, in das
Braun des Bodens, das Olivgriin und Olivbraun des Wassers. Im blau-
grauen, zart iilagetönten Pferd des griechischen Protagonisten verleib-
licht sich die Farbe des Himmels. Bei den Reitern aber entfaltet sich, in
kleinen Farben ausgestreut, die Totalität der Buntfarben, bis hin zum
Rot, das den Amazonen vorbehalten wird, Leidenschaft, Blut und Un-
tergang symbolisierend. Aber es bindet sich mit dem Bläulichgrau und
Ocker des Griechenreiters in der Mittelgruppe zur verhaltenen Primär-
triade: die Farbordnung überfängt die Kampfesfronten, bezeugt die Ver-
bundenheit der Feinde, den schicksalhaften Zusammenhang von Leben
undTod.
Am offensten bekundet sich die fiir Rubens’ reife und späte Malerei
charakteristische Genese der Buntfarben aus der als Helligkeitswerte
wie als Farben wirkenden Zweiheit von Grau und Braun in seinen Ol-
skizzen. Eine der Skizzen zum Medici-Zyklus in der Miinchner Alten
Pinakothek (1622ff.), die Ölskizze zum >Empfang der neuvermählten
Königin im Hafen von Marseille< 69 sei näher betrachtet: Hier weitet sich
das Grau des Grundes zur Bläue des Himmels, der Ockerton verdichtet
sich zum Schiffskörper und zum Gold seiner Ornamente. Das Himmels-
blau sammelt sich im blauen Mantel der Francia, keimhaft zart taucht
kühles Lachsrosa über dem Grau des Stegs und dem Braun des Schiffs-
daches auf. Die Farben der primären Trias rahmen die in Weiß erstrah-
lende Gestalt der Königin, in ihrem linken Begleiter klingt der Violett-
Grün-Akkord an, der mit den Orangetönen des Schiffes zur sekundären
Trias sich schließt. Aus Grau und Braun entfalten sich so alle Bunt-
farben, aus Grau, Blau, Violett und Blaugriin, aus Braun Gelb und
Orange, Rot aber aus Grau uncL Braun.
In seinem letzten Schaffensjahrzehnt verfügt Rubens mit souveräner
Freiheit über unterschiedliche Möglichkeiten der Farbgestaltung. Die
sekundäre Trias kann zum bestimmenden Farbklang aufsteigen. Im
Münchner Bildnis der >Helene Fourment mit ihrem erstgeborenen Sohn
Frans< 70 (um 1635) wachsen das Orange und Orangebraun des löwen-
füßigen Stuhles aus dem Ocker des Grundes. Der Rock der Frau wölbt
sich aus grautoniger Dunkelheit und wandelt sich ins Rotviolette, aus
braunem Grunde entsteht das warme Laubgriin ihrer Jacke. Im Dunkel
hinter dem Rücken der Mutter aber hebt der Graugrund an, umspielt ihr
helles panchromatisches Inkarnat, das, zusammen mit dem schim-
mernden Weiß des Tuches, Licht verdichtet, und weitet sich zum Blau
des Himmels. Der Landschaftsausblick klingt aus im hellgestimmten
Akkord der Primärfarben, lichtem Blau, Gelb und Rosa.
Die Berliner >Heilige Cäcilie< (um 1639/40) bindet im dunkelleuch-
tenden, von Dunkelheit durchwirkten und von Dunkelzonen umge-
benen Griin ihrer Jacke alle Farben des Bildes, den aus Graurosa zu
Orange- und Goldgelb aufsteigenden, schwebenden Ton ihres Rockes,
den zarten Violett-Ton im hellrosabraunen, grau verschatteten und in
Dunkelheiten gebetteten Inkarnat des Putto unten links (mit Orange
eine Trias der Mischfarben leise anklingen lassend), das dunkle Toma-
tenrot des Vorhangs, die Braun- und Grautöne des Spinetts, der Archi-
tektur und des Himmels.
In anderer Weise wird farbige Dunkelheit bildbestimmender Wert
beim Münchner Bildnis der >Helene Fourment im Hochzeitsgewande< 71
(um 1630/31), als bläuliches Schwarz ihrer Robe im Kontrast zu ihrem
Kleid, das auf grauem Grund ockergelbe Ornamente trägt. Mit diesem
Schwarz gewinnt der asymmetrische kühne Bildaufbau, der Diago-
nalzug des schrägen Sitzens, seine Festigkeit. Das allfarbige Inkarnat
konkretisiert sich im Antlitz zur zartklingenden Trias der Grundfarben,
aus dem Rot der Lippen, dem Schwarzblau der Augen und dem Blond
der Haare. Dies Blond dient auch der Rahmentrias aus Himmelsblau
und kraftvoll akzentuierendem Zinnoberrot des Stuhlmckens zur Er-
gänztmg. Dunkelheit, Licht (im Weiß des Ärmels) und Buntfarben
halten sich in schwebendem Gleichgewicht, die Buntfarben sind an die
Peripherie verwiesen, die Figur ruht in der Einfachheit und im Glanz
von Schwarz, Grau und Ocker.
An einem Stich nach Rubens’ Landschaft >Heimkehr von der Ernte<
(Palazzo Pitti, Florenz) 72 erörterte Goethe in einem Gespräch mit
Eckermann am 18. April 1827 die Lichtfiihrung dieser Darstellung und
stellte einen doppelten Lichteinfall fest: „Das ist es, wodurch Rubens
sich groß erweiset und an den Tag legt, daß er mit freiem Geiste über der
Natur steht und sie seinen höheren Zwecken gemäß traktiert. Das dop-
pelte Licht ist allerdings gewaltsam, und Sie können immerhin sagen, es
sei gegen die Natur. - Allein, wenn es gegen die Natur ist, so sage ich zu-
gleich, es sei höher als die Natur, so sage ich, es sei der kühne Griff des
Meisters, wodurch er auf geniale Weise an den Tag legt, daß die Kunst
der natürlichen Notwendigkeit nicht durchaus unterworfen ist, sondern
ihre eigenen Gesetze hat.“ 73 Es sind die Gesetze des Rubensschen Hell-
dunkelkosmos.
Rubens’ Bildaufbau und Technik hat Hubert von Sonnenburg eine
grundlegende Studie gewidmet. Wichtig für unseren Zusammenhang
sind insbesondere seine Ausführungen über die „streifige Imprimitur“
und die „optischen Farbwirkungen“ bei Rubens 74: „Bekanntlich er-
scheint Rauch vor einem dunklen Hintergrund bläulich kühl, gegen
einen hellen warmtonig bzw. bräunlich. Durch eine zunehmend ver-
schleierte Atmosphäre gesehen nimmt die Sonne eine orange bis rote
Färbung an, während dunkle Hügel blau erscheinen, ähnlich wie rote
Adern, die durch das dunkle Medium der Haut gesehen werden. Ver-
wandte Erscheinungen ergeben sich im Bereiche der Ölmalerei, da die
Farbschichten in der Regel überwiegend transparent sind. Im dünnen
Auftrag über dunkler Unterlage erscheinen sie kühl, über heller Grun-
dierung entsprechend warmtonig.“ Rubens bediente sich dieser opti-
schen Wirkungen und versuchte, der in dieser Maltechnik liegenden
72 FA: Die Landschaften von Peter Paul Rubens. Mit einleitendem Text von
Jacob Burckhardt, Wien 1940, Taf. 22.
73 Zitiert nach: Goethe - Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche,
Zürich, Artemis-Verlag, Bd. 24, 1948, 623.
74 Hubert von Sonnenburg, Frank Preußer, Rubens, gesammelte Aufsätze
zur Technik, Bayerische Staatsgemäldesammlungen München, Abteilung für
Restaurierung und naturwissenschaftliche Untersuchungen (Doerner-Institut),
Mitteilungen 3/1979, 2. Aufl. 1980, 38.
Die Malerei des 17. Jahrhunderts 225
75 Vgl. dazu auch H. Rainer Schmid, Lux incorporata, Zur ontologischen Be-
gründung einer Systematik des farbigen Aufbaus in der Malerei, Diss. Miinchen
(1971), Hildesheim etc. 1975, 73ff.
76 FA: Laclotte, Louvre, II, 63. -Vgl. auch: Horst Vey, Anton van Dijck iiber
Maltechnik. In: Bulletin des Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique 9,
1960,193-201.
226 Die Malerei des 17. Jahrhunderts
entzieht sich dieser „Parallelsteigerung“ von Grau und Braun, das Gold-
ockerbraun im Mantel Apolls - und auch hier wird die abweichende
Farbe Mitte einer wie „umgestimmten“ Trias aus dem Orangerot des
gliihenden Eisens und dem Schiefergraublau im Schurz Vulkans.
Teilung des Grundes geht bei den >Hilanderas< (gemalt um 1644/48,
Prado) einher mit einer erneuten Vertiefung der Helldunkelspannung:
darin bekundet sich der Wandel der Velázquezschen Farbgestaltung in
seiner späteren Zeit. Olivstichiges Grau ist Einheitston des schatten-
dunklen aufgehenden Mauerwerks, schließt auch dasWollbiindel neben
der Tür in sich, setzt sich fort im Schatten des Kreuzgewölbes und im
Rundfenster des rückwärtigen Raums, erhebt sich ins Licht in dessen
weißgrauem Verputz. Von Braun werden umfaßt die Bodenfläche und
alles, was auf ihr liegt, aber auch Spinnrad und Leiter. Grau und Braun
stufen sich, iiber eine Folge kleiner Intervalle, ins Buntfarbige, zu Blau
und Rot. Vom Perlgrau des Gobelins fiihrt der Weg iiber dasTaubenblau
im Kleid der vom Riicken gesehenen Dame zum griinstichigen, ge-
deckten Graublau im Rock der rechten Spinnerin. Die Rotreihe teilt
sich in eine größere Anzahl von Gliedern: vom Lachsrosa im Mantelum-
schlag der riickwärtigen Mittelfigur geht es zum Schultertuch der eben
erwähnten Rückenfigur und zum braunorangefarbenen Rock der Kau-
ernden in der Bildmitte - ein Weg aus dem Licht in das Dunkel. Tiefes
Tomatenrot fiillt den Vorhang am linken Bildrand, das Lederbraun in
der Schürze des Mädchens daneben erinnert noch an seine Herkunft.
Diesem Komplex antwortet rechts der Klang von bleichem Karmin im
Tuch auf dem Hocker und das schöne Braun in der Weste des Mädchens
vor dem Dunkel der Türöffnung. Raumdunkelheit verdichtet sich zu
einem dem Grund verwandten Schwarz in der Alten am Spinnrad,
Raumhelle zum pastosen Weiß in der Bluse der rechten Arbeiterin. In
geschlossenem Kreislauf entlassen helldunkles Grau und Braun die
Buntfarbenbrechungen von Blau und Rot und fiihren diese mit figural
gebundenem Weiß und Schwarz wieder ins Helldunkel zurück. (Die
späteren Ergänzungen des Bildes erweitern diesen Kreislauf nur.)
Einbindung der gedämpften primären Trias in ein nach Grau und
Braun sich entfaltendes Helldunkel ist ein farbiges Gestaltungsprinzip
von Velázquez (auch in der >Übergabe von Breda<, von 1634/35, ist es zu
finden, bei den >Hilanderas< klingt es an in den Gestalten des Hell-
raumes), „Paraphrasierung“ des Grau-Braun-Paares ein anderes. Zahl-
reich sind hierfiir die Beispiele, um nur einige Werke des Prado zu
nennen: >Aesop< (zwischen 1639/42), >Sibylle< (1631/32), das >Reiter-
bildnis des Conde-Duque de Olivares< (um 1634/35, mit anklingender
Trias), >Philipp IV. im Jagdkostüm< (1632/33), >Prinz Baltasar Carlos
als Jäger< (1635/36), >Francisco II. d’Este, Herzog von Modena< (1638,
Die Malerei des 17. Jahrhunderts 233
Auch hier kontrastiert das Weiß in Strümpfen und, kälter, als Glanzlicht
auf dem Panzer entschieden zum Braunschwarz der Folie. Im Bannkreis
des Schwarzen steht das Olivbraun der Bodenfläche, mit schwacher
Grenze vom Dunkelgrund sich absetzend, zu diisterem Braun aufgehellt
in den Hosen. Selbst das graugelbliche Inkarnat erscheint noch wie von
Schwarz umflort und daher leicht olivstichig. Inkarnatschatten und
Haare fiihren nahezu iibergangslos in das Grundschwarz, wirken wie
Reflexe des Dunkelraums. Einzig das Rot der Schärpe hält sich in der
Mitte zwischen Schwarz und Weiß, Dunkel und Licht.
In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre lichtet sich Zurbaráns Pa-
lette auf. Im Miinchner Bild der >Grablegung der hl. Katharina vonAlex-
andrien auf dem Berg Sinau, gemalt um 1636/37, stehen „neben den
warmen Farben von Rot und Olivgriin aggressives Gelb und schrille
Blautöne. Von großer Schönheit und Raffinesse ist das Nebeneinander
des lichtgrauen, leicht ins Violett gebrochenen Grabtuches und des
rosa Gewandes der Heiligen, eine Farbenzusammenstellung, die Zur-
baràn sehr geliebt hat.“ Über den Gestalten öffnet sich der Himmel in
lichtes Gelb. Der Maler strebt hier nicht mehr „nach einem den Gesamt-
eindruck des Bildes vereinheitlichendem tenebroso“, sondern stellt
klare Farben nebeneinander, ,,die auch dissonante Kontraste nicht
scheuen“. 88
Auch die Malerei von Bartolomé Esteban Murillo (1618-1682) orien-
tiert sich um den Klang aus Grau und Braun und die bisweilen darin ein-
gebundene Trias der Grundfarben, mit einer besonderen Betonung der
Oberflächendarstellung. Hubert von Sonnenburg hat den maltechni-
schen Aufbau der Münchner Murillo-Gemälde genau beschrieben. 89
Bei den zwischen 1645 und 1650 entstandenen >Melonen- und Trauben-
essern< 90 handelt es sich „um eine ziemlich fette Olmalerei auf rot-
braunem Grunde, die auch ohne Firnisiiberzug einen leichten Glanz
hat. Mit Ausnahme des dunklen Hintergrundes sind die pastosen Farb-
schichten reich strukturiert, wobei die Inkarnate, Stoffe und Friichte
88 Erich Steingräber, >Die Grablegung der heiligen Katharina auf dem Berg
Sinai< von Francisco Zurbarán. Eine Neuerwerbung fiir die Alte Pinakothek in
Miinchen. In: Intuition und Darstellung, Erich Hubalazum 24. März 1985, hrsg.
von Frank Biittner und Christian Lenz, Miinchen 1985, 129-136, Zit. 135. FA
ebendort, 130, und bei Steingräber, Alte Pinakothek, 93.
89 Hubert von Sonnenburg, Zur Maltechnik Murillos, 1, Bayerische Staatsge-
mäldesammlungen Miinchen, Abteilung fiir Restaurierung und naturwissen-
schaftliche Untersuchungen (Doerner-Institut), Mitteilungen 4/1980, o.S. -
Auch in: Maltechnik/Restauro, 86,1980,159ff. -Teil 2 in: Maltechnik/Restauro,
88,1982,15-34.
90 FA: Steingräber, Alte Pinakothek, 92.
236 Die Malerei des 17. Jahrhunderts
den Inkarnaten sowie als Schimmer auf Haaren und Riistung der Er-
minia. Das kiihle Grau in Haube und Gewand der Alten am linken Bild-
rand kann sich, auch in seinem Kontrast zu Umbra, zu eigener Schönheit
entfalten. Wie das Blau gehört es zu den charakteristischen Farbwerten
der französischen Palette.
Georges de La Tour (1593-1652) aber meidet Blau. Seine Farbskala ist
die einer „palette nocturne“ 95, angemessen der tiefen, von kiinstlichen
Lichtquellen erhellten Dunkelheit seiner Bilder. Warmes, gedecktes
Rot, Braun, festes, pastoses Weiß in brauner bis schwarzbrauner
Schatten- und Dunkelwelt bestimmen die farbige Erscheinung seiner
Bilder (vgl.: >Der hl. Joseph als Zimmermann<, um 1640 (?), >Die hl.
Magdalena meditierend vor einem Totenkopf<, um 1640/45, beide im
Louvre 96). La Tour gestaltet die Farben in gleichmäßiger Festigkeit,
bindet sie und alle Licht- und Schattenbezirke der Fläche ein, fiihrt so,
mehr als andere Helldunkelmaler, Licht und Dunkel zu farbig-homo-
gener Erscheinungsweise als einer Voraussetzung der eigentiimlichen
Zeitentriicktheit seiner Darstellungen.
Die Briider Le Nain vereinfachen die Bildfarbe fast bis zur Mono-
chromie. In ihr wird das Zuständlich-Stille, Monumentale ihrer Bildge-
halte farbige Gestalt. Die >Bauernmahlzeit< (1642, Paris, Louvre) von
Louis Le Nain (um 1600-1648) ist in der Grundfarbe eines leicht oliv-
stichigen Umbratons gehalten, der sich bald zu Graugelblich aufhellt,
bald zu einem braunschwärzlichen Violett vertieft. Der grauockrig er-
hellte Ton wird weiter stufenweise erhöht zu warmem, gelblich um-
flortem Weiß oder zu kälterem Weiß im Tischtuch, der hellsten Stelle im
Bild. Wie sich die Weißakzente rückbinden zur Grundfarbe, so auch alle
Schatten, die sich noch in ihren dunkelsten Lagen als Vertiefungen von
Umbra zu erkennen geben. Im Schatten des herabfallenden Tischtuchs
herrscht die silbergraue Komponente der Grundfarbe vor, im Inkarnat
erwärmt sich die Gelbkomponente. An den Wangen treten vereinzelt
auch leichte Rötlichhöhungen auf, als erster Anflug von Rot, der ein-
zigen Buntfarbe des Bildes, die ausgeprägter an anderen Stellen sich
zeigt, als warmes, ockriges Rot im Kleid der Magd, alsBraunrot imWein
des mittleren Bauern, als Kupferton in der Mütze des Knaben. - Zar-
teste Differenzierung von Brauntönen als stilles Leben in gelassener
Ruhe, Öffnung einer «Umbraille» zu milden Buntfarben bekundet sich
auch in der >Bauernfamilie< (um 1640/45, Louvre) 97 von Louis oder An-
toine Le Nain. Zum Rotakzent im Weinglas der Alten tritt hier als zweite
98 Kurt Badt, Die Kunst des Nicolas Poussin, Köln 1969, KapitelIV: „Von der
Zeichnung zum Bilde“, 263-291, und Kapitel V: „Poussins Farbverwendung,
chronologisch betrachtet“, 293-379. Zitate auf den S. 263, 264, 265, 266, 268,
269, 279, 286, 303-305, 313, 314, 327, 373. FA der meisten besprochenen Bilder
imTafelband des Badtschen Poussin-Werkes. - Zur Farbe bei Poussin vgl. auch:
Otto Grautoff, Nicolas Poussin, Sein Werk und sein Leben, Erster Band: Ge-
schichte des Lebens und des Werkes, Miinchen, Leipzig 1914, 306-310, 410-418
(Exkurs: Poussins Maltechnik). - Oskar Bätschmann, Farbengenese und Pri-
märfarbentrias in Nicolas Poussins >Die Heilung der Blindem. In: Von Farbe und
Farben, Albert Knoepfli zum 70. Geburtstag, Zürich 1980, 329-336. - Oskar
Bätschmann, Dialektik der Malerei von Nicolas Poussin, Zürich, München
1982, Kap. III: Licht und Farbe, 39-52. Zur Maltechnik Poussins: Madeleine
Hours, Nicolas Poussin: Étude radiographique au Laboratoire du Musée du
Louvre. - S. Delbourgo, J. Petit, Application de l’analyse microscopique et chi-
mique á quelques tableaux de Poussin. Beides in: Bulletin du Laboratoire du
Musée du Louvre, Paris, novembre 1960, 3-39, 41-54.
240 Die Malerei des 17. Jahrhunderts
Dunkel ist Poussins Kunst ja fremd. Ihre Homogenität, wie auch die
klare Scheidung und Stufung von Licht-, Halbschatten- und Schattenbe-
zirken bei den Figuren gewährleisten die Wirkung flächiger Geschlossen-
heit Poussinscher Gemälde, die fiir sie konstitutiv ist. In diese Griinde
trägt Poussin ,,an figural wichtigen Stellen klar abgehobene, intensive
und leuchtende Lokalfarben ein, Farben-figuren, im wahren Sinne des
Wortes, einzelne genau bestimmte, wenn auch nicht umrissene, sondern
farbig-flächig zusammengehaltene ,Figuren‘, und zwar außer den Inkar-
naten, die gelblich, rosa, grünlich, bläulich oder dunkler bräunlich vor-
kommen, die drei Primärfarben Gelb, Blau und Rot als Gewänder
(eventuell in mehreren Nuancen). Griin ist entweder sehr dunkel ge-
nommen, Teil des Gesamtbildtones oder Ergänzungsfarbe zu Rot, ohne
aber auch da die Brillanz der anderen Grundfarben zu erreichen.“
„Poussin hat nun die drei Primärfarben und alle iibrigen Lokalfarben
wie kaum ein zweiter Maler (des siebzehnten Jahrhunderts) rein er-
halten, weder im Weißlichen verblassen noch im Schwarzen untergehen
lassen. ... Jede der Urfarben Blau, Gelb, Rot ist auf der Palette der
Maler als kalter oder als warmer Ton vorhanden, Rot als Krapplack und
Zinnober, Gelb als Zitron oder Ocker, Blau als Kobalt und Ultramarin.
Durch verschiedene Mischungen entwickelte Poussin fiir jede der Pri-
märfarben eine drei- oder vierfache Stufung, die den Grundcharakter
nicht angriff. Sie verwandte er zur plastischen Modellierung von Ge-
stalten und Objekten. Daneben erfand er sich valeurgleiche hellere und
dunklere Abwandlungen der drei Urfarben wie Rosa, Hellblau, Hell-
gelb und Weinrot, Schwärzlichblau, Dunkelocker. Mit großer Kunst
stimmte er sie jeweils auf die gleichen Intensitätsgrade der Wirkung, zu
Faktoren, die das Gleichgewicht eines Bildes herstellten, nicht störten.“
Das Inkarnat kann aufgefaßt werden als ein „Kompositum aus verschie-
denen Primärfarben: Gelblich im Mittelton, Rosa im Reflex, Hellgriin
in den Schatten, das sich zu verschiedenen Gesamtfärbungen wie Hellig-
keitsgraden zu verbinden vermag. Diese leicht getönte Farbenzusam-
menstellung wirkt aber immer als lokalfarbige Einheit und bleibt als
solche fiir sich bestehen ... Zu Blau, Gelb, Rot und dem Inkarnat trat
bei Poussin Weiß als fünfte, in beträchtlicher Ausdehnung verwandte
Lokalfarbe hinzu, dem er oft leicht griinliche Schatten gegeben hat,
ohne seinen Farbcharakter zu alterieren.“
So sind Poussins Farben „nicht mächtig, energisch und geistvoll, son-
dern sachlich, beharrend und sinnlich-sittlich“. Nicht das strömend be-
wegte Leben stellt sich in ihnen dar - wie ihnen auch die Offenlegung
ihrer eigenen Genesis fremd ist -, „sondern das vor aller Veränderung
bestehende und feststehende Sein“.
„Für den Zeitraum vom November 1630 bis April 1631 sind zwei in
Die Malerei des 17. Jahrhunderts 241
99 Zitiert nach Badt, Poussin, 306. - Vgl. dazu auch: Wilhelm Messerer, Die
„Modi“ im Werk von Poussin. In: Festschrift Luitpold Dussler, München 1972,
335-356.
100 Eine andere Interpretation findet sich bei Bätschmann, Dialektik der Ma-
lerei von Nicolas Poussin, 49: „Das Farbensystem ist der Widerpart und die Auf-
242 Die Malerei des 17. Jahrhunderts
handelt es sich, nach der Vermutung Badts, beim Bild der >Inspiration
des Dichters< (1630/32, Paris, Louvre) um den „hypolydischen“ Modus,
„göttlich-heiter und doch gehalten“, mit „silbrigem“ Gelb und ge-
decktem Weiß bei der Muse, Rot im Tuch Apollos, tiefem Blau und
Goldocker beim Dichter, dessen Farbklang, jenseits der halbhellen Mit-
telzone, der Himmel wiederaufnimmt. Der >Bacchantische Tanz vor
einer Pansherme< (um 1637, National Gallery London) 101 erscheint im
„ionischen“ Modus: er ,,ist farbig von gesteigerter Heiterkeit, indem die
meisten Inkarnate betont rosafarben gegeben sind: so bei dem nackten
Mann, bei den Kindern, bei der gelagerten Frau. Dagegen ist die Urfar-
bentrias gesetzt, auf die Gewänder verteilt: die Frau mit derTraube licht-
blau, der bärtige Mann gelb, das Mädchen hinter ihm und halb von ihm
verdeckt erdbeerrosa. Das Mädchen mit der Kanne ist blau und weiß,
die am Boden Liegende hellgelb.“ Im „dorischen“ Modus dagegen ist
der >Schulmeister von FaleriU (1637, Louvre) gehalten; den diister-fahlen
Gesamteindruck bewirken hier das kalte Himbeerrot in derToga des Ca-
millus, das sehr dunkle Blau beim Offizier neben ihm, stark kontrastie-
rend zum Gelb beim sich zur Erde biickenden Knaben. Die Grundfar-
bentrias wird durch eingeschobenes Griin gestört.
Die diachrone Entfaltung umspannt die Differenzierung in „Modi“.
Das Friihwerk sei vertreten durch die >Beweinung ChristU der
Miinchner Alten Pinakothek (gemalt um 1626/30) 102. Vor einem Farb-
reliefgrund in Gelbgraubraun, dessen Komponenten Umbra und Grau
sich zart differenzieren, und unterhalb der schwach violettstichig grauen
Himmelsfläche heben sich wenige Buntfarben in Gewändern ab: Kad-
miumrot im Mariengewand, ihm sehr nahe kommend Zinnoberrot im
herabhängenden Tuch und, am stärksten gegen den Farbgrund kontra-
stierend, leuchtendes mittelhelles Blau im Marienmantel. Als Briicken-
farbe zwischen Grund- und Gewandfarben fungiert der Goldocker im
Gewand Josephs von Arimathia, schon eine in sich geschlossene Farb-
form und sich mit Rot und Blau zurTrias zusammenfindend, in der diese
beiden Farben jedoch entschieden dominieren. Eine weitere Verdich-
tung, mit Rückung nach Kupferrötlich, vollzieht sich im Mantel des Jo-
hannes. Indem er die Richtung der braunen Grundfarbe sachte verläßt,
schafft er auf subtilste Weise die Basis fiir den hellen, grautiirkisfarbenen
Ton im Johannesgewand. Die Lichthöhe bildet, genau in der Mittel-
achse des Gemäldes, die Farbe Weiß im Bahrtuch Christi und den Är-
hebung des farbig bestimmten Modus.“ Sie impliziert jedoch die schwer einlös-
bare Voraussetzung eines „affektneutralen“ Farbensystems bei Poussin.
101 FA: Wilson, National Gallery London, 93.
102 FA auch: Steingräber, Alte Pinakothek, 98.
Die Malerei des 17. Jahrhunderts 243
währt. - Ein Friihwerk wie die >Landschaft mit dem hl. Onofrius< (um
1635, Madrid, Prado) 105 ist noch erfiillt von barockem Pathos. Tiefe
bräunliche Dunkelheit der Bäume steht gegen den orangerosa-bräun-
lichen Himmel, der nur nach oben in ein dunkeliiberflortes Himmels-
blau sich weitet. Die späte >Landschaft mit Jakob und Laban< (1676,
London, Dulwich Picture Gallery) 106 dagegen ist ganz in diinnen,
kiihlen Farben gehalten. Kiihl graugriine Silhouetten heben sich in mitt-
lerer Dunkelheit vom grautonig-hellen Blau des Himmels und der Ferne
ab. Die Dunkelheit ist leicht, wie transparent, geworden.
i°8 Ygi BernardTeyssèdre, Roger de Piles et les débats sur le coloris au siécle
de Louis XIV (La Bibliothèque des Arts, 13), Paris 1965. -Thomas Puttfarken,
Roger de Piles’Theory of Art, New Haven, London 1985, bes. 64—75.
Die Malerei des 17. Jahrhunderts 247
schönen Körper wählen, sich durch seinen Glanz blenden lassen, und
nicht weiter sich mit dem Mühe machen, was diese schöne Erscheinung
beleben müsse. War diese Antwort noch maßvoll, so wird die Sachlage
mit einem Male dadurch verschärft, daß ein Mitglied der Akademie
selbst de Piles’ Partei ergreift. Es ist der jüngere Blanchard, der in der
Sitzung vom 7. November desselben Jahres mit seinem >Discours sur le
mérite de la couleur< lebhaft fiir die Farbe eintritt und die zugespitzte
Definition aufstellt, die Zeichnung gebe nur die vernünftige Möglich-
keit, die vollendete Farbe dagegen immer die Wahrheit.
Le Brun, der wegen Krankheit diesen Sitzungen der Akademie hat
fernbleiben müssen, formuliert in seiner Entgegnung am 2. und 9.Ja-
nuar 1672, den >Sentiments sur le discours du Mérite de la couleur par M.
Blanchard<, nochmals den offiziellen Standpunkt der Akademie in aller
Schärfe. Die Zeichnung ist von ungleich höherem Wert als die Farbe,
kann sie doch ohne die Farbe, nicht aber diese ohne die Zeichnung be-
stehen. Den Begriff der Zeichnung löst Le Brun im Anschluß an Fede-
rigo Zuccaros in seiner >Idea de scultori, pittori e architettu von 1607
durchgeführten Unterscheidung von „disegno interno“ und „disegno
esterno“ auf in das Begriffspaar des «dessin intellectuel ou théorique»
und des «dessin pratique». «Le dessin pratique» ist nur von zwei Bedin-
gungen abhängig, von der Phantasie des Künstlers, die im «dessin intel-
lectuel» sich konkretisiert, und von der Geschicklichkeit der Hand.
Diese „praktische Zeichnung“ stellt Le Brun der Farbe gegenüber. Ihr
fallen alle wichtigen Aufgaben in der Malerei zu. Die Zeichnung verge-
genwärtigt die Form und die Proportionen und ahmt alle sichtbaren
Dinge, selbst die geheimsten Regungen der Seele, nach. «Le dessin
imite toutes les choses réelles au lieu que la couleur ne représente que ce
qui est accidentel.» Die Farbigkeit der Objekte ist nur eine Zufallser-
scheinung; sie verändert sich je nach der Lichtquelle: Grün verwandelt
sich in Blau, Gelb erscheint weiß, wenn sie mit Kerzenlicht beleuchtet
werden. Weiterhin ist fiir Le Brun das Kolorit minderwertig wegen
seiner Abhängigkeit vom Material der Farben. Und er versteigt sich bis
zur Behauptung, ohne die Zeichnung stünden die Maler im Range nicht
über den Farbenreibern.
Gegen diesen Machtspruch setzt Roger de Piles im folgenden Jahr,
1673, die entschiedenen Thesen seines >Dialogue sur le coloris<. Er hält
nicht nur seine Ansichten über das Verhältnis von Form und Farbe auf-
recht, erklärt daher, bei allerVerehrung fiir Raffael,Tizian ihm als Maler
für überlegen, sondern greift nun die Akademie selbst an, indem er fest-
stellt, daß Poussins Bemühungen um die Farbe fehlgeschlagen seien.
Poussin, dem die Akademie Mustergültigkeit zuerkannte, angreifen,
heißt, den Akademismus selbst angreifen. (Daß Poussins Kunst weit
248 Die Malerei des 17. Jahrhunderts
109 Roger de Piles, Cours de Peinture par Principes (Paris 1708), Genf 1969
(Slatkine Reprints), 303, 361-363.
Die Malerei des 17. Jahrhunderts 249
éclaire. Elle force & nécessite le peintre a lui obéir: au lieu que le clair-
obscur dépend absolument de l’imagination du Peintre.» So ließe sich
auch von einem „Darstellungs-“ und „Eigenwert“ des «clair-obscur»
sprechen.
Schon in seinem >Dialogue sur le coloris< von 1673 hat de Piles die
Zeichnung mit dem Körper, die Farbe aber mit der Seele des Menschen
in Analogie gesetzt: «... il n’y a point d’homme si l’âme n’est jointe au
corps; aussi n’y a-t-il point de Peinture si le Coloris n’est joint au Des-
sein.» 110
Mit solcher Interpretation der Farbe als „Seele der Malerei“ wird de
Piles zum Propheten der Farbgestaltung in der Malerei des 18. Jahr-
hunderts.
Im 18. Jahrhundert klärt sich das Helldunkel zur Helligkeit auf, in der
sich Dunkelinseln bilden, die Buntfarben werden zu Übergangsstufen
dieses Helldunkels. 1 Die feinere Stufung der Farben ist j edoch noch etwas
anderes als die Valeurdifferenzierungim 19. Jahrhundert. Immer noch blei-
ben die Tonwerte Momente eines nun allerdings farbig durchgestimmten
Helldunkels. Damit verändert sich auch das Verhältnis zwischen Bunt- und
Neutralfarben, sie treten gleichberechtigt nebeneinander auf, können zur
Kontinuität oder auch zur Parallelentwicklung gebracht werden. Hand in
Hand mit der Neubestimmung des Bezugs von Helldunkel und Farben
geht eine neue Bindung beider an die Bildgegenstände einher und die Mög-
lichkeit zur expressiven Wirkung bei Farbe und Helldunkel.
Die Buntfarbskala selbst hellt sich auf. Die Trias der Grundfarben
bleibt vielfach noch bildbestimmende Farbordnung, etwa bei Boucher,
Tiepolo oder Maulbertsch ; Grixn aber steigt nun in vielen Werken zur be-
herrschenden Farbe auf, in den Gründen oder als Grundfarbe selbst.
Das neue Gleichgewicht zwischen Helldunkel und Farbe betrifft aber
vor allem Weiß, Schwarz und Grau. Licht verdichtet sich zu Weiß, Dun-
kelheit zu Schwarz, Halblicht zu Grau. Die Neutralwerte gehen, in
einem langen Prozeß der Verwandlung, der erst im 19. Jahrhundert
seinen Abschluß findet, in den Status der Farben über.
1 Zur Farbgestaltung in der Malerei des 18. Jahrhunderts vgl. : Hetzer, Tizian,
Geschichte seiner Farbe, 254—260. - Hermann Bauer, Rokokomalerei, Sechs
Studien, Mittenwald 1980, 113-122 (Über Licht und Farbe im Rokoko). -Verf.,
Aspekte der Farbgestaltung in der französischen und deutschen Malerei des
18. Jahrhunderts, in: G. Sauder, J. Schlobach (Hrsg.), Aufklärungen, Frankreich
und Deutschland im 18. Jahrhundert, Bd. 1, Heidelberg 1985, 127-143. Zu den
Paletten: F. Schmid, The Painter’s Implements in Eighteenth-century Art, in:
The Berlington Magazine, July 1966, 519-521. ZurFarbenlehre: Lersch, Farben-
lehre, Sp. 210-231. - Ders., Von der Entomologie zur Kunsttheorie, Ignaz Schif-
fermüllers >Versuch eines Farbensystems< (1771), Miszellen zur Problemge-
schichte der Farbenlehre, in: De Arte et Libris, Festschrift Erasmus 1934—1984,
Amsterdam 1984, 301-316.
Die Malerei des 18. Jahrhunderts 251
kungen von seidigen Gewändern und Lichtlinien, die über die Farben
rieseln. Diese Lichtlinien sind zugleich graphische Spur, wie die Farben
Medium seelischer Gehalte. Kaum ist ein Farbton aus dem Dunkel ge-
boren, verliert er sich schon wieder in den Höhungen oder dem Weiß der
Faltengrate. So schwingt die farbige Erscheinung Watteauscher Bilder
zwischen hauchartig gegebenen Griinden und chromatisch kristalli-
sierter Farbstruktur in den Gewändern.
Die >Einschiffung nach Kythera< (1717, Paris, Louvre) 5 läßt ein Prinzip
minimaler Entfernung der Buntfarben von den Farben des Grundes er-
kennen. Wiesen und Baumschlag enthalten Olivgriin und Olivbraun in
vielen Mischungen, in den Figuren steigen sie zu ausgeprägteren Farben
auf, jede Nuance scheint zeugungsfähig. Selbst Karmin, in dem Buntfar-
bigkeit gipfelt, ist iiber blasses Weinrot noch locker dem Farbgrund ver-
bunden. Gleichmäßig getrennte, stille Farbregungen zur Buntheit hin er-
fiillen so das Bild, lassen keine Zielstrebigkeit aufkommen: das Reich
der Imagination ist hier, das Gegenwärtige aber entriickt. - Der >Gilles<
(um 1718/20?, Paris, Louvre) 6 wird bestimmt vom silbrig verschatteten
seidigen Weiß des Gewandes vor dem blaßgraublauen Himmel. Das
Weiß ist mehr als Gegenstandsfarbe, ist farbiges Hauptmotiv und Bild-
zentrum. Langsam erst entfaltet sich das Weiß der Jacke aus den sil-
bergrau-bräunlichen Halbschatten der Hose. Obwohl die Farbe in festem
Auftrag gegeben ist (die Hosenfalten lassen die Faktur deutlich er-
kennen), wirkt die Gestalt gewichtslos, weil ihre Konturen leise zum
graublauen Himmel hin sich öffnen und die Schatten des Weiß die
grauen, sandbraunen, olivgriinen Tone der Vegetation und des Bodens
wie in Mischungen in sich aufnehmen. Ein neuer Farbwert Watteaus ist
das locker behandelte trübe Flaschengrün der Bäume. Als kräftiger
Buntwert erscheint nur das einem Braunorange nahestehende Altrosa
- dem manieristischen, um 1600 verwendeten Rotton vergleichbar - im
rechten Kavalier, aufgehellter in Gilles’ Schuhschleifen. Weiß aber diffe-
renziert sich in das ganz zart rosa getönte, von graugriinen Streifen
durchzogene Weiß im Halstuch der Dame und in das aufgetupfte
Schaumweiß des Kavaliers, den beiden Figuren, die zu Gilles iiber-
leiten. Weiß und Zartfarbigkeit und Halbdunkel in den Griinden ent-
riicken die Darstellung. - Beim >Ladenschild des Kunsthändlers Ger-
sainU (1720, Schloß Charlottenburg, Berlin) schwingen die Farben leise
um einen aus Lehmbraun, Olivgrau und mattem Goldgelb gebildeten
Grundton, aus dem sich sachte das helle Grauviolett im Mantel der
linken Dame, das silbrige Weiß im weiten Rock der rechten heben, in
gelb seines Helms. Im Pastellblau des Himmels weitet sich das Blau zur
Helligkeit, zum lichten Bildzentrum des Inkarnats der Venus. Im
>Bildnis der Marquise de Pompadour< von 1756 (Alte Pinakothek, Miin-
chen) 12 umspannt dieTrias das gesamte Bild. Die Gelbkomponente wird
getragen vom olivockrigen Vorhang, die Blaukomponente vom tiirkis-
farbenen Gewand, Rot spaltet sich in helles, bläuliches Karminrosa in
Schleifen und Rosenmuster und in das warme Rosenholzbraun des
Tischchens, nähert sich einem ausgeprägten Rot nur in der Siegellack-
stange dort und im Englischrot des Folianten unter demTisch. Die Riick-
wand mit dem großen Spiegel ist eine graugelbe Helldunkelzone. In
engste Nähe sind gebrochene Triasfarben und farbig durchstimmtes
Helldunkel gebracht. Mattschimmerndes Inkarnat bindet das ge-
dämpfte Weiß ein.
Auch im 18. Jahrhundert bleibt die italienische Malerei meist bei einer
großflächigen, reliefmäßigen Farbbehandlung. Noch einmal steigt Ve-
nedig in der Malerei zu europäischer Bedeutung auf.
Giovanni Battista Piazetta (1683-1754) bestreitet die Farbgebung
seiner >Himmelfahrt Mariä< (1735, Paris, Louvre) 13 mit großflächig aus-
gebreitetem Cremeweiß, heftig iiberschnitten von tiefem Schwarz- oder
Schokoladenbraun, vor einem nahezu homogenen Graublau der Folie.
Weiß vertritt die Helligkeit, das warme Schwarz die Dunkelheit. Der
gelbliche Leinwandton, der in den tieferen Schattenlagen durch ver-
wandte aufgemalte Farben wiederaufgenommen wird, dient als Schat-
tenfarbe. Sie, die beigefarbenen Wolken, der graublaue Himmelsgrund
vermitteln zwischen Licht und Dunkel. Das Helle aber dominiert: wie
nie zuvor in der venezianischen Malerei steigt Weiß zur bildbeherr-
schenden Rolle auf. Nur sparsam sind Buntfarben eingesetzt: Himbeer-
rot in der Schleife des untersten der aufschwebenden Engel, gedecktes
Blau im Tuch des anderen, dazu ein fraisefarbener Ton im Gewand des
mittleren Apostels hinter dem Sarkophag, zartes Grauviolett, hauch-
artiges, kühl-helles Blaugriin, letzteres in den ausgebreiteten Armen des
weißen Apostels rechts, dessen dunkelverschattetes Haupt eine eigene
Helldunkeleinheit bildet - in kleinen Herden wirkt nun der Helldunkel-
eindruck am stärksten, im Bildganzen spricht das „ekstatische“ Weiß
und die dagegen kontrastierende farbige Dunkelheit.
Giovanni Battista Tiepolo 14 (1696-1770) stellt mit dem Reichtum
20 FA: Bruno Bushart, Deutsche Malerei des Rokoko, Königstein i.T. 1967,
30 (Ausschnitt).
21 FA: Christian Lenz, Adam Elsheimer, Die Gemälde im Städel, Frankfurt
a.M. 1977, 55.
22 Zur Farbe bei Maulbertsch vgl. auch: Ivo Krsek, Das Fresko von Franz
Anton Maulbertsch im Lehenssaal der Kremsier Residenz - Zur Frage seines
Kolorits, in: Alte und moderne Kunst, 11,1966, Heft 87, 16-26.
258 Die Malerei des 18. Jahrhunderts
31 FA: Wilhelm Messerer, Francisco Goya, Form und Gehalt seiner Kunst,
Freren 1983, 127.
32 Ernst Strauss, Rezension von Jutta Held, Farbe und Licht in Goyas Ma-
lerei, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 28. Bd. 1965,272-274, Zitat auf S. 274.
FARBGESTALTUNG UND FARBTHEORIE
IN DER MALEREI DES 19. JAHRHUNDERTS
Auch Cézanne schließt sich dieser Methode der Farbteilung an; radikale
Konsequenzen zieht daraus der Neo-Impressionismus. In seiner Schrift
>D’Eugène Delacroix au néo-impressionnisme< von 1899 arbeitet Paul
Signac diese Traditionslinie heraus.
Van Gogh schließlich versucht, durch strahlende Farben selbst das
Sonnenlicht zu repräsentieren.
Der Verwandlung der „luminaristischen“ Malerei in eine valeurgetra-
gene, eine „chromatische“ oder eine „koloristische“ entspricht eine Ver-
änderung der Farbkomposition. Das zentrale Phänomen dieses Wandels
ist das Schwinden der Grundfarben-Trias als bestimmender Farbfigur
der Bildkomposition. Die auf eine Mitte bezogene Gestaltung friiherer
Jahrhunderte, in der die Helldunkelpolarität im Dreiklang der Grund-
farben sich zentrierte, wird nun abgelöst von einer die hierarchischen
Momente zurückdrängenden Farbauffassung und -verwendung.
Nun erst werden die farbigen Relationen in ihrer ganzen Fülle und
Differenziertheit auch experimentell und theoretisch erfaßbar.
Nach dieser Hinsicht kommt der Farbenlehre des Chemikers Michel
Eugène Chevreul (1786-1889) exemplarische Bedeutung zu. 1839 er-
scheint sein Werk >De la loi du contraste simultané des couleurs et de l’as-
sortiment des objets colorés .. .<, dessen Ausgangspunkt in derBeobach-
tung liegt, „daß zwei nebeneinander liegende Flächen, die entweder
unterschiedlich stark mit derselben Farbe oder gleich stark mit verschie-
denen Farben bedeckt sind, bei simultaner Betrachtung verändert wahr-
genommen werdeji. Die Modifikation betrifft im ersten Fall die Intensi-
tät der Farben, im zweiten deren ,optische Komposition'.“ «Or comme
ces modifications font paraître les zones, regardeées en même temps,
plus différentes qu’elles ne sont réellement, je leur donne le nom de con-
traste simultané des couleurs; et j’appelle contraste de la ton la modifica-
tion qui porte sur l’intensité de la couleur, et contraste de couleur celle
qui porte sur la composition optique de chaque couleur juxtaposée.
Vöici la manière bien simple de contraster le double phénomène de con-
traste simultané des couleurs.» 6
Der „Simultankontrast“ steht also im Mittelpunkt der Chevreulschen
publiée d’après le manuscript original avec une introduction et des notes par
André Joubin, Edition revue et augmentée, Paris 1950, Supplément au Journal,
451/452.
6 Michel Eugène Chevreul, De la loi du contraste simultané des couleurs et de
l’assortiment des objets colorés considéré d’après cette loi dans ses rapports avec
la peinture..., Paris 1839, zit. nach 2. Ausg. Paris 1889 (Nachdruck Paris 1969),
mit Einführung von Henri Chevreul, 5. - Zitiert nach: Lersch, Farbenlehre,
Sp. 249, 250.
264 Malerei des 19. Jahrhunderts
7 Chevreul, De la loi..., 66f; zitiert nach Lersch, Farbenlehre, Sp. 250. -Die
Beziehung des Begriffs „Ton“ auf den Gehalt an Hell und Dunkel einer Farbe ist
nicht unproblematisch. Dies ergibt sich aus der Tatsache, daß nicht selten die
Buntfarben als „getönte Qualitäten“ bezeichnet werden, „Ton“ also gerade den
Gehalt an Buntfarbigkeit meint (vgl. etwa David Katz, Der Aufbau der Farb-
welt, Leipzig 1930; Karl Bühler, die Erscheinungsweisen der Farben, Juni 1922;
Wilhelm Ostwald, Die Farbenfibel, Leipzig 1920). Verf. hatte deshalb in seiner
Dissertation die Begriffe entgegengesetzt definiert, Ton als den durch „leichte
Abwandlung gegen eine andere Buntfarbe oder durch Brechung mit Grau oder
Braun von der vollfarbigen, gesättigten Erscheinung unterschiedenen Buntfarb-
welt“, Nuance als „Abwandlung nach Helligkeit und Dunkelheit in gleitenden
Übergängen“ bestimmt (Die Farbe bei Griinewald, 140, Anm. 9). In vorlie-
gender Arbeit meint „Ton“ den Gehalt an Helligkeit oder Dunkelheit,
„Farbton“ den Buntfarbgehalt, „Nuance“ eine (gleitende) Abwandlung nach
beiden Richtungen.
8 Lersch, Farbenlehre, Sp. 250. Abb. 10.
Malerei des 19. Jahrhunderts 265
9 Chevreul, De la loi..., 85; zitiert nach: Lersch, Farbenlehre, Sp. 250, 251.
10 Vgl. Walter Hess, Das Problem der Farbe in den Selbstzeugnissen der
Maler von Cézanne bis Mondrian (1953), Neuauflage Mittenwald 1981. 147ff.
266 Malerei des 19. Jahrhunderts
Aufhellung zeigt die Palette für die «Chapelle des Anges» in Saint-Sul-
pice in Paris. Insgesamt läßt sich beobachten, daß Delacroix seine
Farben immer mehr denjenigen des Spektrums annähert und den Anteil
der Erdfarben - im Verhältnis zu David oder Goya (der vier Arten von
Schwarz und fast nur Erdfarben verwendete) - beschränkt. Verglichen
mit den Paletten der Impressionisten ist dieser Anteil jedoch immer
noch beträchtlich. 15 So läßt schon, was ja auch selbstverständlich ist, die
Abfolge der „Paletten“ die Grundrichtung der koloristischen Entwick-
lung erkennen.
Charakteristisch unterscheiden sich die Paletten von Ingres, Géri-
cault, Corot, Devéria, Daumier, Millet, Rousseau usf. 16
Nun wird durch Künstleräußerungen auch deutlich, daß ihnen die Pa-
lette mehr als ein Medium der „Wiedergabe“, daß sie selbst Quelle der
Inspiration ist: «Ma palette fraîchement arrangée et brillante du con-
traste des couleurs suffit pour allumer mon enthousiasme» notiert Dela-
croix unter dem 21. Juli 1850 in seinTagebuch 17 und ebenso ist es fiirVan
Gogh eine Maxime, ,,von den Farben der Palette auszugehen“. 18
Auch in der Geschichte der Einzelfarben nimmt das 19. Jahrhundert
eine eigene Stellung ein, die gleichfalls mit der Verwandlung der Hell-
dunkelmalerei in eine von den Farben als solchen bestimmte in Zusam-
menhang steht und deshalb die Pole der Helldunkelspannung und deren
Übersetzung in Weiß und Schwarz betrifft. Nun können sich auch Weiß
und Schwarz als Farben, nicht mehr in erster Hinsicht nur als Repräsen-
tanten von Licht und Dunkelheit, zur Geltung bringen. Für Turner ge-
winnt Weiß eine neue Bedeutung in der farbigen Komposition, mit Goya
und Manet steigt Schwarz als „autonome“, nicht mehr einem Helldunkel-
kosmos eingegliederte Farbe zu bildbestimmender Wirkung auf. 19 Auch
in den Buntfarben tritt die Hell-, bzw. Dunkelkomponente zunehmend in
den Hintergrund, sie können so in neuem Sinne als koloristische Werte in
die Erscheinung treten, wie etwa das Blau bei Cézanne. 20 Grün wird als
Farbe mit der Freilichtmalerei aufgewertet.
15 Nach Kempter, Dokumente, 39-42, unter Bezug auf Emile Bernard, Les pa-
lettes d’Eugêne Delacroix et sa recherche de l’absolu du coloris (in: Mercure de
France, 1. Février 1910) und René Piot, Les palettes de Delacroix, Paris 1931.
16 Vgl. Kempter, Dokumente, 43-48.
17 Journal de Eugène Delacroix, tome premier, 1822-1852, 392.
18 Vgl. Hess, Problem derFarbe, 37.
19 Vgi. hierzu: Jutta Held: Farbe und Licht in Goyas Malerei, Berlin 1964,
passim. - Max Raphael, Die Farbe Schwarz. Mit einem Nachwort von Bernd
Growe hrsg. von Klaus Binder, Frankfurt a. M., Paris 1984. -Zur Vermeidung von
Weiß und Schwarz vgl. Kempter, Dokumente, 49-51.
20 Dazu Kurt Badt, Die Kunst Cézannes, München 1956, bes. 43ff.
268 Malerei des 19. Jahrhunderts
23 Kempter, Dokumente, 66-71, 79, 80. Zu Ingres: René Longa, Ingres in-
connu, Paris (o. J.), 15.
24 Matthias Bleyl, Das klassizistische Porträt. Gestaltungsanalyse am Bei-
spiel J.-L. Davids. Frankfurt a.M.-Bern 1982, 57ff. Zitat auf S. 62.
25 Vgl. auch Delacroix’ für seinen geplanten >Dictionnaire des Beaux Arts<
formulierten Artikel >Touche< (Journal de Eugène Delacroix, III, 17-20, vom
13. Januar 1857. Auch bei: Christine Sieber-Meier, Untersuchungen zum >Œuvre
littéraire< von Eugène Delacroix, Diss. Basel, Winterthur 1963,107-108.)
26 Nach Kempter, Dokumente, 90, 91, 92, 102, 107.
27 Max Liebermann, Die Phantasie in der Malerei (1904-1916). Zitiert nach:
Max Liebermann, Die Phantasie in der Malerei, Schriften und Reden, hrsg. und
eingeleitet von Günter Busch, Frankfurt a. M. 1978, 60.
270 Malerei des 19. Jahrhunderts
31 Zitiert nach: Johannes Dobai, Die Kunstliteratur des Klassizismus und der
Romantik in England. Bd. III, 1790-1840, Bern 1977, 907/908 und 916, Anm.
160.
32 Dobai, Kunstliteratur, III, 962. Dazu auch weiter S. 963, 964.
33 Nach Dobai, Kunstliteratur, III, 958/959.
272 Malerei des 19. Jahrhunderts
Erst Turner und Constable bringen die Farbgestaltung auf neue, zu-
kunftsweisende Bahnen.
William Turner (1775-1851) läßt in neuer Weise Bildraum, Bildlicht
und alle Bildgegenstände aus der Bildfarbe allein entstehen. Einem
linearen Formaufbau kommt keine Bedeutung mehr zu. „Die Formbil-
dung erfolgt vielmehr durch - wie auch immer geartete - Begegnungen
miteinander konstrastierender vielfarbiger Flächen und Flecken, die
sich trotz geringer Prägnanz ihrer Gestalt und trotz der denkbar ver-
schiedenen Grade ihrer Ausbreitung und Kohärenz im Gesamtaspekt
doch immer noch als ,Teileinheiten‘ eines größeren Ganzen auffassen
lassen.“ 34 Die stellenweise Auflösung in Farbflecken läßt an die Wirk-
samkeit des „chromatischen“ Prinzips denken, andererseits erfolgen die
Übergänge meist gleitend, so daß hierin auch eine Eigenschaft der „lu-
minaristisch“ gespannten Farbe sich erhält. In Turners Kunst zeigt sich
so die Möglichkeit einer „luminaristischen“ Chromatik, während der
Weg der französischen Farbgestaltung zu einer „koloristischen“ Inter-
pretation des Chromatismus fiihrt, zu einer Chromatik, die auch den
Buntwert jedes einzelnen Farbflecks zur Geltung kommen läßt. Die dem
Luminarismus entstammende Übergänglichkeit der Farben bewirkt ihre
vor allem von Ruskin gerühmte „magische“ Qualität, ihre „suggestive
Kraft, die ständige Veränderung ihres Aggregatzustandes”.
Die Zusammenfassung in große Komplexe hinwiederum erlaubt es,
daß bei Turner auch die grundlegenden „Farbfiguren“ der neuzeitlichen
Malerei aufbewahrt sind, der für das 18. Jahrhundert charakteristische
Klang von Gelb und Blau, das Farbpaar Grau und Braun (das bisweilen
als „neutrale“ Variante des ersten erscheint - und umgekehrt), ja sogar
die Primärfarbentrias aus Rot, Gelb und Blau. “Red, blue and yellow”
war der lakonische KommentarTurners, als er sein Bild >Lichtund Farbe
(Goethes Theorie) -Am Morgen nach der Sintflut - Moses schreibt das
Buch Genesis< entstanden etwa 1843, London, Tate Gallery) 35 vor
Ruskin enthüllte. 36
Aber gerade hier - wie auch an der Verwendung des Grau-Braun-
Klanges - zeigt sich das Neuartige der Farbgestaltung Turners. Beim
Bild >Schatten und Dunkelheit - Am Abend der SintfluU (etwa 1843,
34 Ernst Strauss, William Turner und die Landschaft seiner Zeit (1976). In:
Koloritgeschichtliche Untersuchungen, 123-133. Auch die weitere Darstellung
folgt im wesentlichen den Ausführungen von Strauss. Zitate auf den S. 127,128,
129,131.
35 FA: Katalog William Turner und die Landschaft seiner Zeit, Hamburger
Kunsthalle, 1976, Taf. XIX.
36 Vgl. John Ruskin, Diaries. (1908), I, 273.
Englische Malerei 273
37 FA: William Turner und die Landschaft seiner Zeit, Taf. XVIII.
274 Malerei des 19. Jahrhunderts
40 Abgebildet in: John Gage, Color in Turner, Poetry and Truth, London
1969, 115. - Lersch, Farbenlehre, Sp. 247, 248. Vgl. auch: Gerald E. Finley, Two
Turner Studies, A ‘New Route’ in 1822, Turner’s Colour and Optics; Turner’s Illu-
strations to Napoleon. In: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes,
Vol. 36,1973, 385-396.
41 Strauss, William Turner, 129.
42 Nach Gage, Colour inTurner, 178.
43 FA z.B. in: John Sunderland, Constable, Oxford 1971, 21981. - Basil
Taylor, Constable, Paintings, Drawings and Watercolours, London 1973, 21975. -
Graham Reynolds, The later Paintings and Drawings of John Constable, New
Haven and London 1984.
276 Malerei des 19. Jahrhunderts
neues Genus von Gemälden hervor, welches für die Malerei des neun-
zehnten Jahrhunderts charakteristisch geworden ist, Bildentwürfe, die
vor der Natur entstanden sind ... Durch sie wurde der friiher allgemein
anerkannte Begriff der BM-Vollendung außer Kraft gesetzt und ein
neuer, rein eindrucksmäßiger, subjektiver eingeführt... Diese kleinen
Bilder sind eigentlich Skizzen, weil sie, obwohl nach der Natur gear-
beitet, in ihrem Wesen Gebilde der malerischen Phantasie sind, Improvi-
sationen von zu Bildern zusammengefaßter studierter Natur wie die frei
erfundenen, komponierten Skizzen der älteren Meister. Jede solche
Skizze stellt eine Komposition vor, welche der Natur entnommen, auf
einer Auswahl und auf einer Verbindung natürlicher Erscheinungen be-
ruht, die sich von einem bestimmten Platze aus den Augen des Malers
darboten.“ 44
Gleichzeitig bekundet sich in den Skizzen ein neuer Individualismus
der Anschauung und der Gestaltung. Sie lassen die künstlerischen Ab-
sichten am reinsten erkennen, das künstlerische Verfahren liegt hier
offen vor Augen.
Die Natur stellt sich Constable als ein immerwährendes Geschehen
dar, als Ausdruck eines vom Menschen unabhängigen Lebens. „Der
Wechsel von Tageszeiten und Wetter, die geologischen Formationen des
Erdbodens interessierten ihn mehr als der Zustand der Ruhe und der
Stille in der Natur, in dem der Mensch seine eigenen Gefühle wie in
einem Spiegel betrachten und darüber reflektieren kann.“ (Julius Gustav
Böhler) 45 Aber es ist das „bescheidene Leben in der Natur“, das ihn fas-
zinierte, nicht das Heroische, Pathetische, sondern das Naheliegende,
Unscheinbare 46, in dem gleichwohl ein größeres Gesetz sich ausspricht.
Um 1810 werden Constables Skizzen farbiger, gleichzeitig der Farb-
vortrag ungestümer. Die Farbe wird nun in sich geteilt und unvertrieben
auf den Grund gesetzt, der dabei an vielen Stellen durchscheint und die
Geschlossenheit der Bildwirkung gewährleistet. DieTeilung der Farbe
und die Offenheit des Auftrages steigern den farbigen Eigenwert. Farbe
konstituiert den Gegenstand mit, steht nicht in seinem Dienste.
Zur selben Zeit treten Details der Landschaftsschilderung auf, die
44 Kurt Badt, Wolkenbilder und Wolkengedichte der Romantik, Berlin 1960,
60.
45 Julius Gustav Böhler, Constable und Rubens. Ein Beitrag zu den Grund-
lagen der Kunst des 19. Jahrhunderts. Diss. München 1955, 182. Auch die fol-
genden Ausführungen folgen in manchem der sehr genauen Untersuchung Böh-
lers. Zitate auf den S. 184, 186. Vgl. auch: Paul D. Schweitzer, John Constable,
Rainbow Science, and English ColorTheory. In: The Art Bulletin, Vol. LXIV,
Nr. 1, March 1982, 424-445.
46 Vgl. Badt, Wolkenbilder und Wolkengedichte der Romantik, 85ff.
Englische Malerei 277
Wie bei keinem anderen Maler des 19. Jahrhunderts durchdringen sich
bei Eugène Delacroix (1798-1863) künstlerische Verwirklichung und
Nachdenken über Probleme der Farbgestaltung. Seine Tagebücher sind
erfüllt von farbtheoretischen Reflexionen und Notizen über Beobach-
tungen farbiger Phänomene. Schon erwähnt wurde die Bedeutung, die
Delacroix dem Prinzip der Farbteilung zumißt, das sich in unterschied-
lichen Verfahren des farbigen Auftrags entfaltet und mit einer Bevorzu-
gung des sichtbaren Pinselstrichs verbindet.
Es sind dies für Delacroix aber keine Fragen bloß der künstlerischen
Technik. Eine Notiz vom 18. Juli 1850 in Delacroix’ Tagebuch lautet: «Je
me suis dit cent fois que la peinture, c’est-à-dire la peinture matérielle,
n’était que le prétexte, que le pont entre l’ésprit du peintre et celui du
spectateur. La froide exactitude n’est pas l’art ...» Die Malerei als
Brücke vom Geist des Malers zu dem des Betrachters überträgt dessen
Leidenschaft und Vernunft. Einige Seiten später, unter dem 21. Juli
1850, schließen sich folgende Überlegungen zum Zusammenhang von
Erfahrung und Kühnheit an: «L’expérience est indispensable pour ap-
prendre tout ce qu’on peut faire avec son instrument, mais surtout pour
éviter ce qui ne doit pas être tenté ... L’expérience seule peut donner,
même au plus grand talent, cette confiance d’avoir fait tout ce qui pou-
vait être fait... Et pourtant il faut être très hardi! Sans hardiesse, et une
hardiesse extrême, il n’y a pas de beautés.. ,» 62 Zu Erfahrung und Kühn-
heit, Leidenschaft kommt als drittes Vernunft, «raison». Delacroix er-
strebt für seine Kunst eine Synthese von Leidenschaft, Leben, Phantasie
und Vernunft 63, von «la vie et la raison», «l’imagination et la raison»:
«c’est la réunion de ces deux facultés, l’imagination et la raison, qui fait
les hommes exeptionnels» (lO.Februar 1850); ein höchstes Beispiel sol-
cher Vereinigung ist ihm Tizian: «Les qualités du peintre sont portées
chez lui au plus haut point: ce qu’il fait est fait; les yeux regardent et sont
animés du feu de la vie. La vie et la raison sont partout.» (4. Oktober
1854) 64
65 Zitiert nach Kempter, Dokumente, 121. Dort auch das Farbschema Dela-
croix’. Dieses auch wiedergegeben bei Lersch, Farbenlehre, Sp. 252.
Französische Malerei 285
und das Violett herrschten abwechselnd vor und mischten sich. Der gol-
dene Ton enthielt Grün. Das Fleisch hat seine wahre Farbe nur in der
freien Luft («en plein air») und besonders in der Sonne. Wenn ein
Mensch seinen Kopf an das Fenster hält, ist er ein ganz anderer als im In-
nern des Zimmers; daher die Dummheit der Atelierstudien, die sich be-
streben, diese falsche Farbe wiederzugeben.“ 66
Nach einem Bericht Andrieus wählte Delacroix in seiner Reifezeit für
Licht, Lokalton, Halbschatten, Schatten und Reflex stets kontrastie-
rende Farben: «<I1 faisait toujours contraster sa lumière et son ombre, sa
demi-teinte et son reflet. Exemple: ombre violette, clair jaune, ton local
rouge, demi-teinte bleu-gris, se guidant sur le ton local placé entre la
demi-teinte et le clair, ton local qui, s’il n’était juste, désaccorderait tout
le reste>.» 67
Diese Teilung und Kontrastierung der Farben ist die Grundlage ihrer
„Verkettung“ («enchainement»).
Der Reichtum Delacroixscher Farbgestaltung 68 besteht in der Zusam-
menfassung zweier unterschiedlicher Kontrastbeziehungen, der in der
„Kleinstruktur“ durch Farbteilung entstehenden Beziehungen und der
Farbgegensätze der „teintes uniformes“.
Die >Dante-Barke< (1822, Paris, Louvre) wird noch entscheidend be-
stimmt von den großen Farbgegensätzen: einem aufleuchtenden, grün-
lichen Graublau und tiefem, warmen Rot bei Dante, Braun im Mantel
Vergils. Das tiefe Blau des Phlegiasmantels geht schon in das Dunkel
über, das als tiefes Blaugrau rechts, tiefes Graubraun, zu Orangebraun
sich auflichtend, links den Grund erfüllt. Ein dichtes, schwärzliches
Flaschengrün im Wasser vorn umfaßt eng die nackten Leiber der Ver-
dammten, läßt sie nicht mehr, wie in der „klassischen“ Helldunkel-
malerei, aus einerTiefe erst entstehen. Farbige Mikrostruktur findet sich
erst in den Wassertropfen auf diesen Leibern. Angeregt von Rubens sind
sie in den Farben des Prismas gemalt.
Beim >Massacre de Chios< (1824, Paris, Louvre) lösen sich aus dem
flutenden Helldunkel der Figurengruppe nur zwei Buntwerte heraus,
ein gedecktes, graustichiges, in den Schatten reflexhaft aufgelichtetes
Hellblau im Gewand der jungen Frau links, ein Orangebraun, kupfriges
Rehbraun, dunkel-gefleckt - schon ein Farbton eigener Delacroixscher
Erfindung - im Gewand der Alten rechts.
Diese Farben aber stehen durch eine Vielzahl von Vermittlungen mit
den Dunkelheiten in Beziehung, die Farbe sucht sich die Dunkelheit zu
erobern - was ihr hier jedoch erst an einigen Bildstellen gelingt. Farbig-
keit entzündet sich hier noch an den Figuren, der Flimmelsgrund bleibt
stumpf, im trüben Sandgelb der blassen föhnigen Wolken und im Blau-
grau.
Das Mittel der Farbvereinheitlichung wird die von Constable über-
nommene, von Delacroix zum Prinzip erhobene, d.h. auf alle Farben
des Bildes übertragene und damit neuformulierte Farbteilung: „Solange
die Unterteilungen nur innerhalb einer Grundfarbe erfolgen, ergeben
sich vorwiegend nur Helligkeitsgegensätze zwischen den einzelnen
Stufen (wie im Falle des ,Wiesengriins‘ bei Constable); sobald jedoch
diese Stufen von der Grundfarbe abweichen und auch entferntere Werte
an ihre Stelle treten, entsteht ein System von Kontrasten aus den Bunt-
werten selbst, das schließlich den gesamten Farbbereich umspannen
kann.“ 69 Diese „chromatischen“ Farbkontraste legen „gleichsam das In-
nere der Farbe bloß“, die Kontraste der „teintes uniformes“ dagegen be-
stimmen die Bildwirkung im großen. „Beide Kontrastprinzipien sind
stets gleichzeitig in Delacroix’ Malerei wirksam, nur ihr jeweiliger An-
teil an der Bilderscheinung ändert sich - oft sogar in Werken innerhalb
einer und der gleichen Schaffensperiode.“
Die von Delacroix vollzogene „Verallgemeinerung des Constable-
schen Verfahrens“ ermöglicht neue Wirkungen der optischen Mischung
der Farbstufungen im betrachtenden Auge. „Durch Delacroix wird sie
- wohl zum ersten Mal in der Geschichte der neueren Malerei - mit vollem
Bewußtsein als künstlerisches Mittel anerkannt und in die Bildwirkung
einbezogen. Seine Neuerung betrifft einmal den Buntwert der Farbe, inso-
fern als die Brechungen eines und des gleichen Tones dessen Intensivie-
rung bewirken und die Paarung verschiedenf arbiger Partikel einen dritten,
neuen Farbwert erzeugen konnte. Sie betrafen aber auch - der vielleicht
noch bedeutungsvollere Schritt - die Erscheinungsweise der Farbe als
Mittlerin des Bildlichts und Bilddunkels. Nicht so sehr in ihrer Differenzie-
rung lag das Entscheidende als darin, daß die optische Mischung der
farbigen Partikel Lichtwirkungen suggerieren konnte, die mit den bisher
69 Strauss, Zur Frage des Helldunkels bei Delacroix, 140. Auch diefolgenden
Darlegungen weithin nach dieser Studie. Zitate auf den Seiten 141,142/143,143,
144, 145. - Zur Farbgebung Delacroix’ vgl. auch die genauen Darlegungen von
Lee Johnson, Delacroix, London 1963. -Vgl. auch: Alexander Battes, Die Farbe
bei Delacroix, (ungedruckte) Diss., Frankfurt a. M. 1942. -René Huyghe, Dela-
croix, London 1963, München 1967, 390-398 u. passim. - Jack J. Spector, The
Murals of Eugène Delacroix at Saint-Sulpice, New York 1967, 143-153.
Französische Malerei 287
vom Licht abgewandten Partien ... Das Dunkel ist nun nicht mehr total
geschieden vom Licht, sondern hat Fiihlung mit ihm genommen, er-
scheint verschieden stark durchhellt.“ Und umgekehrt: sobald die
«demi-teinte reflétée» als Farbe spricht, zieht sie den Lichtton sozusagen
zu sich herunter, entriickt ihn dem direkten Licht, durchfiltert ihn. Kein
Ausbrechen ins Licht kann so erfolgen, sondern ein gesammeltes, aus-
drucksmächtiges Gliihen entsteht. Gleichzeitig steigt der Bildgrund zum
Ausdrucksmedium auf. Das fahle, olivstichige Weißlich-Gelb des
Grundes mit seinem Charakter des „Schreckensbleichen“ und Gewitt-
rigen scheint noch in den Flelligkeiten des Vordergrundes nachzuzittern.
Im Spätwerk wird sodann die demi-teinte „für Delacroix zum Grund-
material seiner farbigen Konzeption“. Die wichtigen Eintragungen De-
lacroix’ in sein Tagebuch hierzu lauten: «II faut ébaucher le tableau
comme serait le sujet par un temps couvert, sans soleil, sans ombres tran-
chées. II n’y a radicalement ni clairs ni ombres. II y a une masse colorée
par chaque objet, reflétée différement de tous côtés ...» (5.Mai 1852) 71
«Plus je réfléchis sur la couleur, plus je découvre combien cette demi-
teinte reflétée est le principe qui doit dominer, parce que c’est effective-
ment ce qui donne le vrai ton, le ton qui constitue la valeur, qui compte
dans l’objet et le fait exister. La lumière, à laquelle, dans les écoles, on
nous apprend à attacher une importance égale et qu’on pose sur la toile
en même temps que la demi-teinte et que l’ombre, n’est qu’un véritable
accident: toute la couleur vraie est là: j’entends celle qui donne le senti-
ment de l’épaisseur et celui de la différence radicale qui doit distinguer
un objet d’un autre.» (29. April 1854) 72
In den Wandbildern der Chapelle des Saints-A nges in Saint-Sulpice,
Paris (1856-1861) verwirklicht Delacroix diese seine in der «demi-teinte
reflétée» gründende Konzeption farbiger Gestaltung am reinsten.
Hier erfüllt sich, was Delacroix unter «liasion» der Farben versteht.
Für seinen >Dictionnaire des Beaux-Arts> notiert er unter dem 25. Ja-
nuar 1857 in seinTagebuch: «Liaison. Quand nous jetons les yeux sur les
objets qui nous entourent, que ce soit un paysage ou un intérieur, nous
remarquons entre les objets qui s’offrent à nos regards une sorte de
liaison produite par l’atmosphère qui les enveloppe et par les reflets de
toutes sortes qui font en quelque sorte participer chaque objet à une
sorte d’harmonie générale. C’est une sorte de charme dont il semble que
la peinture ne peut se passer .. ,» 73
Die «liaison» der Farben läßt eine neue Art von «harmonie générale»
erstehen, Harmonien, in denen die Bildgehalte farbig zum Klingen ge-
bracht werden. Daß Delacroix in neuerWeise die Farbklänge auf die Be-
sonderheit der Bildgehalte abstimmt, diesen Wesenszug der Delacroix-
schen Farbgestaltung hat schon Charles Blanc beschrieben: «Veronèse
et Rubens sont toujours préoccupés de donner une féte au regard, de lui
jouer une sérénade, même lorsque le drame représenté voudrait des har-
monies sombres, austères, froides ou stridentes. Que Jésus-Christ soit
assis aux noces de Cana, ou qu’il marche au Calvaire, ou qu’il apparaisse
aux disciples d’Emmaüs, Veronèse ne change point ou ne change guère
le caractère moral de ces couleurs ... Plus poète, plus pénétré de son
sujet, plus ému de son emotion, Eugène Delacroix ne manque jamais de
monter sa lyre au ton de sa pensée, et de faire que le premier aspect de
son tableau soit la prélude de sa mélodie, grave ou légère, mélancolique
ou triomphante, douce ou tragique. Du plus loin, avant de rien dis-
cerner, les spectateurs pressent les coups qui frapperont son âme. Quelle
désolation dans le ciel crépusculaire de >Christ au tombeau<! Quelle tri-
stesse amère et âpre dans le tableau d’>Hamlet devant le fossoyerd ... et
quelle haute fanfare dans le coloris de la >Justice deTrajan<.. .» 74
Von „Lyra“, von „Melodie“, von „Fanfaren“ spricht Charles Blanc
hier - und umschreibt damit, daß bei Delacroix an die Stelle der huma-
nistischen Korrelation „ut pictura poesis“ die Formel „ut pictura mu-
sica“ getreten ist. 75
79 Max Claudet, Souvenirs, Gustave Courbet, Paris 1878, 10. Zitiert nach
Kempter, Dokumente, 217.
80 Claudet, Souvenirs, Gustave Courbet, 10. Zitiert nach Kempter, Doku-
mente, 107.
81 Théophile Silvestre, Histoire des artistes vivants, 270/271, zitiert nach
Kempter, Dokumente, 72.
82 FA: Cuzin, Louvre, 1,120/121.
292 Malerei des 19. Jahrhunderts
Tonskala von Weiß nach Schwarz. Es ist meist ein warmbräunlicher, also
erdfarbstichiger Ton, dem ein weißliches, kühles Grau antwortet. Eine
tiefere Stufe nimmt der warm braungraueTon des Himmels ein, auch die
Buntfarben, ein warmes, zwischen Saturnrot und Orange liegendes Rot
und ein gedecktes Tiirkisblau, sind Elemente dieser Tonskala, ebenso
die Inkarnate. Die Buntfarben sind also, anders als in der Helldunkel-
malerei, keine Steigerungsmomente, sondern erscheinen, tonig ge-
dämpft, von schwarzen und weißen Tongraden wie umklammert. In
ihrer Intensität zuriickgenommen, sind sie in ihrer Materialität um so
stärker akzentuiert. Sie wirken schwer, erdig gebunden, je eigens
flächenhaltig in sich geschlossen. Nicht mehr entquellen oder versinken
sie in einem raumhaltigen Dunkelgrund, sondern binden sich mit dem
Schwarzgrund zu einer dichten, in sich gestuften Bildmaterie: dies ist ein
neuer, zukunftsweisender Zug der Courbetschen Farbgestaltung.
Doch ist die darin sich bekundende Transposition des Helldunkels
nicht in allen Gemälden Courbets gleichmäßig durchgeführt. Ernst
Strauss hatte bei Delacroix’ Gemälde >Clorinde befreit Olindo und
Sofronia vom Scheiterhaufen< (gemalt 1854/56, München, Neue Pinako-
thek) auf eine Ambivalenz der Farblichtwirkung hingewiesen: die un-
tere Bildhälfte wird durch ein tiefes, „schwelendes“ Dunkel bestimmt,
im Hintergrund aber glüht ein schon von Freilichterfahrungen geprägtes
Dämmerlicht auf. 83 Innerhalb der Courbetschen Möglichkeiten zeigt
>Das Atelier des Malers< von 1855 (Paris, Louvre) 84 eine vergleichbare,
für das mittlere 19. Jahrhundert charakteristische Ambivalenz: die linke
Bildhälfte mit ihrer wie als Durchblick zwischen imaginären Pfeilern er-
scheinenden Landschaft ist in einem noch traditionellen Helldunkel ge-
halten, die rechte Bildhälfte dagegen wie von einem „Kellerlicht“ er-
füllt. In der Festigkeit der tiefgestimmten Farben, gegen die auch hier
einzelne helleTöne, das Weißlichrosa des auf dem Boden liegenden Ge-
wandes, das Bläulichgrau der Liebenden in der rechten Figurengruppe,
stehen, binden sich die Differenzen der Lichtwirkung.
Courbets zwischen 1854 und 1860 gemalter >Steinbruch von Optevoz<
(München, Neue Pinakothek) 85 kann seine Formulierung der farbmate-
riellen Valeurgestaltung veranschaulichen: eine herabgestimmte und zu-
gleich verengte, um Grau als Zentrum liegende Skala bestimmt die Bild-
farbigkeit: graugrün sind die Wiesenmatten, grau das Wehr und die
Felsen, jedoch schon ganz zerteilt, mit kurzen, über eine dunklere,
Edouard Manet (1832-1883) führt in eine neue Welt von Hell- und
Klarfarbigkeit. Seine Bilder sind „in besonderem Maß farbig individuell
geprägt“, wie Gisela Hopp in ihrer sorgfältigen Studie >Edouard Manet,
Farbe und Bildgestalt< 87 feststellte. Die Individualität der Farberschei-
nung bedingt, daß „grundsätzlich jedes Farbverhältnis möglich“ ist. Das
schließt nicht aus, daß Bilder ähnlicher Entstehungszeit auch ähnliche
Farben zeigen, so Bilder der siebziger Jahre wie >Argentueil< (1874,
Tournai, Musée des Beaux Arts) oder >Nana< (1877, Kunsthalle Ham-
burg) ein helles, „impressionistisches“ Blau, abgewandelt zum Nacht-
blau in der >Bar aux Folies Bergère< (1881/82, London, Courtauld Insti-
tute Galleries). 88 Manet gestaltet Komplementärkontraste in vielfältigen
Variationen, auch mehrere Kontrastpaare können in einem Bilde auf-
den siebziger, wobei der Farbstrich das formale Maß des Bildgewebes
abgibt - ein Element, das Manet in die nächste Nähe zur impressionisti-
schen Gestaltung bringt - schließlich zur erneuten Großformigkeit der
Spätwerke der frühen achtziger Jahre. Nie aber gewinnt der Farbstrich
Autonomie, Eigenleben über alle Bildgegenstände hinweg wie bei
Claude Monet. Stets bewahrt er eine mehrseitige Funktion, als Kund-
gabe subjektiver Verve, als Gegenstandskonstitution und alsTräger der
Bildeinheit.
In solchem Schweben zwischen Gegenstandsbindung und übergegen-
ständlicher Freiheit, Raumweite und Flächendichte, Lichtöffnung und
Farbmaterie gründet die eigentümliche Verwandlung, Entrückung der
Bildwelt ins Ungreifbare. Aus der in ihrer Unkörperlichkeit erwach-
senden Distanzierung der Figuren und der „unmeßbaren Distanz“ der
parallel geschichteten Farbflächen „bildet sich ein Raum der traumhaft
subjektiven Maßstäbe“. Die Farben werden zum „Empfindungsgehalt“
entbunden. Sie wirken nicht unmittelbar expressiv und gefühlsgeladen,
veranschaulichen keine Gefühle, keine Leidenschaften. Sie dienen der
Intensivierung einer empfindungsgesättigten Vorstellung, nicht der Ex-
pression. Selbst das scharfe Giftgrün des >Balkon< (1868/69, Paris,
Musée d’Orsay) „ist nicht Ausdruck eines aktiven Gefühls. Gemeinsam
mit den anderen Gestaltungsmitteln lenkt es nur kraft eines ,sinnlich-
sittlichen 1 Gehalts auf eine entsprechende Daseinsempfindung bzw. Vor-
stellung hin, die passiv erlebt wird.“
Hans Jantzen hatte diese Passivität der Manetschen Figuren, die von
ihnen aus die Bildwelt erfüllt, als „Pause ihres Daseins“ beschrieben. In
den Dienst dieses dem empirischen Zeitfluß enthobenen, gleichwohl
tausendfältig gebrochenen, unfaßbar gewordenen Daseins stellt Manet
auch die Farben seiner Bilder.
Die Farbe als Medium unfaßbar gewordenen Daseins, dies eröffnet
ihr, in der Nachfolge Manets, Gestaltungsmöglichkeiten auch für die
symbolistische Malerei. Voraussetzung hierfür ist ihre Verflächigung. So
läßt etwa OcLilon Redon (1840-1916) „den traumhaften Charakter seiner
Blumenstilleben durch flächige Erscheinungsweise lebendig werden“.
Jeder der unzähligen Farbtöne wird nun „flächig schwebend wiederge-
geben und durch zart-immateriellen Auftrag in seiner irrealisierenden
Qualität gesteigert“ 89. Damit ist freilich die Daseinsintensität, die
Manet den Dingen durch charakterisierenden Farbstrich verleiht, auf-
gegeben.
scher Malerei. 90 Ihm ist es, wie Théodore Duret in seiner 1878 veröffent-
lichten Broschiire >Les peintres impressionnistes< schrieb, zum ersten
Mal gelungen, „flüchtige Impressionen festzuhalten“, Impressionen, die
„seine Vorläufer vernachlässigten, oder von denen sie angenommen
hatten, es sei unmöglich, sie mit dem Pinsel wiederzugeben. Die tausend
Nuancen, die das Wasser des Meeres und der Flüsse annimmt, das Spiel
des Lichtes in den Wolken, das vibrierende Kolorit der Blumen und die
durchsichtigen Reflexe des Laubes unter den Strahlen einer brennenden
Sonne wurden von ihm in ihrer ganzen Wahrheit erfaßt. Indem er die
Landschaft nicht nur in ihrem unveränderlichen und dauernden Zu-
stand, sondern auch unter den flüchtigen Aspekten, die ihr die Zufälle
der Atmosphäre verleihen, malt, vermittelt Monet von der erblickten
Szene eine erstaunlich lebendige und packende Vorstellung. Seine
Bilder vermitteln sehr reale Impressionen. Man kann sagen, daß seine
Schneemotive einem kalt machen und seine Sonnenbilder einen wär-
men.“ 91
Der zeitgenössische Kritiker verstand also die Bilder Monets als Dar-
stellung eines Natur-Ausschnittes und unter dem Aspekt eines speziellen
Realitätscharakters dieses Naturausschnittes. Zweifellos ist damit auch
Wesentliches dieser Kunst erfaßt. Und dennoch begnügt sie sich nicht
damit.
Daß sich die Farbengebung impressionistischer Gemälde nicht in der
Wiedergabe von Naturausschnitten erschöpft, wird einem heutigen Be-
trachter auf den ersten Blick hin deutlich. Zu offenkundig ist die Har-
monie der Farbenklänge, als daß dieser immanente Bezug der Farben
noch mit den Naturgegebenheiten verwechselt werden könnte.
Die Einheit impressionistischer Werke ruht im Sonnenlicht, darge-
stellt als Lichthelligkeit, die alles Erscheinende umfaßt uhd durchdringt.
Die Einheit dieser Lichthelligkeit herrscht auch für die empirische Wahr-
nehmung, nur wird sie in der Alltagserfahrung zumeist als solche gar
nicht erfaßt, sondern als Selbstverständliches, als das Medium alles
Sichtbaren hingenommen.
Um die Lichthelligkeit selbst durch die Farben zu präsentieren,
müssen die Dinge, die Gegenstände, für die sie sonst bloß Medium ist, in
ihrer Bestimmtheit, in ihrer Identität geopfert werden: dies ist der
Grund für das dem Impressionismus wesentliche Farbfleckgefüge.
Macht der Elemente wieder zum Bewußtsein brachte 94, die Kunst Mo-
nets. In seinem Essay >Les Nymphéas ou les surprises d’une aube d’éte<
heißt. es: «Tant de jeunesse retrouvée, une si fidèle soumission au
rhythme du jour et de la nuit, une telle ponctualité à dire l’instinct d’au-
rore, voilà ce qui fait du nymphéa la fleur même de l’impressionnisme.
Le nymphéa est un instant du monde. II est un matin des yeux. II est la
fleur surprenante d’une aube d’été .. .» 9S
Es ist diese Wendung zum Elementaren, die den Weg erschließt auch
zur Entdeckung der Elementarität der Farbe selbst.
In einem beriihmt gewordenen Text berichtet Kandinsky iiber seine
Begegnung mit Monets >Heuhaufen< in einer Moskauer Ausstellung von
1896: „Vorher kannte ich nur die realistische Kunst, eigentlich aus-
schließlich die Russen, blieb oft lange vor der Hand des Franz Liszt auf
dem Porträt von Repin stehen u. dgl. Und plötzlich zum ersten Mal sah
ich ein Bild. Daß das ein Heuhaufen war, belehrte mich der Katalog. Er-
kennen konnte ich ihn nicht. Dieses Nichterkennen war mir peinlich. Ich
fand auch, daß der Maler kein Recht hat, so undeutlich zu malen. Ich
empfand dumpf, daß der Gegenstand in diesem Bild fehlt. Und merkte
mit Erstaunen und Verwirrung, daß das Bild nicht nur packt, sondern
sich unverwischbar in das Gedächtnis einprägt und immer ganz uner-
wartet bis zur letzten Einzelheit vor den Augen schwebt. Das alles war
mir unklar, und ich konnte die einfachen Konsequenzen nicht ziehen.
Was mir aber vollkommen klar war - das war die ungeahnte, friiher mir
verborgene Kraft der Palette, die über alle meine Träume hinausging.
Die Malerei bekam eine märchenhafte Kraft und Pracht. Unbewußt war
aber auch der Gegenstand als unvermeidliches Element des Bildes dis-
kreditiert.. ,“ 96
Michel Hoog skizzierte im Katalog der Pariser Monet-Ausstellung
von 1980 die enorme Bedeutung dieses Künstlers für die Malerei des
20. Jahrhunderts. Sie reicht von der Nachfolge bei Pierre Bonnard bis
zur Bewunderung durch Kasimir Malewitsch, der auf Monets Bilder der
>Kathedrale von Rouen< ähnlich reagierte wie Kandinsky. 97
Modellierung müssen in eins gefaßt, zu einer einzigen, von der Farbe ge-
tragenen künstlerischen Wirkung gebracht werden: «Le dessin et la cou-
leur ne sont point distincts; ou fur et à mesure que l’on peint on dessine;
plus la couleur s’harmonise, plus le dessin se précise. Quand la couleur
est à sa richesse, la forme est à sa plénitude. Les contrastes et les rapports
de tons voilà le secret du dessin et du modelé» (36).
Alle „Darstellungswerte“ sind bei Cézanne in farbige „Eigenwerte“
umgesetzt: Modellierung, Kontur, Licht und Schatten sind Bestandteile
farbiger „Harmonie“. Die ungemeine Schwierigkeit dieser Synthese
macht Cézannes unablässige Bemühung um die «justesse du ton», die
sich in seiner gespannten und gleichzeitig zögernden Arbeitsweise doku-
mentiert, begreiflich: «La justesse du ton donne à la fois la lumière et le
modelé de l’objet. Plus la couleur s’harmonise, plus le dessin va se pré-
cisant» (16).
Die „Harmonie“, von der Cézanne spricht, ist vornehmlich eine
solche farbiger «rapports» und Kontraste, ja Cézanne definiert sogar:
«on peut donc dire que peindre c’est contraster» (16). Kontrastiert
werden immer genau voneinander unterschiedene Farbstufen: auch
Cézannes Methode der Farbgestaltung ist die „chromatische“ der Farb-
teilung - wie die Delacroix’, seines bewunderten Vorbildes. Wie dieser
läßt auch er ein zweifaches Kontrastgefiige im Bild zusammenwirken,
zwischen den Gegenstandsformen und Bildraumgliederungen und inner-
halb solcher übergreifender Formen, wobei aber beide mit Hilfe der «ta-
ches colorées» zustande kommen, die sich als das bildkonstituierende
Mittel erweisen 108. Warme und kalte Farbfolgen können einander kon-
trastiert werden, die Richtung des Pinselstrichs gibt eine weitere Dimen-
sion von Kontrast und Vereinheitlichung ab.
Mit Licht, Schatten, Körperlichkeit wird auch der Bildraum Produkt
der Farbe. Hier ist eine Eigentümlichkeit bemerkenswert, Cézannes Be-
tonung der «sphéricité». Sie läßt sich schon seinem bekannten Aus-
spruch entnehmen, der ja keineswegs eine stereometrische Strukturie-
rung allgemein behauptet: «Tout dans la nature se modèle selon la
sphère, le cône et le cylindre. II faut s’apprendre à peindre sur ces figures
simples, on pourra ensuite faire tout ce qu’on voudra» (36). Er steht in
Zusammenhang mit Cézannes Feststellung, alle Körper, auch die gerad-
flächig begrenzten, wirkten konvex: «Les corps vus dans l’espace sont
tous convexes» (16), und seinem Hinweis auf den «point culminant», der
sich immer dem Auge am nächsten befindet (43). Rivière und Schnerb
beziehen diese Krümmur.g aller Oberflächen auf die Wirkung konzen-
trierten Sehens, wonach ,,das Auge, je nach der Lage der von ihm
fixierten Punkte auf der Oberfläche des Objekts und je nach der Länge
der Sehstrahlen und der Größe ihres Einfallswinkels, Lichteindrücke
von unterschiedlicher Stärke, die in der Regel nach der Peripherie des
Sehfelds hin an Eindringlichkeit abnehmen“, empfangen. 109 - Gewiß ist
das „konzentrierte Sehen“ eine Voraussetzung der «sphericité» der
Körper in Cézannes Bildern, andererseits geht nur solche «sphericité»
zusammen mit seiner Forderung nach kontinuierlicher „Modulation“
von Farbstufen: auch hier wirken Naturwahrnehmung und künstleri-
sches Verfahren untrennbar ineinander.
Schließlich ist auch der Bildraum Ergebnis der Farbmodulation. Cé-
zanne gebraucht den Begriff „Raum“ sehr selten, meist konkretisiert er
ihn zu «atmosphère» und verbindet ihn mit den Phänomenen des «enve-
lopper»: «L’atmosphère forme le fond immuable sur l’écran duquel vien-
nent se décomposer toutes les oppositions de couleurs, tous les accidents
de lumière. Elle constitue l’enveloppe du tableau en contribuant à sa
synthèse et à son harmonie générale» (16). LFnd in einem Brief an Emile
Bernard schreibt Cézanne 1905: »La lumiére par le reflet général c’est
l’enveloppe» (46). Cézanne mißt dem farbigen Reflex also fundamen-
tale Bedeutung zu, er bildet für ihn ein die Form umhüllendes Medium,
indem Körper und Raum einander sich angleichen und mittels der Farb-
reihen ineinander übergeführt werden, ohne ihre Unterschiede preiszu-
geben. Auch darin erweist sich Cézanne als Fortsetzer einer Delacroix-
schen Methode, die «demi-teinte refletée» wird ihm zum umhüllenden
Medium. (Auch Cézanne bevorzugt im übrigen «temps gris clair»: vgl.
«Conversations avec Cézanne», 7.)
Weit über Delacroix hinaus wird für Cézanne die Natur zum bewun-
derten Vorbild, ihrer «diversité infinie» (103) gilt es nachzueifern. De-
mütiges Studium der Natur ist für Cézanne Voraussetzung des künstleri-
schen Schaffens. «Le peintre doit se consacrer entièrement à l’étude de
la nature, et tâcher de produire des tableaux, qui soient un enseigne-
ment», heißt es in einem Brief an Bernard vom 26. Mai 1904, und einige
Zeilen weiter: «On n’est si trop scrupuleux, ni trop sincère, ni trop
soumis à la nature; mais on est plus ou moins maïtre de son modèle, et
surtout de ses moyens d’expression. Pénétrer ce qu’on a devant soi, et
persévérer à s’exprimer le plus logiquement possible ...» (28). Das Stu-
dium der Natur muß sich verbinden mit einer «optique personelle» und
der genauesten, methodischen Erforschung und Anwendung der künst-
lerischen Mittel. Vor, aus dem konkreten Naturmotiv soll die «vision de
l’univers» (35) entfaltet werden: diese fast unlösbare Aufgabe, der sich
Cézanne jedoch immer erneut stellte, macht es verständlich, weshalb er
George Seurats (1859-1891) Kunst bietet das seltene Bild einer gerad-
linigen und einheitlichen Entwicklung, getragen von der strengen Folge-
richtigkeit einer konsequent angewandten Methode. Diese Methode ist
die der systematisch vollzogenen Farbteilung.
Um so wichtiger ist es, darauf hinzuwèisen, daß die eine solche Me-
thode begründende künstlerische Vision von Harmonie und Unverän-
derlichkeit zuerst in Seurats Zeichnungen ihren bildnerischen Ausdruck
findet. Bereits 1881 erfolgt, nachAnfängen mit umrißbetonenden Zeich-
nungen, in Blättern wie dem >Schnitter< 115 der Durchbruch zu einem
neuen, eigenständigen graphischen Stil; einem Stil, der sich in den fol-
genden Jahren wohl verfeinert, aber nicht mehr grundsätzlich ändert. 116
Das von Seurat erfundene Verfahren ist dieses: Auf Bögen körnigen
Papiers arbeitete er mit einer sehr fetthaltigen Kreide (Conté), die ein
samtiges Schwarz ergibt. Im Kontrast zu diesem gewinnt das Weiß des
Papiers, wo es unberührt gelassen wird, eine schneeige, fast immateriell
leuchtende Helligkeit. Das Schwarz selbst ist aller Abstufungen fähig
113 Strauss, 182,183.
114 Vgl. Badt, Die Kunst Cézannes, passim. Zum Lichtbezug der Bilddinge
bei Cèzanne vgl. Verf., Zur Kunst Cézannes. In: Festschrift Kurt Badt zum sieb-
zigsten Geburtstage, hrsg. von Martin Gosebruch, Berlin 1961, bes. 201-212.
115 Abb.: Robert L. Herbert, Seurat’s Drawings, London 1962, 37.
116 Vgl. hierzu Herbert, Seurat’s Drawings 39ff. - Katalog Georges Seurat,
Zeichnungen, Kunsthalle Bielefeld 30. Oktober-25. Dezember 1983, Staatliche
Kunsthalle Baden-Baden 15. Januar-ll.März 1984. Mit Beiträgen von Bernd
Growe und Erich Franz.
306 Malerei des 19. Jahrhunderts
nach dem Grad der Dichte, mit dem es den weißen Papiergrund deckt;
selbst in seinen tiefsten Tiefen jedoch wirkt es niemals schwer und un-
durchsichtig, da der körnige Grund es nicht ganz annimmt, sondern sich,
rasterartig, in unzähligen feinsten Lichtpunkten durchsetzt.
Zustande kommt so ein „chromatisches“ Helldunkel als eine mögliche
„farbige“ Interpretation der Helldunkelgestaltung. Diese „chromatische“
Erscheinungsweise verändert das ursprüngliche, das „luminaristische“
Helldunkel grundlegend. Sammeln sich beim „luminaristischen“ Hell-
dunkel Licht und Dunkelheit in miteinander kontrastierenden Bild-
bereichen, so sind Seurats Zeichnungen bestimmt von einer Allgegen-
wart des Lichtes und des Dunkels, die den statischen Charakter dieses
Helldunkels begriindet, in unmittelbarer Entsprechung zur Wirkung
eines auf der Stelle schwingenden Lichtmediums seiner „chromo-lumi-
naristischen“ Gemälde. Insofern die Entgegensetzung von Schwarz und
Weiß alle Buntfarben übergreift, können die ,,chromatisch“-helldunklen
Zeichnungen als „universale“, auch „abstrakte“ Lösungen der in den
Gemälden verwirklichten, je konkreten und individuellen Gestaltungen
der Seuratschen kiinstlerischen Vision verstanden werden. 117
In der Tat iiberträgt Seurat die Erfindung seiner Zeichnungen bald auf
die farbige Erscheinung seiner Gemälde.
Zum ersten Mal läßt sich der ganze Weg von der Zeichnung iiber die
gemalte Studie zum endgiiltigen, repräsentativen Bild in > Une Baignade,
Asnières< (1883-1884, gegen 1887 iiberarbeitet, London, National Gal-
lery) 118 verfolgen. Dieser Weg bleibt t-ypisch fiir die Entstehungsweise
aller Hauptwerke Seurats und ist bereitsTeil seiner Methode.
Schon im jedesmaligen Ziel Seurats, ein großes, repräsentatives Bild zu
schaffen, liegt ein tiefer Gegensatz zum Impressionismus. Die Wieder-
gabe eines verwandelten, in reine Phänomenalität erhobenen Naturaus-
schnitts kann für ihn nicht Existenzgrundlage des Gemäldes sein. Seine
Vision fordert eine verpflichtende, endgültige Lösung, die Widerspiege-
lung eines Universalen in einem völlig durchkomponierten Ganzen.
Seurats Ausgangspunkt freilich ist, zumal in den ersten beiden Haupt-
werken, der >Baignade< und der >Grande Jatte<, so, wie ihn auch ein im-
pressionistischer Maler als Motiv hätte wählen können. Auch ihm liefert
eine impressionistische Freilichtszene das konkrete Motiv, das in einer
Anzahl (fünfzehn erhaltenen) Ölskizzen dargestellt wird. Im ausge-
117 Vgl. hierzu weiterführend: Verf., Seurats Ort in der Geschichte des Hell-
dunkels. Wird erscheinen in der Festschrift zum 75. Geburtstag von Hans Erich
Kubach.
118 FA: Jacque de Laprade, Seurat, Paris 1951. - Louis Hautecœur, Georges
Seurat, München 1974.
Französische Malerei 307
119 Vgl. hierzu weiterführend: William Innes Homer, Seurat and the Science
of Painting, Cambridge, Mass. 1964. - Paul Signac, D’Eugéne Delacroix au néo-
impressionnisme, Paris 1899; ed. Françoise Cachin, Paris 1964.
308 Malerei des 19. Jahrhunderts
120 Vgl. Henri Dorra, John Rewald, Seurat, Paris 1959, LXXII, XCIX.
121 Vgl. Hess, Problem der Farbe, 22.
Französische Malerei 309
zontale aufsteigt. Ruhe stellt sich ein im Ton bei Gleichgewicht des
Dunklen und des Hellen, in der Farbe bei Gleichgewicht des Warmen
und des Kalten, in der Linie bei Ausrichtung auf die Horizontale. Der
Ton stimmt sich auf Trauer bei Vorherrschaft der Dunkelheit, die Farbe
bei jener der Kälte, die Linie bei absteigender Bewegung.“ In Seurats
Kunst kulminiert so eine Harmonietheorie der Farbe als Medium eines
alles übergreifenden harmonischen Zusammenhangs.
Neben die Farbe als Gestaltungswert bei Cézanne, als Element bildne-
rischer Harmonie bei Seurat tritt die Farbe als Ausdruckswert - bei van
Gogh, Gauguin oder Munch.
122 Ygj dazu: Mark Buchmann, Die Farbe bei Vincent van Gogh. Diss.
Zürich 1948. - Kurt Badt, Die Farbenlehre van Goghs. Köln 1961.
123 Vincent van Gogh, Sämtliche Briefe. In der Neuübersetzung von Eva
Schumann herausgegeben von Fritz Erpel. Zürich 1965, Band 2, 170.
310 Malerei des 19. Jahrhunderts
124 FAz.B.: Van Gogh, Sämtliche Briefe, Bd. 3, Abb. 134, vor 177.
125 Ygj hierzu: Carlo Derkert, Theory and Practice in van Goghs Dutch
Painting. In: KonsthistoriskTidskrift, XV, Stockholm 1946, 97-120.
126 Van Gogh, Sämtliche Briefe, Bd. 2, 68.
Französische Malerei 311
Solche Einsicht in die Relativität der Farbe findet van Gogh in der
Farbe der „Schule von Barbizon“ wie auch bei Veronese gestaltet: ..
wenn man von Millet, Daubigny, Corot verlangen würde, eine Schnee-
landschaft zu malen, ohne Weiß zu verwenden, so würden sie es tun, und
der Schnee würde auf ihrem Bild weiß erscheinen.“ Millet „und andere
Tonisten“ verfahren also so, „wie Delacroix von Paul Veronese sagt, daß
er weiße, blonde, nackte Frauen mit einer Farbe malt, die an sich sehr
viel von Straßenschmutz hat“ 127.
Der hier von van Gogh verwendete Begriff „Tonist“ verweist auf seine
Unterscheidung zwischen „Farbe“ und „Ton“, deren Verhältnis im Zen-
trum seiner frühen Überlegungen steht.
Tm Brief (Nr. 428) vom November 1885 stellt er vier Skalen auf, die
erste „von gelb bis violett“, die zweite „von rot bis grün“, die dritte „von
blau bis orange“, und als „Summe“ eine vierte, „die der neutralenTöne,
die von rot + blau + gelb“, also die „von weiß bis schwarz“, wobei wie-
derum Weiß als „die extremste Mischung des nach Möglichkeit hellsten
Rot, Blau, Gelb“, Schwarz als „die extremste Mischung vom dunkelsten
Rot, Blau und Gelb“ aufgefaßt wird. Die Skalen sind mithin nach den
Komplementärfarben geordnet. Der Brief schließt mit dem Ffinweis,
die Dinge, „die sich auf Komplementärfarben, auf contraste simultané
und auf die gegenseitige Aufhebung komplementärer Farben beziehen,
diese Frage ist die erste und wichtigste .. ,“ 128. Die eben erwähnte Auf-
stellung nimmt also die komplementäre Spannung der Farben und deren
Aufhebung im Ton zusammen.
Grau soll durch Mischung von Komplementärfarben (oder den drei
Grundfarben) entstehen und bewirkt die „Harmonie“, die Farben selbst
bewirken die „Kontraste“. Wenn die Komplementärfarben nicht zu glei-
chen Teilen gemischt werden, ein Teil also dominiert, erscheint dieser
Teil als gebrochener. Aber die durch ihre Gegenfarbe gebrochene Farbe
hat die merkwürdige Eigenschaft, daß ihr Buntgehalt in komplemen-
tärer Umgehung gesteigert wird. Der Komplementärkontrast kann also
sowohl vernichten wie auch erzeugen. Das hat van Gogh als Problem nie
mehr losgelassen.
Van Gogh stellt im erwähnten Brief noch andere Farbkontraste zu-
sammen, er spricht von der wechselseitigen Wirkung zweier gleichar-
tiger Farhen, „z. B. eines Karmin auf ein Zinnober, eines Rosalila auf ein
Blaulila“, von „Hellblau gegen dasselbe Dunkelblau“, „Rosa gegen ein
Braunrot“, aber der Kontrast der Komplementärfarben und ihr Ein-
ander-Vernichten bleibt für ihn das wichtigste.
Die Komplementärkontraste haben fiir ihn eine weit iiber das Kiinst-
lerische hinausreichende Bedeutung, sie sind ihm eine Form der Tota-
lität, sind Naturgesetze. Schon im Sommer 1884 beschäftigt ihn der
Gedanke, die Jahreszeiten in ihren Stimmungen durch Komplementär-
kontraste auszudriicken: „Der Friihling ist zartes, griines junges Korn
und rosa Apfelbliiten. Der Herbst ist der Kontrast des gelben Laubes
gegen violette Töne. Der Winter ist der Schnee mit den schwarzen Sil-
houetten. Wenn nun der Sommer der Gegensatz von blauen Tönen
gegen ein Element von Orange im Goldbronzeton des Korns ist, könnte
man so in jedem der Kontraste der Komplementärfarben (Rot und
Griin, Blau und Orange, Gelb und Violett, Weiß und Schwarz) ein Bild
malen, das die Stimmung der Jahreszeiten gut ausdriicken wiirde.“
(Nr. 372) 129
Aber erst in seiner letzten Schaffenszeit schöpft van Gogh die in den
Komplementärfarben beschlossenen Möglichkeiten aus.
Während seiner Pariser Zeit (vom Februar 1886 bis Ende Februar
1888) empfängt van Gogh, gefördert durch Pissarro, entscheidende Im-
pulse in der Auseinandersetzung mit der impressionistischen und neoim-
pressionistischen Malerei. Ihr verdankt er als bedeutsame Neuerungen:
die Aufhellung der Farbskala unter radikalem Bruch mit der dunklen
Farbigkeit der holländischen Periode und einem Neuaufbau der Palette
und zweitens die Lockerung der Pinselstrichfaktur und ihren Aufbau zu
einem „graphischen“ Gefüge.
In der Farbaufhellung wird ihm die koloristische, nicht die „chromo-
luminaristische“ Seite der impressionistischen Technik wichtig. Wo er
bewegtes, „spielendes“ Licht darzustellen versucht, ergeben sich ihm
aus der Kraft der Farben wie aus der Spannung und Festigkeit der graphi-
schen Form Schwierigkeiten.
In der Pariser Zeit setzt van Goghs Korrespondenz mit seinem Bruder
Theo aus (nur drei Briefe anTheo aus diesem Zeitraum existieren). So
sind wir über des Künstlers Ideen zur Farbe für diese beiden Jahre kaum
unterrichtet.
Seine schnelle künstlerische Entwicklung machen die Bilder sichtbar.
Die >Ansichtvon Paris< von 1886 (Amsterdam, Van-Gogh-Museum) ent-
faltet sich zur Mannigfaltigkeit unzähliger farbiger Grautöne, >Paris,
vom Montmartre aus gesehen< (gemalt Juli/August 1887, ebendort) zeigt
schon den offenen Pinselstrich van Goghs, aber noch wie regellos in
mehrere Richtungen orientiert. Die Wege des Vordergrundes laufen in
schneller Tiefenflucht auseinander, der Hintergrund trennt sich als
flächige Schichtung davon ab, bildet mit seinem Graublau auch farbig
eine eigene Zone, unterschieden vom Gewirk aus Grün, Oliv, Rotbraun
in den Gärten davor. In den >Schrebergärten am Montmartre< (1887,
ebendort) 130 erfaßt die reißende Perspektive den ganzen Bildraum. Die
Farbstriche werden zu Kraftlinien, wie aus einer geöffneten Schleuse
stürzen sie in die Tiefe. Der Horizont erscheint in leichter Kurvung,
weitet das Naturmotiv auf die Krümmung der Erdoberfläche. Zu neuer
Ganzheit schließen sich auch die Farben zusammen, zum Kontrast aus
Blau und Gelb, bereichert um Grün, in das stellenweise rote Striche ein-
gestreut sind.
Van Goghs Schaffenszeit in der Provence - die ersten vierzehn Mo-
nate in Arles, das Jahr in St. Remy und, nach seiner Rückkehr in den
Norden, die beiden letzten Lebensmonate in Auvers-sur-Oise - gilt als
seine eigentliche, große Epoche, auch für seine Farbgestaltung. Sie
nimmt auch in der Fülle der Selbstäußerungen, vor allem in den Briefen
anTheo, die zentrale Stellung ein, im Gegensatz zur Zeichnung, die wie-
derum eine neben den Gemälden gleichberechtigte Rolle spielt, aber in
den Briefen so gut wie keine Erwähnung findet.
Diese letzte Schaffenszeit bringt van Goghs Durchbruch zur reinen
Farbigkeit, ein entscheidendes Ereignis nicht nur in des Künstlers Ent-
wicklung, sondern für die neuere Malereigeschichte überhaupt. Die mit
der Farbteilung gegebene, über die Farben hinausreichende vibrierende
Lichtwirkung wird nun abgelöst durch eine Lichtkraft, die in der Farbe
selber ruht, ihrem Buntwert als solchem, dem „spezifischen Farblicht“ in
der Terminologie Wolfgang Schönes. Deshalb muß die Farbe nun mög-
lichst ungeteilt bleiben und eingegrenzt oder zumindest eingrenzbar
wirken. Wenn van Gogh in einem knappen Satz die Quintessenz seiner
letzten bildkünstlerischen Absichten folgendermaßen zusammenfaßt:
„Was ich wollte“, schreibt er im November 1888 an Emile Bernard,
„waren Farben wie auf Glasfenstern und eine Zeichnung in festen
Linien“, so sind damit diese beiden Wesenszüge beschrieben.
Der Durchbruch zur reinen Farbe geht also zusammen mit einer Ver-
einfachung der Farben, denn dies bewirkt die Abwendung von der poin-
tillistischen Technik. Diese Vereinfachung bedeutet aber keine Reduzie-
rung der Farbenskala. Im Gegenteil, van Gogh hat sich zwar über Wahl
und Anwendung seiner Farben nie mehr so genau geäußert wie in seiner
holländischen Periode, aber aus den Materialbestellungen, die bis zu-
letzt gelegentlich in den Briefen enthalten sind, geht hervor, daß seine
Palette sich erweitert hat, viel mehr Farben aufweist als etwa in seiner
Antwerpener Zeit, vor allem dreierlei Gelb, dreierlei Grün, zweierlei
Karmin, neben Blau und Zinnober, dazu sehr viel Weiß.
130 FA: Van Gogh, Sämtliche Briefe, Bd. 3, Abb. 166, vor 353.
314 Malerei des 19. Jahrhunderts
Der Wesenskern dieses Durchbruchs zur reinen Farbe aber liegt in der
Steigerung des Ausdruckswertes der Farbe. Schon in Holland war van
Gogh aufgegangen, daß Farbe „durch sich selbst etwas ausdrücke“, daß
ihr, unabhängig von aller Dingbezeichnung, allein aufgrund ihres Bunt-
gehalts, eine bestimmte emotionale, gefühlsauslösende Wirkung inne-
wohne. fn einer Dunkelmalerei wie der seiner holländischen Periode
mußte aber dieser Aspekt der Farbe wirkungslos bleiben, weil der „erre-
gende Buntwert“ noch einer übergreifenden Tonigkeit geopfert wurde.
Jetzt wird umgekehrt die Alternative Valeur oder Buntfarbe - die aber
schon seit den ersten Monaten in Paris eigentlich nicht mehr existierte -
endgültig zugunsten der reinen Farben entschieden: „Es ist nicht mög-
lich, die Valeurs zu geben und die Farben ... Man kann nicht zur glei-
chen Zeit am Pol und am Áquator sein. Man muß sich entscheiden; das
hoffe ich auch richtig zu tun, und zwar für die Farbe“, schreibt van Gogh
im Fmhjahr 1888 (Nr. 474) m. Mit „Farbe“ meint van Gogh dabei zu-
nächst den Buntgehalt, der jeder gesättigten Farbe innewohnt, nicht ein-
zelne Farben, obschon bestimmte Grundfarben, vor allem das Gelb,
aber auch das helle Smaragdgrün, eine besondere Faszinationskraft für
ihn besitzen.
Aber letztlich ist es auch bei diesen bevorzugten Farben nicht ihr cha-
rakteristischer Ausdruckswert als solcher oder zum mindesten nicht allein,
der die Bildkonzeption van Goghs bestimmt, sondern der Ausdruckswert,
der in den Kombinationen der Farben liegt. Eine frühe Erkenntnis in
dieser Richtung ist der schon erwähnte Hinweis, die Stimmung der Jah-
reszeiten ließe sich allein durch Anwendung entsprechender Komple-
mentärfarben ausdriicken. Jetzt, imVollbesitz seiner Mittel, vertieft sich
ihm diese Erkenntnis und erweitert sich auf das gesamte Leben, auf
jedes seelische Geschehen und er sucht sie in seiner Malerei zu ver-
sinnlichen: „Die Liebe zweier Liebenden auszudmcken durch eine Ver-
mählung zweier Komplementärfarben, durch ihre Mischung und ihre
Entgegensetzungen, durch das geheimnisvolle Vibrieren einander ange-
näherter Töne. Das Geistige einer Stirn auszudmcken durch das
Leuchten eines hellenTones auf einem dunklen Hintergrund ... Die Lei-
denschaft eines Menschen durch einen leuchtenden Sonnenuntergang.
Das ist gewiß keine realistische Augentäuscherei, aber ist es nicht etwas
wirklich Vorhandenes? ...“ (Nr. 531, September 1888) 132
Was van Gogh offensichtlich sucht, ist - nach seinen eigenen Worten -
eine „suggestive Farbe“ als das Ausdrucksmittel seiner Malerei schlecht-
hin. Die Natur aber, nach wie vor fiir ihn der einzig denkbare Ausgangs-
Die Schnelligkeit des Malens ist ein wesentliches Moment der expres-
siven Bildwirkung. Immer wieder kommt van Gogh in seinen Briefen
darauf zu sprechen: „Es ist doch die Erregung, die Ehrlichkeit des Natur-
empfindens, die uns die Hand führt, ...“ Man muß „das Eisen
schmieden, solange es heiß ist, und die geschmiedeten Barren beiseite
legen“ (Brief 504, Juni 1888) und er erklärt Theo diese Schnelligkeit:
„Du mußt wissen, daß ich dauernd verwickelte Berechnungen anstelle,
aus denen sich in rascher Folge Bilder ergeben, die zwar rasch gemalt
werden, aber lange Zeit vorher ausgeklügelt worden sind.“ (Brief
507) 138
Sie steigert sich noch in den spätesten Werken und dringt auch in die
Farbe ein. In Bildern wie >Die Sternennacht< vom Juni 1889 (New York,
Museum of Modern Art) 139 malt van Gogh das Ausbrechen der Farbe
ins Licht - als Buntfarbenform, als feurig kreisende Körper.
Nun wird die in Bewegung geratene Pinsellinie, der Kurvenzug, die
„linea serpentinata“, zum Zeichen höchster Erregung und Ergriffen-
heit. In den Bildern von 1889 und 1890 treten Individualformen zurück
zugunsten ihrer Vereinfachung in Kurvenzügen. In ihnen „herrscht eine
einzige gemeinsame Schicksalsgeschlagenheit, welche alle Dinge wie
ein gefährlicher Strom erfaßt, sie bis insTiefste erschüttert und den Be-
stand ihrer natürlichen Formen bedroht“ 140.
In den Dienst der Darstellung von Schicksalsgebundenheit und
Schicksalsmacht, wechselnd in der Auffassung von Schicksal, stellt van
Gogh die Farben.
Bei den nur im Motiv impressionistischen friihen Bildern wie etwa der
>Seine mit Pont D’Jena< von 1875 (Paris, Musée d’Orsay) ist, verglichen
mit Werken Monets oder Sisleys um 1875, die Präzision der Form nicht
geopfert; schon hier erscheint der Himmel als ein farbiger, grauvioletter
Grund. In Werken wie der >Landschaft bei Rouen< von 1884 (Priv. Besitz
Basel) macht sich Pissarros Einfluß bemerkbar (auch Gauguin wurde
von Pissarro entscheidend gefördert), die schimmernde Lichtwirkung
aber steht im Konflikt mit der Festigkeit der Form. 1886 flndet Gauguin
seinen Weg der „Überwindung“ des Impressionismus. Als Beispiel diene
das Bild >Bretonische Bäuerinnem (München, Neue Pinakothek) 143 mit
seiner konsequenten Verflächigung aller Bildmotive und der entspre-
chenden Betonung der Konturen als Flächenbegrenzungen. Eine ge-
wisse Diskrepanz der farbigen Mittel ist nicht zu übersehen: die Flächen
von Weiß in Hauben und Kragen der Frauen, von Rot und hellem Blau in
ihren Rücken dienen als ornamentale Lichtträger, die übrigen Partien
der Figuren liegen im Halbschatten, vor lichtgriinem Grund. Alle
Farben sind dabei streng gegenständlich gebunden.
1888 hat der abstrakte Gehalt weiter zugenommen. In >LesAlyscamp<
(Paris, Musée d’Orsay) findet sich, obwohl das Naturmotiv eine perspek-
tivische Anlage nahelegen würde, eine entschiedene Absage an linear-
perspektivische Mittel: die Ränder der Böschung erscheinen eher als
steigende und fallende denn als einwärtsführende Linien. Es bilden sich
in freien Kurven begrenzte farbige Flächenformen heraus, die orna-
mental wiederholt werden. Die Farbwahl zeigt nun schon in voller Aus-
prägung Gauguinsche Besonderheit, milde Werte, viele aus dem Sekun-
därfarbbereich: zu Gelb treten Grün, Orange, Violett und Grau.
Ein Ganzes, das sich unterteilt, schwebt Gauguins künstlerischer
Vision vor, zu verwirklichen nur vom Ganzen der Bildfläche aus, von der
Interpretation alles Dinglichen in einer übergeordneten Einheit, nicht
vom Einzelnen, Dinglichen her. Die Gegenstandsform, auch wenn sie
immer als solche noch erkennbar bleiben muß, geht auf in einer höheren
Bildeinheit. Die „Figur“ muß sich einem „Dekor“ einfügen, der jedoch,
nach Gauguins Willen, nicht lediglich ein kalligraphisches System bilden
darf, sondern dem Bildausdruck zu seiner höchsten Intensität verhelfen
soll.
Das künstlerische Mittel hierzu ist, wie etwa das Bild >Vision nach der
PredigL von 1888 (Edinburgh, National Gallery of Scotland) zeigt, die
gleichzeitige Vereinfachung der Linien, Formen und Farben.
Diese gleichzeitige Vereinfachung der Bildfaktoren wird seit 1888 das
künstlerische Problem für Gauguin wie für den kleinen Kreis jüngerer
Maler um ihn, unter denen dem jungen Maler Emile Bernard (1868 bis
1941) eine besondere Stellung zukommt. Aus langen Debatten zwischen
diesen Malern aus Pont-Aven hat sich zur Bezeichnung dieses Verfah-
rens der Vereinfachung der Begriff der „Synthese“ als Kennwort ihres
künstlerischen Programmes und schließlich der Name „Synthetismus“
für den Stil dieser sogenannten „Schule von Pont-Aven“ herausgebildet.
Der emgrenzenden Funktion der Linie, die in der älteren Kunst domi-
nierte, d. h. der auf das Innere der Gegenstandsfiguren bezogenen, wird
nun die ausgrenzende, auf den Bildgrund orientierte Funktion der Linie
ebenbürtig. Die ist, mit der Betonung der Konturlinie überhaupt, das
Prinzip des sog. „Cloisonnismus“. Voraussetzung hierfür ist weitestge-
hende Ausschaltung der Modellierung, was die „Synthetisten“ unter
„Vereinfachung der Form“ verstanden wissen wollten. In diesen präzise
umgrenzten und entschieden verflächigten Bezirken kann sich nun die
Farbe ruhig ausbreiten und voll zur Geltung bringen. Auch sie erfährt
eine äußerste Vereinfachung, in dem sie auf ihre wesentlichste Eigen-
schaft, die Buntheit, reduziert wird. Für Gauguin charakteristisch ist,
daß diese farbige Vereinfachung auch den Bildgrund einbezieht. Im er-
wähnten Bild erscheint der Grund rot, in einer Farbe ohne Gegenstands-
bedeutung, „abstrakt“! Noch in van Goghs gleichzeitigen Bildern wirkt
das Blau eines Bildgrundes gegenstandsbezogen.
Im übrigen aber trifft sich Gauguin mit van Gogh in dieser Verein-
fachung der Farbe auf den Buntwert. Was ihn von diesem unterscheidet,
ist die Anwendung eines allgemeinen Prinzips der gesteigerten Farbe.
So wendet sich Gauguin entschieden gegen van Goghs Glauben an die
Wirksamkeit komplementärer Kontraste und meint, van Gogh „gelange
mit all dem Gelb auf Violett, mit all dieser Arbeit der Komplementär-
farben, nur zu unvollständigen und monotonen Harmonien; der Ton
des Horns fehlte“ (>Avant et Après<). Maurice Denis berichtet in sei-
nen >Théories<: „Gauguin schärfte seinem Anhänger Séguin ein, nie-
mals Komplementärfarben nebeneinanderzusetzen. Als dieser es doch
wieder tat, zog er einen Revolver aus derTasche und legte ihn auf den
Tisch ..
Gauguin stellt der Gestaltung farbiger Kontraste seine Auffassung far-
biger Harmonie entgegen: „Wer sagt Euch, daß man den Kontrast der
Farben suchen muß? ... Suchet die Harmonie und nicht den Gegensatz
(l’opposition), den Zusammenklang und nicht das Aufeinanderprallen
(le heurt) der Farben“, heißt es in einem in das Buch >Avant et Après<
aufgenommenen Traktat >Du livre des métiers de Vehbi-Zunbul-Zadi<,
in dem Gauguin „einen Künstler aus barbarischen Zeiten, welcher Vor-
schriften erteilt“, sprechen läßt.
Es ist Gauguins Schaffen aus einer Gesamtidee, aus einem Ganzen,
320 Malerei des 19. Jahrhunderts
144 Hess, Problem der Farbe, 53. - Vgl. auch Hans Graber, Paul Gauguin
nach eigenen und fremden Zeugnissen, 2. Aufl. Basel 1946, 460.
Französische Malerei 321
Sein Bild >Manao Tupapau< (1893, Priv. Slg. New York) hat Gauguin in
zwei Briefen und in den >Notes ésparses< beschrieben. Die nicht völlig
übereinstimmendenTexte faßte Walter Hess zusammen: „Gauguin geht
aus vom Sujet, dem liegenden Akt eines Kanakenmädchens, das er zu
malen beginnt ,ohne eine andere Absicht, als einen Akt zu machen 1,
wobei aber ein gewisser Ausdruck des Erschreckens an dem Mädchen
ihn fesselt und er zugleich ,an den kanakischen Geist und Charakter
denktk Das führt ihn zu einer Farbengebung, ,die düster, traurig und er-
schreckend ist, die einen trifft wie Totengeläute“: düstres Violett und
düstres Blau, dazu Chromgelb I und Chromgelb II (die Farbenangaben
stimmen in den Texten nicht genau überein). In dem Linnenzeug ge-
winnt das Gelb einen eigentümlichen Charakter, es suggeriert künst-
liches Licht in der Nacht und ersetzt dadurch ,einen Lampeneffekt, der
zu banal wäre‘ (die Kanaken lassen stets die ganze Nacht eine Lampe
brennen). Gleichzeitig bildet dieses Gelb ,einen Übergang vom Orange-
gelb zum Grün, Vervollständigung des musikalischen Akkords ... Der
dekorative Sinn führt mich dazu, den Hintergrund mit Blumen zu be-
säen.‘ Diese bekommen Farben wie Phosphoreszenzen in der Nacht,
denn nun verdichtet sich ,der literarischeTeil‘: Nächtliches Phosphores-
zieren bedeutet für die Eingeborenen, daß der Geist von Toten anwe-
send ist. Das Erschrecken des Mädchens ist jetzt auch inhaltlich erklärt.
,Der musikalischeTeil: Horizontale ondulierende Linien, Akkorde von
Orange und Gelb, Blau und Violett und deren Derivaten, erhellt durch
grünliche Funken', wird Äquivalent des ,literarischenTeiles: Der Geist
eines Lebenden verbunden mit dem Geist einesToten. 1“ 145
Dieser Text zeigt exemplarisch die Durchdringung „dekorativer“,
„suggestiver“ und „literarischer“ Aspekte in Gauguins Farbgestaltung.
„Seien Sie überzeugt, daß die farbige Malerei in eine musikalische
Phase eintritt“, diese Prophezeiung Gauguins 146 entspricht jener van
Goghs, der in einem Brief vom 5.Mai 1888 an seinen Bruder ge-
schrieben hatte (Nr. 482): Der „Maler der Zukunft ist ein Kolorist, wie
es noch keinen gegeben hat“ 147 oder, im August 1888 (Nr. 528): „Die
Malerei, wie sie j etzt ist, verspricht subtiler zu werden - mehr Musik und
weniger Skulptur - kurz, sie verspricht die Farbe .. ,“ 148
Die Malerei des 20. Jahrhunderts löste diese Prophezeiung ein.
Im Unterschied zu van Gogh sind von Edvard Munch 149 (1863-1944)
145 Hess, Problem derFarbe, 56/57; vgl. auch Graber, Gauguin, 214/215,220.
146 Hess, Problem der Farbe, 54; Graber, Gauguin, 483.
147 Van Gogh, Sämtliche Briefe, Bd. 4, 40.
148 Van Gogh, Sämtliche Briefe, Bd. 4, 133.
149 FA: Ragna Stang, Edvard Munch - der Mensch und der Künstler, König-
stein i.Ts. 1979.
322 Malerei des 19. Jahrhunderts
nur ganz wenige Aussagen zur Farbe iiberliefert. Sie lassen erkennen,
daß für die Entstehung seiner Bilder Farbeindrücke entscheidend
waren. So wird etwa beim berühmten Bild >Der Schreu Rot assoziativ
mit Blut verknüpft 150; das Bildmotiv eines Billardzimmers verbindet
sich ihm sogleich mit dem Simultankontrast, durch den die grünen Ti-
sche die Personen rot gekleidet erscheinen lassen. Zu den >Mädchen auf
der Brücke< heißt es in Munchs Notizbuch aus dem Jahre 1892: „Der
Sommer kam - mit seinen leuchtenden Farben - leuchtendes Grün
gegen leuchtendes Blau - leuchtendes Gelb gegen leuchtendes Rot.
Schnell versammelten sich die in hellen Farben gekleideten Damen der
Stadt zu großen Gruppen - sie sprechen miteinander und scherzen - wie
große Blumen - ein Strauß ... junger Mädchen füllte die Straße - wie
große rote und weiße und gelbe Blumen.“ 151
Barbara Schütz widmete der Farbgestaltung Edvard Munchs eine
genaue Untersuchung. 152 Einige Ergebnisse daraus seien hier referiert.
Auch Munch arbeitete mit einer beschränkten Skala von Buntfarben,
den drei Primärfarben und den drei Sekundärfarben. Grundsätzlich un-
terscheidet er zwischen einer warmen und aktiven Farbskala, bei der Rot
und Gelb dominieren (>Professor Jacobsen<, 1909; die Werke befinden
sich, wenn nicht anders vermerkt in Oslo, Kommunens Kunstsamlinger),
und einer kühlen und passiven, in der Blau und Grün maßgebend sind
(>Die Stimme< 1893). Für viele Bilder gilt, daß der Intensitätsgrad der
aktiven Farben in reziprokem Verhältnis steht zu ihrer Ausdehnung
(>Selbstbildnis mit Weinflasche>, 1906). Rot als der buntkräftigsten Farbe
kommt dabei eine vorrangige Stellung zu. Zu diesen Buntfarben tritt
Weiß. Als Dunkelheit erscheint dagegen meist schwarz verhangenes
Blau und Griin. Diese Farbwahl bleibt in den Jahren des reifen Schaf-
fens konstant. Braun dagegen wird nur in Frühwerken und Werken der
neunziger Jahre verwendet.
Diese hier nur in den allgemeinen Kategorien benannten Farben
schließen sich zu Klängen zusammen. In sehr vielen Bildern bestimmt
der Rot-Grün-Kontrast die Farbkomposition, wobei die Farbwerte in
der Regel sich nicht komplementär entsprechen, sondern gegenein-
150 Vgl. Stang, Edvard Munch, 90.
151 Vgl. Mary Wilson, Edvard Munch: A Study of his Form-Language. Phil.
Diss., Northwestern University 1973, 15 und 93.
152 Barbara Schütz, Farbe und Licht bei Edvard Munch, Diss. Universität des
Saarlandes, Saarbrücken 1986. Auch die obigen Angaben sind dieser Arbeit ent-
nommen. - Zur Beurteilung der Munchschen Farbe in der Literatur vgl. Hen-
ning Bock, Farbe als Ausdruck: Zur Deutung von Bildern Edvard Munchs. In:
Edvard Munch. Probleme -Forschungen-Thesen, hrsg. von Henning Bock und
Günter Busch, München 1973, 69-76.
Französische Malerei 323
ander versetzt sind. So antwortet oft ein tiefes Blaugrün einem glü-
henden Zinnoberrot (>Selbstbildnis mitWeinflasche<, 1906).
Gelb-Blau und Rot-Blau folgen unter den Buntfarbklängen, unter
den Bunt-Neutralfarbkontrasten aber Rot-Weiß. Wichtige Farbakkorde
ergeben sich aus der Gliederung der Farbwelt in eine warme und kühle
Zone, als Rot-Orange-Gelb und Blau-Grün-Violett.
Doch ist mit solcher Farbaufzählung nicht sehr viel gesagt. Erst in Ver-
bindung mit der Erscheinungsweise der Farbe wird das Spezifische der
Munchschen Gestaltung faßbar. Es ist dies die flächenfarbige Erschei-
nungsweise, jedoch mit der Besonderheit, daß sie stofflich fühlbar ge-
macht wird. Sie wird zur Farbplatte von wechselnder Festigkeit und
Dichte, die sich in ihrem Aggregatzustand ständig wandeln und so auch
raumhaltig wirken kann.
Diese Erscheinungsweise ermöglicht ein „Farbleuchten“. Ein Aus-
spruch Munchs lautet: „Der Tod ist pechschwarz, doch Farben sind
Licht. Maler sein heißt mit Lichtstrahlen arbeiten.“ Munch identifiziert
mithin Farben mit Licht. Aber es ist die Farbe als Farbe, die das Licht
entsendet. Leuchten ist Intensitätssteigerung der Flächenfarben - und
auch bei Munch bedarf dies Leuchten der Dunkelfelder. Darin besteht
der große Unterschied zur van Goghschen Farbigkeit, daß Munch die
Buntfarben einspannt zwischen Weiß und eine farbige Dunkelheit. Die
Dunkelheit liegt vorne, bildet Rahmen oder vordere Abschlüsse (>Eifer-
suchU, 1895, Bergen, Slg. R.Meyers, >Roter wilderWein<, 1898).
Alle Bilder Munchs sind hellgrundig, weißlich-gelb oder ganz weiß
grundiert. Die Farben werden von diesem „Lichtgrund“ durchschienen
und so über ihr bloßes Farblicht hinausgehoben. Liegen die Farben
nicht einschichtig über dem Grund, so bilden sie einander überflorende
Farblagen, die einen Raum unmeßbarerTiefe entstehen lassen.
Mit dem Bild >Das kranke Kind<, gemalt 1885/86 (Nat. Gal. Oslo), er-
zielt Munch seinen künstlerischen Durchbruch. Munch berichtet, daß
ihm das Bild vor der Ausführung visionär vor Augen stand : „Als ich zum
ersten Mal das kranke Kind sah - das bleiche Gesicht mit dem kräftigen
roten Haar gegen das weiße Kissen - bekam ich einen Eindruck, der
während der Arbeit verschwand. Ich malte ein gutes, aber ein anderes
Bild. Im Laufe eines Jahres zeichnete ich das Bild viele Male, veränderte
es mehrmals, kratzte es weg und versuchte immer wieder, den ersten
Eindruck zu erzielen, die durchsichtige, bleiche Haut, den bebenden
Mund, die zitternden Hände.“ 153 Auch hier ist dieser erste Eindruck ein
farbiger. Im Bild wird das Zinnoberrot der Haare kontrastiert zu Grün-
werten und eingebunden in eine Vielfalt blau- und gründurchwirkter
Grautöne, die sich im Kissen ins Weiß erheben, das aus dem Bilde
herausleuchtet.
An Darstellungen der Karl Johans Gate läßt sich Munchs schnelle
Entwicklung um 1890 verfolgen: in rotbräunlichem, in sich differen-
ziertem Ton, kontrastiert gegen das kräftige Rot eines Sonnenschirms
ganz vorne, gehalten im Bild >Militärmusik auf Karl Johans Gate< von
1889 (Kunsthaus Zürich), in sandbräunlichem Ton, aufgelöst in Farb-
punkte beim >Frühling auf der Karl Johans Gate<, gemalt 1891, nach
Munchs Rezeption des Neoimpressionismus (Bergen), schließlich
bleichgelbe Häuserwände kontrastiert gegen das Grau der Straße, das
dünne Blau des Himmels und vor allem die bräunliche Dunkelheit der
nahen, vom Bildrand iiberschnittenen Menschengruppe beim >Abend
aufder Karl Johans Gate< von 1893/94 (Bergen).
In Stufen oder fließenden Übergängen von Gelbtönen, Braun, Rot-
braun, Braunrot, kontrastiert gegen leuchtendes Weiß und schwärzliche
oder schwarzbraune Dunkelheit finden die psychophysischen Dramen
der >Pubertät< und von >Der Tag danach< (beide 1894 gemalt, Nat. Gal.
Oslo) ihren drängenden und zugleich verheimlichenden Ausdruck.
>Rot und Weiß< (um 1894) und >Tanz des Lebens< (1899-1900, Nat.
Gal. Oslo) können als Beispiele fiir die bildbestimmende Wirkung des
Rot-Weiß-Akkordes genannt werden, beide Male ergänzt durch Griin
und tieffarbige Dunkelheit.
Der vom Rot dominierte Rot-Griin-Kontrast, der fahlbleiche Ton im
Antlitz des Mannes, gerahmt von der Dunkelheit seiner Gewandung
bilden das farbige Medium des Ausdrucks ausbrechender Leidenschaft
bei >Eifersucht< (1895, Bergen) und >Roter wilderWein< (1898).
In den Bildern um 1900 erscheinen die Farben zwar im vielfach zer-
teilten, dennoch zu homogenen Massen sich zusammenschließenden
Auftrag. Das Bild >Marats Tod< von 1907 ist dagegen ein extremes Bei-
spiel eines „wüsten“, harte horizontale und vertikale Farbstriche schroff
durchkreuzenden Auftrags. Später, etwa beim >Mann im Kohlacker< von
1916 (Oslo, Nat. Gal.) bildet sich ein dekoratives Gefiige, nun werden in
freien Kurven begrenzte Farbzonen puzzleartig zueinander gelegt.
Munchs Farbgestaltung schlägt die Briicke vom 19. ins 20.Jahrhun-
dert. Indem sie Farbe als „Innenfarbe“, als „Substanzfarbe“ 154 wirken
läßt, erschließt sie ihr neue Ausdrucksmöglichkeiten. Die Maler des
norddeutschen Expressionismus folgen Munch auf diesem Weg.
paragraph dieser Abteilung deutlich: ,,Da die Farbe in der Reihe der ur-
anfänglichen Naturerscheinungen einen so hohen Platz behauptet,
indem sie den ihr angewiesenen einfachen Kreis mit entschiedener Man-
nigfaltigkeit ausfiillt, so werden wir uns nicht wundern, wenn wir er-
fahren, daß sie auf den Sinn des Auges, dem sie vorziiglich zugeeignet ist
und durch dessen Vermittlung, auf das Gemiit, in ihren allgemeinsten
elementaren Erscheinungen, ohne Bezug auf Beschaffenheit oder Form
eines Materials, an dessen Oberfläche wir sie gewahr werden, einzeln
eine spezifische, in Zusammenstellung eine teils harmonische, teils cha-
rakteristische, oft auch unharmonische, immer aber eine entschiedene
und bedeutende Wirkung hervorbringe, die sich unmittelbar an das Sitt-
liche anschließt. Deshalb denn Farbe, als ein Element der Kunst be-
trachtet, zu den höchsten ästhetischen Zwecken mitwirkend genutzt
werden kann.“ (758) Nur die Grundlinien dieser umfassenden Studie
über die farbigen Ausdruckswerte können hier referiert werden : Gelb ist
„die nächste Farbe am Licht. Sie entsteht durch die gelindeste Mäßigung
desselben, es sei durch triibe Mittel oder durch schwache Zuriickwer-
fung von weißen Flächen“ (765), „fiihrt in ihrer höchsten Reinheit
immer die Natur des Hellen mit sich und besitzt eine heitere, muntere,
sanft reizende Eigenschaft“ (766), ist aber „äußerst empfmdlich und
macht eine sehr unangenehme Wirkung, wenn sie beschmutzt oder eini-
germaßen ins Minus gezogen wird“. (770) ,,Da sich keine Farbe als still-
stehend betrachten läßt, so kann man das Gelbe sehr leicht durch Ver-
dichtung und Verdunklung ins Rötliche steigern und erheben. Die Farbe
wächst an Energie und erscheint im Rotgelben mächtiger und herrli-
cher.“ (772) Im Gelbrot steigert sich der Farbeindruck „bis zum uner-
träglich Gewaltsamen“ (774): „Man darf eine vollkommen gelbrote
Fläche starr ansehen, so scheint sich die Farbe wirklich ins Organ zu
bohren.“ (776) - „Die Farben von der Minusseite sind Blau, Rotblau
und Blaurot. Sie stimmen zu einer unruhigen, weichen und sehnenden
Empfindung.“ (777) ,,So wie das Gelb immer ein Licht mit sich fiihrt, so
kann man sagen, daß Blau immer etwas Dunkles mit sich führe.“ (778)
„Diese Farbe macht fiir das Auge eine sonderbare und fast unaussprech-
liche Wirkung ... Es ist etwas Widerstrebendes von Reiz und Ruhe im
Anblick.“ (779) Blau scheint „vor uns zurückzuweichen“ (780), wir
sehen „das Blaue gern an, nicht weil es auf uns dringt, sondern weil es
uns nach sich zieht“. (781) Blau steigert sich ins Rotblau. ,,So wie die
Steigerung selbst unaufhaltsam ist, so wünscht man auch mit dieser
Farbe immer fortzugehen, nicht aber, wie beim Rotgelben, immer tätig
vorwärts zu schreiten, sondern einen Punkt zu finden, wo man ausruhen
könnte.“ (788) Im Blaurot nimmt jene Unruhe noch zu. - Rot aber ist
das Ziel der strebenden Steigerung vom Gelben und vom Blauen aus
328 Malerei des 19. Jahrhunderts
und „in der Vereinigung der gesteigerten Pole“ findet eine „Beruhi-
gung“, eine „ideale Befriedigung“ statt. (794) Die Wirkung von Rot ,,ist
so einzig wie ihre Natur. Sie gibt einen Eindruck sowohl von Ernst und
Wiirde, als von Huld und Anmut. Jenes leistet sie in ihrem dunklen ver-
dichteten, dieses in ihrem hellen verdünnten Zustande.“ (769) Eine
„reale Befriedigung“ findet das Auge dagegen im Griin. Das Auge und
das Gemiit ruht „auf diesem Gemischten wie auf einem Einfachen. Man
will nicht weiter und man kann nicht weiter“. (802) - Die als dynamische
Qualitäten erfaßten Farben und ihre Beziige zum Auge lassen die far-
bigen Relationen entstehen, als „Totalität und Harmonie“: „Wenn das
Auge die Farbe erblickt, so wird es gleich inTätigkeit gesetzt, und es ist
seiner Natur gemäß auf der Stelle eine andre, so unbewußt als not-
wendig, hervorzubringen, welche mit der gegebenen die Totalität des
ganzen Farbenkreises enthält. Eine einzelne Farbe erregt in dem Auge,
durch eine spezifische Empfindung, das Streben nach Allgemeinheit.“
(805) Der Farbenkreis (- als erster hatte Newton die Farben in einem
Kreise angeordnet 162 -) ist also für Goethe Ort der Farbentotalität wie
Orientierungsstelle farbiger Harmonien. Wird die „Farbentotalität von
außen dem Auge als Objekt gebracht, so ist sie ihm erfreulich, weil ihm
die Summe seiner eigenen Tätigkeit als Realität entgegenkommt. Es sei
also zuerst von diesen harmonischen Zusammenstellungen die Rede.“
(808) „Um sich davon auf das leichteste zu unterrichten, denke man sich
in dem von uns angegebenen Farbenkreise einen beweglichen Diameter
und fiihre denselben im ganzen Kreise herum, so werden die beiden
Enden nach und nach die sich fordernden Farben bezeichnen, welche
sich denn freilich zuletzt auf drei einfache Gegensätze zurückführen
lassen.“ (809) „Gelb fordert Rotblau, Blau fordert Rotgelb, Purpur for-
dert Grün und umgekehrt.“ (810) Die physiologisch bedingten Farbkon-
trastpaare sind für Goethe unmittelbar die harmonischen: „So einfach
also diese eigentlich harmonischen Gegensätze sind, welche uns in dem
engen Kreise gegeben werden, so wichtig ist der Wink, daß uns die Natur
durch Totalität zur Freiheit heraufzuheben angelegt ist und daß wir
diesmal eine Naturerscheinung zum ästhetischen Gebrauch unmittelbar
überliefert erhalten.“ (813)
Hier bekundet sich erneut die Verankerung von Kunst in der Natur -
gerade durch die Farbe, ist Farbe doch „die gesetzmäßige Natur in bezug
auf den Sinn des Auges“ 163. Goethe erfaßt den ontischen Rang der
Farbe, wenn er feststellt, daß in ihr, zusammen mit Hell und Dunkel,
überhaupt die sichtbare Wirklichkeit sich uns zeigt: „Wir sagten: die
ganze Natur offenbare sich durch die Farbe dem Sinne des Auges. Nun-
mehr behaupten wir, wenn es auch einigermaßen sonderbar klingen
mag, daß das Auge keine Form sehe, indem Hell, Dunkel und Farbe zu-
sammen allein dasjenige ausmachen, was den Gegenstand vom Gegen-
stand, die Teile des Gegenstandes voneinander, ftirs Auge unter-
scheidet. Und so erbauen wir aus diesen dreien die sichtbare Welt und
machen dadurch zugleich die Malerei möglich, welche auf derTafel eine
weit vollkommener sichtbare Welt, als die wirkliche sein kann, hervorzu-
bringen vermag.“ Malerei kann deshalb eine „weit vollkommener sicht-
bare Welt“ hervorbringen, weil sie den Bezug des Auges zum Licht mit-
thematisiert. „Das Auge hat sein Dasein dem Licht zu danken. Aus
gleichgiiltigen tierischen Hilfsorganen ruft sich das Licht ein Organ
hervor, das seinesgleichen werde; und so bildet sich das Auge am Lichte
ftirs Licht, damit das innere Licht dem äußeren entgegentrete.“ 164 Kunst
entfaltet sich gerade im Weltbezug des Menschen: „Wir wissen von
keiner Welt als im Bezug auf den Menschen; wir wollen keine Kunst, als
die ein Abdruck dieses Bezuges ist.“ 165
Werner Heisenberg stellte fest, „daß der Kampf Goethes gegen die
physikalische Farbenlehre auf einer erweiterten Front auch heute noch
ausgetragen werden muß. Wenn Helmholtz von Goethe sagt: ,daß seine
Farbenlehre als der Versuch betrachtet werden muß, die unmittelbare
Wahrheit des sinnlichen Eindrucks gegen die Angriffe der Wissenschaft
zu retten 1, so stellt sich uns heute diese Aufgabe dringender als je, denn
die ganze Welt wird verwandelt durch die ungeheure Erweiterung un-
serer naturwissenschaftlichen Kenntnisse und durch den Reichtum der
technischen Möglichkeiten, der uns wie jeder Reichtum teils als
Geschenk, teils als Fluch gegeben ist .. .“ 166 Von einer Lösung des in
167 Philipp Otto Runge, Hinterlassene Schriften, hrsg. von dessen ältestem
Bruder, Erster und zweiter Theil, Hamburg 1840/1841, Nachdruck Göttingen
1965. - Faksimile-Ausgabe der >Farbenkugel<, Mittenwald 1977, mit einem
Nachwort von Heinz Matile.
168 Vgl. Hubert Schrade, Ph. Otto Runge und C.D. Friedrich. In: Willy An-
dreas und Wilhelm von Scholz (Hrsg.), Die großen Deutschen, Bd. 3, Berlin
1936,125. -Lersch, Farbenlehre, Sp. 240-244.
169 Heinz Matile, Die Farbenlehre Philipp Otto Runges, Ein Beitrag zur
Geschichte der Künstlerfarbenlehre, Zweite, verbesserte und vermehrte Auf-
lage, München, Mittenwald 1979 (= Kunstwissenschaftliche Studientexte,
hrsg. von Friedrich Piel, Bd. V). - Zit. hier 130, 151, 153, 154, 155, 161, 167,
168/169.
Deutsche Malerei 331
gewissen Ehrfurcht, das ist der Vater, und roth ist ordentlich der Mittler
zwischen Erde und Himmel; wenn beyde verschwinden, so kommt in
der Nacht das Feuer, das ist das Gelbe und der Tröster, der uns gesandt
wird - auch der Mond ist nur gelb.“ Im Unterschied zu Goethes in der
Naturerkenntnis begründeten Farbenlehre äußert sich hier eine hoch-
spekulative Auffassung, die auch in der, von Schriften Jakob Böhmes be-
einflußten, scharfen Wertdifferenzierung von Licht und Finsternis mit
dem „universalen“ Helldunkel der neuzeitlichen Malerei bricht. - Da-
neben ist es Runge in seiner Farbenlehre ,,ein zentrales Anliegen, die
Farben iibersichtlich zu ordnen und den Kiinstlern ein Hilfsmittel in die
Hand zu geben, mit dem sie sich ,im Zusammenhang des Ganzen aller
Farben 1 zurechtfinden konnten. Einen ersten solchen Ordnungsversuch
finden wir in dem Fragment >Die Elemente der Farben; oder auf wieviel
Theile sich alle Farben und Schattirungen etwa reducieren lassen, und wie
sich die Elemente zu einander verhalten<“ von 1806. Hier sucht Runge,
„die Zahl der aus den ,Elementen‘ Weiß, Schwarz, Rot, Gelb und Blau
hervorgehenden Mischfarben bzw. Nuancen auf 3405 zu bestimmen. “ 170
Seine Bemiihungen um eine anschauliche „figiirliche Vorstellung“
fiihren Runge sodann zur Konstruktion eines Farbenkreises und der Far-
benkugel. Im Brief an Goethe schreibt Runge am 3.Juli 1806: „Drey
Farben, Gelb, Roth und Blau, giebt es bekanntlich nur. Wenn wir diese
in ihrer ganzen Kraft annehmen und stellen sie uns als in einem Cirkel
begränzt, vor, so bilden sich aus diesen drey Uebergänge, Orange, Vio-
lett und Griin (ich heisse alles Orange, was zwischen Gelb und Roth
fällt, oder was von Gelb aus sich nach dem Rothen, oder umgekehrt, hin-
neigt) und diese sind in ihrer mittleren Stellung am brillantesten und die
reinen Mischungen der Farben.“ Erst anderthalb Jahre später, in einem
Brief an Goethe vom 21.November 1807, schildert Runge eine dreidi-
mensionale Farbenordnung, die auch das Verhältnis der Buntfarben zu
Schwarz und Weiß berücksichtigt: „Das Verhältnis der drey Farben zu
Schwarz und Weiss liesse sich sehr gut durch einen Globus darstellen,
nämlich so: den Aequator teile ich in sechs Teile, nämlich in der Abtei-
lung der drey Farben im Triangel, durchschnitten von dem Triangel der
drey reinen dazwischen liegenden Mischungen. Der Nordpol sei weiss,
der Südpol schwarz ... Der Aequator ist die brillante Eigenschaft der
Farbe; diese verliert sich nach Norden in allen Mischungen ins Weisse
und nach Süden ins Schwarze. Durchschneide ich diese Kugel von dem
Nordpol nach dem Südpol, so vermischt sich im Mittagspunkt dieser
Linie Weiss und Schwarz in Grau; durchschneide ich sie durch den
Aequator, so vermischen sich im Mittelpunkt die Farben in dasselbe
174 So die Interpretation Schönes, in: Über das Licht in der Malerei, 217,218.
175 Rudolf Zeitler, Die Kunst des 19. Jahrhunderts (Propyläen Kunstge-
schichte, Bd. 11), Berlin 1966, 35ff., 56ff.
176 Helmut Börsch-Supan, Die Bildgestaltung bei Caspar David Friedrich,
Diss. Berlin 1958, München 1960, 17f. - Vgl. auch: Verf., Zum Sinn der Farb-
Deutsche Malerei 335
gestaltung im 19. Jahrhundert. In: Werner Hager, Norbert Knopp, Beiträge zum
Problem des Stilpluralismus, München 1977, 92-118, insbes. 105-106. -Ferner:
Monika Goedl-Roth, Wilhelm von Kobell, Druckgraphik, München 1974, 83 bis
88: Das Helldunkel im niederländischen Ölbild und Kobells Nachstiche.
177 Vgl. David Katz, Der Aufbau der Farbwelt, Leipzig 1930, 9ff.
178 FA: Steingräber, Neue Pinakothek, 41.
179 FA: Caspar David Friedrich 1774-1840, Ausstellungskatalog Hamburger
Kunsthalle 1974, München 1974, Taf. XII.
336 Malerei des 19. Jahrhunderts
Maler Ernst Sattler mit Dogge< (1870, Neue Pinakothek, Miinchen) 191
sind alle Gegenstandsfarben zurückgestimmt auf Grau-, Graubraun-,
Grauviolett-, Graurot-Werte unter dem Einfluß eines von rechts oben
einfallendenTageslichts, das sich im pastosen Weiß der Zeitungen kon-
zentriert. Alle Helldunkel-Polarität ist geschwunden, die Töne sind
Glieder einer Skala. Im Maße aber, wie Dunkelheit Farbe wird, nimmt
die Buntfarbe an Leuchtkraft ab, triibt sich in ihrer materiellen Festig-
keit, die der gleichmäßig-pastose Farbauftrag bewirkt. Aufschlußreich
fiir den Unterschied dieser Valeurgestaltung zur Helldunkelmalerei ist
auch Leibls nach Rubens gemalte >Schäferszene< (1870, Neue Pinako-
thek, Miinchen). Mit der Umsetzung der lasierend aufgebrachten Hell-
dunkelfarben in opake Farben verliert der Bildraum seineTiefe, kommt
die flutende Bewegung des Helldunkels zu den Buntfarben zum Stehen,
werden die Rubensschen Reflexschatten zu tonig abgestuften Eigen-
schatten und damit zu, wenn auch noch „beschattet“ wirkenden,
Farben. Die Gestaltung verhält kurz vor der - in Frankreich schon voll-
zogenen - Umwertung aller Schatten in Farben, in Buntfarbenkompo-
nenten.
Valeurmalerei bringt die Gegenstandsfarben auf einen gemeinsamen
Nenner. Leibls eigenster Weg ist der zuriick zu den Lokalfarben in seinen
späteren Bildern, und ihnen entsprechend zu einer Holbeinschen Detail-
lierung der Oberflächen. Klar trennen sich wieder Rot, Rosa, Gelblich
von den Farben der Braun- und Grauskala im Bild >In der Bauernstube<
von 1890 (Neue Pinakothek, Mimchen). 192 Daneben aber entstehen
Werke, wie >Bauernjägers Einkehr< (1893, Köln, Wallraf-Richartz-Mu-
seum), 193 bei denen sich die Dunkelheit in einer dem Helldunkel ver-
wandten Weise vertieft. Zwar bleibt auch hier das Licht Freilicht,
Dunkel aber ist nicht dessen bloßer Entzug als Schatten, sondern ge-
winnt eine eigene Dimension von Stille, Beständigkeit, Verinnerli-
chung.
Leibls Technik der „Primamalerei“ ist Medium dieser Verdichtung
von Farbe und Dunkel. „Hier bestand das Gesetz, unansehnliche oder
mißlungene Teile durch Abkratzen oder Abwaschen bis auf den Grund
zu entfernen und neu auszuführen, auf keinen Fall aber iibermalend zu
korrigieren.“ Auch in ihr zeigt sich die „Ehrlichkeit“ der Leiblschen
Malerei. 194
von Fels, Mauerwerk und Bäumen eine sehr kleine Stelle Orange in der
Säulenvorhalle ab. Auch bleibt die Farbe häufig trüb, kann im Halblicht
sich nicht zu Eigenwerten entfalten. Beim erwähnten Bild steht die Villa
mit ihren Bäumen im Gegenlicht gegen einen hohen, gleichwohl trüben
Himmel. Auch beim >Spiel der Wellen< (1883, Neue Pinakothek, Mün-
chen) 199 wirkt das Meer eher als unfarbige Dunkelheit denn als Zone
dunkler Farbigkeit. Die Dunkelheit liegt dabei ganz vorne, kann keinen
Grund bilden, in dem die Farben verankert sind. Auch gehen die Inkar-
nate der Nereiden undTritonen keine Verbindung ein mit den in Dunkel-
heit versinkenden Blautönen des Wassers.
Hans von Marées’ 200 (1837-1887) Gemälde sind erfüllt von einem
Dunkel, das sie innerhalb der Malerei des späteren 19. Jahrhunderts un-
vergleichlich macht. Marées stellt sich mit diesem Dunkel in entschie-
denen Gegensatz zur impressionistischen Farblichtmalerei, unterzieht
das Helldunkel der neuzeitlichen Malerei jedoch einer tiefgreifenden
Verwandlung. Das Dunkel erscheint in seinen Bildern materiell ver-
dichtet, schwer, zugleich von unergründlicherTiefe. Nirgends steht es in
Opposition zu einem Lichtpol, vielmehr ist es den Farben inkorporiert,
ist Bestandteil einer die Gemälde Marées’ bestimmenden Tieffarbigkeit,
die sich stellenweise aber zur Lichthöhe erhebt. Farben sind licht- und
dunkelhaltig, Licht und Dunkel sind farbig. Karl von Pidoll überlieferte
uns Aussagen Hans von Marées’ über Farbe, Licht und Dunkel: „Farbe
ist Licht. Wo Farbe ist, ist also Licht, ein Farbiges niemals finster, son-
dern nur eine Abstufung zur Dunkelheit, ein Ton. Töne bringen in der
malerischen Darstellung die plastische Form, die Illusion des Raumes
zustande. In der Natur ist alles farbig. Auch die tiefsten Schatten sind
coloriert. Also ist überall Licht. Demnach muß die Darstellung ihre ab-
soluten Dunkelheiten für kleinste, zeichnerisch verwendete Portionen
sparen. Jede satte Farbe hat schattigen Charakter. Also ist das offene
Licht der Natur immer Helldunkel ... Im Helldunkel ist Gelb höchstes
Licht und Grün allemaldunkel.. ,“ 201 Farbeist „Licht“, hat andererseits
„schattigen Charakter“, die Schatten sind farbig: Marées war sich seiner
farbigen Interpretation des Helldunkels bewußt.
202 Julius Meier-Graefe, Hans von Marées, Sein Leben und sein Werk,
Dritter Band: Briefe und Dokumente, München und Leipzig 1910,132.
203 FA: Steingräber, Neue Pinakothek, Umschlag. - Uta Gerlach-Laxner,
Hans von Marées, Katalog seiner Gemälde, München 1980, Taf. XVI.
Deutsche Malerei 343
204 Karl von Pidoll, Aus der Werkstatt eines Künstlers, 57/58.
205 Siegfried Wichmann, Realismus und Impressionismus in Deutschland,
Bemerkungen zur Freilichtmalerei des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts,
Stuttgart 1964, 8.
206 Zur Farbe bei Liebermann vgl. Rudolf Kuhn, Die Farbenfolge in Bild-
kompositionen des jungen Liebermann. In: Alte und moderne Kunst, 27. Jg.
Heft 193,1982,1-6. - Matthias Bunge, Studien zur Farbe bei Max Liebermann,
Diss. Saarbriicken 1987.
207 FA: Katalog Max Liebermann in seiner Zeit. Nationalgalerie Berlin,
Bayerische Staatsgemäldesammlungen München 1979/1980, 267.
344 Malerei des 19. Jahrhunderts
einpassen des Motivs auf die gegebene Tafel)“ und das „Augenblinzeln
(Verfolgen der Licht- und Schattenformen)“, begriindet mithin die
kiinstlerische Raumbildung und das Bildlicht rein naturalistisch. Den-
noch zitiert Corinth wenige Zeilen später zustimmend: .. die Kunst
hat es nicht wie die Wissenschaft bloß mit der Vernunft zu tun, sondern
mit dem innersten Wesen des Menschen .. ,“ 213 In solcher Spannung
steht auch das Bild Corinths: es stellt nicht nur den „Neuen See“ im Ber-
liner Tiergarten bei Dämmerlicht dar, sondern in eins damit die
Schwere, die leidenschaftliche Intensität und Nervosität, den Abgrund
im Künstler selbst.
Die Malerei des 20. Jahrhunderts verleiht der Farbe eine vordem un-
bekannte Selbständigkeit. 1 Als „konstruktive“ Farbe übernimmt sie seit
Delaunay auch die Aufgaben aller übrigen Bildmittel. In der ,,ab-
strakten“ und „konkreten“ Malerei befreit sie sich von jeder Art von
Gegenstandsdarstellung, ja, ein Weg zur abstrakten Malerei führt, bei
Kandinsky, über den von aller Gegenstandsschilderung entbundenen
Farbklang. In einer zweiten Phase dieser Absolutsetzung der Farbe er-
fährt sie mit der amerikanischen Farbfeldmalerei als entgrenzter Farb-
grund eine neue Mächtigkeit und Autonomie auch im Verhältnis zu den
anderen Bildmitteln. Gleichzeitig löst sich mit der auf Buntfarbigkeit
verzichtenden Malerei von „Zero“ und verwandten Richtungen im Weiß
auch das Bildlicht von aller Funktionalität, nicht nur im Hinblick auf
Bildgegenstände, sondern auch gegenüber der Bildfarbe selbst. Bis zu
dieser Phase, bis zur Zeit um 1960 führt die Darstellung.
Nicht in ihrem gesamten Umfang kann die Malerei bis 1960 hier be-
handelt werden, nur in einer Auswahl hinsichtlich der Bedeutung, die
der Farbe in der künstlerischen Arbeit zukommt. So wird hier von Max
Beckmann nicht gesprochen, auch nicht von den Surrealisten, wenn-
gleich jedem dieser Künstler auch seine besondere Farbgestaltung eigen
ist und das Bildlicht in der „Pittura metafisica“ und im Surrealismus eine
neue Dimension des Ausdrucks gewinnt. 2
Wie im Kapitel zur Malerei des 19. Jahrhunderts werden auch hier
Farbgestaltung und Farbenlehre nach ihrem Zusammenhang im
Schaffen der einzelnen Künstler erörtert.
Anmerkungen zur Farbe bei Matisse. In: Henri Matisse. Das Goldene Zeitalter.
Ausst.-Kat. Kunsthalle Bielefeld 1981, 49-64. - Verf., Arabeske und Farbe als
Gestaltungselemente bei Matisse. In: Florilegium Artis. Beitrâge zu Kunstwis-
senschaft und Denkmalpflege. Festschrift für Wolfgang Götz anläßlich seines
60. Geburtstages. Hrsg. von Michael Berens, Claudia Maas und Franz Ronig,
Saarbrücken 1984, 28-34. -FA: Jacques Lassaigne, Matisse. Genf (Skira) 1959.
- Isabelle Monod-Fontaine, Matisse. Collection du Musée National d’Art Mo-
derne, Centre Georges Pompidou, Paris 1979. - Henri Matisse, Ausstellungs-
katalog Kunsthaus Zürich - Stâdtische Kunsthalle Düsseldorf 1982/83.
348 Malerei des 20. Jahrhunderts
4 Entretien avec Tériade. Zitiert nach: Henri Matisse, Écrits et propos sur
l’art. Texte, notes et index établis par Dominique Fourcade. Nouv. èd. Paris
1972, 93-96. - Die meisten dieser Texte dt. in: Henri Matisse, Farbe und
Gleichnis, Gesammelte Schriften, hrsg. von Peter Schifferli, übertragen von
Sonja Marjasch, Zürich 1955, zitiert nach der Ausgabe Frankfurt a.M., Ham-
burg 1960 (Fischer-Bücherei), hier 43/44. Zur Farbtheorie von Matisse vgl.
Walter Hess, Das Problem der Farbe ..., 70-74. - Klaus Schrenk, Genauigkeit
ist nicht Wahrheit. Ausführungen zur Farbtheorie von Henri Matisse. In: Henri
Matisse, Ausst. Katalog Zürich-Düsseldorf 1982/83, 20-25.
Malerei des 20. Jahrhunderts 349
5 Matisse, Notes d’un peintre. Zitiert nach: Écrits et propos sur l’art, 42-45;
Farbe und Gleichnis, 13.
6 Vgl. Écrits et propos sur l’art, 62/63; Farbe und Gleichnis, 39.
350 Malerei des 20. Jahrhunderts
driicken. Eine neue Farbkombination wird der ersten folgen und die Ge-
samtheit meiner Vorstellungen wiedergeben. Ich bin genötigt, umzu-
setzen, und aus diesem Grund meint man, daß mein Bild vollständig ver-
ändert ist, wenn nach einer Reihe von Veränderungen das Rot darin als
Dominante das Grün ersetzt hat. Es ist mir nicht möglich, die Natur skla-
visch abzubilden; ich bin gezwungen, sie zu interpretieren, und dem
Geist des Bildes unterzuordnen. Wenn alle meine Beziehungen der Far-
bentöne gefunden sind, so muß sich daraus ein lebendiger Akkord von
Farben ergeben, eine Harmonie analog der einer musikalischen Kompo-
sition .. ,“ 8
Jede Farbe soll im Akkord ihre Selbständigkeit, ihre „valeur“ be-
halten, auch wenn die ganze „combinaison de couleurs“ dariiber sich
wandelt. Ein Beispiel für die hier beschriebene Veränderung der far-
bigen Dominante ist das Bild >Le Desserte - Harmonie rouge<, in der
Eremitage zu Leningrad, das Matisse 1908 zunächst auf der Grundlage
eines dominanten Blaus malt und im „Salon dAutomne“ ausstellt, we-
nige Monate später aber überarbeitet und als >Harmonie rouge< in die
Sammlung Stschoukine zuriickgibt. 9
Bei der Wahl, Verteilung und Veränderung der Farben folgt Matisse al-
lein seinen Empfindungen, seinem „Instinkt“: «La tendance dominante
de la couleur doit être de servir le mieux possible l’expression. Je pose
mes tons sans parti pris. Si au premier abord, et peut-être sans que j’en
aie eu conscience, un ton m’a séduit ou arrêté, je m’apercevrai le plus
souvent, une fois mon tableau fini, que j’ai respecté ce ton, alors que j’ai
progressivement modifié et transformé tous les autres. Le côté expressif
des couleurs s’impose à moi de façon purement instinctive ...»
Matisse lehnt eine wissenschaftliche Farbtheorie ab und distanziert
sich dabei ausdrücklich von Signac, bezweifelt auch die prinzipielle Gül-
tigkeit der Komplementärfarbentheorie: «Le choix de mes couleurs ne
repose sur aucune théorie scientifique: il est basé sur l’observation, sur le
sentiment, sur l’expérience de ma sensibilité ... En réalité, j’estime que
la théorie même des complémentaires n’est pas absolue.» „Wenn man
die Bilder der Maler studiert, deren Kenntnis der Farbenverwendung
auf Instinkt und Gefühl, auf ständiger Analogie ihrer Empfindungen be-
ruht, so könnte man in gewissen Punkten die Gesetze der Farbe präzi-
sieren und die Grenzen der Farbentheorie, so wie sie jetzt angenommen
wird, erweitern.“ 10
8 Écrits et propos sur 1’art, 46/47; Farbe und Gleichnis, 20, 21.
9 Vgl. Jean Guichard-Meili, Henri Matisse, Sein Werk und seine Welt, dt.
Köln 1968, 55, 60. - Lawrence Gowing, Matisse, London 1979, 108.
10 Écrits et propos sur l’art, 48/49; Farbe und Gleichnis, 22, 23.
352 Malerei des 20. Jahrhunderts
Matisses Skepsis gegen alle Farbtheorie findet sich gesteigert bei den
„fauvistischen“ Malern wieder, bei Maurice de Vlaminck, Georges
Rouault, André Derain. 11 Bei Matisse erlaubt sie die größte Freiheit im
Umgang mit der Farbe.
Neben die Bilder, bei denen mehrere Farben in einem freien Gleichge-
wicht sich stützen (für die zwanziger Jahre seien genannt die >Odaliske<
von 1921 und die >Figure décorative sur fond ornamentaU von 1925/26,
beide Musée d’Art Moderne, Paris) treten von einer einzigen Grund-
farbe bestimmte. So erfüllt bei >L’atelier rouge< (1911, New York, Mu-
seum of Modern Art) das Rot als gleichmäßig dichtes Medium den
Raum, faßt - dies ist ein neues Gestaltungsphänomen - in einem Farbton
Wände, Fußboden und alle Dinge zusammen: Tische, Stuhl, Uhr, Kom-
mode, Sockel. Nur die Kunstwerke, die Bilder, Statuetten, Dosen,
Teller, wie auch die Vase und die Zweige darin, dürfen ihre Eigenfarbe
behalten. Die Linie zieht sich auf die bloße Aussparung von Konturen
zuriick.
Auch diese mit Farbdominanten arbeitende Gestaltungsweise führt
Matisse bis in sein Spätwerk fort, Beispiele sind das >Grand intérieur
rouge< von 1948 im Pariser Musée National d’Art Moderne oder das >ln-
térieur rouge< von 1947 der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Düs-
seldorf, hier allerdings mit kräftigen Akzenten von Blau und Gelb.
Zu den Buntfarben tritt gleichberechtigt Schwarz, so schon beim
Porte-fenêtre à Collioure< von 1914 (Privatbesitz) mit seiner mächtigen
breiten Schwarzbahn, bei >La Peintre dans son atelier< von 1917 (Paris,
Musée National d’Art Moderne), ebenfalls in mittlerer vertikaler Zone,
oder bei der >Liseuse surfond noir< von 1939 desselben Museums, hier
gleichsam den inneren Raum der ins Lesen Versunkenen konstituierend.
Uber das Schwarz schreibt Matisse 1946: «Le noir est une couleur.
L’emploi du noir comme couleur au même titre qu les autres couleurs:
jaune, bleu ou rouge, n’est pas chose nouvelle» -und Matisse erinnert an
orientalische Kunst, an japanische Holzschnitte - und an Manet. In
seine Nachfolge stellt er sich ein. In einem anderen Zusammenhang be-
merkt Matisse, er habe begonnen, «d’utiliser le noir pur comme une cou-
leur de lumière et non comme une couleur d’obscurité» 12. Schwarz kann
ihm Lichtfarbe sein, weil er dieser Farbe die gleiche „Ausbreitungs-
kraft“ gewährt wie allen anderen Farben - und auch seinen Linien.
Für Matisse ist Farbe Substanz. In seinen «Papiers découpés» ist sie
ihm Materie, die er wie ein Bildhauer bearbeiten kann: «Découper à vif
dans la couleur me rappelle la taille directe des sculpteurs», schreibt
Bei Matisse wie bei den deutschen Expressionisten steht der Aus-
druckswert der Farbe im Mittelpunkt künstlerischer Gestaltung. Doch
bedeutet „Ausdruck“, „expression“ hier jeweils etwas anderes.
Matisse schreibt 1908, in den >Notes d’un peintrec „Was ich vor allem
zu erreichen suche, ist der Ausdruck ... Der Ausdruck steckt fiir mich
nicht etwa in der Leidenschaft, die auf einem Gesicht losbricht, oder die
sich durch eine heftige Bewegung kundgibt. Er ist vielmehr in der
ganzen Anordnung meines Bildes: der Raum, den die Körper ein-
nehmen, die leeren Partien um sie, die Proportionen: dies alles hat
seinenTeil daran .. .“ 14
Für Ernst Ludwig Kirchner 15 (1880-1938) als dem ersten Repräsen-
tanten der Dresdner Künstlergemeinschaft „Brücke“ 16 ist eine solch ge-
lassene Auffassung von „Ausdruck“ nicht möglich. In einer unter
seinem Pseudonym „Louis de Marsalle“ 1921 veröffentlichten Bespre-
chung >Über die Schweizer Arbeiten von E. L. Kirchner< heißt es: ,,Da
diese Bilder mit Blut und Nerven geschaffen sind und nicht mit dem kalt
wägenden Verstande, sprechen sie unmittelbar und suggestiv. Sie ma-
chen den Eindruck, als habe der Künstler viele Gestaltungen eines Er-
lebnisses übereinander geschichtet. Bei aller Ruhe ist ein heißes, leiden-
schaftliches Ringen um die Dinge fiihlbar .. ,“ 17 Der Selbstausdruck,
das Erlebnis des Künstlers stehen hier im Vordergrund.
In den Spätsommer 1908 fallen die ersten nachweisbaren Begeg-
nungen Kirchners mit Werken der französischen „Fauves“ auf Ausstel-
lungen in Berlin und Dresden. Sein >Mädchenakt auf blühender Wiese<
(Slg. Buchheim) entstammt diesem Jahre. Er ist Bildern von Henri Ma-
tisse aus dem Jahre 1907 nahe, so dessem >BlauenAkt< (Baltimore, Mu-
seum of Art). Die strengere Formenfügung, der kiihnere Farbenklang
finden sich im Werk Matisses. Aus entschiedenen Richtungskontrasten,
häufig konturiert mit prägnanten Kurvenbögen, formt sich der Leib des
Mädchens hier, das kiihlhelle Inkarnat modelliert mit blauen Schatten
und eingebettet in einen blauen, gegenständlich kaum faßbaren Grund,
den wiederum eine Griinzone - Wandbehang oder Wiese? - hinterlegt.
Formal wie farbig - mit Griin - und inkarnatdarstellenden Orangegelb-
lich-Tönen bleibt Kirchner hier - und dies gilt fiir sein ganzes Schaffen -
enger dem zufälligen Erscheinungsbild verbunden.
Ein homogener Farbgrund findet sich häufig bei Matisse - es wurde
schon darauf hingewiesen -, bisweilen auch bei Kirchner. Aufschlußreich
ist die andersartige räumliche Interpretation eines solchen Farbgrundes.
In Matisses Stilleben >Fleurs et Céramique< von 1912 im Frankfurter
Städel bezeichnet das Blau verschiedene Raumzonen: eine horizontal
verlaufende Zone, etwa die einer Tischfläche, auf der der Blumentopf
steht, möglicherweise eine seitlich links begrenzende und eine vertikal
aufgerichtete Wandzone rechts. Das Blau aber faßt diese verschiedenen
Raumgegebenheiten in eine schwebende Flächeneinheit zusammen.
Auch in Kirchners Bild >Frau vor dem SpiegeU von 1913 (1920 gering-
fügig überarbeitet; Paris, Musée National d’Art Moderne) möchte sich
das zugleich milde und sonore Blau der Wand, des Toilette-Tisches und
des Spiegels in eine Fläche sammeln - ist doch flächige Ausbreitung einer
homogenen Farbe natürlich. Dies gelingt dem Blau hier aber nicht, allzu
heftig stößt der Toilette-Tisch nach vorne, kippt der Spiegel zur Seite.
Mit dunklen Schattenzonen greift diese Raumbewegung auch in die
Homogenität des Blaus ein. So wird die verzogene Körperperspektive
zu einem die Ausdruckswerte der Farben bisweilen noch übertönenden
expressiven Bildmittel.
Auch Kirchners 1913 gemaltes Bild >Erich Heckel und Otto Mueller
beim Schach< (Briicke-Museum, Berlin) ist noch vom Widerspruch zwi-
schen Raum- und Farbgestaltung bestimmt. Alle Farben, mit Ausnahme
des Zitrongelbs der Lampe in der Mittelachse, erscheinen als gebrochene
Werte. Rotbraun und graugetöntes Blau bilden den tragenden Farbak-
kord, der lichtere Rosa-Ton des Aktes, die Gelblichtöne imTeppich ent-
falten sich als Variationen von Rotbraun, wie das gmnliche Dunkelgrau
der Raumecke rechts oben sich noch als Abwandlung des Graublaus ver-
stehen läßt. Die einfache Farbordnung derTrias der Primärfarben ist das
Richtmaß dieses engen Akkordes von Rotbraun und Graublau, disso-
nant ergänzt durch das kühle, helle Gelb. Wie aber verhält sich dieser
insgesamt ruhige Farbklang zur wilddynamischen Formanlage, zur hoch-
Malerei des 20. Jahrhunderts 355
18 Grisebach, Kirchners Davoser Tagebuch, 86. - Vgl. dazu auch Hess, Pro-
blem der Farbe, 114/115.
Malerei des 20. Jahrhunderts 357
Auch Erich Heckel 19 (1883-1970) setzt ein mit der Rezeption eines ex-
pressiv, van goghisch auflodernden Neoimpressionismus, in Werken wie
der >Ziegelei< von 1907 und mit Bildern, die den tiefen Eindruck be-
zeugen, den die Malerei Edvard Munchs ausübte. Im >Dorftanz< von
1908 werden, vergleichbar Munchschen Bildern, Tiefenzüge aufge-
fangen in nahezu homogen sich ausbreitenden Farbflächen, diese be-
grenzt durch schwingende Körper- und Raumkurven, zugleich in ihrer
Buntkraft gesteigert.
Deutlicher kommt Fleckels Eigenart schon in Werken von 1909 zur
Geltung, etwa im Aquarell >Am Tiber< (Brücke-Museum, Berlin), das
jedoch auch noch aus den Möglichkeiten eines vereinfachten Neoim-
pressionismus lebt.
Im Gemälde >Häuser am Schonergrund bei Dresden< aus demselben
Jahr (Moderne Galerie des Saarland-Museums Saarbriicken) aber ist
alle impressionistische Leichtigkeit ausgeschieden. Die Grundfarben
Gelb, Rot und Blau verbinden sich mit Grün, das in großer Ausbreitung
gegeben ist. In schneller Bewegung umfährt der Zaun des Vordergrunds
ein Wiesenrechteck und trennt vom Betrachter zwei Häuser und eine
Baumgruppe im Mittelgrund. Das linke Haus, hell aufstrahlend in
seinem Gelb, läßt die Körperform noch mitschwingen, das mittlere
bleibt in seiner Farbform homogen, seine ockerbraunen Mauern, sein
ziegelrotes Dach sind von körperlicher Bindung befreit. Eigene farb-
räumliche Möglichkeiten eröffnen sich damit - wie auch im Dunkelgriin
der Baumreihe und dem in eine unmeßbare Farbtiefe weisenden Blau
des Himmels.
Die laute Kühnheit des >Schlafenden Pechstein< (1910, Slg. Buchheim)
wird 1913 von milderen Farbklängen abgelöst. Der >Ziegelbäcker< dieses
Jahres (Briicke-Museum, Berlin) ist farbig aus dem Kontrast von Ocker-
gelb und Blau aufgebaut. Griin als mögliche Mischung dieser Farben ist
der Grenze ihrer Bereiche vorbehalten. Der Arbeiter ist ganz in seinTun
vertieft und farbig der Landschaft zugeordnet, die, lehmfarben, als Ort
seiner Arbeit charakterisiert ist. Farbiger Ausdruck steht hier ganz im
Dienste des Thematischen. (Innerhalb der Künstlergruppe „Brücke“
war Heckel am meisten zur Hingabe an die Bildgehalte fähig.)
Der >Gläserne Tag<, ebenfalls 1913 entstanden (München, Staats-
galerie Moderne Kunst) aber öffnet nun einen Raum unmeßbarer Weite,
einen Raum, der in seiner kristallhaften Fügung Verweisung ins Unbe-
grenzbare mit stereometrischer Form verbinden kann, weil er - wie der
Kristall - lichthafte Strahlung mit strenger Körperform vereint. Unver-
kennbar ist die Aufnahme kubistischer Gestaltungsmöglichkeiten: in
hende Sonne. In diesem sich neigenden Licht aber strahlen die Farben,
in der Macht ihrer Buntheit, ihr eigenes Licht aus, wie sich auch die
Schattenzüge zum autonomen Dunkelraum vertiefen. Das Thema des
„Vorfrühlings“ wird nicht als Schilderung der natürlichen Licht- und
Farbsituation dargestellt - dazu wären die Farben zu gesättigt, die far-
bigen Licht- und Dunkelkontraste zu groß -, sondern verborgener,
durch die Rhythmik des Bildes: Vier Bäume, stellenweise hinterlegt von
zartem Grün - einzig hier kommt etwas vom Charakter eines „Vorfrüh-
lings “ farbig zur Anschauung - führen von links in dieTiefe und zur Bild-
mitte und neigen sich langsam und stetig der mittleren Bildachse zu. Zö-
gernd und in ihren Richtungsbahnen gebrochen nehmen die rechten
Bäume diese Bewegung im Gegensinne auf. Der der Bildmitte benach-
barte Baum scheint sie in der Schattenbahn zum vorderen linken Baum
zuriickzusenden - und so entsteht ein Kreisen, eine Differenzierung in
Anhebung, Verzögerung und zügiger kraftvoller Steigerung, die als
rhythmische Gestalt des wieder ansteigenden Jahreskreislaufs ver-
standen werden mag.
In der >Urwaldlandschaft< von 1919 (Moderne Galerie Saarbriicken)
lassen die Bäume Zwischenräume frei, die den Farbraum in seiner Abso-
lutheit zur Geltung bringen. Wie in Flammen aufloderndes Grün, über
Hellgrün zu Gelbgrün geführt, bestimmt die linke Zwischenraum-Ar-
kade, Grüngelb, wie ein Pfeil nach unten stoßend, Orangebraun und
Hellgrün die rechte. In diesen Farbräumen verliert sich der Blick, er
findet kein Ziel mehr. Auch in den Baumgruppen ist alles getan, die
räumliche und körperliche Eindeutigkeit aufzulösen. Die Sonne, mit
braunroten Zacken um einen kaltweißen, kaltblau umrandeten Kreis
zeichenhaft vergegenwärtigt, kann keine Wärme, kein Leben spenden.
Das Brennende, Schwüle ist Charakter der Farben selbst. Ausweglosig-
keit und optische Verstörung erscheinen hier als Inbegriff einer „Ur-
waldlandschaft“.
Bei Schmidt-Rottluff sei auch an die Licht-Dunkel-Mächtigkeit der
„Brücke“-Holzschnitte erinnert. In den entschiedenen Gegensätzen der
weißen und der schwarzen Holzschnittpartien verbildlicht sich der ele-
mentare Gegensatz des Lichtes und des Dunkels: das Weiß bricht licht-
haft aus, das Schwarz läßt den Blick versinken, hüllt ihn ein. Es hat An-
teil an den Wesenszügen eines „schwarzen Raumes“, der den Menschen
erfüllen, ihn durchdringen kann. 21
Im Holzschnitt >Villa mit Turm< von 1911 sind Himmel und Erdzone
gleichermaßen lichterfüllt und behaupten sich gegen eine umgrenzende
Schwärze. - Auf seinem Holzschnitt >Die Sonne< von 1914 ist die Licht-
spenderin, von den Frauen feierlich begrüßt, lichthaft und dunkel, weiß
und schwarz zugleich.
Christus in >Petri Fischzug< von 1918 ist nicht der Lichtbringer, son-
dern eingehüllt in seine eigene Dunkelheit wie in sein eigenes Licht. Mit
einer weißen und einer schwarzen Pupille blicken Christi Augen im
>Gang nach Emmaus< aus derselben ,,Kristus“-Folge.
Auch beim >Kopf< von 1919 strahlt ein schwarzes Auge weißes Licht
aus; glimmend zwischen Weiß und Schwarz, zwischen Ausstrahlung und
Zurückwendung zu sich selbst, verharrt dagegen der Blick des >Heiligen
Franziskus< im Holzschnitt desselben Jahres.
Schon ein Bild wie das 1910/11 entstandene große Leimfarben-Ge-
mälde >Das Urteil des Paris< (Nationalgalerie Berlin) zeigt alle Besonder-
heiten der Kunst Otto Muellers (1874-1930): In gedämpfter Helle, mit
den zarten Farben atmosphärischer Ferne, ganz lichten Brauntönen
in den Inkarnaten, hellem, grautonigem Grün in der Wiese mit bläu-
lichem Schimmer bei den rückwärtigen Hügelkuppen und weißgrauem
Himmel, erscheinen große Figuren in einer Landschaft. Trotz solcher
farbigen Ferne ragen die Figuren nah und schlank vor uns auf, nicht ein-
ander zugewandt, sondern nur mit sich selbst, mit ihrer eigenen Leiblich-
keit befaßt. Die überfigürliche Bildeinheit griindet in der Farbe. Eine
einheitliche, zugleich körperhafte und lockere Farbmaterie, die Erschei-
nungsweise der von Otto Mueller erfundenen Leimfarbe, läßt Men-
schen, Erd- und Himmelszone aus sich erstehen.
Auch die Landschaften werden in eine unbestimmbare Ferne versetzt.
Auf dem in farbigen Kreiden und Aquarell um 1915 geschaffenen Blatt
>Häuser mit Ofen und Schwein< (Bmcke-Museum, Berlin) schweben die
Häuser über graubläulich-braunem Farbnebel, gehalten nur von balken-
artigen Blaukonturen, die die Darstellung rhythmisieren: dem in breiten
Stücken gefügten Formenaufstieg links antwortet rechts der zarte Aus-
klang. Nur leise aber umspielt diese Bildbewegung das leere, offene
Weiß der Häuser.
Gefestigter erscheint der Bildbau im Gemälde >Russisches Haus< von
1921 (Moderne Galerie, Saarbrücken). Nun ist ein Dämmerungsraum
Ort der Darstellung. Vor Schwarzgrau schwebt, von Schwarzgrau durch-
setzt, Olivgrünlich, das einen Rosaton des Grundes durchscheinen läßt.
In Schwarzgrau ist auch das Innere des Hauses gehalten, daraus sche-
menhaft ausgespart die Figuren. Magisch dagegen strahlt ein Zitrongelb
in den Sonnenblumen auf, wiederholt im Sonnensymbol des Giebels
über dem Dach der Haustüre. Hier bricht ein geheimes Leuchten aus,
Malerei des 20. Jahrhunderts 361
das hinter den dunklen Farbschleiern glimmt. - Die der Kunst Otto
Muellers eigene Entwicklung wird so vornehmlich von der Farbe gelei-
stet.
Beim Bild >Zigeuner mit Sonnenblume< von 1927 (Moderne Galerie
Saarbriicken) ist alles Dargestellte wie aus Farbschleiern gewebt. Vom
grünbläulichen kühlen Weißlichton der Bodenzone, in den der Blick ver-
sinkt, erscheint die blaßrosa Figur des stehenden Zigeuners wiederum
wie ausgespart, dank des hier aufgelockerten Farbauftrags. Wie ausge-
spart aus dem Boden kann aber auch das Pferd in seiner lilagrauen Däm-
merungsfarbe wirken. Der materielle Malgrund ist weißlich getönt, noch
tiefer scheinen die Graublauzonen und ganz ferne die grün- und grau-
bräunlichen Inkarnate der Menschen zu liegen. Ganz nach vorne stößt
das kalte Gelb in den Sonnenblumen und in Bluse und Kopftuch der
Zigeunerin. In solcher Freiheit farbräumlichen Schwingens wird die
Festigkeit eines Ortes aufgelöst. Der Blick taucht ein in die räumliche
Rhythmik farbiger, leuchtender, wolken- oder nebelartiger Schwaden,
und nur schwer löst sich der Betrachter aus ihrer Bezauberung.
Auch von Emil Nolde (1867-1956) gibt es keine „Farbenlehre“, doch
enthalten seine autobiographischen Bücher, besonders der erste und
zweite Band: >Das eigene Leben< und >Jahre der Kämpfe< wichtige
Äußerungen zu Noldes Auffassung von Künstlertum und Farbgestal-
tung 22:
„Das Künstlersein ist ein triebhaftes Ringen mit Gott und der Natur,
es ist ein Kampf in Lust und Leidenschaft mit der Materie, mit den Men-
schen und mit seiner selbst, daß er sich nicht verliere oder verbrenne,
denn tiefst in ihm brodelt es wie die Glut inmitten unserer Erde“ 23,
dieses Bekenntnis zum „Kampf in Lust und Leidenschaft“ wird ergänzt
durch Noldes Hochschätzung des „passiven Künstlertums“: „Das pas-
sive Künstlertum ist dem Maler unendlich schwer erreichbar. Es ist der
Moment, wo im Dunklen der Funken zu glühen beginnt - zum lo-
dernden Feuer sich entwickelt, wenn alle Vörbedingungen glücklich
sind. Sind sie es nicht, erlöscht allerTraum und Zauber“ lautet eine Auf-
zeichnung Noldes vom 25.8.42. 24
Diesem so begriffenen Künstlertum entspricht eine das Naturhafte ak-
zentuierende Erfahrung und Gestaltung des Farbigen: „Zuweilen auch
malte ich in frierenden Abendstunden und sah es gern, wenn auf dem
und Warm der Farben den Kiinstler bewegten, bewegten ihn neben der
Darstellung der seelisch-religiösen Menschencharaktere, schwere in-
nere, religiöse Grübeleien, die so verzweifelnd sein können, fast zum Irr-
sinn führend .. .“ 27
Immer aber sind diese Ausdrucksdimensionen nur aus dem eigenen
Charakter, der eigenen „Seele“ der Farben zu entfalten: „Gelb kann
Glück malen und auch Schmerz. Es gibt Feuerrot, Blutrot und Ro-
senrot. Es gibt Silberblau, Himmelblau und Gewitterblau. Jede Farbe
birgt in sich ihre Seele, mich beglückend oder abstoßend und anregend. “
(>Worte am Rande<, 30.12.42) 28
Nicht zufällig ist es ein Aquarell, mit dem Nolde 1894 schon seinem
reifen Stil nahekommt. Nolde schreibt dazu: „Ein bescheidenes kleines
Aquarell mit schwül zwischen Wolken aufgehender Sonne hatte ich
hingemalt. Es stand lange auf meinem Schreibtisch, ich habe es wohl
tausendemal angeschaut. Es schien mir richtunggebend, weil es mich
so freute. Aber kein weiteres Bild dieser Art wollte mir wieder gelin-
gen .. ,“ 29
In derTat muß Nolde noch einen weiten Weg zurücklegen. Über Stu-
dien in toniger Gebundenheit („experimentierend hatte ich Bilder im
grauesten Grau gemalt, wo Himmel und Wasser ineinander zusammen-
gehen .. ,“ 30) kommt er zu einem frischen Impressionismus (>Friihling
im Zimmer<, 1904, Nolde-Stiftung Seebüll) und über Farbverdichtungen
wie in >Anna Wieds Garten“ von 1907 (Privatslg.) zu den farbstrahlenden
Werken der Jahre ab 1910 (z.B. >Christus und die Kinder<, 1910, New
York, Museum of Modern Art, >Das Leben Christu, 1911/12, Seebüll,
das Triptychon >Maria Ägyptiaca<, 1912, Kunsthalle Hamburg), die be-
stimmt sind durch intensivstes Gelb, Orange, Zinnoberrot gegen Griin,
Blau und Rosa gestellt, einige in Weiß gipfelnd.
Christel Denecke faßte als Quintessenz der Noldeschen Farbgestal-
tung zusammen: „Nolde faßt ... die Blumen nicht, wie Marc die Tiere,
als Persönlichkeiten mit verschiedenen Charakterzügen auf. Sondern er
sieht ihr Wesen durch eine einzige Eigenschaft bestimmt, die sich ihm
durch die natürliche Blütenfarbe mitteilt. Diese eine, durch die Blüten-
farbe gegebene Lebenskraft hat viele Möglichkeiten der Entfaltung im
Blühen. Die verschiedenen Stadien, das immer wieder neue und anders-
artige Verhältnis der Blüte zur Umgebung, gibt Nolde in seinen Bildern.
Die Rolle der Farbe in der kubistischen Malerei 32 ist nicht zu ver-
stehen ohne die durch den Kubismus vollzogene Neudefinition des Bild-
raums.
Sie wird von den beiden Begründern des Kubismus, Pablo Picasso
(1881-1973) und Geotges Braque (1882-1963) auf verschiedenen Wegen
erreicht.
„Die Farbe spielte keine große Rolle. Von der Farbe interessierte uns nur
das Licht. Licht und Raum sind zwei Dinge, die sich eng bemhren, und
wir fiihrten sie zusammen .. .“ 3S
Aber es ist andererseits der alte Farbklang von Grau und Braun, der
sich hier wiederum zur Geltung bringt, freilich in einer eigentümlich
schwebenden Erscheinungsweise. Da der kubistische Raum die Bild-
dinge nicht mehr umgibt, sondern außerhalb und innerhalb von ihnen
existiert, werden auch Begriffe wie „Außenseite“ und „Oberfläche“ von
Formen hinfällig und damit verwandelt sich auch die „Oberflächen-
farbe“ in eine „freie Farbe“ eigener Art, in der Bildraum und Bilddinge
miteinander kommunizieren - anders als im „klassischen“ Flelldunkel,
das sich in der Regel zwischen materieschildernden und raumhaft gewei-
teten Farben entfaltet.
Bei diesen schwebenden Licht- und Dunkelwirkungen aber bleibt es
nicht. Schon 1912 beginnen sich bei Picasso (vgl. etwa >Das ModelU,
Herbst 1912, New York, Slg. Walker) deutlich plane Lichtflächen inner-
halb des Helldunkels herauszubilden. Eine Struktur fest begrenzbarer,
wenn auch nicht durchgehend begrenzter Flächenstücke wird sichtbar,
eine Struktur aus «plans superposés», wobei der Begriff «superposé»
allerdings das Phänomen nicht erschöpft, denn die Pläne überlagern sich
nicht nur, sondern durchdringen sich auch und entziehen sich so einer
rationalen Erfassung.
Zugrunde liegt hier offensichtlich wiederum ein „skulpturaler“ Be-
griff von Fläche, und so ist es kein Zufall, daß gleichzeitig Picassos
Stilleben in Holzreliefs und als Konstruktionen in Pappe und bemaltem
Blech entstehen, in denen die Dimensionen Volumen und Raum ver-
tauschbar erscheinen, Außen- und Innenraum gleichzeitig sichtbar ge-
macht werden.
In der Malerei hält sich dies System als Organisationsform über 1914
hinaus. (Vgl. Picasso: >Mann mit Pfeife<, Sommer 1915, Chicago, Art In-
stitute; >Harlekin<, Ende 1915, NewYork, Museum of Modern Art, usf.)
Als Sonderform der «plans superposés» ist das «papier collé» zu ver-
stehen. Die Materialwirkung der aufgeklebten imitierenden Papiere
und Stoffe steuert assoziative Werte bei, die Randschärfe der ausge-
schnittenen Papiere übertrifft an Präzision die gemalten Linien und stei-
gert so die Bestimmtheit der Formkomposition.
Schließlich tritt mit der dadurch gewonnenen Flächigkeit die Bunt-
farbe wieder in ihre Rechte ein. Innerhalb der Gemälde mit «plans su-
35 Georges Braque, Mein Weg, 1954. In: Braque, Vom Geheimnis in der
Kunst, Gesammelte Schriften und von Dora Vallier aufgezeichnete Erinnerungen
und Gespräche, dt. von Sonja Bütler und Jean-Claude Berger, Zürich 1958, 17.
Malerei des 20. Jahrhunderts 369
perposés» ist Picassos >Gitarre< vom Herbst 1912, mit Graurosa- und
Malachitgrün-Zonen, ein frühes Beispiel, als «papier collé» sei Picassos
>Gitarre, Notenblatt und Weinglas<, ebenfalls vom Herbst 1912 (San An-
tonio, Texas), mit seinem blauen Grund, der stellenweise auch der Be-
grenzung des Gitarrenkörpers dient, genannt.
Braques erste «Papier-collé»-Komposition >Fruchtschale und Glas<
(Privatslg.) stammt vom September 1912, die Übertragung der aufge-
klebten holzimitierenden Papierstreifen in das Gemälde >Fruchtschale
und Spielkarten< (Frühjahr 1913, Paris, Musée National d’Art Moderne)
bedingt die gemalte Musterung der entsprechenden Farbzonen, damit
auch die Materialität der Farbe betonend.
Braque berichtet: „Die Farbe kam erst später. Der Raum mußte zu-
erst geschaffen werden ... Was den Lokalton anbetrifft: friiher zeichnete
man einen Gegenstand und damit hatte er auch bereits seine Farbe,
nicht wahr? Aber jetzt merkten wir plötzlich, daß die Farbe unabhängig
von der Form wirkt.. ,“ 36
Daraus wird deutlich, daß diese „Neugeburt“ der Buntfarbe keine
Weiterführung der fauvistischen Farbigkeit darstellt. Die Farbe ist viel-
mehr nun verabsolutiert, als „Farbform“ losgelöst von gegenstandser-
läuternder Funktion, die sie bei Matisse ja durchaus noch innehat. So
vollzieht sich ein wichtiger Schritt zur „Befreiung“ der Bildfarbe. Erst
jetzt wird sie als „konstruktives“ Element verstanden - innerhalb einer
noch immer gegenstandsthematisierenden Malerei.
Picasso aber führt sodann, in den vielfältigen Verwandlungen seiner
Kunst, die Farbe erneut gegenstandsbezeichnenden und expressen Wir-
kungen zu, Braque erkundet insbesondere die in der Materialität der
Farbe liegenden Möglichkeiten: „Ich habe mich von jeher viel mit dem
Stoff beschäftigt... ; in derTechnik liegt ebensoviel Empfindsamkeit wie
im übrigen Bild ... Ich nütze alle Unterschiede des Materials aus, und so
erhält die Farbe einen viel tieferen Sinn. Ich spiele auf den Unter-
schieden, und dadurch erreiche ich große Abwechslung. Mit einem
Lack, also etwas Durchsichtigem, und Gelberde, etwas Undurchsich-
tigem, kann man genausogut wie mit der Farbe einen Zusammenhang
herstellen, das heißt eine Begegnung der Gegensätze herbeiführen ..
So wird Farbe für Braque ein wichtiges Medium der „Metamorphose“,
dem zentralen Thema seiner späten Kunst: „Gegenstände sind fiir mich
nicht vorhanden, außer wenn zwischen ihnen und zwischen mir selbst
eine Übereinstimmung besteht ,..“ 37 Diese Übereinstimmung, diese
Harmonie wird sichtbar in den Verwandlungen der Dinge ineinander.
lität und ihre Intensität, das heißt, ob sie rot, griin oder blau ist, und in
welchem Grade sie es ist. Ein Blau bleibt ein Blau, gleichwohl ob es blaß
oder tiefer ist. Man unterscheidet die Farbe und ihrenTon. Dabei läßt
sich von vornherein eine ursprüngliche Analogie einerseits zwischen
dem Charakter einer Form und der in ihr enthaltenen Farbe wie anderer-
seits zwischen ihrer Ausdehnung und ihrem Farbton beobachten.“
Die damit angesprochenen Relationen zwischen Form und Farbe er-
läutert Gris - vielleicht in Kenntnis der Kandinskyschen Aufstellungen 39
- folgendermaßen: „Die Ausdehnung kann durch einen Farbton ersetzt
werden. Eine sehr starke Abweichung in den Farbtönen ändert den Cha-
rakter der Farbe. Nur kleinere Farbtonverschiedenheiten können ohne
Aufhebung des Farbcharakters den Ausdehnungsunterschied zwischen
zwei Formen ersetzen, wenn dieser Unterschied mäßig ist.
Ich kann mich noch so sehr anstrengen, das Viereck A sehr leuchtend
als Farbton zu gestalten, es wird niemals so groß erscheinen wie das Vier-
eck B, wenn der Ausdehnungsunterschied zwischen ihnen zu groß ist.
Dagegen wird das Viereck C größer erscheinen als das Viereck D, wenn
C leuchtender ist und beide gleich große Ausdehnung besitzen.
Eine andere Analogie, die sich hier unmittelbar anreihen läßt, ist die,
daß es einerseits leuchtendere oder expansivere und andererseits düste-
rere und konzentriertere Farben gibt. So sind auch bestimmte Formen
expansiver als andere. Geradlinige Formen sind konzentrierter als
krummlinige, die wiederum expansiver sind. Man kann sich keine ex-
pansivere Form als den Kreis und keine konzentriertere als das Dreieck
denken. Diese beiden Formen würden dem leuchtendsten und dem tief-
stenTon der Palette entsprechen.“
In einer „dritten Analogie“ unterscheidet Gris wärmere und kältere
Farben und ihnen entsprechend „mehr oder weniger kalte wie mehr
oder weniger warme Formen“. „Die Formen, welche sich geometri-
schen Figuren nähern, sind kälter als diejenigen, die sich von ihnen ent-
fernen. Launenhafte und komplizierte Formen sind ohne Frage
wärmer.“
Die „vierte Analogie“ unterscheidet und verbindet Farben und
Formen nach ihrer Dichte und ihrem Gewicht: “Die Erdfarben sind im
allgemeinen dichter und schwerer als andere Farben. Es gibt auch
Formen, die eine sehr stark markierte Schwergewichtsachse haben, und
andere Formen, bei denen diese nur sehr schwach markiert ist. Die sym-
metrischen Formen haben hinsichtlich ihrer Schwergewichtsachse mehr
Gewicht als die asymmetrischen und komplizierten Formen.“
„Eine fünfte Analogie wäre der mehr oder weniger hervortretende
40 Ernst Strauss, Über Juan Gris’ >Technique Picturale< (1966), In: Strauss,
Koloritgeschichtliche Untersuchungen, 185-205, insbes. 197-205. -FAvon Bil-
dern Gris’ z. B. im Katalog der Juan Gris-Ausstellung Dortmund, Museum am
Ostwall 1965 und im Katalog der Gris-Ausstellung Baden-Baden 1974.
Malerei des 20. Jahrhunderts 373
luten Farbe“ eine „zweite Ordnung“, „die er der zuerst geschaffenen ma-
thematisch-linearen integriert und doch gleichzeitig zu einem eigenen,
für sich auffaßbaren System ausbildet“, wobei fiir die Beziehungen des
formalen und des farbigen Systems die von Gris selbst formulierten
Regeln, „Analogien“, Anwendung finden können.
Für die Farbigkeit als eigenem, fiir sich auffaßbarem System ist cha-
rakteristisch, daß jedes Werk seinen „unverwechselbaren Klang“ hat,
„der auf einer Konstellation weniger, aber eigenwillig gewählter und ein-
deutig vorgetragener Farben beruht“, wobei jedoch die „klassische“
Triade der Grundfarben ausgespart bleibt. Zwar meidet Gris die Grund-
farben keineswegs - so auffallend auch seine Zuriickhaltung dem reinen
Rot gegenüber bleibt -, „aber wo er sie anwendet, pflegt er sie aus
ihrer ,Normallage‘ zu versetzen, ihre Buntheit zu schärfen, gleichsam
anzuspannen. Vor allem kombiniert er sie mit anderen, ungewöhnlichen
Buntwerten, die er zum Rang von Hauptfarben erhebt; als bezeich-
nendes Beispiel hierfür können Stilleben wie die >Blaue Gitarre< oder
>Les trois cartes< (1913, Kunstmuseum Bern) dienen, wo außer den unge-
brochenen Grundfarben namentlich scharfes Griin, Violett und Salmrot
den Farbeindruck bestimmen. Hierdurch ergibt sich eine der traditio-
nellen französischen Malerei durchaus fremde farbige Harmonik.“
Schwarz und Weiß werden von Gris zu neuer Bedeutung erhoben. Er
ordnet sie den Buntfarben „als qualitativ wie quantitativ völlig gleich-
berechtigte abstrakte Werte bei und macht sie zu ,Eckpfeilern‘ seiner
Skala. Ihre Verbindung erfolgt unmittelbar durch Stufen der warmen
wie (vorzugsweise) der kalten Graureihe, mittelbar durch Stufen aus
Buntfarben.“ (Ein Beispiel: >Frau mit Mandoline nach CoroL, 1916,
Kunstmuseum Basel.) Als „dritte Komponente“ neben den Buntfarben
und Schwarz und Weiß erscheinen die „Grau- und Erdfarbenwerte“, die,
wie erwähnt, von Picasso und Braque zwischen 1910 und 1912 ent-
schieden bevorzugt wurden, nun aber „verfestigt und unter ausdrück-
licher Hervorkehrung ihres Farbgehalts“ erscheinen: „anstelle des silb-
rigen, reich nuancierten Grau des Fmhkubismus tritt das fiir Gris so
charakteristische schwere kalte Eisengrau, anstelle der lichten oder ge-
trübten Erdtöne das artikulierte Braun in seiner warmen Ausprägung
(mit Helligkeitsstufen über Ocker nach Elfenbein hin) wie in seiner
kalten (nach Oliv und Olivgelb hin). Die Grau-Braun-Kombination
bleibt dann, auch bei Hinzutreten ausgesprochener Buntwerte (vor
allem des Griin in seinen kalten Mischformen) typisch fiir die Farbhal-
tung vieler Werke auch der späteren Jahre.“ (Zum Beispiel >Der Mann
aus der Touraine<, 1918, Musée National d’Art Moderne, Paris.)
Weiß und Schwarz kommt bei Gris aber nicht nur als Farben eine we-
sentliche Rolle zu, eine Schlüsselstellung nehmen sie als Repräsen-
374 Malerei des 20. Jahrhunderts
tanten des Lichtes ein. Mitihrer Hilfe gelingt es Gris, „Licht und Dunkel
selbst zu Formen“ zu verfestigen: „das reine Weiß wird ihm zur abso-
luten Farbform des Lichts, das reine Schwarz zur Farbform des Schat-
tens, des Dunkels überhaupt. Aber erst beide Farben zusammen ver-
mögen die von Gris beabsichtigte, absolute Lichtwirkung zu erzielen:
unmittelbar aufeinander bezogen, in gemeinsamer Aktion, übertreffen
sie an Energie der Wirkung jedes spezifische Farblicht.“ (Eindringliche
Beispiele besonders aus dem Jahre 1920: >Le sac de café<, Kunstmuseum
Basel; >Guitarre, pipe et feuilles de musique<, Eindhoven, Van-Abbe-
Museum.) Mit solcher Ausprägung des Weiß-Schwarz-Paares hat Gris
für die Darstellung des Hell-Dunkel-Kontrastes eine „Farbform (um
nicht zu sagen: Farbformel)“ gefunden.
Fernand Léger 41 (1881-1955) gestaltet auch die Farbe gemäß dem
seine ganze Kunst bestimmenden Kontrastprinzip. Bei der >Dame in
Blau< (1912, Basel, Kunstmuseum) ist die Farbe zwar vom gemeinten
Gegenstand gelöst, gehört aber als Buntheit ostentativ den scharf de-
finierten, gegeneinander kontrastierten, von Geraden und Kurven be-
grenzten Flächenstücken an, die sie scheibenhaft-plan ausfiillt. Diesen
Flächenstücken sind andere, von Linienwerk unterteilte, als „dahinter“-
liegend wirkende entgegengestellt, in denen sich die Farbigkeit auf ge-
brochene und monochrome Werte beschränkt.
Im Farbigen lassen sich dreierlei Kontraste unterscheiden, solche zwi-
schen Schwarz und Weiß, wobei einem reinen Schwarz ein teils dichtes,
alabasterhaftes, teils locker-flockiges Weiß (wie bei den Wolken in den
Stadtlandschaften) entgegengestellt ist; Kontraste zwischen Bunt und
Unbunt, schließlich solche zwischen den Buntfarben selbst, vor allem
zwischen Blau und Rot. Hinzu kommen kleinere Einsprengsel von
Turkis und Gelb.
Mit der zunehmenden Vergegenständlichung in den späteren Werken
trennen sich die den abstrakten Bezirken zugeordneten Buntfarben von
den auf die zylindrischen und kegelförmigen Dingzeichen konzen-
trierten getönten Grauwerten. Schwarz und Weiß aber bilden eine Ab-
straktes und Gegenstandsbezogenes übergreifende Organisation, wobei
Weiß stellenweise als zur Abstraktion transponiertes „Glanzlicht“
wirken kann. Das Harte, Metallische, Technische der Kunst Fernand
Légers findet darin sein farbiges Äquivalent.
Uhr. Bei der Parität des Gegenstandes wären wir verblieben, beim proji-
zierten Gegenstand ohne Tiefe. - In diesem Gegenstand lebt eine sehr
beengte Bewegung, eine simple Folge von Stärkegraden. Im besten Fall
kann man, bildlich gesprochen, zu einer Reihe aneinandergehängter
Wagen gelangen. - Architektur und Plastik miissen sich damit be-
gnügen. - Auch die gewaltigsten Gegenstände der Erde kommen iiber
diesen Mangel nicht hinweg, und wäre es auch der Eiffelturm oder der
Schienenstrang als Sinnbilder größter Höhe und Länge, wären es die
Weltstädte als Sinnbilder größter Flächenausdehnung. - Solange die
Kunst vom Gegenstand nicht loskommt, bleibt sie Beschreibung, Lite-
ratur, erniedrigt sie sich in der Verwendung mangelhafter Ausdrucks-
mittel, verdammt sie sich zur Sklaverei der Imitation. Und dies gilt auch
dann, wenn sie die Lichterscheinung eines Gegenstandes oder die Licht-
verhältnisse bei mehreren Gegenständen betont, ohne daß das Licht
sich dabei zur darstellerischen Selbständigkeit erhebt. - Die Natur ist
von einer in ihrer Vielfältigkeit nicht zu beengenden Rhythmik durch-
drungen. Die Kunst ahme ihr hierin nach, um sich zu gleicher Erhaben-
heit zu klären, sich zu Gesichten vielfachen Zusammenklangs zu er-
heben, eines Zusammenklangs von Farben, die sich teilen und in glei-
cher Aktion wieder zum Ganzen zusammenschließen.
Diese synchronische Aktion ist als eigentlicher und einziger Vorwurf
(sujet) der Malerei zu betrachten.“ 44
In den gleichzeitigen >Fensterbildern< verwirklicht Delaunay diese
seine kiinstlerische Vision erstmals in voller Reinheit. (Die folgende Be-
schreibung bezieht sich auf das in der Hamburger Kunsthalle befmdliche
Werk, andere Exemplare dieser Thematik befinden sich u. a. in der
Städtischen Galerie im Lenbachhaus, Miinchen, der Kunstsammlung
Nordrhein-Westfalen Diisseldorf, im Pariser Musée National dArt Mo-
derne.) Gegenständliches ist auf ein Minimum reduziert, auf die wie in
einer farbigen Luftspiegelung erscheinende Form des Eiffelturms und
zwei Fenster unter ihr. In Schrägen und Bögen gefaßte, von einer hori-
zontal-vertikalen Ordnung durchdrungene Farbwellen pflanzen sich
iiber den Bildrahmen hinweg fort. Die Wirkung eines von aller Naturhel-
ligkeit verschiedenen und diese doch einbegreifenden Lichts wird er-
reicht - nicht etwa durch vorzugsweise helle oder mit Weiß versetzte
44 In: Der Sturm, Wochenschrift fiir Kultur und Kiinste, 3, Nr. 144/145,
Januar 1913, 255-256. Zitiert nach: Robert Delaunay, Zur Malerei der reinen
Farbe, Schriften von 1912 bis 1940, hrsg. und iibersetzt von Hajo Diichting, Miin-
chen 1983, 127. Der Band enthält deutsche Übersetzungen der in: Robert
Delaunay, Du Cubisme à l’Art Abstrait, Paris 1957, enthaltenen Schriften Delau-
nays. - Klees Übersetzung abgedruckt auch in: Paul Klee, Schriften, Rezen-
sionen und Aufsätze, hrsg. von Christian Geelhaar, Köln 1976,116-117.
378 Malerei des 20. Jahrhunderts
45 Ernst Strauss, Robert Delaunay: Fenster zur Stadt (1912. Hamburg, Kunst-
Malerei des 20. Jahrhunderts 379
halle). In: Strauss, Koloritgeschichtliche Untersuchungen, 97, 98. Zit. 98. -Vgl.
auch: Johannes Langner, Zu den Fenster-Bildern von Robert Delaunay. In: Jahr-
buch der Hamburger Kunstsammlungen, Bd. 7,1962, 67-82.
46 Zitate aus Gustave Vriesen, Max Imdahl, Robert Delaunay - Licht und
Farbe, 26, 34, 60. - Dort auch FA.
380 Malerei des 20. Jahrhunderts
47 Vgl. dazu auch: Hans Joachim Albrecht, Farbe als Sprache, Robert De-
launay - Josef Albers - Richard Paul Lohse, Köln 1974, bes. 26-36. FA dort 97.
Malerei des 20. Jahrhunderts 381
52 Zitiert nach: August Macke - Franz Marc, Briefwechsel. Hrsg. von Wolf-
gang Macke, Köln 1964, 25-27. - Vriesen, Macke, 83.
Malerei des 20. Jahrhunderts 383
55 Vriesen, Macke, 132. - FA ebendort 89. Vgl. auch Max Imdahl, Die Farbe
als Licht bei August Macke. In: August Macke, Gedenkausstellung zum 70. Ge-
burtstag, Münster 1957,17-29.
56 Denecke, Die Farbe im Expressionismus, 69. -FA ebendort 115 und bei
Vriesen, Macke, 119.
Malerei des 20. Jahrhunderts 385
und Farben als immaterieller Stoff. Auch in ihrer Einung erweist sich
Macke als einer der wichtigsten Koloristen der deutschen Kunst im
20. Jahrhundert, als ein ganz aus dem Wesen der Farbe heraus schaf-
fender Kiinstler.
In seinen >Tunis<-Aquarellen 57 vom April 1914 erreicht Macke eine
letzte Synthese von eigenwertiger Farbkomposition und farbiger Natur-
wirklichkeit.
physiologischen Theorie iiber das ,Weib‘ klingt hier etwas komisch, aber
sie stiitzt in meiner Phantasie die Bezeichnungen, die ich fiir mich den
Farben gebe .. ,“ 59
An diesen Ausführungen ist die „symbolisch“ definierende, keinen
Spielraum belassende Auffassung der Farben aufschlußreich - an die
sich Marc gliicklicherweise selbst nicht streng gehalten hat. Nicht als
sinnlich-optische Phänomene gelten Marc die Farben, sondern als
Träger ins Prinzipielle reichender Bedeutungen. Von Farbenlehren,
auch derjenigen Chevreuls, hält Marc nicht viel: „Meine paar abergläu-
bischen Begriffe iiber Farben dienen mir jedenfalls besser als alle diese
Theorien“, schreibt er am 14.2.1911 an Macke. 60 Marcs Begriffe zielen
letztlich auf „Entsinnlichung“ der Farbe: „Der uralte Glaube an die
Farbe wird durch die Entsinnlichung und Überwindung des Stoffes an
ekstatischer Glut und Innigkeit zunehmen wie einst der Gottesglaube
durch die Verneinung der Götzenbilder. - Die Farbe wird vom Stoff-
lichen erlöst ein immanentes Leben führen nach unserem Willen“, lautet
der vierundfünfzigste der >100 Aphorismen. Das Zweite Gesicht< von
Anfang 1915. 61
Ihre Konkretisierung aber gewinnen solche Vorstellungen innerhalb
der Marcschen Naturauffassung. Von zentraler Bedeutung hierfür ist
sein Text „Über das Tier in der Kunst“: „Meine Ziele liegen nicht in der
Linie besonderer Tiermalerei. Ich suche einen guten, reinen und lichten
Stil, in dem wenigstens einTeil dessen, was mir moderne Maler zu sagen
haben werden, restlos aufgehen kann. Und das wäre vielleicht ein
Empfinden für den organischen Rhythmus aller Dinge, ein pantheisti-
sches Sichhineinfühlen in das Zittern und Rinnen des Blutes in der
Natur, in den B äumen, in den Tieren, in der Luft suche das zum ,Bilde‘
zu machen, mit neuen Bewegungen und mit Farben, die unseres alten
Staffeleibildes spotten ... Ich sehe kein glücklicheres Mittel zur ,Anima-
lisierung der Kunst“, wie ich es nenen möchte, als dasTierbild. Darum
greife ich danach ... Bei einem van Gogh oder einem Signac ist alles ani-
malisch geworden, die Luft, selbst der Kahn, der auf dem Wasser ruht,
und vor allem die Malerei selbst .,.“ 62 (Man vergleiche hierzu etwa
Marcs >Reh im Klostergarten< von 1912 in der Städtischen Galerie Mün-
chen oder seinen >Mandrill< von 1913 in der Staatsgalerie moderner
Kunst, München.)
Dieses künstlerische Ziel verwirklicht Marc durch Verwandlung der
71 Zitiert nach: Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, 6. Auflage, mit
einer Einführung von Max Bill, Bern-Bümpliz 1959,142.
Malerei des 20. Jahrhunderts 391
73 Über das Geistige in der Kunst, 62/63, 64. - Zur Farbenlehre Kandinskys
auch: Paul Overy, Kandinsky, Die Sprache des Auges, Köln 1970, 84—105. -
Sixten Ringbom, The Sounding Cosmos, A Study in the Spiritualism of Kan-
dinsky and the Genesis of Abstract Painting, Âbo 1970, 78-108.
74 Über das Geistige in der Kunst, 87-105, 109, 110.
Malerei des 20. Jahrhunderts 393
nicht auf den Komplementärkontrasten auf - auch hierin ist dieser far-
bige Kosmos eher vergleichbar dem Matisseschen als der Farbigkeit
Delaunays. Vom Blau-Gelb-Klang werden auch wichtige Bilder Kan-
dinskys aus diesem Zeitraum bestimmt, so die schon erwähnte >Impro-
visation 26<, die >Komposition IV< von 1911 (Kunstsammlung Nord-
rhein-Westfalen, Düsseldorf), die >lmprovisation Sintflut< von 1913, die
>lmprovisation Klamm< von 1914 (beide Städtische Galerie München),
um nur einige Beispiele zu nennen.
„Der zweite große Gegensatz“, fährt Kandinsky fort, „ist der Unter-
schied zwischen Weiß und Schwarz, also derFarben, die das andere Paar
der vier Hauptklänge erzeugen: die Neigung der Farbe zu Hell oder zu
Dunkel. Diese letzten beiden haben auch dieselbe Bewegung zum und
vom Zuschauer, aber nicht in dynamischer, sondern statischer - er-
starrter Form ...“
„Die zweite Bewegung von Gelb und Blau, die zum ersten großen Ge-
gensatz beiträgt, ist ihre ex- und konzentrische Bewegung. Wenn man
zwei Kreise macht von gleicher Größe und einen mit Gelb füllt und den
anderen mit Blau, so merkt man schon bei kurzer Konzentrierung auf
diese Kreise, daß das Gelb ausstrahlt, eine Bewegung aus dem Zentrum
bekommt und sich beinahe sichtbar dem Menschen nähert. Das Blau
aber eine konzentrische Bewegung entwickelt (wie eine Schnecke, die
sich in ihr Häuschen verkriecht), und vom Menschen sich entfernt. Vom
ersten Kreis wird das Auge gestochen, während es in dem zweiten ver-
sinkt.“
Werke der Bauhauszeit, wie etwa die >Komposition VIII< von 1923
(Solomon R. Guggenheim Museum, New York) zeigen exemplarisch
diese unterschiedlichen Wirkungen gelber und blauer Kreise.
Bei Erhöhung des Gelb zu helleren Tönen „klingt es, wie eine immer
lauter geblasene scharfe Trompete oder ein in die Höhe gebrachter
Fanfarenton. Gelb ist die typisch irdische Farbe ...“ Andererseits ist
,,die Neigung des Blau zur Vertiefung ... so groß, daß es gerade in
tieferen Tönen intensiver wird und charakteristischer innerlich wirkt. Je
tiefer das Blau wird, desto mehr ruft es den Menschen in das Unend-
liche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich Über-
sinnlichem ... Blau ist die typisch himmlische Farbe ... Musikalisch dar-
gestellt ist helles Blau einer Flöte ähnlich, das dunkle dem Cello,
immer tiefer gehend den wunderbaren Klängen der Baßgeige; in tiefer,
feierlicher Form ist der Klang des Blau dem der tiefen Orgel ver-
gleichbar ..."
Aus dieser Gegenüberstellung von Gelb und Blau entwickelt Kan-
dinsky die Charaktere des Grün: „Ideales Gleichgewicht in der Mi-
schung dieser zwei in allem diametral verschiedenen Farben bildet das
394 Malerei des 20. Jahrhunderts
75 Vgl. hierzu Kandinsky, Das Bild mit weißem Rand. In: Kandinsky, Rück-
blick, 41-43.
76 Zitiert nach: Kandinsky, Punkt und Linie zu Fläche, 7. Auflage, mit einer
Einführung von Max Bill, Bern-Bümpliz 1973, 63-67, 76-80.
Malerei des 20. Jahrhunderts 397
keine Neigung, sich von der Fläche zu entfernen. An den freien Ge-
raden, und besonders an den azentralen, bemerken wir ein lockeres Ver-
hältnis zur Fläche: sie sind weniger mit der Fläche verschmolzen und
scheinen sie manchmal zu durchstechen ...“ Diese Bemerkungen Kan-
dinskys sind aufschlußreich, weil sie zeigen, daß er nicht Analogien fer-
tiger Elemente untersucht, sondern von deren Eigenschaften innerhalb
eines größeren Zusammenhanges, insbesondere des Raumbezuges, aus-
geht. „Jedenfalls“, fährt Kandinsky fort, ,,ist in den Spannungen der
azentralen freien Geraden und in den ,bunten‘ Farben eine gewisse Ver-
wandschaft vorhanden. Die natürlichen Zusammenhänge der ,zeichne-
rischen 1 und der ,malerischen‘ Elemente, die wir heute bis zu gewissen
Grenzen erkennen können, sind fiir die kiinftige Kompositionslehre von
einer unermeßlichen Wichtigkeit. Nur auf diesem Wege können plan-
mäßige, exakte Experimente in der Konstruktion gemacht werden ...
Wenn die schematischen Geraden - in der ersten Linie die Horizontale
und die Vertikale - auf ihre farbigen Eigenschaften gepriift werden, so
drängt sich logischerweise ein Vergleich mit Schwarz und Weiß auf.
Ebenso wie diese beiden Farben ... schweigende Farben sind, so sind
auch die beiden Geraden schweigende Linien. Hier und da ist der Klang
auf das Minimum reduziert: Schweigen oder eher kaum hörbares Flü-
stern und Ruhe ..
Es folgen Sätze, in denen Kandinsky indirekt sich auf Mondrian be-
zieht und auch die Situation der Malerei der sechziger Jahre vorwegzu-
nehmen scheint: „Der ,moderne‘ Mensch sucht innere Ruhe, weil er von
außen betäubt wird, und glaubt, diese Ruhe im inneren Schweigen zu
finden, woraus in unserem Falle die exklusive Neigung zur Horizontal-
vertikalen entstanden ist. Die weitere logische Konsequenz wäre die ex-
klusive Neigung zu Schwarzweiß, wozu die Malerei schon einige Male
Anlauf nahm. Aber die exklusive Verbindung der Horizontalvertikalen
mit Schwarzweiß steht noch bevor ...“ „Innere Parallelen“ bestehen
zwischen Horizontale und Schwarz, Vertikale und Weiß, Diagonale und
„Rot (oder Grau, oder Griin)“, freier Gerade und „Gelb und Blau“, in
weiterer Entwicklung zwischen rechtem Winkel, somit Quadrat, und
Rot, spitzem Winkel, also Dreieck, und Gelb, stumpfem Winkel, d.h.
Kreis, und Blau.
Kandinskys künstlerisches Vokabular aber begnügt sich keineswegs
mit diesen schematischen Zuordnungen. So ist etwa im Bild >Gelb-Rot
- Blau< von 1925 (Paris, Priv. Slg.) Gelb einem Hochrechteck, Rot einer
rechts kurvig begrenzten Form zugeordnet, nur Blau erscheint in seiner
„natürlichen“ Form, dem Kreis.
Auch die Relationen der Farbformen zu den Farbgmnden wechseln.
Vor dunklem Grunde schweben Kreise in Schwarz, Blau, Griin und
398 Malerei des 20. Jahrhunderts
77 FA: Will Grohmann, Paul Klee, Stuttgart 1954; - Christian Geelhaar, Paul
Klee und das Bauhaus, Köln 1972; - Paul Klee, Das Fmhwerk 1883-1922,
Ausst.-Kat. Städtische Galerie im Lenbachhaus München 1979/80; - Paul Klee,
Das Werk der Jahre 1919-1933, Ausst.-Kat. Kunsthalle Köln 1979.
78 Paul Klee, Tagebücher 1898-1918, hrsg. und eingeleitet von Felix Klee,
Köln 1979; Zit. 237/238, 242, 254, 255, 307/308.
Malerei des 20. Jahrhunderts 399
79 Vgl. dazu: Regula Suter-Raeber, Paul Klee: Der Durchbruch zur Farbe und
zum abstrakten Bild. In: Paul Klee, Das Frühwerk 1883-1922, 131-165. - Zur
Farbgebung Klees vgl. auch: Rike Wankmüller, Zur Farbe bei Paul Klee. In: Stu-
dium Generale, 13. Jg., 1960, Heft 7, 427M35; Max Huggler, La couleur chez
Paul Klee. In: Palette, No. 25, Basel 1967, 13-22.
400 Malerei des 20. Jahrhunderts
80 Paul Klee, Das bildnerische Denken, Schriften zur Form- und Gestaltungs-
lehre, hrsg. und bearbeitet von Jürg Spiller, Basel-Stuttgart 1956. (Zitiert: I.) -
Paul Klee, Unendliche Naturgeschichte, Prinzipielle Ordnung der bildnerischen
Mittel, verbunden mit Naturstudium, und konstruktive Kompositionswege,
Form- und Gestaltungslehre, Bd. II, hrsg. und bearbeitet von Jürg Spiller,
Basel-Stuttgart 1970. (Zitiert: II.) - Paul Klee, Pädagogisches Skizzenbuch,
Bauhausbuch 2, Frankfurt a. M. 1925; Neue Bauhausbücher, hrsg. von Hans M.
Wingler, Mainz-Berlin 1965.
Malerei des 20. Jahrhunderts 401
letzt noch verbunden mit der Skala von Schwarz nach Weiß! [Als Bei-
spiel: >Der Vollmond<, 1910, Priv. Bes.] ... Und jede Gestaltung, jede
Kombination wird ihren besonderen konstruktiven Ausdruck haben,
jede Gestalt ihr Gesicht, ihre Physiognomie ...“ (I, 90/91)
Die Kombinationen ergeben sich aus der Verbindung „reiner Hell-
dunkel-Malerei“, der „farbig belasteten Helldunkel-Malerei“, der
„farbig-komplementären“, der „bunten“ und der „totalfarbigen Ma-
lerei“ (I, 95) mit der Vielfalt der linearen Differenzierungen und den
unterschiedlichen Ausformungen innerhalb der „statischen und dyna-
mischen Teile der bildnerischen Mechanik“. (I, 92) Nur einige wenige
der vielen Gestaltungswege seien hier benannt:
Die Farbe tritt in Beziehung mit den „strukturalen Rhythmen“, deren
einfachste horizontale und vertikale Linien sind. Ihre Durchkreuzung er-
gibt das „Schachbrett“ mit seiner „Gewichtsstruktur nach zwei Dimen-
sionen“. In sie eingegliedert, ihnen kontrastiert können „individuelle
Rhythmen“ werden (vgl. I, 217, 237 ff.; II, 43 ff., 143 ff., 231 ff., 368 ff.).
Die einfache Gliederung in Horizontalstreifen ermöglicht die Bewe-
gungund Gegenbewegung (1,11; II, 309ff., 356ff.) von Helldunkel-und
Farbskalen (>Eros<, 1923, >Nordseebild<, Aquarell, 1923, Kunstmuseum
Bern) oder bei proportionaler Verschmälerung der Streifen eine ihr ent-
sprechende Verdichtung und Verdunkelung der Farbe (>Monument an
der Grenze des Fruchtlandes<, Aquarell, 1929, Priv. Slg. Luzern, >Flaupt-
und Nebenwege<, 1929, Köln, Museum Ludwig). Das „Schachbrett“ in
seinen vielfältigen Variationen, auch in „irregulärer Projektion auf eine
nicht-ebene Fläche“, ist ein von Klee sehr häufig verwendetes Gliede-
rungsmittel. 82 Es ermöglicht Farb- und Helldunkelstufungen in einfa-
chem oder komplexem Wechsel, Auftauchen der Farbe aus dem Dunkel,
Steigerungen, bei nur fragmenthafter Durchführung transparente Über-
lagerungen usf. (>Alter Klang<, 1925, Kunstmuseum Basel; >Farbtafel
(auf maiorem Grau)<, 1930, Kunstmuseum Bern; >Haus, außen und
innen<, 1930, Pasadena, Calif.) In alledem trägt auch die Farbe ihrTeil
bei zur „zeitlichen Funktion des Bildwerks“ (vgl. I, 369 ff., II, 126 ff.)
Aber auch als bloßer, in sich differenzierter Farbgrund fiir eine frei oder
doch nur an einigen Stellen mit ihm sich beriihrenden rhythmischen
Liniengestalt kann die Farbe auftreten (>Zerstörter Olymp<, 1926, Feder-
zeichnung, Priv. Slg. Luzern; >Lote zur Welle<, 1928, London, Marlbo-
rough Fine Art).
Mit dem Beginn der dreißiger Jahre ändert sich die Lichtdimension
83 Strauss, Paul Klee: >Das Licht und Etliches<. In: Strauss, Koloritgeschicht-
liche Untersuchungen, 219-226. Zit. 223.
84 Strauss, Zur Helldunkellehre Klees, in: Strauss, Koloritgeschichtliche
Untersuchungen, 227-239, Zit. 237.
85 Zu Hölzels Farbenlehre vgl.: Walter Hess, Zu Hölzels Lehre. In: Der Pe-
likan, Zeitschrift der Pelikan-Werke Günther Wagner Hannover, Heft 65, April
1963, 18-34, Zit. 23/24,26,27. -Hess, Problem der Farbe, 96-105. -Katalogder
Hölzel-Gedächtnisausstellung, Stuttgart und München o.J. (1953), mit Auf-
zeichnungen aus dem Nachlaß. - Nina Gumpert Parris, Adolf Hoelzel’s struc-
tural and color theory and ist relationship to the development of the basic course
at the Bauhaus. Ph. D. diss. University of Pennsylvania, 1979.
406 Malerei des 20. Jahrhunderts
„Citrin“ (aus Orange und Grün), „Olive“ (aus Grün und Blauviolett)
und „Russet“ (aus Blauviolett und Orange).
„Aus dem sechsteiligen Elementarkreis lassen sich nun mehrteilige
Kreise entwickeln durch Einfiigung von Zwischenstufen. Der nahelie-
gendste logische Weg der Weiterentwicklung scheint zu sein, daß man zwi-
schen je zwei Farben diejenige Farbe einfiigt, die sich durch Mischung
der beiden zu gleichen Teilen ergibt. Diesen rationalen Weg beschreitet
Itten; es ergibt sich bei ihm der zwölfteilige Kreis: Rot - Rotorange -
Orange - Gelborange - Gelb - Gelbgriin - Griin - Blaugriin - Blau -
Blauviolett - Violett - Rotviolett (zur besseren Vergleichbarkeit mit
Hölzel entgegen dem Uhrzeigersinn gelesen). Hölzels zwölfteiliger Kreis
zeigt dagegen Stufen, die nicht gleichmäßig zwischen die Farben des sechs-
teiligen Kreises eingeschoben sind“; vielmehr gliedern sich bei ihm die
Strecken von Purpur bis Gelb in drei Stufen (Karmin, Hochrot, Orange),
von Gelb bis Ultramarin-Blau in vier (Gelbgrün, Grün, Blaugriin, Cyan-
Blau), von Ultramarin-Blau bis Purpur in zwei Stufen (Blauviolett und
Rotviolett), der Griinbereich erscheint bei ihm also ausgedehnter. In
Analogie zur Musik nennt Hölzel seinen achtteiligen Kreis - der gegen-
iiber dem sechsteiligen um „Hochrot“ und „Cyan-Blau“ erweitert ist -
„diatonisch“, den beschriebenen zwölfteiligen „chromatisch“.
Eine Besonderheit der Hölzelschen acht- und zwölfteiligen Kreise ist
die axiale Stellung der beiden Hauptkomplementärkontraste Purpur -
Griin in der vertikalen, Ultramarinblau - Orange in der horizontalen
Achse. Hölzel erwartet von dieser Anordnung, die sich auf Goethes Auf-
fassung von Purpur als Steigerungsfarbe bezieht, eine Festigung des
Farbaufbaus auch in der Bildkomposition.
Fiir die vielfältigen Farbkombinationen in Drei- und Kontradrei-
klänge, die die verschiedenen Farbkreise ermöglichen, sei auf die Dar-
stellung von Walter Hess verwiesen.
Hölzel unterscheidet an Kontrastkategorien: „Kontrast der Farben
an und fiir sich“, „Hell-Dunkel-Kontrast“, „Kalt-Warm-Kontrast“,
„Komplementär-Kontrast“, „Simultankontrast“, „Intensitätskontrast“,
„Quantitätskontrast“ und „Kontrast von Farbe zu Nichtfarbe“.
Johannes Itten (1888-1967) folgt auch hierin Hölzel, den „Intensitäts-
kontrast“, das Verhältnis reiner zu getrübten, gebrochenen Farben
nennt er aber, weniger zutreffend, „Qualitätskontrast“. 86
„Aus diesen Kategorien und ihren Wechselwirkungen ergibt sich eine
Fülle weiterer Gesichtspunkte für Gesetzlichkeiten von Kontrast und
Ausgleich, d. h. für das Problem der Harmonie.“ „Ich meine“, so formu-
86 Vgl. Johannes Itten, Kunst der Farbe, Subjektives Erleben und objektives
Erkennen als Wege der Kunst, Ravensburg 1961 u.ö.
Malerei des 20. Jahrhunderts 407
liert Hölzel selbst, „es müsse, wie es in der Musik einen Kontrapunkt
und eine Harmonielehre gibt, auch in der Malerei eine bestimmte Lehre
über künstlerische Kontraste jeder Art und deren notwendigen harmo-
nischen Ausgleich angestrebt werden ... Als Richtlinien für das Farben-
spiel im Bild kann dienen: in einer gewissen Ordnung über ein vielfach
Schwankendes, Vibrierendes zu einem sicheren Abschluß, zur Einheit
zu gelangen.“
Hölzels Bilder zeigen Möglichkeiten und Grenzen dieser im Har-
monie-Gedanken zentrierten Farbordnung und Farbgestaltung.
In entschiedenem Gegensatz zu den auf eine Ordnung, ja Systemati-
sierung der Farbwelt abzielenden Bemühungen steht die von Josef
Albers (1888-1976) vertretene Farbauffassung. In der Einleitung seines
erstmals 1963 erschienenen, aus seiner Lehrtätigkeit in Yale erwach-
senen Buches >Interaction ofColor< heißt es: ,,In visuellerWahrnehmung
wird eine Farbe beinahe niemals als das gesehen, was sie wirklich ist. Da-
durch wird die Farbe zum relativsten Mittel der Kunst. — Um Farbe mit
Erfolg anzuwenden, muß man erkennen, daß Farbe fortwährend täuscht
... Anstatt Gesetze und Regeln von Farbtheorien mechanisch anzu-
wenden, beginnen wir damit, einzelne, ganz bestimmte Farbeffekte zu
erzeugen, indem man z.B. zwei ganz verschiedene Farben gleich oder
nahezu gleich aussehend macht. - Solches Studium zielt darauf ab, ein
sensitives Auge für Farbe zu entwickeln - und zwar experimentell, durch
‘trial and error’ (Versuchen und Irren), d.h. so lange zu probieren,
bis der bestimmte Effekt überzeugend erscheint. - Im besonderen
heißt das: Farbe agieren sehen, wie auch Farbbezogenheiten empfin-
den. .. ,“ 87
Als Ort für die Entfaltung solcher „Farbeffekte“ verwendet Albers
seit 1949 ein Quadrat, das in vier ineinandergestellte Quadrate geglie-
dert ist, wobei das innerste zur Gänze erscheint, die restlichen als
Rahmen, und zwar seitlich um je eine, in vertikaler Richtung um jeweils
eine halbe Einheit nach unten bzw. um eineinhalb Einheiten von oben
verschoben, so daß eine nach abwärts gerichtete Tendenz entsteht, die
auch perspektivisch gelesen werden kann. In diese Quadrate und Qua-
dratrahmen stellt Albers unterschiedliche Farbtöne in den mannigfaltig-
sten Kombinationen ein, die wechselnd transparent oder opak, vor- oder
zurücktretend wirken können. 88 „Farbe in dauernder innerer Bewe-
gung“, „Atem und Pulsieren in der Farbe“, die „Relativität der Farbe“
ist das Thema Albers’ - aber es ist die Farbe als reines, bloß optisches
Phänomen, die damit zum alleinigen Gestaltungsziel erhoben wird.
Farben 91 sind hier also durchaus nicht Gegenstand einer Ästhetik, sie
- wie auch die Formen - offenbaren vielmehr eine kosmische Dynamik.
Im Unterschied zur Naturwirklichkeit bilden im Kunstwerk (des Supre-
matismus) Form und Farbe eine untrennbare Einheit. Die geometrische
Form ist dabei unwesentlich - sie ist auch nie exakt, sondern dynamisch
verzogen, gespannt, befindet sich im Übergang von der einen zur an-
deren Form: “Das erste Grundelement ist das Quadrat. Durch Drehen
des Quadrats entsteht das zweite Grundelement, der Kreis. DurchTei-
lung des Quadrats entstehen zwei Rechtecke, aus denen sich das dritte
Grundelement, das Kreuz, formt. Aus der Verlängerung des Quadrats
bildet sich der Balken, ein typisches Gebilde des Suprematismus.“ 92
Buntfarben sind nur Übergang zwischen Schwarz und Weiß. Im Weiß
findet der Suprematismus seine Erfüllung. Der „neue Künstler“, der
„die Natur als einen Kosmos der Erregung“ sieht, sieht auch eine „weiße
Natur“ voraus, eine „weiße Natur“, die „eine Ausweitung der Grenzen
unserer Erregung“ sein wird.
Schon in seinen gegenständlichen Bildern, etwa dem >Holzfäller<
(1912, Amsterdam, Stedelijk Museum) wird Farbe, irisierend von Weiß
zu Schwarz, Schwarz zu Weiß, zu Gelb, Gelb zu Rot, zu Grün, als In-
dikator einer Energieumwandlung eher denn als Prinzip von Model-
lierung verwendet. In den „kubofuturistischen“ Bildern (>Kopf einer
Bauersfrau<, 1912, ebenfalls Amsterdam) steigert sich, mit der metalli-
schen Schärfung der Form, auch der Charakter der Farbe als Energie-
potential. Die seit 1915 zur vollen Prägnanz ausgeformten „Supremati-
stischen Kompositionen“ (wichtige Beispiele im Stedelijk Museum
Amsterdam) zeigen dann die ganze Eigenart Malewitschscher Farb-
gebung: schwebend vor der Unermeßlichkeit weißer Gründe geome-
trisch gespannte Formen in Schwarz, Rot, Gelb, auch Griin und Blau
und Sekundär- und Tertiärfarben, wobei Form und Farbenenergie ein-
ander wechselseitig bedingen, ohne daß dieser Zusammenhang rational
formulierbaren Regeln folgt.
Im >Suprematistischen Bild< von 1917/18 löst sich ein gelbes, perspekti-
visch verzogenes Viereck in die räumliche Unfaßbarkeit des weißen
Grundes, in Werken der zwanziger Jahre mit einfachen Kreuzbalken-
Zuordnungen verwandelt sich auch das energetisch-Erregungshafte der
91 Vgl. auch: Malévitch,Tentativepour définir la relation entre la couleur et la
forme en peinture, (1928/30). In: Malévitch, Écrits, présentés par Andrei B.
Nakov, Paris 1975, 413-432. - Zur Farbe bei Malewitsch auch: Margot Aschen-
brenner, Farben und Formen im Werk von Kasimir Malewitsch, in: Quadrum, 4,
1957, 99-110.
92 Miroslav Lamac, Kasimir Malevitsch, in: Malewitsch-Mondrian, Kon-
struktion als Konzept, Ludwigshafen/Rh. (1978), 28.
410 Malerei des 20. Jahrhunderts
wird sie im Rechteck angewandt. Eine Kurve wiirde sie begrenzen und
würde ihr nicht gestatten, ein gleichgewichtiges Verhältnis von Stand
und Lagezu entwickeln ...“ So dient die rechtwinklige Komposition der
Ermöglichung der farbigen Wechselbeziehung, der Nicht-Begrenzung
aber dient das häufig in Mondrians Bildern auftretende Phänomen, daß
die schwarzen Horizontal- und Vertikalstreifen nicht an die Bildränder
stoßen und in ihrer Breite meist beträchtlich differieren, so dem Ein-
druck einer Gitterstruktur entgegenwirkend.
In freiester Weise - ohne Eingrenzung durch eine vorgegebene Quan-
titätsentsprechung, wonach, wie bei Hölzel oder Itten etwa eine be-
stimmte Menge Blau nur durch eine entsprechend geringere Menge Gelb
harmonisch auszuwägen sei - entfaltet jedes Bild Mondrians seit der Fin-
dung seines eigensten Stils je neu die Äquivalenz farbiger Beziehungen,
zwischen Gelb/Rot/Blau und Schwarz/Weiß, zwischen Blau und Gelb,
Rot und Blau oder Rot allein oder Blau allein zu Schwarz/Weiß, auch re-
duziert zu Gelb und Weiß oder Schwarz und Weiß. Weiß, das lichte, weite
Weiß ist dabei immer die Farbe des Grundes, der doch in seiner Wirkung
als „Grund“ relativiert wird zum Partner des farbigen „Beziehungs-
spiels“. Als Beispiele seien genannt: >Komposition mitRot, Blau und
Gelbgriim 1920 (Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen), >Komposi-
tion mit Rot, Gelb, Blau und Schwarz< 1921 (Gemeentemuseum Den
Haag, schon mit entschiedener Größendifferenzierung der farbigen
Rechtecke, >Komposition mit Blau und Gelb<, 1932 (Philadelphia Mus.
of Art), >Komposition mitRotund Blau<, 1936 (Priv. Slg., Indianapolis),
>Komposition (mitRotundSchwarz)<, 1929 (Priv. Slg.,Basel), >Vertikale
Komposition mit Blau und Weiß<, 1936 (Kunstslg. NRW, Diisseldorf),
>Komposition mitgelben Linien (Raute)<, 1933 (Gemeentemuseum Den
Haag), >Komposition II, mit schwarzen Linien<, 1930 (Stedelijk van Ab-
bemuseum, Eindhoven). In Mondrians spätesten Bildern vervielfältigen
und verschnellern sich die farbigen Relationen, bis hin zu einem wieder
als Farbteilung wirkenden lichthaften Flirren (>Broadway Boogie-
Woogie<, 1942/43 (Museum of Modern Art, N.Y.), >Victory Boogie-
Woogie<, 1943/44 (Priv. Slg. Meriaen/Conn.).
96 Zitiert nach: Harold Rosenberg, Barnett Newman, New York, 1978, 21,
246. Dort auch FA.
Malerei des 20. Jahrhunderts 413
97 Vgl. auch: Max Imdahl, Barnett Newman, Who’s afraid of red, yellow and
blue III, Stuttgart 1971.
98 Zit. nach: Imdahl, Newman, 30.
414 Malerei des 20. Jahrhunderts
Die Darstellung sei hier abgebrochen. 100 Mit den monochromen Bil-
dern der zweiten Jahrhunderthälfte gewinnt Farbe einen neuen Status
ihrer Autonomie. 101 Aber auch das Bildlicht kann nun höchster Gestal-
tungswert werden. So heißt es etwa bei Otto Piene: „Das Licht ist die
erste Bedingung aller Sichtbarkeit. Das Licht ist die Sphäre der Farbe.
Das Licht ist das Lebenselement des Menschen und des Bildes. Jede
Farbe gewinnt ihre Qualität durch den Anteil an Licht, der ihr be-
schieden ist. Das Licht macht die Kraft und den Zauber des Bildes,
seinen Reichtum, seine Beredtheit, seine Sinnlichkeit, seine Schönheit
aus.“ Die Malerei „wird strahlende Fiille gewinnen, ihr Leuchten wird
den Menschen treffen. Die Reinheit des Lichts wird sie befähigen, reine
Empfindungen zu wecken .. .“ 102
Farbe ist nicht alles, Farbe ist nur eines der Gestaltungsmittel. In der
Malerei des 20. Jahrhunderts aber befähigt gerade sie zur Entdeckung
neuer Wirklichkeiten wie zur Selbstvergewisserung des Subjekts in der
Anschauung. 103
Wember, Von der Ein-Stimmung der Farbe bis zur Einfarbigkeit, Gedanken zur
Monochromie der 50er und 60er Jahre. In: Pantheon, XXXII. Jg., 1974, 162
bis 164.
102 Über die Reinheit des Lichts, in: Zero 2, zitiert nach: Zero 1, 2, 3, Köln
und The Massachusetts Institute of Technology, 1972, 44, 45.
103 Dazu: Bernd Growe, Gotthard Graubner, Die Bildlichkeit der Farbe,
Neue Malereien (1982-1984), Bochum 1984. -Verf., Gerhard Hoehmes Projekt
>L’Etna<: Farbe als Erscheinung mythischer Wirklichkeit. In: GerhardHoehme,
L’Etna - Mythos und Wirklichkeit, Ausst.-Kat. Städtische Kunsthalle Mann-
heim, Sprengel-Museum Hannover 1985,1986. -Die Gegenwart der Farbe, mit
Texten von Erich Franz und Bernd Growe, Ausst.-Kat. Kunsthalle Bielefeld
1986. - Matthias Bleyl, Essentielle Malerei in Deutschland, Zirndorf 1987.
REGISTER
Ackerman, James 57 A27. 61 A50. Barasch, Moshe 51. 61. 62. 63. 136
136 A2 A2.186 A107.187
Aertsen, Pieter 192.193 Light and Color in the Italian Ren-
Albers,Josef 407^108 aissance Theory ofArt 57 A26
lnteraction of Color 407 A 87 Licht und Farbe in der italienischen
Alberti, Leone Battista 48 A4. 57-64 Kunsttheorie des Cinquecento
Dellapittura 58A28 61 A47
Albrecht, Hans Joachim 380A47. 407 Barocci, Federico 161-162. 202. 220
A88 Bartolommeo, Fra 150-151. 153. 154.
Altdorfer, Albrecht 133-134 157
Althöfer, Heinz 340 A197 Baudelaire, Charles 347. 348
Altichiero 42 Bauer, Hermann 250 A1
Andrea da Firenze 41 Baumgart, Fritz 195 A3. 200
Angelico, Fra 50. 51. 52. 54. 55 Battes, Alexander 286 A69
Antonello da Messina 167.169.170 Beckwith, John 4A9
Aguilon, François d’ 218 Beer, Ellen J. 8. 8 A22. 9. 10 A27
Aristoteles 58. 59. 187 Beham, Barthel 129
Arndt, Karl 94A36 Bell, Janis Callen 136 A2
Arslan, Edoardo 204 A 25 Bellini, Gentile 164
Aschenbrenner, Margot 409 A 91 Bellini, Giovanni 164.165-168. 169
Bercken, Erich von den 33. 33 A8.
Bachelard, Gaston 297. 298 160A56.163-164.179.180.181.184
Badt, Kurt 36. 36 A18. 239-242. 239 Untersuchungen zur Geschichte der
A98. 275. 276 A44. 283 A63. 285 Farbgebung in der venezianischen
A66. 301. 304. 305 A114. 316. 317 Malerei 163 A 67
Die Kunst Cézannes 267 A 20 Jacopo Tintoretto 164 A 68
Die Farbenlehre van Goghs 309 Bernard, Emile 267 A15. 299. 303.
A122 304. 313. 316. 319
Batschmann, Oskar 239 A98. 241 Bianchi Bandinelli, Ranuccio 4A9
A100 Birren,Faber 266 A14
Baldass, Ludwig 171 A81 Blake, William 270-271
Baldung, gen. Grien, Hans 117. 127- Blanc, Charles 268.268 A21.289. 309
128 Blechen, Karl 334. 336
418 Register
Bleyl, Matthias 269 A24. 415 A103 Carpaccio, Vittore 109. 131. 163. 164—
Boccioni, Umberto 375 165. 168
Bodenhausen, Eberhard von 94 Carrà, Carlo 375
Gerard David 76 A8 Carracci, Annibale 202.203
Bodonyi, Josef 7 Castagno, Andrea del 53. 64
Entstehung und Bedeutung des Cavallini 33. 35
Goldgrundes 7 A19 Caylus, Comte de 265
Böcklin, Arnold 340-341.342 Cennini, Cennino 39. 40 A3. 57. 58.
Böhler, Julius Gustav 276 A45. 277 62.
Boehm, Gottfried 340 A196 Libro dell’Arte 57 A25
Bohrne, Jakob 331 Cézanne, Paul 163.183. 261. 262. 263.
Börsch-Supan, Helmut 334 A176 293. 297. 299-305. 309. 367
Boodt, Anselm Boethius de 218 Champaigne, Philippe de 246
Borch, Gerard ter 210. 211 Chardin, Jean-Baptiste Siméon 253
Borgianni, Orazio 202 Chassériau, Théodore 269
Bosch, Hieronymus 93 Chevreul, Michel Eugène 263-265.
Botticelli, Sandro 65-68. 70. 91 268. 309. 386. 405
Boucher, François 185. 253-254 De la loi du contraste simultané des
Bouts, Dieric 85-87. 107 couleurs 263 A 6
Brandi, Cesare 169 A77 Chorus, Hildegard 13 A2
Braque, Georges 304. 364. 365. 366. Cimabue 32 A 7. 35. 42
367. 368. 369. 370 Claesz, Pieter 209
Vom Geheimnis in der Kunst 368 Clark, Kenneth 63A54
A35 Cleve, Joos van 190
Braunfels, Wolfgang 9A26 Coekelberghs, Denis 78A10
Brenk, Beat 7A16 Constable, John 262. 272. 275-278.
Brion-Guerry, Liliane 299 A 98 286
Bronzino, Agnolo 128. 135. 159 Corinth, Lovis 344—345
Brucher, Giinter 133 A 42 Corot, Camille 262. 267. 289-290.311
Bruegel, Pieter d.Ä. 193.194 Correggio 135.142.160-161.202.203
Brugghen, Hendrick ter 205 Courbet, Gustave 261. 269. 290-293.
Bruno, Vincent J. 4A10 294
Buchmann, Mark 309 A122 Couture,Thomas 269
Bühler, Karl 264 A7 Cranach d.Ä., Lucas 123-126
Bunge, Matthias 343A206 Cranach d. J., Lucas 126
Burckhardt, Jacob 153 A37 Crespi, Giuseppe Maria
Burger, Angelica 414 A100 203
Burger, Fritz 24. 25 A3 Crivelli, Carlo 90. 164
Burgkmair, Hans 123. 129-131 Cuyp, Aelbert 207. 208
Delacroix, Eugène 185. 186. 187. 261. Field, George 277. 278
262. 266. 267. 269.275.282 A60. Fiensch, Giinther 90
283-289. 292. 294. 301. 302. 303. Filipczak, Z. Zaremba 140 A7
309. 311. 347 Finley, Gerald E. 275 A40
Journal de Eugène Delacroix 262 Francastel, Pierre 346 A1
A5 Freedberg, S.J. 158 A51. 187 A112
Delaunay, Robert 5. 304. 346. 375- Frey, Dagobert 1A2
381. 391. 393 Frey, Rike 325 A156
La Lumière 375-376. 376 A43. 377 Friedrich, Caspar David 334-335
A44 Frodl-Kraft, Eva 10 A27. 11. 34
Dempsey, Charles 202 A 20 Die Farbsprache der gotischen Ma-
Demus, Otto 4 A9 lerei 11A32
Denecke, Christel 363-364. 364 A 31. Fromentin, Eugéne 262
384. 387 A64 Les maîtres d’autrefois 207 A 30
Die Farbe im Expressionismus 324 Füssli, Johann Heinrich 270. 271
A154
Denis, Maurice 300. 301. 319 Gaddi, Taddeo 39.40
Derkert, Carlo 310 A125 Gage, John 5 A14. 6.10 A27. 274. 275
Desportes, François 251 A40. 278 A 51
Deuchler, Florens 10A27. 43. 43 A21 Colour in History 6 A15
Dittmann, Lorenz IX A2. 13 Al. 118 Colour in Turner 184 A104
A18. 120 A23. 123 A25. 172 A83. Gainsborough, Thomas 258-259
219 A64. 250 Al. 261 Al. 264 A7. Gállego, Julián 234 A85
270 A30. 305 A114. 306 A117. 334 Gantner, Joseph 142 A12
A176. 341 A200. 346 A3. 353 A16. Gauguin, Paul 309. 317-321. 348. 349
415 A103 Gavel, Jonas 59. 60. 61. 63. 64. 136
Dobai, Johannes 261 A2. 271 A31- A2. 186 A107. 187 A113
33. 274 A 39. 277 A49 Colour 59A34
Dolce, Lodovico 148. 186 Geertgen tot Sint Jans 91. 92
Domenico Veneziano 54. 55 Gentile da Fabriano 50 A 8
Dresdner, Albert 245-247. 245 A107 Gentileschi, Orazio 201
Duccio 32 A 7. 42. 43 Gericault,Théodore 267.282-283
Dürer, Albrecht 112. 114-120. 124 Ghirlandaio, Domenico 68. 69. 140
Von Farben 119 Giorgione 168-171. 173
Dufresnoy, Charles Alphonse Gioseffi, Decio 169 A77
246 Giotto 30-38.39. 47. 350
Duret,Théodore 296 Giovanni di Milano 41
Dyck, Anthonis van 225-226. 246. Giulio Romano 150
258 Goedl-Roth, Monika 335 A176
Goes, Hugo van der 88-91. 94
Edgerton, Samuel Y. 58 A 30. 59. Goethe 115. 224. 244. 272. 275. 278.
60 284. 325-330. 331. 391. 405. 406
Elsheimer, Adam 257 Farbenlehre 325 A157
Escher, Konrad 106 A19 Gogh, Vincent van 263. 267. 300.
Eyck, Jan van 72-82. 83. 84. 89. 93. 308. 309-317. 319. 321. 348. 357.
95. 101 386
420 Register
Pacher, Michael 64. 109-111 Raffael 124. 135. 143. 144-150. 154.
Pächt, Otto 29 A12. 83 A17. 87. 99. 187. 246. 247. 274. 336
100. 101. 108. 110. 111 Raphael, Max 209 A34. 267 A19
Panofsky, Erwin 59 A35. 73. 75. 76. Ratgeb, Jörg 118
123 Rebsamen, Hanspeter 340 A197
Parkhurst, Charles 186 A107. 195 A2. Redig de Campos, Deoclecio 150
218 A59. A61. 219 A63 A31
Parmigianino 161 Redon, Odilon 295
Parris, Nina Gumpert 405 A 85 Reff, Theodore 299 A 98
Patinier, Joachim Rehfus-Dechêne, Birgit 266 A11-13.
189 325A155
Pattillo, Allen 65A61 Farbengebung und Farbenlehre in
Pawlik, Johannes 403 A81 der deutschen Malerei um 1800
Perugino, Pietro 135. 143-144. 145. 258 A 24
150 Reinhardt, Ad 414
Pfötsch, Kurt 115. 117 Rembrandt 25. 131. 195. 200. 210.
Philoppot, Paul 77 A10 214-218. 257. 389
Piazetta, Giovanni Battista 254 Reni, Guido 203
Picasso, Pablo 304. 364. 365. 366. Reuterswärd, Patrick 1A2
367. 368. 369. 370. 391 Reymerswaele, Marinus van 192
Pidoll, Karl von 341. 341 A201. 343 Ribera, José de 200. 230
A204 Richter, George Martin 169 A 77
Piene, Otto 415 Richter, Henry J. 261
Piero di Cosimo 70. 71 Richter, Ludwig 334. 336
Piero della Francesca 48 A4. 54. 55. Riedl, Peter Anselm 381 A49
56. 57. 62. 64 Riegl,Alois 92
Piles, Roger de 246-249. 251 Riezler, Kurt 37
Cours de Peinture par Principes Ringbom, Sixten 392 A 73
248 A109 Röttgen, Herwarth 103
Pilz, Wolfgang 95 A1 Roosen-Runge, Heinz 13-23. 34. 76
Pino, Paolo 186 A8. 82. 189. 190
Pissarro, Camille 308. 312. 318 Farbgebung und Technik friihmittel-
Plehn.AnnaL. 100 A9 alterlicher Buchmalerei 14 A 4
Pleydenwurff, Hans 106. 107 Die Gestaltung der Farbe bei Quen-
Poirier, Maurice George 187 A112. tin Metsys 82 A14
204 A28 Rosand, David 171 A83. 186 A107
Pollajuolo, Piero del Rosso, Fiorentino 135. 157-159
70 Rottmann, Carl 334. 336
Pontormo, Jacopo 124. 125. 127. 128. Rousseau, Theodore 267
135. 155-157 Rowell, Margit 414 A99
Posner, Kathleen Weill 150 A 32 Rubens, Peter Paul 162. 166. 195.
Poussin, Nicolas 239-243 . 247. 274. 200. 216. 219-225. 246. 248. 251.
280 257.259.270.274. 277.285.289.339
Prater, Andreas 193 A11. 226 A77 Riith, Uwe 4 A9
Purificato, Domenico 151 A34 Ruhmer, Eberhard 339 A194
Puttfarken,Thomas 246 A108 Ruisdael, Jacob van 208
424 Register
Runge, Philipp Otto 100. 330-334. Simmel, Georg 217 A58. 218
402 Sisley, Alfred 318
Farben-Kugel 330 A167 Sjöblom,Axel 136 A1
Rupprecht, Bernhard 111 A31 Soehner, Halldor 226-229. 226 A77.
Ruskin, John 272 230 A 80
Ruysdael, Salomon van 207. 208 Smart, Alastair 40 A 6
Rzepiñska, Maria IX A1 Sommer, Thomas 196 A 4
Sondag, Gérard 410 A93
Sacher, Helen 69A67 Sonnenburg, Hubert von 143 A13.
Sambursky, Schmuel 329 A166 144. 145. 146. 212 A42. 215 A48.
Saraceni, Carlo 201. 202 224. 225. 226 A77. 230 A80. 235-
Sarto, Andrea del 135. 153-155. 157. 237
180 Souriau, Etienne 237 A93
Savot, Louis 218 Spector, Jack J. 286 A 69
Schaffner, Martin 123. 131 Spinello Aretino 42
Schefold, Karl 4A10 Spinner, Kaspar H. 196 A 5
Scheibler, Ingeborg 4 A10. 5 A13 Steer, John 172 A83
Schmid, H. Rainer 225 A75 Steingräber, Erich 235
Schmidt, J. Heinrich 325 A156 Stevenson, R. A. M. 234
Schmidt-Rottluff, Karl 358-360 Straub, RolfE. 74.75
Schmitt-Lieb, Willi 219 A64 Strauss, Ernst IX. X. 9. 10. 11. 24. 30
Schmitz, Hermann 358 A20 A1. 33. 36. 38 A23. 39 A1. 41A12.
Schöne, Wolfgang 2. 7 A18. 8. 40A6. 47 Al. 48 A4. 49. 52. 54. 56. 64. 76.
92. 136. 137. 196. 200. 214. 313. 334 95 Al. 99 A7. 105. 106. 127 A31.
A174 148. 152. 154. 155. 156.157.195 A3.
Über das Licht in der Malerei 2A3 211. 212. 260. 262 A 4. 270A29.272
Schongauer, Martin 109 A 34. 272-274. 286 A69. 292.
Schrenk, Klaus 348 A4 299 A98. 300-305. 333 A172. 372.
Schuch, Karl 340 372 A 40. 373 . 374. 378. 405 A83.
Schiitz, Barbara 322. 323 A153 A84
Schweitzer, Paul D. 276 A 45 Koloritgeschichtliche Untersuchun-
Schwind, Moritz von 337 gen zur Malerei seit Giotto IX
Scorel, Jan van 191 A2
Sebastiano del Piombo 177-178 Suter-Raeber, Regula 399 A 79
Sedlmayr, Hans 11. 73. 107. 193. 214 Sweerts, Michael 210
A47. 219 A64. 237 A93
Seurat, Georges 5. 305-309 Taubert, Johannes 87A22
Shearman, John 140-141. 140 A8. 141 Tea, Eva 182 A101
A9. 153. 155 Testelin, Henri 245
Siebenhiiner, Herbert 50 A8. 54A19. Teyssèdre, Bernard 246 A108
57. 60. 61. 62 Theophilus Presbyter 14—17. 19. 23
Über den Kolorismus der Friih- Thornton, Joy Allen 182 A101
renaissance 48 A 4 Tiepolo, Giovanni Battista 254—256.
Signac, Paul 5. 263. 307 A119. 347. 259
348. 351. 382. 386 Tikkanen, Joh. Jakob 4 A9. 13 A2
Signorelli, Luca 70 Tintoretto 164. 179-182. 226. 246
Sachen 425
Tizian 135. 148. 164. 166. 171-177. Vriesen, Gustav 304. 379 A46. 381
186. 188. 227. 246. 247. 274. 283 A51. 383-384
Tolnai, Karl von 72 Vuillard, Edouard 347
Torriti, Jacopo 33
Triska, Eva-Maria 404 A82 Waldmann, Emil 148. 149
Tura, Cosimo 64 Waldmiiller, Ferdinand Georg 337
Turner, William 161. 184. 267. 272- Walter-Karydi, Elena 4 A11. 4 A12
275. 300 Wankmüller, Rike 364 A31. 399 A79
Watkins, Nicholas 346 A3
Uccello, Paolo 52. 53. 55 Watteau, Antoine 251-253
Weizsäcker, Carl Friedrich von 329
Valcanover, Francesco 171A83 A166
Valentin de Boulogne, Jean Wember, Paul 415 A101
237-238 Weyden, Rogier van der 82-85. 86.
Vasari, Giorgio 150. 168. 172. 186 87. 89. 190
Velázquez, Diego de Silvay 200.230- Wichmann, Siegfried 343 A205
234. 259 Witz, Konrad 96. 100-103
Verbraeken, René 195 A1 Wolgemut, Michael 115
Vermeer van Delft, Jan 212-214 Wulff, Oskar 171A 83
Veronese, Paolo 164. 165. 182-186.
228. 246. 289. 311 Zampetti, Pietro 171 A83
Vey, Horst 225 A76 Zawadzky, Eberhard von 219 A 64
Vivien, Joseph 251 Zeitler, Rudolf 334
Volavka, Vojtëch 253 A9 Zuccaro, Federigo 247
Voss, Hermann 201 Zurbáran, Francisco 200. 234—235
Sachen
Absolute Farbe 105. 140. 346. 350. Beleuchtungswirkung 39. 40. 47. 50.
359. 369. 372 51. 54. 57. 121. 214. 227. 229. 280
Abstrakte Farbe 2. 133. 372 Bild 30. 34. 37. 80. 99. 108. 114. 276.
Äquivalente, Äquivalenz 2. 320. 321. 382. 395
372. 411. 412 Bilddunkel 24. 111. 126. 256. 275.
Antike Malerei 4-5. 4 A10.16.18. 32. 287
199. 266. 273 Bildfarbe 175.262
Ausdruckswert 2. 22. 41. 64. 70. 90. Bildgrund 4. 7. 32. 39. 41. 47. 48. 51.
115. 116. 120.121. 122. 178. 188.192. 66. 68. 71. 86. 97. 117. 126. 128. 129.
201. 257. 265. 287. 299. 309. 314. 321. 144. 152. 157. 165. 168. 172. 180.
324. 327. 335. 338. 349. 351. 353. 355. 196. 198. 199. 217. 239. 243. 251.
357. 358.362.365.369.389.403 252. 287. 288. 319. 346. 352. 354.
366. 367. 409. 413
BefreiungderBildfarbe 270. 369.388 Bildhelligkeit 54. 55. 63
Beleuchtungslicht 49. 68. 92. 97. 102. Bildlicht X A2. 2. 5. 6. 7-9. 24. 26.
104. 107. 110. 136. 137. 190. 192. 54. 55. 104. 126. 272. 274. 287. 308.
200. 224. 258. 282. 338 348. 414. 415
426 Register
118. 122. 125. 129. 130. 134. 138. Ocker 17. 21. 27. 28. 31. 70. 165.
139. 142. 145. 149. 150. 154. 156. 173. 197. 198. 207. 220. 224. 225.
160-162. 164. 166. 168. 172. 173. 259. 279. 307. 366
175. 177. 182. 183. 195. 198. 199. Oliv 25. 27. 28. 68. 70. 83.109.112.
203. 206-208. 211-213. 215. 218. 130. 131. 134. 142. 164. 170. 173.
226. 227. 229. 240. 243. 255. 256. 176. 195. 197. 208. 209. 217. 252.
258. 266. 272-275. 279. 284. 304. 256. 335. 373
305. 310. 311. 313. 314. 316. 318. Orange 6. 9. 20. 28. 164. 183. 189.
321-323. 327. 328. 331. 335. 350. 218. 221. 223. 258. 264. 284. 304.
357. 358. 360. 363. 366. 378. 380. 305. 307. 308. 310. 311. 316. 318.
382. 383. 385. 387. 389. 391. 392. 321. 323. 327. 331. 363. 378. 380.
393. 396. 397. 399. 402. 403. 405. 382. 385. 389. 395. 402. 403. 406
406. 409. 411^113 Purpur 11. 12. 15. 16-19. 21. 27. 39.
Gold 3. 4 A9. 7-10. 17. 21. 25. 35. 139. 180. 308. 328. 389. 405. 406
43. 49. 69. 108. 117. 118. 122. 130. Rot 3. 4. 6. 7 A16. 9. 11. 12. 15. 17.
131. 138. 217 18. 20. 25. 28. 31. 58. 64. 65. 67.
Grau 7 A16. 12. 20. 25. 27. 30. 32. 69. 79. 80. 81. 82. 87. 89. 90. 103.
39. 40. 52-56. 58. 59. 65. 70. 88. 104. 117-119. 122. 124. 125. 128.
96. 104. 111. 112. 115. 122. 130. 130. 138. 139. 142. 150. 154. 161.
131. 144. 147. 149. 151. 154. 161. 162. 164. 166. 168. 169. 170. 173.
169. 176. 195. 197. 201. 202. 203. 174. 183. 192. 195. 197-199. 203.
207-210. 216. 220. 223. 224. 227. 206. 211. 213. 215. 217. 218. 222.
228. 231. 232. 233. 235. 250. 251. 226. 228. 229. 233. 234. 237. 240.
256. 257. 259. 272-274. 279. 280. 255. 257. 266. 272. 278. 279. 284.
292. 294. 304. 310. 311. 312. 318. 287. 305. 310. 311. 322. 323. 324.
332. 335. 338. 344. 363. 366. 367. 327. 328. 331. 338. 350. 351. 352.
373. 394. 397. 400. 402. 403. 410. 356-358 . 363 . 374 . 380 . 381. 382.
411 384. 385. 387. 394. 397. 402. 403.
Griin 6. 7 A16. 11. 12. 16-18. 20- 406. 409. 411-414
22. 27. 28. 31. 32. 40. 58. 59. 64. Schwarz 4. 25. 31. 39. 56. 58. 59.
69 . 70. 79. 80. 90. 98. 101. 103. 60. 83. 115. 117. 126. 132. 138.
111. 112. 117. 118. 122. 127. 134. 139. 147. 178. 195. 197. 199. 209.
138. 142. 144. 145. 165. 166. 168. 210. 218. 223-225. 229. 234. 250.
169. 172. 177. 189. 190. 195. 206. 254. 255. 259. 266. 267. 290-292
207. 212. 218. 221. 223. 226. 228. 300. 305. 306. 308. 309. 310. 311.
229. 250. 262. 264. 267. 278. 295. 323. 331. 352. 358. 359. 360. 373.
305. 307. 308. 310. 311. 313. 314. 374. 380. 387. 393. 394. 396. 397.
318. 322-324. 328. 331. 333. 343. 401. 402. 404. 405. 408. 411—414
350. 351. 355-357. 359. 363. 373. Silber 25. 138
378. 380. 382-385. 389. 391. 393. Violett 122. 170. 189. 215. 218. 221.
394. 402. 403. 406. 409 223. 255. 264. 284. 305. 310. 311.
Karmin 15. 18. 28. 32. 69. 83. 98. 318. 321. 323. 327. 328. 331. 356.
101. 109. 112. 118. 144. 145. 154. 373. 378. 382. 385. 395. 402. 403.
172. 173. 177. 229. 252. 311. 313. 406
395 Weiß 4. 9. 10. 12. 17. 26. 28. 31. 32.
Lila 40. 154. 356 35. 40. 49. 56. 58. 59. 60. 79. 83.
428 Register