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IDOMENEUS
von
Roland Schimmelpfennig
2
Eine Gruppe von etwa zehn bis vierzehn Männern und Frauen.
Es können auch mehr oder weniger sein.
3
1.
4
VIER FRAUEN, VIER MÄNNER:
in einen Sturm,
in ein Unwetter,
einen Orkan,
ALLE:
ein einziges von achtzig,
ZWEI:
das Schiff des Königs,
ALLE:
die anderen,
alle,
WENIGE, VERSTREUT:
die großen Schiffe,
einmal gekentert, laufen voll Wasser
5
und dann:
EINER:
rauschen sie lotrecht in die Tiefe,
ZWEI:
und mit den Schiffen,
EINE GRUPPE:
in ihnen gefangen,
EINE FRAU:
sinken die Männer auf den Grund
des Meeres,
DREI FRAUEN:
die Männer, die Krieger, die Soldaten
aber nicht nur die:
die Sklaven,
sicher auch Kinder.
hoffnungslos
hilflos
6
ums Leben, nur ums Leben,
und sterben doch,
FÜNF VERSCHIEDENE:
ertrinken, krepieren -
wahllos
jung und alt. Es trifft jeden.
EIN MANN:
Der König,
nicht mehr jung nach zehn Jahren Krieg,
Idomeneus,
der viele in den Tod hat gehen sehen, sehr viele,
brüllt das Meer an,
den Gott,
ZWEI FRAUEN:
Dieses Ende,
7
Gott,
EIN MANN:
Nach allem, was geschehen ist,
nach allem
was geschehen ist,
Dieses Ende,
nicht im Krieg,
EINE FRAU:
Die Angst,
die Angst zu sterben,
8
EINE ANDERE FRAU:
oder doch:
BEIDE:
die Angst
vor dem Sterben
jetzt aber,
jetzt aber hat Idomeneus genug davon gesehen,
er weiß,
wohin die Reise geht:
in das Grauen,
in den Schmerz.
9
SIEBEN:
Taub vor Angst
glaubt Idomeneus,
SIEBEN:
im Tosen des Orkans
DREI:
Was
was versprichst du zu tun,
überlebst,
was tust du dann?
10
werde ich das erste Lebewesen opfern, das uns dort
begegnet,
FÜNF ENTTÄUSCHTE:
Ein Opfer -
was für ein Tausch.
DREI ANDERE:
Wäre es nicht besser,
Idomeneus folgte seinen Männern
auf den neunundsiebzig verlorenen Schiffen in die
Unterwelt?
DIE ZWEI:
Er schreit und schreit:
Wozu habe ich gelebt, gekämpft,
11
EINE NICHT MEHR GANZ JUNGE FRAU MIT EINER TASCHE:
Und dabei hält der liebe Gott
für jeden einen Tod bereit.
DIE JUNGEN:
Der Wind läßt nach,
langsam.
Der Sturm legt sich,
nach und nach.
Wrackteile.
Reste der verlorenen Schiffe.
Sonne.
Idomeneus lebt.
DIE ALTEN:
Doch jetzt,
während die Wellenkämme sich leise kräuseln,
12
die ihn fast blind macht,
blind,
EIN ANDERER:
Drehen wir um, Männer,
und suchen wir das Ende auf dem offenen Meer.
DER DRITTE:
Hier können wir nicht sein,
das Schicksal hatte ein anderes Ende für uns vorgesehen.
DIE DREI:
Das will Idomeneus,
König der Insel da vor ihnen in der Sonne,
EINE FRAU:
Er denkt:
13
ZWEI FRAUEN:
die Küste hält Schlimmeres für uns bereit,
als alles, was wir je erlebten.
2.
VIER ANDERE:
Von der Sonne verbranntes Gras und Gestrüpp.
Steine.
ZWEI ANDERE:
Ein verwitterndes Labyrinth,
SIEBEN:
auf den Mauern
wachsen Flechten.
EINE FRAU:
Der Wind.
14
EIN JUNGER MANN:
Oben,
auf dem Berg,
in der Stadt,
in einem Fenster
des Königspalastes,
der Kopf eines jungen Mannes,
EINE FRAU:
das ist der Sohn des Idomeneus,
Idamantes,
etwa achtzehn oder zwanzig Jahre alt,
Er hat gesagt,
er kommt zurück.
Versprochen ist versprochen.
15
EIN JUNGER MANN:
Was ist das für ein Schatten auf dem Meer?
3.
DREI FRAUEN:
Anderswo,
in einem anderen Zimmer des Palastes,
eine noch junge Frau,
ein alter Mann.
DREI MÄNNER:
Sie keuchen.
EINE FRAU:
Früher Morgen.
DREI FRAUEN:
Was macht er mit ihr?
16
klatsch klatsch klatsch
patsch patsch
DREI MÄNNER:
sie: das ist Meda,
die Königin von Kreta,
Frau des Idomeneus,
eine noch junge Frau,
seit zehn Jahren allein,
EINE FRAU:
er: das ist Nauplios,
König von Nauplia,
ein Sklavenhändler,
früher einmal einer der Männer Jasons,
ein Argonaut,
DREI MÄNNER:
heute ein alter Mann
17
4.
EIN MANN:
Am Strand,
EINE FRAU:
nichts.
DIE FRAU:
Keine Eidechse. Kein streunender Hund, kein Käfer.
DIE DREI:
Aber wofür?
18
DIE FRAU:
Die hin und her irrenden Blicke des Königs.
Zick zack,
das ist kein Tier,
das ist ein Mensch,
19
der ruft: Hallo, hallo?
DIE FRAU:
Wer seid ihr?
ich bin
Idamantes,
der Sohn des Idomeneus,
Habt Ihr
die untergehen sehen?
Schweigen.
20
Und was habt ihr gelobt zu tun,
wenn ihr eines Tages
den Fuß auf den Boden der Heimat setzt?
DIE FRAU:
Was habt ihr geopfert,
um die Heimat lebend zu erreichen?
DIE FRAU:
Und als das Blut ihre Füße erreicht,
ergreifen die Männer den König von Kreta,
21
DER ERSTE MANN:
sie ziehen seine Haut ab,
bei lebendigen Leibe,
DIE FRAU:
und sie schneiden ihn auf,
zerren seine Därme auf den Strand,
und machen dem König
daraus eine Kette.
DIE FRAU:
so ist es nicht gewesen.
Mein Sohn,
DIE FRAU:
erkennst du deinen alten Vater nicht?
Komm her, laß dich in meine Arme schließen,
geliebtes Kind, komm, komm -
22
DER ZWEITE MANN:
mein Vater, mein lieber Vater,
DIE FRAU:
und wendet den Blick zurück
auf das ruhige Meer.
DIE FRAU:
Nicht den Sohn -
wer opfert seinen Sohn?
DIE FRAU:
Der leere Strand.
23
DER ERSTE MANN:
Was für ein Geschenk.
DIE DREI:
Die Wellen.
5.
ZWEI MÄNNER:
Nauplios:
alt,
unförmig,
ZWEI MÄNNER:
Nauplios: König von Nauplia
und Sklavenhändler,
24
bevor er dick wurde,
ZWEI FRAUEN:
Und dafür sucht Nauplios Rache.
VIER MÄNNER:
Der Sohn des Sklavenhändlers
war ein Mann der Buchstaben.
Einer, der sogar
Buchstaben erfinden konnte.
Palamedes.
EINE FRAU:
A wie Anfang,
alle sagen andauernd A, aber keiner kann es schreiben,
wir brauchen ein Alphabet,
Papa des Palamedes.
Ich habe einen Anfang für das Alphabet gefunden!
25
EIN MANN:
Mein Junge: Und welches Ende wirst du finden?
DREI MÄNNER:
Odysseus, der listenreiche, stellte sich wahnsinnig,
als die Griechen nach Troja zogen, aber
Palamedes überführte Odysseus der Feigheit, weshalb
Odysseus ihn haßte.
Er stellte dem Palamedes eine Falle,
und er ließ Palamedes,
den klugen Kopf,
den Entdecker des Buchstaben A,
von den eigenen Leuten im Heerlager vor Troja
steinigen.
EIN MANN:
Der alte Argonaut,
Nauplios, Vater des Palamedes,
machte sich darauf selbst
auf den langen Weg von Nauplia
ins Lager der Griechen vor Troja,
um den toten Sohn zu holen,
und um Odysseus, den listenreichen, im Zweikampf zu töten.
26
ein mächtiger Mann,
VIER MÄNNER:
Kein Zweikampf.
EINE FRAU:
Also fuhr Nauplios mit der Leiche des Sohnes nach Hause,
ZWEI FRAUEN:
und dies war seine Rache an den griechischen Anführern,
die ihm sein Recht,
den Kampf mit Odysseus,
verweigert hatten:
ZWEI MÄNNER:
er fickte ihre Frauen,
alle,
nach und nach,
27
EINE FRAU:
und wenn er sie nicht selbst
ficken, besamen konnte,
ZWEI FRAUEN:
denn er war nicht mehr jung
und konnte auch nicht überall sein,
gleichzeitig,
EINE FRAU:
sieh mal, Klytämnestra,
das ist Aigisthos - was fällt dir zu ihm ein?
ZWEI FRAUEN:
Was fällt dir zu ihm ein?
EIN MANN:
Lieber Odysseus,
der kleine Leberfleck
auf der Innenseite
des rechten Oberschenkels -
mmmmm.
Dein Nauplios.
28
DIE ZWEI FRAUEN:
Und als Odysseus
nach zehn Jahren Krieg
und zehn Jahren Irrfahrt
heimkam, nach Ithaka,
da hatte sein Sohn Telemach
einen kleinen rothaarigen Bruder von elf Jahren.
6.
VIER ANDERE
Ein verwitterndes Labyrinth,
auf den Mauern
wachsen Flechten.
29
in der Stadt:
Idomeneus,
der König,
seinen Sohn Idamantes an der Hand,
zurück aus dem Krieg.
Er und die wenigen Überlebenden.
EINE FRAU:
Und da steht
Meda,
die noch junge Königin.
EIN MANN:
und hier ist auch kein Nauplios gewesen, nie.
ZWEI FRAUEN:
ein Gerücht, eine Erfindung,
30
EIN MANN:
Quatsch.
ZWEI MÄNNER:
Das ist Quatsch.
EIN MANN:
Oder?
ZWEI MÄNNER:
Zehn Jahre -
DIE BEIDEN:
Daß wir uns wiedersehen.
DIE FRAU:
Gott sei Dank.
DER MANN:
Ja.
31
EINE FRAU:
Gab es in Troja Frauen?
Da muß es doch auch Frauen gegeben haben.
EIN MANN:
So kommt das Gespräch nicht in Gang.
DIE FRAU:
Du hast geschworen,
den Sohn zu opfern?
Unseren Sohn?
DER MANN:
Nicht den Sohn.
Das erste Lebewesen,
das mir am Strand begegnet -
DIE FRAU:
Das Kind - und jetzt?
Ja, bring es um: Das ist der Preis.
DER MANN:
Der Preis wofür?
32
DIE FRAU:
Der Preis des Überlebens. Der Preis des Überlebens
ist der Tod der Kinder,
fick mich,
ich kann Dir neue Kinder schenken,
bring den Jungen um.
Wieviele Eltern
sehen ihre Kinder sterben?
7.
EIN MANN:
Die erste Nacht.
Die erste Nacht
zu Hause.
Idomeneus,
33
König von Kreta,
und sie,
Meda,
DER MANN:
Nach allem,
was geschehen ist.
DIE FRAU:
Müssen wir nicht
sprechen?
DER MANN:
Was sollen wir reden,
laß uns -
Der Zweifel.
Das Mißtrauen.
Das Zögern.
34
EIN MANN:
Und so steht Nauplios,
der vielleicht nie
auf Kreta war,
EINE FRAU:
der vielleicht nie
die Frau des Königs berührt hat,
EIN MANN:
trotzdem im Zimmer.
Liegt im Bett.
SIEBEN:
Der König,
Idomeneus,
35
EINE FRAU:
Aber da war nichts.
SIEBEN:
Gewalt,
EINE FRAU:
sie wehrt sich.
EINER:
Niemand kommt.
EINE FRAU:
Besser,
da wäre was gewesen.
ZWEI MÄNNER:
Also gut:
Nauplios, König von Nauplia,
Sklavenhändler,
Verführer,
früher einmal Argonaut,
Weggefährte des Herakles und des Orpheus,
dem Idomeneus vor zehn Jahren das Recht verweigert hatte,
die Ehre
seines von Odysseus gesteinigten Sohnes Palamedes
zu verteidigen,
betritt lautlos,
unbemerkt das Zimmer.
36
EIN ANDERER MANN:
A,
wußtest Du,
daß mein Sohn, Palamedes,
den Buchstaben A
erfunden hat,
den ersten Buchstaben des Alphabets?
EIN MANN:
Komm,
sagt Nauplios,
laß uns buchstabieren,
wie ist der Anfang unsres Alphabets,
und wie das Ende, das mein Sohn Palamedes
durch Odysseus fand:
A und O.
DREI FRAUEN:
Aber
Idomeneus bleibt am Leben.
doch Idomeneus
stirbt und stirbt nicht.
Kann nicht sterben.
ZWEI MÄNNER:
Das Töten
gelingt nicht.
37
so etwas wie ein Handel,
ZWEI FRAUEN:
oder ein unerfülltes Versprechen.
VIER MÄNNER:
Dafür macht sich Nauplios
zum neuen König von Kreta,
EINE FRAU:
heiratet
oder tötet
die Frau,
tötet den Sohn,
und setzt den alten König aus,
läßt ihn
von einem Fischer
aussetzen, wegbringen,
EIN MANN:
läßt ihn aussetzen an einem anderem Gestade,
fern von Kreta.
8.
EIN MANN:
Die erste Nacht.
Die erste Nacht zu Hause.
EINE FRAU:
Idomeneus,
König von Kreta,
38
DER MANN:
betritt das Schlafzimmer
von der linken Seite
und sie,
DIE FRAU:
Meda,
Schweigen. Unsicherheit.
DER MANN:
Nach allem,
was geschehen ist.
Sie sprechen.
Sie reisen durch die zehn verlorenen Jahre.
DER MANN:
Erzähl mir,
wie unser Kind groß wurde.
DIE FRAU:
Sprich von Troja. Vom Krieg.
39
DIE FRAU UND DER MANN:
Der Krieg.
Das Kind.
Der Krieg.
Das Kind.
Der Krieg:
DER MANN:
wie ich -
DIE FRAU:
Das Kind: als er fünfzehn Jahre alt war
DER MANN:
Mit fünfzehn?
BEIDE:
Leises Lachen.
DER MANN:
Heiraten? Wen?
DIE FRAU:
Ein Mädchen.
DER MANN:
Was für ein Mädchen?
DIE FRAU:
Die Tochter eines Fischers.
40
DER MANN:
Oh nein.
BEIDE:
Lachen, leises Lachen, Lachen.
DER MANN:
Die Tochter eines Fischers.
Und?
DIE FRAU:
Die wurde schwanger.
DER MANN:
Nein! Von ihm? Gut, gut!
DIE FRAU:
Und Troja?
DER MANN:
Wo ist das Kind?
DIE FRAU:
Weg.
DER MANN:
Wo?
DIE FRAU:
Bei dem Mädchen.
DER MANN:
Ist das Kind ein Junge oder ein Mädchen?
41
DIE FRAU:
Keine Ahnung. Habe ich nie gefragt.
DER MANN:
Warum nicht? Und die Kleine, die junge Mutter?
DIE FRAU:
Ist bei dem Vater, bei dem Fischer.
DER MANN:
Und der Junge, Idamantes?
DIE FRAU:
Liebte bald darauf eine andere
und liebt jetzt wieder eine andere.
DER MANN:
Wen?
DIE FRAU:
Elektra.
DER MANN:
Elektra?
DIE FRAU:
Die Tochter des Agamemnon.
42
DIE FRAU:
So ist es, die ist hier.
DER MANN:
Warum?
DIE FRAU:
Ich weiß nicht. Zuhause will sie keiner haben.
9.
DREI MÄNNER:
Und dieser Fischer,
der Vater des Mädchens,
geschwängert hatte,
derselbe Fischer
setzt später
den König von Kreta
DREI FRAUEN:
Im Boot der Fischer und der König.
43
DREI MÄNNER:
Der Fischer:
Dein Sohn
war ein geiles Schwein.
Dein Sohn
hat mein Kind gefickt.
Dein Sohn,
wie der gestunken hat,
nach zwei Tagen
auf dem Acker,
verrottend,
neben Mama Mama,
die hatte das lustig gefunden,
die hatte gesagt:
ich liebe Enkelkinder.
Ich liebe Enkelkinder.
10.
44
Lachen über die erste Liebe des Sohnes,
etwas gewöhnlich, etwas betrunken:
das Vötzchen, das kleine Vötzchen.
11.
neunundsiebzig,
ZWEI FRAUEN:
Das macht
viertausend Frauen,
45
EINE FRAU:
oder mehr noch.
BEIDE:
Die suchen in der Nacht den Strand ab.
Jede für sich. Die wandern herum.
ZWEI FRAUEN:
Ist das, das ist der Mann von -
hier,
hier, das ist,
ruft eine Frau,
er könnte es zumindest sein,
und das,
BEIDE FRAUEN:
Dieser könnte,
er könnte es zumindest sein,
46
hier,
das ist -
12.
Frühstück,
Vater, Mutter,
Sohn,
47
DER MANN UND DIE FRAU:
Familie. Endlich zuhause.
DER MANN:
Manchmal denkt der König:
wenn jetzt einer zur Tür rein kommt und alles kurz und
klein schlägt-
(wie in Troja)
alles vernichtet.
DER MANN:
Was? Wie bitte, was hattest du gesagt, mein Sohn,
ich war in Gedanken,
BEIDE:
was möchtest Du mir sagen, sag es bitte noch einmal.
48
DER MANN:
Der Vater: Herrlich. Wie ist der Name des Mädchens?
DER MANN:
Der Vater: Elektra - die Tochter des Agamemnon und der
Klytämnestra .
BEIDE:
Warum ist sie nicht in Mykene
und wartet neben der Mutter auf den Vater,
Wenn jetzt einer zur Tür rein kommt und alles kurz und
klein schlägt-
DIE FRAU:
Ein Mann betritt den Raum.
Bleich, weiß, wie im Schock, grußlos.
49
EIN BLEICHER MANN:
Ein Unglück ist über die Insel Kreta gekommen.
Ganz im Osten der Insel
ist ein Walfisch an den Strand gespült worden,
DER MANN:
Widerlich.
DER MANN:
Was sagt es?
50
DER MANN:
Es sagt -
DER MANN:
Was?
DER ANDERE:
Es sagt, seine Name sei
Idamantes.
DER MANN:
Idamantes?
DER ANDERE:
Idamantes, wie Dein Sohn.
Es sagt, es will zu seinem Papa,
Idomeneus,
König von Kreta.
13.
ZWEI MÄNNER:
Auf dem Berg Ida:
Idomeneus und das Untier. Einander gegenüber.
ZWEI FRAUEN:
Sie sehen sich an.
51
Das Untier tatsächlich
ZWEI MÄNNER:
Idomeneus,
kommt gerade aus zehn Jahren Krieg.
EIN MANN:
Ich hätte dich -
ZWEI MÄNNER:
Er fragt
das Ding nach seinem Namen.
52
ich bin dein Kind.
Töten sollst du
das andere Ding,
53
EIN MANN:
Wir stehen
an der Grenze
von Aberglaube
und Vernunft.
Kann jemand
den gewaltsamen Tod eines Menschen
mit Vernunft erklären?
Nein.
ist nichts
als eine Mißgeburt aus Anmaßung und Angst,
Habgier und Schuld,
54
Du,
sagt der König zu dem Untier,
kannst mir nichts tun,
du bist nicht da,
ich bin stärker,
tausendmal stärker als du.
so zu sprechen,
nachdem er eine Stadt niedergebrannt hat?
55
verwandelt sich
in eine Biene und in einen Haifisch
und fliegt davon.
14.
EINE FRAU:
Elektra ist die Tochter des Agamemnon
und der Klytämnestra,
EIN MANN:
Idamantes ist der Sohn des Idomeneus und der Meda.
Idomeneus gelobte in Todesangst ein Opfer,
um einem vernichtenden Sturm zu entkommen,
und nun soll der Vater soll den Sohn töten.
56
BEIDE:
Angst. Verpflichtungen, Regeln, Gesetze.
Treue und Anstand.
Rache und Strafe.
DIE FRAU:
Alles hat Gründe.
DER MANN:
Was für eine Zeit
für die Mütter, die Väter,
DIE FRAU:
Die Kinder
wollen miteinander glücklich werden.
DER MANN:
Sie liebten sich,
begehrten sich rasend,
DIE FRAU:
oder sie dürfen sich nicht anfassen,
streng verboten,
57
BEIDE:
aber plötzlich hängen sie in einem Netz.
Verletzungen, Angst.
Verpflichtungen, Regeln, Gesetze.
DIE FRAU:
Treue und Anstand
und Rache und Strafe.
DER MANN:
Alles hat Gründe.
DIE FRAU:
Und sie soll
die Mutter umbringen,
und er soll sich vom Vater umbringen lassen,
DER MANN:
Lieber Vater,
bevor du mich umbringst,
bringe ich dich um,
DIE FRAU:
böse Mutter,
bevor ich dich umbringe,
bringe ich mich selber um.
58
und mit dem sie nichts zu tun haben,
und deshalb
gehen sie nachts an den Hafen
DIE FRAU:
und da stehlen sie
ein kleines Boot,
DER MANN:
die rote Rosie,
BEIDE:
und sie verschwinden
gemeinsam
in der Ägäis,
DIE FRAU:
die Ägäis,
Meisterwerk der Schöpfung,
herrlichstes aller Meere,
millionenfach glitzernd darin
der Mond und die Sonne,
DIE FRAU:
Nur,
59
daß Elektra
im Zorn,
in furchtbarem Zorn,
in einem Zorn,
der nichts übrig läßt,
DER MANN:
niemals mit Idamantes
in das rote Boot Rosie stieg
und gemeinsam mit ihrem Liebsten, ihrem Freund,
die Ägäis,
das Meisterwerk der Schöpfung,
durchquerte,
die Ägäis,
das Meisterwerk der Schöpfung,
blind vor Hass für die Schönheit des Meeres durchquerte,
60
Elektra.
DIE FRAU:
Diese Tat war Verpflichtung, Regel, Gesetz.
Treue und Anstand.
Rache, und dann kam die Strafe,
und Elektra mußte fliehen und reisen
DER MANN:
sie durchquert die Ägäis,
und bei Tag
und in den Nächten
denkt sie an das,
was sie nicht erleben durfte,
das Glück,
DIE FRAU:
Regeln, Gesetze.
DER MANN:
Treue und Anstand.
Rache und Strafe.
DIE FRAU:
Sie denkt
an das entstellte Gesicht der Mutter,
immer,
61
Seite an Seite
DER DRITTE:
es ist eine Frage der Ausdauer,
DER ZWEITE:
der Zähheit, der Technik, des Gewichts, des Alters,
DER DRITTE:
der Heimtücke,
der Feigheit und des Muts,
62
der Größe:
63
und ganz am Ende,
15.
für Wind.
Viel Wind.
64
aus dem trojanischen Krieg
heimkehrt,
ein Opfer,
um seinen eigenes Leben zu retten
und das Leben
seiner Männer.
EIN MANN:
Er tötet
wie versprochen
den ersten Menschen,
dem er am heimischen Strand begegnet:
EINE FRAU:
Die Mutter des geopferten Jungen
erhängt sich.
verdursten,
aber es dauert nicht lange,
65
den Zusammenhang erkennen
und den alten König verbannen,
und so ein Zeitalter des Aberglaubens beenden.
FÜNF VERSCHIEDENE:
Als Idomeneus,
König von Kreta,
DREI FRAUEN:
Er aber tötet nicht
wie versprochen
SIEBEN MÄNNER:
Aber er kommt allein zurück,
ohne die Männer,
66
die vor zehn Jahren
mit ihm gezogen waren,
die alle
kehren nicht heim.
VIELE:
Und die Menschen auf Kreta
haben in den letzten zehn Jahren
sehr gut ohne König gelebt.
EIN MANN:
Bald darauf
versiegen die Brunnen auf Kreta.
EINE FRAU
Die Menschen
verdursten,
67
und so beendet das Volk von Kreta
ein Zeitalter.
16.
DREI MÄNNER:
Ein Fischer soll ihn übersetzen,
nach Sizilien, gefesselt.
der Fischer,
Vater eines verführten Mädchens,
und Idomeneus,
früher König von Kreta,
der den Krieg in Troja gewann und alles verlor.
68
DER ZWEITE MANN:
Weißt du, was Du bist?
Weißt du, was Du bist?
17.
69
und Elektra,
eine junge Frau, die Geliebte des Idamantes,
sie finden
zuerst den geschächteten Jungen,
18.
70
EIN MANN:
Das Schiff ist weg.
ich,
ich werde,
werde ich -
am Leben,
ich hänge
71
am Leben,
in das Grauen,
in den Schmerz.
EINE FRAU:
Am Strand,
am Strand
nichts.
Felsen, Sand, Steine,
Aber wofür?
Keine Musik. Keine Trommeln und Trompeten.
Wo bleibt denn
das Begrüßungskomitee?
72
Da,
in der Ferne,
im ZickZack
über die Felsen springend,
Zick zack,
das ist ein Tier,
das ist
ein Hund.
EIN MANN:
Idomeneus,
sucht einen Strick und findet einen
und hängt sich nackt
mit dem Kopf nach unten
an einen Baum,
das war nicht einfach,
So war es nicht:
73
so ist es nicht gewesen.
Es ist so gewesen:
Das Leben.
Was für ein Geschenk.
Die Wellen.
am Leben,
ich hänge
am Leben.
ENDE
74