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U r s a c h e
Wirkung
Zeitschrift für Buddhismus
Konflikte im
Weltbuddhismus
SERIE: Einführung in den Buddhismus
In den beiden letzten Folgen dieser Einführungsserie haben wir uns mit den ersten drei Edlen Wahr-
heiten beschäftigt. Heute werden wir uns dem Pfad, der zur Befreiung führt, zuwenden, der vier-
ten Edlen Wahrheit.
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KONFLIKTE IM WELTBUDDHISMUS
nomene in gegenseitiger Abhängigkeit entstehen und ver- Ego, ist keine von der Welt unabhängige, ewig existierende
gehen. Selbst unser Bewußtsein, unsere Gefühle und Ge- Einheit (anatta). Vielmehr handelt es sich auch hier um
danken verändern sich von Moment zu Moment. “Nix is einen sich ständig ändernden Prozeß, der mit allen Aspek-
fix”, würde man auf Neu-Hochdeutsch sagen. ten des Lebens aufs engste verküpft ist.
Und nicht nur das: Auch unser Selbstbewußtsein, unser Ein weiterer Aspekt der rechten Sichtweise ist die Ein-
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sicht in den Mechanismus, wie wir uns selbst immer wie- Gemüselasagne bestellt, hätten wir anstatt des Gewünsch-
der vollkommen unnötiges Leid (dukkha) schaffen. Unse- ten nur einen erstaunten Blick mit dem Kommentar
re fixen Vorstellungen darüber, wie etwas oder jemand sein “Hamma need!” bekommen.
sollte, produzieren nur allzuoft unnötigen Schmerz. Unser Nach buddhistischem Verständnis besteht dieser Ursa-
Perfektionismus ist in einer Welt des ewigen Auf und Ab che–Wirkungs–Zusammenhang auch auf der ethischen
vollkommen unangemessen. Wir werden es niemals schaf- Ebene. Das Dhammapada, eine buddhistische Spruch-
fen, die vollkommene Sitzposition oder den vollkomme- sammlung, beginnt mit den berühmten Versen:
nen Partner zu finden. Viel sinnvoller ist es zu lernen, mit
unvollkommenen Umständen heilsam umzugehen. Sind “Den Dingen geht der Geist voran;
es nicht gerade die kleinen, täglichen Herausforderungen, der Geist entscheidet:
die uns das Material für unsere Praxis liefern? Kommt aus getrübtem Geist dein Wort und
Auch werden wir nach einiger Zeit feststellen, daß selbst dein Betragen,
wir nicht vollkommen sind. Perfektionistischer Selbstan- So folgt dir Unheil, wie dem Zugtier folgt der Wagen.
spruch macht uns – und anderen – nur Druck und verur- Den Dingen geht der Geist voran;
sacht jede Menge Schuldgefühle. Ist es nicht befreiend, zu der Geist entscheidet:
wissen: “Nobody is perfect”? Nimmt es nicht einigen Entspringen reinem Geist dein Wort und deine Taten,
Druck, wenn wir akzeptieren können, daß es okay ist, klei- So folgt das Glück dir nach,
ne Schwächen zu haben? Natürlich sind diese Schwächen unfehlbar wie dein Schatten.
nicht super, aber sie sind menschlich. (Dhp. 1–2)
Auch unsere Haltung, an Dingen und Menschen zu haf-
ten und sie als unseren persönlichen Besitz zu betrachten, Ähnlich wie beim Restaurantbesuch beginnt die spiritu-
schafft nur unnötige Frustrationen. Dinge, Menschen und elle Reise mit unserer Motivation und unserer inneren
Umstände ändern sich, auch wenn wir es nicht wahrhaben Einstellung. Es ist offensichtlich, daß es hilfreich ist, wenn
wollen. Obwohl wir nur allzugerne die Welt um uns her- wir anderen Wesen gegenüber friedlich, haßlos und nicht-
um kontrollieren möchten, treiben wir doch nur zu oft im anhaftend sind. Doch genauso wichtig ist diese Haltung
Fluß des Geschehens. uns selbst gegenüber. Wie oft passiert es während der Me-
ditation, daß wir an unserer Vorstellung “jetzt endlich ein-
Die rechte Einstellung mal gelassen und entspannt mit klarem Geist zu sitzen”
Ein wesentlicher Aspekt des spirituellen Trainings ist ei- hängen. Doch gerade diese Fixierung verhindert es, daß
ne heilsame und förderliche Einstellung zu sich selbst und wir gelassen sitzen.
zu anderen. Die rechte Einstellung beschreibt eine friedli- Doch damit nicht genug: Wir beginnen auch noch, uns
che, andere nicht–schädigende (Pali: avihimsa), haßfreie, selbst fertigzumachen. Gedanken wie “Mist, jetzt kann ich
liebevolle (avyapada) und offene, nicht an den Dingen mich schon wieder nicht konzentrieren!” oder “Ich bin
hängende (nekkhamma) Geistesverfassung. Jedes Glied einfach zu doof, um meinen Atem zu beobachten!” tau-
des achtfachen Pfade kann man sowohl als Beschreibung chen in unserem Geist auf.
des Geisteszustandes bzw. des Handelns eines vollkom- Anstatt mit unseren negativen Kommentaren Krieg ge-
men Erwachten als auch als wichtiges Werkzeug auf dem gen uns selbst zu führen, können wir lernen, uns selbst ge-
Weg zu diesem Ziel verstehen. genüber eine offene, friedliche und haßlose Einstellung zu
Betrachten wir diese innere Einstellung aus der Perspek- kultivieren. Der erste Schritt auf diesem Weg hat sehr viel
tive eines auf dem Wege Befindlichen, so wissen wir, daß mit Erforschen zu tun; sehen, wie die Dinge im Moment
all unsere Aktivitäten von geistigen und emotionalen Pro- passieren, ohne sie gleich manipulieren zu wollen. Robert
zessen ausgehen. Bevor wir in die nächste Pizzeria gehen Thurman, ein amerikanischer Buddhist, nannte Menschen,
und uns Gemüselasagne bestellen, sind schon eine ganze die ihr inneres Universum erkunden, Psychonauten – in
Menge innerer Prozesse abgelaufen. Vielleicht hat unser Anlehnung an die Astronauten, die den äußeren Raum er-
Magen geknurrt; vielleicht ist in unserem Geist das Gefühl forschen. Egal, was in unserem Geist auftaucht, wir neh-
Hunger aufgetaucht und es entstand in uns der Wunsch, men es wahr, wie es erscheint und sich ganz von selbst wie-
etwas zu essen; vielleicht sind wir mit der Motivation “et- der auflöst. Frei von Unterdückung, Zwang und Manipula-
was essen gehen” auf die Suche nach einem Lokal gegan- tion können wir in einer unbegrenzt weiten und offenen
gen? Auch wissen wir, daß ein Zusammenhang zwischen inneren Haltung verweilen.
unseren Gedanken, dem daraus entstehenden Handeln
und seinen Folgen besteht. Wären wir mit unserem Hun- Die rechte Rede
ger in eine Eisenwarenhandlung gegangen und hätten dort Es ist vielsagend, daß der rechten Rede ein eigener Ab-
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Ein junges Straßenmädchen verdient Geld durch Unterhaltung der Passanten beim Taj Mahal-Hotel
in Colaba.
schnitt des achtfachen Pfades gewidmet ist. Unser Alltag Vermeiden des Tötens lebendiger Wesen
besteht zu einem Großteil aus Aktivitäten, die mit Reden Oft wird dieser Aspekt als Nichttöten interpretiert, wo-
oder Kommunizieren zu tun haben. Wir haben kaum die bei er aber viel umfassender gemeint ist. Die Grundidee ist
Wahl, uns diesen Anforderungen zu entziehen. Ob wir die Achtung vor dem Leben und die Wertschätzung allem
wollen oder nicht, wir müssen reden, wir müssen kommu- Lebendigen gegenüber. Analysieren wir die Pali–Formulie-
nizieren. rung an, so stellen wir fest, daß sie sich auf alle atmenden
Auf die Frage nach der rechten Rede antwortete der Wesen bezieht. Nicht nur wir Menschen, auch alle Tiere
Buddha: sind damit gemeint. Auch wenn dieser Aspekt negativ for-
muliert ist, hat er eine positive Bedeutung und zwar den
“Abstehen vom Lügen, Abstehen von Zwischenträgerei, Schutz und die Förderung des Lebens. Es ist nicht immer
Abstehen von roher und verletzender Rede, Abstehen ganz einfach, diesen Anspruch allen lebenden Wesen ge-
von törichtem Geplapper. Dies gilt als rechte Rede.” genüber anzuerkennen. Beliebte Übungsobjekte sind
(D 22) Stechmücken und Ameisen im Sommer oder unser alltäg-
licher Fleischgenuß. Obwohl man es der Wurst nicht an-
Es ist offensichtlich, daß diese vier Aspekte der Sprache sieht, mußte ein Tier seinen Kopf dafür hinhalten.
nicht besonders heilsam für uns und andere sind und
doch beschreiben sie nur eine Seite der Medaille. Wir alle Vermeiden, Nicht Gegebenes zu nehmen
kennen Situationen, in denen es hilfreicher ist, einfach ei- Dieser Aspekt des rechten Handelns bezieht sich auf un-
nem anderen Menschen unsere ungeteilte Aufmerksamkeit seren Umgang mit “mein und dein” und überschreitet
zu schenken, als ihn mit vielen Worten zu erschlagen. Bei- auch hier das engere Verständnis, daß man nicht stehlen
de Aspekte – aufmerksames Zuhören und einfühlsames soll. Im Prinzip geht es hier um den Umgang mit unserer
Sprechen – gehören untrennbar zusammen und bilden die eigenen Gier. Gandhi sagte einmal:
Grundlage dieser inneren Einstellung.
“Die Welt hat genug für die Grundbedürfnisse aller Men-
Das rechte Handeln schen, doch nicht genug für die Gier aller Menschen.”
Das Pfadglied des rechten Handelns beinhaltet drei
Aspekte: zu vermeiden, lebendige Wesen zu töten; zu ver- Eine Möglichkeit, mit unserer Gier zu arbeiten, ist es,
meiden, Nicht–Gegebenes zu nehmen, und zu vermeiden, uns in Größzügigkeit (Pali: dana) zu üben. Der Buddha
die Sinne falsch zu gebrauchen. hat seinen Schülern immer wieder ans Herz gelegt, Dana
zu praktizieren, wissend, daß diese Übung direkt zum
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Der rechte Lebenswandel Der Artikel wird in der nächsten U&W fortgesetzt.
Am Ende eines jeden Meditationsseminars stellt sich im-
mer wieder die Frage, wie ich die neuen Einsichten und
Erfahrungen in meinem Alltag umsetzen kann. Ohne die BENUTZTE LITERATUR:
D 22 = Digha Nikaya (Nyanaponika: Geistestraining durch Achtsam-
Integration in unser normales Leben macht spirituelle Pra- keit. Konstanz: Christiani 1979)
xis wenig Sinn. Der Grundgedanke beim rechten Lebens- Dhp. = Dhammapada (Schmidt, Kurt: Sprüche und Lieder. Kon-
wandel ist es, andere Wesen durch unseren Lebenserwerb stanz: Christiani Verlag 1954: )
nicht zu verletzten oder auszubeuten. M 41 = Majjhima Nikaya (Schmidt, Kurt: Buddhas Reden. Leimen:
Kristkeitz Verlag 1989: 142)
SN 45.10 = Samyutta Nikaya (nach Nyanaponika/Geiger/Hecker:
“Wie eine Mutter mit ihrem Leben ihr einzig Kind be- Die Reden des Buddha. Gruppierte Sammlung, Samyutta Nikaya.
schützt und behütet, so möge man für alle Wesen und Herrnschrot: Beyerlein–Steinschulte 1997: 229)
die ganze Welt ein unbegrenzt gütiges Gemüt erwecken: Sn 143–152 = Suttanipata (Vimalo, Kulbarz: Jeder Tag ein guter
ohne Haß, ohne Feindschaft, ohne Beschränkung nach Tag. Berlin: Theseus Verlag 1996: 358)
oben, nach unten und nach allen Seiten.”
(Sn 143–152) Frank Zechner ist Diplompsychologe und arbeitet als Super-
visor und Kommunikationstrainer mit Pflegekräften aus dem
Konkret empfahl der Buddha seinen Laienanhängern, Gesundheitsbereich. Außerdem lehrt er seit einigen Jahren Me-
fünf Berufe nicht auszuüben: Geschäfte mit Waffen, mit ditation in der Theravada–Schule der Österreichischen Buddhi-
lebenden Wesen, mit Fleisch, Rauschmitteln und Giften. stischen Religionsgesellschaft.
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