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U r s a c h e
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Handeln, Mitgefühl, Wohlwollen und meditatives Trai- “Das Erlöschen der Leidenschaft, das Erlöschen des
ning. Die regelmäßige Anwendung dieser Hilfsmittel Hasses, das Erlöschen der Verblendung ist es, mein
führt auf der einen Seite zu immer tieferen Einsichten in Freund, was man Nirvana nennt.” (S 38, 1)
die Mechanismen, durch die wir durch unser Anklam-
mern Leid produzieren, und auf der anderen Seite erfah- Das Verlöschen der Verwirrung wird als Einsicht in das
ren wir Geisteszustände, in denen wir frei von Leid, Gier Nichtvorhandenseins eines unabhängigen, in sich selbst
und Ablehnung sind, wir erleben Geisteszustände der bestehenden, ewigen Seelenkerns verstanden. Nie ging es
vollkommenen Verbundenheit allen Seins und der unbe- um die Auflösung unserer Person, in dem Sinne, daß es,
grenzten Liebe ... wenn wir eine Erleuchtungserfahrung machen, “blob”
macht und wir weg sind. Vernichtungsideen dieser Art
Der Leser merkt schon, daß wir hier an eine begriffliche entstanden erst im letzten Jahrhundert durch Mißver-
Grenze stoßen. Unsere Sprache mit all ihren Begriffen ist ständnisse einiger gelehrter Indologen und christlich ori-
nur sehr eingeschränkt geeignet, Geisteszustände und Er- entierter Schriftsteller. Vom buddhistischen Standpunkt
fahrungen zu beschreiben. Klappt dies bei Erfahrungen, aus gesehen gibt es gar nichts, was sich auflösen könnte.
die allgemein üblich sind, noch einigermaßen, so versagt Das einzige, was sich auflöst, ist unsere Idee, daß so etwas
unsere Sprache dann vollkommen, wenn es sich um existiert.
außergewöhnliche Erfahrungen handelt. Und außerge- Neuere Untersuchungen bringen noch einen anderen
wöhnliche Erfahrungen sind die sogenannten Erleuch- Aspekt in die Diskussion des Begriffs Nirvana als Verlö-
tungserlebnisse im Buddhismus allemal. Sie sind mit un- schen ein, und zwar ausgehend von der Feststellung, daß
seren Begriffen nur sehr unzureichend zu erfassen. nach altindischer Auffassung das Feuer auch nach dem
Nach seinem Erleuchtungserlebnis kam dem Buddha Ausgehen nicht aufhört zu existieren, sondern frei von
folgender Gedanke: “Gefunden habe ich diese Lehre, die Aufgeregtheit, doch weiterhin existent ist. So liegt auch
tiefe, schwer ersichtliche, schwer begreifbare, vollkomme- hier die Betonung auf Befreiung, d. h. wir hören nicht auf
ne, nicht durch Schlußfolgern zu erreichende, nur für zu existieren, sondern wir sind von unseren Befleckungen
Weise zu verwirklichende” (M 26). Folgerichtig hält sich und Verblendungen befreit. Entsprechend der Kommen-
der Buddha im Pali-Kanon, der ältesten Sammlung budd- tare wurde Nirvana im englischsprachigen Raum mit “un-
histischer Texte, in der Beschreibung dieses Zustandes binding” oder “uncraving” übersetzt, was so viel wie
stark zurück, da wir ihn ja nicht verstehen, sondern nur “Nicht-Bindung” oder “Nicht-Festhalten” bedeutet.
verwirklichen können. Dies hielt aber die späteren Kom- Ajahn Sumedho schreibt dazu, daß Verlöschen sehr nach
mentatoren nicht davon ab, immer wieder zu versuchen, Vernichtung klingt. Doch es geht nicht um die Vernich-
diese Erfahrung aus den unterschiedlichsten Perspektiven tung von Dingen, sondern einzig und allein um das Los-
zu beschreiben. Auch wir werden uns diesen Versuchen lassen unserer Verhaftungen an ihnen. Wenn wir dieses
anschließen und einige der wesentlichen Aspekte dieser Nichtanhaften wirklich erleben, erfahren wir Nirvana.
befreienden Erfahrung darstellen.
Im Buddhismus wird diese Erfahrung, die frei von Fru- Dieser positive, befreiende Aspekt des Nirvana findet
strationen, Verlangen und Abneigungen ist, mit dem seinen Ausdruck in Stellen wie:
Sanskrit-Begriff “Nirvana” bezeichnet. Doch was bedeu-
tet eigentlich dieses Wort, das sogar schon durch die “Das Nirwana ist allerhöchstes Glück.” (Dp 203/204)
Charts der internationalen Hitparaden geistert?
Unsere Suche nach der Bedeutung des Nirvana führt “Glück, ihr Brüder, ist dieses Nirvana,
uns ins Dickicht der deutschen Sprache, genauer ins Jahr Glück, ihr Brüder, ist dieses Nirvana.” (A 9, 34)
1928. In diesem Jahr veröffentlichte der erste deutsche
buddhistische Mönch Nyanatiloka seine Pali-Anthologie. Und doch bezieht sich Glück hier nicht auf unser all-
Dort finden wir eine Erklärung, daß sich Nirvana aus zwei tägliches Glück, sondern auf ein Glück, das jenseits unse-
Worten zusammensetzt. Aus “nir” und “vana”, wobei er res begrifflichen Denkens liegt. Es ist ein Zustand, in dem
“nir” mit “nicht” und “vana” mit “Wahn” oder “Erlö- unsere alltägliche Sprache, die die Welt in “ich” und “die
schen” übersetzte. Das Erlöschen wurde mit dem Ausge- anderen” aufteilt, nicht mehr greift. Jenseits unserer Ego-
hen einer Lampe oder eines Feuers verglichen. Aus dieser zentrik wird dieses Erleben oft in Paradoxen beschrieben,
Herleitung hat sich im Deutschen die Übersetzung des die logisch gesehen wenig Sinn machen. Nur wenn wir
Nirvana als “Erlöschen” eingebürgert. Wobei sich Erlö- unser Herz öffnen, können wir erahnen, was damit ge-
schen immer auf die drei Geistesgifte Gier, Abneigung meint ist.
und Verwirrung bezieht.
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