Entdecken Sie eBooks
Kategorien
Entdecken Sie Hörbücher
Kategorien
Entdecken Sie Zeitschriften
Kategorien
Entdecken Sie Dokumente
Kategorien
INHALT
Christoph Müller-Hofstede
Die Geschichte der chinesisch-westlichen Beziehungen:
ein Überblick 172
Xuewu Gu
Chinas Aufstieg als Global Player 180
Markus Taube
Grundlagen, Triebkräfte und Perspektiven
HEFT 3/4–2008 des wirtschaftlichen Aufstiegs 186
58. JAHRGANG
ISSN 0007– 3121 Heinrich Kreft
Die soziale Kehrseite des chinesischen Aufstiegs 195
Thomas Heberer
„Der Bürger im Staat” wird von der Landeszentrale
für politische Bildung Baden-Württemberg herausge- Nationalitätenprobleme in China und die Tibet-Frage 203
geben.
Eva Sternfeld
DIREKTOR DER LANDESZENTRALE Schöne neue Welt im Grauschleier.
Lothar Frick Chinas ökologische Situation und Umweltpolitik 210
REDAKTION Bettina Gransow
Siegfried Frech, siegfried.frech@lpb.bwl.de
Zu viel, zu alt, zu männlich?
REDAKTIONSASSISTENZ Demographie und Bevölkerungspolitik 217
Barbara Bollinger, barbara.bollinger@lpb.bwl.de
Robert Heuser
ANSCHRIFT DER REDAKTION Chinesische Rechtskultur im Wandel
Stafflenbergstraße 38, 70184 Stuttgart
sozioökonomischer Bedürfnisse 223
Telefon 0711/164099-44, Fax 0711/164099-77
Gunter Schubert
HERSTELLUNG
Schwabenverlag Media der Schwabenverlag AG China und die Menschenrechte 230
Senefelderstraße 12, 73760 Ostfildern-Ruit
Telefon 0711/4406-0, Fax 0711/442349
Bettina Gransow
Das Petitionswesen in China –
GESTALTUNG TITEL ein Instrument sozialer Gerechtigkeit? 236
Bertron.Schwarz.Frey, Gruppe für Gestaltung, Ulm
Günter Schucher
GESTALTUNG INNENTEIL
Böses Erwachen? Chinas Traum von der sozialen Harmonie 243
Britta Kömen, Schwabenverlag Media
der Schwabenverlag AG
Werner Spaeth
VERTRIEB China – ein marginales Thema im Unterricht? 251
Verlagsgesellschaft W.E. Weinmann mbH
Postfach 1207, 70773 Filderstadt
China im Überblick 257
Telefon 0711/7001530, Fax 0711/70015310
Buchbesprechungen 259
Der Bürger im Staat erscheint vierteljährlich.
Preis der Einzelnummer 3,33 EUR.
Jahresabonnement 12,80 EUR Abbuchung.
169
Die Volksrepublik China
Chinas Aufstieg ist wohl das überra- Der Beitrag schließt mit der Skizzierung ter Vielvölkerstaat. Die Mehrheitsbe-
gende Ereignis des 21. Jahrhunderts, der chinesischen Interessenpolitik süd- völkerung (Han) hat nur ein geringes
das bereits als „asiatisches Jahrhun- lich der Sahara und zeigt, dass China Verständnis für die ethnischen Minder-
dert“ apostrophiert wird. Die von Deng eine ernstzunehmende Führungsrolle heiten; die Kontrolle durch Peking ist
Xiaoping im Jahre 1978 eingeleitete in der internationalen Staatengemein- teilweise sehr rigide. Die historische
und bis heute konsequent verfolgte Re- schaft beansprucht. Dimension der Nationalitätenkonflikte
form- und Öffnungspolitik hat zu einem Die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte offenbart die Wurzeln des patriarcha-
außergewöhnlichen Wirtschaftswachs- Chinas ist beispiellos. Noch vor einigen lischen Staatsverständnisses, welches
tum geführt, so dass sich die Gewichte Jahren wurden die chinesischen Staats- Traditionen der feudalen Vergangen-
in der Weltwirtschaft merklich verscho- unternehmen als reformunfähig und ma- heit fortschreibt. Am Beispiel der un-
ben haben. Der rasante Aufstieg des rode belächelt, heute beliefert Chinas gelösten Tibet-Frage zeigt Thomas He-
„Reichs der Mitte“ verändert die glo- Exportwirtschaft die gesamte Welt mit berer, dass China von einem anderen
bale Wirtschaft, Politik und Kultur. Die ihren Produkten. China hat den Wan- Nationen- und Staatsbegriff ausgeht
Konsequenz des ökonomischen Erfolgs del vom Billiglohnland zum Hightech- als die westlichen Länder. Obwohl die
ist ein „neues“ China, das sich selbst- Standort vollzogen und überrascht als bei den Tibetern existierende Einheit
bewusst und souverän als Akteur der drittgrößte Volkswirtschaft der Erde mit von nationaler und religiöser Identi-
Weltpolitik positioniert. zweistelligen Wachstumsraten. Woher tät den chinesischen Einfluss in Tibet
Ein wichtiger Schlüssel zum Verständ- kommt dieser Erfolg? Markus Taube er- eng begrenzt, befindet sich Peking
nis Chinas ist die Geschichte der chi- örtert, ausgehend vom Scheitern des in einer Position der Stärke. Zudem
nesisch-westlichen Beziehungen. Über maoistischen Entwicklungsmodells über wird Tibet von der internationalen
2.000 Jahre war China sowohl das die Reformära unter Deng Xiaoping Staatengemeinschaft einhellig als Teil
bevölkerungsreichste Land und die bis hin zum Wandel von der Plan- in Chinas betrachtet. Die Kritik des Wes-
größte Volkswirtschaft der Welt wie die so genannte Sozialistische Markt- tens wird sich daher lediglich auf die
auch eine technologisch und administ- wirtschaft, die spezifischen Rahmen- Einhaltung der Menschenrechte und
rativ fortgeschrittene Zivilisation. Weil bedingungen, Entwicklungsimpulse und die Wahrung der kulturellen Autono-
sie an Absatzmärkten interessiert wa- Triebkräfte des chinesischen Wachs- mie beziehen.
ren, forcierten westliche Imperialmäch- tums, diskutiert die Einbindung Chinas Das atemberaubende Wirtschafts-
te die gewaltsame Öffnung des Lan- in die internationale Arbeitsteilung wachstum Chinas hat seine Schatten-
des. Für China stellt diese Zeit der wirt- und beschreibt den Wandel von der seiten. Die Umweltkrise ist allgegen-
schaftlichen Ausbeutung und politisch- „passiven“ Einbindung als „Werkbank wärtig. China sieht sich aufgrund seiner
militärischen Niederlagen bis heute der Welt“ hin zu einem eigenständi- naturräumlichen Gegebenheiten mit
ein im kollektiven Gedächtnis veran- geren Wachstums- und Entwicklungs- „traditionellen“ Umweltproblemen wie
kertes Trauma dar. Das koloniale Ge- pfad. Dürren, Überschwemmungen, Verlust
baren des Westens trug jedoch ent- Die ökonomische Entwicklung Chinas von Biomasse, Erosion und Ausbreitung
scheidend zur Reform des Staats- und ist zweifelsohne dem Aufbau einer der Wüsten konfrontiert. Durch die im-
Gesellschaftsgefüges, zur Entstehung „Gesellschaft mit bescheidenem Wohl- mense Industrialisierung und Intensivie-
eines modernen chinesischen Natio- stand“ näher gekommen. Allerdings hat rung der Landwirtschaft kommen „mo-
nalismus und zur Herausbildung po- sich das Ziel, eine egalitäre Gesell- derne“ Umweltbelastungen hinzu: Luft-
litischer Eliten bei, die das politische schaft schaffen zu wollen, ins Gegenteil und Gewässerverschmutzung, Schad-
Geschick des Landes im 20. Jahrhun- verkehrt. Die rapide Modernisierung stoffbelastungen in Agrarerzeugnissen
dert prägten. Christoph Müller-Hofste- hat zu sozialen Widersprüchen und und ansteigende Treibhausgasemissi-
de analysiert das chinesisch-westliche gesellschaftlichen Ungleichgewichten onen. Unter volkswirtschaftlichen Ge-
Verhältnis sowie dessen wechselvolle geführt. Die Ungleichverteilung der sichtspunkten verursacht die Umwelt-
Geschichte und schildert Chinas von Einkommen verstärkt die Disparitäten zerstörung erhebliche ökonomische
Spannungen, Widersprüchen, Rück- zwischen Stadt und Land. Landflucht, Schäden. Eva Sternfeld erörtert die
schlagen und Konflikten gekennzeich- Millionen von Wanderarbeitern, ho- verschiedenen Dimensionen der chine-
neten, aber überaus erfolgreichen he Arbeitslosigkeit sowie mangelnder sischen Umweltsituation und analysiert
Weg in die Gegenwart. Arbeits-, Unfall- und Versicherungs- die Wirkung der umweltpolitischen
Die Einsicht, dass China nur auf dem schutz sind Verwerfungen dieser öko- Maßnahmen und Anstrengungen auf
Wege der Kooperation mit den führen- nomischen Dynamik. Hinzu kommen die dem Gebiet des Umweltrechts.
den Industriestaaten seine Modernisie- Auswirkungen des demographischen Chinas rigide Bevölkerungspolitik hat
rung fortsetzen und damit internationa- Wandels, der auch die bescheidene gravierende demographische Folgen.
len Einfluss gewinnen kann, ist Konsens Altersversorgung kollabieren lässt. Die Das staatliche Programm der Gebur-
unter den Regierungseliten im chinesi- politische Führung Chinas muss – so tenplanung, als so genannte Ein-Kind-
schen Politbüro. Außenpolitische Sta- das Fazit von Heinrich Kreft – geeigne- Politik bekannt, war stets umstritten und
bilität und internationale Zusammen- te soziale Maßnahmen und Aufstiegs- führte zu Unmut und Abwehrstrategien
arbeit sollen die Kontinuität des Wirt- chancen für die Verlierer des Moder- auf Seiten der betroffenen Familien.
schaftswachstums sowie die ökonomi- nisierungsprozesses schaffen, wenn sie Trotz der inzwischen erreichten Ver-
sche Leistungsfähigkeit garantieren. der wachsenden Erosion ihrer Legitimi- langsamung des Bevölkerungswachs-
Xuewu Gu zeigt in seinem Beitrag am tät begegnen will. tums hat die chinesische Bevölkerungs-
Beispiel der Olympischen Spiele, dass Die jüngsten Unruhen in tibetischen politik eine Reihe von nicht intendier-
sukzessive politische Veränderungen Siedlungsgebieten sind nur ein Indika- ten Nebenwirkungen ausgelöst. So ist
in dem autoritär regierten Land auf- tor für zunehmende Konflikte zwischen Chinas überalterte Bevölkerung eine
grund der Übernahme internationaler den Nationalitäten in China. Die Volks- Herausforderung für die im Aufbau be-
Verantwortung durchaus möglich sind. republik ist ein nur scheinbar toleran- griffenen sozialen Sicherungssysteme.
170
Schwer wiegt auch die unausgewoge- Trotz einer schrittweisen Verbesserung Beispiele verdeutlichen die vielfältigen
ne Geschlechterverteilung bei der Ge- der Menschenrechtslage, die von inter- Ursachen der Proteste, von denen inzwi-
burt, die eine deutliche Präferenz für nationalen Menschenrechtsorganisa- schen kein Landesteil mehr verschont
die Geburt von Jungen und die gesell- tionen durchaus konstatiert wird, zeigt bleibt. Umwelt- und Landprobleme, so-
schaftliche Geringschätzung des weib- die aktuelle Bestandsaufnahme von ziale und arbeitsrechtliche Ungerech-
lichen Geschlechts offenbart. Hinter Gunter Schubert, dass die zivilen und tigkeiten, Machtmissbrauch sowie die
der Ungleichverteilung von Geburten- politischen Rechte nur unzureichend Korruption politischer Eliten führen zu
und Sterberaten bei Jungen und Mäd- verwirklicht sind. Mithin stellt sich die Protesten, die letztlich den Herrschafts-
chen verbirgt sich eine soziale „Logik“, Frage der Positionierung des Westens. anspruch der Kommunistischen Partei
die Frauen diskriminiert und der zufol- Wirksame Strategien sind eine stete in Frage stellen. Die chinesische „Dop-
ge nur wenig in weibliches Humanka- Gratwanderung zwischen „stiller“ Dip- pelstrategie“ der Regierung und Partei
pital investiert wird – so das Fazit von lomatie bzw. bilateralen Dialogen und setzt in den letzten Jahren zum einen
Bettina Gransow. einer Thematisierung der weltweiten auf sozialen Ausgleich, auf die „nach-
Während der ersten drei Dekaden der Menschenrechtsverletzungen in inter- holende“ Entwicklung ländlicher Räu-
Volksrepublik China stand das Recht im nationalen Foren. me und die Etablierung verbesserter
Dienste der klassenkämpferisch ausge- Das Instrument der Petition gab es Sozialgesetze und Rechtswege, scheut
richteten Parteipolitik. Im Gefolge der schon im kaiserlichen China. Es trug zur aber andererseits auch vor „harten“
zunächst zögerlich eingeleiteten Re- Lösung von Konflikten auf lokaler Ebe- Maßnahmen und Überwachungsstra-
formpolitik Ende der 1970er Jahre, die ne bei, vermittelte dem Kaiser zugleich tegien nicht zurück.
als Wirtschaftsreform begann, sich Informationen über lokale Verhältnisse China gewinnt immer mehr an Bedeu-
sodann zur gesellschaftlichen und po- und die dortige Beamtenschaft. 1949 tung, Wissen und Kenntnisse über das
litischen Reform entwickelte, war die besann sich die Regierung der Volks- Land nehmen aber nicht in gleichem
Wandlung der Rechtskultur und Ent- republik China erneut auf dieses alte Maße zu. Vielmehr ist unser Bild von
wicklung des Rechtssystems eine Not- Instrument, welches eine Ventilfunktion China rudimentär und allzu häufig von
wendigkeit. Ein Strafgesetz und ein einnehmen, das Ansehen der Kommu- Ängsten geprägt. Der rasante Wandel
Strafprozessgesetz garantieren – trotz nistischen Partei verbessern und ana- des Landes und seine wirtschaftliche
aller Mängel aus westlicher Sicht – ein log zur historischen Funktion im alten Verflochtenheit mit Europa – nicht zu-
Mindestmaß an Sicherheit der Bürger China Informationen über regionale letzt auch mit dem exportorientierten
und schaffen somit die Grundvoraus- Verhältnisse und lokale Kader bereit- Land Baden-Württemberg – legen im
setzung für gesellschaftliche Stabilität. stellen sollte. Seit den 1990er Jahren Grunde eine intensive unterrichtliche
Die wirtschaftliche Erfolgsgeschich- erlebt das Petitionswesen einen Auf- Beschäftigung mit China nahe. Wenn
te Chinas wäre undenkbar ohne Ver- schwung. Untersuchungen zur Lage man nun die Bildungs- und Lehrpläne
änderungen im Wirtschaftsrecht bzw. des Petitionswesens zeigen einen Ver- genauer in den Blick nimmt, so stellt
ohne eine Wirtschaftsordnung, die seit trauensschwund in die unteren Ebenen man fest, dass zwar hehre Ziele formu-
geraumer Zeit privatwirtschaftliche In- von Partei und Regierung und belegen, liert werden, die realen Gegebenhei-
itiativen und Rechtsformen zulässt und dass die an Petitionen gebundenen Er- ten jedoch einiges zu wünschen übrig
Systeme der sozialen Sicherung etab- wartungen, soziale Gerechtigkeit zu er- lassen. Der curriculare Stellenwert des
liert. Verbesserungen im Rechtsschutz fahren, aufgrund jahrelanger und kom- Themas und das zur Verfügungen ste-
und die Kontrolle administrativer Macht plexer Interaktionen zwischen Staat, hende Zeitkontingent lassen eine diffe-
sind weitere Indikatoren, die – so Robert Bürgerinnen und Bürgern oft erheblich renzierte Auseinandersetzung mit dem
Heuser – den Wandel der Rechtskultur gedämpft werden. Bettina Gransow „Reich der Mitte“ oftmals nicht zu. Chi-
anzeigen. Gleichwohl kennt die chine- zeigt am Beispiel einer bäuerlichen na ist ein eher randständiges Thema
sische Verfassung keine Gewaltentei- Petitionsbewegung aus dem Gebiet im Unterricht. Mehr noch: Schulbücher
lung. Insofern ist der Terminus „sozia- des Drei-Schluchten-Staudamms, wel- und audio-visuelle Unterrichtsmedien
listischer Rechtsstaat“ eine Chiffre für che Eigendynamik eine solche, über lassen eine ausgewogene Betrachtung
den Übergang und kennzeichnet den viele Jahre andauernde Bewegung in der wichtigsten Inhalte vermissen. Und
Suchprozess, historische Ordnungsvor- der Praxis entfalten kann. Größere und auch im Rahmen der Lehrerfortbildung
stellungen und chinesisches Kulturerbe im Hinblick auf ihre Zahl wachsende, – so ein Fazit von Werner Spaeth – liegt
mit der Idee des Rechtsstaats europäi- durch qualifizierte Anführer organisier- vieles im Argen. Ziel und Aufgabe von
scher Prägung in Einklang zu bringen. te Petitionsbewegungen lassen auf das Schule und Unterricht müsste es viel-
Bei aller berechtigten westlichen Kri- Entstehen zivilgesellschaftlicher Struk- mehr sein, eine differenzierte Darstel-
tik an der Menschenrechtssituation in turen auch in China schließen. lung und unterrichtliche Behandlung
China wird allzu oft übersehen, dass Konfuzius, der einst als reaktionär diffa- anzustreben, um so der Bedeutung des
China die Grundidee der Menschen- mierte Philosoph, erlebt ein Comeback. Landes gerecht zu werden.
rechte nachdrücklich befürwortet, je- Das von Staats- und Parteichef Hu Jin- Die Autorinnen und Autoren wollen mit
doch eine eigene Position entwickelt tao propagierte Konzept einer „Har- ihren Beiträgen detaillierte Informatio-
hat. Chinesische Politiker unterstreichen monischen Gesellschaft“ lehnt sich an nen und Fakten vermitteln, die für das
angesichts westlicher Rhetorik immer die Lehre von Konfuzius an. Diese neue Verständnis des komplexen Themas
wieder, dass es in einem „Sozialismus alte Zauberformel ist eine Reaktion auf wichtig sind. Allen Autorinnen und Au-
mit chinesischen Besonderheiten“ ein die sozialen Folgeerscheinungen des toren sowie Herrn Werner Spaeth, der
anderes Verständnis der Menschen- chinesischen Wirtschaftswunders. Das mit seinem fachkundigen Rat wesentlich
rechte herrsche. Wichtiger als die von immer größer werdende Einkommens- zum Entstehen des Heftes beigetragen
westlicher Warte aus reklamierten in- gefälle und die daraus erwachsende hat, sei an dieser Stelle gedankt. Dank
dividuellen Rechte seien in China im- Unzufriedenheit äußern sich in offenen gebührt auch dem Schwabenverlag für
mer die kollektiven, d.h. die wirtschaft- und zum Teil gewaltsamen Protesten. die stets gute und effiziente Zusammen-
lichen und sozialen Rechte gewesen. Die von Günter Schucher vorgestellten arbeit. Siegfried Frech
171
CHINA UND DER WESTEN
172
DIE GESCHICHTE DER CHINESISCH-
WESTLICHEN BEZIEHUNGEN:
EIN ÜBERBLICK
173
Christoph Müller-Hofstede
an. Ein großer Teil dieser Gebiete war rien, die Konkurrenz gleichberechtigter Verträge zwischen China und den west-
erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts Nationalstaaten, die Bedeutung der lichen Mächten unterschrieben; diese
erobert worden. Umwälzungen auf außerchinesischen Herkunftsbezeichnung tragen die ab
China war unter den mandschurischen Schauplätzen erschlossen sich der chi- den 70er-Jahren des 19. Jahrhunderts
Qing-Kaisern Kangxi (1662–1722) und nesischen Beamtenelite nicht. Noch bevollmächtigten Gesandten Chinas
Qianlong (1736–1795) zur wirtschaft- ruhte China selig in sich selbst.“ 10 ins Ausland.“ 12
lichen und politischen Zentralmacht in Das chinesische Selbstverständnis ei-
Ostasien geworden. Die wirtschaftliche nes moralisch und zivilisatorisch über-
Blüte des Reiches in dieser Phase hat- Exkurs: Welt- und Selbstverständnis legenen Universums ließ an Außenbe-
te eine Verdoppelung der Bevölkerung Chinas vor dem Zusammenstoß mit ziehungen und eine Konkurrenz der
innerhalb von 150 Jahren auf 300 Milli- dem Westen „Nationen“ wie in Europa nicht den-
onen zur Folge. Chinas technologische ken. Ein Nationalstaat bildet sich erst
und wirtschaftliche Stärke wurde den Wesentlich trug hierzu das Weltver- im 20. Jahrhundert heraus – allerdings
Europäern nicht zuletzt durch die erste ständnis der kaiserlichen Bürokratie bei. mit dem (ungeklärten) Erbe eines mul-
„Exportlawine“ Chinas vor Augen ge- China – genauer das Herrscherhaus tinationalen und multikulturellen Impe-
führt: seit Beginn des 17. Jahrhunderts der Mandschu-Dynastie – sah sich als riums.
bis weit ins 18. Jahrhundert hinein wur- Zentrum eines moralischen Universums.
den mehrere hundert Millionen Stück Die gesamte zivilisierte Welt (die auf
Porzellan über die holländischen und Chinesisch als tianxia, d.h. „alles unter Chinas Einbindung in Weltwirtschaft
englischen East India Companies nach dem Himmel“ bezeichnet wurde) wurde und Weltpolitik: die wichtigsten
Europa eingeführt. Der „erfolgreichste mit der chinesischen Zivilisation gleich- Stationen von 1800–1949
Keramiktyp der Weltgeschichte“ (Lo- gesetzt. Dem Tianxia-Konzept lag die
thar Ledderose) konnte erst Anfang des Idee einer hierarchischen Weltordnung Ab Ende des 18. Jahrhunderts machten
18. Jahrhunderts in ersten Prototypen in und der Überlegenheit und Zentralität die Fernwirkungen der europäischen
Europa produziert werden. 9 China war chinesischer Kultur zugrunde. Individu- Entwicklungen auch vor China nicht
Europa also in wirtschaftlicher Hinsicht, en und Völker waren darin nicht gleich- Halt. Die technische, ökonomische und
wenn nicht überlegen, so doch eben- berechtigt. administrative Überlegenheit der Eu-
bürtig. Auch als Kolonialmacht kann Dabei war dieses Konzept so umfas- ropäer wurde ab dem 19. Jahrhundert
China mit den europäischen Mächten send, dass selbst über die chinesische auch militärisch wirksam und zwang
verglichen werden – wenn auch we- Bezeichnung für China im Grunde kei- China – wie auch Japan – in das von
sentliche Unterschiede beachtet wer- ne Klarheit herrschte. Ein chinesisches Europa gestaltete und dominierte inter-
den müssen. Wort für ein politisches „China“ bzw. nationale System. China wurde für über
Im Unterschied zu Russland und Eng- die „chinesische Nation“ existierte vor ein Jahrhundert – zwischen 1840 und
land war der chinesische Kolonialismus dem 19. Jahrhundert nicht! Weder im 1945 – zum „Objekt der Großmächte“.
weder religiös noch wirtschaftlich mo- allgemeinen Sprachgebrauch noch im Parallel hierzu verlief die Einbindung
tiviert. Sicherheitsbedürfnisse und das Bewusstsein der Elite war China als Na- Chinas in die weltwirtschaftliche Ar-
Bestreben, die „mongolische Gefahr“ tion präsent. Der heute etablierte Be- beitsteilung, die schon mit dem für Chi-
endgültig auszuschalten, waren die griff des „Reichs der Mitte“ (zhong guo; na profitablen Export von Tee, Seide
zentralen Motive der chinesischen Ex- dies bedeutet eigentlich „mittleres Kö- und Porzellan im 17. und 18. Jahrhun-
pansion. Die Eroberung Chinas durch nigreich“) ist eine Erfindung des späten dert begonnen hatte. Die Faszination
mongolische Reiterstämme in der Nach- 19. und frühen 20. Jahrhunderts, wie Mi- des angeblich grenzenlosen chinesi-
folge von Dschingis Khan im 13. Jahr- chael Lackner gezeigt hat.11 In der viele schen Marktes wurde dann zum we-
hundert und die wiederkehrenden Beu- Millionen Schriftzeichen umfassenden sentlichen Antriebsmoment der engli-
tezüge der innerasiatischen „Barbaren“ Sammlung der 25 chinesischen Dyna- schen Expansion nach China. In dem
innerhalb des chinesischen Kernlands stiegeschichten erscheint der Ausdruck nun folgenden „Jahrhundert der chine-
im 15. und 16. Jahrhundert hatten tiefe zhong guo nur zirka 2.200 Mal. In der sischen Revolution“ (1840–1949) wird
Spuren im kollektiven Gedächtnis chi- klassischen Literatur Chinas wurde der China zunächst durch die „ungleichen
nesischer Herrscher hinterlassen. Begriff nie benutzt, um eine chinesische Verträge“ mit England im Gefolge der
Vor allem aber war Chinas machtpoli- Nation oder die chinesische Zivilisation Opiumkriege schrittweise in das von
tisch-militärische Stellung im 18. Jahr- zu beschreiben. Da nur China als Mus- Europa gestaltete internationale Sys-
hundert noch nicht von seinem Kontakt ter eines zivilisierten Staates angese- tem integriert und gleichzeitig entmün-
mit dem Westen bestimmt. China kon- hen wurde, erübrigte sich, so Lackner, digt. Gleichzeitig verlor China massiv
zentrierte sich auf den kontinentalasia- eine Abgrenzung zu anderen Staatsge- an weltwirtschaftlicher Bedeutung:
tischen Raum und lebte „mit dem Rücken bilden nach räumlichen (also in gewis- Betrug Chinas Anteil an der Weltwirt-
zum Pazifik“. Epochale Ereignisse wie sem Sinne egalitären) Kriterien. Statt- schaftsleistung im Jahr 1820 noch 33
die Französische Revolution 1789, die dessen setzte sich eine Bezeichnung Prozent, so waren es 1952 nur noch 5,2
napoleonischen Eroberungen in Ägyp- nach historischen Kriterien, also nach Prozent, ein Anteil, der sich erst nach
ten, Europa und Russland oder die briti- der Abfolge der Dynastien, durch. Tra- 1980 wieder erhöhen sollte.13 Die wirt-
sche Eroberung Indiens zwischen 1770 ditionell wurde das chinesische Reich schaftliche Misere und die machtpoli-
und 1818 wurden in Beijing (Peking) nur durch die jeweils unterschiedlichen tische Entmündigung erzeugen einen
nicht weiter wahrgenommen. Um 1800 Dynastienamen bezeichnet – also Qin, neuen chinesischen Nationalismus, der
wusste man in China viel weniger über Han, Tang, Yuan, Song, Ming und Qing, im 20. Jahrhundert zur entscheidenden
Europa als umgekehrt: „Vor der macht- um die wichtigsten Dynastien zu nen- Triebkraft der Innen- und Außenpolitik
politischen Asymmetrie, die im 19. Jahr- nen. „Dementsprechend ist die offiziel- Chinas wird. Erst mit der Niederlage
hundert zum Tragen kam, stand die le Bezeichnung Chinas (selbst) zur Zeit Japans 1945 endet für China die Phase
Asymmetrie des (Herrschafts-)Wissens der erbittersten Konfrontation mit dem der Vorherrschaft fremder Mächte. Sei-
zwischen den beiden wirtschaftlichen Westen eben nicht China, respektive nen Abschluss findet das „Jahrhundert
und politischen Machtzentren der da- zhong guo, sondern da Qing guo, Staat der chinesischen Revolution“ mit dem
maligen Welt. Weltpolitische Katego- der großen Qing(-Dynastie). So sind die Sieg der Kommunisten im Bürgerkrieg
174
und der Gründung der Volksrepublik eines halben Jahrhunderts dramatisch DIE GESCHICHTE DER CHINESISCH-
China am 1. Oktober 1949. verschlechtert; hinzu kamen die drama- WESTLICHEN BEZIEHUNGEN:
Betrachten wir im Folgenden diese Epo- tischen gesundheitlichen Folgen des EIN ÜBERBLICK
che etwas näher, bevor wir uns mit den sich ausbreitenden Opiumkonsums.
Beziehungen zwischen der Volkrepub- Der Opiumkrieg ab 1840, der mit dem
lik China und dem Westen nach 1949 Abschluss des ersten „ungleichen Ver- der Wirtschaftshistoriker Richard H.
beschäftigen. trages“ (so werden in China bis heute Tawney – glich einer Bordüre, die ei-
die dem Land im 19. Jahrhundert von nem alten, durchaus noch tragfähigen
den westlichen Mächten aufgezwunge- Gewand aufgesetzt war. Erst 1895
Opiumkriege und Einschränkungen nen Verträge bezeichnet) von Nanjing begann das Zeitalter des territorialen
der Souveränität (1839–1895) (Nangking) im Jahre 1842 endete, war Kolonialismus und der ausländischen
eine Reaktion Großbritanniens auf Ver- Direktinvestitionen, insbesondere des
Die wirtschaftliche Lage Chinas in suche der chinesischen Regierung, den Aufbaus ausländisch beherrschter In-
den ersten Jahrzehnten des 19. Jahr- von ihr als illegal und schädlich einge- dustrieunternehmen im Textilsektor und
hunderts wurde durch die sogenannte stuften Opiumhandel in Kanton zu un- im Bergbau. In den Vertragshäfen, ins-
Opium-Silber-Krise geprägt. Seit der terbinden. Dieser erste „Öffnungskrieg“ besondere in Shanghai (noch bis 1949
ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war und die gewaltsame Durchsetzung von wirtschaftlich bedeutender als Hong-
China in zunehmendem Maße in die Freihandelsinteressen war Teil der Po- kong und Tokio), entwickelten sich neue
Handelsströme zwischen Europa und litik Großbritanniens, die im 19. Jahr- Eliten: chinesische Geschäftsleute mit
Asien eingebunden worden. Porzellan, hundert auch gegenüber den jungen einem erheblichen Eigenvermögen ver-
Seide und vor allem Tee wurden in sol- lateinamerikanischen Staaten und dem mittelten zwischen westlichen Kaufleu-
chem Umfang nach Europa exportiert, Osmanischen Reich praktiziert wurde. ten und dem chinesischen Markt. Eine
dass sich ganze Regionen Chinas auf Die wirtschaftlichen Folgen des Opi- ganze Schicht von Händlern, Bankiers
den Export spezialisierten. Allein in den umkriegs waren zunächst begrenzt: und Industriellen entstand, die unter
Porzellanmanufakturen von Jingdezhen Die chinesischen Küstenstädte wur- modernen Bedingungen operierte. In
in der Provinz Jiangxi sollen bis zu einer den Schritt für Schritt in die Weltwirt- Shanghai, aber auch Hongkong, ent-
Million Arbeiter tätig gewesen sein. Die schaft eingebunden und entwickelten standen Zirkel revolutionär und liberal
europäischen Importe wurden in gro- sich sozial und politisch schneller als gesinnter Intellektueller, die über Aus-
ßem Umfang mit Silber, vor allem aus die Binnenprovinzen Chinas. In macht- wege aus der Krise Chinas (unter an-
Spanisch-Amerika, bezahlt. politischer Hinsicht bedeutete die ers- derem mit Hilfe westlicher „Rezepte“)
Im 18. Jahrhundert wuchsen die euro- te Niederlage Chinas gegen einen nachdachten.
päische Nachfrage nach chinesischen westlichen Staat dagegen einen tiefen Hier zeigte sich das Janusgesicht des
Waren und damit auch der Zufluss von Einschnitt, der sich in markanten Ein- westlichen Kolonialismus: Durch die
Silber nach China weiter stark an. Für schränkungen der chinesischen Souve- Begegnung mit dem Westen beschleu-
England wurde die notorisch passive ränität äußerte. Hierzu gehörten unter nigte sich der Zerfall der traditionellen
Handelsbilanz mit China zum Problem. anderem die Öffnung der Hafenstädte Ordnung nach innen und nach außen;
Um die anhaltend hohen Teeimpor- Guangzhou, Shanghai, Fuzhou, Ning- gleichzeitig wurden entscheidende
te aus China zu bezahlen, exportierte bo und Xiamen für ausländische Kauf- Impulse zur Reform des chinesischen
es am Ende des 18. und zu Beginn des leute und Konsulate; damit konnten Staats- und Gesellschaftsgefüges und
19. Jahrhunderts zunächst Rohbaum- sich in diesen Städten extraterritoriale zur Herausbildung neuer Eliten gege-
wolle aus Bengalen nach Kanton, um Brückenköpfe Großbritanniens bilden, ben. Der Druck des Westens trug zur
mit den Erlösen das Chinageschäft da die Konsulate später auch mit der institutionellen Modernisierung Chinas
abzudecken. In diesem anglo-indisch- Rechtsprechung über in China ansässi- bei, unter anderem durch die Moder-
chinesischen Dreieckshandel ersetzte ge britische Bürger betraut wurden. In nisierung der Zollbehörden und den
ab 1820 indisches Opium zunehmend den folgenden Jahren wurden Belgien, Aufbau moderner außenpolitischer In-
die Rohbaumwolle. Opium war billiger den Niederlanden, Preußen, Spanien, stitutionen.
herzustellen und zu transportieren und Portugal, den USA und Frankreich ähn-
zudem in China leichter abzusetzen als liche Privilegien zuerkannt.
Baumwolle. 1860 entsandten Großbritannien und China als Objekt der Weltpolitik
Schon um 1830 war Opium zur wich- Frankreich ein gemeinsames militäri- (1895–1931)
tigsten Ware im Handel zwischen sches Expeditionskorps nach Beijing
Großbritannien und China geworden. und sicherten sich weitere Rechte. In der 1895 ist das entscheidende Epochen-
Erstmals veränderte sich die Handels- Folge entstand die wesentlich weitge- jahr, in dem sich der interne Machtver-
bilanz zu Chinas Ungunsten; zwischen hendere sogenannte „Zweite Vertrags- fall der Qing-Dynastie weiter beschleu-
1827 und 1849 verlor China vermutlich ordnung“ (nach dem Vertrag von Nan- nigt und zugleich der Aufstieg Japans
die Hälfte des Silbers, das während der jing), die China weitere massive Souve- als neue imperiale Macht in Ostasien
vorausgegangenen 125 Jahre ins Land ränitätseinschränkungen aufzwang. So eingeleitet wird. In der Folge kommt es
geströmt war: „Der Tausch von Tee und wurden nicht nur die Vertragshäfen an zum Zusammenbruch des Kaiserreichs
Textilien gegen Silber, also die Situa- der Küste, sondern ganz China für aus- und der Gründung der Republik China
tion vor 1800, war für China ein gu- ländische Reisende zugänglich; christ- (1. Januar 1912). Der weitere Zerfall der
tes Geschäft gewesen, der Tausch von liche Missionare konnten nun ohne Be- Zentralmacht prägt die nächsten Jahr-
Silber gegen Opium, also die Situation schränkungen ihrer Arbeit nachgehen. zehnte. China wird zu einem Flicken-
nach 1830, führte hingegen zu Belas- Hinzu kam die Öffnung elf weiterer Ver- teppich, auf dem regionale Machtha-
tungen der einheimischen Wirtschaft, tragshäfen, darunter Tianjin in der Nä- ber (Warlords), ausländische Mächte
u. a. durch die Verknappung und Preis- he Beijings und wichtige Binnenhäfen und eine schwache Zentralregierung
erhöhung des Silbers für Grundbesitzer am Jangste. Dennoch blieb der direk- ihre Konflikte zulasten der Bevölkerung
und die Bauernschaft, die ihre Steuern te ökonomische Einfluss des Westens austragen. Außenpolitisch wird China
in Silber zahlen musste.“ 14 Chinas wirt- auf diese Vertragshäfen beschränkt. weiter geschwächt: Der innere Zerfall
schaftliche Lage hatte sich innerhalb Die fremde Wirtschaftspräsenz – so begünstigt den Zugriff ausländischer
175
Christoph Müller-Hofstede
Mächte auf die Ressourcen Chinas.
Ungleiche Verträge prägen auch im
frühen 20. Jahrhundert die Außenbe-
ziehungen Chinas. Drei Aspekte sind
in dieser Phase hervorzuheben:
(1.) Die Bedeutung der Niederlage im
chinesisch-japanischen Krieg 1894/95:
Japans Sieg über China zerstörte end-
gültig den Rest an Macht und Presti-
ge, der dem Qing-Reich bis dahin noch
geblieben war. Chinas zivilisatorische
und politische Hegemonie über Ostasi-
en war endgültig beendet, und die chi-
nesischen Reformer waren sich dessen
bewusst. „Unser Land erwacht aus ei-
nem viertausendjährigen Schlummer“,
schrieb der nationalistische Theoreti-
ker Liang Qichao. Die Kriegsentschä-
digung war doppelt so hoch wie die
gesamten jährlichen Steuereinnahmen
der Zentralregierung: Japan konnte
durch die in Sterling ausgezahlte Ent-
schädigung weiter aufrüsten und stieg
in den Kreis der Vertragsmächte Chinas
auf. Die Modernisierung Japans ging
Hand in Hand mit seiner militärischen
Expansion. Im Ersten Weltkrieg und in
den Jahren danach verstärkte sich der
territoriale Druck Japans auf China.
(2.) Die Jahre zwischen 1895 und 1931
waren die Jahre des größten Einflusses
des Westens in China: Alle imperialisti-
schen Mächte des 19. und 20. Jahrhun-
derts trafen in China zusammen und
kooperierten miteinander, um China
zu kontrollieren. Einige Besonderheiten
dieser multinationalen Kontrolle Chi-
nas waren unter anderem:
das System der „ungleichen Verträge“,
von denen durch die Meistbegünsti-
gungsklausel automatisch alle in Chi-
na aktiven ausländischen Mächte pro-
fitierten;
die ausländische, „synarchische“ (d.h.
durch gemeinsame Herrschaft ausge-
übte) Kontrolle des Seezollamts und den Friedenskonferenzen sowie Grün- Jahre erreichten die antibritischen und
des Salzamts und die direkte Verwen- dungsmitglied des Völkerbunds war, antijapanischen Massenproteste erste
dung der dort eingenommenen Gel- blieb das Land weiterhin Objekt der bescheidene Konzessionen von Seiten
der für die Bezahlung des „Schulden- Weltpolitik.15 der Vertragsmächte. Ab 1928 gaben
dienstes“; (3.) Die eklatanten Beschränkungen zunächst die USA, später auch andere
die multinationalen Chinakonsortien, der staatlichen Souveränität Chinas Vertragsmächte die Befugnis zur Zoll-
die den Eisenbahnbau finanzierten erzeugten neue und intensive Formen erhebung an die chinesische Regierung
und damit die Erschließung des Landes des Nationalismus. Die als „4. Mai- zurück.
beförderten. Bewegung“ bekannt gewordenen Mas-
Seinen Höhepunkt erreichte diese sys- senproteste im Jahr 1919, die sich vor
tematische Entmündigung Chinas an- allem gegen Japan und die Sieger- Vom antijapanischen Krieg zur
lässlich der Versailler Konferenz 1919: mächte des Ersten Weltkriegs richteten, Unabhängigkeit (1931–1949)
China, das auf Wunsch der USA in den zwangen die chinesische Regierung,
Ersten Weltkrieg eingetreten war und den Versailler Vertrag nicht zu unter- Das Jahr 1931 wird zu Recht als Be-
über 100.000 Soldaten nach Frank- zeichnen. Ab 1921 kam (unter maßgeb- ginn eines „denouéments“ (Klärung) in
reich entsandt hatte, musste erfahren, licher Beteiligung sowjetischer Berater) Ostasien bezeichnet, in dem sich Inte-
dass Jiaozhou, das 1897 vom Deut- sogar eine Einheitsfront von Kommu- ressen und Ziele der in und um China
schen Reich militärisch besetzte und nisten und Nationalisten zustande, da agierenden Mächte – nicht zuletzt un-
1898 für 99 Jahre gepachtete Gebiet beide Seiten die gemeinsame Vision ter der Wirkung der Weltwirtschafts-
in der nordöstlichen Provinz Shan- eines „starken und unabhängigen Chi- krise – deutlicher als zuvor klären. 16 In
dong, nicht zurück an China, sondern nas“ verfolgten. Übergreifendes Ziel Japan gewannen die militaristischen
an Japan fallen sollte. Obwohl China chinesischer Politik war es, den aus und expansionistischen Strömungen im
„Siegermacht“ des Ersten Weltkriegs dem 19. Jahrhundert stammenden Sta- Militär entscheidenden Einfluss auf die
und gleichberechtigte Teilnehmerin an tus quo zu verändern. Mitte der 1920er Innen- und Außenpolitik des Landes:
176
Obwohl in der DIE GESCHICHTE DER CHINESISCH-
so genannten WESTLICHEN BEZIEHUNGEN:
Kulturrevolution EIN ÜBERBLICK
ab 1966 eine
ganze Genera-
tion junger in der Lage noch willens, den Endkampf
Chinesen den um die Macht in China entscheidend zu
Mobilisierungs- beeinflussen. Beide Großmächte sahen
experimenten sich „zu Zuschauern jenes Dramas re-
und Autarkie- duziert, als dessen Regisseure sie sich
phantasien noch Anfang 1945 in Jalta gefühlt hat-
Mao Zedongs ten“.17 Im Oktober 1949 übernahm die
geopfert wurde, Kommunistische Partei Chinas endgül-
ist Mao in China tig die Macht in Beijing. Von nun an be-
zum Mythos ge- stimmten die internationalen Rahmen-
ronnen. Der Text bedingungen des Kalten Krieges die
des Propaganda- Außenpolitik des neuen Staates.
plakats aus dem
Jahr 1969 lautet
sinngemäß: „Alle Unabhängigkeit, Isolation und
Menschen der Reintegration in die
Revolution lieben Staatengemeinschaft (1949–1979)
dich so sehr!“
picture alliance/dpa Zu Recht ist die chinesische Revolution,
die am 1. Oktober 1949 in die Grün-
dung der Volksrepubik China mündete,
als eine der großen „total revolutions“
in der neueren Geschichte bezeichnet
worden. Die Radikalität und Nachhal-
tigkeit der von ihr ausgelösten gesell-
schaftlichen Umwälzungen, die dauer-
hafte Etablierung einer neuen, revolu-
tionären Staatsmacht und die Auswir-
kungen auf das internationale System
weisen deutliche Parallelen mit der
Französischen Revolution 1789 und der
Russischen Oktoberrevolution 1917 auf.
Wesentlich bedeutsamer als im Falle
Frankreichs und Russlands war jedoch
in China die Mobilisierung nationalis-
tischer Gefühle, die den Kommunisten
schon im Bürgerkrieg und nach der
Machtergreifung entscheidend Legiti-
mation verlieh. Die „Befreiung“ Chinas
von äußerer Einmischung und Unterdrü-
China sollte zum kolonialen und stra- wa ein Fünftel der Kaiserlichen Armee, ckung erlangt zu haben, gilt bis heute
tegischen Hinterland für die weitere gebunden waren, die somit nicht für an- als Hauptverdienst Mao Zedongs und
Expansion Japans werden. Innerhalb dere Einsätze zur Verfügung standen. der Kommunistischen Partei.
weniger Wochen besetzte Japan Ende Nach der Kapitulation Japans am 2. Nach 1949 musste sich China zunächst
1931 die ganze Mandschurei. Auf ei- September 1945 standen sich die nun aus ideologischen und pragmatischen
nen Schlag fielen elf Prozent des chine- jeweils von den Großmächten Sowjet- Gründen in die weltpolitische Blockbil-
sischen Territoriums mit 50 Prozent der union und USA materiell und politisch dung einfügen und wurde zum Partner
Erdöl- und 80 Prozent der Eisenvorräte unterstützten Verbände der Kommu- der Sowjetunion, gemäß der Politik des
Chinas unter japanische Kontrolle. Ab nistischen Partei Chinas und der Guo- „sich auf eine Seite Neigens“ (yibian-
Juli 1937 hatten japanische Truppen mindang unversöhnlicher denn je ge- dao), wie es Mao Zedong (Mao Tse-
Beijing, Shanghai und Nanjing besetzt genüber. Die USA waren an einem neu- tung) 1949 prägnant formulierte.
und mit der Eroberung des chinesischen en Bürgerkrieg nicht interessiert und Schon am 14. Februar 1950 unterzeich-
Kernlandes begonnen. Bis 1945 eignete versuchten, zwischen beiden Seiten zu neten die Vertreter der Volksrepublik
sich Japan große Teile Chinas in einem vermitteln, allerdings ohne Erfolg. China und der Sowjetunion – nach
kolonialen Raub- und Vernichtungs- Nach den Vorstellungen der Sowjetuni- über zweimonatigen Verhandlungen
feldzug an. Der japanische Feldzug on und der USA sollte in Beijing eine zwischen Mao und Stalin – einen Ver-
in Ostasien führte ab Dezember 1941 nationalistisch-kommunistische Koaliti- trag über Freundschaft, Allianz und ge-
(Überfall auf Pearl Harbor) zum Bünd- onsregierung etabliert werden, um Chi- genseitige Hilfe. China bekam umfang-
nis der USA mit der republikanischen na zu einer stabilen (wenn auch schwa- reiche Finanz-, Wirtschafts- und tech-
Regierung Chinas und zur Schwächung chen) Bündnismacht in einem postkolo- nische Hilfen. Im Gegenzug musste es
Großbritanniens in Ostasien. nialen Asien zu machen. Die Eigendy- strategische Zugeständnisse machen,
China trug zur Niederlage Japans bei, namik des chinesischen Bürgerkriegs unter anderem die Unabhängigkeit
da auf chinesischem Territorium etwa machte alle diese Pläne zunichte. Die der Äußeren Mongolei und damit die
eine Million japanischer Soldaten, et- Sowjetunion und die USA waren weder sowjetische Dominanz in der ehemals
177
Christoph Müller-Hofstede
von China kontrollierten nördlichen Pe- liche Hilfe für China wurde eingestellt die China intensiver als je zuvor in sei-
ripherie anerkennen. Die Sowjetunion und die sowjetischen Experten von ei- ner Geschichte in das internationale
verpflichtete sich hingegen, die chine- nem Tag auf den anderen abberufen. System integrieren sollte. Die Reformer
sische Souveränität über Xinjiang anzu- Chinas ideologische und innenpoli- um Deng Xiaoping knüpften mit ihrem
erkennen, das sich in den Wirren des tische Radikalisierung führte in den Ziel, China in einen reichen und mäch-
antijapanischen Krieges kurzfristig un- Jahren danach weiter in die außenpo- tigen unabhängigen Staat zu verwan-
ter dem Namen „Ostturkestan“ für un- litische Isolation. In der so genannten deln, explizit an die Visionen der Refor-
abhängig erklärt hatte. Kulturrevolution ab 1966 wurde eine mer des 19. und frühen 20. Jahrhunderts
Der Koreakrieg, der nur drei Monate ganze Generation junger Chinesen an. Das (nationalistische) Geschichts-
später (im Juni 1950) ausbrach, stellte den Mobilisierungsexperimenten und bewusstsein der chinesischen KP-Elite
das neue Bündnis auf eine erste Probe. den Autarkiephantasien Mao Zedongs prägte den Reform- und Öffnungskurs
China unterstützte den Angriff Nord- und seiner Verbündeten in der Führung von Anfang an – eine in der westlichen
koreas auf Südkorea mit über 200.000 der Kommunistischen Partei Chinas ge- Öffentlichkeit gern übersehene Tatsa-
Soldaten. Dies hatte zur Folge, dass opfert. Strategisch und sicherheitspoli- che. Deng Xiaoping selbst bemerkte
die USA ihre 7. Flotte in die Straße von tisch geriet China in die Gefahr einer einmal in einem Gespräch, dass His-
Taiwan schickten und damit alle Pläne Konfrontation mit beiden Supermäch- toriker, sollten sie einst die Geschichte
zur Eroberung Taiwans langfristig ver- ten. des 20. Jahrhunderts schreiben, Maos
eitelten. China wurde zum Objekt US- Zu Beginn der 1970er Jahre brach die Revolution nur als Vorspiel zu der wirkli-
amerikanischer Wirtschaftssanktionen maoistische Führung allerdings auf chen Revolution begreifen würden, die
und Eindämmungspolitik in Ostasien: spektakuläre Weise aus der weltpoli- Deng selbst 1978 gestartet hatte.
Japan, die Philippinen, Südkorea, Tai- tischen Isolation aus. Im Februar 1972 In seiner auf longue durée angelegten
wan und später Südvietnam wurden zu kam es zu dem legendären Besuch des Betrachtung ging es darum, die Isola-
amerikanischen Militärposten, die in US-Präsidenten Richard Nixon in Chi- tion und Abschottung Chinas von der
Ost- und Südostasien eine breite an- na und zum Abschluss des sogenann- technologischen und wirtschaftlichen
tikommunistische Front bildeten. Fast ten Shanghai-Kommuniqués, das Chi- Entwicklung in der Welt ein für allemal
alle zwischenstaatlichen Kontakte der na als gleichwertigen Akteur in Ost- zu beenden, alle ideologischen und
USA mit China wurden bis Ende der asien anerkannte und die Differenzen politischen Blockaden für ungehemm-
1960er Jahre abgebrochen. Der in Eu- in der Taiwan-Frage zurückstellte.19 tes Wirtschaftswachstum im Inneren zu
ropa nach 1945 begonnene Kalte Krieg Maßgeblich dafür war die Erkenntnis überwinden und eine neue historische
setzte sich in Ostasien fort und drückte der maoistischen Führung, dass China Epoche einzuleiten, in der China erneut
auch den chinesisch-westlichen Bezie- gegenüber der Sowjetunion in die De- zu Weltgeltung gelangen sollte. Das
hungen seinen Stempel auf. fensive geraten war und dass dieses eingangs erwähnte Motiv der „Rück-
Innenpolitisch gab der Koreakrieg das Ungleichgewicht nur mithilfe der USA kehr“ kommt hier zur Geltung.
Signal zu einer breit angelegten De- geändert werden konnte. US-Präsident Im Rahmen dieser strategischen Grund-
nunziations- und Repressionskampag- Nixon und Außenminister Henry Kis- ausrichtung trat China schon 1979 der
ne gegen die „Konterrevolution“, an de- singer wiederum wollten China in eine Weltbank und dem Internationalen
ren Ende Millionen Menschen starben. regionale Lösung zur Beendigung des Währungsfonds (IWF) bei, um von den
In dieser Zeit wurde das seit der Mit- Vietnamkriegs einbeziehen und welt- Transferleistungen zu profitieren. In den
te des 19. Jahrhunderts gewachsene politisch als Gegengewicht gegen die 1980er und 1990er Jahren wurde Chi-
dichte Netz aus westlich-chinesischen Sowjetunion einbinden. Zuvor war im na zum größten Empfänger von beson-
Wirtschafts-, Wissenschafts- und Kul- Oktober 1971 die Volksrepublik China ders günstigen, fast zinslosen Krediten
turkontakten radikal zerschlagen und in die Vereinten Nationen aufgenom- (soft loans) und anderen Kapitalhilfen
durch eine ebenso radikale Ausrich- men worden; sie nimmt seitdem einen der Weltbank. Parallel zu der wach-
tung auf das sowjetische Entwicklungs- ständigen Sitz im Fünfergremium des senden Verflechtung mit der Weltwirt-
modell ersetzt. 18 Sicherheitsrats ein. 20 schaft verstärkte China seine Präsenz
Ab 1956, mit Beginn der Entstalinisie- Chinas Öffnung begann somit schon in zahllosen Foren und Unterorganisa-
rung in der Sowjetunion, begannen in den frühen 1970er Jahren; diplo- tionen der Vereinten Nationen: Seine
sich tiefe Risse in der chinesisch-sowje- matische und Handelsbeziehungen mit Mitarbeit dort wird als konstruktiv und
tischen Freundschaft abzuzeichnen. Die dem Westen intensivierten sich, wäh- kooperativ eingeschätzt.
„Tauwetterpolitik“ in der durch 40 Jahre rend die Beziehungen mit der Sowjet- Auf internationaler Ebene konnte China
leninistisch-stalinistische Herrschaft er- union und den Ostblockstaaten für fast – trotz einer kurzen Phase der Isolation
schöpften Sowjetunion gefährdete den ein Jahrzehnt auf niedrigstem Niveau nach der gewaltsamen Niederschla-
Machtanspruch der radikalen Fraktion stagnierten. Im so genannten strategi- gung des Studentenaufstands auf dem
in der Kommunistischen Partei Chinas schen Dreieck zwischen den USA, der Platz des Himmlischen Friedens im Juni
um Mao Zedong, die strikt am Primat Sowjetunion und China blieben jedoch 1989 – deutlich an Legitimation gewin-
der Ideologie festhielt. Innen- wie au- die USA die eindeutig dominierende nen, sowohl bei den wirtschaftlichen
ßenpolitisch war diese an Kompromis- Macht. Chinas Weltmachtstatus be- und politischen Eliten des Westens als
sen mit den „gemäßigten“ sowjetischen ruhte in dieser Zeit eher auf Fiktion als auch bei den Führungen der Staaten
Kommunisten nicht interessiert. Auch auf Realität. Ost- und Südostasiens. Die Offensive
machtpolitisch ließen sich die Interes- der chinesischen Diplomatie seit Mitte
sen der Sowjetunion und Chinas nicht der 1990er Jahre, die von einem kon-
mehr auf einen Nenner bringen: Die Von der Ablehnung zur Akzeptanz tinuierlichen Wirtschaftswachstum und
Sowjetunion suchte nach einem Arran- des internationalen Systems einem geschärften Bewusstsein für die
gement mit den USA, um einen Nukle- (1979–2008) Vorteile von „soft power“ getragen ist,
arkrieg zu verhindern; China hingegen hat dazu entscheidend beigetragen.
wollte zunächst selbst (mit sowjetischer Erst der Tod Maos 1976 und der Beginn Rechtlich ist China mit dem Beitritt
Hilfe) Atommacht werden und den Sta- der Reform- und Öffnungspolitik im De- zur Welthandelsorganisation (World
tus quo zu seinen Gunsten verändern. zember 1978 erzeugten schließlich jene Trade Organization/WTO) 2001 stär-
1960 kam es zum Bruch: Die wirtschaft- wirtschaftliche und politische Dynamik, ker denn je in die internationale Ord-
178
nung integriert; allerdings erhöht sich die Äußere Mongolei wurde 1945 un- G
D
EIESCH
C
IH
DTEC
RHN
IE
DIE
SICH
W
- ESTC
LGESCHICHTE
IHEN
BEZEIHUNGEE
N
Ü
I:BERBC
LIKG
D
EIESCH
C
IH
DER
DTEC
RHN
I ESICH
CHINESISCH-
W
- ESTC
LIHEN
BEZEIHUNGEE
N
Ü
I:BERBC
LIK
mit dem besseren Zugang zu Ressour- abhängig, geriet dann unter den Ein- WESTLICHEN BEZIEHUNGEN:
cen (Märkten/Investitionen) auch der fluss der Sowjetunion und sieht sich EIN ÜBERBLICK
Druck hin zu Transparenz und politi- heute mit der starken wirtschaftlichen
scher Berechenbarkeit. Wie schon im und kulturellen Ausstrahlung Chinas
19. und 20. Jahrhundert steht China konfrontiert. So ging ironischerweise Katalog zur Ausstellung der Berliner Festspiele
heute weiterhin vor der Aufgabe, sei- Chinas erfolgreiche Selbstbehauptung GmbH im Martin-Gropius-Bau Berlin. 12. Mai bis
ne Selbstbehauptung (gegenüber dem gegen den westlichen Imperialismus 18. August 1985. Redaktion: Hendrik Budde/
Christoph Müller-Hofstede. Berlin 1985.
Westen in einer globalisierten Welt- mit einer partiellen Restauration seines 6 Adrian Hsia (Hrsg.) (1985): Deutsche Denker
ordnung) und seine Einbindung in die quasi-kolonialen Status in Zentralasien über China. Frankfurt am Main.
Weltordnung zu balancieren. einher. 7 Siehe ausführlicher hierzu: Michael Lackner
Interessanterweise scheint dieser Vor- (2008): Formeln für China? Anmerkungen zu west-
gang mit einer in China in den letzten lichen „master narratives“ über China. Vortrag im
Rahmen einer Ringvorlesung in Bonn am 21 .4.
Ausblick Jahren zu beobachtenden Rückwen- 2008; Manuskript unter: www.meeting-china.de.
dung zur Reichsidee zu koinzidieren, in 8 Karl Marx: Die Revolution in China und Euro-
Es wird deutlich, wie sehr das Leit- der die Grenzen zwischen dem In- und pa. In: Adrian Hsia (Hrsg.) (1985): Deutsche Den-
motiv des modernen chinesischen Na- Ausland verschwimmen und Ansprüche ker über China. Frankfurt am Main, S. 243–253;
hier S. 246.
tionalismus die Beziehungen Chinas eines neuen chinesischen Universalis- 9 Lothar Ledderose (2008): Porzellan: Die erste
mit dem Westen prägt: Der massive mus sichtbar werden. 21 In der Tat gibt Exportlawine aus China. Vortrag im Rahmen einer
Bedeutungsverlust Chinas in Welt- es Belege für ein neues (insbesondere Ringvorlesung in Bonn am 23.6. 2008. Dokumen-
wirtschaft und Weltpolitik wurde bis kulturelles) Selbstverständnis Chinas tiert unter: www.meeting-china.de.
heute zur entscheidenden Erfahrung im 21. Jahrhundert, das an die kaiserli- 10 Jürgen Osterhammel (1989): China und die
Weltgesellschaft. München 1989, S. 47.
aller sich um die Reform Chinas bemü- chen Traditionen des 18. Jahrhunderts 11 Michael Lackner (2004): Anmerkungen zur
henden Eliten. China den Rang einer anknüpft. Unwahrscheinlich erscheint historischen Semantik von China, Nation und chi-
Großmacht wiederzugeben, die regio- aber, dass sich eine „sinozentrische nesischer Nation im modernen Chinesisch. In: Turk,
nal und international anerkannt wird, Weltordnung“ in Asien, wie sie im 18. Horst u.a. (Hrsg.) (2004): Kulturelle Grenzziehun-
gen im Spiegel der Literaturen: Nationalismus,
stand von Anfang an im Mittelpunkt Jahrhundert zeitweilig geherrscht ha- Regionalismus, Fundamentalismus. Göttingen,
sowohl der republikanischen als auch ben mag, wieder restaurieren lässt. S. 323–338.
der kommunistischen Politik. Methoden Dagegen sprechen gute Argumente – 12 Michael Lackner (vgl. Anmerkung 11), S. 327.
und Strategien zur Erreichung dieses nicht zuletzt die fortdauernde militäri- 13 Gudrun Wacker (2006): Chinas „Grand
Ziels wechselten jedoch häufig; west- sche Präsenz der USA in Ostasien, die Strategy“. In: Wacker, Gudrun (Hrsg.) (2006):
Chinas Aufstieg: Rückkehr der Geopolitik? Stif-
liche Ideologien und Theorien dienten Möglichkeit, dass kleinere und mittle- tung Wissenschaft und Politik. Berlin, S.62.
dabei als Rezepte für die „Rettung Chi- re Nachbarstaaten Koalitionen bilden 14 Jürgen Osterhammel (vgl. Anmerkung 10),
nas“, die unter anderem in der maois- und die intensive wirtschaftliche Ver- S. 146; Fußnote 10.
tischen Phase der Volksrepublik Millio- flechtung. Vieles spricht gegen eine 15 Jürgen Osterhammel (vgl. Anmerkung 10),
S. 2–7 ff.; ferner: Oskar Weggel (1998): Vom Ob-
nen Menschenleben forderten. Außen- gleichsam linear verlaufende Restaura- jekt der Weltpolitik zur Unabhängigkeit: China
politisch ist es China zweifellos gelun- tion einer pax sinica. Welche Rolle Chi- und die Weltpolitik (1995–1949). In: Herrmann-
gen, die Territorialverluste aus dem 19. na und die westliche Welt auf der Büh- Pillath, Carsten/Lackner, Michael et al. (Hrsg.)
Jahrhundert wieder weitgehend wett ne der Weltpolitik und Weltwirtschaft (1998): Länderbericht China. (Schriftenreihe Band
zu machen: dies gilt für die kolonia- in den nächsten 20 Jahren tatsächlich 351 der Bundeszentrale für politische Bildung).
Bonn 1998, S. 154–162.
len und quasi-kolonialen Peripherien spielen werden, muss jedoch offen blei- 16 Jürgen Osterhammel (vgl. Anmerkung 10),
Xinjiang und Tibet und für die ehemals ben. Lineare Aufstiegs- und Abstiegs- S. 277.
portugiesischen und britischen Kolo- projektionen sollten ebenso wie popu- 17 Jürgen Osterhammel (vgl. Anmerkung 10),
nien Macao und Hongkong, die 1999 läre historische Parallelen mit Vorsicht S. 330.
18 Beverley Hooper (1986): China Stands Up:
und 1997 an China zurückfielen; nur genossen werden. Ending the Western Presence, 1948–1950. Lon-
UNSER AUTO don.
19 Kay Möller (2005): Die Außenpolitik der
Volksrepublik China 1949–2004. Eine Einführung.
ANMERKUNGEN Wiesbaden, S. 84–85.
20 Es waren die USA, die in den 1940er Jahren
UNSER AUTOR
1 Der Begriff „Westen“ wird hier abkürzend für gegen die Opposition Großbritanniens darauf
die Vielfalt der europäischen, amerikanischen bestanden, China als ständiges Mitglied in den
und ab dem 20. Jahrhundert auch japanischen UN-Sicherheitsrat aufzunehmen. Während Win-
und russischen/sowjetischen Einflüsse in China ston Churchill in seinen Gesprächen mit Roose-
verwendet. Auch der Begriff „China“ steht für eine velt die Chinesen noch als „Chinks“ und „China-
hochkomplexe, plurale und widersprüchliche po- men“ bezeichnete, wollte dieser China zum
litische und kulturelle „Entität“, die sich nicht kul- Freund der USA machen. Siehe: G. John Iken-
turessentialistisch reduzieren lässt. Siehe erhel- berry (2008): The Rise of China and the Future of
lend über die neuen Versuche, China weltpoli- the West. In Foreign Affairs, Heft 1/2008, S. 28.
tisch als „antiwestlich“ zu klassifizieren: Mark 21 Michael Lackner (2007): Kulturelle Identitäts-
Siemons (2008): China und die neue Aufteilung suche von 1949 bis zur Gegenwart. In: Fischer,
der Welt. In: FAZ, 4.10. 2008. Doris/Lackner, Michael (Hrsg.) (2007): Länderbe-
2 Fareed Zakaria (2008): The Post-American richt China. (Schriftenreihe Band 631 der Bundes-
Christoph Müller-Hofstede hat Sino- World. New York, London 2008. zentrale für politische Bildung) Bonn, S. 491–512.
3 Konrad Seitz (2000): China: Eine Weltmacht
logie und Politikwissenschaft in Berlin,
kehrt zurück. Berlin 2000, S. 12.
Peking, Shanghai und Hongkong stu- 4 Siehe ausführlich Michael Lackner (Hrsg.)
diert. Seit 1988 arbeitet er als wissen- (2008): Zwischen Selbstbestimmung und Selbst-
schaftlicher Referent in der Bundeszent- behauptung. Ostasiatische Diskurse des 20. und
rale für politische Bildung in den The- 21 . Jahrhunderts. Wiesbaden 2008; Jonathan
Spence (1998): The Chan’s Great Continent. Chi-
menfeldern China, internationale Bezie- na in Western Minds. London.
hungen/Europa, Migration/Integration 5 Siehe auch: Berliner Festspiele GmbH (Hrsg.)
und Islam. (198): Europa und die Kaiser von China 1240–1816.
179
CHINA – EINE WELTMACHT IM WERDEN
schon seit 1971 ständiges Mitglied des zu niedrig. Die EU wirft China insbeson-
Das außenpolitisch klar definierte Ziel der UN-Sicherheitsrates, nachdem die Ver- dere vor, ausländische Importeure und
politischen Führung Chinas ist die Rück- einten Nationen Taiwan ausgeschlos- Investoren zu behindern und den Kurs
kehr des Landes in den Kreis der inter- sen hatte.1 Allein diese Position verleiht des Yuan künstlich niedrig zu halten.
nationalen Führungsmächte. Außenpoliti- dem Land mit 1,32 Milliarden Menschen Zudem wurde unlängst Kritik laut, weil
sche Stabilität und internationale Zu- ein erhebliches Machtgewicht zur Be- nach Angaben Brüssels zirka 80 Prozent
sammenarbeit sollen die Kontinuität des einflussung des weltpolitischen Gesche- der in der EU vertriebenen gefälschten
Wirtschaftswachstums garantieren sowie hens. In der Tat hat die Regierung in Bei- Markenprodukte in China hergestellt
die ökonomische Leistungsfähigkeit Chi- jing (Peking) seitdem nie gezögert, die werden.
nas erhalten. Die Einsicht, dass China nur Privilegien einer UN-Vetomacht in An- Einmalig scheinen auch die Dauer und
auf dem Wege der Kooperation mit den spruch zu nehmen, um sich als ebenbür- die Intensität des chinesischen Wirt-
führenden Industriestaaten seine Moder- tige und gleichberechtigte Großmacht schaftsbooms zu sein. Chinas Anteil am
nisierung fortsetzen und damit internatio- gegenüber den Vereinigten Staaten, Welthandel ist von unter einem Prozent
nalen Einfluss gewinnen kann, ist Konsens der Russischen Föderation (vormals der vor 20 Jahren auf heute fünf Prozent an-
unter den Regierungseliten im chinesi-
Sowjetunion) und anderen westlichen gestiegen – mit steigender Tendenz.
schen Politbüro. Xuewu Gu zeigt in seinem
Industriestaaten zu behaupten. Jahrelang anhaltendes ununterbroche-
Beitrag unter anderem am Beispiel der
Olympischen Spiele, dass sukzessive po-
Dennoch ist der Aufstieg Chinas zum nes Wachstum auf einem Niveau von
litische Veränderungen in dem autoritär Global Player ein relativ junges Phäno- jährlich zehn Prozent und mehr hat es
regierten Land aufgrund der Übernahme men. Es ist das ununterbrochene Wirt- bislang noch nirgendwo auf der Welt
internationaler Verantwortung durchaus schaftswachstum von durchschnittlichen gegeben, weder in Europa und Ameri-
möglich sind. Der Beitrag schließt mit der zehn Prozent pro Jahr seit dem Beginn ka, noch in Asien und Afrika. Selbst der
Skizzierung des chinesischen Engage- der von Deng Xiaoping im Jahr 1978 ein- Wirtschaftsboom Deutschlands und Ja-
ments in Afrika. Gerade die chinesische geleiteten Reform- und Öffnungspolitik, pans in der Nachkriegszeit haben die-
Interessenpolitik südlich der Sahara zeigt, welches die Volksrepublik befähigt, glo- ses Ausmaß nicht erreicht.
dass China eine ernstzunehmende Füh- bal und wirkungsvoll zu agieren. Inzwi- Die unmittelbar daraus resultierenden
rungsrolle in der internationalen Staaten- schen gilt China als regelrechtes Kräfte- Entwicklungsleistungen, nämlich die
gemeinschaft bransprucht. zentrum der Weltwirtschaft und als un- Überwindung der Massenarmut, sind
verzichtbarer Partner bei der Lösung von beachtlich. Der Armutsabbau in den ver-
Problemen mit globalem Ausmaß. gangenen 30 Jahren ist historisch ein-
malig. Millionen Menschen werden jähr-
Chinas Griff nach dem Weltall lich aus der Armut geholt. Zur Bekämp-
Historische Dimension des fung der Armut auf dem Land und zur Si-
Der Eindruck, dass China nicht mehr chinesischen Aufstieges cherung der Nahrungsmittelversorgung
nur eine regionale Großmacht blei- wurde der Agrarhaushalt im Jahr 2008
ben, sondern auch ein Global Player Historisch betrachtet ist Chinas Auf- um fast ein Drittel auf 562 Milliarden Yu-
werden will, wurde durch den erfolg- stieg zu einer führenden Wirtschafts- an aufgestockt. China ist bei der Armuts-
reichen Start seiner dritten Raumfahrt- macht im 21. Jahrhundert ein einmaliges bekämpfung eines der erfolgreichsten
mission am 25. September 2008 erneut Phänomen. Zum ersten Mal in der Ge- Länder der Welt. Es scheint keine Über-
symbolisiert. Im Rahmen dieser Mission schichte erleben wir ein kapitalistisches treibung zu sein, wenn die Weltbank die-
wurde zum ersten Mal ein Aufenthalt Wirtschaftssystem, das unter kommu- se Entwicklung als eine Leistung für die
im Weltall außerhalb des Raumschiffes nistischer Führung realisiert wird. Der Menschheit des 21. Jahrhunderts wür-
durch einen chinesischen Astronauten Schutz des Privateigentums ist in die chi- digt. „Das Reich der Mitte“ ist auf dem
(chinesisch: Taikonauten) durchgeführt. nesische Verfassung eingeschrieben. Weg, den gerade aus der Armut be-
Die Tatsache, dass die Chinesen nun- Wettbewerb als das zentrale Leitprin- freiten Menschen einen „kleinen Wohl-
mehr in der Lage sind, sowohl mehrere zip wirtschaftlichen Handelns hat sich stand“ (xiaokang) zu geben. 800 Milli-
Taikonauten ins All zu schicken, als auch in China längst durchgesetzt. onen Landbewohner sollen noch von
einen Weltraumspaziergang vorzuneh- Eine regelrechte Marktwirtschaft, in Bauern zu „Nicht-Bauern“ gemacht wer-
men, deutet darauf hin, dass sie bald ihr welcher der Staatssektor und das Kapi- den. Ein massiver Urbanisierungsprozess
Ziel erreichen könnten: die Einrichtung tal privater Unternehmen und ausländi- steht just an. Führende Ökonomen sehen
einer eigenen Raumstation. Die Tage scher Investoren noch um die Dominanz hierin die entscheidende Schubkraft für
der Monopolisierung der stationären ringen, entsteht im „Reich der Mitte“. einen noch nachhaltigeren und kräftige-
Weltraumerschließung durch die Verei- Selbst die amerikanische Bush-Adminis- ren Konjunkturschwung Chinas. Es sieht
nigten Staaten und Russland scheinen tration gab neulich zu verstehen, dass so aus, als ob China sich immer noch am
gezählt zu sein. sie bereit sei, China den Status einer Beginn des Booms befindet.
Die Etablierung Chinas als Weltraum- Marktwirtschaft zuzuerkennen. Wenn
nation wird den Prozess seines Aufstie- die US-Regierung tatsächlich ihren Wil-
ges als Global Player beschleunigen len in die Tat umsetzen sollte, würde die „Friedlicher Aufstieg“ im Zeichen
und seine internationale Stellung ver- Europäische Union (EU) unter starken der Globalisierung
stärken. Allerdings ist die Volksrepub- Druck geraten. Für die EU sind die staat-
lik China auf der weltpolitischen Bühne lichen Subventionen in China immer Es ist auffällig, dass der Aufstieg des au-
kein Neuling mehr. Die Volksrepublik ist noch zu hoch und die Markttransparenz toritären China bislang friedlich verlau-
180
fen ist. Offensichtlich ist die Welt durch den ausländischen Kapitalinvestoren CHINAS AUFSTIEG ALS GLOBAL PLAYER
Chinas Aufstieg von einem Agrarland zu Ordnung, Steuervergünstigungen und
einer Wirtschaftsmacht, in der mehr als vor allem eine angemessene Infrastruk-
ein Drittel der globalen Verarbeitungs- tur – also alles, wovon ein Investor nur
kapazitäten konzentriert sind, nicht un- träumen kann. Nicht nur das Timing zwi-
sicher geworden. Weder einen „hei- schen Chinas Öffnung und der Inten-
ßen“ noch einen „kalten“ Krieg haben sivierung der Globalisierung, sondern (BIP) in Höhe von etwa 3.000 Milliarden
die chinesische Wirtschaftsexpansion auch die „Chemie“ zwischen Kommunis- US-Dollar hat Deutschland nur einen
und Machtausdehnung bis jetzt verur- ten und Kapitalisten war stimmig. hauchdünnen Vorsprung vor China, das
sacht, auch wenn Reibungen und Strei- Im Rahmen dieser kommunistisch-ka- 2007 etwa 2.900 Milliarden US-Dollar
tigkeiten präsent sind. Diesen „friedli- pitalistischen „Großkoalition“ ging die erwirtschaftete. 2008 könnte das Jahr
chen Aufstieg“ charakterisierte der ja- technokratische Rechnung auf. Inzwi- sein, in dem Deutschland seinen dritten
panische Verteidigungsminister neulich schen ist das „Reich der Mitte“ ein Welt- Platz an das „Reich der Mitte“ verliert.
in einem Fernsehinterview in Hongkong produktionszentrum geworden. 80 Pro- Dies scheint durchaus möglich zu sein,
damit, dass China zwar die Macht zu zent aller Spielzeuge, die weltweit ge- wenn man daran denkt, dass das zu
einem Angriffskrieg auf Japan, jedoch liefert werden, werden in China produ- erwartende Wachstum Chinas (10 Pro-
nicht den Willen dazu besitze. Für viele ziert. 83,3 Millionen Farbfernsehgeräte zent) fünfmal höher ist als das deutsche
Beobachter – aber auch Betroffene – (2006) und 35,3 Millionen Kühlschränke Wachstum (1,8 Prozent).
scheint die Wahl der Chinesen für einen entstammen chinesischen Produktions-
friedlichen Aufstieg eine beschlossene anlagen (vgl. Tabelle 1 und 2).
Sache zu sein. Der Prozess der Globalisierung hat Chinas unmerklicher Aufstieg
In der Tat resultiert Chinas Entschei- Chinas Stellung in der Weltwirtschaft
dung für einen friedlichen und auf Aus- gleichsam revolutionär verändert. Von Chinas Aufstieg ist in gewissem Sinne
gleich bedachten Aufstieg aus histori- einer randständigen Position aus hat auch öffentlich unauffällig verlaufen.
scher Einsicht, technokratischem Kalkül das Land alle europäischen Staaten mit Nur wenige Fachleute und Chinakenner
und strategischer Klugheit. Die weltpo- Ausnahme der Bundesrepublik über- haben bemerkt, dass chinesische Unter-
litischen Katastrophen, die Japan und holt, um den vierten Platz unter den nehmen an die Weltspitze vorgerückt
Deutschland in der Vergangenheit bei größten Volkswirtschaften der Welt sind. Aus einer Studie der Firma Ernst
der Ausdehnung ihrer Macht gegen den einzunehmen, hinter den USA, Japan & Young aus dem Jahre 2007 geht her-
Willen anderer Mächte herbeigeführt und Deutschland. Aber die Tage für vor, dass China nun zu den drei Spit-
hatten, schreckten offenbar die Regie- Deutschland als drittgrößte Volkswirt- zenländern gehört, die über die meisten
rungselite in Beijing vor einer gewaltsa- schaft scheinen gezählt zu sein. Mit ei- Großunternehmen verfügen. Noch vor
men expansionistischen Politik ab. Die nem Volumen des Bruttoinlandsprodukts 15 Jahren waren die Chinesen eine nu-
Einsicht, dass China nur in Kooperation
mit den führenden Industriestaaten sei- Tabelle 1: Hauptausfuhrgüter 2006 (in Prozent)
ne Modernisierung fortsetzen und da-
mit an Stärke und internationalem Ein- Büromaschinen / EDV 13,9
fluss gewinnen kann, ist Konsens unter Nachrichtentechnik, Radio und Fernsehen 12,8
den Regierungseliten im chinesischen
Textilien und Bekleidung 14,9
Politbüro. Letztlich prägt auch die po-
sitive Einstellung der technokratischen Elektrotechnik 7,5
Regierung – die ihre pragmatische Re- Maschinenbauerzeugnisse 6,1
gierungspolitik optimieren will – ge- Chemische Erzeugnisse 4,6
genüber dem Globalisierungsprozess
Metallerzeugnisse 3,7
die chinesische Politik des „friedlichen
Aufstiegs“. Eisen und Stahl 3,4
Globalisierung wird von der chinesi- Kfz und Kraftfahrzeugteile 2,8
schen Regierung zwar nach wie vor als
ein „doppelschneidiges Schwert“ mit Quelle: Munzinger Archiv
Risiken und Möglichkeiten angesehen.
Jedoch erblickten sie gerade in diesem
Tabelle 2: Produktion ausgewählter Industrieerzeugnisse 2006 und 2007
Prozess die einmalige Chance für Chi-
na, den Anschluss an die Dynamik der
Weltwirtschaft und damit an den Wohl- 2006 2007
stand der Nachbarländer zu erreichen. Rohstahl (Mio. t) 419,1 489,6
Die billigen Arbeitskräfte und das gren-
Walzstahl (Mio. t) 468,9 568,9
zenlose Marktpotential der Milliarden
Einwohner identifizieren das Land als Zement (Mio. t) 1.236,8 1.360,0
einen lukrativen Standort für westliche Kunstdünger (Mio. t) 53,5 57,9
Industrie- und asiatische Tigerstaaten.
Werkzeugmaschinen (1.000 Stück) 573,0 N.N.
So entstand die Politik der Reform bei
gleichzeitiger Öffnung. Die Tür des Lan- Kraftfahrzeuge (Mio. Stück) 7,3 8,9
des wurde gerade in der Zeit geöffnet, Textilgewebe (Mrd. m) 59,9 66,0
in der westliches Kapital, zermürbt durch
den üppigen Sozialstaat im Heimatland Kühlschränke (Mio. Stück) 35,3 44,0
und befreit durch die neoliberalen De- Farbfernsehgeräte (Mio. Stück) 83,8 84,3
regulierungen, den Globus nach neuen PC (Mio. Stück) 93,4 120,7
Investitionschancen absuchte. Die chi-
nesischen Kommunisten versprachen Quelle: Munzinger Archiv
181
Xuewu Gu
merische Unbekannte, wenn es um Rang Jahr 2009 erstmalig in den einstelligen
und Ruhm in der Landschaft der großen Bereich sacken, belastet von der sinken-
Konzerne ging. den Nachfrage westlicher Märkte. Tau-
Die Situation hat sich jedoch geändert. sende von Fabriken, die auf den Export
Auf der Liste der 100 größten Unterneh- bauen, stehen vor der Insolvenz, Milli-
men der Welt ist China mit zehn Unter- onen von Arbeiter vor der Entlassung.
nehmen vertreten, hinter den USA (32) Chinas gewaltige Devisenreserven hel-
und Großbritannien (11), aber vor Frank- fen dem Land gegenwärtig nur wenig
reich (8) und Deutschland (7). Auch das weiter, weil der größte Teil in US-Staats-
Ranking international agierender Groß- anleihen angelegt ist. Diese Rücklagen
banken wurde durch Chinas Aufstieg kann Peking derzeit nicht abstoßen,
durcheinander geworfen. Das Land ver- ohne das internationale Finanzsystem
fügt heute mit der ICBC (Industry and noch weiter in Schieflage zu bringen.
Construction Bank of China) über die
größte Bank der Welt. Zu den Top Five
der weltweit größten Bankhäuser zäh- Der hohe Preis des wirtschaftlichen
len drei chinesische Banken. Aufstiegs
Zweifelsohne ist China mächtig gewor-
den, auch unter finanz- und geldpoliti- Chinas Entwicklung jedoch ist asymmet-
schen Aspekten. Mit 1,90 Billionen US- risch. All die „großen Erzählungen“ über
Dollar übertreffen Chinas Devisenreser- seinen Aufstieg bleiben ein Mythos,
ven die Rücklagen aller Industriestaaten wenn die Schwächen dieser Expansion
zusammen. Schätzungsweise sind 70 bis nicht aufgezeigt werden. Es stellt sich die
65 Prozent davon in US-Dollar notier- Frage, ob die Chinesen nicht einen all-
ten Wertpapieren angelegt, meistens in zu hohen Preis für den wirtschaftlichen
Staatsanleihen der US-Regierung. Jede Aufstieg ihrer Nation gezahlt haben und
Umschichtung der Anlagestruktur oder noch zahlen. Diese Frage ist insofern be-
neue Ausrichtung der Anlagepolitik der rechtigt, weil die soziale und ökologi-
chinesischen Regierung in größerem sche Schieflage unverkennbar ist.
Maßstab würde den Weltfinanzmarkt in Soziale Gerechtigkeit und Umweltqua-
erhebliche Bewegung versetzen. Davon lität sinken drastisch, während die Wirt-
wäre auch der Wert des Euro betroffen. schaft prosperiert. Auch der Eindruck,
Sollte die chinesische Zentralbank, aus dass die Chinesen ihre politische Frei-
welchem Grund auch immer, dazu über- heit gegen den materiellen Wohlstand
gehen, US-Dollar massiv zu verkaufen ausgetauscht und damit auf einen we-
oder Euro anzukaufen, würde die eu- sentlichen Bestandteil des modernen
ropäische Währung noch teurer. Diese Lebens verzichtet haben, hält sich hart-
Option bleibt bestehen, unabhängig näckig. Chinas Gini-Index 2 verschlech-
davon, ob China selber von den Kon- tert sich ständig, von 0,16 (1978) auf 0,47
sequenzen seiner eigenen Handlungen (2007). Der gängige alarmierende Wert
profitiert oder darunter leidet. Fest steht sozialer Ungleichheit liegt bei 0,4. Die-
nur: Zum ersten Mal in der Geschichte se Entwicklung deutet darauf hin, dass
ist die chinesische Entwicklung derart die chinesische Bevölkerung massiv da-
eng mit dem Wirtschaftsleben Europas ran gehindert wird, gleichermaßen vom
verflochten, dass der Wert seiner Wäh- Wirtschaftboom zu profitieren.
rung, die Sicherheit der Arbeitsplätze In der Tat führen die städtischen Ein-
seiner Bürgerinnen und Bürger sowie die wohner ein viel wohlhabenderes Leben
Stabilität seiner Konjunktur nicht mehr als die Landbewohner. Das Jahresein-
von dem Land in Fernost getrennt gese- kommen der Beschäftigten in den öst-
hen und analysiert werden können. lichen Küstenzonen ist im Durchschnitt
Das Gleiche gilt für China, das die meis- fast sechsmal höher als im Westen des
ten seiner Produkte auf dem europäi- Landes. Die Kluft zwischen Reichen und
schen Kontinent absetzen und sich somit Armen vergrößert sich dramatisch.
europäischen Veränderungen nicht ent- Dass Chinas Aufstieg zur führenden
ziehen kann. Der Umstand, dass die chi- Wirtschaftmacht zwei Seiten hat, zeigt Veränderungen durch die Olympiade
nesischen Exporte im Kontext der wirt- sich spätestens dann, wenn man be-
schaftlichen Stagnation der USA und denkt, dass die Kosten der Verschmut- Trotz seiner fünftausendjährigen Ge-
der Verlangsamung des Wachstums in zung von Wasser, Luft und Boden etwa schichte und Vergangenheit als Hoch-
Westeuropa seit Mitte 2008 spürbar zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts kultur ist China ein vergleichsweise
zurückgegangen sind, veranschaulicht des Landes ausmachen. Ironischerwei- „junger“ Global Player. Das Land erlebt
das wechselseitig verflochtene Schick- se entspricht diese Prozentzahl just der gegenwärtig einen Reifungsprozess.
sal Chinas, Amerikas und Europas. jährlichen Wachstumsrate der chinesi- Verschiedene Faktoren können diesen
Gerade die Finanzkrise im Herbst 2008 schen Wirtschaft. So gesehen hat China Prozess beeinflussen, beschleunigen,
offenbarte diese Interdependenzen. praktisch nur ein „Nullwachstum“ vorzu- verlangsamen oder sogar zurücksetzen.
Obwohl China als einzige große Volks- weisen. Nicht ohne Grund rangiert das Einer davon ist die Interaktion zwischen
wirtschaft nicht von einer Rezession be- Land auf dem Index der Umweltperfor- China und der internationalen Staaten-
droht ist, sorgte die Finanzkrise auch mance 2008 auf Platz 104 unter den 149 welt. Eine verständnisvolle und gedul-
dort für ökonomische Verwüstungen. Staaten, die die amerikanische Eliteuni- dige internationale Staatenwelt könnte
Das Wachstum wird voraussichtlich im versität Yale untersucht hat. dazu beitragen, dass der chinesische
182
Soldaten marschieren CHINAS AUFSTIEG ALS GLOBAL PLAYER
kurz vor der Eröff-
nung der Olympi-
schen Spiele am er-
leuchteten National-
stadion in Peking vor-
bei. Die erfolgreiche letzten Tag der Veranstaltung haben
Durchführung der die Chinesen um ein mögliches Schei-
29. Olympiade tern des Festes gebangt. Die Angst vor
stärkte das Selbst- einer Blamage im Angesicht der Welt-
vertrauen Chinas. öffentlichkeit wegen technischen oder
Bis zum letzten Tag organisatorischen Versagens war groß.
der Veranstaltung Doch als die olympische Flamme aus
bangten die Chinesen Griechenland in China melancholisch,
um ein mögliches langsam, aber sicher erlosch, begriff
Scheitern. das Milliardenvolk, dass es Geschichte
picture alliance/dpa gemacht hat. Das Gefühl, dass China
in der Lage ist, die größte Sportveran-
staltung der Welt zumindest genauso
gut wie andere führende Industriestaa-
ten ausrichten zu können, erhöhte das
Selbstbewusstsein der Chinesen ge-
waltig. Dieses selbstbewusste China
wird die Welt auch in der nacholympi-
schen Zeit verstärkt, aber positiv spüren,
wenn es darum geht, den Mut zu mehr
Transparenz zu erhöhen.
Auch die Politik des nach wie vor au-
toritär regierten Landes ist durch die
Ausrichtung der Olympischen Spiele
liberaler geworden. Es ist zwar nicht
falsch, wenn aus der Sicht westlicher
Menschenrechtsorganisationen argu-
mentiert wird, dass es dem Westen nicht
gelungen ist, mit Hilfe der Olympiade
China zur Einführung westlicher Men-
schenrechtsstandards und einem Men-
schenrechtsregime gemäß den Konven-
tionen der Vereinten Nationen zu ver-
anlassen. Aber aus chinesischer Sicht
ist das, was während der Spiele mit der
Meinungs- und Pressefreiheit geschah,
ein gewaltiger Fortschritt. Zum ersten
Mal in der Geschichte der Volksrepub-
lik China konnten in- und ausländische
Journalisten derart frei über das Land
und seine Probleme berichten.
Es ist zu erwarten, dass das Regime die
bereits eingeführte Freiheit für die Me-
dien- und Berichterstattung weitgehend
belassen wird. Diese wieder rückgängig
zu machen, würde der pragmatischen
Mentalität der technokratischen Füh-
rung diametral widersprechen. Immer-
Reifungsprozess schneller und positiver rastrukturen – von den gigantischen hin würde eine Rückkehr zur „vorolym-
vorangetrieben wird. Je mehr interna- Sportanlagen über die topmodernen pischen Informationspolitik“ nur mit ei-
tionale Verantwortung China übertra- Flughafenterminals bis hin zu den erst- nem Loyalitätsverlust der chinesischen
gen wird, desto selbstbewusster und klassigen U-Bahnsystemen – enorm ge- Journalisten gegenüber dem Staat und
verantwortlicher wird sich es verhalten. ändert hat. Die durch die Olympischen mit einer Verschlechterung des interna-
Dass die Ausrichtung der Olympischen Spiele im Land herbeigeführten Verän- tionalen Ansehens des Landes möglich
Sommerspiele 2008 letztlich positiv zum derungen haben eher ideellen als ma- sein. Diesen hohen Preis zu bezahlen,
Reifen des Landes beigetragen hat, ist teriellen Charakter. China ist nicht mehr scheint die Parteiführung noch keinen
ein überzeugendes Beispiel dafür. dasselbe Land wie vor der 29. Olympia- Anlass gefunden zu haben.
Die These, dass die Olympiade in Chi- de, auf die das Land sieben Jahre lang Erstaunlicherweise sind die Chinesen
na politisch wie gesellschaftlich keine mit großen Anstrengungen hingearbei- durch die olympischen Spiele auch
Spuren hinterlassen habe, verkennt die tet hatte. nüchterner geworden, wenn es darum
tatsächlichen Veränderungen. Nicht Die erfolgreiche Ausrichtung der Olym- geht, die Einstellung der Welt gegen-
deswegen, weil das Gesicht Pekings pischen Spiele stärkte vor allem das über China zu beurteilen. Insbesondere
sich durch die neu entstandenen Inf- Selbstbewusstsein Chinas. Bis zum bei den relativ gut informierten jungen
183
Xuewu Gu
Chinesen ist zu beobachten, dass sie China rasch seinen Einfluss geltend. Su- tengemeinschaft hat die chinesische
bei der Rezeption des westlichen Chi- dan, Angola und Simbabwe sind nur ei- Führung letztlich veranlasst, der erstge-
nabildes realistischer geworden sind. nige Musterbeispiele hierfür. nannten Option die Priorität einzuräu-
Dass China nicht nur Freunde, sondern Im Fall von Sudan ergab sich für China men. Im Sommer 2007 stimmte China als
auch viele Kritiker, ja sogar entschiede- durch das Zusammenspiel von inneren Vetomacht im UN-Sicherheitsrat dann
ne Gegner in der Welt hat, haben die Unruhen und internationaler Isolation doch einer humanitären Intervention
Chinesen durch die weltweite Unter- des afrikanischen Staates eine günsti- im Darfur-Konflikt zu. Nach jahrelanger
stützung der Exil-Tibeter und die scho- ge Konstellation. Wenn die westlichen Unterstützung des Regimes in Khartum
nungslose Kritik des chinesischen Sys- Staaten es ihren Unternehmen nicht reagierte Peking damit auf die wach-
tems mit großem Schmerz zur Kenntnis untersagt hätten, dort Ölgeschäfte zu sende internationale Kritik.
nehmen müssen. Viele fühlten sich ver- betreiben, läge die Ölindustrie Sudans Der Trend zur Nichteinmischung in die
wirrt, aber noch mehr erkannten, dass noch in der Hand amerikanischer und inneren Angelegenheiten afrikanischer
die Welt in der Tat nicht aus „One world, französischer Ölkonzerne. Ohne den Staaten wird stets dann beibehalten,
one dream“ besteht und die politischen Rückzug der westlichen Unternehmen wenn es darum geht, afrikanische Re-
Bestrebungen Pekings manchmal auf hätten die Chinesen kaum eine Mög- gierungen zur Kooperation zu gewin-
Unverständnis oder sogar Widerstand lichkeit gehabt, in Sudan Fuß zu fassen. nen. Anders als die Kredite westlicher
anderer Nationen stoßen können. Der Sudan hat sich zu einem gewinn- Geberländer sind die chinesischen In-
Diese ernüchternde Erkenntnis ermutigt bringenden Projekt für Chinas Engage- vestitionen und Finanzspritzen nicht an
nicht wenige Menschen in China, sich ment in Übersee entwickelt. Die gesam- politische Konditionen – wie beispiels-
mit der Politik des eigenen Landes kri- te Ölinfrastruktur und Ölproduktions- weise Demokratie, Transparenz und
tisch auseinanderzusetzen und objektiv kette Sudans – von der Erdölgewinnung die Einhaltung von Menschenrechten –
nach den Ursachen der internationa- im Ölfeld der sudanesischen Provinz geknüpft. Die politischen Eliten Afrikas
len Kritik zu suchen. So gesehen kann Kordofan über Raffineriekapazitäten empfangen China daher mit offenen
man durchaus konstatieren, dass das in Khartum bis hin zum Öltransport Armen. Diese Abneigung gegen poli-
chinesische Volk als Ganzes durch die durch die 750 Kilometer lange Pipeline tische Konditionen im Rahmen interna-
intensiven Auseinandersetzungen mit nach Port Sudan an der Küste des Roten tionaler Kooperationen geht teilweise
der Weltöffentlichkeit vor und während Meeres – befinden sich fest unter der auf historische Erfahrungen zurück, die
der Spiele politisch reifer geworden ist. Kontrolle des größten chinesischen Öl- die Chinesen beim Umgang mit west-
Hierin besteht die eigentliche, nicht- unternehmens CNPC (China National lichen Mächten machen mussten. Sie
sportliche, aber dennoch wertvolle Petroleum Corporation). An der staat- begründet sich teilweise auch im Zwei-
Leistung, die die 29. Olympischen Spie- lichen sudanesischen Erdölgesellschaft fel der politischen Eliten Chinas an der
le in Peking gebracht haben. GNPOC (Greater Nile Petroleum Ope- Wirkung und Effektivität internationa-
rating Company) ist China bereits seit ler Sanktionen. Beijing (Peking) vertritt
1996 größter Anteilseigner mit derzeit nach wie vor die Auffassung, dass Sank-
Afrika als Übungsplatz 40 Prozent des Kapitalbesitzes. tionen, die leicht zu Eskalation führen
Durch ihre verspätete Zustimmung für könnten, nur im Ausnahmefalle verhängt
Als „verspäteter“ Global Player sucht die von den Vereinten Nationen initiier- werden sollten.
die Volksrepublik China intensiv nach ten Sanktionen gegen die sudanesische Ein weiteres Motiv für die Zurückhaltung
Regionen, in denen ein geopolitisches Regierung im UN-Sicherheitsrat hat sich der chinesischen Führung gegenüber
Vakuum herrscht, um den chinesischen die chinesische Regierung den Zorn der dem westlichen Modell, Investitionen
Einfluss geltend zu machen. Afrika wur- westlichen Welt zugezogen. Im Sudan- und Maßnahmen der Entwicklungshil-
de hierbei als idealer Übungsplatz ent- Darfur-Konflikt blockierte China, das fe an politische Konditionen zu binden,
deckt, auch wenn das chinesische Enga- 2004 erst einer entschärften Resolution kann auch darin gesehen werden, dass
gement mit den afrikanischen Staaten des Sicherheitsrates zugestimmt hat- sich China in Afrika von den westlichen
auf die 1950er Jahre zurückgeht. Nach te, ein entschiedenes Vorgehen gegen Mächten abheben möchte. In Ango-
dem Ende des Ost-West-Konflikts profi- Khartum. Die Abwägung zwischen der la, dessen größter Handelspartner die
tiert China von der schwachen Präsenz Absicherung der nationalen Energiever- USA sind, hat China inzwischen die
der USA, Europas, Russlands und Japans sorgung und einem Entgegenkommen Chance begriffen und eigenes Profil
in Afrika südlich der Sahara. Die chine- gegenüber der internationalen Staa- gezeigt. Der Einstieg in den von Ame-
sische Politik und Wirtschaft zeigen sich rikanern dominierten Markt in Angola
immer entschlossener, dieses Vakuum war – aufgrund der dortigen Erdöl- und
UNSER AUTOR
184
rauf verwirkt, anders als die westlichen China bleibt eine Herausforderung CHINAS AUFSTIEG ALS GLOBAL PLAYER
Geldgeber zu sein. Und drittens drohte
ein erheblicher Marktverlust: Dass die China stellt für den Westen eine ernst-
Ambitionen auf die Ölfelder Angolas zunehmende Herausforderung dar.
durch eine Kreditverweigerung der chi- Das Konzept „friedlicher Aufstieg“ (he-
nesischen Regierung durchkreuzt wer- ping jueqi) zur Weltmacht und damit bleibt China gegenwärtig noch aus-
den könnten, war die größte Sorge chi- die Integration in die Weltwirtschaft geschlossen. Nur aus amerikanischen
nesischer Ölkonzerne. kann durchaus dialektisch verstanden Think-Tanks werden die Stimmen nach
Die chinesische Afrika-Politik ist zwar als werden: Es verkörpert nicht nur die chi- einem Umdenken immer lauter. Von ei-
solche nicht antiwestlich ausgerichtet, nesische Bereitschaft nach nationaler ner G 2-Herrschaft im Sinne einer chi-
verengt aber in der Praxis die politischen Erneuerung bei gleichzeitigem Verzicht nesisch-amerikanischen Führerschaft in
Optionen westlicher Staaten in Afrika. auf militärische Mittel. Es ist ebenfalls Kooperation mit den „zweiten Welt-
Mit ihrer an Konditionen gebundenen als ein Angebot der Volksrepublik Chi- ländern EU, Russland und Indien“ (Fred
Afrika-Politik, die eine Kooperation nur na an die etablierten Mächte zu verste- Bergstein) oder einer G 3-Konstruktion
dann zulässt, wenn die afrikanischen hen: Lasst uns aufsteigen und wir ver- von Amerika, China und Europa (Parag
Partner bereit sind, bestimmte politische sprechen, dies friedlich zu tun. Khanna) ist dort die Rede.
Reformen in Richtung Demokratie und Aus chinesischer Sicht bedeutet „fried- Aus dem europäischen Elitenkreis ist je-
Menschenrechtsschutz durchzuführen, lich“ in diesem Kontext den Willen, die doch noch wenig Kreatives zu hören.
werden die USA und die EU wegen der vorhandene internationale Ordnung, Es herrscht noch kollektives Schweigen
chinesischen Präsenz auf dem Kontinent von der China profitieren will, nicht in auf dem Kontinent – hoffentlich nicht zu
erhebliche Probleme bekommen. Denn Frage zu stellen. China ist in den letz- lange. Der Eindruck, dass Europa dem
mit seiner nicht an Konditionen gebun- ten Jahren allen regionalen und inter- „friedlichen Aufstieg“ Chinas intellektu-
denen Afrika-Politik stellt das „Reich der nationalen Institutionen beigetreten, ell nicht gewachsen wäre, muss durch
Mitte“ eine praktische Alternative zur die diese Ordnung symbolisieren. Dies kreatives Denken und schnelles Han-
Verfügung. Afrikanische Staaten müs- sind Institutionen, die unter amerikani- deln vermieden werden.
sen sich dem westlichen Druck nicht scher und europäischer Federführung
mehr beugen, sondern richten ihren errichtet wurden, um die liberale Wirt-
Blick gen China – wie dies Simbabwe schaftordnung aufrechtzuerhalten: von
unlängst angekündigt hat. Dies ist ein der Welthandelsorganisation (WTO)
Grund, warum von westlichen Ländern, über die Weltbank bis hin zum Interna-
auf deren Kosten die chinesische Of- tionalen Währungsfonds. ANMERKUNGEN
fensive geht, Pekings Vorgehen in Afrika China, erstarkt durch sein Gewicht in
1 Die Generalversammlung der Vereinten Na-
als Unterstützung diktatorisch regierter der Weltwirtschaft, lässt jedoch zu- tionen beschloss am 25. Oktoer 1971, die VR Chi-
Staaten gebrandmarkt wird. Aber auch nehmend erkennen, dass es nicht mehr na als einzig rechtmäßigen Vertreter des chinesi-
reformwillige afrikanische Staaten wür- bereit ist, sich vorhandenen Ordnungs- schen Volkes anzuerkennen und ihre Vertreter in
den es wagen, mit den westlichen Ge- vorstellungen nur zu unterwerfen. Sein den UN-Organen gegen die „nationalchinesi-
berländern über bessere Konditionen Verhalten bei Fragen des Klimawan- schen“ Vertreter auszutauschen. Seit diesem Aus-
tausch der Volksvertretungen ist Taiwan bis heute
zu feilschen, weil sie ständig die Chi- dels, der Energieversorgung, der Ent- nicht mehr in den Vereinten Nationen vertreten.
nakarte als Trumpf in der Hand haben. wicklung des afrikanischen Kontinents, 2 Der Gini-Koeffizient – oder auch Gini-Index
In der Tat haben die westlichen Staaten in der Doha-Runde 3 sowie bei der Be- – ist ein statistisches Maß, das von dem italieni-
wegen der Existenz des „China-Faktors“ handlung des Iran zeigt, dass die chi- schen Statistiker Corrado Gini zur Darstellung
von Ungleichverteilungen entwickelt wurde. Der
einen Teil ihrer Initiative auf dem afri- nesische Führung in vielen globalen Koeffizient kann z.B. als Kennzahl für die Un-
kanischen Kontinent bereits verloren, Zukunftsaufgaben vom Westen abwei- gleichverteilung von Einkommen oder Vermögen
wenn es darum geht, Geschwindigkeit, chende Vorstellungen hat. eingesetzt werden. Der Wert kann beliebige Grö-
Prioritäten und Themen der politischen Im Westen herrscht zwar die Auffas- ßen zwischen 0 und 1 annehmen. Je näher der
und wirtschaftlichen Entwicklung in Af- sung, dass diese Aufgaben ohne eine Gini-Koeffizient an 1 ist, desto größer ist die Un-
gleichheit.
rika zu beeinflussen. An China kommt angemessene Mitwirkung Chinas nicht 3 Als Doha-Runde – oder auch Doha-Entwick-
man heute in Afrika nicht mehr vorbei. wirklich gelöst werden können. Aber lungsagenda – wird ein Paket von Aufträgen be-
China hat augenblicklich einen guten auf politischer Ebene bewegt sich noch zeichnet, welche die Wirtschafts- und Handels-
Ausgangspunkt, muss jedoch einen zu wenig, was zur einen größeren mit- minister der WTO-Mitgliedstaaten auf einer
Konferenz in Doha bearbeiten und bis 2005 ab-
Weg finden, um nicht nur das Wohlwol- wirkenden Rolle Chinas bei der Ge- schließen sollten. Aufgrund unterschiedlicher An-
len der Afrikaner, sondern auch die Zu- staltung einer neuen Weltordnung füh- sichten der WTO-Mitglieder kam es bisher nicht
stimmung des Westens zu erreichen. ren könnte. Vom Kreis der G 8-Staaten zu einem Verhandlungsabschluss.
IMPRESSUM
Die Zeitschrift „Der Bürger im Staat“ wird herausgegeben von der LANDESZENTRALE FÜR POLITISCHE BILDUNG Baden-Württemberg.
Direktor der Landeszentrale: Lothar Frick
Redaktion: Siegfried Frech, Stafflenbergstraße 38, 70184 Stuttgart, Telefax (07 11) 16 40 99–77.
Herstellung: Schwabenverlag Media der Schwabenverlag AG, Senefelderstraße 12, 73760 Ostfildern (Ruit),
Telefon (07 11) 44 06–0, Telefax (07 11) 44 23 49
Vertrieb: Verlagsgesellschaft W. E. Weinmann mbH, Postfach 12 07, 70773 Filderstadt,
Telefon (07 11) 7 00 15 30, Telefax (07 11) 70 01 53 10.
Preis der Einzelnummer: EUR 3,33, Jahresabonnement EUR 12,80 Abbuchung.
Die namentlich gezeichneten Artikel stellen nicht unbedingt die Meinung der Redaktion dar. Für unaufgefordert eingesandte Manu-
skripte übernimmt die Redaktion keine Haftung.
Nachdruck oder Vervielfältigung auf Papier und elektronischen Datenträgern sowie Einspeisung in Datennetze nur mit
Genehmigung der Redaktion.
185
CHINAS RASANTE ÖKONOMISCHE ENTWICKLUNG
der drittgrößten Handelsnation mit ei- und Triebkräften der chinesischen „Er-
Die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte nem Anteil von gut acht Prozent an den folgsgeschichte“ und der Nachhaltig-
Chinas ist beispiellos und ein erstaunli- Weltexporten und einem der wichtigs- keit der das chinesische „Wirtschafts-
ches Phänomen zugleich. Noch vor eini- ten Gastländer für Direktinvestitionen wunder“ befeuernden Wachstums- und
gen Jahren wurden die chinesischen avanciert. Keine andere Volkswirtschaft Entwicklungsimpulse. Im Zuge einer
Staatsunternehmen als reformunfähig hat je zuvor eine derartig dynamische Annäherung an diese Problemstellung
und marode belächelt, heute beliefert und lang anhaltende Entwicklung wird im Folgenden zunächst die histo-
Chinas Exportwirtschaft die gesamte durchlaufen. Die „Wirtschaftswunder“ rische Ausgangslage dargelegt bevor
Welt mit ihren Produkten. China hat den in Deutschland, Japan und Südostasi- dann der Ideologiewechsel der Ägide
Wandel vom Billiglohnland zum High- en werden durch den chinesischen Auf- Deng Xiaoping und der institutionel-
tech-Standort vollzogen und überrascht schwung klar in den Schatten gestellt. le Wandlungsprozess vom Plan zum
als drittgrößte Volkswirtschaft der Erde Es stellt sich von daher die Frage nach Markt in ihrer die wirtschaftliche Ent-
mit zweistelligen Wachstumsraten. Wo- den spezifischen Rahmenbedingungen wicklung fördernden Funktion näher
her kommt dieser Erfolg? Markus Taube
erörtert, ausgehend vom Scheitern des
maoistischen Entwicklungsmodells über Abbildung 1: Das chinesische „Wirtschaftswunder“ – Expansion von BIP und
die Reformära unter Deng Xiaoping bis
BIP pro Kopf
hin zum Wandel von der Plan- in die so
genannte Sozialistische Marktwirtschaft,
die spezifischen Rahmenbedingungen, 1.500
Entwicklungsimpulse und Triebkräfte
des chinesischen Wachstums, diskutiert
die Einbindung Chinas in die internatio- 1.400 BIP
nale Arbeitsteilung und beschreibt den
Wandel von der „passiven“ Einbindung 1.300 BIP pro Kopf
als „Werkbank der Welt“ hin zu einem
eigenständigeren Wachstums- und Ent-
wicklungspfad. Obwohl Unternehmen 1.200
mit ausländischem Kapitalanteil nach
wie vor die zentrale Stütze der chinesi- 1.100
schen Wirtschaft und ihres Wachstums-
erfolges darstellen, präsentiert sich in
jüngster Zeit ein ökonomisch „gereiftes“
1.000
China auf der Weltbühne.
900
800
Einführung
700
Seit Beginn der von Deng Xiaoping
eingeleiteten Reform- und Öffnungs-
politik ausgangs der 1970er Jahre hat 600
die chinesische Volkswirtschaft einen
historisch einzigartigen Wachstums- 500
und Entwicklungsprozess durchlaufen.
Zwischen 1978 und 2007 ist das Brut-
toinlandsprodukt (BIP) im Jahresdurch- 400
schnitt um über zehn Prozent ange-
stiegen. Die wirtschaftliche Leistungs- 300
erbringung des Landes insgesamt ist
während dieser 30 Jahre um das Fünf- 200
zehnfache angewachsen; das Bruttoin-
landsprodukt pro Einwohner um mehr
als das Elffache (vgl. Abbildung 1). Bis 100
1978
1979
1980
1981
1982
1984
1985
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2006
2007
186
betrachtet werden. Im Anschluss wer- wendung zuzuführen. Über ein gutes GRUNDLAGEN, TRIEBKRÄFTE
den die zentralen Wachstumstreiber Jahrzehnt hinweg war Chinas Kapital- UND PERSPEKTIVEN DES
des chinesischen Aufstiegs vorgestellt. stock nach Maßgabe eines militärstra- WIRTSCHAFTLICHEN AUFSTIEGS
Diese Darstellung wird sodann vertieft tegischen Kalküls gebildet worden und
durch eine ausführliche Diskussion der hatte Ende der 1970er Jahre schließlich
Bedeutung, die Chinas Einbindung in jeglichen Bezug zu den bestehenden
die internationale Arbeitsteilung für die gesamtwirtschaftlichen Knappheitsre- sondern stattdessen das Missverhältnis
wirtschaftliche Entwicklung des Landes lationen verloren. China befand sich zu zwischen der mangelnden Leistungs-
hatte. Die sich in diesem Kontext ab- diesem Zeitpunkt weit entfernt von dem fähigkeit der Volkswirtschaft und den
zeichnenden Verschiebungen hin zu best practice der Weltwirtschaft und materiellen Bedürfnissen der Bevölke-
einer größeren Eigenständigkeit des wies somit substantielles Potential zur rung.
chinesischen Wachstums- und Entwick- Erschließung einer Entwicklungslücke Mit einem Schlag war somit der
lungspfades stehen im Folgeabschnitt im Sinne des Konzepts „nachholenden Schwerpunkt aller politischen Arbeit
zur Diskussion. Der Beitrag schließt mit Wachstums“ auf. Um diese Potentiale vom „Klassenkampf“ verlagert worden
einer Betrachtung der weiterführenden aber auch wirklich umsetzen zu kön- auf die Wirtschaftspolitik. Während
Entwicklungs- und Wachstumsperspek- nen, mussten zunächst die aufgesetzten zuvor ökonomische Zielsetzungen und
tiven der chinesischen Volkswirtschaft. Pfadabhängigkeiten und Systemträg- Rationalitätsüberlegungen einem ideo-
heiten überwunden werden. Dies wie- logisch-klassenkämpferischen Primat
derum konnte nur geschehen im Zuge untergeordnet worden waren, wurden
Die historische Ausgangsposition eines Bruchs mit grundlegenden Wert- nun die Förderung der wirtschaftlichen
vorstellungen und Überzeugungen der Entwicklung und die Ausbildung von
Der Startpunkt des modernen chine- maoistischen Leitideologie. 3 leistungsstarken ökonomischen Struktu-
sischen „Wirtschaftswunders“ liegt ren zum Primat der politischen Arbeit.
letztlich in dem ultimativen Scheitern Die derart herbeigeführte ideologische
des maoistischen Entwicklungsmodells Ideologisches Fundament und Fundierung einer grundlegenden Umge-
begründet. Zum Ausgang der 1970er wirtschaftspolitische Leitbilder staltung des ökonomischen Ordnungs-
Jahre befand sich die chinesische rahmens wurde auf dem 14. Parteikon-
Volkswirtschaft in einem weitgehend Der entscheidende Impuls zum Bruch mit gress im September 1992 durch die
dysfunktionalen Zustand und war nicht der herrschenden Ideologie ergab sich Erhebung des Konzepts der „Sozialisti-
mehr in der Lage, das ökonomische Fun- schließlich mit der Erkenntnis, dass der schen Marktwirtschaft“ zum Leitprinzip
dament bereitzustellen, um Staat und von Hua Guofeng eingeleitete neuer- der ordnungspolitisch-institutionellen
Gesellschaft in die Zukunft zu führen. liche Versuch, mit einer investitionsge- Ausgestaltung der chinesischen Wirt-
China partizipierte auch nicht an den triebenen, schwerindustriell ausgerich- schaftsordnung noch einmal substanti-
wohlfahrtsfördernden Effekten der in- teten Entwicklungsstrategie die ökono- ell ausgeweitet. Im offiziellen Sprach-
ternationalen Arbeitsteilung und war mischen Probleme des Landes zu lösen, gebrauch wurde nun erklärt, dass der
faktisch kein konstituierender Bestand- zu einem grandiosen Scheitern verur- Marktmechanismus lediglich ein Instru-
teil der Weltwirtschaft.1 Nachdem teilt war. ment zur Forcierung der wirtschaftlichen
bereits mit dem katastrophalen Fehl- Unter der Führung Deng Xiaopings Entwicklung sei und keineswegs ein defi-
schlag des „Großen Sprungs nach vorn“ übernahmen Ende des Jahres 1978 nierendes Charakteristikum des Gesell-
(1958–1959) die Volkswirtschaft nach- reformorientierte Kräfte innerhalb der schaftssystems. Auch bei Anliegen einer
haltig geschwächt worden war, war sie Kommunistischen Partei die Macht und marktwirtschaftlichen Wirtschaftsord-
anschließend im Rahmen der „3.-Front- setzten auf dem 3. Plenum des 11. Zen- nung könne und werde in China weiter-
Strategie“ (1964–1979) 2 in Strukturen tralkomitees im Dezember 1978 durch, hin eine sozialistische Gesellschaftsord-
überführt worden, die in keiner Weise dass als Hauptwiderspruch innerhalb nung umgesetzt. Mit dieser revolutio-
geeignet waren, die der Volkswirtschaft der chinesischen Gesellschaft nun nicht nären Umdeutung eines Eckpfeilers der
zur Verfügung stehenden Ressourcen in mehr der Antagonismus zwischen Bour- marxistischen Lehre wurde der Weg frei
effizienter Weise einer produktiven Ver- geoisie und Proletariat definiert wurde, gemacht für den forcierten Aufbau einer
funktionsfähigen Marktwirtschaft. Ideo-
logiegeleitete Debatten über die Kom-
Tabelle 1: Die Weltwirtschaft und ihre Akteure im Vergleich – Absolute Größe patibilität einzelner ökonomischer Re-
nationaler Volkswirtschaften in Mrd. US-Dollar auf Kaufkraftparitätenbasis formmaßnahmen mit den Grundwerten
der sozialistischen Bewegung konnten
Weltwirtschaft 54.980 100,0% nun entfallen. Der ordnungspolitisch-
institutionelle Aufbau einer marktwirt-
EU-25 13.019 23,7
schaftlichen Ordnung konnte nun mit al-
USA 12.376 22,5 ler Kraft angegangen werden.
VR China 5.333 9,7 Mit dieser Ablösung von dem bishe-
Japan 3.870 7,0 rigen Entwicklungskontinuum wurden
unternehmerische Freiräume eröffnet,
Deutschland 2.515 4,6 in denen sich der Prozess dynamischer
Indien 2.341 4,3 institutioneller und realwirtschaftlicher
Großbritannien 1.902 3,5 Entwicklung entfalten konnte.
Frankreich 1.862 3,4
Russland 1.698 3,1 Vom Plan zum Markt
Italien 1.626 3,0
Brasilien 1.585 2,9 Ausgehend von einem gegebenen Satz
an Produktionsfaktoren (Arbeit, Boden
Daten: World Bank, Revision vom Dezember 2007. Eigene Darstellung. (d.h. Umwelt i. w. S.), Kapital) und ei-
187
Markus Taube
nem gegebenen technologischen Ni- verändert werden. Mit der Definition ei- tischen Vorgaben eine Parallelexistenz
veau wird die Leistungsfähigkeit einer nes neuen wirtschaftspolitischen Leitbil- von plan- und marktwirtschaftlichen
Volkswirtschaft in erster Linie von ihrer des ausgangs der 1970er Jahre hatten Ordnungsmechanismen zum Prinzip er-
Befähigung determiniert, diese Produk- die politischen Entscheidungsträger in hob. (Industriebetriebe wickelten ihre
tionsfaktoren möglichst effizient (d.h. Beijing (Peking) grundsätzlich die Vor- Produktion so z.B. zu einem Teil nach
Transaktionskosten sparend) zu kom- aussetzung für derartige Änderungen Maßgabe von Plandirektiven und zum
binieren und im Sinne einer bestmög- geschaffen. Ursprünglich bestand dabei anderen Teil nach den Gegebenheiten
lichen Reduzierung von subjektiv emp- lediglich die Absicht, durch einen partiel- der Marktnachfrage ab.) Diese – ur-
fundener Knappheit einzusetzen. In len Einbau marktwirtschaftlicher Institu- sprünglich wohl keineswegs bewusst
der dynamischen Perspektive tritt dann tionen die Leistungsfähigkeit des beste- entwickelte – Reformstrategie hat letzt-
noch die Befähigung hinzu, bestehende henden zentralverwaltungswirtschaftli- lich entscheidend dazu beigetragen,
Strukturen möglichst schnell und frikti- chen Ordnungssystems zu steigern. Ein dass der chinesische Transformations-
onsarm an Veränderungen in der – öko- Systemwechsel vom Plan zum Markt war prozess, im Gegensatz zu den osteuro-
nomischen – Umwelt anzupassen sowie nicht vorgesehen. Er ergab sich dann päischen und zentralasiatischen Trans-
das erreichte technologische Niveau allerdings „spontan“ aus der Logik des formationsländern, ohne das Phäno-
über die Zeit hinweg immer weiter zu institutionellen Wandels und der sich men einer den Wirtschaftsprozess er-
erhöhen, um so eine immer Ressourcen aufzeigenden Möglichkeiten, durch wei- schütternden Transformationsrezession
sparendere Nutzung der Produktions- terführende Reformen immer neue Wohl- vonstatten gehen konnte. Stattdessen
faktoren zu ermöglichen und Güter zur fahrtspotentiale zu erschließen. ist es gelungen, ein Kontinuum von ins-
Befriedigung von Bedürfnissen zu er- Kern des chinesischen Reform- und titutionellen (Übergangs)-Lösungen zu
stellen, die zuvor nicht realisiert werden Transformationsprozesses war das schaffen, das einen vergleichsweise
konnten. Prinzip eines langsamen Aus- bzw. Ein- friktionsarmen Übergang von zentral-
Das in der Volksrepublik China bis zum blendens institutioneller Arrangements, verwaltungswirtschaftlichen zu markt-
Ende der 1970er Jahre verfolgte zentral- d.h. individuelles Verhalten steuernder wirtschaftlichen Interaktionsstrukturen
verwaltungswirtschaftliche Ordnungs- Regelsätze und Anreizmechanismen, ermöglicht hat. Insbesondere ist es ge-
system war de facto nicht in der Lage, und der Verzicht auf kurzfristig um- lungen, eine schlagartige Entwertung
die in der Volkswirtschaft verfügbaren gesetzte radikale Brüche mit beste- von Human- und Sachkapital zu ver-
Produktionsfaktoren in statischer und henden Strukturen. Dieses phasing-in meiden und dieses stattdessen allmäh-
dynamischer Hinsicht hinreichend effizi- eines neuen Satzes von Institutionen lich umzuwidmen. 4
ent zu kombinieren. Um eine substantiel- erfolgte sowohl durch den langsamen, In diesem Zusammenhang sind auch
le Steigerung der volkswirtschaftlichen graduellen Ansatz der chinesischen staatliche bzw. kollektive Eigentums-
Leistungserbringung zu erzielen, musste Systemtransformation als auch durch rechte nicht mit einem Schlag in Privat-
daher zwangsläufig der institutionelle die Idee eines dual-track-Vorgehens, eigentum überführt worden. Stattdes-
Rahmen der ökonomischen Interaktion das entgegen aller wirtschaftstheore- sen folgte die Eigentumsstruktur dem in
Zeitpunkt Maßnahme
Januar 1979 Einrichtung einer Export-Produktionszone in Shekou (Shenzhen).
Die Provinzen Guangdong und Fujian werden mit Sonderrechten in Hinblick auf Außenhandel und
Mai 1980
die Attraktion ausländischer Direktinvestitionen ausgestattet.
Einrichtung von vier Sonderwirtschaftszonen (Shantou, Shenzhen, Zhuhai [in der Provinz Guang-
August 1980
dong], Xiamen [Provinz Fujian]).
Deklaration von 14 „Geöffneten Küstenstädten“ sowie der Insel Hainan; in einigen derselben wer-
April 1984
den zusätzlich spezielle Economic and Technological Development Zones eingerichtet.
Februar 1985 Öffnung dreier Deltaregionen (Perlfluss-Delta, Yangtse-Delta, Süd-Fujian-Delta).
März 1988 Ausweitung der geöffneten Küstenregion.
Die Insel Hainan wird aus der Provinz Guangdong herausgelöst und zur fünften Sonderwirtschafts-
April 1988
zone erhoben.
März 1991 Einrichtung von 21 High-Tech Development Zones.
1992 Einrichtung weiterer 18 Economic and Technological Development Zones.
Der Shanghaier Stadtteil Pudong wird geöffnet.
Juni 1992 Öffnung von 28 Hafenstädten entlang des Yangtse-Flusses.
Öffnung von 14 Grenzstädten.
März 1993 Einrichtung von 27 weiteren High-Tech Development Zones.
Inländische Regionen erhalten größere Gestaltungsfreiheiten in Hinblick auf ihre Außenwirtschafts-
1994–1996
beziehungen.
Im Kontext der Great Western Development Strategy erhalten westchinesische Provinzen größere Ent-
März 2000
scheidungsgewalten in Hinblick auf ihre Außenwirtschaftsbeziehungen.
China tritt der Welthandelsorganisation (WTO) bei. Beginn der Umsetzung weit reichender Libera-
Dezember 2001 lisierungsmaßnahmen und volkswirtschaftlicher Öffnungsschritte nach Maßgabe sektorspezifischer
Zeitpläne.
188
einem von grauen Märkten und politi- markt hin geöffnet und gleichzeitig vom GRUNDLAGEN, TRIEBKRÄFTE
schen Unternehmern geprägten Muster Rest der Volkswirtschaft abgeschottet UND PERSPEKTIVEN DES
von Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten. wurden. Die Gründung von vier Son- WIRTSCHAFTLICHEN AUFSTIEGS
Erst in dem Maße wie Marktprinzipien derwirtschaftszonen im Jahr 1980 er-
zum dominierenden Ordnungsprinzip füllte genau diesen Zweck (Es handelte
aufgestiegen waren und politische Ak- sich hierbei um Territorien in den Re-
teure an Einfluss auf individuelle Unter- gierungsbezirken Shantou, Shenzhen Neben diesen „intensiven“ Wachstums-
nehmensergebnisse verloren, sind auch und Zhuhai in der Provinz Guangdong impulsen ist in den vergangenen 30
exklusive Verfügungsrechtsstrukturen sowie Xiamen in der Provinz Fujian.). Jahren aber auch die Quantität der der
und private Eigentumstitel umfassend Von der Binnenwirtschaft abgeschottet Volkswirtschaft absolut zur Verfügung
implementiert worden. Diese jahrzehn- wurden sie zu Zollfreigebieten erklärt stehenden Produktionsfaktoren erheb-
telange Ambiguität von Eigentumstiteln und mit weit reichenden Sonderbestim- lich angestiegen. Zwischen 1980 und
hat letztlich keineswegs zu Allokations- mungen zur Attraktion ausländischer In- 2007 ist die Altergruppe der erwerbs-
effizienzen geführt, sondern hat viel- vestoren ausgestattet. Die Befähigung fähigen Bevölkerung (16–65 Jahre) von
mehr aufgrund ihrer jeweils gegebenen derartiger Arrangements, Entwick- 600 Millionen auf 920 Millionen Perso-
zeitpunktbezogenen Anreizkompatibi- lungs- und Wachstumsimpulse aus der nen angestiegen und hat das Angebot
lität die auf der ökonomischen und der Weltwirtschaft in die Binnenwirtschaft des Produktionsfaktors „Arbeit“ erheb-
politischen Ebene positionierten Unter- zu tragen, war allerdings zwangsläufig lich ausgebaut. Auch der Produktions-
nehmerpersönlichkeiten in hocheffizi- sehr beschränkt. Erst mit der sukzessi- faktor „Kapital“ war bei einer Sparquo-
enten Allianzen zusammengeführt. ven Ausweitung der zum Weltmarkt hin te von 30 bis 40 Prozent in mehr als hin-
geöffneten Teilbereiche der Volkswirt- reichendem Maße vorhanden. Kapital
schaft und einer Liberalisierung des Au- war in der jüngeren Geschichte faktisch
Chinas Öffnung zum Weltmarkt ßenhandelsregimes wurde es möglich, niemals ein bottleneck für die wirtschaft-
die entwicklungsfördernde Funktion der liche Entwicklung in China.
Eine der für die Entfaltung des chinesi- internationalen Arbeitsteilung allmäh- Um all die hier angesprochenen grund-
schen „Wirtschaftswunders“ wichtigs- lich zu erschließen (vgl. Tabelle 2). 6 legenden Wachstumstreiber aber auch
ten, aber wohl auch eine der schwie- wirklich mobilisieren zu können, bedurf-
rigsten Dimensionen der institutionel- te China findiger Unternehmer, die ren-
len Neuerung bildete die Öffnung der Wachstumstreiber diteträchtige Projekte aufspürten, die
chinesischen Volkswirtschaft zum Welt- vorhandenen Ressourcen in solchen zu-
markt. Der auf der Grundlage des oben skiz- sammenführten, das ökonomische Ge-
Bis zum Anheben der Reformbewegung zierten Ideologiebruchs und institu- flecht immer weiter ausdehnten und den
Ende der 1970er Jahre war die chinesi- tionellen Wandels angestoßene Pro- Strukturwandel vorantrieben. Derarti-
sche Volkswirtschaft, wie erwähnt, fak- zess wirtschaftlicher Entwicklung und ge Unternehmerpersönlichkeiten sind
tisch vollständig vom weltwirtschaftli- Wachstums in der Volksrepublik China nach dem ideologischen Neuanfang
chen Geschehen isoliert. Faktorallokati- ist wie eingangs dargestellt mehr als be- und dem Beginn der Reformpolitik in be-
on und Güterströme erfolgten losgelöst achtlich. Die Einstufung als „Wirtschafts- deutender Zahl zu Tage getreten. Und
von den auf dem Weltmarkt herrschen- wunder“ ist allerdings irreführend, da viele von ihnen haben ihr Handwerk von
den Knappheitsrelationen (und faktisch der chinesische Wachstumsprozess zum ausländischen und insbesondere Hong-
auch den tatsächlichen ökonomischen einen auf einem sehr niedrigen Niveau konger Managern erlernt.
Knappheiten der Binnenwirtschaft auf einsetzte und zum anderen die Mecha- De facto konnte die chinesische Volks-
der Grundlage eines hierarchisch nismen „nachholenden“ Wachstums wirtschaft während der allerersten
durchorganisierten Planungssystems. zum Tragen gekommen sind, durch die Phase ihrer weltwirtschaftlichen Öff-
Die verbliebenen rudimentären Kon- aufstrebende Volkswirtschaften quasi nung von einem historischen Glücksfall
takte zur Außenwelt wurden durch eine automatisch höhere Wachstumsraten profitieren. Zeitgleich mit der Öffnung
Reihe von „Adapter“-Organisationen 5 erzielen können, als die etablierten, des südchinesischen Perlfluss-Deltas
abgewickelt, die als „Luftschleusen“ zu führenden Wirtschaftsnationen. 7 hatte die Hongkonger Volkswirtschaft
den horizontalen Interaktionsstrukturen Die den chinesischen Wachstumspro- aufgrund steigenden Kostendrucks ein
der Weltwirtschaft fungierten und jegli- zess vorantreibenden Faktoren waren Entwicklungsstadium erreicht, dass ei-
che Übertragung von systemfremden und sind vielfältiger Natur. Schon al- nen grundlegenden Strukturwandel
Informationen und Signalen verhinder- leine durch die institutionelle Umge- erzwang. Die exportorientierte Leicht-
ten. Nur so konnte der Ordnungszusam- staltung der Wirtschaftsordnung sind industrie Hongkongs suchte genau zu
menhang des Binnenmarktes aufrecht- erhebliche Effizienzverbesserung bei jenem Zeitpunkt neue Entwicklungsper-
erhalten werden. – In diesem Umfeld der Allokation und Kombination der spektiven, als sich mit der Öffnung des
mussten Experimente mit einer Öffnung der Volkswirtschaft zur Verfügung ste- direkt angrenzenden festlandchinesi-
der Volkswirtschaft zum Weltmarkt wie henden Produktionsfaktoren ermöglicht schen Perlfluss-Deltas ein kostengüns-
ein Hantieren mit hochtoxischen Giften worden. In diesem Kontext ist u. a. ein tiger Produktionsstandort anbot. Im Er-
wahrgenommen werden. umfassender Strukturwandel vollzogen gebnis konnte so eine win-win Konstel-
Tatsächlich waren die ersten Schrit- worden im Zuge dessen Sektoren mit lation erzielt werden, die es einerseits
te zur Durchbrechung der binnenwirt- relativ geringer Arbeitsproduktivität Hongkonger Unternehmern ermöglich-
schaftlichen Isolation denn auch von (Landwirtschaft) an Gewicht verloren te, ihre bestehenden, grundsätzlich
größter Vorsicht und dem Bestreben und solche mit einer höheren Produktivi- erfolgreichen Geschäftsmodelle mit
geprägt, diese Experimente gegebe- tät (Industrie, Dienstleistungen) gewon- neuen, deutlich verbesserten Kosten-
nenfalls ohne größere Kosten wieder nen haben. Das heißt allein dadurch, strukturen fortzuführen, und es ande-
rückgängig machen zu können. Diese dass Arbeitskräfte von der Landwirt- rerseits festlandchinesischen Akteuren
Interessen konnten am besten durch schaft in die Industrie und letztlich den ermöglichte, innerhalb kürzester Zeit
die Ausweisung von Exklaven erfolgen, Dienstleistungssektor gewandert sind, einen tiefen Einblick in den Weltmarkt,
d.h. Industriezonen auf dem Territorium ist es gelungen, die gesamtwirtschaft- seine Strukturen und Usancen zu neh-
der Volksrepublik China, die zum Welt- liche Leistungserbringung zu steigern. men. Die Lehr-Funktion Hongkongs für
189
Markus Taube
die Ausbildung einer neuen Generati- Akteuren in den Weltmarkt eingeführt nas nicht nur sehr viel langsamer erfolgt,
on von weltmarktorientierten Unterneh- und somit eine entscheidende Funktion sondern in weiten Bereichen auch gänz-
mern in China kann nicht hoch genug für die Einbindung Chinas in die Welt- lich unmöglich gewesen.
geschätzt werden, sind es doch gera- wirtschaft gespielt.
de die fehlenden Kenntnisse über die Die überragende Bedeutung der welt-
Bedarfsstrukturen, Kaufgewohnheiten, wirtschaftlichen Integration für das An- Geborgtes Wachstum? –
spezifischen administrativen Anforde- heben des chinesischen „Wirtschafts- Chinas „passive“ Einbindung
rungen an technische Standards und wunders“ beschränkt sich allerdings bei in die Weltwirtschaft
Qualitätsanforderungen etc. in den Weitem nicht auf diese Ausbildungs-
OECD-Märkten, die Unternehmern aus funktion. Ohne die Einbindung Chinas in Das von Hongkonger Unternehmern
Entwicklungsländern einen eigenstän- die internationale Arbeitsteilung wären im Perlfluss-Delta angestoßene Mo-
digen – nicht von ausländischen Inves- die allokationseffiziente Ausrichtung dell der „passiven“ Einbindung Chi-
toren angeleiteten – Einstieg in diese des Wachstumspfades und die Erschlie- nas in die Weltwirtschaft hat letztlich
erschweren und einen solchen letztlich ßung substantiell höherer Dimensionen Modell gestanden für zwei Jahrzehn-
oftmals verhindern. Vor diesem Hinter- von Wachstumsdynamik kaum möglich te exportorientierten („vertikalen“) En-
grund haben Hongkonger Unternehmer gewesen. Ohne ihre Einbindung in die gagements ausländischer Investoren
eine kritische Masse von chinesischen Weltwirtschaft wäre der Aufstieg Chi- in China. Kern dieses Modells ist die
190
GRUNDLAGEN, TRIEBKRÄFTE
UND PERSPEKTIVEN DES
WIRTSCHAFTLICHEN AUFSTIEGS
191
Markus Taube
Bündel von Maßnahmen erzwungen, sischen Bruttoinlandsprodukts (BIP), ca. versorgt, diese aber nur dank massiver
dass u. a. die folgenden umfasst: 30 Prozent der industriellen Wertschöp- Vorproduktimporte herstellen kann und
local content-Auflagen und damit fung, und steht für über 55 Prozent der letztlich nur geringe eigene Wert-
Zwang zur Weitergabe von Produk- gesamten chinesischen Exportleistung. schöpfungsanteile beisteuert, wird suk-
tions-Know-how auf vorgelagerten Ihr Anteil an den chinesischen Exporten zessive abgelöst durch eine neue Ex-
Produktionsstufen; von Hochtechnologie-Gütern ist noch portstruktur. Diese wird nun gekenn-
sektorspezifischer Zwang zur Joint deutlich höher und erreicht in einzelnen zeichnet durch wachsende Wertschöp-
Venture-Bildung mit zum Teil explizit Produktgruppen 100 Prozent. Wichtiger fungsanteile am Endprodukt, eine
ausgewiesenen chinesischen Part- als diese Größenindikatoren sind aber breitere Nutzung inländischer Vorleis-
nern; relative Leistungsindikatoren. Und auch tungen und eine immer geringere Ab-
sektorspezifische Auflagen zur Grün- hier erweist sich der Sektor der auslän- hängigkeit von Vorprodukten aus Süd-
dung von F&E-Einrichtungen8 gekop- disch kapitalisierten Unternehmungen ostasien und anderen Weltregionen.
pelt an die Vergabe von Geschäftsli- dem inländischen Unternehmenssektor Einzelne chinesische Unternehmungen
zenzen; weit überlegen. Die Wachstumsdyna- emanzipieren sich von der Führungsrol-
mangelhafte Durchsetzung von Geset- mik ersterer liegt um das Dreifache über le ausländischer Konzerne und schrei-
zen und Bestimmungen zum Schutz letzteren, was dazu führt, dass auslän- ten nun erstmals eigenständig, mit ei-
geistigen Eigentums. dische Unternehmungen in den letzten genen Geschäftsmodellen, patentier-
Auf diese Weise ist es China gelungen, Jahren bis zu 40 Prozent zum chinesi- ten Technologien und Marken auf die
in überproportionalem Maße techno- schen Wirtschaftswachstum beigetra- Weltmärkte hinaus. Das heißt dem bis-
logisches Know-how aus dem Ausland gen haben. In Hinblick auf die Arbeits- her zu verzeichnenden einseitigen
einheimischen Unternehmen zugäng- produktivität stehen ausländisch ka- Strom von Direktinvestitionen nach Chi-
lich zu machen und zum Aufbau eige- pitalisierte Unternehmungen in einem na hinein wird nun ein zweiter daneben
ner Technologieträger und „national Leistungsverhältnis von 9 zu 1 zum chi- gestellt, der aus China herausführt und
champions“ zu nutzen. nesischen Unternehmenssektor insge- es chinesischen Unternehmungen er-
Der wichtigste Beitrag ausländischer samt bzw. 4 zu 1, wenn nur Unterneh- möglicht, in bislang nicht gekannter
Investoren für die Entwicklung der chi- men des industriellen Sektors betrach- Form aktiv und selbstbestimmt auf den
nesischen Volkswirtschaft dürfte aller- tet werden. Weltmärkten aufzutreten.
dings in der von ihnen angestoßenen Diese offensichtliche Zweiteilung der Während die erstere der hier angeführ-
Ausrichtung der Produktionsstrukturen chinesischen Unternehmenslandschaft ten Entwicklungslinien noch stark mit
an den komparativen Kostenvorteilen in einen leistungsstarken ausländisch der Präsenz ausländischer Investoren in
des Landes sein. Aufgrund ihrer Ex- kapitalisierten Sektor und einen deutlich China korreliert ist und durch diese in er-
portorientierung mussten ausländische rückständigeren einheimischen Sektor heblichem Maße vorangetrieben wird,
(und später dann auch rein chinesi- weist letztlich darauf hin, dass trotz der scheint die neuerlich in schnell wach-
sche) Investoren ihre Produktionsstruk- staatlichen Anstrengungen zur Erzwin- senden Volumina (18,7 Milliarden US-
turen streng an den komparativen Kos- gung eines Technologietransfers ein Dollar im Jahr 2007) zu beobachtende
tenvorteilen ausrichten. Dadurch wurde substantieller spillover von Know-how eigenständige Investitionstätigkeit chi-
nicht nur der (ausländisch kontrollierte) und eine dadurch induzierte Anglei- nesischer Unternehmungen im Ausland
Exportsektor in Richtung der komparati- chung der Produktivitätsniveaus beider eine neue Ära in der Einbindung Chinas
ven Kostenvorteile des Landes gedreht, Unternehmensgruppen nur höchst un- in die Weltwirtschaft einzuläuten.
sondern auch dessen vorgelagerten zureichend stattgefunden hat. Chinas Die Motive chinesischer Unternehmun-
Zulieferindustrien. In einem längerfristi- „passive“ Einbindung in die Weltwirt- gen, sich im Ausland zu engagieren,
gen Anpassungsprozess setzt sich die- schaft würde von daher auch einherge- sind vielgestaltig und tatsächlich nur
ser Ausrichtungsprozess schließlich bei hen mit einem vom Ausland „geborgten“ zum Teil als Ausdruck von „Stärke“ zu
allen grenzübergreifend handelbaren Wachstumsimpuls, der ohne ausländi- interpretieren. Ein wichtiger Beweg-
und nicht-handelbaren Gütern durch. sche Unternehmungen und insbeson- grund, den Sprung ins Ausland zu
Dessen ungeachtet bezeichnet die An- dere einen beständigen Zustrom neuer wagen, liegt letztlich nämlich auch in
reicherung der chinesischen Volkswirt- Direktinvestitionen nicht aufrecht zu er- dem Bestreben, dem exzessiven Wett-
schaft durch Unternehmungen mit aus- halten wäre. bewerb im chinesischen Heimatmarkt
ländischem Kapitalanteil und die durch zu entfliehen, wo in zahlreichen Bran-
diese betriebene rasche Einbindung chen massive Überkapazitäten das
Chinas in die internationale Arbeits- Paradigmenwechsel – China als Marktumfeld prägen und einen enor-
teilung keineswegs eine ungetrübte Er- „aktiver“ Gestalter der Weltwirtschaft men Kosten- bzw. Preisdruck ausüben,
folgsgeschichte. Grund hierfür ist in ers- was letztlich zu unterdurchschnittlichen
ter Linie die nur unzureichende Integra- Die oben skizzierte „passive“ Einbin- Rentabilitäten führt. Von größerer Be-
tion ausländischer Unternehmungen in dung Chinas in die Weltwirtschaft er- deutung sind insgesamt allerdings pro-
den nationalen Wirtschaftsverband. fährt in jüngster Zeit allerdings – jen- aktive, strategische Beweggründe, die
Stattdessen hat sich eine duale Struktur seits der weiterhin bestehenden starken die Elite der chinesischen Unternehmen
herausgebildet, die durch stark diver- Abhängigkeit von leistungsstarken aus- dazu veranlassen, den Sprung in die
gierende Leistungsparameter bei Unter- ländisch kapitalisierten Unternehmun- Weltwirtschaft zu wagen:
nehmungen mit ausländischem Kapital- gen im industriellen Gefüge des Landes Etablierung chinesischer Markenna-
anteil und rein chinesisch kapitalisierten – weit reichende Veränderungen, die men auf den OECD-Märkten und so-
Unternehmen geprägt ist. Unternehmen dazu beitragen können, den chinesi- mit Erschließung der „markierten Pro-
mit ausländischem Kapitalanteil (und schen Wachstumsprozess auch in den dukten“ erschließbaren profit pools;
hier insbesondere solche mit Investoren kommenden Jahren zu verstetigen. Die- Förderung von Vertriebsaktivitäten und
aus den OECD-Staaten) stellen die zen- ser Wandlungsprozess wird durch zwei Umgehung von Handelsbarrieren in
trale Stütze der chinesischen Wirtschaft größere Entwicklungslinien gekenn- einem Umfeld weltweit eskalierender
und ihres bisherigen Wachstumserfol- zeichnet: Handelsdispute;
ges dar. Diese Unternehmensgruppe Das Modell der Werkbank Chinas, die Verlagerung von Produktionsstätten im
erwirtschaftet ca. 20 Prozent des chine- die Welt mit leichtindustriellen Gütern Vorfeld einer erwarteten deutlichen
192
Aufwertung der chinesischen Wäh- Diese Allianz zwischen sehr ehrgeizi- GRUNDLAGEN, TRIEBKRÄFTE
rung und damit einhergehenden signi- gen Unternehmen und noch ambitio- UND PERSPEKTIVEN DES
fikanten Verschlechterung der preisli- nierteren Regierungsorganisationen – WIRTSCHAFTLICHEN AUFSTIEGS
chen Wettbewerbsfähigkeit chinesi- die mittlerweile auch über substantielle
scher Exportprodukte; finanzielle Mittel verfügen – weckt zu-
Erwerb von Forschungs- und Entwick- weilen den Eindruck, dass hier eine neu
lungskapazitäten und Innovations- gegründete „China AG“ sehr aktiv dar- können, die ihnen im Rahmen ihrer Ein-
kompetenz, die in China nicht zugän- um bemüht ist, sich die Welt zu erschlie- bindung in die globalen Wirtschafts-
gig ist, zur Stärkung der mittel- bis ßen und diese nach den eigenen Be- strukturen vorgestellt wurden.
langfristigen Wettbewerbsfähigkeit; dürfnissen (um)zugestalten. Tatsächlich Inwiefern dieses Muster „nachholen-
Sicherung des Zugangs zu Rohstoffen hat China in den letzten Jahren durch der Entwicklung“ auch in Zukunft das
und Ressourcen zur Aufrechterhaltung kombinierte ADI/ODA-Aktivitäten 10 in Wachstum der chinesischen Wirtschaft
der mittelfristigen Versorgungssicher- Afrika und Südamerika in einem Maße wird antreiben können, erscheint zu-
heit in einem Umfeld zunehmender strukturierend auf die Weltwirtschaft nehmend fraglich. Mit wachsender
Konkurrenz um knappe Rohstoffe. eingewirkt, wie es bislang nur den USA Komplexität der anliegenden instituti-
Übergeordnetes Ziel dieser Aktivitäten und westeuropäischen Staaten möglich onellen Strukturen, Geschäftsmodelle,
ist der Einzug chinesischer Unternehmun- schien. So wurden z.B. Investitionen von technologischen Grundlagen und Inter-
gen in die die wichtigsten Gütermärkte Baosteel in brasilianische Eisenerzvor- aktionsmuster wird die Ausrichtung an
der Weltwirtschaft beherrschenden Oli- kommen seitens der chinesischen Re- exogen vorgegebenen Vorbildern und
gopole. Der Shanghaier Joint Venture- gierung mit Entwicklungshilfeprojekten benchmarks immer schwieriger. Allein
Partner von Volkswagen, SAIC, hat so zum Bau einer transkontinentalen Eisen- schon die Identifikation geeigneter Vor-
z.B. bereits kommuniziert, dass das Un- bahntrasse und dem Ausbau eines pe- bilder gestaltet sich immer problemati-
ternehmen innerhalb der nächsten zehn ruanischen Tiefseehafens komplemen- scher; die Adaptation externer Modelle
bis 15 Jahre zu einem der sechs größten tiert. Durch diese Maßnahmen wird – im an lokale Gegebenheiten verlangt im-
Automobilkonzerne aufsteigen und die Vorhof der USA – eine neue Infrastruktur mer größere Anpassungsleistungen.
etablierte „6+3“-Struktur der globalen geschaffen, die an den Rohstoffbedürf- Ein phasing-out des bisherigen „nachho-
Automobilindustrie aufbrechen will. Un- nissen einer expandierenden chinesi- lenden Wachstumsprozesses“ bedeutet
ternehmen wie Baosteel (Stahl), Haier schen Volkswirtschaft ausgerichtet ist. allerdings keineswegs, dass die Wachs-
(„weiße Ware“ 9 ), Huawei (IuK-Technolo- Ähnliche Aktivitäten sind in Afrika zu tumsdynamik der chinesischen Volks-
gien), Lenovo (Computer), TCL (TV-Ge- beobachten, wo China insbesondere in wirtschaft damit verloren gehen müsste.
räte, „braune Ware“) verfügen bereits Angola und im Sudan ökonomische In- Notwendig für eine Fortsetzung der chi-
heute in ihren spezifischen Gütermärk- teressen mit üppigen „Entwicklungshil- nesischen „Erfolgsgeschichte“ ist aber
ten – auch global – über beachtliches feleistungen“ untermauert und eine auf unbedingt eine stärkere Hinwendung
Gewicht und Einfluss und sind auf dem seine eigenen langfristigen Rohstoffbe- zu einem bislang weit untergewichte-
besten Weg, die bestehenden globalen dürfnisse und Exportinteressen ausge- ten potentiellen Wachstumsparameter:
Oligopolstrukturen neu zu gestalten. richtete Infrastruktur schafft. dem inländischen Konsum. Chinas ca.
Die chinesische Regierung, die in star- Aus der Gesamtperspektive betrach- 20 Prozent der Weltbevölkerung reprä-
ken einheimischen Unternehmen eine tet erscheint somit in jüngster Zeit ein sentieren heute nur drei Prozent des glo-
wichtige Voraussetzung für die Durch- ökonomisch „gereiftes“ China auf der balen Konsums. Eine „Normalisierung“
setzung chinesischer Interessen auf der Weltbühne, das aus der bisherigen dieser Relation birgt immenses Wachs-
internationalen, politischen wie ökono- passiven Einbindung in die internatio- tumspotential für die chinesische Volks-
mischen Bühne sieht, ist gerne bereit, nale Arbeitsteilung herauswächst und wirtschaft. Dabei könnte dieser Wachs-
die auf eine Stärkung ihrer globalen nun aktiven Einfluss auf den Weltmärk- tumsfaktor vergleichsweise schnell mo-
Positionierung ausgerichteten Aktivitä- ten gewinnt, der ihm bislang verwehrt bilisiert werden, wenn es gelingt, pri-
ten chinesischer Unternehmer zu unter- geblieben war. Diese Entwicklung stärkt vate Kaufkraft freizusetzen, die derzeit
stützen. Unternehmungen, die sich als den chinesischen Unternehmenssektor noch in Ersparnissen gebunden ist, wel-
staatlicher Förderung würdig erwiesen und die Volkswirtschaft als ganze, die che aus Unsicherheit über die Versor-
haben, können so von einem breiten Abhängigkeiten von den von außen vor- gung im Falle von Alter, Arbeitslosigkeit
Spektrum staatlicher Unterstützungs- gegebenen Strukturen ablegen kann. oder Krankheit gehalten werden. Die
maßnahmen profitieren. Diese umfas- Insgesamt trägt dieser Prozess zu einer Etablierung eines verlässlichen Sozial-
sen u. a. folgende Bereiche: produktiveren Verwendung der Chi- versicherungssystems könnte von daher
Befreiung von administrativen Aufla- na zur Verfügung stehenden Produkti- entscheidende Bedeutung für die Entfal-
gen im Außenwirtschaftsverkehr; onsfaktoren bei und erhöht zudem die tung der chinesischen Volkswirtschaft in
Zugang zu subventionierten Kreditlini- Entlohnung derselben durch einen nun- der nächsten Dekade besitzen.
en; mehr erlangten direkten Zugang zu den Mit der Ablösung der bisherigen
umfassende Steuererleichterungen; profit pools der Weltwirtschaft. Wachstums- und Entwicklungsmuster
bevorzugten Zugang zu Geschäftsli- wird China in den kommenden Jahren
zenzen; große Anstrengungen zur Stärkung ei-
materielle und institutionelle Unterstüt- Perspektiven: Die Binnenwirtschaft gener Innovationskapazitäten und der
zung bei der Etablierung eigener Mar- als Wachstumsträger Erlangung „chinesischer“ Schlüssel-
kennamen; technologien und Patente unternehmen
materielle und institutionelle Unterstüt- Der Volksrepublik China ist es über müssen. Die Wirtschaftspolitik hat sich
zung bei der Entfaltung eigenständi- drei Jahrzehnte hinweg gelungen, die dieser Aufgabenstellung bereits ange-
ger F&E- Aktivitäten; Wachstumspotentiale nachholender nommen und mit einer Ausbildungsof-
Protektion vor ausländischen Konkur- Entwicklung zu realisieren. Dabei ha- fensive sowie dem Medium to Long-term
renten; ben sich die chinesische Volkswirtschaft Program on Technological and Scientific
eigenen Direktinvestitionen komple- insgesamt und ihre Unternehmungen Development ein durchaus schlagkräfti-
mentäre Entwicklungshilfeleistungen im Speziellen immer wieder von neuem ges Rahmenprogramm eingerichtet, das
an Drittländer. an Modellen und Vorbildern ausrichten dazu beitragen soll, den Beitrag des
193
Markus Taube
technologischen Fortschritts zum Wirt- schaftlich sinnvolle und aus sich selbst heraus über den „Nachzügler“ höhere Wachstumsraten
schaftswachstum auf bis zu 60 Prozent tragfähige Wirtschaftsstrukturen in Zentral- und realisieren und somit ihren Entwicklungsrückstand
Westchina zu erschaffen. Stattdessen wurden gegenüber den führenden Volkswirtschaften redu-
hinaufzuführen und gleichzeitig die Ab- zieren können, ergibt sich aus dem Solow’schen
diese Regionen in den Folgeperioden mit einem
hängigkeit von ausländischen Techno- übermäßigen Bestand an unrentablen und nicht Ersparnis-Investitionen-Abschreibungs-Nexus. Bei
logieimporten auf unter 30 Prozent zu an den Bedürfnissen einer sich reformierenden einer gegebenen gesamtwirtschaftlichen Sparrate
senken. Bis zum Jahr 2020 soll China au- und öffnenden Volkswirtschaft ausgerichteten kann die Volkswirtschaft umso schneller wachsen,
ßerdem in Hinblick auf die Anzahl der Staatsunternehmen belastet. Der industrielle Kern desto größer der Anteil der Ersparnisse, der in Neu-
der chinesischen Volkswirtschaft überdauerte investitionen fließt und nicht für den Ersatz abge-
in chinesischer Hand befindlichen Pa- demgegenüber in seinen traditionellen Kernge- schriebenen Sachkapitals aufgewendet werden
tentrechte und in der Zahl der interna- bieten in Ost- und Nordostchina, obwohl er über muss. Hoch entwickelte Volkswirtschaften müssen
tionalen Veröffentlichungen zu den fünf ein Jahrzehnt hinweg durch das Ausbleiben von mit zunehmender Reife immer größere Anteile ihrer
führenden Nationen gehören. Diese Ersatzinvestitionen und den Abzug von Maschi- Ersparnis in den Ersatz abgeschriebenen Sachka-
nen deutlich geschwächt worden war. pitals lenken und können somit nur noch immer
Ziele erscheinen überambitioniert, zei- geringere Netto-Neuinvestitionen und damit
3 Das Geflecht ökonomischer Interaktionen
gen aber an, dass die Herausforderun- und dessen Ordnung ist letztlich als Subsystem Wachstumsraten realisieren. Letztlich erreichen sie
gen eines Wachstums jenseits der Ära des gesamtgesellschaftlichen Werte- und Nor- ihren steady state in dem die Ersparnisbildung ge-
des „Nachholens“ sehr wohl verstanden mensystems zu verstehen. Es existiert nicht losge- rade für die Wiederherstellung des verbrauchten
worden sind. löst von anderen Teilbereichen des gesellschaft- Sachkapitalbestands ausreicht. Wachstum kann
lichen Lebens, sondern steht mit diesen in einem nun nur noch durch technologische Innovation und
engen Sinnzusammenhang. Letztlich bedeutet eine produktivere Faktorverwendung realisiert wer-
dies, dass die Ausgestaltung des ökonomischen den. In Summe ergibt sich aus diesen Überlegun-
Systems in erster Linie auf der Ebene der ideolo- gen die Einsicht, dass Volkswirtschaften, die dem
ANMERKUNGEN gisch-religiösen Grundüberzeugungen determi- „ausgetretenen Entwicklungspfad“ der in der Welt-
1 Während der maoistischen Ära war die niert wird. Mittelfristig kommt es dann aber auch wirtschaft führenden Industriestaaten folgen, (a)
Volksrepublik China nur marginal in die internati- zu gegenläufigen Rückkopplungen. geradezu zwangsläufig höhere Wachstumsraten
onale Arbeitsteilung eingebunden. Die Wirt- 4 Um unserer Beispiel weiter zu verfolgen: Ma- werden realisieren können als diese und (b) dieses
schaftsbeziehungen zu den „westlichen“, markt- nager eines Industriebetriebes, die das Unter- Wachstumsdifferential umso größer sein wird, des-
wirtschaftlich organisierten Volkswirtschaften er- nehmen zuvor allein nach Maßgabe der Plandi- to rückständiger die „nachholende“ Volkswirt-
lebten mit Chinas Einritt in den Koreakrieg und rektiven gelenkt hatten, konnten nun in den über schaft.
den anschließenden Boykottmaßnahmen bereits den Markt koordinierten Produktionsteilen gleich- 8 F&E steht für Forschung und Entwicklung
1950, also ein Jahr nach der Gründung der Volks- sam on the job lernen, wie der Betrieb in einem 9 „Weiße Ware“ bezeichnet elektrische Haus-
republik China, einen massiven Einbruch und ver- wettbewerblichen Marktumfeld organisiert und haltsgeräte. „Braune Ware“ bezeichnet Geräte
harrten bis in die 1970er Jahre auf einem minima- gesteuert werden musste. der Unterhaltungselektronik, da diese sich in ver-
len Niveau. Aber auch zu dem unter der Führung 5 Auf realwirtschaftlicher Ebene wurde diese gangenen Jahrzehnten oft durch braune Holzge-
der UdSSR stehenden sozialistischen Block unter- Funktion von 12 staatlichen Außenhandelsgesell- häuse auszeichneten.
hielt China nur während der 1950er Jahre inten- schaften übernommen, während die monetäre 10 ADI: Ausländische Direktinvestitionen; ODA:
sivere Austauschbeziehungen. Mit dem Bruch mit Abwicklung dieser Transaktionen von der Bank of Official Development Assistance.
Moskau 1959/60 kamen auch die Wirtschaftsbe- China abgewickelt wurde.
ziehungen zu dieser Staatengruppe zu einem 6 Dies geschah zunächst durch die Ausweisung
faktischen Stillstand. Zwischen 1960 und dem En- von 14 so genannten „geöffneten Küstenstädten“
de der 1970er Jahre war die Volksrepublik China im Jahr 1984 und die Ausweisung immer größerer
de facto kein konstituierender Bestandteil der Teile des Perlflussdeltas zu einer „geöffneten
globalen Wirtschaftsgemeinschaft und entwi- Wirtschaftsregion“ zwischen 1985 und 1988. In
ckelte sich in Hinblick auf Sektorstrukturen und den Folgejahren wurden immer größere Teile der
technologischen Entwicklungen weitestgehend Volkswirtschaft sukzessive zum Weltmarkt hin ge-
autonom von dieser. Ein Rechnungszusammen- öffnet. Es muss betont werden, dass während der
hang, über den Signale über relative Knapphei- 1980er Jahre die Auflösung des staatlichen Au-
ten zwischen China und der Weltwirtschaft hät- ßenhandelsmonopols noch nicht mit einer umfas-
ten ausgetauscht werden können, existierte senden Außenhandelsliberalisierung einherging.
nicht. Stattdessen wurde ein restriktives System von Li-
UNSER AUTOR
2 Während der ersten Hälfte der 60er Jahre zenzen, Quoten, sowie tarifären und nicht-tarifä-
wurde das internationale Umfeld als der Volksre- ren Handelshemmnissen eingeführt, das die
publik China gegenüber zunehmend feindlich Handlungsparameter stark einschränkte.
und die Möglichkeit eines neuen Krieges als sehr 7 Das Konzept „nachholenden Wachstums“ ba-
wahrscheinlich eingestuft. Mit der 3.-Front-Stra- siert auf der Idee, dass ökonomische Entwicklungs-
tegie sollte daher der traditionellen Ballung öko- prozesse bei aller Idiosynkrasie nationaler Struktu-
nomisch-industrieller Ballungszentren im strate- ren grundsätzlich ähnlichen Pfaden folgen und es
gisch ungünstigen und nur schlecht zu verteidi- somit möglich ist, dass „Nachzügler“ von fortge-
genden Küstenstreifen entgegengewirkt werden. schrittenen Volkswirtschaften und deren Akteuren
Stattdessen sollte im chinesischen Hinterland ei- lernen können. Insofern sie „ausgetretenen Pfaden“
ne neue industrielle Basis errichtet werden, die folgen, d.h. bewährte institutionelle Arrangements,
nach einer möglichen Besetzung des Küstenstrei- erprobte Technologien und Geschäftmodelle über-
fens durch feindliche Truppen einen lang gezo- nehmen sowie gezielte Investitionen in Sach- und
genen Guerillakrieg ermöglichen sollte. Zu die- Humankapital vornehmen, können diese Volkswirt-
sem Zweck wurde mit enormem finanziellen und schaften ihren ökonomischen Entwicklungsprozess Prof. Dr. Markus Taube ist Inhaber des
personellen Aufwand in Zentral- und Westchina mit einem Minimum an risikobehafteten Investitio- Lehrstuhls für Ostasienwirtschaft/China
eine neue Infrastruktur aufgebaut, die allerdings nen, d.h. einem Minimum an Ressourcen verzehren- an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fa-
mangels Güterverfügbarkeit z. T. durch den Ab- den trial-and-error Prozessen, betreiben. Dies er- kultät der Universität Duisburg-Essen
bau bestehender Eisenbahntrassen etc. in ande- möglicht grundsätzlich eine höhere Wachstumsra-
ren Landesteilen versorgt werden musste. In ähn- te als sie in Volkswirtschaften erzielt werden kann, (seit 2000) und Gründungspartner von
licher Art und Weise wurden auch bestehende die an der Spitze der weltwirtschaftlichen Entwick- THINK!DESK China Research & Consul-
Unternehmungen in Ostchina angehalten, unter lung stehen und deren weitere Entwicklung und ting, München-Shanghai, einer auf die
Abstellung eines Teils ihres Maschinenparks und Wachstum auf in hohem Maße risikobehafteten Begleitung von Investoren nach und in
ihrer Belegschaft Zweigfabriken in den 3.-Front- Investitionen in neue Technologien und Geschäfts-
Regionen zu errichten. Die 3.-Front-Strategie ver- modellen sowie, grundlegend hierfür, neuem Wis-
China spezialisierten Unternehmung
lor mit der politischen Annäherung an den Wes- sen und Humankapital basieren. Neben diesem (seit 2004). Nach dem Studium der Si-
ten in der ersten Hälfte der 1970er Jahre ihre auf reduzierten Suchkosten basierenden Impuls für nologie und Volkswirtschaftslehre in Trier
wirtschaftspolitische Sonderstellung, wurde je- beschleunigtes Wachstum können „Nachzügler“ und Wuhan (VR China) sowie der Pro-
doch erst 1979 endgültig aufgegeben. In ihrem zudem von einer potentiell sprunghaft steigenden motion an der Ruhr-Universität Bochum
wirtschaftsstrukturellen Ergebnis muss die Arbeitsproduktivität profitieren, die auf sektoralem
3.-Front-Strategie als gescheitert bewertet wer- Strukturwandel basiert und dessen Wachstumsim- war Prof. Taube zunächst als Wissen-
den. Bedingt durch das militärstrategische Primat pulse die führenden Volkswirtschaften bereits wei- schaftlicher Referent am ifo Institut für
ist es nicht gelungen, betriebs- oder volkswirt- testgehend ausgeschöpft haben. Ein weiterer Effekt Wirtschaftsforschung (München) tätig.
194
SOZIALE WIDERSPRÜCHE UND UNGLEICHGEWICHTE
195
Heinrich Kreft
zwischen bei 2.360 US-Dollar. Auf der Prozent mit dem niedrigsten Einkommen Bevölkerung und für die anhaltende
anderen Seite hat die rapide Moderni- etwa das Vierfache. Dieser Unterschied Landflucht. Die ländlichen Wirtschafts-
sierung Chinas bestehende innere Wi- ist inzwischen auf fast das 13-fache ge- reformen verringerten vor allem in der
dersprüche akzentuiert und zu neuen stiegen. Verfügten die 20 Prozent mit Anfangsphase die Armut auf dem Lan-
Herausforderungen geführt. Das sich dem höchsten Einkommen im Jahr 1990 de beträchtlich. So sank – nach chine-
verschärfende innere Problempotential zu Beginn der Reformen über etwa 39 sischen Kriterien – die Zahl der absolut
besteht unter anderem in einer ständi- Prozent des Gesamteinkommens, liegt Armen von 250 Millionen in 1978 auf
gen Gratwanderung zwischen hohem dieser Wert inzwischen bei über 80 Pro- 21,5 Millionen im Jahr 2006, womit Chi-
Wachstum und Überhitzung, massiven zent. Das United Nations Development na bei der Armutsbekämpfung eines der
gesellschaftlichen Ungleichgewichten, Program (UNDP) gibt die Einkommens- erfolgreichsten Länder der Welt ist. 5 Die
bis zu 200 Millionen Wanderarbeitern diskrepanz zwischen der obersten und Armutsgrenze ist in China mit 683 Yuan
und hoher Arbeitslosigkeit sowie fortge- der untersten Zehn-Prozent-Gruppe mit (etwa 62 Euro) pro Person und pro Jahr
setzter Zerstörung natürlicher Lebens- 11 zu 1 an 2 , so dass jetzt selbst offizielle allerdings niedrig angesetzt. Weitere
grundlagen. chinesische Stellen von einer bedrohli- 35,5 Millionen Chinesen müssen mit ei-
Hinzu kommen wachsende soziale Pro- chen Ungleichverteilung der Einkommen nem Jahreseinkommen von weniger als
teste, Probleme bei der Implementie- sprechen. Da ein Großteil der Einkom- 958 Yuan (etwa 87 Euro) auskommen.
rung von Politik und modernem Recht, men statistisch nicht erfasst wird, dürf- Nimmt man die von den Vereinten Na-
sowie eine systemische Korruption. Die ten die Einkommensunterschiede in der tionen definierte Armutsgrenze von ei-
Kommunistische Partei tut sich immer Realität noch wesentlich höher sein. nem Dollar pro Tag zum Maßstab, er-
schwerer, diese Entwicklungen zu steu- Zwar geht es heute auch den 737 Millio- höht sich die Zahl der in absoluter Armut
ern und zu kontrollieren. Die Folge ist nen Bauern und der Landbevölkerung in lebenden Chinesen auf 120 bis 135 Mil-
eine wachsende Erosion der Legitimität Zentral- und Westchina besser als je zu- lionen Menschen. Auch in den Städten
der führenden Stellung der Kommunis- vor, doch mit einem durchschnittlichen leben 27,7 Millionen Menschen unter-
tischen Partei. Bis weit hinein in hohe Jahreseinkommen von 374 Euro lassen halb des Existenzminimums.
Hierarchien reichen die internen Dis- sich auch in China nur die lebensnot- Trotz des beachtlichen Wachstums der
kussionen darüber, inwieweit die Partei wendigsten Ausgaben bestreiten. Den ländlichen Einkommen geht die Einkom-
noch in der Lage ist, die Administrati- 120 bis 135 Millionen Chinesen, die mit mensschere zwischen ländlichen und
on zu dirigieren. Trotz der Erfolge und einem Dollar am Tag auskommen müs- städtischen Einkommen schon seit vielen
Anpassungsfähigkeit der Kommunisti- sen, stehen 320.000 chinesische Dollar- Jahren auseinander. Nach offiziellen
schen Partei Chinas bleibt offen, ob ein Millionäre 3 gegenüber. Dank letzterer Angaben lag das durchschnittliche Pro-
in die Weltwirtschaft integriertes Land hat sich das Land zu einem boomenden Kopf-Jahreseinkommen der städtischen
auf Dauer unter der Führung einer leni- Markt für teure Autos und andere Luxus- Bevölkerung 2007 bei 13.786 Yuan (et-
nistischen Kaderpartei möglich ist. importe entwickelt. wa 1.245 Euro), während die ländlichen
Die Unternehmensberatung McKinsey Einkommen mit 4.140 Yuan (etwa 374
kommt in einer Studie zu dem Ergebnis, Euro) nur bei weniger als einem Drittel
Wachsende soziale Differenzierung dass derzeit 22 Prozent der 190 Millio- davon lagen. Städtische und ländliche
nen städtischen Haushalte in China zur Einkommen entwickelten sich auch 2007
Im Rückblick haben die Wirtschaftsre- Mittelschicht zu zählen sind, und zwar weiter auseinander. Der vom UNDP er-
formen in China zu erheblichen sozia- 9,4 Prozent zur oberen Mittelschicht stellte Human Development Index, der
len Verwerfungen geführt. Die Früchte (40.000 bis 100.000 Yuan Jahresein- neben materieller Versorgung auch Bil-
der wirtschaftlichen Entwicklung sind kommen) und 12,6 Prozent zur unteren dungs- und Gesundheitsindikatoren mit
sehr ungleich verteilt, was sich an dem Mittelschicht (25.000 bis 40.000 Yuan einbezieht, zeigt, dass die Stadt-Land-
aktuellen Gini-Koeffizienten 1 von 0,496 Jahreseinkommen). McKinsey geht da- Disparitäten über die 1990er Jahre nicht
ablesen lässt: China hat sich innerhalb von aus, dass im Jahre 2025 59,4 Pro- verringert werden konnten und von 1997
von 25 Jahren von einer der egalitärsten zent der dann 373 Millionen städtischen bis 2002 sogar gewachsen sind. 6 Hin-
Gesellschaften zu einer der ungleichs- Haushalte zur oberen Mittelschicht und zu kommt die regionale Unausgewo-
ten entwickelt. Die reichsten zehn Pro- weitere 19,8 Prozent zur unteren Mittel- genheit der Wirtschaftsentwicklung.
zent der Bevölkerung besitzen 45 Pro- schicht gehören werden. 4 So liegt das Pro-Kopf-Einkommen in der
zent des Volksvermögens, die ärmsten am weitesten entwickelten Küstenregi-
zehn Prozent dagegen nur 1,4 Prozent. on etwa doppelt so hoch wie in Zent-
Die wachsende soziale Ungleichheit Stagnation der ländlichen ralchina. Chinas ländliche Bevölkerung
und gewaltige Einkommensunterschie- Entwicklung droht den Anschluss an die allgemeine
de zeigen sich insbesondere zwischen dynamische Wirtschaftsentwicklung zu
Stadt und Land, aber auch innerhalb Noch immer leben 56,1 Prozent der Be- verpassen. Dieses ist nicht nur mit der im
der städtischen und ländlichen Schich- völkerung auf dem Lande. Einkommens- Vergleich zu den städtischen Industrie-
ten. 1990 betrug die Einkommensdiffe- unterschiede zwischen Stadt und Land sektoren langsamer steigenden Produk-
renz zwischen den 20 Prozent der Be- sind ein wichtiger Faktor für die Unzu- tivität in der Landwirtschaft zu erklären,
völkerung mit dem höchsten und den 20 friedenheit großer Teile der ländlichen sondern auch mit dem Abbau staatlicher
Tabelle 1: Auseinanderentwicklung der Einkommen in Stadt und Land (in Yuan, pro Jahr)
Quelle: China Statistic Year Book 2004: State Statistical Bureau: Statistical Communiqué 2007.
196
Investitionen im Agrarsektor, mit der Ver- Es wird geschätzt, dass derzeit etwa DIE SOZIALE KEHRSEITE DES
schlechterung der Terms of Trade zwi- 120 Millionen Landbewohner, d.h. 23 CHINESISCHEN AUFSTIEGS
schen Agrar- und Industrieprodukten Prozent aller ländlichen Arbeitskräfte
und auch mit der bis vor kurzem steigen- in den Städten tätig sind, weitere etwa
den Steuer- und Abgabenlast zugunsten 80 Millionen sind als Wanderarbeiter in
lokaler Regierungen. Eine weitere wichti- ländlichen Betrieben beschäftigt. Durch
ge Quelle ländlicher Unzufriedenheit ist ihren Geldtransfer tragen diese Wan- Schutz und die Rechte von Wanderar-
die Bodenfrage. Nach offiziellen Anga- derarbeiter in beträchtlicher Weise zu beitern einzusetzen. Nach Angaben
ben hat die chinesische Landwirtschaft einem Armutsabbau auf dem Lande bei. der Gewerkschaften waren mit Stand
allein im Jahr 2003 2,5 Millionen Hektar Die Wanderarbeiter leben und arbeiten vom März 2008 80 Millionen, d.h. 40
an Anbauflächen verloren, was vor allem im Vergleich zu ihren städtischen Kolle- Prozent der Wanderarbeiter, Gewerk-
auf die Umnutzung unter anderem für In- gen in prekären Verhältnissen. Sie erle- schaftsmitglied. Allerdings steht eine
dustrie- und Wohnansiedlungen sowie digen die schmutzigsten, die härtesten wirksame Reform des diskriminierenden
für Infrastrukturprojekte zurückzuführen und die gefährlichsten Arbeiten. Ihre Hukou-Systems bisher nicht auf der Ta-
ist. Diese Umnutzung ist ein besonders Arbeitswoche besteht in der Regel aus gesordnung der Regierung.
großes Einfallstor für Korruption. Bau- sieben Tagen und ihr Arbeitstag aus bis Als Folge der Landflucht hat sich der Ur-
ern erhalten häufig nur einen Bruchteil zu zwölf Stunden und das bei geringen banisierungsgrad von etwa 20 Prozent
des Gesamterlöses, was wiederholt zu Löhnen (2007 durchschnittlich etwa 108 Anfang der 1980er Jahre innerhalb von
Protesten geführt hat. Die Mehrheit der Euro) und defizitärem Arbeitsschutz. Sie nur zwei Jahrzehnten verdoppelt. Die
Bauern hat langfristige Nutzungsverträ- haben in der Regel keinerlei soziale Ab- Regierung versuchte mit nur mäßigem
ge (30 Jahre), jedoch kein Eigentum an sicherung. Nur etwa zwölf Prozent der Erfolg mittels einer dezentralen Urba-
den von ihnen bearbeiteten Flächen, die Wanderarbeiter sind gegen Berufsun- nisierungsstrategie mittelgroße Städte
sie somit auch weder beleihen noch ver- fälle versichert; fünf Prozent verfügen auf dem Lande zu schaffen, um so den
kaufen können. über eine Krankenversicherung. Da die zu groß werdenden Migrationsdruck
Die von Peking, bzw. den Provinz- Wanderarbeiter nach dem Hukou als auf die großen Ballungsräume an der
regierungen vorgegebenen Moderni- Bauern registriert sind, haben sie auch Ostküste zu senken. Die Weltbank und
sierungsziele (Infrastrukturprojekte) oh- kein Recht auf städtische Sozialleistun- auch chinesische Schätzungen gehen
ne gleichzeitiges Zurverfügungstellen gen. davon aus, dass bis 2020 weitere 300
der notwendigen Finanzmittel führten Zudem sind ihre Familien, soweit sie mit Millionen Bauern in die Städte abwan-
in den 1990er Jahren zu einer deutli- in die Städte gezogen sind, aufgrund dern werden und sich der Urbanisie-
chen Erhöhung der Steuer- und Abga- ihres nach wie vor problematischen rungsgrad damit auf 60 Prozent erhö-
benlast lokaler Unternehmen und der Aufenthaltsstatus weitgehend von Bil- hen wird.
Bauernschaft. Trotz dieser Maßnah- dungschancen ausgeschlossen. 20
men sind heute eine große Zahl Dör- Millionen Kinder von Wanderarbeitern
fer, Gemeinden und Landkreise hoch wachsen daheim auf dem Lande ohne Mangelnder Arbeitsschutz
verschuldet. Dieser Schuldenberg wird ihre Eltern bei Verwandten oder Be-
inzwischen auf umgerechnet nahezu kannten auf. Auch wenn es in China – Der Arbeitsschutz und die Sicherheit
100 Milliarden Euro geschätzt. Die mit zum Teil aufgrund rabiater behördlicher der Beschäftigten bei ihrer Berufstätig-
30 Prozent beträchtliche Besteuerung Räumungsmethoden – keine Slums gibt, keit sind in China noch stark unterent-
der bäuerlichen Einkommen hat wie- ist das soziale Gefälle in den Städten wickelt. Dieses trifft insbesondere auf
derholt zu ländlichen Unruhen geführt. augenfällig. 7Allein in Peking sollen mehr den Kohlebergbau zu. Im Jahre 2007
Die Zentralregierung hat zwar im Jahr als 3,8 Millionen und in Schanghai 3,75 kamen nach offiziellen Angaben 3.787
2004 die Abschaffung der Agrarsteuer Millionen Wanderarbeiter tätig sein. Bergleute ums Leben, doch unabhän-
beschlossen, was jedoch das Problem In China gibt es auch nach wie vor Kin- gige Beobachter schätzen die Zahl
der unzureichenden Finanzausstattung der- und Sklavenarbeit, deren Ausmaß deutlich höher ein. Damit entfallen 80
der lokalen Ebene nur verstärkt hat, da sich nur schwer abschätzen lässt. Im Mai Prozent aller Todesfälle bei Bergwerks-
keine Ausgleichszahlungen von Peking 2007 wurden in der zentralchinesischen unglücken auf China, obwohl das Land
überwiesen werden. Provinz Henan und der benachbarten mit 2,5 Milliarden Tonnen Kohle nur 40
Kohleprovinz Shanxi mehrere Fälle von Prozent der weltweiten Kohle fördert.
Kinder- und Sklavenarbeit in Ziegeleien Gemessen an der Fördermenge liegt
Hukou-System und Landflucht und Kohleminen aufgedeckt, worüber die Todesrate in chinesischen Kohle-
die chinesischen Medien ausführlich gruben siebenmal höher als in Indien
Für nahezu 50 Jahre war das Haushalts- berichteten. Über 50 entführte Kinder und Russland und 70-mal höher als in
registrierungssystem eine Besonderheit und nahezu 600 Wanderarbeiter ar- den USA.
der chinesischen Gesellschaft mit enor- beiteten dort unter sklavenähnlichen Auch in anderen Wirtschaftssektoren
men gesellschaftlichen Auswirkungen. Bedingungen bis zu 16 Stunden am Tag gehören tödliche Arbeitsunfälle und Be-
Das System unterscheidet zwischen und wurden rund um die Uhr bewacht, rufskrankheiten zur traurigen Realität.
städtischen und ländlichen Bewohnern um ihre Flucht zu verhindern. Nach Angaben der State Administrati-
wie auch zwischen landwirtschaftli- Partei und Regierung haben die von on of Work Safety starben 2007 mehr
chen und nicht-landwirtschaftlichen der Partei gelenkten Gewerkschaf- als 101.000 Menschen bei Arbeits- und
hukou. Das System untersagt Bauern, ten angewiesen, sich stärker für den Verkehrsunfällen. Rund 200 Millionen
ohne behördliche Genehmigung vom
Land in die Stadt zu ziehen. Damit sollte
die Landflucht verhindert und die Lage Tabelle 2: Todesfälle in chinesischen Kohlegruben
der Städte stabilisiert werden. Mitte der
1980er Jahre lockerte der Staat dieses 2004 2005 2006 2007
System und erlaubte den zeitweiligen
6.027 5.986 4.746 3.787
Aufenthalt ländlicher Arbeitskräfte in
den Städten. Quelle: Eigene Zusammenstellung.
197
Heinrich Kreft
Arbeiter sind laut Schätzungen des Tabelle 3: Demographische Entwicklung Chinas
chinesischen Gesundheitsministeriums
durch Berufskrankheiten gefährdet. Veränderung
30.000 erkranken jedes Jahr aufgrund 1980 1990 2000 2030
2000–2030
des Umgangs mit giftigen und anderen
Landbevölkerung
gesundheitsschädlichen Substanzen. 796 841 855 560 – 295
in Millionen
Mehr als 600.000 Menschen sollen seit
den 1950er Jahren an einer Staublunge Anteil an der
81% 74% 67% 35%
erkrankt und 140.000 davon inzwischen Gesamtbevölkerung
gestorben sein. Städtische Bevölkerung
191 302 421 1040 + 619
Die chinesische Staats- und Parteifüh- (Millionen)
rung kündigt regelmäßig eine Verbes- Anteil an der
serung der Sicherheitsvorkehrungen 19% 26% 33% 66%
Gesamtbevölkerung
und größere Anstrengungen zur Kont-
rolle der Arbeitssicherheit an. Die Zent- Gesamtbevölkerung
987 1143 1276 1600 + 324
ralregierung hat auch immer wieder die (Millionen)
Schließung von unsicheren Kohleminen Quelle: China Statistics Bureau: Estimates on 2000 and 2030 demography.
angekündigt, doch zu einer spürbaren
Verbesserung haben diese Maßnahmen
kaum geführt. Chinas Arbeitsschutzbe- Die Altersversorgung nach wie vor niedrigem Einkommensni-
hörde wirkt wie ein zahnloser Tiger, der veau. Gemäß UN-Projektionen wird zwi-
sich gegen die im Kohlebergbau weit Traditionell wurde die Altersversorgung schen 2005 und 2050 der Altersmedian
verbreitete Korruption, in der Minenbe- insbesondere auf dem Land von der Fa- um 12,2 Jahre auf fast 45 Jahre sprin-
treiber, lokale Aufsichtsbehörden und milie getragen und dort primär von den gen (in Deutschland dürfte der Wert im
Parteifunktionäre zusammenwirken, nur Söhnen, was insbesondere den Wunsch gleichen Zeitraum um 5,3 auf 47 Jahre
selten durchsetzen kann. Aufgrund des nach männlichen Nachkommen erklärt steigen). 9 Die Bevölkerung im arbeitsfä-
schnell wachsenden Energiebedarfs (und inzwischen zu einem erheblichen higen Alter 10 als Anteil an der Gesamt-
steigt die Nachfrage nach Kohle, mit Männerüberhang geführt hat). 8 Durch bevölkerung wird ihren Höhepunkt etwa
der in China sehr viel Geld zu verdie- Abwanderung der jungen Leute in die um 2010 erreichen mit 72,2 Prozent, von
nen ist. Städte und durch den wachsenden An- dort abnehmen und 2050 60,7 Prozent
teil der Alten aufgrund der steigenden erreichen. Nimmt man aber die niedri-
Lebenserwartung und als Folge der Ein- gere Pensionierungsgrenze in China zum
Demographie und soziale Sicherung Kind-Politik ist die traditionelle Alters- Maßstab (50 bis 55 Jahre bei Frauen und
versorgung auf dem Lande in hohem 60 bis 65 bei Männern), wird der Hö-
Die marktwirtschaftlichen Reformen seit Maße Not leidend. hepunkt, der dann bei nur 62,3 Prozent
Beginn der 1980er Jahre haben zu ei- Chinas demographische Entwicklung liegt, bereits zwischen 2005 und 2010 er-
ner Krise der sozialen Sicherungssyste- gleicht immer mehr der weitaus entwi- reicht und würde im Jahr 2050 auf dann
me geführt, die seit den 1950er Jahren ckelter Gesellschaften. Die chinesische 47 Prozent zurückgehen. Würde sich an
aufgebaut worden waren. Regierung, Gesellschaft altert rapide und das bei der Pensionierungsgrenze nichts ändern,
Partei und Staatsbetriebe garantierten
ihren Beschäftigen eine Absicherung
in allen Lebenslagen. Diese basierte
in den Städten vor allem auf der Ver-
sorgung der Beschäftigten durch die
Staatsbetriebe, von denen viele inzwi-
schen zusammengebrochen oder nicht
mehr in der Lage sind, für die medizi-
nische Versorgung und die Rentenzah-
lungen aufzukommen. Im Durchschnitt
haben seit 1997 etwa zehn Millionen
Arbeitnehmer jedes Jahr ihren Arbeits-
platz verloren, die mit den jährlich zehn
bis zwölf Millionen Schulabgängern
auf der Suche nach einer neuen Be-
schäftigung konkurrieren. Auch im länd-
lichen Raum, der immer im Vergleich zu
den Städten unterprivilegiert war, gibt
es einen vergleichbaren Trend. Mit der
Dekollektivierung der Landwirtschaft
sind immer mehr Menschen aus dem in
den 1960er Jahren eingeführten System
genossenschaftlicher Gesundheitsver-
sorgung heraus gefallen.
Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenver-
sicherung sind in China bisher die Aus-
nahme und weitgehend ein Privileg für
die Beschäftigten in Staatsbetrieben,
in Partei und Verwaltung sowie einigen
großen Privatunternehmen.
198
Tabelle 4: Sozialversicherte in China (Stand 2007) DIE SOZIALE KEHRSEITE DES
CHINESISCHEN AUFSTIEGS
in Millionen davon: Arbeiter davon:
Versicherung
Menschen und Angestellte Rentner
Rentenversicherung 200 150 50
Krankenversicherung 220 178 42 versorgung weitgehend zurückgezogen
Arbeitslosenversicherung 114,7 s. S. 200 und diesen Bereich nahezu vollständig
kommerzialisiert. Wer die steigenden
Quelle: Eigene Zusammenstellung. Kosten für eine ärztliche Behandlung
oder einen Krankenhausaufenthalt nicht
wa vier bis acht Prozent ihres Einkom- bezahlen kann, muss sich entweder (häu-
mens als Beitrag, der Arbeitgeber bis zu fig hoch) verschulden oder auf ärztliche
24 Prozent. Ein Rentenanspruch entsteht Hilfe verzichten. Die Aufwendungen für
kämen 2050 79 Rentner auf 100 Personen nach Ablauf von 15 Beitragsjahren. 50 das chinesische Gesundheitswesen lie-
im beschäftigungsfähigen Alter. Als Fol- Millionen Menschen beziehen in China gen bei jährlich 4,82 Prozent des Sozial-
ge des demographischen Wandels wird eine monatliche Rente, die im Durch- produkts, aber nur 17 Prozent der Mittel
die Zahl der Rentner schneller wachsen schnitt 963 Yuan (knapp etwa 87 Euro) stammen aus öffentlichen Kassen. Der
als die Zahl der beschäftigungsfähigen beträgt, was bei steigenden Lebenshal- größte Teil der Aufwendungen – etwa 55
Bevölkerung, die ab 2011 nicht mehr an- tungskosten zur Verarmung vieler Rent- Prozent – muss von den Patienten selbst
steigen wird. Ohne einschneidende Re- ner führt, bzw. diese zu Zuverdiensten aufgebracht werden. Der Rest stammt
formen dürfte die derzeit bestehende im Privatsektor zwingt. von Versicherungen. Erschwerend kommt
ohnehin bescheidene Altersversorgung Das chinesische Rentenversicherungs- hinzu, dass nur 20 Prozent der Gesund-
bald kollabieren.11 system steht vor kaum lösbaren Prob- heitsausgaben der Landbevölkerung
Mitte der 1980er Jahre haben Partei lemen: Nicht nur, dass für lediglich ein zugute kommen, d.h. 56 Prozent der Ge-
und Regierung mit dem Umbau des Fünftel der abhängig Beschäftigten samtbevölkerung.
alten Systems der staatlichen Versor- Rentenversicherungsbeiträge gezahlt Die Krankenversicherung konzentriert
gung begonnen. An seine Stelle ist ein werden, sondern auch das mit 51,2 Jah- sich bisher auf die Beschäftigten in Par-
gemeinsam von Staat, Arbeitgebern ren etwa zehn Jahre unter dem welt- tei, Verwaltung und Staatsbetrieben so-
und Arbeitnehmern finanziertes Sozial- weiten Durchschnitt liegende Renten- wie vereinzelten Privatunternehmen. In
versicherungssystem getreten, das al- eintrittsalter und der wachsende Anteil den Städten liegt der Anteil der kran-
lerdings bisher nur einem kleinen Teil der über 60-Jährigen an der Gesamt- kenversicherten Erwerbstätigen bei
der chinesischen Bevölkerung zugute bevölkerung von heute 153 Millionen etwa 64 Prozent, die zwei Prozent ih-
kommt. Von den 764 Millionen Erwerbs- auf über 400 Millionen bis zum Jahr rer Lohnsumme als Beitrag entrichten,
tätigen haben nur 20 Prozent Renten- 2050 unterminieren das System. Da während die Arbeitgeber bis zu zehn
versicherungsansprüche, etwa 23 Pro- das Rentenversicherungssystem von ei- Prozent der Lohnsumme zahlen. Für die
zent eine Kranken- und rund 15 Prozent ner Lebenserwartung von zehn Jahren 737 Millionen auf dem Land lebenden
eine Arbeitslosenversicherung. Die Ren- nach dem Eintritt in die Rente ausgeht, Menschen hat die Regierung ein eige-
tenversicherungspflichtigen zahlen et- tatsächlich aber für durchschnittlich 25 nes Kostenerstattungssystem für die
Jahre Renten gezahlt werden, entstehen Behandlung schwerer Krankheiten auf-
in der dezentral organisierten Renten- gebaut. Viele Landbewohner sind aber
versicherung riesige Defizite. gar nicht in der Lage, mit größeren Be-
trägen in Vorlage zu treten. Nach chi-
nesischen Angaben können sich 48,9
Gesundheitspolitik und Prozent der Bevölkerung im Falle einer
Krankenversicherung Krankheit keinen Arztbesuch leisten. Für
die Landbevölkerung schätzt die Welt-
Auch im chinesischen Gesundheits- gesundheitsorganisation (WHO) die-
wesen akzentuieren sich die Proble- sen Anteil auf 60 Prozent, d.h. auf 442
me. Während in Peking und den boo- Millionen Menschen.
menden Städten der Ostküste überall
private State-of-the-art-Krankenhäuser
westlichen Standards für eine zahlungs- Arbeitslosen- und Grundsicherung
kräftige Klientel entstehen, wird die ge-
sundheitliche Versorgung für die Mehr- Von Chinas 764 Millionen Erwerbstäti-
heit der Chinesen und insbesondere für gen sind nach offiziellen Angaben nur
die 737 Millionen Menschen auf dem Lan- etwa acht Millionen, d.h. vier Prozent,
de immer schlechter. Der Staat hat sich arbeitslos. Allerdings gibt dieses die
aus der Finanzierung der Gesundheits- arbeitsmarktpolitische Realität nur sehr
eingeschränkt wieder, denn die chine-
sische Statistik erfasst nur die in den
Städten registrierten Arbeitslosen und
Als Folge des demographischen Wandels auch die nur sehr ungenau. Das Deve-
wird die Zahl der Rentner auch in China lopment Research Center des Staatsrats
schneller wachsen als die Zahl der be- geht von einer Arbeitslosigkeit von etwa
schäftigungsfähigen Bevölkerung. Ohne 12 Prozent (d.h. etwa 90 Millionen) aus.
einschneidende Reformen dürfte die Allein zwischen 1998 und 2002 verlo-
ohnehin bescheidene Altersversorgung ren 77 Millionen Menschen im Zuge des
bald kollabieren. picture alliance/dpa wirtschaftlichen Umbaus ihren Arbeits-
199
Heinrich Kreft
platz.12 Auf dem Land wird die Arbeits- tet. 16 der 20 weltweit am meisten ver- gestärkt werden. Ob dieses gelingt, ist
losigkeit auf etwa 30 Prozent geschätzt. schmutzen Großstädte befinden sich in aber zweifelhaft, da die Umweltgeset-
Etwa 150 bis 170 Millionen Menschen China. In 200 chinesischen Großstädten ze (wie andere Gesetze auch) der Zent-
dürften dort ohne produktive Arbeit überschreitet der Schwebestoffgehalt ralregierung nur sehr lückenhaft in dem
oder unterbeschäftigt sein. die von der Weltgesundheitsorganisa- großen Land angewandt werden. Das
Parallel zur Renten- und Krankenversi- tion festgelegten Grenzwerte. Über 75 Problem ist auch nicht mit der Einführung
cherung hat die Regierung damit be- Millionen Chinesen leiden unter akuten moderner Umwelttechnologie in den
gonnen, eine im sozialistischen Sys- Asthmaanfällen. Ein Drittel des Landes Griff zu bekommen. Es kommt vielmehr
tem per definitionem nicht notwendige ist von saurem Regen betroffen. Chi- darauf an, die politische Kultur des Lan-
Arbeitslosenversicherung aufzubauen. na ist – in absoluten Zahlen – bereits des zu verändern, in Richtung auf mehr
Die Arbeitslosenversicherung gilt bisher der zweitgrößte Treibhausgasemittent Transparenz, bessere Regierungsfüh-
nur für die in den Städten beschäftigen der Welt und dürfte bald auch die USA rung (durch effektive Kontrollinstanzen)
Arbeitnehmer, die 0,5 bis ein Prozent ih- überholen. Bezogen auf die Pro-Kopf- vor allem auf der lokalen Ebene und ein
res Einkommens und deren Arbeitgeber Emissionen aller Treibhausgase lag Chi- unabhängigeres Rechtssystem.15
ein bis zwei Prozent der jeweiligen Lohn- na im Jahr 2000 mit knapp vier Tonnen
summe als Beiträge zahlen. Anspruch auf noch unter dem weltweiten Durchschnitt
Leistungen aus diesem Fonds erwachsen von 5,6 Tonnen, während die USA mit Wachsende Proteste
nach einem Jahr, die je nach Beitrags- 24,5 Tonnen pro Kopf im weltweiten Ver-
jahren ansteigen, aber auch nach zehn gleich an der Spitze lagen. Besorgniser- Die tief greifenden Veränderungen
Jahren wird Arbeitslosengeld nur für 18 regend ist insbesondere die Steigerung seit Beginn der Reformen Ende der
Monate gezahlt. Die Höhe des Arbeits- der chinesischen Emissionen, die allein 1970er Jahre haben zu großen sozia-
losengeldes ist von Region zu Region un- im Zeitraum von 2000 bis 2005 um etwa len Verwerfungen geführt, die für die
terschiedlich: in Peking liegt der Betrag 45 Prozent gestiegen sind. politische Führung des Landes zu einer
zwischen 337 (etwa 30 Euro) und 446 Ein großer Teil der Umweltverschmut- wachsenden Herausforderung werden.
Yuan (etwa 40 Euro) im Monat. Landes- zung wird vom Kohlebergbau und von Chinesische Berichte zeigen, dass die
weit beziehen nach Angaben des zu- Kohlekraftwerken verursacht. Während Menschen sich zunehmend gegen Will-
ständigen Ministeriums 3,27 Millionen China Öl und Gas importieren muss, kür lokaler Behörden zur Wehr setzen.
Menschen Arbeitslosenunterstützung. verfügt es über große, allerdings stark Immer mehr Menschen gehen gegen
Dieses System ist allerdings bisher nur schwefelhaltige Kohle. Aus Gründen als ungerecht empfundene Entschei-
in einigen Regionen eingeführt. Es dürf- der Energiesicherheit setzt China für dungen staatlicher Instanzen oder von
te noch lange dauern, bis ein landes- die Deckung des schnell wachsenden Parteistellen vor. Dazu werden nicht
weites Arbeitslosenversicherungssys- Energiebedarfs auf die Verstromung nur amtliche Beschwerdeverfahren ge-
tem aufgebaut ist. der heimischen Kohle. Dazu sollen bis nutzt. Die Übergabe von Petitionen,
Zeitgleich mit der Arbeitslosenversi- 2012 über 500 neue Kohlekraftwerke Sitzstreiks vor Parteibüros oder Äm-
cherung wurde auch eine Sozialhilfe gebaut werden. Wenn diese nicht mit tern gehören genauso dazu wie nicht
eingeführt. Diese Aufgabe obliegt den neuester Filtertechnologie ausgerüs- genehmigte Demonstrationen bis hin
Einwohnerkomitees in den städtischen tet und mit größtem Wirkungsgrad ge- zu Verkehrsblockaden und gewalttä-
Nachbarschaftsvierteln. Dieses in den baut werden, wird dieses über mehrere tigen Übergriffen auf Behörden- und
vergangenen Jahren in den Städten Jahrzehnte verheerende Folgen für die Parteivertreter. Gemäß offiziellen chi-
aufgebaute System einer Grundsiche- Umwelt haben.14 Zur Luftverschmutzung nesischen Quellen ist die Zahl sozia-
rung wird derzeit auch auf die Land- trägt auch der wachsende motorisierte ler Unruhen und Proteste (so genannte
bevölkerung ausgeweitet. Die derzeit Individualverkehr bei. Bis 2020 soll die „Massenvorfälle“) in den vergangenen
in den Städten an Bedürftige gezahlte Anzahl der Personenkraftwagen von Jahren deutlich gewachsen. Nach of-
Sozialhilfe liegt bei 182 Yuan (etwa 16 derzeit etwa 35 Millionen auf 100 Milli- fiziellen Zahlen des chinesischen Mi-
Euro) pro Person und Monat. Auf dem onen Fahrzeuge ansteigen. nisteriums für Öffentliche Sicherheit ist
Lande werden durchschnittlich 70 Yuan Wasserverschmutzung und Wasser- die Zahl der Fälle von „Störungen der
(etwa 6,32 Euro) pro Person und Monat mangel sind eine weitere große Her- öffentlichen Ordnung“ von 10.000 mit
gezahlt. Insgesamt erhalten 27,7 Millio- ausforderung für die Regierung. Bis zu 730.000 Beteiligte im Jahr 1993 auf
nen Bedürftige in den Städten und 35,5 700 Millionen Menschen haben keinen 87.000 im Jahr 2005 angewachsen, an
Millionen Menschen auf dem Land Zu- Zugang zu sauberem Trinkwasser. Nur denen sich schätzungsweise drei bis
schüsse zur Sicherung des Existenzmi- ein Viertel der Abwässer werden ge- zehn Millionen Menschen beteiligten.16
nimums. klärt bzw. behandelt. 70 Prozent der In 35 Prozent dieser Fälle waren Bauern
Flüsse und 90 Prozent der städtischen beteiligt. In diesen Fällen geht es zu-
Gewässer sind stark belastet. Nur ein meist um Landnutzungsrechte. Im März
Zerstörung natürlicher Fünftel der Abfälle werden umweltge- 2007 erklärte das Ministerium für Land-
Lebensgrundlagen recht entsorgt. wirtschaft und Ressourcen, dass es im
Die chinesische Regierung muss ein Regel- Jahr zuvor 96.133 Fälle illegaler Land-
Die Zerstörung der natürlichen Lebens- und Anreizsystem dafür schaffen, dass die nutzung untersucht habe, in denen laut
grundlagen hat in China inzwischen be- kurzfristigen Kosten eines effektiven Um- Schätzungen von Regierungsexperten
drohliche Ausmaße erreicht. So kommt weltschutzes von den (zumeist industriel- zwischen 540.000 und 814.000 Bau-
die Weltbank in einer Studie zu dem Er- len) Verursachern getragen werden, um ern ihr Land verloren haben dürften.
gebnis, dass sich bei Gegenrechnung damit die langfristigen volkswirtschaftli- Für das erste Halbjahr 2007 gab der
der Umweltschäden das Wirtschafts- chen Kosten weiterer, zum Teil irreparab- zuständige Minister Xu Shaoshi 24.245
wachstum halbieren dürfte.13 ler Umweltschäden zu vermeiden. neue Fälle bekannt. In 80 Prozent dieser
Gemäß inoffiziellen Zahlen sterben je- Mit der jüngsten Aufwertung der staat- Fälle seien dabei lokale Vertreter des
des Jahr 750.000 Chinesen vorzeitig lichen Umweltbehörde State Environ- Staates in illegaler Weise verwickelt.17
aufgrund der Umweltverschmutzung. mental Protection Administration (SEPA) Allerdings kam es 2005 nur in 700 (der
Die Luft in den meisten chinesischen zum Umweltministerium soll die Durch- 87.000) Fälle, d.h. in weniger als zwei
Großstädten ist in hohem Maße belas- setzung umweltpolitischer Maßnahmen Prozent, zu Zusammenstößen mit der
200
Polizei. Der schwerwiegendste bekannt zu grundlegenden politischen Reformen. DIE SOZIALE KEHRSEITE DES
gewordene Fall ereignete sich im De- Die Zentralregierung hat die Berech- CHINESISCHEN AUFSTIEGS
zember 2005 als es in Dongzhou, im tigung vieler Proteste aber anerkannt,
Südosten der Provinz Guangdong zu unter anderem durch Premierminister
Zusammenstößen von Dorfbewohnern Wen Jiabao in seiner Rede vor dem Na-
mit der Bewaffneten Volkspolizei kam, tionalen Volkskongress. In einigen Fäl-
in denen mehrere Dorfbewohner ums len revidierte die Zentralregierung auch an Unruhepotential in einer nationalen
Leben gekommen sind. Entscheidungen lokaler Behörden oder politischen Bewegung entladen könn-
bestrafte Beamte wegen des Einsatzes te, ohne dass andere soziale Gruppen,
unverhältnismäßiger Mittel. Staat und insbesondere die neue Mittelschicht,
Die Reaktion des Staates: Schaffung Partei behalten sich aber in jedem Fall Intellektuelle und Studenten sich ihr an-
einer „harmonischen Gesellschaft“ die Entscheidung darüber vor, welche schließen. Die entscheidende Heraus-
Proteste als legitim und akzeptabel gel- forderung für die kommunistische Partei-
Trotz der wachsenden Unzufriedenheit ten. Peking verfolgt insgesamt eine „Zu- führung besteht darin, ein nachhaltiges
und der zunehmenden Zahl sozialer ckerbrot-und-Peitsche“-Strategie im Um- Wirtschaftswachstum zu sichern und
Unruhen ist die Gefahr nicht sehr hoch, gang mit sozialen Protesten. gleichzeitig durch geeignete soziale
dass sich diese zu Flächenbränden aus- Schon 1999 begann die Zentralregie- Maßnahmen und der Eröffnung von Auf-
weiten und das Regime ernsthaft gefähr- rung damit, mittels der Förderung gro- stiegschancen einen möglichst großen
den könnten. Dennoch sind Regierung ßer Infrastrukturprojekte die zurückge- Teil der bisherigen Verlierer des Moder-
und Führung der Kommunistischen Partei bliebenen Westprovinzen an die boo- nisierungsprozesses einzubeziehen.
alarmiert und haben inzwischen den Fo- menden Ostprovinzen anzubinden und
kus ihrer politischen Prioritäten sichtbar die lokalen Ressourcen zu erschließen
verändert. Die Bemühungen der Zentral- – mit bisher nur mäßigem Erfolg. In 2003
LITERATUR
regierung, die Ursachen der wachsen- folgte ein zweites regionales Förder-
den sozialen Proteste anzugehen, wird programm für die Not leidende Schwer- Cai, Heping/Hua, Yingfang (2008): Sozialversi-
beeinträchtigt durch bestehende Span- industrieregion des Nordostens. cherung für Wanderarbeiter in der Volksrepublik
China/Social insurance of rural migrants in the
nungen zu den lokalen Regierungen, Seit dem Übergang von Jiang Zemin People’s Republic of China. In: China aktuell,
durch institutionelle Schwächen des zu Hu Jintao im Jahr 2002 wenden sich 1/2008 (Special issue: Flexibility and security in
Staatsapparates, inkonsistente Politik Regierung und Partei zunehmend den the People’s Republic of China), S. 181–203.
und der Unfähigkeit oder dem Unwillen Verlierern des Modernisierungsprozes- Cai, Yongshun (2008): Social conflicts and modes
ses zu. Der 11. Fünf-Jahresplan (2006– of action in China. In: The China Journal, January
2008, S. 89–109.
2010) sieht neben der Fortführung und Chan, Gerald/Lee, Pak K./Chan, Lai-ha (2008):
Verstärkung von Maßnahmen zur An- China’s environmental governance: the domes-
UNSER AUTOR
gleichung von städtischen und ländli- tic-international nexus. In: Third World Quarterly,
chen Einkommen auch eine Verstärkung 2/2008, S. 291–314.
Chan, Kam-wing/Wang, Man (2008): Remap-
der Anstrengungen im Bereich Energie ping China’s regional inequalities, 1990–2006: a
und Ökologie vor. new assessment of de facto and de jure popula-
Die politische Führung hat die Notwen- tion data. In: Eurasian Geography and Econom-
digkeit einer sozial und ökologisch aus- ics, 1/2008, S.21–56.
geglicheneren Entwicklung erkannt. Chandler, William (2007): Financing energy effi-
ciency in China. Washington D.C.
Unter der neuen Leitidee einer „harmo- Chandler, William (2008): Breaking the suicide
nischen Gesellschaft“ zeigt sich die der- pact: U.S.-China cooperation on climate change.
zeitige Partei- und Regierungsführung Washington/D.C.
entschlossen, das bisherige Modell ei- Chen, Shaofeng (2008): Motivations behind Chi-
na’s foreign oil quest: a perspective from the Chi-
Dr. Heinrich Kreft ist seit September nes Wachstums um (nahezu) jeden Preis nese government and the oil companies. In: Journal
2006 vom Auswärtigen Amt beurlaubt ohne große Rücksicht auf die sozialen of Chinese Political Science, 1/2008, S. 79–104.
und als außen- und sicherheitspolitischer und ökologischen Kosten zu korrigieren. Cheng, Joseph Y. S. (2008): A Chinese view of
Berater der CDU/CSU-Fraktion im Deut- Ähnliches gilt für Fragen der Produktsi- China’s energy security. In: The Journal of Con-
schen Bundestag tätig. 1994 trat er in cherheit, von mangelhaftem (exportier- temporary China, 55/2008, S. 297–318.
Davies, Gloria/Ramia, Gaby (2008): Governance
den deutschen diplomatischen Dienst tem) Spielzeug bis hin zum jüngsten Le- reform towards „serving migrant workers“: the local
ein mit Tätigkeiten u. a. an den deut- bensmittelskandal, bei dem aus purer implementation of central government regulations.
schen Botschaften in Bolivien, Japan Profitgier Milchprodukte mit giftigem In: The China Quarterly, 193/2008, S. 140–149.
und den USA sowie im Planungsstab Melamin angereichert wurden, die zur Economy, Elizabeth C. (2007): The great leap
backward: the costs of China’s environmental
des Auswärtigen Amtes, dessen stellver- Erkrankung und zum Tod zahlreicher crisis. In: Foreign Affairs, 5/2007, S. 38–59.
tretender Leiter er bis Ende 2005 war. Kleinkinder geführt haben. Fan, C. Cindy/Sun, Mingjie (2008): Regional in-
Er war Visiting Fellow in verschiedenen In Anbetracht der begrenzten Durchset- equality in China, 1978–2006. In: Eurasian Geog-
amerikanischen Think-Tanks in Washing- zungs- und Kontrollfähigkeit der Zent- raphy and Economics, 1/2008, S. 1–20.
ton, D.C. Heinrich Kreft hat Politikwis- rale gegenüber den Provinzen und lo- Gallagher, Kelly Sims (2007): China needs help
with climate change. In: Current History, 703/2007,
senschaften, Geschichte, Soziologie und kalen Behörden sowie Parteikadern ist S. 389–394.
Volkswirtschaft am Juniata College, PA es allerdings fraglich, ob das dringend Gilboy, George J./Read, Benjamin L. (2008): Po-
(USA), an der WWU Münster sowie am erforderliche Umsteuern überhaupt und litical and social reform in China: alive and wal-
Institut d’Etudes Politiques de Paris (I.E.P.) in der gebotenen Schnelligkeit gelingt. king. In: The Washington Quarterly, 3/2008, S.
143–164.
studiert. Schwerpunkt seiner Arbeits- Von daher ist davon auszugehen, dass Jacka, Tamara (2007): Population governance in
und Forschungstätigkeit sind Asien und wachsende Einkommensunterschiede, the PRC: political, historical and anthropological
die USA mit zahlreichen Publikationen. grassierende Korruption und das Fehlen perspectives. In: The China Journal, 58/2007, S.
Seit 1994 hat er China über zwanzig- demokratischer Institutionen auch wei- 111–128.
mal aus offiziellen Anlässen (Konsulta- terhin zu sozialen Unruhen führen wer- Jennings, M. Kent /Chen, Kuang-hui (2008): Per-
ceptions of injustice in the Chinese countryside.
tionen, Gespräche, Konferenzen, Vor- den. Allerdings dürfte es unwahrschein- In: The Journal of Contemporary China, 55/2008),
träge an Universitäten) bereist.