Sonderheft 2003 2,50 EUR RUHR-UNIVERSITäT BOCHUM

rubin
Verbotene Liebe – “Rassenschande” im Ruhrgebiet

Computer lernen sprechen

Argoland – Der verschwundene Mikrokontinent

Altöl trickreich recyceln

Talsperrenüberwachung mit dem Handy

Die Geburt neuer Sterne

Antimikrobielle Peptide: Antibiotika der Zukunft?

junior
 Inhalt
junior RUBIN 2003

Editorial 5

Seite 13
Seit fast 50 Jahren versuchen die
Menschen, Computern das Spre-
chen beizubringen. Mittlerweile
sind Dialoge mit Maschinen zwar
möglich – aber bis wir natürliche
Gespräche mit ihnen führen kön-
nen, müssen die Systeme weiter
verbessert werden. Was aber ist
es, das gute Dialoge ausmacht?
Andreea Niculescu ermittelte ein
Ranking von Qualitätsfaktoren.
Geisteswissenschaften
Die Verfolgung von 6
"Rassenschande" im Ruhrgebiet
1933-1945
Aspekte der Bochumer 10
Eingemeindungen 1904 – 1929
Künstliche Intelligenz 13
Computer lernen sprechen
Geschlechtsspezifische 17
Gespräche in Dozentensprechstunden

Medizin
Seite 20
Keine 100 Jahre nach der Entdeckung Antimikrobielle Peptide 20
der Antibiotika geht ihre Karriere Antibiotika der Zukunft?
bereits wieder zu Ende:Immer mehr
Bakterien werden resistent. Neue Genetische Ursachen der 24
Hoffnung machen natürliche Ei- Narkolepsie
weiße, die Teil der angeborene Kör-
perabwehr sind. Welche Bakterien Ski und Rodel gut 28
sie töten können und wie man sie Wintersport in der Skihalle
einsetzen könnte, untersuchte
Gottlieb Pazdzierny.

Seite 32
Auf der Suche nach Sternen-Embryos
haben Vera Hoffmeister und Katrin
Kämpgen auch die Welt gesehen:
Mit Hilfe optischer Teleskope und
Radio-Detektoren in Chile und auf
Hawaii gewannen sie einzigartige
Eindrücke von der Entstehung neuer
Sterne.
Naturwissenschaften
Auf der Spur eines 32
verschwundenen Mikrokontinents
DNA-Vergleich per Münzwurf 36
Mathe-Tricks in der Biologie
Immobilienwirtschaft 39
Das richtige Haus am richtigen Ort

Die Geburt neuer Sterne 42

beobachten

Seite 56
Talsperren zählen zu den beein-
druckendsten modernen Bauwerken.
Doch die riesigen Mengen gestau-
ten Wassers sind auch eine poten-
zielle Gefahr. Kay Smarsly und Ingo
Mittrup entwickelten eine Software,
mit der man die Sicherheit an der
Ennepetalsperre über Internet oder
Handy im Auge behalten kann.
Ingenieurwissenschaften
Neue Ansteuerelektronik für 46
umweltfreundliche Motoren
Mit Hochdruck für die Umwelt 50
Altöl trickreich recyceln
Talsperrenüberwachung 56
mit dem Handy
Formgedächtnismaterialien 61
unter der Lupe

Impressum 66

junior RUBIN 2003
Entdecker gesucht
Roland A. Fischer
S
ir John Maddox, langjähriger
Herausgeber von "Nature", eines
der führenden Wissenschafts-
journale der Welt, stellt in seinem
Buch "What remains to be discovered"
große Fragen nach den Ursprüngen
des Kosmos, des Lebens und des
Denkens. Faszinierende Fragen,
haben sie doch uns Menschen seit
jeher umgetrieben. Hand aufs Herz:
kaum zu fassen ist, was wir schon her-
ausgefunden haben, seit Nikolaus
Kopernikus das mittelalterliche Welt-
bild stürzte! Historisch war das erst
gestern und heute kennt jedes Schul-
kind den Ort unseres Planeten unter
den Sternen ebenso wie die tatsäch-
lichen Funktionen des Herzens, der
Arterien und des Blutes. Eine Selbst-
verständlichkeit? Nein! Die Jugend an
unseren Universitäten und Hoch-
schulen muss das Erbe der Aufklä-
rung immer wieder mühevoll aufs
Neue erwerben und kritisch prüfen
lernen und vielleicht geht es dabei
nicht wenigen, eben die Schule been-
det und schon wieder ganz am
Anfang, ein bisschen so wie Solveig
Herrmann. Unter dem Eindruck ihres
ersten Labor-Praktikums sandte sie
mir folgende kleine Geschichte:
"Etwas genau zu beobachten oder zu
recherchieren und dabei etwas her-
auszufinden, was vielleicht noch kei-
ner vorher gesehen hat, scheint mir
eine recht hintergründige Sache zu
sein. Um es da zur
Perfektion zu brin-
gen, müssen zwei
Fähigkeiten mitein-
ander verbunden wer-
den, die so gegen-
sätzlich sind, wie nur
möglich. Ich weiß,
die These ist gewagt,
will aber versuchen,
die Sache an einem
ganz einfachen Bei-
spiel zu erklären:
Sagen wir, wir sehen
auf der Straße eine
Tüte von Aldi, die im Wind tanzt. Ein
Passant würde vielleicht denken: ‚Das
ist Müll, Umweltverschmutzung!’,
denn das haben wir alle so gelernt. Ein
Physiker würde sich vielleicht für die
Luftzirkulationen interessieren, denn
auch das hat er gelernt und kann es
auf diesen Fall anwenden. Da kommt
ein kleines Kind von nicht mal 3 Jah-
ren und schaut der Tüte fasziniert zu,
wie sie da im Wind tanzt. Vergnügt
läuft es darauf zu und fängt an, die
Bewegungen mitzumachen und mit
ihr zu tanzen, bis die Mutter kommt
und ruft, dass sich das aber nicht
gehört! Das Kind schaut seinem
neuen Freund traurig nach und winkt
ihm freundlich hinterdrein. Ich denke,
von den dreien sah das Kind das
‚Leben der Tüte’, das Wirken der
Natur, wohl in der ursprünglichsten
Form. Doch das wird es mit der Zeit
verlernen, wenn es lernt, die Dinge
mit mehr Wissen zu sehen. Zugege-
ben, mit wissenschaftlicher Arbeit hat
das zunächst wenig zu tun. Dazu
bedarf es ja einer gründlichen Ausbil-
dung! Doch genau hier liegt der
Punkt: Mir scheint, dass man fun-
diertes Wissen mit ganz ungebroche-
ner, kindlicher Naivität, Neugier und
Wissensdurst verbinden muss, und
das Kindsein nie ganz verlieren darf.
Nicht einfach. Andere mögen meinen,
jemand, der sich für flatternde Plas-
tiktüten begeistern kann, ist wirklich-
keitsfremd und einfach nicht ganz
dicht. Aber gerade diese Begeisterung
Editorial
ist es doch, die zum Erfolg führt!"
Wie könnte man es besser auf den
Punkt bringen? Wissenschaft, das sagt
mir ihre Geschichte, ist vor allem eine
Geisteshaltung! Die Erfindung des
Erfindens, die Prinzipien kritischer
Selbstreflexion, die Überwindung
dogmatischer absoluter Autorität, die
Lust an der Erkenntnis, der friedliche
Umgang mit Interessenkonflikten, all
das sind Güter unserer Kultur im
Haus der Wissenschaften. Kaum eine
handvoll Jahre sind ihr die Autoren
und Autorinnen dieser Junior-Aus-
gabe des Forschungsmagazins der
Ruhr-Universität Bochum voraus.
Bald wird sie auch soweit sein. Das
Heft ist eine Einladung: Kommen Sie
herein und schauen Sie sich um. Ent-
decken Sie die neuen, ganz eigenen
Spuren, die unsere Absolventinnen
und Absolventen mit ihren Examens-
arbeiten darin hinterlassen haben und
freuen Sie sich mit uns über diesen
Zugewinn. Mikrokontinente werden
dabei verschwinden und Sterne wer-
den geboren, trickreich Münzen
geworfen und Worte gefangen, die den
kleinen Unterschied markieren. Bak-
terien wird der Garaus gemacht und
ganze Talsperren in der Hand gehal-
ten, mit Hochdruck, Lötkolben und
Lupe werden Probleme gelöst, in
Archiven Geschichte entdeckt und
mit Computern geplaudert, es wird
geschlafen, im Schnee gerodelt und
vieles mehr. Neugierig geworden? –
Bestimmt!
Prof. Dr. Roland A. Fischer
Lehrstuhl für Anorganische Chemie II, ist
Rektoratsbeauftragter für Schulkontakte
der Ruhr-Universität.
Geisteswissenschaften
junior RUBIN 2003

Die Verfolgung von "Rassenschande"

im Ruhrgebiet 1933-1945

Verbotene Liebe
Martin Feyen Ihren biologisch begründeten Rassismus untermauerten die
Nazis 1935 mit einem Gesetz, das Geschlechtsverkehr zwi-
schen Deutschen und Juden verbot: "Rassenschande" war
strafbar. Mit den Akten der im Ruhrgebiet angezeigten und
verfolgten Fälle beschäftigte sich Martin Feyen in seiner
Magisterarbeit.

A
" ußerehelicher Verkehr zwi-
schen Juden und Staatsange-
hörigen deutschen oder art-
verwandten Blutes ist verboten."
Diese Bestimmung des "Gesetzes zum
Schutze des deutschen Blutes und der
deutschen Ehre", wie es der Reichstag
am 15. September 1935 auf dem
NSDAP-Parteitag in Nürnberg verab-
schiedete, stellt eine Zäsur in der Ras-
senpolitik des NS-Regimes dar.
Zusammen mit dem Verbot der Ehe-
schließung zwischen "Deutschblüti-
gen" und "Juden" markiert sie den
Durchbruch des biologisch begründe-
ten Rassismus auf der Ebene der
Gesetzgebung. Ab sofort war jeder-
mann in Deutschland gehalten, in sei-
nem Privatleben die Grundsätze der Abb. 1: Im Gefolge der antisemitischen Hetze wurden verdächtigte Paare im Sommer
Rassenideologie zu beachten: Sex mit 1935 in vielen Städten regelrecht an den Pranger gestellt, hier eine Szene aus Hamburg.
Menschen anderer "Rasse" war straf-
bar - laut Gesetz nur für Männer, spä- nenakten im Hauptstaatsarchiv Düs- Tatsache, dass sich bisher kaum
ter dann (faktisch) auch für Frauen. seldorf hin, darunter auch Akten über jemand eingehender mit diesem
Angesichts der großen Bedeutung, die Ermittlungsverfahren wegen Verstö- Aktenbestand beschäftigt hatte: Ich
den "Nürnberger Gesetzen" allgemein ßen gegen den oben zitierten §2 des hatte mein Thema gefunden!
beigemessen wird, sind ihre konkreten "Blutschutzgesetzes". Anhand der Gut zwei Monate lang verbrachte ich
Auswirkungen, insbesondere ihre Archivkartei fand ich heraus, dass von meine Tage größtenteils im Lesesaal
Durchsetzung vor Ort, bislang er- den Gestapo-Dienststellen in Essen, des Archivs. Für die Auswertung mus-
staunlich wenig erforscht. Als ich nun Duisburg und Oberhausen insgesamt ste ich mich zunächst im Aufbau der
nach einem Thema für meine Staats- 192 Akten über Fälle von "Rassen- Akten zurechtfinden: Sie enthalten
arbeit suchte, wies mich ein Dozent schande" erhalten waren. Neben der die Aussagen von Beschuldigten und
auf den Bestand der Gestapo-Perso- Thematik selbst reizte mich auch die Zeugen sowie Vermerke der ermitteln-
 Geisteswissenschaften
junior RUBIN 2003

Abb. 2a) Im Sommer 1935 starteten der "Stürmer" und andere
Parteiorgane eine reichsweite Kampagne gegen angebliche
"Rassenschänder". Dabei wurden vor allem blonde Frauen als
naive Opfer sexueller Ausbeutung durch jüdische Männer oder
aber als verdorbene "Judenliebchen" dargestellt. Den Endpunkt
dieser Hetzkampagne bildeten die sog. "Nürnberger Gesetze"
vom 15. September 1935.
b) Der "Stürmer" war Eigentum des fränkischen Gauleiters
Julius Streicher und für seinen primitiven Antisemitismus
berüchtigt. Er hing in den sog. "Stürmer-Kästen" aus und
konnte so kostenlos von den Passanten gelesen werden.
Im Sommer 1935 veröffentlichte er auf Zuschrift Bild, Name
und Anschrift von jüdischen Männern und ihren vermeintlichen
Partnerinnen.

den Beamten dazu, liefern jedoch kei- quenzen, die sich für die Betroffenen lich rekonstruieren: Das Spektrum
nen Hinweis auf die Bedingungen, ergaben. Hinter jeder Akte stehen der Verdächtigten reichte vom jüdi-
unter denen die Aussage zustande Menschen — dies musste ich mir schen Arzt, dem seine "deutschblüti-
gekommen ist. Ein Phänomen, das immer wieder vergegenwärtigen, um gen" Standesgenossen "auffallend
mich die ganze Zeit über beschäftigte, nicht etwa unkritisch die Perspektive viele" gynäkologische Untersuchun-
ist die Diskrepanz zwischen der und Begrifflichkeit der Verfolger zu gen vorwerfen, bis zur Prostituierten,
schlichten äußeren Form, der nüch- übernehmen.
ternen, spröden Beamtensprache und 148 Ermittlungsverfahren wegen Zur Rassenschande
den mitunter dramatischen Konse- "Rassenschande" konnte ich schließ- verführt

50 600 die angeblich "deutschblütige" Män-

Ermittlungsverfahren wegen “Rassenschande” im westlichen Ruhrgebiet

45 ner zur "Rassenschande" verführt.

Verurteilung wegen “Rassenschande” auf Reichsebene

500 Für die Arbeit habe ich schließlich

40
schweren Herzens elf Fälle ausge-
35 wählt, um mit ihrer Schilderung
400
30 wiederkehrende Verhaltensmuster der
25 300 Beteiligten deutlich zu machen. Zwei
ausführliche Fallstudien aus den Jah-
20
ren 1933 und 1943 bilden den Rah-
200
15 men: Im ersten Fall handelt es sich um
10 zwei jüdische Männer aus Duisburg,
100
die wegen einer Autofahrt mit zwei
5
"Christenfrauen" für 20 Tage in
0 0 "Schutzhaft" genommen werden, im
1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942
zweiten um eine jüdische Mutter, die
Abb. 3: Ermittlungsverfahren wegen “Rassenschande” im westlichen Ruhrgebiet (Zahl der nach Auschwitz deportiert wird, weil
beschuldigten Männer) und Verurteilungen wegen ,Rassenschande’ auf Reichsebene. sie ein "rassenschänderisches" Ver-
Geisteswissenschaften
junior RUBIN 2003

hältnis ihres Sohnes zu decken ver-

sucht. Die Fälle spiegeln exemplarisch
die Radikalisierung des Vorgehens der
Gestapo bei der Verfolgung von "Ras-
senschande" im Laufe der Jahre wider
- eine Radikalisierung, die zugleich die
gesamte Politik des NS-Regimes kenn-
zeichnet.
Allgemein habe ich mich bemüht, die
Verfolgung von "Rassenschande" im
Ruhrgebiet in die Gesamtentwicklung
der nationalsozialistischen "Judenpo-
litik" einzuordnen. Dabei fiel zu-
nächst auf, dass die Gestapo Verhaf-
tungen wegen "Rassenschande" schon
vor dem 15.9.35 vornahm, besonders
im Sommer 1935, der von einer reichs- Abb. 4: Rassische Zuordnung der beschuldigten Männer
weiten Kampagne des “Stürmer” und
anderer Parteiorgane gegen angebli-
che jüdische "Rassenschänder" ge-
kennzeichnet war (Abb. 1 u. 2). Auf
dem Essener Standesamt sagte man
heiratswilligen Paaren schon im Früh-
jahr 1935, dass "Mischehen nicht
mehr geschlossen werden dürfen".
Nach Verkündung des "Blutschutzge-
setzes" verlief die Verfolgung von
"Rassenschande" dann bis etwa 1937
in "rechtsstaatlichen" Bahnen, d.h. die

Bis 1937 in
rechtsstaatlichen Bahnen

(männlichen) Angeklagten wurden

von ordentlichen Gerichten verurteilt, Abb. 5: Durchschnittsalter der beschuldigten Männer und Frauen
und zwar zu Haftstrafen von sechs
Monaten bis zu zwei Jahren. Die Er-
mittlungen führte in dieser Zeit häu-
fig die Kriminalpolizei, während die
Gestapo sich lediglich über den Ver-
lauf des Verfahrens unterrichten ließ.
Ab Juni 1937 begann die Gestapo
dann eigenmächtig, die jüdischen
Partnerinnen verurteilter deutscher
Männer in Konzentrationslager zu
deportieren, ab 1939 drohte auch
"deutschblütigen" Frauen dieses
Schicksal. Für verurteilte männliche
"Rassenschänder" verhängte die Gesta-
po ab 1938 nach Verbüßung ihrer
Haftstrafe generell "Schutzhaft" in ei-
nem "KZ". Die Essener Staatsanwalt-
schaft unterstützte dieses Vorgehen.
Wie aber überführte man überhaupt
"Rassenschänder"? Für die Ermittler
war diese Frage durchaus ein Pro- Abb 6: Gründe für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen “Rassenschande”

junior RUBIN 2003
blem: Da es für die eigentliche "Tat"
aus naheliegenden Gründen zumeist
keine Zeugen gab (mit Ausnahme
zweier neugieriger Nachbarinnen aus
Essen), war eine Verurteilung prak-
tisch nur aufgrund eines Geständnis-
ses möglich - doch dazu kam es nur
selten. In der Regel leugneten die
Beschuldigten sexuelle Kontakte
(zumindest) nach dem "Stichtag"
15.9.35, daher wurde das Verfahren
häufig eingestellt. Ob es sich dabei um
Intime Details
vor Gericht
die Wahrheit oder um bloße Schutz-
behauptungen handelte, ist heute
nicht mehr festzustellen. Sicher ist,
dass bereits ein freundschaftlicher
Umgang miteinander für den Ver-
dacht der "Rassenschande" aus-
reichte. Andererseits gelang es eini-
gen echten Paaren auch, die Gestapo
über die wahre Natur ihrer Beziehung
zu täuschen.
Als Hauptbelastungszeuginnen hatte
der Gesetzgeber eigentlich die Frauen
vorgesehen. Sie machten sich laut
"Blutschutzgesetz" nicht strafbar,
konnten also gegen ihren Partner aus-
sagen, ohne selbst mit einer gericht-
lichen Verurteilung rechnen zu müs-
sen. Dennoch zogen auch sie es in der
Regel vor, ihr Sexualleben nicht vor
den Vernehmungsbeamten (oder gar
in einer öffentlichen Gerichtsver-
handlung) auszubreiten – zumal die
Kommissare sich auch für die intimen
Details des "Tathergangs" interessier-
ten. Auch mit fast 70 Jahren Abstand
kam ich mir noch wie ein Voyeur vor,
wenn ich in den Akten auf Aussagen
wie die folgende stieß: "Den Ge-
schlechtsverkehr führten wir auf dem
Sofa aus. (...) Beim Samenerguß habe
ich mein Glied nicht immer zurück-
gezogen. (...) Ich habe Anneliese
Koch [Name geändert] gelegentlich
auch auf ihren Geschlechtsteil geküßt."
Wie es in dem 22-jährigen Walter
Strack [Name geändert] aussah, als er
dieses Geständnis beim Essener
Gestapo-Beamten Schreiber ablegte,
lässt sich nur erahnen - aus dem fein
säuberlich mit der Maschine getipp-
Geisteswissenschaften
ten Protokoll geht es nicht hervor.
Sowohl Ermittler als auch Denunzi-
anten ließen sich in vielen Fällen vom
antisemitischen Stereotyp des "sitten-
losen" Juden leiten, den es nach blon-
den deutschen Frauen gelüstet: Dies
zeigt sich u.a. an der überproportio-
nal hohen Zahl von Anzeigen gegen
jüdische Männer, die im Schnitt auch
noch zehn Jahre älter waren als ihre
Martin Feyen
vermeintlichen "deutschblütigen"
forscht an der Fakultät für
Partnerinnen (s. Abb. 4 u. 5). Auf Sei-
Geschichtswissenschaft,
ten der Denunzianten sind mitunter
Lehrstuhl für Neuere Geschichte II,
Entlastungsstrategien erkennbar: Viele
Prof. Dr. Norbert Frei
berufen sich auf Aussagen Dritter, die
sie lediglich "weitergeben". Auffällig
Anzeige
ist, dass selbst die Verfasser anonymer
Briefe das Wort "ich" vermeiden
(stattdessen finden sich passive Wen-
dungen wie "es wurde beobachtet"
o.ä.). Aufgrund der Informationen in
den Akten erschien es mir nicht mög-
lich, eindeutig auf die Motive der
Denunzianten zu schließen: Oft dürf-
ten sich wohl private und ideologi-
sche Beweggründe vermischt haben.
Entscheidend ist, dass die Verfolgung
von "Rassenschande" ohne genügend
Denunzianten aus dem Wohn- und
Arbeitsumfeld der Verdächtigten
nicht möglich gewesen wäre (Abb. 6).
Die Wirkung des "Blutschutzgeset-
zes" lässt sich nicht in erster Linie an
der im Verhältnis zu den Anzeigen
ANZEIGE Viterra
relativ geringen Zahl der gericht-
Wohnen
Drastischer Rückgang
der sozialen Kontakte
lichen Verurteilungen bemessen: Viel
bedeutender war die Zahl der sozia-
len Kontakte zwischen "Deutschen"
und "Juden", die aufgrund sozialen
oder polizeilichen Drucks aufgegeben
wurden. So liegt denn auch der Höhe-
punkt der Verfolgung von "Rassen-
schande" in den Jahren 1935 bis 1937,
danach geht die Zahl der Anzeigen
beständig zurück (Abb. 3). Das "Blut-
schutzgesetz" trug somit zur wach-
senden sozialen Isolierung der jüdi-
schen Bevölkerung in Deutschland
bei, die wiederum den Hintergrund
für die weitergehenden Verfolgungs-
maßnahmen nach 1938 bildete.
Geisteswissenschaften
junior RUBIN 2003

Aspekte der Bochumer Eingemeindungen 1904 - 1929

Eine Großstadt entsteht

Marco Rudzinski Ein rundes Jubiläum steht an: 2004 feiert die Stadt Bochum
den 100. Jahrestag ihrer Großstadtwerdung. Dieses Ereignis
hängt eng mit den Eingemeindungen der Stadt zusammen:
Ohne sie hätte Bochum die Großstadtgrenze (100.000 Ein-
wohner) 1904 trotz Bevölkerungswachstums und Zuwande-
rung nicht überschreiten können.Doch nicht alle freuten sich
damals über die Eingemeindungen:Die Interessen von Stadt,
Gemeinden und Industrie waren unterschiedlich. Mit ihnen
befasste sich Marco Rudzinski in seiner Magisterarbeit.

D
ie Eingemeindungen bis 1929
sind für Bochum wie für alle
anderen Ruhrgebietsstädte
ein wichtiges Kapitel ihrer Entste-
hungsgeschichte. Gerade vor dem
Hintergrund der aktuellen "Ruhr-
stadtdiskussion" lohnt es sich zu ver-
gegenwärtigen, wie die Städteland-
schaft der Region entstanden ist. Mit
dem Begriff "Eingemeindung" verbin-
det man nicht gerade die Vorstellung
von einem spannenden Thema für
eine intensivere Beschäftigung. Der
formal-juristische Vorgang ist auch
gewiss nicht sonderlich spektakulär.
Interessant sind hingegen die Akti-
vitäten, die sich im Vorfeld von Ein-
gemeindungen abspielten, bzw. die
Motive und Interessen der beteiligten
Akteure – das Thema meiner Exa-
mensarbeit im Fach Geschichte.
Schon bei der Sichtung des Quellen-
materials wurde schnell klar, dass das
Thema ein recht "sperriges" sein
kann. Im Bochumer Stadtarchiv sind Abb. 1: Die Bochumer Eingemeindungen von 1904, 1926 und 1929.
dazu Berge von Material zu finden:
Denkschriften, Eingaben, Beschlüsse vergrößern wollte und musste. Ferner die Inkorporation bestimmter Ge-
und Schriftwechsel vermitteln die waren da der damals noch bestehende meinden buhlten. Auch die in den
Interessenlagen aller Beteiligten – und Landkreis Bochum, dessen Existenz Gemeinden ansässigen großen Ze-
wollten ausgewertet werden. Die durch die Eingemeindung seiner Mit- chen verfolgten ihre eigenen Einge-
bedeutenden Akteure waren die gliedskommunen bedroht wurde, meindungsinteressen.
Gemeinden, die ihre Selbständigkeit sowie benachbarte Kommunen und Aufgrund der Komplexität des The-
verlieren sollten und teils nicht woll- Städte, die sich ebenfalls ausdehnen mas und der Fülle des Materials unter-
ten, und die Stadt Bochum, die sich wollten und mit der Stadt Bochum um suchte ich beispielhaft für jede der drei

junior RUBIN 2003
Bochumer "Eingemeindungswellen"
(s. Info und Abb. 1) die Eingemeindung
je einer Kommune: Hamme 1904,
Hordel 1926 und Gerthe 1929. Alle
drei waren ähnlich strukturierte Berg-
baugemeinden, die nördlich der "al-
ten" Stadt Bochum lagen und als sol-
che miteinander vergleichbar sind.
Das Begehren nach Eingemeindung
Die Stadt stets
als Initiator
ging stets zuerst von der Stadt
Bochum aus. Die aus allen Nähten
platzende Stadt benötigte zu Beginn
des 20. Jahrhunderts dringend neue
Flächen für Industrie, Wohnviertel
und kommunale Einrichtungen, um
Bewegungsfreiheit und Handlungs-
spielraum wiederzuerlangen. Schließ-
lich hatte sich die Bevölkerungszahl
im etwa 600 Hektar großen Stadtge-
biet zwischen 1858 und 1903 infolge
der Industrialisierung beinahe ver-
achtfacht. Mit den ersten Eingemein-
dungen von 1904, denen jahrelange
Verhandlungen vorausgegangen wa-
ren, vergrößerte sich die Fläche
Bochums um mehr als 300 Prozent,
und es kamen fast 40.000 neue Ein-
wohner über Nacht hinzu (s. Info).
Diese Eingemeindungen hinkten der
realen Entwicklung allerdings hinter-
her, denn die Bochumer Industrie und
Wohnviertel hatten sich zu diesem
Zeitpunkt bereits in die angrenzenden
Kommunen ausgedehnt. Mit der Ten-
denz, ihr Gebiet in Richtung Norden
zu vergrößern, verbanden sich für die
Stadt noch zwei weitere Wünsche:
Zum einen winkte der Gewinn von
gewerbesteuerkräftigen Großschacht-
anlagen in den Gemeinden, zum ande-
ren wollte man Anschluss an den
Rhein-Herne-Kanal erlangen, was
allerdings letztlich scheiterte.
Noch während des 1. Weltkriegs stell-
te man in Bochum erste Überlegun-
gen zu einer auf die Zukunft ausge-
richteten Eingemeindungspolitik an.
Danach sollten nicht weniger als 20
Gemeinden aus den Kreisen Bochum,
Gelsenkirchen und Hattingen einge-
meindet werden. Das Stadtgebiet
hätte sich damit von den Industriege-
Geisteswissenschaften
Abb. 2: Mehr Platz für die Verwaltung: In der Phase der kommunalen Gebietsreformen
der 1920er Jahre wurde für die sich stark vergrößernde Großstadtverwaltung der Bau des
neuen Rathauses (gebaut 1927-31) beschlossen. Das noch davor stehende alte Rathaus,
das vor seinem Bezug im Jahr 1886 als Hotel gedient hatte, war schon lange zu klein.
Nach Fertigstellung des neuen wurde das alte Rathaus abgerissen. An seiner Stelle befin-
det sich heute der Rathausvorplatz.
meinden an der Emscher bis zu den Man darf schließlich nicht vergessen,
Naherholungsgebieten an der Ruhr dass Bochums Ruf als zechenreichste
erstreckt. Bedingt durch die Ableh- Stadt des Kontinents erst durch die
nung der Gemeinden und die Situa- Eingemeindung der umliegenden Berg-
tion im Ruhrgebiet in der ersten baukommunen zustande kam. Nach
Hälfte der 1920er Jahre (z. B. die fran- 1918 fand die Bochumer Eingemein-
zösische Ruhrbesetzung) war dieses dungspolitik in weiten Teilen Unter-
Vorhaben nicht zu verwirklichen. stützung bei den in den Gemeinden
Lediglich mit drei Gemeinden (u.a. ansässigen Zechen. Hintergrund war,
Hordel) konnte Bochum 1923 Einge- dass sie durch den politischen Sys-
meindungsverträge abschließen. Je- temwechsel vom Kaiserreich zur Wei-
doch gerieten diese Einzelmaßnah- marer Republik ihre dominante Stel-
men wie auch die Verhandlungen mit lung in den Kommunen verloren
anderen Gemeinden in den Sog der
vom preußischen Staat vorangetriebe- Zechenreichste Stadt
nen Gebietsreformen von 1926 und des Kontinents
1929, durch die sich die Stadt sowieso
immens vergrößerte (s. Abb. 1). Aber hatten: Zuvor waren sie aufgrund des
auch das stellte Bochum nicht voll- steuerabhängigen Dreiklassenwahl-
ständig zufrieden, da man hier in der rechts bei den Kommunalwahlen
zweiten Hälfte der 1920er Jahre schon stimmberechtigt gewesen und hatten
von einem "Groß-Bochum" unter Ein- so entscheidenden Einfluss gehabt.
bezug von Wattenscheid, Wanne- So konnte es vorkommen, dass ein
Eickel und Herne geträumt hatte. Bergwerksunternehmen die Zusam-
Diese hochtrabenden Pläne sind ein mensetzung der Mehrheit des Ge-
Zeichen dafür, dass die Eingemein- meinderates und damit den Gemein-
dungsfrage stets auch eine Prestige- devorsteher mehr oder weniger alleine
angelegenheit der Stadt war, um ihre bestimmen konnte. Auf diese Weise
Position im Wettbewerb der Städte kontrollierten die Zechen – die zu-
erhalten und verbessern zu können. gleich die größten Arbeitgeber, Steu-
Geisteswissenschaften
junior RUBIN 2003

erzahler und Grundbesitzer der Kom-
munen waren – auch die Politik der
Gemeinderäte. Die ersten Kommu-
nalwahlen nach Abschaffung des
Dreiklassenwahlrechts veränderten
1919 die Situation völlig: In den Berg-
baugemeinden, in denen größtenteils
Arbeiter lebten, kamen häufig linke
Mehrheiten zustande. Die neuen poli-
tisch-demokratischen Verhältnisse
und ihr Einflussverlust auf die Kom-
Streit zwischen
Gemeinden und Zechen
munalpolitik behagten den Zechen-
unternehmen nicht. Die von den
neuen politischen Mehrheiten verant-
wortete kommunale Steuer- und Aus-
gabenpolitik, insbesondere wenn sie
sich auf den Sozial- und Bildungssek-
tor bezog, wurde wiederholt zum
Streitpunkt zwischen Zechen und
Gemeinderäten. Die Industrie strebte
die Eingemeindung in die Großstadt
u.a. wohl deshalb an, weil dort schon
"stabilere" bürgerliche, vermeintlich
industriefreundliche Mehrheiten in
der Kommunalpolitik anzutreffen
waren. Mit Hilfe der Eingemeindung
wollte die Industrie auch verschiedene
info
Bevölkerungs- und Gebietsentwicklung der Stadt Bochum
1858 8.797 Einwohner ca. 6 qkm Fläche
1871 21.192 Einwohner "
1885 40.767 Einwohner "
1895 53.842 Einwohner "
1900 65.551 Einwohner "
1905 118.464 Einwohner ca. 27 qkm Fläche
1910 136.931 Einwohner "
1920 150.630 Einwohner "
1925 157.330 Einwohner "
1926 213.462 Einwohner ca. 50 qkm Fläche
1929 322.514 Einwohner ca. 121 qkm Fläche (Gebietsstand bis 1974)
Abb. 3: Ohne Rücksicht auf die Gemeinde-
grenzen waren Schachtanlagen und Zechen-
kolonien auf freiem Feld errichtet worden,
so z. B. durch die Zeche Lothringen im
Raum Bochum-Gerthe. Im Bild der
1910/11 angelegte Schacht Lothringen IV
in Hiltrop.
Ersparnisse und Rationalisierungsef-
fekte erzielen: Als ein Hauptargument
für die Eingemeindung und die damit
verbundene Vereinigung der Kommu-
nen in der Großstadt führte die Mon-
tanindustrie die verstreute Lage ihrer
Schachtanlagen und Kolonien an
(Abb. 3). Es war tatsächlich nicht
ungewöhnlich, dass die Anlagen einer
Zeche in fünf oder sechs unterschied-
lichen Gemeinden lagen. Obwohl die-
se Problematik auch schon vor 1918
vorhanden war, gab es in der Zeit des
Kaiserreichs keine Eingemeindungs-
begehren der betroffenen Unterneh-
men. Zu Beginn der 1920er Jahre for-
derten sie hingegen ein einheitliches
Betriebs- und Wirtschaftsgebiet für
ihre Anlagen, deren Zerrissenheit sie
zuvor – wohl auch wegen ihrer unein-
geschränkten Dominanz – hingenom-
men hatten. Die einzelnen Zechen-
unternehmen betrieben die Einge-
meindung ihrer Betriebskommunen
in die Großstadt Bochum also auch,
um eigene sowie öffentliche Verwal-
tungs- und Betriebskosten zu min-
dern, wovon sie sich eine Ermäßigung
der Steuersätze erhofften. Die Steuer-
sätze, die die Gemeinden in der ersten
Hälfte der 1920er Jahre erhoben, sah
die Industrie stets als zu hoch an,
obwohl sie häufig niedriger waren als
in der Großstadt. Da die Industrie die
Eingemeindungsfrage vor allem unter
dem Einsparungsaspekt betrachtete,
förderte sie nur die Inkorporation
ihrer jeweiligen Betriebsgemeinden.
Die weitreichenden städtischen "Groß-
Bochum"-Pläne der zweiten Hälfte der
1920er Jahre unterstützte sie wiede-
rum nicht. Sie befürchtete, dass die
Folgekosten dieses Projekts abermals
zu sehr zu ihren Lasten gehen würden.
Diese ausgewählten Aspekte zeigen,
dass bei der Beschäftigung mit dem
Eingemeindungsthema gerade die
Erhellung der Hintergründe dieses
wichtigen Kapitels der Entwicklungs-
und Politikgeschichte der Ruhrge-
bietsstädte besonders interessant und
spannend sein kann.

Bochumer "Eingemeindungswellen"

1904 Grumme, Hamme, Hofstede und Wiemelhausen

1926 Riemke, Bergen, Hordel, Weitmar und Altenbochum
(zusätzlich Splitterstücke der Gemeinden Eppendorf, Höntrop,
Westenfeld und Eickel des Kreises Gelsenkirchen)
1929 aus dem Kreis Bochum: Gerthe (inkl. Harpen und Hiltrop), Werne,
Langendreer, Teil von Somborn, Laer und Querenburg
Marco Rudzinsky
aus dem Kreis Hattingen: Linden, Dahlhausen, Sundern und Stiepel
forscht am Institut für Soziale Bewegungen,
(1975 Wattenscheid)
Prof. Dr. Klaus Tenfelde
 Geisteswissenschaften
junior RUBIN 2003

Künstliche Intelligenz: Computer lernen sprechen

Vom stummen Diener

zum Dialogpartner
Andreea Niculescu Seit fast einem halben Jahrhundert versuchen die Menschen,
Computern das Sprechen beizubringen. Mittlerweile sind
Dialoge mit Maschinen zwar möglich – aber bis wir natürliche
Gespräche mit ihnen führen können, müssen die Systeme
noch weiter verbessert werden.Was aber ist es, das gute Dia-
loge ausmacht? Andreea Niculescu ermittelte mit Hilfe von
Testpersonen und einem Restaurantauskunftssystem ein
Ranking von Qualitätsfaktoren.

D
er Autofahrer lehnt sich ent-
spannt zurück und spricht in
ein kleines Mikrofon am
Lenkrad: "Wie komme ich am schnell-
sten in die Stadtmitte?" Ein kleiner
Bordcomputer, der als Navigations-
system dient, antwortet: "Die nächste
Straße rechts und dann geradeaus".
Ohne die Hand vom Steuer zu neh-
men, kommuniziert der Fahrer auch
mit seinem Handy, dem Autoradio
oder der Heizung. Die Technologie
der Zukunft wird Mensch und Com-
puter per Sprache miteinander ver-
binden, denn sie bleibt trotz zahlrei-
cher Alternativen, die die Technik
heute bietet, das bevorzugte Kommu-
nikationsmittel der Menschen mit
ihrer Umwelt.
Seit fast 50 Jahren basteln Linguisten
und Computer-Experten an der auto-
matisierten Sprachverarbeitung, die
Computer vom komplexen Werkzeug
für Experten in einen sprachfähigen
Geisteswissenschaften
junior RUBIN 2003

Dialogpartner verwandeln soll. Ein unbestrittener Fortschritte und dem

Beispiel dafür sind sog. natürlich- damit verbundenen kommerziellen
sprachliche Dialogsysteme, kurz Erfolg sind die NSD-Systeme noch
NSD-Systeme. Ihre komplexe Soft- verbesserungsbedürftig. Doch was
ware ermöglicht es dem Benutzer, soll verbessert werden? Von welchen
Merkmalen hängt die Qualität eines
Erkennen — Interpretieren Dialogs mit einem solchen System ab?
— intelligent Beantworten Und wie schätzen Benutzer aufgrund
dieser Dialogmerkmale das Gesamt-
Problemstellungen in natürlicher system ein? Dieser Frage ging ich in
Sprache zu formulieren. Das System meiner Magisterarbeit nach. Dabei
kann die Eingaben erkennen, inter- sollten die Benutzer die Rang
pretieren und intelligent beantworten ordnung der wichtigsten Merkmale
– wiederum in natürlicher Sprache. bestimmen. Die Ergebnisse sollen hel-
Die Problemstellungen müssen sich fen, die Qualität der Dialogsteuerung
dabei (noch) immer auf je ein künftiger Systeme zu verbessern.
bestimmtes Themengebiet beziehen, Bei den empirischen Untersuchungen
z.B. Fahrpläne, Wetter, Bankkonten half mir das NSD-System BoRIS (s.
oder Kinokartenbestellung. Trotz Info 1): Das Bochumer Restaurants InformationsSystem, das mir das
Institut für Kommunikationsakustik
der Ruhr-Universität zur Verfügung
info1 stellte, kennt eine umfassende Aus-
wahl an Bochumer Gaststätten, Knei-
Wie BoRIS funktioniert pen, Bistros, Pizzerias und Cafés. Für
BoRIS verfügt über einen Spracherken- Food type), eine Kategorie (z.B. Fish) und
meine Tests war es über eine simu-
ner, der Schlüsselwörter identifiziert und ein Wert (z.B. cui8) zugeordnet werden. lierte Telefonleitung anrufbar. Um die
prinzipiell einen kontinuierlichen Spra- Wenn die Information des Benutzers Experimente einheitlich durchführen
chinput ermöglicht. Nach einer kurzen nicht alle fünf Kriterien enthält, fragt das zu können, entwickelte ich sechs ver-
Begrüßung stellt das System fünf Krite- System der Reihe nach die Fehlenden ab. schiedene Beispielszenarien, z.B. "Ihr
rien zur Verfügung, nach denen der Enthält die Information keine der fünf Freund Martin aus Düsseldorf hat
Benutzer seine Informationssuche Kriterien und keine Bitte nach Wiederho-
eine Vorliebe für Südamerika. Er
gestalten soll: Art der Küche, Tageszeit, lung oder Hilfe erklärt BoRIS noch einmal
Preis der Mahlzeit, Ort des Restaurants seine Arbeitsweise. Wenn alle Kriterien
kommt heute Abend nach Bochum
und Öffnungszeiten. Das Sprachverste- eingegeben sind, sucht das System nach und Sie möchten ihm eine Freude
hensmodul des Systems verfügt über einem passendem Restaurant in seiner machen und ihn zu einem Cocktail in
keine Grammatikkomponente und kei- Datenbank. Findet es keines, fragt es den einer lateinamerikanischen Kneipe
nen Parser, ein Computerprogramm zur Benutzer, ob er seine Anfrage verändern einladen. Sie wissen aber gar nicht, ob
maschinellen Syntaxanalyse, das Einga- möchte. Die Modifikationen gestalten es in Bochum eine solche Kneipe gibt.
besätzen Strukturbeschreibungen zu, sich nach denselben Kriterien wie die
Sie rufen bei BoRIS an, um sich zu
um ihre Sinn Bedeutung verstehen. Der ursprüngliche Informationssuche, wobei
informieren." Die Personen sollten
"Verstehensprozess" vollzieht sich auf- die unveränderten Eingaben zusammen
grund eines Lexikons mit 395 Wörtern, mit den neumodifizierten ausgewertet dabei notieren, welche Restaurants
wobei jedem Wort ein Klassentyp (z.B. werden. oder Kneipen BoRIS für sie gefunden
hatte.
Auszug aus der Keyword-Liste: Die Qualitätsmerkmale, die unter-
sucht werden sollten, habe ich mir z.
WORT KLASSENTYP KATEGORIE WERT T. selbst überlegt, z. T. aus der Litera-
Montag date monday hor01,hor02,hor3 tur zusammengestellt ([Bernsen et al.
mittags time midday hor02,hor5,hor8,hor11,hor14,hor17,hor20
zwanzig_Uhr time evening hor3,hor6,hor9,hor12,hor15,hor18,hor21 1998] und [Love et al., 1994]): Es
Innenstadt localization centre loc01 ergab sich eine Liste von insgesamt elf
Bahnhof localization centre loc01
Querenburg localization querenburg loc12 Merkmalen, die ich Qualitäts- und
billig price cheap prx1,prx2,prx3 Zufriedenheitsfaktoren nannte. Fast
teuer price expensive prx5,prx6,prx7,prx8
Fisch foodtype fish cui8 jeder Faktor umfasst zwei bis drei
Muscheln foodtype fish cui8 Unterfaktoren (s. Info 2).
südländisch foodtype mediterranean cui19
italienisch foodtype italian cui20 Um diese Faktoren nun an BoRIS zu
rustikal foodtype rustic cui13 prüfen, wollte ich die Erfahrungen
nein logical no 0
von Testpersonen mit dem System
anhand von Fragebögen ermitteln und
 Geisteswissenschaften
junior RUBIN 2003

diese später statistisch auswerten. Das

erwies sich allerdings als problema-
tisch, denn die Fragen, in die ich die
Faktoren verpackt hatte, sollten sich
direkt auf die Erfahrungen der Benut-
zer mit dem System beziehen, die
jedoch schwer voraussagbar sind.
Daher beschloss ich, die Untersu-
chungen in zwei Etappen und mit zwei

Analyse in
zwei Etappen

Methoden durchzuführen: Zuerst

befragte ich acht Testpersonen – vier
Frauen/vier Männer – anhand eines
qualitativen Fragebogens. Da die Fra-
gen offen gestellt waren, konnten sie
sich frei über ihre Erfahrungen mit
dem NSD-System äußern. Wieder-
kehrende Äußerungen gruppierte ich
thematisch und reduzierte sie auf eine Abb. 1: Architektur eines natürlich-sprachlichen Dialogsystems

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Geisteswissenschaften
einzige Aussage. Diese verwendete ich
als Behauptungen mit einer fünfstufi-
gen Skala als Antwortmöglichkeit
("trifft vollkommen zu" bis "trifft gar
nicht zu") bei der Gestaltung der zwei-
ten, quantitativen Fragebogens. An
der zweiten Testrunde nahmen dann
weitere 53 Versuchspersonen teil, 23
Frauen und 30 Männer.
Sowohl die qualitative Befragung als
auch die quantitative bestanden aus
zwei Teilen: Die erste Befragung fand
vor dem Anruf bei BoRIS statt, um die
Erwartungen und die Erfahrungen der
Versuchpersonen mit NSD-Systemen
zu erfassen; die zweite Befragung
bezog sich ausschließlich auf ihre
Erfahrungen mit BoRIS.
Die Auswertung der Ergebnisse
zeigte, dass über die Hälfte der Befrag-
ten fünf der elf vorgeschlagenen Qua-
litätsfaktoren als extrem wichtig für
einen guten Gesprächsablauf ein-
schätzten, und zwar (nach ihrer
Rangsordnung):
1. Verständlichkeit, 2. Einfachheit der
Bedienung, 3. Wiederholungsmög-
lichkeiten, 4. Transparenz der Sys-
temgrenzen – d.h., ob klar war, was
das System kann und was nicht, z.B.
mehrere Angaben in einem Satz ver-
arbeiten – und 5. Dialoginitiative. Die-
sen Merkmalen sollten Ingenieure in
Zukunft beim Design von Dialogsys-
temen besondere Aufmerksamkeit
widmen.
info2
Die Qualitätsmerkmale eines Dialogs mit BoRIS:
1. Relevanz: Wie hoch ist der Informa-
tionsgehalt? Wie vollständig sind die
Informationen?
2. Ausdrucksform: Wie verständlich
sind die Auskünfte und Fragen des
Systems?
3. Korrektur- und Aufklärungsstrategien:
Wiederholt oder bestätigt BoRIS die
Eingaben?
4. Transparenz: Wie einfach ist die
Bedienung?
Welche Grenzen hat das System?
5. Berücksichtigung kontextueller
Bedingungen: Welches Hintergrund
wissen, welche Erwartungen hatten
die Testpersonen?
6. Dialoginitiative: Hat der Nutzer die
Die Auswahl dieser Faktoren und vor
allem die Qualitätsbeurteilung von
BoRIS hing jedoch nicht nur mit der
Leistung des Systems zusammen, son-
dern auch mit dem kommunikativen
Verhalten der einzelnen Versuchsper-
son: So zeigte sich, dass Frauen im
Gespräch mit BoRIS viel lockerer
waren als Männer. Sie versuchten sich
zu äußern wie in einem normalen
Gespräch und formulierten ihre Aus-
sagen hauptsächlich als Kombination
von Stichwörtern und Sätzen, was die
Lockere Frauen,
verkrampfte Männer
Wahrscheinlichkeit, das "richtige Key-
word" zu treffen, erheblich erhöhte.
Sie bekamen deutlich schneller die
gewünschte Information von BoRIS
als Männer. Deren sprachliches Ver-
halten war dagegen unnatürlich und
verkrampft; sie schienen mit BoRIS
kein Gespräch führen zu wollen: Sie
orientierten sich hauptsächlich an den
Systemanweisungen und führten
einen "computermäßigen", stichwort-
artigen Dialog, weil sie glaubten, den
Funktionsmechanismus des Systems
verstanden zu haben. Oft trafen sie
das "falsche Keyword" und kamen
dadurch langsamer und schwieriger
ans Ziel. Entsprechend beurteilten die
Frauen die Gesamtleistung des Sys-
tems deutlich besser: Sie wählten die
Möglichkeit, Fragen zu stellen?
Kann er das Gespräch so lange führen,
wie er möchte?
7. Schnelligkeit: Wie schnell verarbeitet
BoRIS die Anfragen? Unterbricht das
System den Dialog?
8. Hilfefunktion
9. Einschätzung der kommunikativen
Zielerreichung: Bekommt der Nutzer
die gewünschte Information?
10.Einschätzung des Computers als
Gesprächspartner: Ähnelt das
Gespräch dem mit einem Menschen?
Ist das System vertrauenswürdig?
Wie ist die Stimmung während
des Gesprächs?
11.Einschätzung des Gesprächsaufbaus
junior RUBIN 2003
Kategorien "ausgezeichnet" und "gut"
doppelt so oft wie Männer. Bemer-
kenswert ist auch, dass die Kategorien
"schlecht" und "extrem schlecht" von
keiner weiblichen Versuchperson,
aber von 20 Prozent der Männer ange-
kreuzt wurden. Ein weiterer Grund,
warum die Frauen das System besser
beurteilten als die Männer, war die
Tatsache, dass Frauen laut Statistik –
anders als Männer – lieber Fragen
beantworten als stellen: BoRIS kam
bei ihnen besser an, weil es Fragen
gestellt hatte.
Sehr interessante Ergebnisse zeigte
die Auswertung des Faktors "Erwar-
tungen": Die Analyse der qualitativen
Interviews ergab, dass Testpersonen,
die vor dem Versuch keine konkreten
Vorstellungen vom System hatten,
BoRIS allgemein besser beurteilten
als Versuchspersonen, die gut vorde-
finierte – negative oder zu positive –
Vorstellungen vom System hatten. Die
quantitative Befragung bestätigte die-
ses Ergebnis: Je "optimistischer" die
"Prognosen" BoRIS gegenüber waren,
desto besser fiel das Qualitätsurteil
aus. Vor allem wiederum die Frauen-
gruppe hatte allgemein positivere
Erwartungen. Es wird bei der Verbes-
serung des sprachlichen Umgangs
zwischen Mensch und Maschine also
nicht nur auf Verbesserungen an den
Computern ankommen, sondern
auch die Benutzer haben zu lernen.
Andreea Niculescu
forscht an der Fakultät für Philosophie,
Pädagogik und Publizistik, Lehrstuhl für
Medienpädagogik, Prof. Dr. Franz R. Stuke
und der Fakultät für Elektrotechnik und
Informationstechnik, Institut für Kommuni-
kationsakustik, Prof. Dr.-Ing. Jens Blauert
 Geisteswissenschaften
junior RUBIN 2003

Geschlechtsspezifische Gespräche in
Dozentensprechstunden

Der kleine Unterschied in Worten

Carolin Rotter Obwohl es in den philologischen Fächern mehr weibliche als
männliche Studienanfänger gibt, sind Frauen unter den
Dozenten stark unterrepräsentiert. Auf der Suche nach den
Gründen dafür erforschte Carolin Rotter das Kommunika-
tionsverhalten von Studierenden. Ihre Vermutung: Das
unterschiedliche Gesprächsverhalten von Männern und
Frauen könnte dazu beitragen, die bestehenden Geschlech-
terverhältnisse zu zementieren.

"
F
rauen sind ein ganz dekoratives
Geschlecht. Niemals haben sie
etwas zu sagen, aber das brin-
gen sie ganz reizend heraus", glaubte
Oscar Wilde es bereits vor 150 Jahren
auf den Punkt gebracht zu haben. Kli-
schees über geschlechtsspezifisches
Gesprächsverhalten sind nicht neu
und halten sich hartnäckig: Frauen
fällt das Schweigen schwer, sie haben
inhaltlich jedoch nicht viel zu sagen
und können kein Geheimnis für sich
behalten. Einige Vertreter der femi-
nistischen Linguistik halten dagegen:
Männer unterbrechen Frauen,
Frauen sind die kooperativeren
Gesprächspartner. Beiden Einschät-
zungen ist sicher so nicht zuzustim-
men. "Typisch weiblich", "typisch
männlich" sind Schlagworte, die
einem im Alltag und (oft) nicht nur
dort begegnen. Unstrittig dürfte
gleichwohl sein, dass die Sprache ein
wichtiger Faktor ist, mit dessen Hilfe
sich Differenzen in der Gesellschaft
etablieren und durch den Macht aus-
geübt wird.
In meiner Staatsarbeit ging ich der
Frage nach, inwiefern Sprache
geschlechtsspezifische Unterschiede
hervorbringt und verfestigt oder sel-
ber durch geschlechtsspezifische Dif-
ferenzen geprägt ist. Kann ein diffe-
rierendes Gesprächsverhalten von
männlichen und weiblichen Studie-
renden einen Erklärungsansatz dafür
bieten, dass Frauen auf der Ebene des
akademischen Lehrpersonals in Uni-
versitäten immer noch stark unterre-

Abb. 1: Eine besondere Gesprächssituation: In der Sprechstunde haben Professoren, in der Hochschulhierarchie ganz oben, und
Studenten, in der Hierarchie viel weiter unten, persönlichen Kontakt. Gender- und Hierarchie-Effekte des Gesprächs überlagern sich.
Geisteswissenschaften
präsentiert sind, wohingegen gerade
in den philologischen Fächern Stu-
dentinnen eindeutig in der Überzahl
sind? Inwieweit werden unterschiedli-
che Handlungsspielräume von Stu-
dentinnen und Studenten innerhalb
der Hochschule sichtbar? Und inwie-
weit differiert ihr kommunikatives
Verhalten in der besonderen Ge-
sprächssituation der Professoren-
Sprechstunde? Mein Ausgangspunkt
war die Vermutung, dass das Verhal-
ten im kommunikativen Detail zahl-
reiche geschlechtsspezifische Unter-
schiede aufweist.
Für die Arbeit wählte ich zwölf Trans-
kripte von Sprechstundengesprächen
als Datengrundlage aus. Sie stammten
aus dem Projekt "Sprechstundenge-
spräche an der Hochschule", für das
bereits an vier Fakultäten der Ruhr-
Universität (Philologie, Geowissen-
schaften, Medizin und Elektrotechnik
und Informationstechnik) Sprech-
stunden auf Tonband aufgenommen,
transkribiert und analysiert worden
waren. Bei den ausgewählten Trans-
kripten handelt es sich um aufge-
zeichnete Sprechstunden von vier ver-
schiedenen Professoren aus den
philologischen Fächern. Im Mittel-
punkt der Analyse standen
ausschließlich die Studierenden und
ihr Gesprächsverhalten. Die Seite der
Dozenten lohnte es sich nicht zu
betrachten, da geschlechtsspezifische
Aspekte unter Studierenden ausge-
prägter sind als unter Lehrenden. Die
Transkripte untersuchte ich unter fol-
genden Gesichtspunkten: die Eröff-
nungsphase der Sprechstunde, d.h.
Begrüßung und Formulierung des
Anliegens, Hörrückmeldungen, also
info
Gender
In der feministischen Linguistik wird
unterschieden zwischen sex und gen-
der.Unter sex wird das biologisch fun-
dierte Geschlecht verstanden, unter
gender die jeweils kulturell konstru-
ierte, variable Geschlechtszuschrei-
bung, also die mit der Kultur verbun-
denen Erwartungen an die Rolle der
Frau und an die des Mannes.
Abb. 2: Knapp bemessen ist die Zeit, die Professoren und Studierende haben, um sich
über Prüfungsthemen, Seminararbeiten und Referate zu unterhalten
alles, was der Zuhörer während des
Zuhörens von sich gibt: z. B. “hm”,
“ach so”, Sprecherwechsel und der
Kommunikationsstil der Studieren-
den, etwa Gebrauch des Konjunktivs,
Fragen statt Aussagen etc.
Sprechstunden lassen sich als Gesprä-
che charakterisieren, die in der Hoch-
schule stattfinden und in denen unter-
schiedliche Gesprächsthemen behan-
delt werden. Nur in den Sprechstun-
den kommt es zu direkten Kontakten
zwischen dem Studierenden und dem
Überzeugende Männer,
umständliche Frauen
Lehrenden, bei denen letzterer sich
mit dem einzelnen Studenten beschäf-
tigen muss – wobei auch die Form der
Sprechstunde nicht die optimale Lö-
sung für eine Kontaktaufnahme zwi-
schen Studierenden und Lehrenden
darstellt: Die Professoren geben be-
grenzte Sprechstundenzeiten an, der
einzelne Student muss lange Warte-
zeiten in Kauf nehmen und ist nur
einer unter vielen, die mit dem Dozen-
ten sprechen möchten, was für An-
spannungen der Studierenden (nicht
nur) im Vorfeld des Gesprächs sorgt
(Abb. 2). Geschlechtsspezifische Ver-
haltensmuster variieren in Abhängig-
keit von zahlreichen Faktoren wie
institutionelle Position, Status, ethni-
sche Zugehörigkeit, Alter, Bildungs-
hintergrund und (geschlechtsspezifi-
sche) Sozialisationserfahrungen. Für
die Analyse von Sprechstunden ist vor
allem der Faktor der institutionellen
junior RUBIN 2003
Position von enormer Bedeutung: Der
Lehrende befindet sich in der institu-
tionellen Hierarchie (sehr weit) oben,
der Studierende sehr viel weiter unten
(Abb. 1). Der Status-Aspekt überla-
gert den Gender-Aspekt (s. Info), und
es ist nur schwierig auszumachen, wel-
ches Gesprächsverhalten auf welchen
der Faktoren zurückgeführt werden
kann.
Was war nun das Ergebnis? – Bereits
zu Beginn der Sprechstunde werden
bei der Anliegensformulierung in der
Eröffnungsphase geschlechtsspezifi-
sche Unterschiede sichtbar: Die
männlichen Studenten präsentieren –
im Gegensatz zu ihren Kommilito-
ninnen – dem Hochschullehrer ohne
Umschweife ihr Anliegen. Auch
haben sie scheinbar weniger Probleme
mit dem Umstand, dass die Gesprä-
che mitgeschnitten werden, woraus
man schließen kann, dass sie von ihrer
Kompetenz in den Gesprächen eher
überzeugt sind als ihre Kommilito-
ninnen. Diese legen viel Wert darauf,
eine angenehme Atmosphäre und
eine positive Beziehung zum
Gesprächspartner herzustellen, in-
dem sie beispielsweise häufig Perso-
nalpronomen benutzen. So beginnt
ein Student z.B. das Gespräch mit: "Es
geht noch einmal um die Hausarbeit
vom Seminar im letzten Semester."
Eine Kommilitonen hingegen: "Ja,
warum ich hier bin: Mein Name ist
Maria Torbeck und ich war im letzten
Semester in Ihrem Seminar zum
Grammatikunterricht. Nun wollte ich
fragen, ob es möglich wäre, da das
 Geisteswissenschaften
junior RUBIN 2003

Seminar schon ein wenig her ist, eine In einzelnen Aspekten des Kommu- Die Studenten scheinen mit ihrem
Hausarbeit dazu zu schreiben?" nikationsstils stellten sich jedoch kommunikativen Verhalten in den
Bei den Hörrückmeldungen gab es zum Teil sehr deutliche geschlechts- Sprechstunden die bestehenden insti-
zwar keine qualitativen Unterschiede spezifische Unterschiede heraus: So tutionellen Hierarchien eher zu ver-
zwischen männlichen und weib- schwächen die Studentinnen ihre ringern, während ihre Kommilito-
lichen Studierenden; auffällig waren Aussagen häufig durch den Ge- ninnen sie bestätigen. Aufgrund
eher Differenzen in der Anzahl der brauch des Konjunktivs und zahlrei- dieser Ergebnisse allein lässt sich die
Hörrückmeldungen während eines cher sog. Abtönungspartikeln, z.B. Unterrepräsentanz der Frauen auf
längeren Redeschritts (Turns) des “vielleicht”, “ein bisschen”, ab, der Ebene des wissenschaftlichen
Hochschullehrers: Die Studentinnen obwohl sie im Gegensatz zu ihrem Personals zwar sicher nicht analysie-
Auftreten, das einen unsicheren Ein- ren. Das kommunikative Verhalten
Professoren druck macht, konkrete Vorstellungen könnte aber eine Erklärung unter
als Partner von ihrem Hausarbeitsthema haben anderen dafür sein.
und daran sehr interessiert sind. Die
geben im Verlauf eines Turns ihres männlichen Studierenden benutzen
Gesprächspartners häufiger Hör- Konjunktiv und Partikeln signifikant
rückmeldungen als Studenten. seltener, in manchen Gesprächen ver-
Außerdem stellte sich heraus, dass meiden sie sie vollständig. Es entsteht
die Professoren weniger Hörrück- der Eindruck, dass sie ein offensive-
meldungen liefern als die Studieren- res Gesprächsverhalten verfolgen als
den. In diesem Fall sind die posi- ihre Kommilitoninnen.
tionsspezifischen Unterschiede sig- Der Gebrauch von sog. tag-questions,
nifikanter als die geschlechtsspezifi- wie etwa “nicht wahr?” am Ende
schen. Die Studierenden halten es eines Satzes, parenthetischen Ver-
anscheinend für notwendiger, ihren ben, z.B. “ich meine”, “ich glaube”, Carolin Rotter
ranghöheren Gesprächspartner in oder die Verwendung von Fragen forscht an der Fakultät für Philosophie,
seiner Sprecherrolle zu bestätigen als anstelle von Aussagen ließen sich hin- Pädagogik und Publizistik,
der Hochschullehrer den studenti- gegen als Charakteristika des weib- Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik,
schen Gesprächspartner. lichen Registers nicht nachweisen. Prof. Dr. Käte Meyer-Drawe
Für den Aspekt des Sprecherwech-
sels, vielleicht aufgrund der kontro-
versen Ergebnisse in der Sekundärli-
Anzeige
teratur der spannendste Punkt,
konnte ich keine geschlechtsspezifi-
schen Unterschiede feststellen.
Weder ergab sich ein differierendes
Sprecherwechselverhalten für die
Studentinnen und Studenten, noch
wurde deutlich, dass die Professoren
in den ausgewählten Transkripten
Anzeige Form + Graphik
ihre Dominanz im Gespräch durch
Unterbrechungen demonstrierten.
Vielmehr konnte ich durch die Ein-
bettung der Analyse des einzelnen
Sprecherwechsels in den größeren
Kontext nachweisen, dass Unterbre-
chungen sogar ein Zeichen für
Kooperation beider Gesprächspart-
ner sein können. Der Hochschul-
lehrer `unterbricht´ seine(n) Ge-
sprächspartner bzw. -partnerin in der
Regel nur, wenn er merkt, dass er/sie
bei der Ausführung der Gedanken
oder des Anliegens ins Stocken gerät
und er z.B. mit Ausführungen sei-
nerseits weiterhelfen kann.
Medizin
junior RUBIN 2003

Antimikrobielle Peptide:

Antibiotika der Zukunft?

Gottlieb Pazdzierny Keine 100 Jahre nach der Entdeckung der Antibiotika geht
ihre steile Karriere bereits wieder zu Ende: Immer mehr Bak-
terien werden resistent, sodass sich heute bereits einfache
Infektionen zu tödlichen Krankheiten entwickeln können.
Neue Hoffnung machen natürliche Eiweiße,die Teil der ange-
borenen Körperabwehr sind.Welche Bakterien sie töten kön-
nen und wie man sie einsetzen könnte, untersuchte Gottlieb
Pazdzierny von der Forschungsgruppe der Klinik für Plasti-
sche Chirurgie der Berufsgenossenschaftlichen Universitäts-
kliniken Bergmannsheil.

A
ls Alexander Flemming 1928
das Penicillin und damit die
Antibiotika entdeckte, brach
ein neues Zeitalter an. Nun konnte
man viele Krankheiten heilen, gegen
deren Erreger – Bakterien, Viren oder
Pilze – bislang keine wirksame Sub-
stanz bekannt gewesen war. Ebenso
revolutionierten die Antibiotika die
Chirurgie, weil man nun dank einer
antibiotischen Vorsorge viele Opera-
tionen durchführen konnte, die früher
befinden sich besonders abwehrge-
schwächte Patienten, z.B. Brandver-
letzte. Bei ihnen verlaufen Infektionen
mit multiresistenten Erregern oft töd-
lich, weil sie nicht behandelt werden
können. Darüber hinaus verlängern
postoperative Infektionen den Kran-
kenhausaufenthalt erheblich und stei-
gern so die Kosten im Gesundheits-
system. Auf der Suche nach Alter-
nativen zur konventionellen, bei resis-
tenten Mikroorganismen nutzlosen
Peptide sind bis zu
100 Aminosäuren
große Eiweiße, ihre
Struktur ähnelt ver-
knäulten Ketten. Sie
werden in Zellen gebaut
und erfüllen dann innerhalb oder
außerhalb der Zelle verschiedene
Funktionen. Die als Zytokine bezeich-
neten Peptide steuern z. B. Wachs-
tumsvorgänge im menschlichen Orga-
nismus; innerhalb der Zelle spielen

Abb. 2: Schweine verdanken es den Pepti-

Abb. 1: Peptide kommen als Teil der angeborenen Abwehr überall in der Natur vor, bei
den in ihrer Haut, dass sie trotz bakte-
Pflanzen, Insekten, Fischen und Säugetieren. Bei Amphibien und Insekten stellen die
rienstrotzender Umgebung keine Hautin-
AP sogar den Hauptteil der Abwehr dar.
fektionen bekommen.

aufgrund des Infektionsrisikos nicht
möglich gewesen wären. Doch infolge
des oft unnötigen und übertriebenen
Einsatzes von Antibiotika nahm die
Zahl resistenter Bakterien immer stär-
ker zu (s. Info 1). Die Folgen treffen
v.a. den Krankenhausalltag, in erster
Linie die Intensivstationen: Hier
antibiotischen Therapie konzentrie-
ren sich die Forscher zunehmend auf
die sog. antimikrobiellen Peptide
(AP), die im Gegensatz zu den von
Pilzen und Bakterien produzier-
ten Antibiotika von entwicklungsge-
schichtlich höher entwickelten Orga-
nismen hergestellt werden.
Peptide eine Rolle bei der Übertra-
gung von Signalen. AP sind Bestand-
teil des sog. angeborenen Abwehrsys-
tems. Dieses System ist entwick-
lungsgeschichtlich älter als das adap-
tive, "lernende" Immunsystem, über
das höherentwickelte Spezies wie
die Säugetiere zusätzlich verfügen
 Medizin
junior RUBIN 2003

Bindung an spezifische Rezeptoren

kommt, zwar nicht ausgeschlossen,
aber unwahrscheinlich.
Auch der Mensch besitzt antimikro-
bielle Peptide, die sowohl im Kno-
chenmark als auch von Zellen, die
Oberflächen bilden (Epithelzellen),
produziert werden. Die Tatsache, dass

Infektionen
von Brandwunden

AP in verschiedenen Organen vor-

Abb. 3: Antimikrobielle Peptide lagern sich infolge der biochemischen Eigenschaften bin-
nen weniger Minuten an Membranstrukturen der Erreger an. Sie machen diese durchläs-
sig und zerstören so den Eindringling.
(s. Info 2). Peptide kommen als Teil
der angeborenen Abwehr überall in
der Natur vor, bei Pflanzen, Insekten,
Fischen und Säugetieren. (Abb. 1) [1].
Bei Amphibien und Insekten stellen
die AP sogar den Hauptteil der Ab-
wehr dar. So verdanken z.B. Schmeiß-
fliegen, die in einer bakterienstrot-
zenden Umgebung aus Kot und
faulenden Abfällen leben, ihr Überle-
ben den AP in ihrem "Blut" (Hämo-
lymphe). Wie erfolgreich AP bei Säu-
getieren funktionieren, demonstrieren
Schweine (Abb. 2): Obwohl sie sich
im Dreck wälzen, bekommen sie nur
selten Hautinfektionen, was sie den
AP in ihrer Haut verdanken. Ein ande-
res Beispiel sind Haie: Ein Grund
dafür, dass sie nur sehr selten Krebs
bekommen, sind wahrscheinlich ihre
hochpotenten AP, die entartete Zellen
zerstören.
kommen, lässt darauf schließen, dass
sie auch in der Haut eine Schutzfunk-
tion haben. Es zeigte sich auch, dass
eine reduzierte Produktion (Expres-
sion) dieser Peptide bei Schwer-
diese durchlässig und zerstören so den brandverletzten zu einer Schwächung
Eindringling (s. Abb. 3). Teils unter- der Immunantwort und damit zu
scheiden die Peptide dabei zwischen einem Anstieg an Infektionen führt
körpereigenen und bakteriellen Zel- (Abb. 5). Daraus entstand die Idee,
len. Die Bildung resistenter Keime ist antimikrobielle Peptide therapeutisch
durch die Tatsache, dass es zu keiner bei Wundinfektionen einzusetzen [2].
0info1
Resistenz
Überleben einige Bakterien die Wirkung eines Antibiotikums, sodass sie sich weiter
vermehren, so spricht man von einer Resistenzentwicklung. Mechanismen dafür:
Einige Bakterien sind durch Fehler oder Mutation gegenüber ihren "Vorfahren" ver-
ändert und so gegen Antibiotika unempfindlich. Manchmal kommen diese Verän-
derungen auch erst durch den Kontakt mit dem Antibiotikum zustande. Die Verän-
derung, die für die Resistenz verantwortlich ist, kann an allen möglichen Stellen der
Wechselwirkung Bakterium-Antibiotikum liegen. Sie führt dazu, dass der betref-
fende Keim nicht mehr vom Antibiotikum abgetötet/gehemmt wird.
Rasante Entwicklung von multiresistenten Bakterien auf Intensivstationen
Pathogen Antibiotika Resistenz (N) Resistenzsteigerung
Innerhalb von 5 Jahren Jan - Mai 1999

Peptide schützen Haie Stapylococcus Methicillin 54,5 % (865) 43 %

vor Krebs aureus
Coagulaseneg. Methicillin 86,7 % (789) 2%
Staphylococci
Bei Säugetieren kooperieren die bei-
den Abwehrsysteme, d.h. das angebo- Enterococcus spp. Vancomycin 25,9 % (58) 47 %

rene System ist zwar erster Schutz, Escherichia coli Cephalosp. der 3. 3,2 % (316) 23 %
Generation
aktiviert aber zugleich das adaptive
Pseudomonas Imipenem 18,5 % (298) 35 %
und reguliert dessen Arbeit. Wie die aeruginosa Chinolone 23,0 % (480) 49 %
AP im einzelnen die Bakterien zer- Cephalosp. der 3. 20,0 % (490) <1%
stören, ist bisher unzureichend Generation

geklärt. Diskutiert wird folgender

Mechanismus: AP lagern sich infolge
der biochemischen Eigenschaften bin-
nen weniger Minuten an Membran-
strukturen der Erreger an. Sie machen
NNIS System Report (USA), Juni 1999
Die Tabelle zeigt nur eine Momentaufnahme der Resistenz, denn die Entwicklung
schreitet von Tag zu Tag voran.
Medizin
Zunächst überprüfte ich im Reagenz-
glas (in vitro) ihre Wirksamkeit.
Ergebnis: Die AP wirken sowohl
Größere Wirkungsbreite
als Antibiotika
gegen grampositive als auch gegen
gramnegative Bakterien
(die sich im Aufbau der
Bakterienwand unter-
scheiden). Außerdem
zerstören sie auch mul-
tiresitente Bakterien, ge-
gen die es derzeit kein
Gegenmittel gibt. Auch Pilze
und Viren werden von AP
erfolgreich bekämpft – bei
Antibiotika ist es unvor-
stellbar, dass ein Medika-
ment eine solche Wir-
kungsbreite hätte. Im Ge-
gensatz zu Antibiotika sind
sie kleiner, wirken schneller
und Resistenzen entwickeln
sich weitaus langsamer. Einige
AP haben auch Eigenschaften, die
der Wundheilung zugute kommen
können: Sie fördern das Sprossen von
Blutgefäßen (Angiogenese).
Im nächsten Schritt prüfte Janine
Mertens, eine Mitarbeiterin unserer
Forschungsgruppe, ob die AP auch
Säugetierzellen, also z.B. menschliche
Hautzellen, zerstören. Hier zeigte sich
schnell, dass viele natürliche Peptide
info2
Angeborenes Immunsystem
Bestandteile: Abwehrzellen wie Granu-
lozyten und Makrophagen, Peptide,
Enzyme.
Funktionsweise: Phagozytose, d.h. die
Abwehrzelle umstülpt den Feind mit der
eigenen Membran und zersetzt ihn. Ver-
schiedene Körperzellen sondern auch
Stoffe in die Umgebung ab, um den
Feind, z.B. ein Bakterium, zu zersetzen
(Sekrete, wie z.B. Speichel)
Besonderheiten: kaum Spezifität, d.h.
alles fremde ist feindlich, erste Abwehrli-
nie des Körpers.
tatsächlich stark zellschädigend (zyto-
toxisch) für menschliche Zellen sind,
weil sie aus einer anderen Umgebung
kommen. Die Lösung dieses Pro-
blems war, die AP zu verändern: Man
begann, einzelne Aminosäuren der
AP durch andere zu ersetzen oder die
Aminosäurenkette zu kürzen. Die so
Abb. 4: Die AP können von jeder mensch-
lichen Zelle produziert werden, wenn die
Information für ihre Produktion als Gen
in die Zelle eingebracht wird (Gentransfer),
z. B. mittels eines Virus.
Adaptives Immunsystem
Bestandteile: Zellen wie B-Lymphozyten
und T-Lymphozyten, Organe wie Thy-
mus, Milz, Lymphknoten
Funktionsweise: Das System "lernt"
(adaptiert) den Unterschied zwischen
Freund und Feind im Lauf seiner Ent-
wicklung,d.h.in ersten Lebensjahren.Die
Abwehr beruht auf spezifischem Erken-
nen des Feindes, Antikörperbildung und
gezielter Vernichtung nach Antikörper-
bindung. Besonderheiten: Hohe Spezi-
fität, die Immunisierung ist möglich, d.h.
das System "merkt" sich Feinde. Das
Adaptive Immunsystem ist langsamer als
die angeborene Abwehr, dafür aber
gründlicher.
junior RUBIN 2003
entstandenen "Designer"-AP besitzen
optimierte Fähigkeiten der natür-
lichen AP: exzellente Wirksamkeit bei
niedriger Zytotoxizität. Schließlich
zeigte diese neue Generation der AP
in verschiedenen Tiermodellen, dass
sie auch im Lebenden (in vivo) besser
wirken als Vergleichsantibiotika. Hier
erwies sich sogar eine weitere positive
Eigenschaft für den klinischen Ein-
satz: Während Antibiotika als Stoff-
wechselprodukt der Pilze bei systemi-
scher Gabe, d.h. im Gegensatz zur
oberflächlichen, den ganzen Or-
ganismus betreffenden Anwen-
dung, z.B. Antibiotikatablet-
ten, die über die Verdauung
in den Körperkreislauf ge-
langen und von hier aus jede
Körperzelle erreichen kön-
nen, viele Nebenwirkungen
hervorrufen, sind AP als Pro-
dukt menschlicher Zellen viel
verträglicher.
Bevor AP therapeutisch einge-
setzt werden können, müssen
noch weitere Abläufe auf
molekularer Ebene aufge-
klärt sein, um ein detaillier-
tes Verständnis vom Wirk-
mechanismus der AP zu er-
halten. Damit wird es möglich sein,
die Peptide weiterhin gezielt zu ver-
ändern, um die gewünschte Spezifität
und Wirkung zu erzielen [3].
Künstliche Haut
mit Peptiden beschichten
Als Gegenstand aktueller Forschung
erscheinen folgende Anwendungen in
Zukunft möglich: Die Beschichtung
von Implantaten, die kontinuierlich
Peptide freisetzen (Abb. 6). Beispiel:
Bei Schwerstbrandverletzten kommt
sog. künstliche Haut aus einem Bio-
polymer zum Einsatz, um den enor-
men Verlust der Haut zu decken. Lei-
der können sich an dieses Biopolymer
Bakterien sehr gut anhaften, sodass
Infektionen den Heilungsprozess
behindern. Eine Beschichtung mit AP,
die anschließend kontinuierlich frei-
gesetzt werden, ist bereits möglich,
würde das Problem lösen und damit
den Heilungsprozess beschleunigen.

junior RUBIN 2003
Abb. 5: Bei Schwerbrandverletzten ist die Immunantwort geschwächt – ein Grund dafür,
dass sich Brandwunden sehr häufig infizieren.
Abb. 6: Bei Brandwunden setzen Ärzte künstliche Haut ein, die die Wunde verschließt.
Um Infektionen zu verhindern, könnte man die Kunsthaut mit Peptiden beschichten.
Die oberflächliche Anwendung.
Beispiel: Chronische Wunden infizie-
ren sich schneller und werden bei sta-
tionären Patienten oft mit multiresis-
Gentransfer lässt jede Zelle
Peptide produzieren
tenten Keimen besiedelt. Peptide, die
einfach in Lösung oberflächlich auf
die Wunde gegeben werden könnten,
würden die Bakterien abtöten und
könnten so die Heilung günstig beein-
flussen.
Der vorübergehende Gentransfer zur
Prophylaxe und Therapie von Wund-
infektionen (Abb. 4). Beispiel: Die AP
können von jeder menschlichen Zelle
Medizin
Gottlieb Pazdzierny
forscht an der Medizinischen Fakultät,
Klinikum der Ruhr-Universität Bochum,
Berufsgenossenschaftliche Kliniken Berg-
mannsheil, Klinik für Plastische Chirurgie
und Schwerbrandverletzte, Handchirurgie-
Zentrum, Prof. Dr. Hans-Ulrich Steinau,
Dr. Lars Steinsträsser
Literatur:
1. Zasloff, M. 2002. Antimicrobial peptides
of multicellular organisms.
Nature 415: 389-395
2. Steinstraesser L, Klein RD, Aminlari A,
Fan MH, et al (2001) Protegrin-1 enhances
bacterial killing in thermally injured skin.
Crit Care Med 29:1431-1437
3. Steinstraesser L, Tack BF, Waring AJ,
Hong T, et al (2002) Activity of Novispirin
G10 against Pseudomonas aeruginosa in
vitro and in infected burns. Antimicrob
Agents Chemother 46: 1837-1844
Anzeige
produziert werden, wenn die Infor-
mation für ihre Produktion als
Gen in die Zelle eingebracht wird
(Gentransfer). Mittel sind derzeit die
einfache DNA, Liposomen, d.h. Anzeige Kemna
Gebilde aus von Membran umschlos-
sener DNA, und Viren, beim vor-
übergehendem Transfer vor allem
Adenoviren und Adeno-assozierte
Viren. Der Gentransfer könnte dafür
sorgen, dass z.B. bei Schwerstbrand-
verletzten die Haut, die transplantiert
wird, AP produziert. Diese wiederum
könnten Wundinfektionen, v.a. solche
mit multiresistenten Bakterien, ver-
hindern und über die Gefäßsprossung
die Wundheilung fördern.
Medizin
Genetische Ursachen der Narkolepsie
Ist Schlafen erblich?
Stefan Wieczorek
W
er kennt nicht diese Mo-
mente, in denen man in der
U-Bahn, vor dem Fernseher
oder besonders während eines Vor-
trages in Hörsaal oder Schulklasse
kaum die Augen offen halten kann?
Die Nacht zuvor war viel zu kurz und
der Schlaf einfach nicht erholsam.
Wohl jeder macht mehr oder weniger
häufig diese Erfahrung, ohne dass ein
besonderer Grund oder gar eine
Krankheit dahintersteckt. Manche
Menschen bestreiten diesen Kampf
junior RUBIN 2003
Sogar beim Autofahren oder Essen schlafen Narkolepsiepa-
tienten ständig ein: Ein normaler Tagesablauf ist nicht mehr
möglich. Als eine der Ursachen für diese Krankheit steht seit
längerem ein bestimmtes Gen unter Verdacht. Stefan Wiec-
zorek analysierte es und konnte so genaue Faktoren heraus-
finden, die auf ein erhöhtes Narkolepsierisiko hindeuten.
Abb. 1: Analyse eines RFLP im Labor: Stefan Wieczorek belädt ein Agarose-Gel mit DNA-
Fragmenten, die zuvor vervielfältigt und mit Hilfe eines Restriktionsenzyms an bestimm-
ten Stellen geschnitten wurden. Bei Anlegen einer elektrischen Spannung wandern Frag-
mente verschiedener Länge unterschiedlich schnell durch das Gel, so dass man sie nach
Anfärbung anhand ihrer Position unterscheiden kann.
gegen Müdigkeit und Einschlafatta- deshalb nicht zum Arzt. Falls sie sich
cken jedoch Tag für Tag und manch- doch einem Mediziner anvertrauen,
mal in den ungewöhnlichsten Situa- müssen sie sich nicht selten mit Emp-
tionen, z.B. beim Autofahren oder fehlungen, im Job kürzer zu treten,
sogar beim Essen. Viele dieser Men- Stress abzubauen oder sogar "sich
schen empfinden ihre Müdigkeit zwar doch mal zusammenzureißen", zufrie-
als sehr belastend, jedoch meist nicht den geben. Erst wenn ein normaler
als Krankheitssymptom, und gehen Tagesablauf nicht mehr möglich ist,
* kursive Begriffe: siehe Glossar

junior RUBIN 2003
weitere Symptome und ein gut infor-
mierter Arzt zusammenkommen, fin-
det sich in manchen Fällen die Dia-
gnose: Narkolepsie. Obwohl diese
Erkrankung schon vor Jahrhunderten
erstmals beschrieben wurde und in
Europa mit etwa einem Patienten pro
2000 Einwohnern zu den häufigsten
Anfallserkrankungen überhaupt ge-
hört, ist sie kaum einem Menschen,
längst nicht jedem Arzt und auch den
wenigsten Medizinstudenten ein
Begriff.
Neben der starken Tagesmüdigkeit
kommt es bei vielen Narkolepsiepa-
tienten, manchmal mehrmals täglich,
zu einem plötzlichen, kurz anhalten-
den Verlust der Muskelspannung
(Kataplexie), besonders in Situatio-
nen emotionaler Erregung, etwa beim
Lachen. Betrifft dieser z.B. die Bein-
Abb. 2: Prinzip der PCR: Der DNA-Doppelstrang wird bei 95°C in Einzelstränge gespalten.
An beide Stränge des gesuchten Abschnitts werden kurze Nukleotidketten (Primer) angela-
gert. Anschließend wird mit Hilfe hitzestabiler Enzyme das Ausgangssegment verdoppelt.
Durch Wiederholung dieser Schritte (ca. 30mal) vermehrt sich das gewünschte Fragment
exponentiell – im Optimalfall auf 230.
muskulatur, kann es zu nicht aufzu-
haltenden Stürzen kommen. Weiter-
hin können Halluzinationen in der
Einschlaf- oder Aufwachphase auftre-
ten. Als besonders unangenehm emp-
finden Patienten sog. Schlafparaly-
sen: kurze Episoden, in denen sie
unmittelbar vor dem Einschlafen oder
nach dem Aufwachen bei vollem
Bewusstsein absolut unfähig sind, sich
zu bewegen. Auch wenn all diese
Symptome charakteristisch für die
Narkolepsie sind, so kann die Diag-
nosestellung besonders im Anfangs-
stadium der Erkrankung schwierig
sein und ist mit letzter Sicherheit nur
in einem Schlaflabor zu erbringen.
Was aber ist die Ursache dieser
Müdigkeit? Worin unterscheidet sich
der "normal" müde Schüler, Student
oder Arbeiter vom Narkolepsiepa-
Medizin
tienten? Hier kommt die Humange-
netik ins Spiel. Schon seit vielen Jah-
ren weiß man, dass fast alle Nar-
kolepsiepatienten eine bestimmte
Form eines Gens*, das im Immunsys-
tem eine wichtige Rolle spielt, in sich
tragen. Dieses DR2-Allel der sog.
HLA-Gene hat für sich allein keinerlei
krankhafte Bedeutung. Mehr als 25
Prozent aller Menschen in Deutsch-
land tragen dieses Merkmal ebenfalls,
ohne dass sie jemals an Narkolepsie
erkranken. Es müssen also noch
andere Faktoren in der Entstehung
der Erkrankung eine Rolle spielen,
Verdächtiger
genetischer Defekt
sowohl genetische als auch Umwelt-
einflüsse. Vor kurzem gelang ein gro-
ßer Schritt auf dem Weg, die Ursache
der Narkolepsie zu ergründen: Bei
Untersuchungen an Mäusen und Hun-
den, die ebenfalls typische Symptome
der Erkrankung zeigten, fanden Wis-
senschaftler Defekte in den Genen
eines bestimmten Botenstoffs im
Gehirn, des Neurotransmitters Ore-
xin (auch Hypokretin genannt) bzw.
seines Rezeptors. Die entsprechenden
Gene scheinen jedoch bei den aller-
meisten menschlichen Patienten völ-
lig intakt zu sein, obwohl auch bei
ihnen die Orexin-Spiegel im Gehirn
stark vermindert sind.
Dass ein bestimmtes HLA-Allel (wie
DR2) bei einer Erkrankung häufiger
vorkommt, kennt man auch von ande-
ren Krankheiten wie der Multiplen
Sklerose oder rheumatischen Erkran-
kungen. Dadurch kam man auf die
Idee, dass, ähnlich wie bei diesen
Krankheiten, auch bei der Narkolep-
sie autoimmune Prozesse eine Rolle
spielen, dass vielleicht das Orexin,
seine Rezeptoren oder die Nervenzel-
len, die es produzieren, von körperei-
genen Abwehrzellen zerstört werden.
Bis heute gibt es dafür jedoch keine
eindeutigen Beweise. Bei Autoim-
munkrankheiten spielen Botenstoffe
des Abwehrsystems, die sog. Zytokine
eine wichtige Rolle. Einige Zytokine
haben außerdem selber schlafbeein-
flussende Wirkung, was jeder daran
Medizin
junior RUBIN 2003

rakteristische Gestalt (Konforma-

tion) an. Oft reicht schon der Aus-
tausch einer einzelnen Base innerhalb
der Nukleotidkette aus, um diese Kon-
formation zu ändern. Man nutzt dies
aus, indem man die DNA-Stränge in
einem Polyacrylamid-Gel elektropho-
retisch auftrennt. Das Gel bildet da-
bei eine dreidimensionale Gitterma-
trix, durch die jede Konformationsva-
riante im Idealfall mit einer unter-
schiedlichen Geschwindigkeit wan-
dert, wenn man eine äußere Spannung
anlegt. An einem anschließend aufge-
legten Röntgenfilm konnten wir able-
sen, welcher Proband welche Allele
eines Gens in seinem Erbgut trägt.
Die andere Möglichkeit, dies festzu-
stellen, ist die PCR-RFLP Methode:
Hierzu wird der relevante DNA-Ab-
schnitt ebenfalls mittels PCR verviel-
fältigt. Anschließend gibt man ein sog.
Restriktionsenzym hinzu. Dieses
schneidet den DNA-Strang immer
dann, wenn es eine ganz bestimmte
Abb. 3: Agarose-Gel zur Untersuchung eines RFLP: Die 4. Spur stammt von einem Pro-
Nukleotidabfolge erkennt. Tragen
banden, der auf beiden Chromosomen das Allel 2 trägt, bei dem das Restriktionssenzym
den DNA-Strang nicht schneidet. Die Spuren 2 und 3 und 8 enthalten nur das geschnit-
Individuen unterschiedliche Allele
tene Produkt (Allel 1), das schneller durch das Gel wandert. Nr. 1 und 6 und 7 tragen auf eines Gens, so werden die DNA-Ab-
einem Chromosom das Allel 1, auf dem anderen das Allel 2. Die 5. Spur enthält Stan- schnitte bei der Wahl eines passenden
dard-DNA-Fragmente bekannter Länge. Hier wird das Ausgangsprodukt bei Vorliegen des Restriktionsenzyms in unterschied-
Allel 1 in zwei Fragmente von 184 bzw. 185 Basenpaaren gespalten, die auf dem Gel
ununterscheidbar sind. Statistisch eindeutiger
Fund
erkennen kann, dass man bei einer men bestehen lediglich aus einem
Grippe am liebsten den ganzen Tag Austausch einer einzelnen Nukleotid- lich große Stücke gespalten. Man
schlafen möchte. Daher kann die base innerhalb eines Gens, können trennt anschließend die Fragmente
Untersuchung der Gene dieser Zyto- aber trotzdem beträchtliche Auswir- wiederum auf einem Agarose-Gel
kine wichtige Hinweise erbringen, ob kungen auf dessen Expression oder elektrophoretisch auf und färbt sie mit
das Immunsystem in der Entstehung Funktion haben. Daher ist es interes- einem Farbstoff, der sich zwischen die
der Narkolepsie eine Rolle spielt. sant zu wissen, ob ein bestimmtes DNA-Doppelstränge schiebt (interka-
Jeder Mensch trägt eine Kombination Allel eines Polymorphismus bei liert) und unter UV-Licht fluoresziert
verschiedener Varianten von Zytokin- Patienten häufiger vorkommt als bei (Abb. 1 u. 3).
Genen in seinem Erbgut, welche für Gesunden. Für die große Gruppe der HLA-DR2-
Um das herauszufinden, bedienten positiven Narkolepsiepatienten konn-
Viele Faktoren lösen wir uns zweier Möglichkeiten. Eine ist ten wir keine auffälligen Allelvertei-
die Krankheit aus die sog. PCR-SSCP Methode: Nach- lungen in Genen des Immunsystems
dem wir aus Blut DNA gewonnen hat- finden. Ganz anders bei Patienten, die
sich allein meist keine besondere ten, vervielfältigten wir das uns inter- dieses Allel nicht tragen: Hier zeigte
Bedeutung haben. Bei multifaktoriel- essierende DNA-Fragment zunächst sich, dass in den Genen für einige
len Erkrankungen, d.h. Krankheiten, mit der Polymerase-Kettenreaktion Zytokine, z.B. Interferon  und
die durch eine Kombination mehrerer (PCR, s. Abb. 2). Die Fragmente wer- Tumor-Nekrose-Faktor (TNF), be-
Faktoren ausgelöst werden, wie der den dabei radioaktiv markiert. An- stimmte Allele bei Patienten statis-
Narkolepsie ist es möglich, dass eine schließend wird der DNA-Doppels- tisch signifikant häufiger vorkommen
bestimmte Kombination dieser gene- trang thermisch und chemisch in als bei Gesunden. Inwieweit die von
tischen Varianten zu ihrer Entstehung Einzelstränge gespalten. Diese Ein- diesen Genen kodierten Proteine an
beitragen. Viele dieser Polymorphis- zelstränge nehmen eine für sie cha- der Entstehung der Narkolepsie-
 Medizin
junior RUBIN 2003

Symptome beteiligt sind, ist noch un-

klar. TNF jedoch hat z.B. eigene
schlaffördernde Wirkungen, und es
wäre denkbar, dass die Tagesmüdig-
keit bei Narkolepsie zumindest teil-
weise dadurch verursacht wird. Sollte
es sich bei der Narkolepsie tatsächlich
um eine Autoimmunerkrankung han-
deln, so könnten die genannten Zyto-
kine auch hier beteiligt sein. Für diese
Theorie spricht, dass bei Narkolep-
siepatienten erhöhte TNF-Spiegel
gefunden wurden. Die Allele mit nach-
gewiesener Assoziation zur Narkolep-
sie können zunächst als Risikofakto-
ren für die Entwicklung der Erkran-
kung angesehen werden. Ziel weiterer glossar
Studien ist es nun, herauszufinden,
welche genauen Mechanismen Ursa-
che dieser statistischen Assoziationen Allel: Eine oder mehrere unterschiedliche Ausprägungsformen eines Gens. Jeder
sind, um vielleicht später einmal diese Mensch besitzt für jedes Gen zwei Allele, je eins vom Vater und von der Mutter.
Mechanismen durch eine gezielte
Assoziation: statistische signifikante Verteilung bestimmter Allele eines Gens
Therapie beeinflussen zu können.
zwischen verschiedenen Gruppen (z.B. Patienten und Kontrollen). Eine Assoziation
eines Allels mit einer Erkrankung kann ein Hinweis auf eine Beteiligung des entspre-
chenden Gens oder Genprodukts an deren Entstehung sein.

DNA: Desoxyribonukleinsäure (engl. -acid): Träger der Erbinformation, bestehend aus

einer Polynukleotidkette.

Expression: Übersetzung der Nukleotidsequenz eines Gens in die mRNA und die Ami-
nosäuresequenz des zugehörigen Proteins, welches eine meist spezifische Funktion
besitzt.

Gen: Abschnitt der DNA, der die Information zur Herstellung eines bestimmten Pro-
teins enthält.

HLA: Humanes Leukozyten-Antigen. Die Gene des HLA-Systems tragen die Informa-
tion für Proteine, die für die Erkennung fremder und körpereigener Zellen durch
menschliche Abwehrzellen von Bedeutung sind.

Nukleotide: Bausteine der DNA. Menschliche DNA besteht aus den Nukleotidbasen
Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T).

PCR: Polymerase-Ketten(engl.-chain)-Reaktion: Verfahren zur Vervielfältigung

bestimmter DNA-Abschnitte, vgl. Abb. 1.

Polymorphismus: liegt vor, wenn in einer Population an einem Genort häufig zwei
oder mehr Allele vorkommen.

RFLP: Restriktions-Fragmentlängen-Polymorphismus. Unterschiedliche Allele eines

Gens führen zu einer unterschiedlichen Anzahl von Schnittstellen eines Restriktions-
enzyms innerhalb eines definierten DNA-Abschnitts.

SSCP: Single strand conformation polymorphism. DNA-Einzelstränge mit unter-

Stefan Wieczorek
forscht an der Medizinischen Fakultät,
Lehrstuhl für Humangenetik,
Prof. Dr. Jörg Epplen
schiedlicher Sequenz nehmen eine charakteristische Gestalt an und wandern einem
Polyacrylamid-Gel mit spezifischer Geschwindigkeit, wenn eine äußere Spannung
angelegt wird.
Medizin
junior RUBIN 2003

Wintersport in der Skihalle

Ski und Rodel gut

Anette Klein Skifahren und Snowboarden in einer Halle? Bei uns im Ruhr-
gebiet oder Rheinland? Wem erschien dieser Gedanke nicht
eigenartig, als er vom Bau der ersten Skihallen in Deutsch-
land erfuhr. Was die Besucher dorthin zieht, welche Vorteile
und Risiken der Wintersport in der Halle birgt, brachte die
Sportmedizinerin Anette Klein in Erfahrung.

S
eit nunmehr zwei Jahren sind
zwei Wintersporthallen in Be-
trieb, die uns "Flachländern"
den Spaß im Schnee als Tagesausflug
ermöglichen: die allrounder winter
world in Neuss (s. Abb.1) und das
Alpincenter in Bottrop. Die ganzjäh-
rig befahrbaren Pisten sind wetter-
unabhängig und ohne lange Anreise
in alpine Wintersportregionen zu
erreichen. Für ständig gleichblei-
bende Schneebedingungen sorgen
zum einen die vielen Schneekanonen,
die über Nacht Neuschnee von der
Hallendecke rieseln lassen, zum ande-
ren die konstante winterliche Tempe-
ratur, die bei -4°C liegt. Dass dieses
neue Freizeitangebot tatsächlich
genutzt wird, belegen z. B. die Besu-
cherzahlen der allrounder winter
world: In ihrem ersten Betriebsjahr
konnte die Skihalle Neuss über eine
Million Besucher begrüßen. Etwa
Abb.1: Skifahren und Rodeln auch im sommerlichen Flachland ermöglicht die allrounder
winter world in Neuss.
400.000 davon waren auf der Piste
wintersportlich aktiv, sei es beim Ski-
fahren, Snowboarden oder Tubing,
dem Fahren mit speziellen luftgefüll-
ten Reifen in einer Rodelbahn, die
unterhalb des Sesselliftes verläuft.
Doch wo liegt nun der Reiz am Win-
tersport in einer Halle, ohne das
alpine Naturerlebnis? Was macht Ski-
hallen so attraktiv? Was ist der Anlass
zum Besuch einer Skihalle und wie
beurteilen die Wintersportler die
Möglichkeiten des ganzjährigen Ski-
und Snowboardvergnügens? Antwor-
ten darauf sollte eine Befragung von
Skihallenbesuchern geben. Und auch
die Kehrseite des Skispaßes wollten
wir unter die Lupe nehmen, daher
dokumentierten und analysierten wir
parallel dazu Sportunfälle, z.B.
Ski- und Snowboardverletzungen in
der Skihalle.
Für die Befragung der Skihallenbesu-
cher entwickelten wir einen dreiseiti-
gen Fragebogen, der Aufschluss über
das Meinungsbild der Wintersportler
und -sportlerinnen gab. Innerhalb von
drei Monaten nahmen insgesamt 515
Personen an der Befragung teil, 40
Prozent Frauen und 60 Prozent Män-
ner. Unter den Besuchern der Skihalle
sind alle Altersgruppen vertreten: Die
Altersspanne der Befragten lag zwi-
schen 8 und 62 Jahren, wobei die
meisten (65 Prozent) bis 30 Jahre alt
waren. Das Durchschnittsalter betrug
27,7 Jahre.
Bei den Gründen für den Winter-
sporthallenbesuch stand bei 73 Pro-
zent der Befragten die "Sportliche

junior RUBIN 2003
Aktivität" an erster Stelle. Die (kör-
perliche) Vorbereitung auf den bevor-
stehenden Winterurlaub im Sinne von
Einfahren, Materialgewöhnung oder
Verbesserung der Fahrtechnik stand
ebenfalls bei vielen Besuchern im
Vordergrund. Des Weiteren wurden
Gruppenveranstaltungen wie ein Be-
triebsausflug, eine Geburtstagsfeier
oder verschiedene Events (z.B. Ski-
tests, Kids-Cup, Synchro Ski World
Championship) angegeben. Relativ
ausgewogen war die Verteilung der
Skifahrer und Snowboarder. Kamen
ca. 40 Prozent der Befragten zum
Snowboarden, waren es ca. 50 Pro-
zent, die Ski fuhren. Etwa 10 Prozent
nutzten am Befragungstag mehrere
Sportgeräte oder die Tubingbahn.
Die Skihalle fand bei den Befragten
insgesamt großen Anklang. Die für
Wintersportler wesentlichen Aspekte
wie Schneequalität oder auch die Fre-
quentierung der Piste, also die Anzahl
Lauter zufriedene
Sportler
der Ski- und Snowboardfahrer, die
gleichzeitig die Piste benutzen, wur-
den positiv bewertet. Auch die Lift-
kapazität bewerteten mehr als drei
Viertel der Befragten als gut oder sehr
gut, da sowohl zwei Schlepplifte als
auch ein Vierersessellift zur Verfü-
gung stehen.
Die wintersportlichen Vorerfahrun-
gen der Ski- und Snowboardfahrer
waren recht unterschiedlich. Sie reich-
ten vom Anfänger (z.T. ohne jegliche
Medizin
Abb. 2: Bei den Skifahrern war in beinahe
der Hälfte der Unfälle das Knie betroffen,
an zweiter Stelle rangierten Kopfverletzun-
gen. Aber auch die Schulter, der Ober-
schenkel oder das Sprunggelenk waren
verletzungsträchtige Körperregionen.
Vorerfahrung) bis hin zum Könner
mit langjähriger Sportpraxis. Beinahe
15 Prozent der Befragten hatten am
Befragungstag zum ersten Mal Kon-
takt mit dem Wintersport.
Die für sportliche Betätigung und
besonders für den Wintersport wich-
tige langfristige Vorbereitung sowie
das Aufwärmen vor der ersten Ab-
fahrt waren natürlich auch Bestandteil
der Befragung. Dabei stellte sich her-
aus, dass sich die Mehrheit der befrag-
ten Sportler nur unzureichend auf die
sportliche Aktivität vorbereitet: Nur
die Hälfte von ihnen gab an, mehr
oder weniger regelmäßig eine gezielte
Vorbereitung, z.B. die wöchentliche
Skigymnastik zu betreiben. Noch
unbeliebter scheint das "warm up" vor
der ersten Abfahrt zu sein. So wärm-
Medizin
ten sich nur ca. 40 Prozent der Befrag-
ten unmittelbar vor dem Ski- oder
Snowboardfahren durch herzkreis-
laufanregende Gymnastik und Dehn-
übungen oder durch kontrolliertes,
d.h. langsames und konzentriertes
Einfahren auf.
Aus sportmedizinischer Sicht gehört
ein herzkreislaufaktivierendes "warm
up" aber unbedingt zur optimalen Vor-
bereitung auf das Ski- oder Snow-
boardvergnügen. Neben dem Erwär-
men der Muskulatur und der Ver-
besserung der Koordination werden
auch Aufmerksamkeit und Wahrneh-
mungsleistung gesteigert: Eine gute
Voraussetzung, um Unfälle und Ver-
letzungen zu vermeiden!
Um Informationen über das Unfallge-
schehen in der Skihalle zu erhalten,
dokumentierten wir Ski- und Snow-
boardunfälle mittels eines Unfallpro-
tokolls, das wir dann auswerteten.
Eine ersten Bestandsaufnahme erfas-
ste 80 Unfälle in der Skihalle:
Die 27 Frauen und 53 Männer, die
einen Unfall in der Skihalle gehabt
hatten, waren durchschnittlich 24
Jahre alt. Die Snowboarder waren mit
im Mittel 21 Jahren deutlich jünger als
die Skifahrer (27 Jahre). Bei den Män-
Snowboarder haben
mehr Unfälle
nern verletzten sich über die Hälfte
(56 Prozent) beim Snowboarden, 37
Prozent beim Skifahren. Bei den
Frauen ist das Verhältnis umgekehrt.
Insgesamt gesehen hatten mehr Snow-
boarder als Skiläufer einen Unfall. Als
Ursache ist dabei die höhere Risiko-
junior RUBIN 2003
bereitschaft der im Mittel – im Ver-
gleich zu den Skifahrern – jüngeren
Snowboarder von Bedeutung, die
auch den Funpark häufiger für "wag-
halsige" Sprünge nutzen.
Die Unfallursache war zum größten
Teil gleich: in 83 Prozent der Fälle
führten eigenverantwortliche Ursa-
chen wie Fahrfehler, Überforderung,
Selbstüberschätzung, Unaufmerk-
samkeit oder Müdigkeit zum Unfall.
Dies entspricht in etwa den Ergebnis-
sen aus dem Outdoor-Bereich. Bei wei-
teren 11 Prozent war eine andere Per-
son, ob Ski- oder Snowboardfahrer,
Auslöser des Unfalls. So führten z.B.
“auf der Piste herumsitzende oder
pausierende" Sportler, zu schnelles
oder unkontrolliertes Fahren oder
Fahrfehler zur Kollision mit einem
anderen Wintersportler. Vor der Studie
Abb. 3: Bei den Snowboardern waren bei
über der Hälfte der Verletzten die Schulter,
das Handgelenk oder der Unterarm bzw.
Ellbogen betroffen. Häufig kam es auch
zu Fußverletzungen.
 Medizin
junior RUBIN 2003

hatten wir erwartet, dass sich Kolli- im Vergleich zum Outdoor-Sport Literatur:
ARAG Allg. Vers. AG (Hrsg.): Unfallverhütung
sionsunfälle häufen würden, weil in hohe Anteil von Snowboardern inter-
im alpinen Skisport – Teil 1: Vorbereitung
der Halle weniger Platz ist als drau- essant. So zeigt sich z.B. die oft auf den Skiwinter. – Teil 2: Gutes Sehen,
ßen. Diese Erwartung bestätigte sich höhere Risikobereitschaft der meist Gefahren erkennen, Richtig reagieren.
jedoch nicht. jüngeren Snowboarder auch im Reihe: Sicherheit im Sport, Düsseldorf
1999/1997 (Diese Faltblätter können bei
Am häufigsten wurde bei den Unfäl- Unfall- und Verletzungsgeschehen. der ARAG kostenfrei bestellt werden.)
len das Kniegelenk, der Kopf oder die Weiterführende, auch saisonale As- ASU-SKI, ARAG-Sportversicherung, Stiftung
Schulter verletzt. Bei den Skifahrern pekte berücksichtigende Studien, die Sicherheit im Skisport SIS (Hrsg.), GLÄSER,
H. (Red.): Alpine Skiunfälle – Zahlen und
war in beinahe der Hälfte der Fälle wir zurzeit durchführen, können in Trends 1999/2000
das Knie betroffen, an zweiter Stelle Kürze ein noch deutlicheres Bild JENDRUSCH, G., SENNER, V., SCHAFF, P.,
rangierten Kopfverletzungen. Aber geben. HECK, H.: Zur Notwendigkeit guten Sehens
beim Skifahren. Optometrie 44 (1998) 4, 31-36
auch die Schulter, der Oberschenkel
oder das Sprunggelenk waren ver- Die vorgestellten Ergebnisse gehören zur
letzungsträchtige Körperregionen Pilotstudie "Wintersport in Skihallen – eine
(Abb. 2). Bestandsaufnahme auch aus verletzungs-
und unfallprophylaktischer Sicht", das der
Bei den Snowboardern waren bei Lehrstuhl für Sportmedizin der Ruhr-Uni-
über der Hälfte der Verletzten die versität (Projektleiter: Dr. Gernot Jendrusch)
Schulter, das Handgelenk oder der im Auftrag der Stiftung Sicherheit im Ski-
sport (SIS) durchführt. Weitere Koopera-
Unterarm bzw. Ellbogen betroffen. tionspartner sind der Deutsche Skiverband
Häufig kam es auch zu Fußverletzun- (DSV), das Lukas-Krankenhaus in Neuss, die
gen (Abb. 3). Leider kamen nicht alle ARAG Sportversicherung, das Deutsche
Rote Kreuz (DRK) und die allrounder winter
Verletzten mit harmlosen blauen Fle- world.
cken davon. Knapp die Hälfte der 39
Personen, die wir nach dem Arztbe-
such noch einmal telefonisch befrag- Anette Klein
ten, hatten Knochenbrüche erlitten. forscht an der Fakultät für Sportwissen-
Vor allem bei den Snowboardern schaft, Lehrstuhl für Sportmedizin,
dominierte diese Verletzungsform. Prof. Dr. Hermann Heck, Dr. Gernot Jendrusch
16 Prozent der interviewten Verletz-
ten beklagten eine Überdehnung der
Bänder, größtenteils im Kniegelenk,
13 Prozent hatten sogar einen Bän-
Anzeige
derriss. Je 11 Prozent der Befragten
erlitten eine Prellung oder Quet-
schung, bzw. eine offene Wunde, bei
4 Prozent stellten die Ärzte eine
Gehirnerschütterung fest.
Diese Zahlen sollten jedoch keinem
Wintersportler Angst machen oder
gar vom "Schneevergnügen" abhalten.
Denn das Risiko, im alpinen Winter-
sport eine Verletzung davonzutragen,
ist im Vergleich zu anderen Sportar-
ten (z.B. Fußball, Handball, Volley-
Anzeige CQa
ball) relativ gering. Insgesamt wird
die Möglichkeit, Wintersport in der
Skihalle zu betreiben oder zu erler-
nen, als sehr positiv bewertet. Dabei
steht überwiegend der Spaß im
Vordergrund, aber auch die Möglich-
keit der aktiven Vorbereitung auf den
Winterurlaub oder des Erlernens
einer neuen Sportart. Die Attrakti-
vität der Skihalle spiegelt sich auch in
den Besucherzahlen wieder.
Aus sportmedizinischer Sicht ist der
Naturwissenschaften
junior RUBIN 2003

Kontinente verschieben statt Berge versetzen

Gesucht: Argo-Land
Christian Heine Die Suche nach einem verschwundenen Mikrokontinent hat
Christian Heine nach Australien geführt. Für seine Diplomar-
beit rekonstruierte er die Wanderung von "Argo-Land", von
dem man weiß, dass es einmal zu Australien gehörte, seine
heutige Position aber nicht kannte. Moderne Software half
ihm, verschwundene Spuren aus dem Erdinneren "heraus-
zuziehen" und Argo-Land wiederzufinden: in West-Burma.

E
in verschwundener Kontinent –
gibt es so etwas wirklich? Nun,
vielleicht nicht den sprichwört-
lich "vom Erdboden verschluckten",
doch zumindest solche, von denen
man weiß, dass sie nicht an ihren heu-
tigen Ort gehören, und solche, deren
Ursprungsort man kennt, nicht
jedoch ihre heutige Lage. Zu letzteren
gehört das sagenumwobene "Argo-
Land", das seinen Namen vom Argo-
Tiefbecken hat. Dieser Mikrokonti-
nent muss vor ca. 155 Mio. Jahren, in
der späten Jura-Zeit, vom damaligen
Nordwestrand Australiens abgebro-
chen und weggedriftet sein und sich
heute irgendwo in Südostasien befin-
den. Doch wo genau und wie er dort-
hin gekommen ist, war bisher ein geo-
logisches Rätsel, denn die meisten
Beweise hat die Erde bereits vernich-
tet. Gemeinsam mit der Arbeits-
gruppe "Marine Geodynamics" der
University of Sydney versuchte ich
Argo-Land zu finden und seinen
"Fluchtweg" zu rekonstruieren.
Katastrophale Erdeben und Vulkan-

Abb.1: Schnitt durch die oberen Bereiche der Erde (nicht maßstabsgerecht): Material, das in ca. 2.900 km Tiefe an der Kern-Mantel
Grenze erwärmt wird, bahnt sich einen Weg nach oben. An der Basis der Lithosphäre schwenkt dieser Konvektionsstrom in horizontale
Richtung um und zieht dadurch die darüber liegenden Lithosphärenplatten auseinander. Reißt die Kruste, bildet sich durch austretendes
Magma an einem "seafloor spreading ridge" laufend neue (ozeanische) Kruste. Beim Abkühlen des Magmas frieren eisenhaltige Mine-
rale die Richtung des jeweiligen Erdmagnetfeldes ein und erzeugen Streifenmuster aus magnetischen Anomalien.
 Naturwissenschaften
junior RUBIN 2003

ausbrüche erinnern uns Menschen

daran, dass wir nicht auf "festem
Boden" stehen, sondern die Erde ein
dynamischer Planet ist, dessen Ober-
fläche sich ständig verändert. Abge-
sehen von einigen Ausnahmen, laufen
geologische Prozesse in Geschwin-
digkeiten ab, mit denen unsere Fin-

Wir stehen nicht

auf festem Boden

gernägel wachsen – in Zentimetern

pro Jahr. Daher rechnen Geologen
nicht in Stunden oder Tagen sondern
gleich in Millionen Jahren (Ma).
Die Erdkruste gliedert sich in etwa ein
Dutzend verschieden großer Erdplat-
ten, die auf dem dichteren Erdmantel
schwimmen und sich gegeneinander
bewegen (Plattentektonik). Die Plat-
ten bestehen dabei aus zwei verschie-
denen Typen von Erdkruste, ozeani-
scher und kontinentaler: Erstere
bildet das Unterlager der Ozeanbe-
cken, letztere das der Kontinente und
Kontinentalschelfe, d.h. der Ränder
der Kontinente bis 300 m Wassertiefe.
Ozeanische Kruste besteht haupt-
sächlich aus Basalt und ist mit
3,2g/cm3 wesentlich dichter als konti-
nentale (2,7g/cm3).
Angetrieben wird die Plattentektonik
durch sog. Konvektionsbewegungen
im Erdmantel: Material, das in ca.
2.900 km Tiefe durch den radioakti-
ven Zerfall im Erdkern erwärmt wird,
bahnt sich wie zäher Pudding einen
Weg nach oben. In ca. 100 km Tiefe
schwenkt dieser Konvektionsstrom
wie Qualm an einer Zimmerdecke in
horizontale Richtung um und zieht
die darüber liegenden Lithosphären-
platten auseinander. Passiert dies
unter einem Kontinent, so entsteht an
der Erdoberfläche ein sog. Riftsystem
(Abb. 1), das sich langsam weitet.
Sobald die Kruste nur noch 50 Pro-
zent ihrer ursprünglichen Dicke
besitzt, reißt sie, der Kontinent bricht
in zwei Teile. Am Riss wird nun durch
austretendes Magma laufend neue
(ozeanische) Kruste produziert, die
sich an die auseinanderdriftenden
Platten angelagert (seafloor sprea-
ding, Abb. 1). Beim Abkühlen des
Abb. 2: Regionale Übersicht Südostasiens. Rote Linien bezeichnen die Grenze der
einzelnen geologischen Terranes.
Abkürzungen:
AAP – Argo Tiefseebecken, GAP – Gascoyne Tiefseebecken, WB – West Burma Block, AnS – Andaman See,
MaP – Malayische Halbinsel, SB – Shan Störung, MBT – Frontale Himalaya Überschiebung,
RRF – Roter Fluss Störung.
Magmas frieren eisenhaltige Minerale
die Richtung des jeweiligen Erdmag-
netfeldes ein. Da sich das Magnetfeld
in unregelmäßigen Zeitabständen
umkehrt, entsteht ein Streifenmuster
aus normal und umgekehrt polarisier-
ter ozeanischer Kruste. Diese magne-
tischen Anomalien können durch
Magnetometer aufgezeichnet werden
und besitzen für eine bestimmte Zeit
der Erdgeschichte eine charakteristi-
sche Form, an der sich das Alter der
Kruste ablesen lässt – die Plattenbe-
wegungen der letzten 180 Ma sind wie
auf einem Magnetband gespeichert.
Warum aber nur 180 Ma, wo doch die
ältesten Gesteine der Kontinente fast
3,4 Milliarden Jahre alt sind? Recy-
cling! Da der Erdumfang gleich bleibt,
muss für neue ozeanische Kruste
ältere vernichtet (subduziert) werden.
In Subduktionszonen (Abb. 1) sinkt
ozeanisches Krustenmaterial in den
Erdmantel zurück und wird aufge-
schmolzen. Kontinentale Kruste kann
aufgrund ihrer geringeren Dichte
nicht subduziert werden. Daher kann
die Erde auch keine Kontinente "ver-
schlucken".
Dieses Recycling ist es, was die Suche
nach Argo-Land so schwierig macht.
Ozeanische Kruste in den Argo- und
Gascoyne-Tiefseebecken nordwest-
lich vor Australien beweist, dass sich
vor rund 156 Ma ein Mikrokontinent
Die Erde löscht
das Magnetband
von Australien entfernt hat. Leider
wurde das "Magnetband" ozeanischer
Kruste für die letzten 130 Ma subdu-
ziert – die jüngeren Spuren von Argo-
Land also vernichtet. Ziel meiner
Arbeit war es nun, mittels spezieller
Software die verlorene Kruste aus
dem Erdinneren "herauszuziehen"
und so die heutige Position von Argo-
Land zu rekonstruieren. Durch eine
neue Interpretation der noch vorhan-
denen magnetischen Anomalien,
kombiniert mit Daten aus Schwere-
Naturwissenschaften
junior RUBIN 2003

Abb. 3: Regionale plattentekto-

nische Rekonstruktionen für die
Zeit von vor 156 Ma (a) bis vor
130 Ma (d). Australien ist in der
Darstellung in seiner heutigen
Position fixiert. Farbige Linien
bezeichnen das Alter der ozeani-
schen Kruste (Isochronen).

Abkürzungen:
WB – West Burma Block,
SB - Shan Störung,
MBT – Frontale Himalaya Überschiebung,
ASC – inaktiver seafloor spreading ridge,
submarine Plateaus mit wichtigen geolo-
(4a) gischen Formationen:
(3a) CT – Carnarvon Terrace,
ScP – Scott Plateau,
ExP – Exmouth Plateau.

(4b)
(3b)

Abb. 4: Plattentektonische
Rekonstruktionen des südost-
(4c)
asiatischen Raumes für die
(3c)
Zeit von vor 156 Ma bis heute.
Die Abbildungen zeigen Konti-
nente und Linien gleichen
Alters der ozeanischen Kruste:
Kontinentale Teile Australiens,
Indiens und Eurasiens in beige,
Schelfbereiche in hellblau.

Abkürzungen :
IND – Indien,
MGI – kleinerer kontinentaler "Splitter"
Indiens,
AUS – Australien,
WB – West Burma Block,
ANT – Antarktis. Kreuze: heutiges
(4d) 5-Grad-Gitter.
(3d)

junior RUBIN 2003
messungen (Gravimetrie) und der
Erkundung des Untergrundes durch
akustische Wellen (Seismik), mit geo-
logischen Daten aus Burma, Timor
und von Bohrungen am australischen
Nordwestschelf (NWS) gelang es, das
Argo-Land-Rätsel zu lösen.
Mikrokontinente passen nicht
in ihre Umgebung
Aus Untersuchungen im südostasiati-
schen Raum weiß man, dass ein Groß-
teil dieser Region durch viele Mikro-
kontinente aufgebaut ist, die von ihrer
Geologie her nicht richtig in die "nor-
male" dortige Geologie passen (Ter-
ranes). Sie enthalten z.B. Pflanzen-
und Tierfossilien des Gondwanaland-
Kontinentes: Vor rund 170 Ma waren
die heutigen Kontinente in zwei gro-
ßen Landmassen, Gondwanaland im
Süden und Laurasia im Norden, ver-
eint. Der Tethys-Ozean, ein Vorgänger
des Indischen Ozeans, trennte die bei-
den Superkontinente voneinander.
Man vermutet, dass die meisten
Mikrokontinente des heutigen Süd-
ostasien vom Nordrand Gondwana-
landes abbrachen, nach Norden drif-
teten und mit dem Südrand der
Laurasischen Platte kollidierten. Bei
der dortigen Suche nach Kandidaten
für das Argo-Land stolperten wir über
den "West-Burma-Block". Seine Grö-
ße, die geologischen Formationen
und Fossilien ähneln verblüffend
denen des NWS’s und Timors, das ein
herausgehobenes Stück des australi-
schen Nordwestschelfs ist. Ich begann
damit, den West-Burma-Block in mei-
ner Rekonstruktion in die Ausbuch-
tungen des NWS einzupassen. Zu-
sammen mit meiner Interpretation
der magnetischen Anomalien und
den zusätzlichen Daten fügte sich
alles zu einer schlüssigen Geschichte
zusammen:
Vor ca. 170 Ma stieg wahrscheinlich
durch Konvektion unter dem Nordo-
strand Gondwanalandes heißes Man-
telmaterial auf, sodass die dortige
Kruste (das heutige Nordwestaustra-
lien) über den Meeresspiegel heraus-
gehoben und gedehnt wurde. Dabei
bildete sich etwa entlang des heutigen
Naturwissenschaften
australischen NWS ein kontinentales Dank:
Riftsystem mit Vulkanen (Abb. 3a, 4a). Mein großer Dank gilt meinen Be-
Vor 156 Ma "riss" die kontinentale treuern, Prof. Dr. Bernhard Stöckhert
Kruste, seafloor spreading bildete im (Bochum) sowie Dr. Dietmar Müller
Bereich des südlichen Argo-Beckens und Dr. Carmen Gaina (Sydney) für
die erste neue ozeanische Kruste und ihre "interkontinentale" Unterstüt-
isolierte damit Argo-Land von Gond- zung, sowie dem Deutschen Aka-
wana. 5 Ma später hatte sich der spre- demischen Austauschdienst, der
ading ridge Richtung Nordosten ent- das Projekt mit einem Stipendium
lang des Nordrandes von Australien förderte.
ausgebreitet, ein neues Ozeanbecken
war geboren (Abb. 3b). Diese Rekon-
struktion passte hervorragend zu den
bekannten geologischen Formationen
des Nordwestschelfs. Die Interpre-
tation der magnetischen Anomalien
zeigte, dass das Alter der ozeanischen
Kruste in den beiden Tiefseebecken in
Richtung Nordwesten abnimmt,
d.h. Argo-Land sich in dieser Rich-
tung von Gondwanaland entfernte
(Abb. 3c, 4b).
In den nördlichen, jüngeren Berei-
chen des Argo-Beckens erkennt man
eine langsame Rotation des seafloor
spreading entgegen dem Uhrzeiger-
sinn (Abb. 3d). Gleichzeitig finden
sich entlang des westaustralischen
Schelfs Anzeichen für ein Rifting zwi-
schen Indien und Australien – dem
endgültigen Zerfall Gondwanalandes
(Abb. 3c-d, 4b-c).
Schlüssige Geschichte der
Wanderung Argo-Lands
Von einem Zeitpunkt vor rund 131 Ma
an war Argo-Land an die Bewegungen
der Indischen Platte gebunden. Aus-
tralien und die Antarktis entfernten
sich langsam von Indien, welches von
Afrika isoliert wurde und nach Nor- Christian Heine
den driftete (Abb. 4c). Vor rund 80 studierte an der Fakultät für Geowissen-
schaften, Lehrstuhl für Endogene Geologie,
Ma erreichte Argo-Land in der Nähe
Prof. Dr. Bernhard Stöckhert
des heutigen West-Thailand den Süd-
rand der Eurasischen Platte. Auf sei-
ner Westseite wurde anschließend die Internet-Links
Weitere Animationen zur Geodynamik
ozeanische Kruste der Tethys subdu- und Plattentektonik:
ziert. Die nordöstliche Ecke des Indi- http://www.es.usyd.edu.au/Geophysics/
schen Kontinents schob Argo-Land Marine_geophysics/Movies/INDEX.html
entlang der heutigen Shan-Störung
School of Geosciences, University of Sydney,
(Abb. 2) nach Norden, wo es schließ- Australien:
lich gemeinsam mit Indien (immer http://www.es.usyd.edu.au
noch) den Himalaya auffaltet.
Homepage des Institutes für Geologie,
Mineralogie und Geophysik der RUB:
http://www.ruhr-uni-bochum.de/gmg
Naturwissenschaften
junior RUBIN 2003

DNA-Vergleich per Münzwurf

Mathe-Tricks in der Biologie

Ansgar Voigt Was hat Wahrscheinlichkeitsrechnung mit Biologie zu tun?
Was verbindet eine Münze mit einer DNA-Kette? Diesen Fra-
gen widmete sich Ansgar Voigt in seiner Staatsarbeit – und
fand verblüffende Gemeinsamkeiten zwischen den Fächern
in den Arbeiten zweier ungarischer Mathematiker.

I
m Februar 2002 erhielt ich für
meine Examensarbeit das Thema
“Erdös-Rényi-Gesetze in der Bio-
logie”. Zuerst dachte ich, wer ist
Erdös-Rényi und was hat Biologie mit
Wahrscheinlichkeitsrechnung zu tun?
Die erste Frage konnte relativ schnell
gelöst werden, Paul Erdös und Alfred
Rényi waren zwei Mathematiker mit
einer außergewöhnlichen Lebensge-
schichte (s. Info 1 und 2). Die andere
Frage ließ sich nicht so einfach klä-
ren. Ich stieß schnell auf einen Arti-
kel, den Erdös und Rényi 1970
geschrieben hatten. Darin geht es um
die Länge von sog. Ketten bei einem
n-fachen Münzwurf. Das kann man
sich so vorstellen: Jede maximale
Folge benachbarter gleicher Symbole
ist eine Kette. Wird bei einem Münz-
wurf Kopf mit 1 und Zahl mit 0
bezeichnet, so ist ein mögliches
Ergebnis eines 8-fachen Münzwurfes

Abb. 1: Eine DNA-Sequenz besteht aus

den vier Basen Adenin (A), Guanin (G),
Thymin (T) und Cytosin (C). Es liegen
sich immer zwei Basen als Paar gegenüber.
 Naturwissenschaften
junior RUBIN 2003

z. B. 01111011. Darin ist eine 1’er
Kette der Länge 4 und eine 1’er Kette
der Länge 2 enthalten. Die Frage, die
sich Erdös und Rényi stellten, war:
Welche Länge “erwartet” man für die
längste Kette von z. B. Einsen bei
einem n-fachen Münzwurf? Zur Be-
antwortung der Frage betrachtet man
eine Münze, bei der mit der Wahr-
scheinlichkeit p Kopf (=1) und mit
1-p Zahl (=0) fällt. Mit einer kleinen
Rechnung (siehe Info 3) erhält man
das Ergebnis Rn = log1/p n. Hierbei ist
Rn die zufällige Länge der längsten
Kette.
Wirklich werfen oder
ein Ergebnis erfinden
Dieses Ergebnis lässt sich im Sto-
chastikunterricht für ein Experiment
verwenden: Die Klasse teilt sich in
zwei Gruppen. Die erste Gruppe
erhält den Auftrag, einen 200-fachen
Münzwurf zu erfinden und die ent-
sprechende Sequenz aus Einsen und
Nullen zu notieren. Die zweite
Gruppe soll einen 200-fachen Münz-
wurf wirklich durchführen und die
entstehende Sequenz ebenfalls notie-
ren. Die Lehrerin bzw. der Lehrer
kann nun behaupten: "Ich kann ent-
scheiden, zu welcher Gruppe der Zet-
tel gehört." Dies kann er oder sie mit
Hilfe der obigen Formel: Danach ist
die Länge der längsten Kette bei
einem 200-fachen fairen Münzwurf
(p=0,5 und n=200) im Durchschnitt
ca. 7,64. Für den praktisch durchge-
führten Münzwurf bedeutet das, dass
die Länge der längsten Kette ungefähr
im Bereich von 6 bis 8 liegt. An die-
ser Stelle nutzt der Lehrer die Ver-
mutung vieler Menschen aus, dass
sich beim Münzwurf Kopf und Zahl
regelmäßig abwechseln müssen, weil
Kopf und Zahl mit gleicher Wahr-
scheinlichkeit vorkommen. Die Grup-
pe der "Erfinder" wird sich also
scheuen, längere Ketten zu notieren.
Die Lehrerin bzw. der Lehrer braucht
also nur die Zettel mit den kürzeren
Ketten den Erfindern und die Zettel
mit Ketten der Länge größer als 6 der
anderen Gruppe zuzuordnen und
wird dabei sehr häufig richtig liegen.
Für das Experiment bietet es sich an,
einen 200-fachen Münzwurf zu wäh-
Sequenz 1 A G T
Sequenz 2 A T T G C G A G C T
Vergleich: 1 0 1 0
len, da bei 200 Würfen die Gesamt-
anzahl nicht zu groß ist, aber gleich-
zeitig eine ausreichende Trennschärfe
erreicht wird.
Doch was hat das alles mit Biologie
zu tun? Die amerikanischen Forscher
Richard Arratia und Michael S.
Waterman mit dem Fachgebiet Com-
putational Biology widmen sich ver-
schiedenen Problematiken aus der
Mathematik, Biologie und Informa-
tik. Dabei wandten sie das Münzwurf-
Modell auf DNA-Sequenzen an. Zwei
mathematische Aspekte dieses Ge-
dankens behandelte ich in meiner
Arbeit ausführlicher und stellte sie
übersichtlicher dar.
Eine DNA-Sequenz besteht aus den
vier Basen Adenin (A), Guanin (G),
Thymin (T) und Cytosin (C). (Abb. 1)
Möchte man nun zwei DNA-Sequen-
zen vergleichen (genauer: zwei Ein-
zelstränge), so schreibt man diese
übereinander und sucht nach Über-
einstimmungen. Falls eine Überein-
stimmung gefunden wird, bezeichnet
man diese mit 1, falls keine Überein-
stimmung vorhanden ist mit 0.
Man erhält dann z.B.:
A C G A T A C A
A
1 1 1 0 0 0 1
Die Sequenz aus Einsen und Nullen
entspricht einem Münzwurf, wie er
oben beschrieben wurde. Die Wahr-
scheinlichkeit, dass zwei DNA-Se-
quenzen übereinstimmen, kann man
ebenfalls mit p bezeichnen. Bei einem
Münzwurf ist diese Wahrscheinlich-

info1
Paul Erdös
Paul Erdös wurde am 26.03.1913 in
Budapest, Ungarn, geboren und starb
am 20.09.1996 in Warschau, Polen.
Erdös wurde von seinen Kollegen als
sehr unkonventionell beschrieben und
publizierte eine große Anzahl an Wer-
ken insbesondere in den Bereichen der
Zahlentheorie, Kombinatorik, Geome-
trie und Graphentheorie. Diese große
Zahl an Veröffentlichungen führte unter
Mathematikern zum Begriff der "Erdös Zahl": Zahl 1 bedeutet,
dass man Koautor von Erdös war, Zahl 2 bedeutet, man publi-
zierte mit einem Koautor von Erdös usw., und tatsächlich besit-
zen viele Mathematiker eine niedrigere Erdös Zahl. Erdös schil-
derte bei seinen Vorträgen "some of my favorite problems and
results" und setzte zur Lösung einen Geldpreis aus. Ein Erdös
Problem von 100 $ (US) galt und gilt als fast nicht lösbar.
info2
Alfréd Rényi
Alfréd Rényi wurde am 30.03.1921 in
Budapest, Ungarn, geboren und starb
dort am 01.02.1970. Er arbeitete an ver-
schiedenen Themen wie der Zahlentheo-
rie, Cauchy-Fourier Reihen und der
Wahrscheinlichkeitstheorie,welche sein
Hauptarbeitsgebiet war. Er veröffent-
lichte verschiedene Arbeiten zusam-
men mit Erdös, insbesondere zu Zufalls-
graphen. Von ihm stammt der Aus-
spruch: "A mathematician is a machine for converting coffee
into theorems". Später gründete er das mathematische Institut
der ungarischen Akademie der Wissenschaften,welches er auch
als Direktor leitete. Dieses Institut hat heute Weltruhm.
Naturwissenschaften
keit leicht zu bestimmen, aber auch im
komplizierteren Fall zweier DNA-
Sequenzen ist dies möglich: Für ein
einfaches Modell kann man anneh-
men, dass jede einzelne Base unab-
hängig von den anderen Basen ist und
DNA-Sequenz
als Würfel betrachten
somit durch ein Zufallsexperiment
realisiert werden kann. Im einfachsten
Fall ist dies ein symmetrischer vier-
seitiger Würfel mit den Seiten A, G,
T, C. Natürlich hat dieses Modell bio-
logisch betrachtet entscheidende
Nachteile, aber die Modellierung
durch einen Würfelwurf lässt sich
noch relativ einfach handhaben und
bietet trotzdem interessante Einsich-
ten. Die Wahrscheinlichkeit p ist dann
bei zwei DNA-Sequenzen, welche
durch einen symmetrischen vierseiti-
gen Würfel entstehen, einfach 1/4 * 1/4
= 0,0625. Jetzt kann man, wie schon
angedeutet, die Analogie zum Münz-
wurf benutzen. Die beiden zu verglei-
chenden DNA-Sequenzen müssen
Anzeige
Anzeige Athanor Akademie
junior RUBIN 2003
info3
Heuristische Herleitung für Profis
Der Term Rn = log1/p lässt sich folgendermaßen herleiten: Falls p die Wahrscheinlich-
keit für das Auftreten einer Eins ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit
für eine Kette von Einsen der Länge m pm. Für diese 1'er-Kette der Länge m gibt es
genau n-m+1 Startpositionen bei einem n-fachen Münzwurf. Die erwartete Anzahl
solcher Ketten der Länge m ist daher (n-m+1) · pm. Falls m festgehalten und n groß
wird, approximiert n ·pm den Term (n-m+1) · pm. Also ist der Erwartungswert:
E(1’er Kette der Länge m)  n·pm
Wird die Länge der längsten Kette von Übereinstimmungen zweier DNA Sequenzen
der Länge n mit Rn bezeichnet erhält man, unter der Annahme, dass es nur eine läng-
ste Kette gibt (d.h. es wird nur eine Kette erwartet):
1  n · p Rn
Durch Verwendung von = statt  erhält man:
1 = n · p Rn
Dieser Ausdruck kann mit Hilfe des Logarithmus umgeformt werden und man erhält
für die Länge der längsten Kette bei einem n-fachen Münzwurf den Ausdruck:
Rn = log1/p n
gleich lang sein. Nennt man ihre erwartete Länge des längsten Über-
Länge n, so erhält man den schon be- einstimmungsbereichs möglich.
kannten Wert Rn = log1/p n für die In der Praxis wird es so funktionieren,
Länge der längsten Übereinstim- dass die Wahrscheinlichkeit p aus
mung. Hat man also p bestimmt, ist einem kleineren DNA-Sequenzstück
eine statistische Vorhersage über die ermittelt wird, um dann Aussagen
über die gesamte Sequenz zu machen.
Die Entstehung von DNA-Sequenzen
durch einen Würfel hat daher natür-
lich nur theoretische Bedeutung.
Aber die Übertragung des Münzwurfs
auf die Biologie zeigt abermals, für
wie viele Lebensbereiche dieses ein-
fache Modell gültig ist.
Ansgar Voigt
studierte an der Fakultät für Mathematik,
Arbeitsgruppe Stochastik/Didaktik,
Prof. Dr. Peter Eichelsbacher
 Naturwissenschaften
junior RUBIN 2003

Geographen in der Immobilienwirtschaft

Das richtige Haus am richtigen Ort

Svenja Krämer Klar,dass man eine Villa nicht ins verrufenste Viertel der Stadt
Georg Rafalski baut – wer würde sie teuer kaufen wollen? Was es aber noch
Daniela Schulte
Jörg Weingarten alles bei Bauvorhaben zu beachten gibt, erfuhren Bochumer
Geographiestudenten am eigenen Leib: Sie planten die
Bebauung eines Grundstücks in Bochum-Werne und lernten
so nebenbei eines ihrer möglichen Berufsfelder kennen.

W
er an das Unterrichtsfach
Geographie denkt, glaubt
wahrscheinlich, sich im Stu-
dium ausschließlich mit fremden Län-
dern, der Entstehung der Alpen oder
Klimadiagrammen beschäftigen zu
müssen. Dass dies nicht immer zu-
trifft, zeigte uns ein Projektseminar
des Lehrstuhls für Kultur- und Sied-
lungsgeographie. Dort beschäftigten
wir uns mit Aufgaben, die potentiel-
len Tätigkeits- und Berufsfeldern ent-
sprechen, z.B. mit einem Feld, in dem
sich bereits viele Geographen beruf-
lich etabliert haben: als Projektent-
wickler in der Immobilienwirtschaft.
Einen Einblick in den Berufsalltag
ermöglichte der Kontakt zur Firma
Interboden in Ratingen, die sich auf
den Bau und Verkauf von Wohnim-
mobilien spezialisiert hat. In kleinen
Teams sollten wir potenzielle Neu-
baugrundstücke in Bochum und
Ratingen untersuchen und uns dabei
mit den Faktoren beschäftigen, die für
oder gegen eine mögliche Wohnbe-
bauung sprechen (s. Abb.1). Dazu
gehören z.B. Fragen wie:
Welche Eigenschaften hat der Stand-
ort? Wie sieht die Wohnungsmarkt-
lage aus? Gibt es konkurrierende Bau-
vorhaben in der Umgebung? Welche
Bebauung ist überhaupt zulässig? Für
welche Bewohner wäre der Standort
attraktiv? Wie teuer wäre das Grund-
stück, welche Kosten müssen für den
Bau der Wohnungen veranschlagt wer-
den? Zu welchen Konditionen kann
man die zu erstellenden Häuser ver-
kaufen oder vermieten?
Um diese Fragen beantworten zu kön-
nen, wurden zuerst theoretische
Grundlagen und das notwendige Ba-
siswissen erarbeitet. Anschließend
beschäftigten sich alle Teams mit der
Recherche der Fragestellungen, um
die Projektentwicklung einmal "durch-
zuspielen". Selbständiges Arbeiten
und regelmäßige Berichterstattung
vor Kommilitonen und Dozenten
gehören natürlich auch zum Projekt-
seminar .
Unser Team beschäftigte sich mit
einem Areal in Bochum-Werne: Erster
Naturwissenschaften
Abb. 1: Muster einer Bewertung und Handlungsempfehlung
Schritt der Markt- und Standortana-
lyse ist eine Begehung des sog. Mikro-
standortes, also des unmittelbaren
Umfeldes unseres Plangebietes. Dazu
gehört zunächst die Einschätzung der
Lage des Grundstückes: Wo genau
liegt es im Stadtgebiet und wie sieht
das direkte Umfeld aus? Es stellen sich
Am Autobahnkreuz will
keiner wohnen
Fragen zur Sozialstruktur in der Nach-
barschaft und zur Bebauung im
Umfeld. Außerdem sollte man einen
Blick auf die Verkehrsanbindung wer-
fen, sich also fragen, wie gut (oder
schlecht) die Anbindung an den
öffentlichen Personennahverkehr ist,
und wo die nächste Autobahn ist.
Ergeben sich daraus vielleicht Pro-
bleme für die Planung? Was für einen
Lebensmitteldiscounter durchaus po-
sitiv ist, kann für potentielle Bewoh-
ner eher unangenehm sein – wer
wohnt z. B. schon gerne an einem
Autobahnkreuz? Wichtig für die
Bewertung des Gebietes ist auch die
vorhandene Infrastruktur, also: Wo ist
die nächste Schule, wo der nächste
Arzt, welche Einkaufsmöglichkeiten
habe ich? Man versucht zudem, einen
Eindruck von möglichen Lärm- oder
sonstigen Belästigungen zu bekom-
men und das Image des Stadtteils in
Erfahrung zu bringen. Hilfreich kön-
nen dabei kurze Gespräche mit Pas-
santen oder Ladenbesitzern sein – die
manchmal auch etwas länger ausfallen
können, was uns z. B. ein redseliger
Frisör zeigte, dessen Mitteilungs-
drang nicht zu stoppen war ...
Wir konnten als Ergebnis festhalten,
dass unser Untersuchungsraum in
Bochum-Werne durch eine gute Ver-
kehrsanbindung und die Nähe zu
einem kleinen Stadtteilzentrum ge-
kennzeichnet ist. Negativ auf unsere
Beurteilung wirkte sich Verkehrslärm
der A40 aus.
Im nächsten Schritt befassten wir uns
mit der Ermittlung der Bodenpreise
und der Analyse konkurrierender
Abb. 2: Die Bodenrichtwertkarte zeigt, wie teuer die Grundstücke im Stadtgebiet sind. Das
Grundstück, für das wir eine Bebauung planten, liegt am Nörenbergskamp in Bochum-
Werne. Hier werden mittlere Preise erzielt.
junior RUBIN 2003
Immobilienangebote. Um einen Ein-
druck von den Preisen vor Ort zu
bekommen, zogen wir die Boden-
richtwertkarte und den Grundstücks-
marktbericht der Stadt Bochum zu
Rate (Abb. 2). Diese Dokumente wer-
den vom Gutachterausschuss für
Grundstückswerte herausgegeben.
Der Bochumer Grundstücksmarktbe-
richt enthält eine Zusammenfassung
marktbezogener Daten für bebaute
und unbebaute Grundstücke. Viele
Diagramme geben Aufschluss über
Größe und Preise der bereits verkauf-
ten Grundstücke. Graphisch werden
die Preise in der Bodenrichtwertkarte
dargestellt. In Bochum-Werne werden
Grundstückspreise zwischen 170 und
230 Euro pro qm erzielt. Im Vergleich
zu den Werten anderer Stadtteile lie-
Luxusappartment oder
Reihenhaus
gen diese Preise auf mittlerem Niveau.
Die Bodenpreise vor Ort sind ein
wichtiger Indikator für die potenzielle
Bebauung und die Zielgruppen, die
man ansprechen möchte. Die Preise
in Werne spiegeln eine mittlere Wohn-
qualität wieder, d.h. man sollte dort
keine Luxusapartments bauen, son-
dern für mittlere bis untere Einkom-
mensgruppen planen.
Anschließend haben wir die Immobi-

junior RUBIN 2003
lienteile der regionalen Zeitungen stu-
diert, um zu recherchieren, wie viel
Wohneinheiten in Werne bereits ange-
boten werden. So lässt sich heraus-
finden, ob der Markt für die Art von
Bebauung, die wir planen, nicht be-
reits "gesättigt" ist bzw. wer unsere
Konkurrenten sind. Mit selbst erstell-
ten Tabellen, die über die Art der Be-
bauung (Reihenhäuser, Mehrfami-
lienhäuser,...), die geforderten Preise,
die Grundstücks- und Wohnungsgrö-
ßen Aufschluss gaben, konnten wir
Abb. 3: Im Seminarraum kalkulieren wir die Baukosten und diskutieren einen städtebau-
lichen Entwurf.
Durchschnittspreise aller Bebauungs-
arten errechnen. Von manchen Bau-
vorhaben haben wir sogenannte
"Exposés" angefordert, in denen die
Projekte genau beschrieben sind.
Aufgrund der beobachteten Standort-
eigenschaften und der ermittelten
Preise sowie der Konkurrenz am Woh-
nungsmarkt haben wir dann zum
ersten Mal die Art der Bebauung
sowie die potentielle Zielgruppe fest-
gelegt: Wir finden, dass in Werne
Wohnraum für Leute mit mittlerem
Einkommen geschaffen werden sollte,
und zwar in Form von Doppelhaus-
hälften und günstigen Reihenhäusern,
die sich gut in das Gesamtbild vor Ort
einfügen würden.
Wollen wir unsere Planung realisie-
ren, dürfen wir aber die rechtliche
Seite nicht vernachlässigen. Unsere
schönste Planungsidee ist zum Schei-
tern verurteilt, wenn unser Vorhaben
nicht mit dem Planungsrecht überein-
stimmt. Im Normalfall ist es über
einen Bebauungsplan geregelt, der Art
und Maß der baulichen Nutzung fest-
legt. Er gibt etwa Bauweise, Geschoss-
flächen und Geschosshöhe vor. Der
Bebauungsplan leitet sich wiederum
aus dem Flächennutzungsplan ab, der
grob die Art der Bodennutzung für
das gesamte Stadtgebiet ordnet. Sind
Teile der zu bebauenden Fläche be-
reits erschlossen und ist umliegend ein
geschlossener Siedlungsbereich vor-
handen, kann auch der § 34 des Bau-
gesetzbuches greifen: In diesem Fall
muss sich die neue Bebauung nur in
das Gesamtbild der Umgebung einfü-
Durch den Dschungel
der Pläne
gen, ein neuer Bebauungsplan ist dann
nicht erforderlich.
Das Planungsrecht ist sehr komplex;
durch die Beschäftigung mit dem
Grundstück wurde es für uns jedoch
zunehmend greifbar. Folgende Frage-
stellungen taten sich zudem auf: Wer
ist der Eigentümer des Grundstücks
und wo liegen seine Interessen? Lie-
gen Gutachten (wie z.B. Lärmgutach-
ten) zum Grundstück vor? Sind
Naturwissenschaften
Grunddienstbarkeiten (z. B. Wege-
rechte) zu beachten? Um das zu klä-
ren, mussten wir verschiedene Ämter
der Stadt Bochum besuchen. Für
unseren Standort gibt es keinen gülti-
gen Bebauungsplan, vielmehr haben
unsere Gespräche beim Stadtpla-
nungsamt ergeben, dass das Grund-
stück entsprechend § 34 des Bauge-
setzbuches bebaut werden kann.
Somit steht unseren Vorhaben pla-
nungsrechtlich nichts im Wege, da
sich die Doppelhaushälften und Rei-
henhäuser gut in das Siedlungsbild
einfügen würden. Unsere Einsicht:
Das Planungsrecht spielt für den Woh-
nungsmarkt eine erhebliche Rolle. Es
empfiehlt sich eine frühzeitige Beach-
tung, damit man rechtlich nicht durch-
setzbare Vorhaben von vornherein
ausschließen kann.
Nachdem wir nun alle Recherchen
beendet haben, erstellen wir einen
städtebaulichen Entwurf, in den wir
Gebäude und Erschließungsstraßen
einzeichnen, und eine Kostenkalkula-
tion (Abb. 3). Sollte das Gelände
eines Tages tatsächlich bebaut wer-
den, würden wir die "reale" Entwick-
lung natürlich mit großem Interesse
verfolgen!
Svenja Krämer, Georg Rafalski,
Daniela Schulte, Jörg Weingarten
arbeiten an der Fakultät für Geowissen-
schaften, Geographisches Institut,
Lehrstuhl für Kultur- und Siedlungs-
geographie, Prof. Dr. Lienhard Lötscher
Naturwissenschaften
junior RUBIN 2003

Die Geburt neuer Sterne beobachten

Diplomandinnen und der Jetset

Vera Hoffmeister Auf der Suche nach Sternen-Embryos haben Vera Hoffmeis-
Katrin Kämpgen
ter und Katrin Kämpgen auch die Welt gesehen: Am besten
kann man nämlich den Himmel von Observatorien in Chile
und auf Hawaii beobachten. Mit Hilfe optischer Teleskope
und Radio-Detektoren konnten sie einzigartige Eindrücke
von der Entstehung neuer Sterne gewinnen.

Abb. 1: Infrarotaufnahme des Omeganebels (M17) mit dem jungen Sternhaufen (links oben) und ionisiertem Gas, das durch die heißen
Sterne des Haufens zum Leuchten angeregt wird. Die dunklen Staubwolken sind Gebiete, in denen sich in Zukunft neue Sterne bilden
werden.
 Naturwissenschaften
junior RUBIN 2003

A
ls wir vor etwa einem Jahr
mit unseren Diplomarbeiten
am Astronomischen Institut
(AIRUB) begannen, dachten wir, die
nächsten Monate in einem klimati-
sierten Raum ohne Fenster vor einem
Bildschirm zubringen und "Konser-
vendaten" bearbeiten zu müssen. Das
erwies sich allerdings als großer Irr-
tum, denn inzwischen sammeln wir
bei verschiedenen Fluggesellschaften
kräftig Meilen und haben sogar schon
Vielfliegerstatus erreicht. Denn die
Messungen für unsere Arbeiten konn-
ten wir selber an verschiedenen Obser-
vatorien in Chile und auf Hawaii
(Abb. 2) durchführen. Außerdem nah-
men wir an internationalen Sommer-
schulen und wissenschaftlichen Ta-
gungen teil. Unseren Arbeiten ge-
meinsam ist die aktuelle Frage der
Sternentstehung. Die Methoden, mit
denen wir diese Untersuchungen
durchführen, sind aber recht unter-
schiedlich. So hatte Katrin die Auf-
gabe, mit Hilfe eines neuen Detektors
im Radiobereich (s. Info) nach sog.
Protosternen zu suchen, also nach
stellaren Embryos, die in einigen
Zehn- bis Hunderttausend Jahren als Abb. 2: Prof. Dr. Chini mit Vera und Katrin vor dem 15 m Swedish-ESO-Submm-Teleskop
optisch sichtbare Sterne aufleuchten (SEST) auf La Silla, Chile.
werden. Vera sollte dagegen einen der
größten und jüngsten Sternhaufen denn die speziellen Technologien, die messer. Drei Wochen lang scannte ich
unserer Galaxie im optischen und man dafür braucht, sind erst seit kur- 16 Stunden täglich den Himmel in
infraroten Spektralbereich untersu- zem verfügbar (Abb. 3). Ich hatte das drei Regionen ab, in denen bekann-
chen, um u.a. herauszufinden, wie Glück, zu einer Zeit mit meiner termaßen gerade Sternentstehungs-
häufig beim Sternentstehungsprozess Diplomarbeit zu beginnen, als gerade prozesse im Gang sind. Es war schon
auch Planeten entstehen. ein solcher Detektor auf der Europäi- ein Erlebnis, auf dieser großen Stern-
Sterne entstehen dadurch, dass inter- schen Südsternwarte La Silla (Chile) warte die vielen weißen Teleskopkup-
stellare Gas- und Staubwolken sich in Betrieb genommen wurde. Zur Vor- peln glänzen zu sehen und bei den
aufgrund der Schwerkraft (Gravita- bereitung auf meine Beobachtungen Mahlzeiten am Tisch mit internatio-
tion) zusammenballen (kollabieren), nahm ich an einer Sommerschule in nal bekannten Astronomen zu sitzen
sodass sich sog. Protosterne bilden. und über die Arbeit zu sprechen.
Diese Objekte sind nur anhand der Von Spanien Die so gewonnenen Rohdaten mus-
Wärmestrahlung des in ihnen enthal- nach Chile sten dann analysiert und die vielen
tenen Staubes nachweisbar. Da seine einzelnen Aufnahmen zusammenge-
Temperatur allerdings nur etwa minus Granada (Spanien) teil; dort wird in puzzelt werden. Die Auswertung mei-
250 Grad Celsius beträgt, sind Pro- der Sierra Nevada das weltgrößte ner Daten wurde mir dadurch versüßt,
tosterne weder durch Messungen des Millimeterteleskop von 30 Metern dass ich sechs Monate bei einem Kol-
sichtbaren Lichts noch durch Mes- Durchmesser betrieben. Ich erlernte legen meines Betreuers Prof. Dr. Rolf
sungen der Infrarotstrahlung beob- sowohl theoretisch als auch praktisch Chini verbringen konnte. Prof. Dr. Bo
achtbar. Nur wenn man Wellenlängen am Teleskop, wie man solche Mes- Reipurth ist ein international aner-
von ca. einem Millimeter, also Strah- sungen durchführt. kannter Experte auf dem Gebiet der
lung zwischen Infrarot- und Radiobe- Meine eigentlichen Beobachtungen Sternentstehung, und so konnte ich
reich misst, kann man sie beobachten, machte ich dann in Chile an einem von ihm viele Informationen aus
und das auch erst seit wenigen Jahren, Radioteleskop von 15 Metern Durch- erster Hand bekommen Dies allein
Naturwissenschaften
junior RUBIN 2003

immer Material übrig bleibt, das sich

in einer Scheibe um den Stern herum
sammelt, und aus dem sich prinzipiell
Planeten bilden können, sind Stern-
haufen ideale Gebiete, die Häufigkeit
und die frühe Entwicklung von Pla-
netensystemen zu untersuchen. Um
solche Frühstadien von Planetensys-
temen, d.h. solche zirkumstellaren
Scheiben, nachzuweisen, misst man
die Helligkeit der Sterne bei verschie-

Aus Staubscheiben
werden Planeten

denen Wellenlängen vom Optischen

bis zum Infraroten Wellenbereich.
Aus den optischen Messungen lässt
sich die Temperatur des Sterns bestim-
men und damit auch vorhersagen, wie
Abb. 3: Das 37-Kanal-Bolometer-Array SIMBA zur Detektion von Strahlung bei 1,2 mm. groß seine Infrarothelligkeit sein
Die Hörner im Vordergrund bündeln die Strahlung und leiten sie auf den eigentlichen sollte; eine zirkumstellare Scheibe
Detektor, der im Inneren des Gehäuses sitzt. Das Kühlaggregat ist mit Alufolie umkleidet
sendet dagegen nur Infrarotlicht aus.
und kühlt den Detektor auf eine Temperatur von ca. -270 Grad Celsius ab.
Misst man nun den Stern im Infraro-

war schon Grund zur Freude genug;

dass Prof. Dr. Bo Reipurth darüber info
hinaus am Institute for Astronomy in
Honolulu arbeitet, machte die Sache
aber noch viel attraktiver. Während
meines Aufenthaltes dort hatte ich
u.a. die Gelegenheit, zum Mauna Kea
zu fahren, einem 4.200 Meter hohen
erloschenen Vulkan, auf dem sich das
höchstgelegene Observatorium der
Welt befindet (Abb. 5), und dort an
Beobachtungen teilzunehmen. Dane-
ben konnte ich den noch aktiven Vul-
kan Kilauea besuchen und weitere
Inseln des Hawaii-Archipels unsicher
machen.
Durch meine Beobachtungen konnten
wir ca. zehn neue Protosterne entde-
cken und ihre Massen und Tempera-
turen bestimmen. Damit erhielten wir
erstmals ein vollständiges Bild von drei
Sternentstehungsregionen (Abb. 6).
Die Ergebnisse sind so interessant,
dass wir sie zur Veröffentlichung in
einer internationalen Fachzeitschrift
eingereicht haben.
Die meisten Sterne unserer Galaxie Das Spektrum elektromagnetischer Wellen: Quellen bzw. Detektoren für die jeweiligen
entstehen in sog. Sternhaufen, d.h. Wellenlänge sind oberhalb, vergleichbar große Objekt unterhalb des Spektrums abge-
Ansammlungen von mehreren Hun- bildet. Der mit dem menschlichen Auge sichtbare Teil des Spektrums erstreckt sich über
dert bis mehreren Tausend Sternen. einen vergleichsweise kleinen Bereich vom Violetten bis zum Roten.

Da bei der Sternentstehung auch


junior RUBIN 2003
Abb. 4: Vier 8 m Teleskope bilden das "Very Large Telescope" auf dem Paranal, Chile
ten und übersteigt seine gemessene
Infrarot-Helligkeit die vorhergesagte,
so ist dies ein eindeutiges Zeichen für
die Existenz einer zirkumstellaren
Scheibe.
Ich konnte gleich zu Beginn meiner
Diplomarbeit nach La Silla fahren
und am Teleskop arbeiten. Die opti-
schen Messungen wurden am größten
dort befindlichen Teleskop mit einem
Spiegeldurchmesser von 3,6 Metern
gemacht, die Infrarot-Beobachtungen
an einem modernen 3,5-Meter-Teles-
kop. An beiden Teleskopen haben
Digital-Kameras die traditionelle
Fotoplatte abgelöst, so dass die Daten
über das Internet nach Hause ins
Abb. 5: Das höchstgelegene Observatorium der Welt auf dem 4.200 m hohen Vulkan
Mauna Kea, Hawaii,
Institut übertragen werden konnten.
Bei diesem ersten Chile-Aufenthalt
besuchte ich auch das institutseigene
84-cm-Teleskop des AIRUB im Nor-
den Chiles sowie das benachbarte
größte Observatorium Europas auf
dem Paranal. Dort stehen vier
8-Meter-Teleskope (Abb. 4), die zu-
sammengeschaltet das Auflösungs-
vermögen eines Teleskops von 250
Metern Durchmesser erreichen. Mit
ihnen sollen in den kommenden
Jahren außerhalb unseres Sonnensys-
tems Planeten direkt entdeckt werden.
Die Auswertung meiner Daten hat bis-
her ergeben, dass von den etwa 2.000
untersuchten Sternen des Haufens im
Naturwissenschaften
Abb. 6: Karte der Sternentstehungsregion
Circinus aufgenommen bei einer Wellen-
länge von 1,2 mm. Die verschiedenen Far-
ben symbolisieren die Stärke der Staub-
emission (schwarz = schwächste Emission;
rot = stärkste Emission). Als Grundsatz
gilt: Je stärker die Emission, desto mehr
Staub ist vorhanden.
Omeganebel (Abb. 1) etwa die Hälfte
von zirkumstellaren Scheiben aus
Staub umgeben ist, aus dem sich Pla-
neten bilden können. Diese vorläufi-
gen Ergebnisse wurden bereits auf
einer internationalen Tagung in Chile
präsentiert, an der ich auch teilneh-
men konnte. Dort konnte ich mit
Experten auf dem Gebiet der Stern-
entstehung diskutieren sowie deren
neueste Ergebnisse kennen lernen.
Der Tagungsbericht erscheint im
Frühjahr 2003 und stellt somit meine
erste wissenschaftliche Veröffentli-
chung dar.
Vera Hoffmeister und Katrin Kämpgen
forschen an der Fakultät für Physik, Astrono-
misches Institut, Lehrstuhl für Astrophysik,
Prof. Dr. Rolf Chini
Ingenieurwissenschaften
junior RUBIN 2003

Diesel-Einspritzung nach Maß

Neue Ansteuerelektronik für

umweltfreundliche Motoren
Stefanie Reichel Über ein brandaktuelles Thema der Kfz-Elektronik schrieb
Stefanie Reichel ihre Diplomarbeit:Die elektronische Ansteu-
erung von Piezoelementen in Kfz-Kraftstoff-Einspritzanlagen,
die Motoren sparsamer und umweltfreundlicher machen
kann. "Als ich dieses doch recht spezielle und umfangreiche
Thema bekommen hatte, war ich die erste Zeit damit
beschäftigt zu verstehen, worum es überhaupt geht", kann
sie heute schmunzeln, nachdem das Projekt gelungen ist.

Abb. 1: Bestücken der Platine im Testlabor
ie Anforderungen an zukünf-
brennungsmotoren; die Industrie ar-
beitet ständig daran, bereits vorhan-
dene Antriebssysteme zu verbessern.
Eine wesentliche Voraussetzung, um
Dieselmotoren sparsamer und saube-
rer zu machen ist die direkte Kraft-
stoffeinspritzung in den Brennraum.
Zurzeit gibt es dazu verschiedene Ver-
fahren. Zu den wichtigsten Merkma-
stellt noch ein großes Problem dar.
Was passiert unter der Motorhaube
überhaupt? – Bei einem modernen
sog. Common-Rail System befördert
eine kontinuierlich arbeitende Hoch-
druckpumpe den Dieselkraftstoff mit
bis zu 1500 bar in eine Speicherlei-
tung, den Common-Rail. Ausgehend
von diesem Reservoir laufen Kraft-

D tige Kraftfahrzeuge hinsicht-

lich der Abgas-Emissionen,
des Verbrauchs und des Geräusch-
komforts werden immer strenger.
Zusammen mit den steigenden Ben-
zinpreisen sind sie der Grund für die
stetige Weiterentwicklung der Ver-
Abb. 2: Das fertige Layout der Platine. Weiß sind die platzierten Bauteile, grün die
Leiterbahnen auf der Oberseite und rot die Leiterbahnen und -flächen auf der
Unterseite zu sehen. Gelb sind die Überschneidungen der Leiterbahnen auf Ober-
und Unterseite dargestellt.
len für die Leistungsfähigkeit moder-
ner Dieselmotoren zählt dabei nicht
allein die Höhe des Einspritzdrucks,
sondern vor allem auch dessen
bedarfsgerechte Dosierung je nach
Fahrsituation. Diese exakte Dosie-
rung unter allen Betriebsbedingungen
stoffleitungen zu den einzelnen Injek-
toren an jedem Zylinder, die den
Kraftstoff direkt in den Brennraum
einspritzen (s. Abb. 3). Dabei liegt auf
dem Common-Rail stets derselbe
volle Druck an, so dass der Einspritz-
verlauf – also wieviel Kraftstoff wann
in den Brennraum gelangt – über den
Zeitpunkt und die Dauer der Ein-
spritzung individuell für jeden einzel-
nen Zylinder gestaltet werden kann.
Man unterscheidet beim Einspritz-
verlauf zwischen Vor-, Haupt und
Nacheinspritzung. Vor allem durch
exakt und in kleinsten Mengen dosier-
bare Einspritzung kann man den Ver-
brauch, die Schadstoff- und die Ge-
räuschemission des Motors beein-
flussen.
In einem Direkteinspritzsystem hat
der Injektor bei der Zumessung des
Kraftstoffs die zentrale Bedeutung. Er
setzt die Steuersignale, die von der
Motorsteuerung kommen, in eine
Änderung des Öffnungsquerschnitts
und die Öffnungsdauer einer Düse
um. Der Hub der Düsennadel steuert

junior RUBIN 2003
Abb. 3: Funktionsprinzip eines Injektors mit Piezo-Antrieb
den Durchfluss und damit die einge-
spritzte Kraftstoffmenge. Für die
Betätigung der Düsennadel benötigt
man ein geeignetes Stellelement. Seit
neuestem werden wegen ihrer kurzen
Reaktionszeiten und ihrer hohen
Beschleunigungsraten piezo-elektri-
sche Aktuatoren (s. Info 1) eingesetzt.
Die Einspritzrate des Kraftstoffs
hängt also vom Nadelhub ab, und
dieser wiederum von der Ansteuer-
spannung am Piezoaktuator. Die ent-
scheidende Rolle spielt daher der
Spannungsverlauf am Piezoaktuator,
denn indem die Ansteuerung eine
unterschiedliche Dauer und Wieder-
holrate des Einspritzimpulses be-
wirkt, beeinflusst sie die Einspritz-
Abb. 4: Signalverläufe am Beispiel der Glockenkurve
Ingenieurwissenschaften
rate, die Einspritzdauer und die Ein-
spritzmenge – und somit letztendlich
auch die Schadstoffemission und
Geräuschentwicklung.
Die Ansteuerelektronik
bestimmt den Schadstoffausstoß
In meiner Diplomarbeit befasste ich
mich daher mit der Ansteuerelektro-
nik von piezoelektrischen Aktuato-
ren. Aufgabe war es, eine Kraftstoff-
einspritzung mit einem beliebigen
genau definierten Einspritzprofil zu
ermöglichen. Dabei geht es vor allem
darum, dass die elektronische Ansteu-
erschaltung eine variable Signalver-
läufe erzeugen kann, aber auch
darum, dass sie besonders effektiv
arbeitet, d.h. hohe Verlustleistungen
vermeidet.
Um so eine Schaltung zu entwerfen,
musste ich das Problem zunächst
genau analysieren. Zusammen mit
meinem Betreuer, Prof. Dr. Joachim
Melbert, entwickelte ich ein realisier-
bares Konzept: Aufbauend auf voran-
gegangenen Arbeiten wählten wir als
Ansteuersignal des Piezoaktuators die
Glockenkurve – wie sie früher auf
jedem 10-Mark-Schein abgebildet war.
Da die Benzineinspritzung dem Sig-
nalverlauf entspricht, ist es günstig,
eine solche Kurve zu wählen, da sie
einen besonders sanften Bewegungs-
ablauf ermöglicht (Abb. 4). Diesen
Entwurf galt es dann in die Praxis
umzusetzen:
Nach den ersten Vorüberlegungen
und einigen Berechnungen begann ich
mit Hilfe einer Computersimulation
einzelne Schaltungsteile zu simulie-
ren. Dabei werden alle elektronischen
Bauteile auf einer Seite platziert und
mit Hilfe von virtuellen Drähten ver-
bunden. Mit unterschiedlichen Simu-
lationen konnte ich mir alle auftre-
tenden Spannungen und Ströme an
jedem Punkt der Schaltung ansehen,
ohne dass sie real aufgebaut werden
musste. So lässt sich die Schaltung
ohne großen Zeit- und Kostenauf-
wand verändern. Ein kleiner Teil einer
Simulation für meine Diplomarbeit ist
in Abb. 5 dargestellt.
Nachdem alle elektronischen Signale
überprüft waren, erstellte ich mit Hilfe
eines Layoutprogramms eine Platine.
info1
Piezoaktuator
Ein Piezoaktuator ist ein aus einem
Kristallkörper bestehendes Bauele-
ment, bei dem durch eine äußere
mechanische Kraft (Zusammendrü-
cken oder Auseinanderziehen) eine
elektrische Spannung entsteht. Die-
sen sog. piezoelektrischen Effekt ent-
deckten die Brüder Curie 1880 bei eini-
gen Einkristallen. Nur wenig später
wurde auch der umgekehrte Effekt
beobachtet. Das Grundprinzip wird
bereits in der Automobiltechnik ver-
wendet
Ingenieurwissenschaften
junior RUBIN 2003

Dabei platzierte ich mit dem Pro-

gramm alle benötigten elektronischen
und mechanischen Bauteile in einem
vorgegebenen Bereich und verband sie
durch Leiterbahnen – ähnlich wie
Drähte, nur fest auf der Oberfläche
der Platine – miteinander. Das ist
komplizierter als es klingt, denn es ste-
hen nur die Ober- und die Unterseite
der Platine für Verbindungen zur Ver-
fügung. Alle Verbindungen sollten so
kurz wie möglich sein und das ist meis-
tens gar nicht so einfach. Das fertige
Layout der Platine meiner Diplomar-
beit zeigt Abb. 2.
Wenn das Layout fertig ist, wird es auf
eine echte Platine übertragen. Die Pla-
tinenoberfläche (Kupfer) wird dabei
geätzt, so dass nur die Leiterbahnen
stehen bleiben – dazu sind eine Reihe Abb. 5: In der Simulation sind die Bauteile und Verbindungen zu erkennen.
von Chemikalien und ein geeignetes
Labor nötig, ähnlich einem Fotoent- Bauteile fest mit der Platine verbun- man muss zuerst noch die Fehler
wicklungslabor. Der Prozess der Pla- den waren, konnte ich endlich die beseitigen.
ersten Tests mit der fertigen Schaltung Erst dann folgen weitere Tests mit der
Ätzen der Platine machen. Dabei werden alle benötigten funktionierenden Schaltung im realen
im Labor Spannungen an die Schaltung ange- Betrieb mit einem angeschlossenen
schlossen und die Signale, die durch Piezoaktuator. Das geht nur an einem
tinenherstellung ist sehr aufwendig die Schaltung fließen, mit einem dafür vorgesehenen Messplatz mit
und kompliziert, daher konnte ich nur Oszillographen, einem Messgerät, das hochgenauer Laseroptik. Damit war
dabei zusehen, wie meine Platine in elektrische Signale optisch darstellt, das Ziel meiner Diplomarbeit er-
fachkundiger Hand langsam ihre ei- beobachtet. Zunächst wird noch kein reicht: Ich hatte in der vorgesehenen
gentliche Form annahm. Piezoaktuator an die Schaltung ange- Zeit eine hochpräzise Ansteuerung
Die fertige Platine bestückte ich dann schlossen, denn meistens arbeitet sie für Piezoaktuatoren realisiert. Dies ist
mit den Bauteilen (Abb. 1). Als alle zu Beginn nicht ganz fehlerfrei und der Grundstein für die Weiterent-
wicklung optimierter Signal- und
info2 Einspritzverläufe. Damit konnte ich
mein Studium erfolgreich und mit
Für Profis: Die Schaltung einer sehr aufregenden Diplomarbeit
Die Zeichnung zeigt das Blockschaltbild das Spannungssignal USignal in den abschließen.
der entwickelten Elektronik: Der Span- Ansteuerstrom IPiezo für den Piezoaktua-
nungswandler erzeugt in Abhängigkeit tor um.Mit Hilfe der Spannungsregelung
von der Spannung USchalter aus der Ein- ergibt sich für jeden Betriebszustand
gangsspannung UE eine Ausgangsspan- eine angepasste Versorgungsspannung,
nung, sie zur Versorgung der Filterschal- die zu einer sehr effektiven Verarbeitung
tung dient. Die Filterschaltung wandelt führt.

Stefanie Reichel
forscht an der Fakultät für Elektrotechnik
und Informationstechnik, Lehrstuhl für
Elektronische Mess- und Schaltungstechnik,
Prof. Dr.-Ing. Joachim Melbert
Ingenieurwissenschaften
junior RUBIN 2003

Mit Hochdruck für die Umwelt

Altöl trickreich recyceln

Michael Alex Altöl wird in Zukunft nicht mehr als Sondermüll die Umwelt
verseuchen, sondern wieder als Rohstoff taugen. Dafür sorgt
ein neues Verfahren, das Michael Alex optimiert hat: Kom-
pakte Anlagen, die den Wertstoff wirtschaftlich und umwelt-
freundlich vom Schmutz trennen, werden die Altölaufberei-
tung weltweit revolutionieren.

A
llein Deutschland braucht
jährlich ca. 120 Mio. t Mine-
ralöl – ganz schön viel, aber
nur vier Prozent des weltweiten Ver-
brauchs. Ein Großteil davon wird als
Treibstoff oder Heizöl verbrannt, ca.
ein Prozent wird durch Zusatzstoffe
zu Schmierstoff aufbereitet. Obwohl
ein Teil davon z.B. durch Lecks an
Fahrzeugen verloren geht, sammeln
die Deutschen pro Jahr knapp
700.000 t Altöl – als Sondermüll.
Denn es enthält neben festen Parti-
keln, wie Metallspänen aus Motoren
und Ruß, auch Schwefel-, Chlor- und
Schwermetallverbindungen, die z. T.
im Verdacht stehen, krebserregend zu
sein. Eine kostengünstige und um-
weltschonende Recyclingmethode gibt
es für so große Mengen bisher nicht.
Altölrecycling wird zwar schon in
großtechnischen Anlagen betrieben,
aber sie verschlingen jede Menge
Energie und sind wenig umwelt-
freundlich: Das Altöl wird in großen
Behältern erhitzt, wobei die einzelnen
Komponenten bei unterschiedlichen
Temperaturen verdampfen, je nach
Größe der Kohlenwasserstoffe (kleine
zuerst). Bei steigenden Temperaturen
verdampfen weiterverwendbare Kom-
ponenten, Feststoffe wie Metallspäne
und hochmolekulare Verbindungen,

Abb. 1: Schematische Darstellung der Altölaufbereitung

 Ingenieurwissenschaften
junior RUBIN 2003

z.B. Asphaltene, bleiben zurück. Die

gewonnenen Komponenten sind aber
weiterhin belastet mit Schwefel-,
Chlor- und Schwermetallverbindun-
gen. Um die Konzentrationen zu sen-
ken, z.B. unter die gesetzlichen Grenz-
werte für Heizkesselbrennstoffe, oder
vollständig zu entfernen, etwa für
Schmierstoffe, ist eine energieauf-
wändige und umweltschädliche che-
mische Nachbehandlung nötig. Eine
andere Möglichkeit, das Altöl weiter
zu verwenden bieten Zementwerke.
Sie nutzen das Altöl als billigen Brenn-
stoff und nehmen ökologische Nach-
teile in Kauf. Die Verschmutzungen
bleiben entweder im Zement oder wer-
den über Abgase an die Umwelt abge-
geben.
Motiviert durch diese gewaltigen Ent-
sorgungsprobleme baute ein kleineres
mittelständisches Unternehmen aus
dem Ruhrgebiet eine Pilotanlage für
ein neues, ökonomisches und ökolo- Abb. 2: Auftrennung des Altöls in Wertprodukt und Verunreinigungen
gisches Verfahren. Es nutzt statt der
Verdampfung der Komponenten ihre

Lösen statt
Verdampfen

gute Löslichkeit in Lösungsmitteln.

Kaffee- und Teetrinker haben mit
einem ähnlichen Verfahren zu tun: Bei
der Zubereitung lösen sie mit dem
Lösungsmittel Wasser Geschmacks-
und Aromastoffe aus Teeblättern oder
Kaffeepulver. Um möglichst schnell
möglichst viel vom Pulver in das
Getränk zu überführen wird das Was-
ser erhitzt, moderne Espressomaschi-
nen optimieren diesen Effekt, indem
sie Druck aufbauen. Ganz ähnlich
kann auch Altöl aufbereitet werden:
Das vom Wasser befreite Altöl wird in
einen beheizbaren Behälter gefüllt.
Dazu kommt ein Lösungsmittel, in
dem sich die rückzugewinnenden
Ölkomponenten lösen, die Ver-
schmutzungen und festen Partikel
jedoch nicht (s. Abb. 1). Das Lösungs-
mittel ist nicht Wasser, sondern ein
Abb. 3: Das z.B. mit Schwefel- und Chlor verunreinigte Wertprodukt wird in einem Behäl-
Gas. Dieses Gemisch wird später wie-
ter in Gegenwart von Propan mit Wasserstoff behandelt. An einer speziellen Reaktions-
der voneinander getrennt. Das Lö- oberfläche trennen sich die Verunreinigungen vom Wertstoff und werden an Wasserstoff-
sungsmittel kann wiederverwendet moleküle gebunden. Das gereinigte Öl wird entnommen, die abgetrennten Verunreini-
werden, das Wertprodukt kann ver- gungen bleiben im Extraktionsmittel, das dann mit einer Laugenbehandlung regeneriert
brannt oder wieder Schmieröl werden. wird. Auch z.T. krebserregende Verbindungen werden hier unschädlich gemacht.
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junior RUBIN 2003

Abb. 4: Die Untersuchungsergebnisse des Lösungsmittelvergleichs dienen als Grundlage der Entscheidung für das geeignetste Mittel.

Das klingt einfach – damit sich jedoch
die Ölkomponenten möglichst gut im
Gas lösen, muss es sich in einem be-
stimmten Aggregatzustand befinden.
Bei höheren Drücken und Tempera-
turen nehmen Stoffe einen sog. über-
kritischen Aggregatzustand an, in
dem sie weder gasförmig noch flüssig
sind, überwiegend aber noch Eigen-
schaften des flüssigen Aggregatzu-
standes (z.B. hohe Dichte) aufweisen.
Gibt man das Gas in diesem Aggre-
gatzustand zum Öl, lösen sich die
wiederverwendbaren Komponenten
fast vollständig darin (Abb. 2).
Das Altöl und das Gas durchströmen
in der Anlage die Extraktionskolonne,
einen großen Behälter, der für hohe
Abfall nach oben
Wertstoff nach unten
Drücke und Temperaturen ausgelegt
ist, im Gegenstrom. D.h. das schwere
Altöl kommt von oben, das Extrak-
tionsmittel fein verteilt von unten.
Während das Raffinat, z.B. unlösliche
Komponenten und Partikel, die
Kolonne unten in Richtung Entsor-
gung verlässt, wird das mit den ge-
wünschten Komponenten beladene
Extrakt aus dem oberen Kolonnenbe-
reich einer Behandlung mit Wasser-
stoff zugeführt. Damit werden schwe-
fel- und chlorhaltige Verbindungen
abgetrennt, die sonst bei der Verbren-
nung z.B. zu stark umweltschädlichem
Schwefeldioxid würden (s. Abb. 3).
Sowohl das Raffinat (Abfall) als auch
das Extrakt (Wertprodukt) sind noch
mit Lösungsmittel vermischt. Um es
möglichst vollständig rückzugewin-

Abb. 5 a) In einem Abscheider wird das Extrakt in Wertprodukt und Extraktionsmittel getrennt
b) Ein anderer Abscheider trennt das Raffinat (Abfall) in Verunreinigungen und Extraktionsmittel
 Ingenieurwissenschaften
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nen, wandern beide Gemische in je
einen Abscheider (s. Abb. 5).
Doch die ersten Versuche an der Pilot-
anlage schlugen fehl: Das als goldgelb
erwartete Extrakt verließ die Anlage
tiefschwarz. Das Unternehmen beauf-
tragte unseren Lehrstuhl, ein opti-
miertes Verfahrenskonzept zu entwi-
ckeln – mein Einsatz: Ich begann mit
grundlegenden Untersuchungen der
Stoffgemische. Schließlich sollen alle
zukünftigen Anlagen basierend auf
meinen Messungen und Berechnun-
gen dimensioniert werden. Dazu ver-
wendete ich eine sog. Hochdruck-
sichtzelle (Abb. 6). Sie ist vergleichbar
mit einem dickwandigen Rohr, an des-
sen Stirnseiten transparente Gläser
eingesetzt sind. So kann man Rein-
stoffe oder Gemische unter verschie-
denen Temperaturen und Drücken
beobachten. Eine Hochdrucksicht-
zelle kann Drücken bis 800 bar stand-
halten, die z. B. in einer Meerestiefe
von 8000 m herrschen.
Ich beobachtete die Löslichkeit von
Ölkomponenten im Extraktionsmittel
und umgekehrt und verglich verschie-
Erster Versuch: Pechschwarz
statt goldgelb
dene Lösungsmittel um das geeignet-
ste zu ermitteln (s. Abb. 4). Beim
Stoffgemisch Altöl/Ethan erkennt
man das Altöl (dunkle, untere Phase)
und den helleren, mit Ethan gefüllten
Teil bei 1 bar. Bei 150 bar ist der Flüs-
sigkeitsspiegel gegenüber der Anfang-
seinstellung angestiegen: Das Altöl
hat sich im Gas gelöst. Erhöht man
den Druck auf 200 bar, so beweist die
Verfärbung der oberen Phase einen
Übergang der löslichen Komponen-
ten in das Gas. Diese gelösten Sub-
stanzen sind das gewünschte Wert-
produkt. Bei 233 bar ist kein Flüs-
sigkeitsspiegel mehr erkennbar, man
spricht von einem einphasigen Sys-
tem. Dieser Zustand darf bei der Alt-
ölaufbereitung nicht erreicht werden,
sonst sind Extrakt- und Raffinatphase
nicht mehr zu trennen. Bei Propan
funktioniert der Prozess bei geringe-
ren Drücken: Bei 52 bar ist die gegen-
seitige Einlösung deutlich erkennbar.
Da die Einphasigkeit bei 61 bar ein-

Abb. 6: Hochdrucksichtzelle zur Beobachtung der Löslichkeit des Gases im Altöl und der Altölkomponenten im Gas. In der Aufnahme der
Zelle erkennt man mittig den Rührer, der eine gute Vermischung verschiedener Stoffe in der Sichtzelle gewährleisten soll. Die Elektrokabel
im mittleren Bild speisen Heizpatronen, die die Sichtzelle temperieren.
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Abb. 7: Vergleich der Aufnahmekapazität an Wertstoff von Propan und Ethan bei 110°C: ölsammlung mit dem Transport zu
Die Kurve beschreibt die Einlösung von Ethan ins Altöl (links) und den Übergang von den wenigen zentralen Großraffine-
Ölkomponenten ins Lösungsmittel (rechts) in Abhängigkeit des Druckes. Bei 180 bar rien würden entfallen. Selbst Ent-
besteht z.B. die untere Phase aus 30 Gew.-% Ethan (70 Gew.-% Altöl), die obere Phase aus wicklungs- und Schwellenländer
86 Gew.-% Ethan und 14 Gew.-% Öl. Der Ölanteil ist das gewünschte Wertprodukt. Bei
könnten erstmals Altöl aufbereiten.
höherem Druck wird die gleiche Menge an Extraktionsmittel stärker beladen, das Verfah-
ren also wirtschaftlicher. Ab ca. 233 bar ist die Zusammensetzung beider Phasen gleich Ein neuer Dienstleistungssektor
und keine Extraktion mehr möglich. könnte entstehen: Mobile Aufberei-
tungsanlagen würden die Industrie-
tritt, muss die Extraktion unterhalb Extraktionsmittel zu bedenken. Es Standorte abfahren und vor Ort das
dieses Drucks erfolgen. stellte sich auch heraus, warum das Altöl aufbereiten.
Nach diesen qualitativen Untersu- Extrakt im Versuch des Unterneh- Die praxisbezogene und verantwor-
chungen habe ich die quantitative mens schwarz gewesen war: Durch tungsvolle Arbeit zeigt mir, dass ich
Zusammensetzung der beiden Phasen eine zu hohe Strömungsgeschwindig- den richtigen Entschluss in meiner
an Proben aus der Sichtzelle unter- keit des Gases im Behälter waren Studiums- bzw. Berufswahl gefasst
sucht. Es ging darum, den druck- und Öltröpfchen mitgerissen worden. habe.
temperaturabhängigen Übergang wie- Mittlerweile wird die Pilotanlage nach
derverwertbarer Ölkomponenten ins meinen Untersuchungen und Berech-
Gas zu ermitteln, um die günstigsten nungen umgebaut. Erfolgreiche Ver-
suche mit verschiedenen Altölen
Altölaufbereitung im bewiesen die flexible Anwendbarkeit
Lkw-Container des Verfahrens, und es gibt bereits
jetzt weltweit Nachfragen an das
Bedingungen festzulegen (s. Abb. 7). Unternehmen. Ermutigt durch diese
Nach meinen Untersuchungen erwies Ergebnisse arbeiten wir derzeit an wei-
sich Propan als das geeignete Lö- teren neuartigen Verfahren. Ziel ist
sungsmittel. Die Beladung mit wert- der Bau kleiner Anlagen – die sogar
vollen Komponenten gelingt nicht nur in Lkw-Containern Platz finden –, mit
bei geringerem Druck als bei Ethan, denen Industrieunternehmen auf dem
Propan ist auch billiger. eigenen Betriebsgelände Altöl aufbe- Michael Alex
forscht an der Fakultät für Maschinenbau,
Jetzt musste ich noch den Extrak- reiten können. So könnten sie nicht
Lehrstuhl für Verfahrenstechnische
tionsbehälter dimensionieren. Dabei nur den eigenen Sondermüll entsor- Transportprozesse,
waren z. B. Strömungsbedingungen, gen, sondern die Wärme auch zum Prof. Dr.-Ing. Eckhard Weidner, Lehrstuhl für
Sinkgeschwindigkeiten von Partikeln Heizen nutzen. Teure Entsorgungen Partikeltechnologie und Partikeldesign,
und die erforderliche Menge an und der logistische Aufwand der Alt- Juniorprofessor Dr. Marcus Petermann
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junior RUBIN 2003

Software liefert maßgeschneiderte Daten

Talsperrenüberwachung
mit dem Handy
Kay Smarsly Talsperren zählen zu den beeindruckendsten modernen
Ingo Mittrup
Bauwerken (s. Abb. 1). Doch die riesigen Mengen gestauten
Wassers sind auch eine potenzielle Gefahr: Die Sicherheits-
anforderungen an die Mauern und Dämme sind hoch. Kay
Smarsly und Ingo Mittrup entwickelten an der Fakultät für
Bauingenieurwesen eine Software, mit der die Mitarbeiter
des Ruhrverbands die Sicherheitslage an der Ennepetal-
sperre jederzeit über Internet oder Handy im Auge behalten
können.

S
taumauern und Staudämme
sind durch den großen Wasser-
druck, der auf sie wirkt, enor-
men Kräften ausgesetzt. Deshalb
muss ihre Sicherheit ständig über-
wacht werden. Ziel der Talsperren-
überwachung ist es, durch geeignete
Messverfahren und Kontrollen Indi-
zien für ein anomales Bauwerkverhal-
ten, wie z.B. ungewöhnlich große Ver-
formungen am Bauwerk, zu liefern
und das Sicherheitsniveau dauerhaft
zu erhalten. Die Absperrbauwerke
sind dazu mit einem umfangreichen
Mess- und Kontrollsystem ausgestat-
tet, das alle relevanten Daten für die
Beurteilung der Talsperrensicherheit
erfasst. Die Messeinrichtungen wer-
den zunehmend automatisiert, sodass
sich die Mitarbeiter darauf konzen-
trieren können, die gesammelten
Messdaten zu analysieren und zu
bewerten.
Am Lehrstuhl für Ingenieurinforma-
tik im Bauwesen haben wir in Zusam-
menarbeit mit dem Ruhrverband ein

Abb. 1: Die zwischen 1902 und 1904 erbau-

te Ennepetalsperre speichert 12,6 Mio. m3
Wasser, das ca. 170.000 Einwohner des
Ennepe-Ruhr-Kreises als Trinkwasser
nutzen. Das Absperrbauwerk ist eine
320 m lange und 51 m hohe Gewichtsstau-
mauer mit einem Mauervolumen von ca.
106.000 m3, das einem Druck von etwa
30 t pro qm standhält.
 Ingenieurwissenschaften
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loggern" –, die die Messdaten spei-

chern und sie anschließend auf einen
zentralen Steuerrechner in der Nähe
der Talsperre transferieren; die auto-
matische Überwachung endet zumeist
mit diesem Schritt. Alles weitere ist
Handarbeit: Ein Mitarbeiter vor Ort
leitet die Daten an die anderen betei-
ligten Mitarbeiter bzw. in weitere
Datenbanken, bevor sie schließlich
nach der Prüfung durch das Überwa-

Umständliche Überwachung
erleichtern

chungspersonal in eine zentrale Da-

Abb. 2: Die Ennepetalsperre im Querschnitt. Zu sehen ist der Drainage- und Kontrollstollen tenbank weitergeleitet werden. Jeder
sowie die Anordnung der Drucksensoren in der Staumauer. Die Drucksensoren sind in einzelne Mitarbeiter braucht für seine
Bohrungen installiert, die vom Drainage- und Kontrollstollen ausgehen. Aufgabe eine eigens aufbereitete Dar-
stellung der Messdaten in unter-
Software-System entwickelt, das die einer Talsperre ganzheitlich beurtei- schiedlichen Formaten, z.B. in Dia-
Erfassung, Aufbereitung, Visualisie- len. Ihre Arbeitsbasis sind die gesam- grammform (GIF-Bild, Excel-Dia-
rung und Analyse der Messdaten melten Messdaten, die mittlerweile gramm) oder als Tabelle (HTML,
erheblich vereinfacht und u.a. eine häufig automatisch erhoben werden. XML, Excel-Tabelle, etc.). Diese Auf-
Abfrage der gesammelten Messdaten Sie werden über Sensoren erfasst, die bereitung der Messdaten erfolgt
über das Internet oder ein Handy in einer bestimmten Anordnung im manuell mit üblicher Büro-Software.
ermöglicht. Absperrbauwerk installiert sind Dieses Verfahren ist bei vielen Tal-
Bei der Überwachung einer Talsperre (s. Abb. 2). Die Sensoren können je sperrenbetreibern (noch) das übliche
arbeiten viele Fachleute zusammen: nach Typ z.B. die Temperatur, Ver- – obwohl es insgesamt ziemlich um-
Talsperrenmeister, Talsperreningeni- schiebung, Wassermenge oder den ständlich ist.
eur, Geologe, Vermessungsingenieur Druck in der Staumauer messen. Unsere Software kann diese Arbeits-
und leitender Ingenieur können nur Gesteuert werden die Steuerung von abläufe wesentlich vereinfachen: Auf
gemeinsam den Sicherheitszustand elektronischen Geräten – sog. "Daten- dem zentralen Steuerrechner (Server)

Abb. 3: Über das Internet kann das

Überwachungspersonal per Web-Browser
(Client) von einem beliebigen Rechner aus
auf den zentralen Steuerrechner (Server)
zugreifen, um Messdatenanfragen zu stel-
len. Die abgefragten Daten werden dann
im gewünschten Format dargestellt, z. B.
als Excel-Tabelle.
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junior RUBIN 2003

Abb. 4: Nach der Anmeldung im System

kann der Mitarbeiter graphisch den für
ihn interessanten Querschnitt der Tal-
sperre auswählen (4a) – hier das Profil
E1 mit Drucksensoren. In einem weiteren
Menü kann er einzelne Sensoren ankli-
cken(4b), ein Format und die Zeitspanne
wählen, über die die Messdaten aufberei-
tet werden sollen. Sein Browser zeigt die
Anfrageergebnisse, hier z. B. als Bild (4c)
und als HTML-Seite (4d).
(4a) (4b)

an der Talsperre werden zunächst eine

Datenbank, in der die erhobenen
Messdaten gesammelt werden, und
die neue Software installiert, die auf
diese Datenbank zugreifen kann. Der
Steuerrechner ist mit dem Internet
verbunden, sodass das Überwa-
chungspersonal mit einem üblichen
Web-Browser (Client) wie dem Inter-

Einfach über
(4c) (4d)
Web-Browser einloggen

net Explorer von Microsoft oder dem

Navigator von Netscape auf die Soft-
ware zugreifen kann (Abb. 3). Die
Mitarbeiter können sich im System
anmelden und werden von der Soft-
ware identifiziert, so dass sie auch
gleich erkennt, welche Auswertungs-
formate der angemeldete Benutzer
gewöhnlich benötigt.
So wünscht z. B. der Talsperrenmeis-
ter der Ennepetalsperre, der jeden
Morgen ca. 2000 neue Messwerte aus
über 60 Sensoren beurteilen muss,
eine Aufbereitung der Daten in einer
Excel-Tabelle. Sobald er sich also im
System angemeldet und die Sensoren,
deren Messdaten er anzeigen lassen
möchte, sowie die gewünschte Zeit-
spanne (z.B. ein Tag) gewählt hat,
greift die Software auf die Messdaten
in der angeschlossenen Datenbank zu.
Sie verarbeitet die empfangenen
Daten und erzeugt daraus auf dem
Steuerrechner eine Excel-Tabelle, die
der Talsperrenmeister dann in seinem
Web-Browser ansehen und auf seinem
Rechner speichern oder ausdrucken
Abb. 5: Die Software besteht aus drei Modulen, die für die Verbindung mit einer oder
kann. Außerdem kann er Bilder, etwa
mehreren Datenbanken sorgen (Datenbankadapter), Berechnungen durchführen (Control- im GIF-Format mit einer graphischen
lerkomponente) und graphische Ausgaben realisieren (Visualisierungskomponente). Letz- Darstellung der Messdaten, generie-
tere erlaubt den Zugriff über Internet (5a) bzw. über Handy (5b). ren lassen oder weitere Ausgabefor-

junior RUBIN 2003
Abb. 6: Messdatenanfrage per Handy: Nach der Anmeldung per Benutzernamen und Passwort (a), wählt der Benutzer den Sensor, dessen
Messdaten er abfragen möchte (b) und den gewünschten Zeitraum, über den die Messdaten aufbereitet werden sollen (c). Er erhält die
Anfrageergebnisse sowohl in tabellarischer (d), als auch in graphischer Form (WBMP-Format) (e).
mate wie etwa HTML, XML oder
einen Bericht im ASCII-Format wäh-
len. Das System ermöglicht auch dif-
ferenziertere Messdatenanfragen: Es
können z.B. alle Messdaten mehrerer
Sensoren aufbereitet werden, die an
verschiedenen Tagen jeweils zur glei-
chen Zeit gemessen wurden. Oder es
lassen sich Informationen über die
vorhandenen Messeinrichtungen an-
fordern. (s. Abb. 4).
Alle Module
sind austauschbar
Die in der Programmiersprache Java
geschriebene Software besteht aus
drei verschiedenen, austauschbaren
Modulen (vgl. Abb. 5a): Das erste
Modul, der Datenbankadapter, sorgt
für die Verbindung mit der Daten-
bank. Soll eine andere als die hier ver-
wendete native XML-Datenbank
"Xindice" der Apache Software Foun-
dation oder mehrere Datenbanken an
das System angeschlossen werden,
muss lediglich der Datenbankadapter
ausgetauscht werden. Das zweite
Modul ist die Controllerkomponente.
Sie führt alle notwendigen Berech-
nungen durch, z.B. die Generierung
von Anfrageergebnissen (z.B. einer
Excel-Tabelle). Außerdem identifi-
ziert sie die Benutzer, die sich im Sys-
tem anmelden möchten, da jeder ver-
schiedene Zugriffsrechte besitzt. Ein
Administrator darf z. B. über das
Internet die Zugriffsrechte und die
Daten anderer Benutzer ändern, was
Ingenieurwissenschaften
einem "normalen" Benutzer nicht schen dem Internet und dem Funk-
gestattet ist. Das dritte und letzte netz: Anfragen eines Handys an den
Modul ist die Visualisierungskompo- zentralen Steuerrechner übersetzen
nente. Sie generiert abhängig vom sie zunächst und leiten sie dann erst
angemeldeten Benutzer automatisch weiter. Denselben Weg in umgekehr-
HTML-Seiten, über die er dann Mess- ter Richtung nehmen die Anfrageer-
daten abfragen kann. Außerdem zeigt gebnisse, die der Steuerrechner über
sie die von der Controllerkomponente das WAP-Gateway an das Handy
erstellten Diagramme und Tabellen in schickt. Abb. 6 zeigt die Messdaten-
verschiedenen Formaten in einem anfrage über eine Visualisierungskom-
Web-Browser an. ponente, die Handy-lesbare Seiten
Will der Talsperrenmeister oder ein generiert.
anderer Mitarbeiter den aktuellen
Zustand der Talsperre nun unterwegs
mit einem Handy abfragen, kann er
eine weitere, bereits entwickelte
Visualisierungskomponente nutzen.
Anstelle von Seiten, die mit einem
Web-Browser lesbar sind ("HTML-
Frontend"), generiert diese Kompo-
nente nun Seiten, die ein Handy dar-
stellen kann ("WML-Frontend", siehe
Abbildung 4b).
Dabei werden die Daten jedoch nicht
direkt vom zentralen Steuerrechner
an der Talsperre auf ein Handy gesen-
det, sondern über ein sog. "WAP-Gate-
way" geleitet, da der Steuerrechner
zwar mit dem Internet, jedoch nicht
mit einem Funknetz verbunden ist,
über das er ein Handy erreichen
könnte. Außerdem ist das Protokoll
(HTTP), das der Steuerrechner zum
Versenden von Daten verwendet,
nicht mit dem Protokoll kompatibel,
das Handys benutzen (WSP und
Ingo Mittrup und Kay Smarsly
WTP). WAP-Gateways, die z.B. forschen an der Fakultät für Bauingenieur-
Mobilfunkbetreiber zur Verfügung wesen, Lehrstuhl für Ingenieurinformatik im
stellen, dienen als "Vermittler" zwi- Bauwesen, Prof. Dr.-Ing. Dietrich Hartmann
 Ingenieurwissenschaften
junior RUBIN 2003

Formgedächtnislegierungen aus Nickel-Titan

Intelligente Werkstoffe erinnern sich

Jens Michutta Die Einsatzmöglichkeiten für Metallgemische, die sich durch
Erwärmung an ihre ursprüngliche Form erinnern können,
nachdem man sie verbogen hat, sind vielfältig.Was genau im
Inneren solcher Formgedächtnislegierungen passiert, wenn
sie sich erinnern, erforscht Jens Michutta.

W
erkstoffe mit Formgedächt-
niseffekt (FGE) können
sich nach einer Verformung
durch Energiezufuhr – z. B. Erwär-
mung – an ihre ursprüngliche Form
erinnern (Abb. 2). Der Effekt wurde
bereits 1932 an einer Gold-Cadmium-
Legierung (AuCd) entdeckt. 32 Jahre
später stellte man ihn auch bei Legie-
rungen aus Nickel-Titan (NiTi) fest,
die heute die bedeutendste aller Form-
gedächtnislegierungen sind, da sie so-
wohl große Effekte (Spannung, Deh-
nung) aufweisen, als auch einen sehr
oft wiederholbaren FGE zeigen. Ein
Einsatzgebiet für solche Legierungen
ist etwa die sog. Aktorik: Hier nutzen
die Ingenieure das Formänderungs-
vermögen des Werkstoffs z.B. dazu,
gezielt einen Kopplungs- oder Ent-
kopplungsmechanismus zu betätigen.
Dieses Verfahren wird etwa in der
Raumfahrt genutzt, um Solarpanels
von Satelliten, die auf dem Weg ins All
sicher verpackt sind, im Weltraum zu
entfalten.
Nach der Entdeckung von Formge-
dächtniseffekten dauerte es eine gan-
ze Weile, bis die Wissenschaft her-
ausfand, was innerhalb des Metalls
passiert, wenn es sich an seine Form
erinnert. Das Geheimnis ist eine sog.
martensitische Phasenumwandlung,
die bei Energiezufuhr im Material
stattfindet: Die chemische Zusam-
mensetzung des Materials ändert sich
zwar nicht, und alle Atome behalten
ihre nächsten Nachbaratome bei, sie
Abb. 1: Unter dem Mikroskop betrachtet Jens Michutta die innere Struktur des ändern aber trotzdem ihre Position.
Einkristalls, den ervorher präpariert hat. Um diesen Schritt nachvollziehen zu
Ingenieurwissenschaften
junior RUBIN 2003

Abb. 2: Verbogene Gegestände aus einer Formgedächtnislegierung erinnern sich bei Energiezufuhr an ihre ursprüngliche Form.

ich für meine Diplomarbeit an ersten

werkstofflichen Untersuchungen an
diesem Material. Der erste Schritt be-
steht immer darin, entsprechende Pro-
ben für die einzelnen Untersuchungs-
methoden herzustellen (Abb. 6). Für
die Präparation, d.h. um die Proben
zu schneiden, ihre Oberflächen zu
polieren oder sie mit starken Säuren

Zuschneiden, Polieren
und Ätzen der Proben

anzuätzen um einen Kontrast in der

Mikroskopie zu gewährleisten, muss
Abb.3: Geordnete Struktur der Hochtemperaturphase "Austenit" – eine Atomsorte liegt in man einige Zeit einplanen, bevor man
der Raummitte, die Andere auf den Würfelecken der "Elementarzelle" mit dem eigentlichen und wirklich
auch interessanteren Teil der Arbeit
können, muss man sich die innere In Zukunft wird sich eines unserer beginnen kann. Ist es dann einmal
Struktur von Formgedächtnislegie- Projekte verstärkt mit der Untersu- soweit, hat man viele Möglichkeiten,
rungen näher ansehen. Sowohl in der chung von Nickel-Titan Einkristallen das Werkstoffgefüge, das einen gro-
Hochtemperaturphase (Austenit) als (s. Info) beschäftigen. Zurzeit arbeite ßen Einfluss auf die funktionellen und
auch in der Tieftemperaturphase
(Martensit) weist das Material geord-
nete Gitterstrukturen auf: Jeder
Atomsorte sind feste Positionen in
einer Elementarzelle zugeordnet. Bei
einer Elementarzelle handelt es sich
um die kleinstmögliche Einheit, die
Anordnung der Atome im Kristallgit-
ter zu beschreiben. Bei der martensi-
tischen Phasenumwandlung verschiebt
sich diese Gitterstruktur (s. Abb. 3).
Dieser Prozess, der einer Scherung
des Gitters entspricht, ist schließlich
für das "Erinnerungsvermögen" des
Werkstoffs verantwortlich (Abb. 4 u. 5).
Damit solche Anwendungen auf
Dauer zuverlässig funktionieren,
muss man das Umwandlungsverhal-
ten dieser Legierungen, das unmittel-
bar mit ihrer Mikrostruktur zusam- Abb. 4: Orientierungsbeziehung zwischen Austenitgitter (volle Linien) und Martensitgitter
menhängt, kennen und beherrschen. (gestrichelte Linien) [1]
 Ingenieurwissenschaften
junior RUBIN 2003

Abb. 5 a) und b) Durch eine Scherung in Richtung der dargestellten Pfeile ändert sich die Anordnung der Atome im Kristallgitter;
bewirkt die “Erinnerung„ des Werkstoffs an seine ursprüngliche Form [1]

mechanischen Eigenschaften des in charakteristischer Weise abgelenkt der Phasenumwandlungstemperatu-

Materials hat, zu betrachten. Da
bislang noch keine Untersuchungen
an Einkristallen aus Nickel-Titan
Formgedächtnislegierungen vorlagen,
musste zunächst der Einfluss der Her-
stellung auf die Materialeigenschaften
herausgearbeitet werden. Dazu be-
diente ich mich z.B. der DSC-Mes-
sung (Differential-Scanning-Calori-
metry). Mit ihr konnte ich unter-
schiedliche Temperaturen, bei der
eine Phasenumwandlung einsetzen
kann, ermitteln. Dabei macht man
sich die Tatsache zu Nutze, dass eine
Phasenumwandlung auch immer mit
einem Temperaturhaltepunkt einher-
geht, der messtechnisch erfasst wer-
den kann. Dieses Prinzip ist aus der
werden, gibt Aufschluss über die Kri-
stallgitterstruktur (Abb. 7).
Für den Werkstoffforscher ist es von
Interesse herauszufinden, wovon
diese Umwandlungstemperaturen ab-
hängen. Gibt es Möglichkeiten, sie zu
beeinflussen? Es ist bekannt, dass die
Umwandlungstemperaturen direkt
von der chemischen Zusammenset-
zung der Legierung abhängt. Dem-
nach sinkt die Temperatur, bei der die
martensitische Phasenumwandlung
einsetzt, mit zunehmendem Nickelge-
halt. Dabei entspricht einer Ni-
Zunahme von 0,1 Prozent ein Abfall
ren um 20°C. Natürlich kann man die
Zusammensetzung einer Legierung
direkt bei ihrer Herstellung bestim-
men und so direkten Einfluss auf das
Linsenförmige Teilchen
beinflussen die Umwandlung
Umwandlungsverhalten des Materials
nehmen. Allerdings gibt es darüber
hinaus auch mikrostrukturelle Vor-
gänge, die eine Konzentrationsände-
rung bewirken können und so die Mar-
tensitstarttemperaturen verschieben.
In nickelreichen Legierungen können

Gemeinsamkeiten zwischen
Eis und Einkristall

Natur gut bekannt: Ein Block Eis über-

schreitet eine Temperatur von Null
Grad Celsius nicht, bis nicht auch der
letzte Rest der Masse zu Wasser
geworden ist. Bei unseren Formge-
dächtnislegierungen aus Nickel-Titan
gibt es verschiedene Faktoren, die die
Umwandlungstemperaturen beein-
flussen, so dass diese Temperaturen
stark variieren. Ein großer Teil unse-
res Projektes beschäftigt mit der
Ergründung dieser Mechanismen.
Andere wichtige Methoden in der
Grundlagenforschung sind z.B. die
Lichtmikroskopie, die Rasterelektro-
nenmikroskopie oder die Transmis-
sionselektronenmikroskopie, bei der
die Probe durchleuchtet wird (Abb. 1).
Auch ein Beugungsverfahren, bei der
die Probe mit Röntgenstrahlen be-
strahlt wird, die je nach Gitterstruktur Abb. 6: Der Einkristall wird zuerst einmal zerlegt, um Proben herzustellen.
Ingenieurwissenschaften
junior RUBIN 2003

sich durch Wärmebehandlung z.B.

linsenförmige Teilchen vom Typ
Ni4Ti3 (Abb. 8) bilden. Diese sog. Aus-
scheidungen sind reich an Nickel
(4 Nickel-atome, 3 Titanatome) und
senken somit in anderen Bereichen
des Werkstoffs den Nickelgehalt ab,
was zu einem Anstieg der Phasen-
übergangstemperaturen führt. Das
macht es u. a. möglich, geschickt Ein-
fluss auf das Umwandlungsverhalten
unserer Nickel-Titan Legierungen zu
nehmen.
Solche Beispiele zeigen, wie wichtig
die Grundlagenforschung im Bereich
der Formgedächtnislegierungen ist:
Nur durch die Kenntnis dieser mikro-
strukturellen Vorgänge kann man die
Werkstoffe in der Praxis sicher hand-
Abb. 7: Im Beugungsverfahren nutzen die Abb.8: Bei Wärmebehandlung können
haben. Im Rahmen des Sonderfor-
Forscher die Tatsache, dass Röntgenstrah- sich linsenförmige Einschlüsse bilden, in
schungsbereiches 459 der Ruhr-Uni- len durch die Gitterstruktur in charakte- denen der Nickelgehalt höher ist als in
versität in wird in diesem Bereich seit ristischer Weise abgelenkt werden. Das der Umgebung.
einiger Zeit mit großem Erfolg Lichtmuster erlaubt Rückschlüsse auf
geforscht. diese Struktur.

info
Einkristalle
Geschmolzene Metalle erstarren bei
Abkühlung kristallin, d.h. die Anordnung
der Atome verläuft streng geordnet: Sie
bilden ein Raumgitter,das sich periodisch
bis an die Kristalloberfläche fortsetzt.
Um einen Kristall zu beschreiben, geht
man von einer sog. Elementarzelle aus,
der kleinsten Einheit zur Beschreibung
des regelmäßigen Verlaufs der Atome.
Durch die periodische Wiederholung von
Elementarzellen in einem Raumgitter mit
bestimmten Koordinaten kann der Kristall
konstruiert werden. Im zweidimensiona-
len entspricht dies einem Tapetenmuster,
das sich regelmäßig wiederholt. Es gibt
also eine logische Beziehung, die lautet:
Elementarzelle + Raumgitter = Kristall-
struktur.
Im gewöhnlichen Herstellungsprozess
entstehen während der Erstarrung des
flüssigen Materials ganz zufällig sehr
viele Bereiche unterschiedlicher Kristall-
orientierung.Diese sog.Körner sind meist
nicht viel größer als einige tausendstel
Millimeter. Solche Materialien nennt man
Viel- oder auch Polykristalle. Mit Hilfe
neuartiger Herstellungsmethoden ge-
lingt es nun auch, Legierungen herzu-
stellen, die tatsächlich aus nur einem ein-
zigen Korn bestehen,d.h.nur eine einzige
Kristallorientierung aufweisen, und die
man daher Einkristall nennt.
Dieses Herstellungsverfahren beherrscht
für Nickel-Titan Formgedächtnislegie-
rungen Prof.Yurij Chumlyakov aus Tomsk.
Dank seiner Hilfe haben wir als Werk-
stoffforscher an der Ruhr-Universität in
Bochum die Möglichkeit, einen Schwer-
punkt auf einkristalline Formgedächisle-
gierungen aus Nickel-Titan zu legen.
Der von Prof. Chumliakov hergestellte
Einkristall: seine charakteristische Form
erhält er aus der Form des Tiegels, der
während der Herstellung mit einer vor-
gegebenen Geschwindigkeit aus dem
Ofen herausgezogen wird, was zu einem
kontrollierten Erstarrungsprozess führt.
Dank
Mein besonderer Dank gilt Herrn
Prof. Dr.-Ing. Gunther Eggeler, der mir
die Möglichkeit gegeben hat, sowohl
meine studienbegleitende, als auch
meine Diplomarbeit an seinem Lehr-
stuhl durchzuführen.
Jens Michutta
forscht an der Fakultät für Maschinenbau,
Lehrstuhl für Werkstoffwissenschaft,
Prof. Dr.-Ing. Gunther Eggeler
Literatur
[1] Kazuhiro Otsuka, Xiaobing Ren , "Recent
Developments in the research of shape
memory alloys” , Intermetallics 7 , S. 514, 1998
[2] M. Mertmann, "NiTi-Formgedächtnislegie-
rungen in der Greifertechnik Funktionelle
Eigenschaften und Optimierung",
Dissertation, VDI-Verlag 1997
Impressum
junior RUBIN 2003

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Herausgeber Bildnachweis Layout und Satz
Rektorat der Ruhr-Universität Bochum in Titelbildmontage: gruppeDREI, S. 6, Abb. 1: gruppeDREI, gerd helfferich
Verbindung mit der Pressestelle der Ruhr- Schneider, Wolfgang: Alltag unter Hitler.
Universität Bochum Rowohlt, Berlin 2000, S. 103; S. 11 und 12, Druck
Abb. 2 und 3: Stadt Bochum; S. 13: Oliver Repa Druck GmbH
Wissenschaftlicher Beirat Weiss Design, S. 20, Abb. 1: Hendrik Brixius; 66131 Saarbrücken
Altrektor Prof. Dr. Manfred Bormann S. 23, Abb. 5: Universitätsklinikum der RUB
(Fakultät für Physik) Berufsgenossenschaftl. Kliniken Berg- Auflage
Prof. Dr. Dr. E. h. Wilfried B. Krätzig (Fakultät mannsheil, Abb. 6: Integra Lifesciences, 6000
für Bauingenieurwesen) Plainsborough, NJ; S. 25, Abb. 2: Schrimpf:
Prof. Dr. Konrad D. Morgenroth Gentechnische Methoden, Spektrum-Ver- Anzeigenverwaltung
(Medizinische Fakultät) lag; S. 28, Abb. 1: allrounder winter world; Anzeigenagentur ALPHA
Prof. Dr. Friedrich E. Schnapp S. 36, Abb. 1: Neil A. Campbell: BIOLOGY, 68623 Lampertheim
(Juristische Fakultät) 3rd ed., p. 305, Reprinted by permission of Tel. 06206/939-220
Prof. Dr. Hanna Vollrath Pearson Education, Inc.; S. 40, Abb. 2: Stadt Fax: 06206/939-221
(Fakultät für Geschichtswissenschaft) Bochum; S. 44, Abb. 3: European Southern
Prof. Dr. Onur Güntürkün Observatory ESO, Info: Deutsches Elektro- Bezug der Zeitschrift
(Fakultät für Psychologie) nen-Synchrotron DESY, Hamburg; S. 45, junior RUBIN ist eine Sondeausgabe des
Abb. 4: http://kingsu.ab.ca/~brian/astro/ Wissenschaftsmagazins RUBIN und zum
Redaktion RUBIN course/lectures/fall/a200l10c.htm, Abb. 5: Einzelpreis von 2,50 EURO in der Presse-
Pressestelle der Ruhr-Universität Bochum, European Southern Observatory ESO; S. stelle der Ruhr-Universität Bochum
Dr. Barbara Kruse 46, Abb. 1: Stephan Böckhorst; S. 56 und erhältlich. Das Wissenschaftsmagazin
57, Abb. 1 und 2: Ruhrverband RUBIN erscheint zweimal im Jahr, ein Teil
Verantwortl. Redakteurin der Auflage als Beilage der Universitäts-
junior RUBIN (Sonderausgabe) Anschrift zeitschrift RUBENS.
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